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BIBLIOTHEEK UNIVERSITEIT UTRECHT
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Die Rinderpest
Nach eigenen üntersuehimgen
and unter kritischer Benutzung
der alten Erfahrungen und neueren Beobachtungen
bearbeitet
A. C. Gerlacli.
Professor und Director der Kfintgllchen TliierarEneischule cu Hmuiover,
Mit 6 Tafeln Abbildungen inclusive einer Tafel Temperatur-Tabellen.
HANNOVER. B c h m o r 1 amp; v o n S e e f e 1 d.
im.
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^
Das Uebersetzungsrecht wird vorbehalten.
Dni'k von Anpust firiinpo in Hannover.
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Vorwort.
Wenn jetzt ein Werk über Rinderpest crsehcint, so ist dies sehr natürlieli; wider Erwarten und zu beklagen würde es sein, wenn eine so grossartige Rinderpest-Inva­sion im Westen Europas, wie wir sie nach 50jähriger Ruhe seit 1865 gehabt haben, verlaufen sollte, ohne Ver­anlassung zu Avissenschaftliehen Werken gegeben zu haben. Wenn ich aber ein Werk liefere über eine Krankheit, deren Literatur uns durch mehr als 500 Abhandinngen, Sehrifteben und Werke*) bezeugt, dass sie sehen länger als 100 Jahre Gregenstand vielseitiger ernster Forschungen gewesen ist, der ich vor zwei Jahren noch nicht einmal für competent gehalten wurde, über die Rinderpest im internationalen Interesse mitzusprechen, so dürfte man darüber wohl eine Erläuterung' erwarten.
Ich fand durch Abordnung von dem früheren hanno­verschen Ministerio Gelegenlieit, die Rinderpest in ver­schiedenen Ländern, in Ungarn, Holland und England .zu sehen und in Holland speeiell zu beobachten. Hierdurch und bei einer strengen Durchmusterung der Literalien bin ich zu Resultaten gekommen, die manches schon Bekannte, aber noch nicht recht Anerkannte bestätigen, manches IiTtbümliche berichtigen und in einigen Dingen auch neu sind.
*) Ueljer Literatur vorweise ich auf du Werkchen von J. C. Heck-meyer: „Körte Geschiedniss der Runderpest etc., 1845quot;, welches die ge-sammte Literatur bis 1845 enthält.
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IV
Ursprünglich wollte ich diese Resultate in einem gedrängten Missenscliaftliclien Bericlite geben; bei der hohen Wichtigkeit der Rinderpest aber, die bei den lien-tigen Verkehrsverhaltnissen von grösserer nationaler und internationaler Bedeutung ist, als friilier, und die immer noch grössere veterinärische und staatsveterinäriselie Be-deutung bekommen wird, je näher uns die bisherigen permanenten Pestländer durch die Eisenbahnen rücken, unter diesen Umständen hielt ich es für zweckmässig, ein vollständig-eres Werk über die Rinderpest zu geben. Vor allen Dingen aber empfand ich zugleich eine directe Aufforderung zu einer gründlicheren allseitigen l-Jear-beitnng meines Gegenstandes darin, dass unter den Fach-männern eine TJnterschätzung der Gefahr im besten An­züge ist und man schon begonnen hat, an den perma­nenten Maassregeln zu rütteln, die Deutschland und das ganze westliche Europa seit 50 Jahren geschützt haben.
So ist denn das Werk aus wissenschaftlichem, natio­nalem und internationalem Interesse entstanden. Möge es in die Welt gehen und diesen Interessen dienen.
(licrlacli.
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Inlialts-Yerzeiclniiss.
Alillieihing
Nosoloeie.
Capitel 1. Symptome.
1.nbsp; nbsp; Fieber........................ 1
2.nbsp; nbsp; Nervöse Zufallö....................7
3.nbsp; nbsp; Symptome der Localaffection der Schleimliäute und dor Haut ... 0
A.nbsp; nbsp; Ersoheimmgen an den sichtbaren Schleimhauten.
B.nbsp; nbsp; Pneiuuonische Zufalle.
C.nbsp; nbsp; Gastrische Zufälle.
I). Die Hauterkraukuugen.
Capitel 3.
Verlauf.
Abortivverlauf......................15
Voller Verlauf......................li;
a.nbsp; nbsp;Nervöse Form.
b.nbsp; nbsp;Pneumouischo Form.
c.nbsp; nbsp; Gastrische Form.
d.nbsp; nbsp;Fxanthematische Form.
Verlauf unter Complieatioueu.................20
Einflüsse auf Charakter und Verlauf..............22
Capitel 3. Obductionsbefund.
1.nbsp; nbsp; Das Blut.......................26
2.nbsp; nbsp; Die Schleimhäute....................27
Röthung.
Schwärzung.
Sclnvelluug und Durchfeuchtung.
Erkrankung des Epithels.
Der käsige Beschlag.
Die Erkrankung der Follikeln.
Verschorfung und Ulceration.
Die Contenta in den Verdauungswegen.
3.nbsp; nbsp; Verschiedene einzelne Organe...............34
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VI
Cap it el 4. Mikroskopischer und chemischer Befund.
Mikroskopischer Befund................
Blut und Blutgefdsse...............
Die schwärzliche Pigmentirung............
36 36
37 38
Die Schleimhaut der Verdauungswege.........
Maul- und Rachenhöhle, Schlund und Psalter.
Vierter Magen.
Dannkanal.
Die Luttwoge....................46
Die Haut......................47
Chemische Veränderungen..................48
Das Blut......................48
Das Kleiseh.....................r'u
Die Eraukheitsproducte der Schleimhaut und Haut......51
Der Urin......................raquo;1
Capitol 5. Diagnose.
1.nbsp; nbsp; Charakteristische Grundzüge...........
2.nbsp; nbsp; Krankheiten, die mein- oder weniger Aehnliehkeil mit der B haben ...............
Die Aphthenseuche.........
Die Lungenseuche.........
Die Wuthkraukheit.........
Das bösartige Catarrhalfieber.....
Die Magenseuche, Magen-Ruhrsenche . . Allgemeine Grundregeln..........
Capitel 6. Pathogenese.
53
nderpest
55 55 57 58
.ri8 59 65
Geschichtliche üebersicht
Thatsachen.....
Theorie.......
67 72
7s
Alillieilunlaquo; II. A e t i o 1 o g i c.
Capitol 7.
Die Selbstentwickeliing.
Geschichtliche Rückblicke; die Lorinser'schen Lehrsätze; das Vorhalten in Russland; die Erkrankung des Steppenviehes ausserhall) Russland; Endresultate.
86
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VII
Cap it el 8.
Ansteckung.
raquo;eile
her Ansteckungssfoff...................nbsp; nbsp; nbsp; 99
Natur desselben; die Lebenszamp;Mgkeit; die Bedingungen der Con-servirong und der Zerstörung des Ansteckangssto£fes, nament­lich die Wirkung der Luft, der Temperatur und der Feuchtigkeit.
Die Empfänglichkeit....................nbsp; nbsp; 108
Die Tilgung der Anlage..................nbsp; nbsp; nbsp;1'-
Die Ansteckung.....................nbsp; nbsp; 113
Directe Ansteckung..................nbsp; nbsp; 114
Indirecte Ansteckung.................nbsp; nbsp; UM
Die [neubationszeit....................nbsp; nbsp; 124
Capitel 9. Die Rinderpest-Invasionen.
Geschichtliche Uebersicht, speciellere von den letzten Decennien . . . 130
Invasionen von den russischen Steppen aus...........lo8
Invasionen aus verseuchter Nachbarschaft;............143
Alillicilimg III. Schutz- und Tilguiigsmaassrcgeln.
Capitol 10.
Scliiitzmaassregeln gegen die Einschleppung der Rinderpest.
AUgemeine Grnndprincipien.................145
Maassregeln gegen Einschleppung...............148
Permanente Schutzmaassregeln.............148
Contumaz....................154
Geschichtliches; hat die 21tägige Contumaz noch eine ge­nügende •wissenschaftliche Grundlage? oder ist eine Abkür­zung auf 10 Tage zulässig? Temporäre Schutzmaassregeln gegen die Rinderpest im Auslande 170
,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Capitol 11.
Tilgungsmaassregeln.
1.nbsp; nbsp; nbsp;Die Pest schleunig zu entdecken..............17(j
Belehrung; Verpflichtung zur Anzeige: Untersagnng der thierärzt-iicheu Pfuscherei: thiorärztliche Hülfe; Aufnahme des Vieh­bestandes,
2.nbsp; nbsp; nbsp;Absperrung......................179
Gehöftssperre; Ortssperre; Districtssperre; Landessperre; Selbst-absperrung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; - .
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Helta
3.nbsp; nbsp; Tügungsreriahren liri kranken und verdäcMgen Tliiorrn.....184
Das Tuiltcn; das Schlachten; dio Isolirang; das Abhäuten; das Vergraben; dio Entschädigung.
4.nbsp; nbsp; Desinfection...................nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 190
Desinfectdonsmittel; Desinfectionsverfahren.
Capitel 13. Behandlung und Impfung.
Behandlung.......................197
fmpfang........................200
Geschichtliches; Vorbauungs-lmpfung; Noth-ttnpfung; Schutz-Im­pfung; Mitigirung des Impfstoffs.
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ÄBTHEEÜNG I. i\ o s o I o g i e.
Capitel \. Symptome und Verlauf.
Das Kmnkheitsbild der Elindei'pest ist in drei Symptomen-
reihen ausgeprägt: Fieber, nervöse Zufälle und Erschei-nuugeu von Erkrankung der Selileimlulute, selbst der Haut bilden drei Gruppen, die in verschiedener In- und Exten­sität vorkommen. Das Bild ist deshalb variabel und nicht durch eine einfache Aufführung der einzelnen Symptome als Musterbild für alle concreten Fälle passend darzustellen; man muss vielmehr die Hauptsymptomengruppen getrennt halten und in ihren wech­selnden Verbältnissen darstellen. Hierdurch wird das Fundament gewonnen, das wahre Krankheitsbild in verschiedenen Schattirungen wiederzuerkennen und den Umfang der Möglichkeit der Diagnose nach den äussern Krankbeitserscbeinungen richtig zu beurtbeilen. Nach dieser Grundlage lassen sich dann die Hauptbilder im Ver­hülle kurz zusammenfassen.
I. Fieber.
Im Ganzen sind die directen Fiebererscbeinungen dieselben, wie bei jeder andern fieberliaften Krankheit: Fieberhitze, wech­selnde Temperatur an der Peripherie, Störungen im Kreis­laufe des Blutes und gehemmte Secretion; in dem Auftreten und den graduellen Verhältnissen dieser Fiebererscbeinungen liegt jedoch immerhin etwas Besonderes, wenn auch nichts Pathogno-monisches.
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Die Temperatur*). Aeusserlich wechselt Hitze und Kälte, besonders an den Ohren und Hörnern, anfänglich ist Hitze vor­herrschend, später mehr eine verminderte Temperatur: ungleiche Vertheilung und schroffen Wechsel fand ich nicht in so hohem Grade, wie bei manchen andern acuten, fieberhaften Krankheiten. Von besonderer Bedeutung ist clagegen das Verhalten der Innern Temperatur, wodurch zwar kein charakteristisches Kennzeichen der Rinderpest, wohl aber ein gewichtiges Hülfsmittel gegeben ist, die Ausbrüche bei schon festgestellter Seuche frühzeitig zu erken­nen, noch ehe andere Symptome vorhanden sind, die Veränderun­gen im Verlaufe Schritt vor Schritt zu verfolgen und die Pest in ihrer Genesis richtiger zu henrtheilen. Die gewöhnlichen Schwan­kungen fallen zwischen 39 und 41deg; ('.. die Steigerung geht aber auch his 42deg; und etwas darüber; über 4'2,2 ^ C. habe ich die Tem­peratur nicht gefunden. Mit der Höhe der Fieberhitze stand die Schwere der Krankheit und die Grosse der Todesgefahr im Allge­meinen in gleichem Verhältnisse; es kamen jedoch auch halle vor. in denen die Temperatur am ersten Tage der wahrnehmbaren Er­krankung sehr hoch stand, am folgenden Tage aber schon wieder herunter gegangen war und der weitere Verlauf sich günstig ge­staltete. C. Tabelle IV. Die Fieberhitze geht den übrigen Sympto­men 1 — l1;-. Tag voran; die Steigerung der Temperatur erfolgt meist schnell, zuweilen schon in 24 Stunden, sonst aber doch bis zum dritten Tage auf die äusserste Höhe, so dass sie schon auf der Höhe steht, wenn die übrigen Symptome sich noch entwickeln: hier verbleibt sie oft nur einen Tag, längstens drei Tage, sie geht dann immer, und auch beim tödtlichen Ausgange, mehr oder weniger herunter; man findet sie nach drei Tagen selten noch besonders hoch, selbst nicht bei schwerer Localafl'ection. Alle Tabellen
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*) Schon im Soiiteiulier 181)5 nahm ich umfangreiche Messungen in Schiedam vor, und zwar täglich zwei Mal, des Morgens von 6 — 8 und des Nachmittags von 5—7 (Ihr. Alie Angaben beziehen sich auf die Temperatur im Mastdarme. Die Scheide ist bequemer zu benutzen, hier stand jedoch die Temperatur immer 0,2 —1,0quot; C. niedriger, deshalb konnte ich sie nicht zur Vergleichung mit den Messungen im Mastdärme bei Ochsen benutzen. Bringt man eins Thermometer erwärmt in den Mastdarm, so zeigt es die Temperalaquo; tur binnen einer Minute an ; nicht erwärmt muss man es viel länger stecken lassen, und das erschwert die genauen öhtersuchungen sehr. Bas Thermo­meter muss '/lo Grade anzeigen. Die normale Temperatur schwankt bei Kin­dern zwischen 38,5—39,5; das Jungvieh hat das Maxünom; des Morgens steht sie etwas niedriger, als des Abends.
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drücken diese Verhältnisse in den Courben aus. Recidive iu Folge von Futteraufnalinie während der Genesung steigern die Tempe­ratur immer wieder und oft ebenso hoch, als beim Beginn der Krankheit. C. Tabelle L, II. u. III. Ganz constant stellen sich tägliche Schwankniigen heraus, ein Blick auf die Temperatur-Ta­bellen überzeugt uns von dem fast regelmässigen Sinken der Tem­peratur während der Nacht und von dem Steigen im Laufe-des Tages; die Breite dieser Schwankungen erstreckt sich meist von 0,1 —1.0deg; C., in einzelnen Fällen geht die Schwankung jedoch weit über diese gewöhnliche Breite hinaus. Massige Differenzen die­ser Art zwischen Morgen- und Abend-Temperatur der Kranken ent­sprechen den normalen Schwankungen und sind au sich nicht un­günstig; selbst ungewöhnliche abendliche Steigerungen sind nicht immer so gefährlich, wie sie scheinen;,TabelleII. zeigt uns eine Tem­peratur-Courbe von 2deg; Steigerung im Laufe des siebeuten Tages, und dennoch trat Genesung ein; die allmählige Ahnahme der Morgen­temperatur von einem Tage zum andern ist stets ein sehr gün­stiges Zeichen. C. Tabelle I. u. Y. Die umgekehrten Verhältnisse sind stets sehr ungünstig; steht die Morgentemperatur ebenso hoch oder höher, als die Abendtemperatur, und wiederholt sich dies, so ist das ein um so betleutiuigsvolleres Symptom, als die Steige­rung beträchtlich ist; ein auffälliges Sinken im Laufe des Tages ist gewöhnlich Vorbote eines bald erfolgenden Todes. C. Ta­belle VI. Nicht selten trat auf der Höhe eine plötzliche Deferves-cenz ein, die Temperatur sank dabei nicht selten um 2 — 3deg; unter den normalen Stand, worauf gewöhnlich sehr bald ein le-thaler Ausgang erfolgte; es war dies ein Zeichen der sehr gesun­kenen Lebenskraft, des allgemeinen Collapsus — grosse Atonie, sehr frequenter und kleiner, elender Puls (eine Parese des Herzens) waren stets begleitende Phänomene. Mit der Tiefe der Temperatur unter dem Normalen stand die Todesgefahr immer im gleichen Ver­hältnisse, der Tod trat dann selbst ein, wenn die Temperatur sich auch schon wieder etwas gehoben hatte. C. Tabelle VII. u. VIII. Einige Male sah ich ein schnelles und starkes Sinken, selbst etwas unter die normale Temperatur in Begleitung von Hautemphysem und heftiger Athembeschwerde in Folge, eines sehr starken Lungen-emphysems. C. Tabelle IX. Bei nicht tödtlichem Verlaufe trat die normale Temperatur unter den täglichen Schwankungen allmäh-lig, immer aber schon ein, noch ehe an den übrigen Erscheinungen eine erhebliche Erleichterung erkennbar geworden war. Ebenso
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sicher, wie die Steigerung das erste Symptom der Erkrankung war, ebenso war auch die Wiederkehr der normalen Temperatur ein Vorläufer der Genesung, und wenn bei den Reconvalescenten eine rückfallige Verschlimmerung eintrat, so war die plötzliche Steigerung der Temperatur wieder das erste Symptom.
Puls und Herzschlag. In der Frequenz zeigt sich die grosete Mannigfaltigkeit, sie schwankt von 60—120; von 50—80 sind Schwankungen in normalen Breitengraden, innerhalb derer sich der Puls bei den Pestkranken ebenso oft befand, als er darüber hinaus­ging; auffällig war sehr oft die grosse und regellose Wandelbar-keit der Pulsfrequenz bei demselben Patienten. Die Tageszeit zeigte keinen Einfluss und von der Temperatur waren die Schwan­kungen auch nicht direct abhängig, ich fand oft bei niedriger Temperatur grosse und umgekehrt bei hoher Temperatur nur ge­ringe Pulsfrequenz; nur insofern zeigte sich eine Uebereinstimmung mit der Temperatur, als die Frequenz auch in den ersten Tagen gewöhnlich höher stand, wie später. Bis 100 in der Minute ver­kündete die Frequenz keine besondere Gefahr, besonders in den ersten beiden Tagen der Krankheit; wenn diese Höhe aber nach einigen Tagen der Krankheit unerwartet eintrat, so war es immer ein schlimmes Zeichen: ging der Puls über 100 hinaus, dann stand der Tod in naher Aussicht.
Die Beschaffenheit des Pulses war charakteristischer, als die Frequenz; die Arterie war mehr weich, ohne Spannung, die Blutsäule nie stark, die Blutwelle stets klein und schwach und der Puls recht oft unfühlbar. Dabei war der Herzschlag im Stande der Ruhe nur schwach, oft gar nicht fühlbar, so dass die Frequenz durch Auscultation der Herztöne festgestellt werden musste; ein Contrast mit dem eilenden Pulse, den ich sonst nur bei Herzleiden gefunden habe. Einmal fand ich Puls und Herzschlag vihrirencl. wie bei Fehlem der Aortaklappen. Die Beschaffenheit des Pulses schwankt auch bei demselben Patienten oft in kurzer Zeit, so dass man den Puls z. B. des Morgens nur schwach fand, des Abends aber an derselben Arterie nicht mehr fühlen konnte. Diese Ver­änderlichkeit war ebenfalls unregelmässig, es wollte mir jedoch scheinen, als ob die Temperatur einen gewissen Einfluss auf die Qualität des Pulses ausübte und zwar in der Art, dass er bei sehr hoher Temperatur und umgekehrt hei tiefem Sinken unter das Normale, bei aligemeinem Collapsus immer sehr klein, selbst un­fühlbar wurde: einen untergeordneten Einfluss hatte die Frequenz:
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denn oft war der Puls schon bei 70 Schlägen kaum fühlbar, bei einer grossen Frequenz von 100 und darüber aber war er stets sehr klein. Ein sehr frequenter und nicht fühlbarer Puls war immer Todesvorbote. Im grossen Ganzen ist der Puls durch Herzschwäche, durch Mangel an iiltit in den betreffenden Arterien und durch gesunkenen Tonus charakteri sirt; ich weiss keine Krankheit anzugeben, wo ich ein ähnliches Verbältniss so constant gefunden hätte. Das Rinderpestfieber zeigt durch diese Verhältnisse den ausgebildet asthenisehen Charakter.
Vergleiclumg der Pulsfrequenz mit der Temperatur nach einer Anzahl von Messungen uml ZäMongen:
1) Bei gleichen Pulszahlen verschiedene, Temperaturgrade: Puls:nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 58nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 60
Temp.: 38,2quot;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 38,0quot; — 38,2quot; — 38,4raquo; — 39,0deg; — 40,20 — 40,4quot; — 41,2quot;.
Puls: Temp.:
65
38,60 — 41,2quot;
66 68 41,00 38,40 38,80
72
38,9quot;.
Puls: Temp.:
74 76 40,8raquo; 35,80 — 40,8quot;
80 38,9quot; — 39,0quot; — 39,4deg; — 40,2quot;
41,2quot;.
Puls: Temp.:
84 30,6quot; —40,0quot;
88 38,90 —40,0quot; —41.1quot;
90 39,4quot;.
Puls: Temp.:
100
38,20 — 38,9quot; — 40,0quot;-
108 -40,40-41.00 41,2quot;
112
39,6quot;.
2) Bei gleichen Temperaturgraden verschiedene Pulse: Temp.:nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 35,8quot;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;38,0quot;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;38.2quot;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 38,4quot;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;38,6quot;
Puls:
uiifühll).
76 60
58—60—100 60—68
65.
Temp.: Puls:
38,8deg;
72-72
38,9quot;
72 — 80—88-
39,0quot; -100 60 — 60—60 — 80
39,4quot; 80 — 90.
Temp. Puls:
39,6quot; 84—112
40,0deg; 84 — 88—100^
40,2quot; 40,40 -100 60—80 60 — 100
40,8laquo; 74 — 76.
Temp.: Puls:
40,90 uufulilli.
41,0quot; 66—100
41,1quot; 41,2quot; 88 80—60 — 60—65-
-80—108.
3) Angabe des Pulses bei steigender Temperatur bei einzelnen Individuen:
raquo;_ , i Temp.:nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;35,8quot;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;39,4quot;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 39,6quot;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;40,4quot;
* * | Puls:nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;iintülill).nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 90nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;112nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 10O kl.
wr jl ^ Temp.: 38,2quot; 39,0quot; 39,0laquo; 39,4quot; 39,6quot; 40,0quot; 40,1quot; 40,2laquo; j Puls: 60 60 60 80 84 100 84 80.
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raquo; in I Tf,mi,-: 38'20 38'fi0 38'9ft 3f,'40 39'6n 4a20
j Puls: 64 72kiraquo;umfiihlb. 64nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;60nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;72nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;04.
gt;r. IV.
Temp.:
I Pals:
38,4 60
0
38,0deg; 80
38,8raquo; (Id
42,2 0 100.
Nr. V.
l Tcinji.: Puls:
38,2deg; 64
38,20 38,H0 64 72
38,9laquo; 64
39,60
72
41,20 64
Nr. VI.
1 Temp.: I Puls;
39,8laquo;
G4
40,0
80
o 4o.oo HO
40,4laquo; 60
40,4quot; 100
41,0quot; 66.
Nr. VII.
1 Temp.:
1 Puls:
39,4raquo; 90
40.0laquo;
1laquo;
40,3quot; 40,4 52 54
) 40,5laquo; 60
40,6quot; 56
11,40 52.
Nr. Vlll.
I Temp. | Puls:
38,4laquo; 39,0laquo; 94 80
40,4quot; 41,0laquo; 98 64
41,1laquo;
76
11.50 80
41,Silaquo; 72.
Xr. EX.
\ Temp.: 39,0'! 39^0
39,2laquo; 39,5deg; 3^90 40,110 40,20 84nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 76nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;72 60k.f. 87.
Puls:
88
Diese Zusammenstellungen liefern den Beweis, dass entweder dieTemperatur keinen directen Einfluss auf die Pulsfrequenz hat, oder dass unter Umständen ein moderirender Einfluss stattfindet, der die Wirkung der orhöliten Wurme wieder paralysirt. Wenn mau aber bei denselben Rinderpest-Kranken unter fast anbemerkbaren Veränderungen das Verlüiltuiss zwischen Temperatur und Pulsfrequenz so sehr schwanken sieht, dass Erhöhung in der Temperatur mit Verminderung in der Pulsfrequenz und auch umgekehrt verminderte Tempe­ratur mit erhöhter Pulsfrequenz vorkommt, so dürfte doch der Einfluss der Temperatur auf die Pulsfrequenz ein sehr beschränkter sein.
Verminderte Secretion. Alle Secretionen sind anfäng­lich mehr oder weniger vermindert; von besonderem-Intergsse für die Diagnose ist aber die Milchsecretion, die mit der Temperatur­steigerung zugleich abnimmt, noch ehe andere Krankheitssymptome da sind, so dass die plötzliche Abnahme der Milch hei Milchkühen das Thermometer ersetzen kann. Am Tage vor dem Ausbruche gehen die sonst noch ganz gesund erscheinenden Kühe '^—^2 Milch weniger: einen gänzlichen plötzlichen Milchverlust, wie beim Milzbrände habe ich nicht beobachtet, selbst bei sclrwerer, tödt-licher Erkrankung blieb immer noch etwas Milchsecretion bis nahe vor dem Tode im (range; die Milchsecretion sank bei massi­ger Erkrankung bis auf '3 des normalen Ertrags und fand sich nach der Genesung langsam mit geringem Auslalle wieder ein. Bei [Milchkühen wird die Krankheit von den Besitzern durch dieses
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Symptom immer 1—l1/^ Tag l'riilier erkannt, als bei Ochsen und Jungvieli.
2. Nervöse Zufälle.
Constant, aber graduell verschieden sind die Erscheinungen der nervösen Atonie und Hinfälligkeit, die Apathie und Asthenie und mehr oder weniger nervöse Herzschwäche bis zur Parese, Er­scheinungen, die in einzelneu Fallen schon unter den ersten Sympto­men in den Vordergrund treten, unter allen Umständen aber doch bei allen schweren Erkrankungen in einigen Tagen sich einstellen. Theilnahmlosigkeit, gleichgültiger Blick, schwache Reaction auf äussere Reize, Nichtabwehren der Fliegen etc. charakterisiren die Apathie; schlaffe Haltung der Ohren, quot;\velke Haut, längeres Stehen der künstlich gebildeten Hautfalten, der schwache Puls, weiterhin der wankende Gang, das vorherrschende Liegen, oft mit aufge­stütztem Kopfe, und das schwerfällige Aufstehen, Alles zeugt von nervöser Abspannung. Atonie und Asthenie. Auf der Höhe der Krankheit, bei heftigem Durchfalle, könnte man diese Er­scheinungen als Frgebniss der allgemeinen Ernährungsstörung, als Entkräftung ansehen; dies ist auch zum Tlicil ganz richtig, und deshalb sind alle diese Erscheinungen auf der flöhe der Krank­heit nicht mehr so speeifisch, wir haben aber diese Erscheinungen schon früher und zuweilen recht ausgeprägt, und solche Fälle be­weisen direct das Specifische, was nur von unzulänglicher Inner-vation hergeleitet werden kann. Die nutritive Atonie und die Entkräftung durch mangelhafte Ernährung kann sich nie so rasch in solchem Grade entwickeln, als sich die Atonie und allgemeine Schwäche bei der Rinderpest ausbilden.
Nächstdem ist das Zittern an einzelnen Körpertheilen bald mehr vorn (Kopf und Schultern), bald mehr hinten als ein häufiges nervöses Symptom zu bezeichnen, welches aber keineswegs immer vorhanden, oft auch nur sehr gering und nur zuweilen ausgeprägt und dann mit Muskelhüpfen verbunden ist. Kopfnicken und Kopf­schütteln, so dass die Ketten rasseln, sah ich nicht; ich gehe aber gern zu, dass es in diesem Grade zuweilen vorkommt. Con-vulsionen habe ich in üebereinstimmung mit andern Beobachtungen auch nicht bemerkt.
Eine besondere Empfindlichkeit im Bücken, wie es die meisten Schriftsteller angeben, habe ich nicht gefunden; nach Sanderson*)
*) Third report of the commissioners etc. London 1866.
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hat man auch in England keine abnorme Empfindung beobachtet. Das tiefe Einbiegen lies Rückens bei kräftigem Griff auf denselben kommt auch bei Gesunden und bei verschiedenen Krankheiten vor, es ist eine schlechte Probe; ebensowenig sah ich wirkliche Kreuzlähmung. Manche Patienten land ich dagegen am ersten, selbst am zweiten Tage noch sehr reizbar, sie wurden unruhig und aufgeregt bei der Untersuchung. Förmliche Gehimreizungen mit furibunden .Sympto­men kommen nur selten und immer mehr vereinzelt vor: von meh­reren Schriftstellern sind solche Fälle von Wildheit in den ersten Tagen der Erkrankung erwähnt, ich selbst sah einen Fall in Un­garn, dessen weitern Verlauf ich jedoch leider nicht beobachten konnte.
Im August 1805 besuchte ich nach dem iiitcruatioiuücn Congress in Wien mit mehreren Collegen die Rinderpest in Nickolsdorf; sechs kranke Ochsen von 1—4tagiger Krankhoitsdauer fanden wir vor; spilter bei dem Verlaufe werde ich auf diese Patienten zurückkommen, hier will ich nur zwei Fälle iu ihrem Gegensätze hervorheben. Ein Ochse, während unserer Anwesenheit erst erkrankt, war sehr aufgeregt und wild, bei dem Versuche, sich ihm zu nähern, sprang er ungestüm zur Seite, um sich zur Wehre zu setzen, selbst der Eigenthümcr konnte dem angeblich sonst ganz ruhigen Thiere nicht bei­kommen; vorgehaltenen grünen Mais nahm er mit grosser Hast, Hess ihn aber nach einigen Kaubewegungen meist wieder fallen. Das Thier stierte zeitweise ruhig vor sich hin, war zeitweise wieder unruhig, brüllte und gähnte, bohrte an der Wand, an der es angekettet war, peitschte mit dem Schwänze und setzte bald etwas Mist, bald etwas Urin ab.
Ein zweiter Ochse, angeblich zwei Tage krank, zeigte den diametralen Gegensatz; er stand ganz apathisch an seiner Krippe, nahm von meiner Unter­suchung gar keine Notiz, die Ohren hingen schlaff herab, die Haut Hess sich in Falten schieben, die eine Zeit laug stehen blieben; Puls sehr klein, aber nicht beschleunigt. Dabei keine Athcmbeschwenle, kein Durchfall, keine Schleimhautaffcction des Auges, der Nase und des Maules. Während ich so zweifelnd neben meinem ersten Pestpatienten stand, brach der Ochse urplötz­lich zusammen und fiel wie ein Baum mir vor die Füsse; ich glaubte eine. Leiche vor mir zu sehen, aber schon nach etwa zwei Minuten stand er lang­sam und schwerfällig auf und stand nun wieder so apathisch da, wie zuvor. Beide Fälle erweckten in mir den dringendsten Verdacht auf Wutbkrankbeif; in dem ersten sah ich die rasende, in dem zweiten die stille Form: bei meiner ünerfahrenheit über die Zufälle der Binderpest sprach ich meinen Zweifel weiter nicht aus.
Braueil (Neue Untersuchungen etc. 1862, S. 38) hat zwei ähnliche Fälle erwähnt.
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3. Syiiiptome der Loc;il;iÜVdilaquo;n der Schleimhiiiite und
der Haut.
A. Erseheimingen an den sichtbaren Schleimbäuten. Constant ist die Erkrankung der Schleimhaut überhaupt, und eben hierdurch werden die charakteristischen Symptome bedingt, die entweder direct oder durch gewisse Functionsstörungen hervor­treten. Die directen Symptome haben wir natürlich nur an den sichtbaren Schleimhäuten, die hier zunächst in Betracht kommen, und insofern um sq #9632;wichtiger sind, als sie nach der Fieberhitze und verniinderten Milchsecretion die nächsten und die ersten auf­fälligen Symptome sind. Im Allgemeinen sind die siebtbaren Veränderungen der Schleimhäute folgende:
a.nbsp; nbsp; Autlockerung und Röthung, letztere beginnt leicht, ziegel­farbig, und gebt bald in dunkle diffuse über, nimmt aber bei nicht tödtlichem Verlaufe vom 4., 5. Tage an Intensität wieder ab;
b.nbsp; nbsp; Lockerung und Trübung des Epithels; granweisse Stippchen und Knötcben von der Grosse einer Stecknadelspitze bis zu der eines Stecknadelknopfes und darüber, die sieb nicht abwischen lassen, oft schon mit der anfänglichen leicht ziegelfarbigen, ge­wöhnlich aber mit der intensiven, dunklen Röthung auftreten, entweder einzeln oder auch sehr zahlreich sind, stellenweis aber auch leiden;
c.nbsp; nbsp; Excoriationen an einzelnen begrenzten Stellen oder auch mehr ausgebreitet; die excoriirten dunkelrothen Stellen sind nicht selten mit einer grau-weissen, käsigen Schicht bedeckt. Diese Excoriationen treten immer erst in zweiter Linie nach intensiver Röthung, 2 — 3 Tage nach sichtbarer Erkrankung auf. An den Mungerwärzchen, den Mündungen der Wharthon'schen Speichelgänge, am Rande des Zahnfleisches der Schneidezähne und in der Schaamspalte fehlen diese Excoriationen selten;
d.nbsp; nbsp; das Secret ist anfänglich wässerig, wird aber bald schlei­mig, eiterig und reagirt in allen seinen Veränderungen alkalisch.
Betrachten wir nach diesen allgemeinen Bemerkungen die einzelnen betreffenden Körpertbeile.
Das Auge. Die Bindebaut röthet sich immer mit zuerst, erreicht sehr bald eine diffuse Kirschrötbe und ist dabei immer aufgelockert; mit beginnender Röthung fängt das Auge an zu wässern, und bald, d. h. nach 24—36 Stunden, fliesseu die Thränen selbst über die Wangen; in dieser Zeit der Reizung ist die Pupille
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gewöhnlich und zwur um so mehr verengt, je höher die Fieber­hitze stellt. Weiterhia bildet sich, ein diokschleimiges, eiteriges Secret, welches sich hinter dein untern Augenlide um so mehr anhäuft, je mehr das Auge inzwischen eingefallen, d. h. der Augapfel in die Augenhöhle zurückgetreten ist. Diese Augensymptome sind mit die eunstautesten. nichts destoweniger aber doch graduell ver­schieden. Der Regel nach gehören sie zu den ersten Symptomen der Schleimhautaffection, oft zeigen die Thiere anfänglich aussei- den febrilen Zufallen mich nichts weiter als etwas diffuse Röthung der Bindehaut und wässernde Augen: ich habe aber auch Fälle ge­sehen, in denen diese Symptome erst spät, den dritten Tag und nur schwach eintraten, so duss die Thiere nicht „weinten1'.
Die Nase. Anfänglich trocken, am zweiten Tage aber wird sie feucht, d. h. die Nasenränder werden bewässert, aber schon am folgenden Tage zeigt sich Nasenausfluss, der anfangs wässerig, bald mehr schleimig, sehr selten aber dickschleimig und eiterig wird; stinkenden und blutigen Nasenausfluss habe ich nie ge­sehen. Die Nasenschleimhaut, die beim Rinde nur wenig sichtbar ist. röthet sich später und weniger intensiv, als die Bindehaut; in einzelnen Fällen werden die Nasenränder an dem Uebergange in die Schleimhaut exeoriirt.
Das Maul. MaulMhle immer mehr oder weniger heiss; Speichelabsonderung von vornherein vermehrt. Speichelfluss jedoch nicht immer vorhanden, zuweilen aller sehr beträchtlich: zu den ersten und constantesten Symptomen gehört immer ein gewisser hellrother Anflug des Gaumens, des Gaumensegels und der ganzen Rachenhöhle, soweit man bei specieller Untersuchung eben hinein­sehen kann. Röthung der Hungerwärzchen und der Zahnfleisdtränder, ziemlich schnell verbreitet sieh eine helle diffuse Höthung über das ganze Zahnfleisch, die Lippen und oft selbst über die papilläre Schleimhaut der Wangen ; bei der Röthung verdickt und lockert sich das Epithel sein' bald, an dem Zahnfleische und den Lippen namentlich wird es getrübt, graugelblich, zuweilen gekörnt, oft treten graue Kuötchen von Mohn- und ilirsekorngrösse auf; im hohen Grade kommen stellenweis Excorationen vor und auf solchen Stellen liegen nicht selten abwischbare graue, käsige Schichten, s. g. Platten.
In Ungarn vermisste ich diese Schleimhautsymptome im Maule hei allen sechs kranken Ochsen; bei meinem ersten Besuche in Holland waren sie constant und charakteristisch, wenn auch
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nicht immer in gleichmassigem Grade, bei meinem zweiten Be­suche daselbst fand ich sie weniger ausgebildet, namentlich fehlten die grauen Knötchen und käsigen Auflagerungen öfter; in England ist diese Erkrankung wieder ziemlich constant gewesen, wie aus den Berichten hervorgeht; in den von mir dort beobach­teten wenigen Fällen fehlten die erwähnten Symptome des Maul­leidens nicht.
Die Schaam. Die Schleimhaut der Schaamlippen und des äussersten Endes der Seheide erkrankte immer mit der Bindehaut und der Schleimhaut der Lippen und des Zahnfleisches zugleich, zuweilen selbst noch etwas früher. Im untern Winkel neben der Clitoris beginnt die diffuse Röthung, die sich nach und nach mehrere Zoll tief in die Scheide erstreckt: nicht selten treten neben der Clitoris Ecchymosen auf, die Schaamlefzen schwellen an. und die geröthete Schleimhaut zeigt sehr bald ähnliche graue Pünktchen. Knötchen, Excoriationen. käsigen Beschlag auf den exeoriirten Stellen, wie an den Lippen, Zahnfleische etc.;. zuweilen tritt auch ein eiteriger Schleim zwischen den Schaamlefzen hervor und trocknet an den Rändern an.
B. Pneumonisclie Zufälle.
Husten. Steht mit in der ersten Symptomenreihe. ist an­fänglich selten, trocken, aber noch kräftig, später wird er schwächer und sekliesslich kaum hörbar; es giebt aber auch Fälle mit ge­ringer Affection des Kehlkopfes und der Bronchien, und dann wird der Husten kaum einmal bemerkt.
Athmen. Anfänglich nicht in allen Fällen, später aber regel-mässig mehr oder weniger abnorm, nicht selten scbliessliche Athemnöth. Die Zahl der Athemzüge schwankt zwischen 20 und 80 Zügen; anfänglich meist nur beschleunigt und kurz mit wenig Anstrengung, später sinkt gewöhnlich die Frequenz, aber unter Zunahme der Anstrengung; zuweilen zeigt sich schroffer Wechsel, nicht selten fand ich 30—40 Athemzüge mehr resp. weniger als am vergangenen Tage: schliesslich stellt sich gewöhnlich Stöhnen bei der Exspiration ein; in diesem Stöhnen ist immer besondere Gefahr ausgesprochen; anhaltendes lautes Stöhnen ohne erhebliche Athembeschwerde fand ich immer gefahrvoller, als sehr be­schleunigtes Athmen ohne Stöhnen. Das sehr erschwerte Athmen wird zuletzt bei tief gesenktem Kopfe in der Art ausgeführt, dass nach einer möglichst tiefen Inspiration eine kleine Pause
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und dann die Bxspiratiön unter lautem Stöhnen eintritt. Die Auseultation ergiebt anianglieli immer nur vermehrtes Bläscheu-geräusclij später stellen sicli aber zwei Formen von Rasselgeräuschen ein. ein feuchtes (Bläschenrasseln), oft nur an der Luftröhre deut­lich (grohhlasiges tracheales Rasseln), zuweilen auch an den Sei­ten der Brust (feinlilasiges Rasseln), and ein trocknes Tlassel-gei'äusch besonders im Momente der Exspiration, welchs stets das angestrengtere Atlunen begleitet und ein grösseres Lungen­emphysem andeutet: dabei ein WiederhaU von den Kehlkopfs­lauten (dem Stöhnen) an der Brustwand, der an amphorisches Blasen erinnerte. Von der Zahl der Pulse war das Athmen stets unabhängig, ich zählte nicht selten ebenso viel und seihst noch mein- Athemzüge als Pulse und in andern Füllen wieder wenig Athemzüge bei grosser Pulsfrequenz, so •/.. B. bei 70 Pulsen 80 Athemzüge und wieder hei 100 Pulsen nur 30 Athemzüge. Die Athembeschwerde dauert bei den Reconvalescenten oft noch längere Zeit, zuweilen selbst in gefahrdrohendem Grade fort.
C. Gastrische Zufalle.
A ppeti t. Hei den ersten Spuren bestellt er noch nebst Wieder­käuen fort; mit dein Erkranken der sichtbaren Schleimhäute beginnt die Störung, anfänglich mehr oder weniger vermindert, ganz unterdrückt nur im hohen Grade der Krankheit vom zweiten bis dritten Tage ab. in den leichten Fällen wird gewöhnlich noch etwas Futter aufgenommen; mit der gestörten Fresslust tritt auch das Wiederkäuen zurück.
Durst zeigen die Patienten fast immer in geringeren und höheren Graden; wenn sie das Futter schon versagen, nehmen sie noch Mehltränke, am liebsten aber reines Wasser auf; nach­haltig verschmäht wird das Getränk gewöhnlich nur in Folge von Schmerzen im Maule und gestörtem Schlucken. Die Wanst-thätigkeit besteht meist bis zu dem höheren Grade der Krank­heit fort. Anfänglich immer verzögerte Mistentleerung, kerne Verstopfung, aber selten Entleerung eines mehr festen Mistes in kleinen Quantitäten.
Durchfall stellt sich zu verschiedenen Zeiten ein, aus­nahmsweise schon am ersten läge, zuweilen am zweiten, in der Pegel aber erst am dritten Tage der sichtbaren Erkrankung und wieder ausnahmsweise auch noch später. selbst erst kurz vor­dem Tode; in einigen nicht tödtlichen, aber doch nicht gerade
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ganz leichten Erkrankungsfallen sah ich gar keinen Durclifall eintreten. Der Intensität nach ist der Durcht'al} auch verschieden, bei leichter Erkrankung bleibt der Mist dünn-breiig, in der lieget aber sind die DurchfaJlsmassen anfänglich dünn-breiig, dann wässerig, später dickschleimig, zuweilen selbst mit einigen schwachen Blutspnren versehen (wirklich blutigen Durchfall habe ich nie gesehen); stinkend wird der Durchfall nur selten; in den höchsten Graden, bei herrannahendem Tode, oft unwillkürlicher Abgang bei offenem After. Bei Reconvalescenten dauert der Durchfall in der Hegel ziemlich lange, ich sah ihn zuweilen noch in der dritten Woche, gewöhnlich aber unter zeitweiliger Abnahme. Die Fäcal-massen reagirten immer neutral oder schwach alkalisch, nie sauer. Tenesmus ist nur zuweilen mit dem DurchfaU verbunden. Einige Male beobachtete ich einen geringen Grad von Tenesmus auch schon vor dem Durchfall, und einmal trat bei schwachem Tenes­mus gar kein Durchfall ein.
D. Die Hauterkrankungen.
Die Haut erkrankt wesentlich in derselben Weise, wie die Schleimhaut, aber nicht so constant und meist nur an einzelnen Stellen. In manchen Zeiten und Ländern erscheint das Exanthem fast constant, in andern wieder sehr selten: ganz vennisst wird es aber wohl bei keiner umfangreichen Pesteruption. In Holland sah ich es im'Herbst 1865 bei 3/4, im Winter 1866 kaum bei '^ der Pestkranken; in England ist es so häufig vorgekommen, dass Bris to wees mit zu den charakteristischen Erscheinimgen derltin-derpest gezählt wissen will. Immer ist es die feine, besonders die nicht pigmentirto Haut, auf der sich das Exanthem zeigt; Lieb­lingsstellen sind: d;is Euter, besonders die Basis der Striche und das Scrotum; ausserdem sieht man es an den Nasenflügeln, den Schaamlippen, dem Mittelfleische, an der innern Schenkelfläche, den Kronen und am Halse; selten sehr verbreitet und dann immer nur über die weissen Hautstellen. Graduell ist der Aus­schlag ebenso verschieden, wie die Erkrankung der Schleimhaut: der geringste Grad besteht in reichlicher Desijuamation, gelbe Hautschuppen häufen sich reichlich an; ein zweiter höherer Grad äussert sich durch Hyperämie, diffuse, erysipelatöse Böthung, reichliche Abschuppung, Fettabsonderung, Befeuchtung und Be-fettung der Fläche, und endlich Bildung einer dünnen, schmierigen Schorfdecke: der dritte und höchste Grad besteht in intensiver
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Röthoug, Ablösen der Epidenuis und dickem Schorfbildiing; der Schorf ist schmutzig, gelblich, braun, locker, oft einige Linien dick, sitzt locker auf dein duukelrothen C'orium und besteht uns fettigen Hautschuppen. Die ersten beiden Grade kommen oft diffus über eine grosse Fläche ausgebreitet, namentlich am llulse und an der innern Schenkelfläche vor. der liöehste Grad aber ist immer sehr begrenzt und an dem Euter, dem Scrotum und dem Mittelfleische am charakteristischsten. Bläschen und Pustelbil­dungen kommen nicht vor. dennoch aber erinnert der Ausschlag am Euter an Pocken, die durch Melken in ihrer regelmässigen Entwickelung gestört worden sind, so class ich bei meinen ersten Beobachtungen Itamazzini*) sehr entschuldigte, dass er die Rinder­pest „Pockenseuchequot; genannt hat.
Hautemphysem. Im Ganzen nicht häufig; an dem kni­sternden Geräusche beim Drucke leicht zu erkennen; der Sitz ist der Rücken, die Schultern, selbst die Kippen und Seiten des Halses; zuweilen nur an einer Seite, meist an beiden und selten über den grössten Tiieil des Körpers verbreitet.
Bei den Schafen und Ziegen tritt die Hinderpest genau unter denselben wesentlichen Erscheinungen aid', die jetloch meist weni­ger ausgeprägt sind, weil die Pest im Aligemeinen einen weniger bösartigen Verlauf nimmt.
Capilcl 1 V e r 1 a u f.
Die Rinderpest ist in ihrer Wesenheit zwar unwandelbar, dennoch zeigt sie eine grosse Mannichtaltigkeit in ihrem Verlaufe, sie zeigt graduell und, in Rücksicht der Localaffectionen, auch formell grosse Verschiedenheiten, die von den Racen, Jahreszeiten, von klimatischen, meteorologischen und diätetischen Einflüssen und zum Theil auch von noch unbekannten Factoren bedingt werden. Bei einer grossen Anzahl von Kranken und bei der Beobachtung der Seuche in verschiedenen Ländern und Jahres­zeiten tritt die Wandelbarkeit der einzelnen Symptome und die
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:-:) Dissertatio de contagiosa epidemia etc. 1713.
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Verschiedenheit des Verlaufs recht auffällig hervor. Ich habe mir drei Ilinderpestseuchen in rerschiedenen Zeiten und Landern gesehen, ich habe mich aber von der grossen Grundwnhrheit über­zeugen können, welche Lorinser in dem 8ntze ausgesprochen hat: „Die Gesammtheit der Symptome, welche der Rinderpest eigen sind, wird niemals bei einem einzigen Krauken, kaum iu einer kranken Heerde, immer jedoch um so vollständiger wahr­genommen, je grosser die Menge der kranken Häupter ist.quot; Ich möchte diesen Satz noch schärfer dahin fassen, dass weder bei einem Kranken noch in einer kranken Heerde, sondern nur bei mehreren Hecrden verschiedener Uaceu in verschiedenen Seuchen. Ländern und Jahreszeiten die Gesammtheit der Symptome und die Mannichfaltigkeit des Verlaufs erforscht werden könne. Anders sah ich die Rinderpest in Ungarn bei der grauen Steppenrace, als in Holland und England, und in Holland bei schöner Herbstwitterung anders als im Winter. Nach diesen Beobachtungen glaube ich den Verlauf am präcisesten darstellen zu können, wenn ich einen Abortivverlanf von dem Vollverlauf und diesen in seinen verschiedenen Formen kurz vorführe.
Der Abortivverlanf.
Ich begreife hierunter den Verlauf, in welchem nur einzelne oder mehrere leichte Symptome zu Tage treten, die in dem ein­zelnen Falle höchstens etwas Verdacht erwecken, aber niemals zur Annahme der Rinderpest berechtigen können. Dieser Verlauf ist nicht tödtlich; .lessen erwähnt, dass die betr. Rinder (Steppen-ochsen) zuweilen nur einen Tag etwas fieberten und dann wieder ge­sund seien; dies würde die allereinfachste Form des coupirten Ver­laufs sein, die ich selbst nicht beobachtet habe. Vielfach ist es uns von dem Steppenvieh in der Litteratur kundgetlian, class die Steppenochsen matt und müde werden, kaum noch fort können und lahm gehen, dass solche Heerden aber ohne alle anderweitigen Symptome dennoch die Binderpest überall zurückgelassen haben, wo sie passirt und mit dem Vieh in Berührung gekommen sind; dieses vermeintliche Ermüden und Erlahmen ist also weiter nichts, als abortirte oder larvirte Rinderpest. Eine andere Form zeigt sich als Exanthem mit leichtem Fieber mit gelingen gastrischen Zu­fällen und ohne solche. Nähere Andeutungen haben wir schon bei leichter Erkrankung der sichtbaren Schleimhäute; geringes Augen-wässern mit und ohne Husten und mit verminderter Fresslust ist
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schon eine deutliche Abortivf'onn. die das Bild eines leichten Catarrhalfiebers darstellt. In noch andern Fällen ist die ganze Pest mit einem leichten Durchfalle in einigen Tagen ahgethan; gesellt sich der Durchfall zu dem Catarrhaltiober mit wässernden Augen und Mattigkeit, dann haben wir die ausgebildetste Abortiv-l'onu. die mindestens sein' lebhaft an die Pest erinnert und also schon Verdacht erweckt. Bei Kühen werden alle diese leichten febrilen Fälle noch von einem geringen Ausfall an der Milch für kurze Zeit begleitet. Die Dauer ist immer nur eine kurze, inner­halb 8 'lagen kann die Besserung jedem Tag eintreten, und die Genesung selbst ist in einigen Tagen vollendet, worauf man dem Thiere nichts mehr ansehen kann.
Voller Verlauf.
Das Bild der Rinderpest ist bestimmt and erkennbar ausge­sprochen; das Leben ist immer mehr oder weniger bedroht; unter günstigen Verhältnissen bei einem milden Charakter unterliegen etwa 500/0, unter entgegengesetzten Verhältnissen900/o und darüber; im Mittel ist der Verlust auf 70—70 % zu veranschlagen.
Die Entwicklung. Das erste objective Symptom, womit die Rinderpest anhebt, ist die Temperaturerhöhung im Innern, die Fieberhitze, die jedoch nur mit dem Thermometer zu ermitteln ist und deshalb der Beobachtung gewöhnlich entgeht: hierzu ge­sellt sich bei Kühen alsbald Abnahme der Milchsccretion: dabei zeigen die Thiere anfänglich sonst keinerlei Krankheitssymptome, sie erscheinen noch 1—1 ^2 Tag ganz gesund.
J)io Angabe Sand er so 11's*), dass die Temperatur schon innerhalb 3C bis 48 Stunden nach tier Impfling steige, kann ich nach meinen Untersncbuu-gen niebt bestätigen; es dürfte dies wohl mir in den ausnalnnsweisen Fällen sein, wo die [neubationszeit ungewölmlicb kurz ist. Ich babe jedoch nur bei einigen Kindern im Peststalle vor der Erkrankung messen können, und hier fand ich ersl am Tage vor dem Ausbruche die Temperaturerhöhung. Bei den geimpften 3 Schafen und Ziegen fand ich die Temperatur l'/a Tag vor dein Eintritt anderer Krankheitssymptome.
Aus praktischen Gründen wollen wir das erste sichtliche Erkran­ken den Ausbruch nennen, worauf sich auch alle Zahlen der Tempe­ratur-Tabellen beziehen: •wissenschaftlich muss mau also Immer 1—2 Tage zurechnen.
Hierauf erfolgt die sichtbare Erkrankung mit Höthung der Schleimhäute, vor allen der Bindehaut, mit wässernden Augen und
*) Dritter Bericht der englischen Commission.
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Nasenlöchern, mit deutlichen Fiebersymptomen, trockuum Husten und nervösen Erscheinungen.
Diese Symptome des Ausbruchs finden sich alle hinnen 24 Stun­den ein, hakl dieses, bald jenes zuerst, das Auge giebt gewöhnlich die ersten Indicien. Von jetzt ab entfalten sich an den sichtbaren Schleimhäuten binnen 2 Tagen alle pathologischen Erscheinungen, duneben entwickeln sich die pneumonischen und gastrischen Zu­falle, hakl die einen, bald die andern etwas früher. So erlangt die Pest innerhalb 4—5 Tagen nach dem Ausbruch ihre Höhe und zwar gradatim oder auch ganz unerwartet im Verlaufe eines Tages, so dass man leichte Patienten oft am folgenden Tage schon sehr schwer und selbst hoffnungslos erkrankt vorfindet; zuweilen schliesst sich solche schnelle Steigerung unmittelbar an den Aus­bruch, und dann zeigt die Pest schon in zwei Tagen ihre Höhe.
Der nickt tödtliche Verlauf. Die Einderpest kann auch nach dem deutlichen Hervortreten auf jeder Stufe der Entwicke-lung stehen bleiben und den Rückweg antreten, ihre Acme ist keine absolute. die in jedem Erkrankungsfalle erreicht werden muss, sie ist eine relative, deshalb giebt es auch bei diesem aus­geprägten Krankheitsverlaufe leichtere und schwerere Erkrankungen, in erstem erfolgt Genesung, in letztern gewöhnlich nickt. Eine günstige Wendung tritt schnell, zuweilen auch ganz unerwartet ein; die Temperatur sinkt zuerst und gewöhnlich den Tag vorher, die Fiebersymptome nehmen ab, der Blick wird freier, der Puls kräftiger, und hiermit beginnt die Abnahme in den übrigen Er­scheinungen. Die weitere Genesung erfolgt immer gradatim, Thränenfluss und Durchfall bestehen am längsten, letzterer über­dauert namentlich alle andern Symptome. Das Stadium der Ab­nahme bis zur Genesung dauert zwei- bis dreimal so lange, als das der Entwicklung und erstreckt sieb auf 8—14 Tage, in dieser Zeit erfolgte die Wiederausgleichung der pathologischen anato­mischen Zustände; nach leichten Erkrankungen geschieht dies sehr bald, nach schweren dagegen immer nur langsam, und nicht selten bleiben im letztern Falle einzelne Fnnctionsstörungen längere Zeit zurück. Zu solchen nachbleibenden Störungen — Nacbkrank-heiten — gehören namentlich Athembeschwerde, die immer in ausgebildetem iuterlobulären Emphysem beruhen, und gastrische Zufälle, Verdauungsschwäche, die sich durch nachhaltigen Durchfall und leichte Indigestion bekunden. Während der Besse­rung treten nicht selten Rückfälle ein, besonders zu der Zeit, wo
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sich laquo;lev Appetit wieder einstellt; ich sah solche Tiücld'iille oft und immer nach Diätfehlern, wenn die Thiere namentlich Heu oder Stroli gefressen hatten. Der Appetit entwickelt sieh früher, als die Verdauungsorgane teste Futterstoffe vertragen können, deshalb so leicht Rückfälle, bei welchen die Temperatur plötzlich wieder „auf eine gewisse Höhe steigt—lab. 1., II. und 111. — und womit wieder Fieber*, grössere Pulsfrequenz und Appetitlosigkeit eintreten. Der tödtliche Verlauf. Die Rinderpest wird in einzelnen Fällen schon vor ihrer vollen Entwickelung tödtlidu der Tod tritt in seltenen Fällen schon am ersten und zweiten Tage, zuweilen am dritten, in der Hegel aber erst auf der Höhe vom vierten his siebten Tage nach dem Ausbruche, zuweilen noch einige Tage später, selbst noch in der dritten 'Woche ein. Der spätere. Tod erfolgt entweder durch einen Rückfall oder durch Naphkrankheiten, namentlich in Folge eines beträchtlichen Lungenemphysems. Wie zuweilen eine gute Wendung, die unerwartete Genesung auf einer fast hoffnungslosen Höhe, so tritt nun auch sehr häufig der Tod ganz unerwartet ein, ohne dass man ihn nach dem Erkrankungs­grade vermuthen konnte.
Bei meinem ersten Krankenbesuche in Schiedam fand ich bei einem Besitzer 15 Ochsen in verschiedenen Stadien von der eisten Spur bis zum höch­sten Grade an der Rinderpest erkrankt vor: 10 standen im Stalle, 5 aber waren, als hoffnungslos und aufgegeben, auf dem Hofe unter freiem Himmel, diese berührten fast die Erde mit der Nase, athmeten mit ottiicm Maule, stöhnten laut, speichelten stark und hatten 100—111) kaum fühlbare Pulse. Am folgen­den Morgen lagen 3 als Leichen zu den Küssen der beiden (ihrigen Patienten, die den Kopf gehoben hielten und durch ihren freien Blick schon aus der Ferne eine glückliche Wendung der Krankheit erkennen Hessen: die Tempe­ratur war von 10,5 auf oi) gesunken und die Pulsfrequenz his auf 80 gemindert. Mit kurzer Unterbrechung ging die urplötzlich begonnene Besserung langsam wciicr und führte in 14 Tagen zur Genesung. Es ist mir aber auch umgekehrt recht oft passirt, dass ich am folgenden Tage eine Leiche fand, wo ich sie nicht erwartet hatte, dass neben einem schwer kranken ein weniger krankes Thier gestorben war.
Das Bild der Rinderpest ist aber auch bei dieser ausgepräg­ten Erkrankung, nicht immer dasselbe: die einzelnen Symptome entwickeln sieh nicht immer im gleichen Verhältnisse; je nach dem mm die eine oder die andere Symptomengruppe mehr oder weniger ausgebildet ist. ändert sieh natürlich auch das Krankheits­bild; diese Verschiedenheit tritt namentlich in der Entwicklungszeit autfälliger hervor, auf der Höhe ist sie geringer. .ledes der einzelnen Symptome kann doiniuiren oder auch in den Hintergrund
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treten; selbstverständlicli kann man deshalb nicht, alle möglicher Weise vorkommenden Formen vorführeii: ich kann mich nur auf die HauptverscHedenheiten nach ganzen Symptomengruppen be­schränken und darnach in kurzen Schemata auf die Hauptformen aufmerksam machen.
a.nbsp; nbsp;Die nervöse Form. Die beschriebenenNerrensymptome sind in den ersten Tagen fast allein vorhanden und auch später­hin immer noch in einem gewissen Grade vorherrschend. In Nickelsdorf in Ungarn sah ich bei allen, allerdings sich nur auf G belaufenden pestkranken Ochsen die nervöse Seite nach aussen gekehrt mid zwar bei einem am ersten Tage der Erkrankung die ausgeprägteste Reizbarkeit und Aufregung, bei den übrigen ausge­bildete Torpidität, Atonic und Apathie ohne Pulsfrequenz undAthem-beschwerde, ohne deutliche Affeetionen der sichtbaren Schleimhäute, ohne Thränen, Nasenausfluss, Speicheln und selbst ohne wirklichen Durchfall; nur bei zwei Patienten war die Bindehaut und Maul­höhlenschleimhaut schwach afficirt; Exanthem fand ich bei keinem der Kranken. Diese Beobachtung war allerdings sehr unvollkommen, sie beschränkte sich mir auf eine Untersuchung, aber die 6 Pa­tienten reprüsentirten die Rinderpost vom ersten bis vierten Tage der Krankheitsdauer. Die Obduction bei 4 kranken Ochsen, welche der Landesthierarzt freundlichst in unserm wissenschaftlichen In­teresse tödten Hess, zeigte das erste Erkrankungsstadium; diffuse Röthung der Schleimhaut des vierten Magens und Dünndarms und Schwellung der Peyer'schen Plaques waren sehr ausgeprägt und bestätigten die wirkliche Rinderpest. Später habe ich weder in Holland noch in England diese Form so ausgeprägt wieder gesehen. Ein weiterer wissenschaftlicher' Bericht ist über diese Pest bis jetzt leider nicht erschienen.
b.nbsp; nbsp;Die pneumonische Form. Erkrankung der Schleimhaut der Nasenhöhle, Luftröhre und der Bronchien vorherrschend; Husten und Athembeschwerde treten schon früh in den Vordergrund; Lungenemphyseme bilden sich regelmässig vom dritten bis vierten Tage ab, selten auch erst später aus; dabei öfter Hautemphyseme. Appetit pflegt hier in den ersten Tagen noch fortzubestehen, wenn auch in geringerm Grade; Durchfall tritt später, gewöhnlich
nur leicht, in einzelnen Fällen aber auch gar nicht ein.
Diese
Eonn sah ich in Holland häutiger.
c. Die gastrische Form. Der Appetit ist schon beim Be­ginn mehr als sonst beeinträchtigt und selbst ganz unterdrückt;
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die jMaiilsclileimhaut ist stark afficirt, selioii friili speicheln die Patienten aus dem Manie; JJnrelifall tritt meist schon unter den ersten sichtbaren Symptomen auf und erreicht einen hohen Grad; die anfangs wässrigen Dejectionsmasseu werden schleimig, zeigen zuweilen selbst schwache Blutspuren; endlich Erschlaffung des Afterschliessers und mehr ode]' weniger Tenesmus; dabei schnelles Einfallen der Hanken und lIiTunterkommeu der Kranken. Der Tod tritt last immer und meist schon am vierten oder fünften Tage ein. — In Holland, namentlich Utrecht, sub ich im Früh­jahr 18GG solche Formen, ausgebildet aber doch nur wenige.
Rein sind alle diese Formen überhaupt selten; zur Kegel ge­hört die Vereinigung aller drei Formen, besonders der beiden letzten; die eine oder die andere tritt aber gewöhnlich mehr in ilcn Vordergrund, dies kommt zwischen einzelnen Individuen vor, spricht sich aber auch im gesamniten Seuchencharakter aus; so war bei der holländischen Rinderpest entschieden die pneumouische Form dominirend. während in England die gastrische Form vor­zuwalten schien: ich sage schien, weil ich selbst zu wenig directe Beobachtungen machen konnte und mich dabei- auf die Berichte und die grosso Sterblichkeit hei der Fest stützen muss. Stellenweis ist die gastrische Form in England wohl entschieden vorherrschend gewesen,
d. Die exanthematische Form. Ausgeprägt aussert sich dieselbe durch das beschriebene Exanthem mit Schorfbildung an den feinen Hautstellen und besonders auf nicht pigmentirter Haut; in der weniger ausgebildeten Form zeigt sich ein begrenztes Exanthem an dem Zitzengrunde, wobei es an den weisseu Haut-steilen zuweilen noch zu krankhafter Desquamation kommt. Die übrigen Symptome können sich hierbei sehr verschieden ge­stalten; mir hat es geschienen, als ob bei dem Exanthem die Erkrankung der Luftwege vorherrschend sei.
Der Verlauf unter Complicationeii.
a. Complicationen mit Abortus. Bei hochträchtigen Kühen tritt Abortus häutig und gewöhnlich auf der Höbe der Krankheit, namentlich der Temperatarsteigerung und der Fieber­hitze ein. Ich sah den Abortus nur bei meinem Besuche im Februar, früher hatte ich keinen Abortus beobachtet; in allen Fallen befanden sich die Kühe im letzten Monate der Trächtigkeit; in einem Stalle, in welchem vier hochträchtige Kühe in zwei Tagen abortirt
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hatten, waren noch mehr trächtige Kühe ebenso krank, aber erst bis zum siebten und achten Monate trächtig, von diesen nbortirte keine. Eine auffälligere VerscHimmerung nach dem Abortus fand ich gerade nicht, dennoch starben die Kühe meist, wie auch andere in dem Krankheitsstadio ohne Abortus starben. Die Kälber waren zum Tiieil todt, zum Theil so schwach, class sie schon nach einigen Stunden starben, obwohl sie lebensfähig ent­wickelt waren: zum Theil blieben sie einige 'läge am Leben und starben dann an der Pest, die sich bei ihnen weiter entwickelte, Aleine Beobachtungen sind in dieser Beziehung nicht genügend, um allgemeine Normen aufzustellen; die Herren Collcgen in Holland haben mehr Gelegenheit gehabt und werden hoti'entlich ihre Erfahrungen auch in dieser Beziehung veröffentlichen.
b. (Complication mit Lungenseuche. Die Rinderpest befällt auch lungenseuclikranke Rinder, die Lungenseuche schliesst selbst im ausgebildeten Stadio die Pest nicht aus. Schon Haller hat diese Complication beobachtet: Jessen sagt in seiner Schrift (Rinderpest etc. 1834. S. 30), dass eine grosse Anzahl der Pest­kranken (1825) zugleich an der Lungenseuche litt. In England und Holland hat es viele Beispiele gegeben; in Holland sah ich sie sehr häufig und in England fand ich unter den 8 geöffne­ten Leichen zweimal zugleich Lungenseuche. Dass die Lungen­seuche immer das primäre Leiden und die Pest das hinzugetretene ist, bedarf wohl kaum der Erwähnung, weil die chronische Lungen­seuche sich nie in der Zeit nachweisbar entwickeln kann, in welcher die acute Rinderpest ihren ganzen Verlauf absolvirt. Das Bild der Einderpest erleidet durch die Lungenseuche insofern eine gewisse Aenderung, als die Brustsymptome überhaupt in den Vordergrund treten und bei der auffälligen Athembeschwerde eine gewisse ünwegsamkeit nach der Auscultation vorhanden ist. Durch die stärkern Rasselgeräusche in den wegsamen Partien werden jedoch die kleineu Unwegsamkeiten in den Lungen gedeckt, so dass. mau nur eine ausgebildete Lungenseuche durch das Eild der Rinderpest hindurch wahrnehmen kann, und in den meisten Fällen uns diese Complication erst bei der Obduction entgegentritt. Ich habe die Lungenseuche theils schon während des Lebens, hauptsächlich aber bei der Obduction und hier in allen Stadien in beginnender und umfangreicher, in frischer und alter Hepa-tisation gefunden. Bei umfangreicher frischer Ilepatisation fand ich das croupöse Exsudat der Lungenseuche auch in den Bronchien
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stecken, welches *'n-h in huigL'ii festen Strängen und Zotten leicht herausziehen liess.
In einem Stiille land ich 6 Rinderpestkranke, die alle an grossen Atliem-beschverden litten, 50—70 Athetnzage mit grosser Anstrengung in der Minute hatten; alle zeigten linkerseits in der untern Brnsthälfte mehr oder weniger deutliche Unwegsamkeit aeben verscluedenen starken emphysematischen Ge­räuschen. Bei weiterm Eindringen gestand der Besitzer, dass die Lungen-seucho in seinem Stalle gewesen sei, er aber seit sechs Wochen keine Kranke mehr gehabt habe. — In einem andern Stalle fand ich einen Roeon-viflcscouten, welcher an den Folgen der Lungenseuche (Hepatisation) und der Kinderpest (Limgenemphysem) zugleich litt. L)ie Kuh hatte die Kinderpest bereits vor ;3 Wochen überstanden; vor der Rinderpest hatte sie an der 1-uugenseuche gelitten, und noch ehe sie von dieser genesen, trat schon die Pest auf.
Bei der Rinderpest ist es jetzt so recht zu Tage getreten, wie sehr die Lungenseuche in England und Holland verbreitet ist.
Gewiss kann sich die Rinderpest auch noch mit verschiedenen andern Krankheiten compliciren, wodurch sie in ihrem Verlaufe eine Aenderung erleidet, wenn sie auch die Herrschaft hehalt; ich selbst habe jedoch anderweitige Complicationen nicht speciell beobachtet.
Einflüsse auf laquo;Im Charakter und Verlauf der Rinderpest.
Die Kacen. Allgemein anerkannt ist es, dass die Rinder­pest bei der grauen Steppenxace einen mildern Verlauf nimmt, dass unter dieser der Ahortivverlauf häufig und am häufigsten in den Steppen selbst bei der freien Lebensweise vorkommt. Wenn nun auch die Rinderpest nicht als eine gefahrlose Krankheit bei dem Steppenvieh zu betrachten ist, auch hier unter llmständen bedeutende Verluste eintreten können, so stimmen doch alle Beob­achtungen dahin überein, dass die Verluste selten die Höhe erreichen, wie bei unserm Vieh die Hegel ist, dass die gewöhnlichen Ver­luste immer viel geringer sind, das Maximum im Durchschnitt kaum das Minimum der Tödtlichkeit bei unserm Hornvieh erreicht, und eine unvollkommene Entwicklung bei vielen Individuen, namentlich im Anfange der Seuche vorkommt, dass die kaum oder gar nicht erkennbare Form oft bei einem grossen Theile einer Heerde gesellen wird, ja dass zuweilen sogar eine ganze Heerde die Rest in solchem geringen Grade absolvirt. Es sind Fälle beobachtet, wo die Rinderpest unter einer Steppenheerde ihren ganzen Verlauf als Seuche in 8—14 Tagen ohne weitere Verluste
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beendet hat, ferner Fälle, wo nur ein Theil der Steppenlieerde leicht, der grösste Theil gar nicht offenbar erkrankt ist; kurz es giebt eine Anzahl von Beobachtungen, die einen äusserst gutartigen Pestcharakter und Ahorliworlauf bei dein Steppenvieh nachweisen. Ein ungenannter Schriftsteller*) sagt: „man sollte kaum glauben, unter den Steppenheerden von so gesundein und niuntenn Ansehen die Rinderpest zu finden, und doch haben sie uns enviesener-massen die Pest gebracht.quot; Der Hauptmann Pilger fand in einer Steppenlieerde von 1500 Stück nichts als Erinüdungeii und Lahm­heiten, und dennoch verbreitete sie überall die Fest. Selbst in neuester Zeit Indien Impfungen in Russland hei Steppeuvieh zum Theil einen sehr milden Verlauf mit unvollkommener Entwicklung zur Folge gehabt. Es ist demnach unleugbar, dass das echte Steppen­vieh, d. h. solches, welches noch in den Steppen lebt, eine geringere Anlage zur Rinderpest hat, oder besser gesagt, in seiner kräftigen, abgehärteten'Natur grösseren Widerstand zu leisten vermag und weniger der Pest unterliegt; denn es dürfte diese Thatsache wohl hauptsächlich ihren Grund in der Abhärtung und natur-gemässen Entwickelung der Steppettracen haben. Die Cultur hat an ihrer Naturwüchsigkeit noch nichts verdorben, noeh nicht durch einseitige Ausnutzung jenes Missverhältniss herbeigeführt, welches uns in unsern cultivirten Milchracen in den verkümmerten Lungen neben den excentrisch entwickelten Verdauungsorganen entgegentritt.
Dass neben der Race auch noeh andere Factoren bestehen und den Verlauf der Rinderpest beeinflussen, ergiebt sich aus der Thatsache, dass die Pest auch bei unserm Hornvieh zuweilen von einem weniger bösartigen Charakter ist und ab und an selbst in einem Abortiwerlaufe vorkommt. Schon aus dem vorigen Jahrhun­dert sind uns solche Erfahrungen überkommen: so verlief z. B. die Einderpest in den siebenziger Jahren des 18. Jahrhunderts in Holland und im nördlichen Deutschland ziemlich gutartig, die Im­pfungen hatten solche günstigen Erfolge, dass anfangs die Hälfte, später immer mehr und schliesslich vier Fünftel und stellenweis noch mehr durchseuchten und man in ihnen schon das sicherste Schutzmittel sah, während im nächsten Decennium die Krankheit wieder in ihrer alten mörderischen Weise verlief. Von den ander-
*) Beitrag zur Geschichte der allgemeinen Viehseuche in der Mark Bran­denburg. 1771.
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weitigen Einflüssen auf den Verlauf haben sich Witterung, Klima, Jahreszeit uml die Diät bemerkbar gemacht.
Längst ist es bekannt, dass die Binderpest im Sommer milder verläuft, als im Winter, und je mehr die Witterungsconstitution des Sommers ausgeprägt ist, desto bestimmter tritt der günstige F.inHuss auf die Rinderpest hervor.
Von ganz entschiedenem Einflüsse fand ich die meteorologi­schen und diätetischen Verhältnisse in Holland. Zur Zeit meiner Beobachtung im September 1865 herrschte die Rinderpest in so milder Form, dass durchschnittlich die Hälfte und stellenweis weit darüber durchseuchte; hierbei sah ich denn auch leichte Erkran­kungen, die ich unter andern Umständen nie für Rinderpest ge­halten haben würde. Reine, frische, erquickende Luft ohne Nieder­schläge, angenehme Temperatur, kurz die besten Witterungs-verhältnisse begleiteten den September; das Vieh war vom Sommer her Tag und Nacht auf der Weide und fand hier hinlängliches Futter; auf den Polters um Schiedam standen die Schlämpefässer stets gefüllt und boten dem weidenden Vieh fortwährend Getreide-schlämpe zur beliebigen Aufnahme dar. Unter diesen Verhält­nissen der gutartigste Verlauf, die geringsten Verluste.
Ganz besonders muss ich .noch einn Brennerei in Schiedam erwähnen, in deren Heerde die meisten Kranklieitsfölle abortiv vorlaufen und von .r)0 Stück nur 7 gefallen sind, aber die Hälfte war bereits bei meiner Ankunft durchgeseucht, und von den Durclijicseiu'hten konnte ich nur einige von den noch gesunden dnrcli etwas aufgeschiirzten Bauch und ein gewisses trübes Wesen unterscheiden; der übrige Theil erkrankte während meiner Anwesen­heit und nur leicht, unter ihnen kamen 5 mit Abortiwerlanf vor. Diese ganze Heerde bekam warme Schlampe mit Schrot, ging den ganzen Tag auf die Weide neben dem Stalle und wurde des Nachts in den Stall gebracht. Der Inspector hatte bei diesem Verlaufe allen Respect vor der lünderpest ver­loren, er erklarte sie geradezu für unbedeutend und lange nicht so gefährlich als die Lungenseuche.
Der gutartige Verlauf der lünderpest zur angegebonen Zeit gab den Brennern Schiedam's auch Veranlassung, Vieh zu kaufen, um die Schlampe zu venvertheu, weil sie bei den bisherigen Verlusten durch die Pest dennoch einen Gewinn für ihre Yiehmast herausrechnen konnten. Hieraus erklärt es sich auch, dass die Rinderpest in Schiedam bat so lange anhalten können.
In schlechten engen Ställen neben, ja man kann sagen zum Theil in den Mistpfützen, bei grosser Vernaehlässigung der Thiere, bei dem üebernachten auf der Weide gegen Ende September, wo die Nächte bereits kalt geworden waren und die Kranken des Mor­gens zusammengekauert auf dem stark hethaueteu Grase lagen,
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sah ich entgegengesetzt einen recht bösartigen Verlauf, so dass fast alle verloren gingen, theils crepirten, thoils geschlachtet wurden, wenn der Tod einzutreten drohte. Die Kranken, die sich zwischen den Mistpfiitzen, in versumpften Holen und Gärten herum­drücken und in elenden feuchten Schuppen ohne Streu campiren mussten, starben alle.
Im Februar des folgenden Jahres fand ich in der Provinz Utrecht die Verhältnisse ganz anders, die Sterblichkeit war un­gleich grosser: den Ahoriivverlauf sah ich nur in einem Stalle in Woerden unter acht Kühen, die alle erkrankten, keinen Durchfall bekamen und in kurzer Zeit genasen. Die Thiere hatten von An­fang his zu Ende Mehltränke, rohe Eier und später etwas Brot aus der Hand erhalten.
Die Vermeidung fester Futterstoffe, schleimiges, nahrhaftes Getränk, frische Luft und massige Wärme waren von entschieden günstigem Einflüsse auf den Verlauf, eine Beobachtung, die auch in England gemacht worden ist.
Gewiss gieht es noch andere Einflüsse, die einen ungewöhnlich gut- resp. bösartigen Verlauf der Rinderpest bedingen, die aber zur Zeit noch ausser unserer Berechnung liegen. Die Doctrin über das regelmässige Milderwerden und endliche Aufhören der ansteckenden Krankheiten nach einer langen Dauer kann ich über­haupt nicht gelten lassen und am allerwenigsten bei der Rinder­pest; in Holland war sie in dem ersten Vierteljahre milde, tödtete durchschnittlich kaum 50%, während sie später weit mehr Ver­luste brachte, und wenn man die statistischen Tabellen übersieht, so ist ein Milderwerden bis zur Tilgung nach fast zweijähriger Dauer nicht zu bemerken.
Beim sorgfältigen Studium der Rinderpestseuchen im vorigen Jahrhundert findet man dieselben Resultate in noch viel eclatan-terer Weise; man findet nicht bloss eine längere Fortdauer in gleichem mörderischen Verlaufe, man findet auch Zunahme in der Bösartigkeit, ja man findet nach vorangegangener Abnahme an Bösartigkeit von Neuem eine Zunahme. Kurz die Rinderpest macht die Doctrin ganz vollständig zu Schanden, wonach die Seuche wirkliche Lebensstätionen, eine Geburt, Zunahme, Abnahme, ein Greisenalter mit seiner Ohnmächtigkeit hat und schliesslich unvermeidlich stirbt. Der gut- resp. bösartige Verlattf der Rinder­pest ist nicht von der Dauer abhängig, die Rinderpest ist unendlich, wenn sie fortlaufend neue Nahrung bekommt, d. h.
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wenn immer wieder empfängliche Iiulividuen der Ansteckung aus­gesetzt werden; von seDist stirbt sie nur aus, wenn jede Gelegen­heit zur Ausleckung and so zur Regeueratioa des L'ontagiums fehlt.
Capilel .1 0 Mu c ti o n s b e fund.
Es ist gebräuchlich, beim Obductionsbefunde die einzelnen Organe durchzugehen und deren anatomische Abweichungen zu be­schreiben; ein so gewonnenes anatomisches -Bild der Uinderpest pHegt aber gewöhnlich für keinen concreten Fall so recht zu passen und dies um so weniger, je sorgfältiger und minutiöser die Beschreibungen aller gefundenen Abweichungen gegeben worden sind; die Wechselfälle sind so mannigfaltig, dass ich unter einer grösseren Anzahl von Obductionen keine zwei Falle genau überein­stimmend gefunden habe. Ich habe deshalb einen andern Modus ge­wählt, ich habe this Blut und die Schleimhäute mit ihren Drüsen als die Theiie. an denen sich alle wesentlichen anatomischen Verände­rungen vollziehen, zur Grundlage meiner Darstellung genommen und schliesslich noch die einzelnen Organe kurz erwähnt, welche zuweilen in einer untergeordneten Weise mit ergriffen sind.
quot; 1. Das Blut.
Es ist immer verändert in der Art, dass es dunkler erscheint, weniger oder gar nicht gerinnt und der Farbstoff nur locker an die Blutkörperchen gebunden ist.
üeber das Verhalten des Blutes Während des Lebens habe ich mich leider nicht überzeugen können: in einem Falle hat mein College Dr. Harms nach meiner Abreise von Holland auf meine Veranlassung Dlut von einem schwer kranken Ochsen abgenommen, welches ungewöhnlich schnell, aber mir locker gerann und bald darauf hellrothes Serum ausschied. Meine ander­weitigen Ansuchen zur Untersucluing des physikalischen Verhaltens des Blutes während der Krankheit sind unbeachtet geblieben. Die einzelnen Angaben bei den Schriftstellern sind unzuverlässig, weil man das normale Verhalten dos Blutes /.n wenig gekannt und beachtet hat. Ich erlaube mir deshalb hier die Bemerkung, dass das Blut von gesunden Bindern stets sehr langsam, erst in Vi—% Stunden, aber sehr fest gerinnt, niemals eine Fäserstofikruste ab­setzt und erst am zweiten und dritten Tage eine Spur von klarem schwach gelblichen Serum ausscheidet.
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Bei den gefallenen Pestkranken ist diese Blutbeschaffenheit um so auffälliger ausgesprochen, je vollblütiger die Thiere gewesen sind. In den Herzventrikeln, besonders dem rechten und den grossen Venen, finden sieb lockere Cruormassen neben dunklem, flüssigen Blute; die innere Fläche der Herzkammer, der Venen­stämme, oft selbst der Aorta, ist kirseliroth gefärbt. Biese Dif­fusion des Blutroths geht selbst durch die (JeCässwand der Venen hindurch in das umgebende Bindegewebe; die mit Blut gefüllten Venen sind deshalb mit einem rothen Hofe umgeben, am auffäl­ligsten tritt dies stets an den grossen Venen des Herzens entgegen. Bie mikroskopische Untersuchung führt uns an den Gapülaren dieselbe Diffusion wieder vor, wie wir später sehen weiden. Auch das Serum im Herzbeutel, das gewöhnlich etwas vermehrt ist, zeugt durch seine röthliche und auch selbst blutrothe Beschaffen­heit davon, dass das Blutroth von seinen Trägern gelöst und im Blutplasma ditfundirt ist. Bei hochträchtigen Kühen ist selbst das Fruchtwasser mehr oder weniger bis zur hellrothen Farbe mit Hämatin geschwängert. So fand ich das Blut bei frischen, oft noch warmen Leichen, wo von Zersetzung nach dem Tode noch keine Rede sein konnte.
2. Die Schleimhäute überhaupt, besonders aber der Luft- und Verdauungswege.
Schon für den Kliniker, noch viel mehr aber für den Ana­tomen bieten die Schleimhäute die wesentlichsten Veränderungen bei der Rinderpest. Alle Schleimhäute sind hier der localen Er­krankung unterworfen; ganz regelnlässig und am auffälligsten aber die Conjunctiva, die Schleimbaut der Luftwege von den Nasen­löchern his in die Bronchien, die Schleimhaut der Maul- und Rachenhöhle, des vierten Magens, des Dünndarmes, des Mastdarmes, der Gallenblase und des äussern Endes der Scheide, besonders der Schamlefzen, im minderen Grade und oft kaum nachweisbar sind erkrankt die Schleimhaut des Schlundes, der ersten drei Magenabtheilungen, des Blind- und Grimmdarms und des grössern Theils des Mastdarms, während die Schleimhaut der Nebenhöhlen der Nase, der Gebärmutter (bei nicht trächtigen Thieren), der Hamwege und des Euters, besonders aber der Striche nur in einzelnen Fällen, mehr ausnahmsweise mitergriffen sind.
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Röt hung.
Graduell ist die Rothung der iScJileiinliaiit sehr verschieden nach Stadium und Hohe der Krankheit; am dritten und vierten Tage der Krankheit (d. h. nach dem sichtbai'en Ausbruche)
findet man sie auf ihrer Höhe und mehr oder weniger intensiv je nach dem Grade, den die Rinderpest inzwischen genommen hatte. Die in dieser Zeit an der Pest gestorbenen blut­reichen Thiere zeigen die intensivste Röthung; bei den in dieser Zeit geschlachteten Pestkranken trifft man sie; in verschie­denen geringern Graden an; bei später gestorbenen oder geschlach­teten ist die Röthune im Abnehmen und kaum noch erkennbar, oft uueh gar nicht mehr vorhanden; am längsten hält sie immer in den Luftwegen an. Die von der Rinderpest überhaupt bevor­zugten Schleimhäute zeigen auch die Röthung am ausgeprägtesten; am intensivsten findet man sie immer in der Nasenhöhle (Nasen­muscheln und Scheidewand), in der Rachenhöhle, dem Kehlkopfe und der Luftröhre, namentlich im obern Ende der letztern, im vierten Magen, besonders am Pylorus, im Dünndarm und am Ausgange des Mastdarms; in der Maulhöhle, in den kleinern Luft­wegen und der Scheide stand die Röthung immer in zweiter Linie; in den übrigen Schleimhäuten überhaupt ist sie nicht nur selten, sondern immer auch nur theihveise und schwach: so z. B. fand ich in den ersten drei Magenabtheilungen sehr selten und dann immer nur stellenweise schwache Röthung unter dem abgelösten Epithel, in dem Dickdarme bis gegen das Ende des Mastdarms nur ab und zu einzelne verwischte röthliche Stellen, und zwar am meisten noch im Blinddarme. In den Milchkanälen der Zitzen sah ich sie nur einmal besonders an der Mündung intensiv neben einer gleichzeitigen starken Schorfbildung äusserlich an den Zitzen: in der Gebärmutter traf ich sie nur bei trächtigen Thieren. die vor dem Tode ahortirt hatten; in solchen Fällen fand ich die Schleimhaut entweder in der ganzen Gebärmutter mehr oder weniger diffus geröthet, oder nur um den Muttermund: in der Harnblase fand ich die Röthung einmal: im Schlünde fehlte sie gewöhnlich, und selbst bei einem käsigen Beschläge auf der Schleimhaut war die Röthung doch nur gering. Innerhalb dieser Regeln kommen wieder manniehfaltige Verschie­denheiten vor, so ist der vierte Magen zuweilen sehr intensiv, zuweilen auch schwach geröthet; im Dünndarm ist bald die eine,
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bald die andere Stelle mehr geröthet; es kann sich ereignen, class der Blinddarm einmal stärker geröthet ist, als der iHumdarm oder ein Theil desselben.
Die Röthung ist durchweg diffus, erscheint auf der Höhe der Intensität kirschroth; ganz gleiohniässig fand ich sie in der Nasen­höhle und Kachenhöhle; im vierten Magen und IHinndann war sie ebenfalls diffus, aber bald an der einen, bald an der andern Stelle intensiver; in linearer Form zeigte sie sich stets auf der Höhe (dem Rücken) der Längsfalten der Schleimhaut der Luft­röhre, der Bronchien, am Pylorus und am Ende des Mastdarms, oft auch im Blinddärme.
Stellenweis ist die intensive Röthung mit kleinen, linsen-grossen, auch etwas kleinem und grössern Extravasaten begleitet; ganz gewöhnlich traf ich die Extravasate in der Luftröhre, be­sonders dem obern Ende, und vor dem Schliessmuskel des Afters, demnächst im Kehlkopfe und am Pylorus, an andern Stellen aber nur ausnahmsweise in der Schleimhaut an.
Schwärzunj
Sie zeigt sich nur in der Schleimhaut der Yerdauungswege, beginnt gewöhnlich mit dem fünften Lage der Krankheit, bildet sich aus der Röthe heraus, tritt mit der Abnahme dieser hervor und steht mit derselben in gleichem Intensitätsyerhältnisse. Oft findet man die üebergangsstufen von Roth zum Schwarz. Am frühesten pflegt die Schwärzung im Mastdarm hervorzutreten und zwar in derselben Longitndinalfonn. wie die Röthung; übrigens sind die Verhältnisse wechselnd, ich sah zuweilen neben Schwärzung im vierten Magen und Dünndarm noch stellenweis leichte Röthung im Dickdarm und umgekehrt, oft sah ich sogar im Dünndarm zur Zeit des Lebergangs am fünften his siebten Lage eine Partie noch dunkelroth. eine andere dagegen schon geschwärzt. Während der Zeit der Schwärzung in den ersten Wegen nimmt die Röthung in den Luftwegen etc. allmählich ab.
Die Intensität ist verschieden, vom Hellgrau zum Aschgrau, Schiefergrau. Der graue Anflug ist treffend mit der Aalhaut verglichen: oft findet er sich heller, oft auch dunkler, der schwächste Anflug ist im Blind- und Grimmdarm, wo er oft auch ganz fehlt: am intensivsten dagegen ist er stets am Pylorus und au den Peyer-schen Plaques — cf. Fig. 3 —. Die innere Fläche des Zwölf-tingerdarms ist stets mehr schwarz pimktirt, die schwarzen Punkte
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schienen don Mündungen der Brunner'sohenDrüsen zu entsprechen; diese schwarzen Punkte sind von Hanfkorngrösse und dünn aus­gestreut; die innere Fläche des Mastdarms ist vom Schliessmuske] ab 1—2 Puss lang schwarz gestreift, 1—2 Linien breite schwarz-sraue Streifen liegen auf dein Rücken der Longitudmalfalten, entsprechend der frühem Röthung. Der dicke Schleim im Dünn­darm trug immer Spuren von der Färbung der Schleimhaut, er war bei intensiver Röthung röthüch, bei der späteren Schwärzung auch schwärzlich tingirt.
Schwellung und Durchfeuchtung der Schleimhaut und deren Drüsen. üeberall, wo Röthung, da ist auch mehr oder weniger Schwel­lung und Durchfeuchtung, die jedoch mehr im vierten Magen und Dünndarm und ganz besonders an den Peyer'schen Plaques hervor­tritt. In der Luftröhre, den Bronchien und dem Endtheile des Mastdarms ist die Schleimhaut durch Schwellung immer in mehr oder weniger starke Längenfalten geschoben; im Mastdarm sind diese Falten am stärksten, einmal, weil die Schleimhaut schlaffer und nur locker mit der Muskelseliicht verbunden ist. anderntheils aber auch vielleicht durch stärkere Contraction der Muskelhaut.
Erkrankung resp, Abstossung des Epithels.
Die Erkrankung des Epithels fällt stets mit der Röthung und Durchfeuchtung der Schleimhaut zusammen, sie besteht durchweg in Lockerung resp. Ablösung, Trübung, Verdickung und Erweichung und tritt besonders auffällig und charakteristisch in den Ver­dauungswegen hervor.
In der Maulhöhle ist das Epithel der Lippen und des Zähn­fleisches mehr oder weniger verdickt, dasselbe hat oft ein grau-gelbliches feingekörntes Ansehen, enthält zuweilen die bei den Symptomen bereits erwähnten mohnsamen- und hanfkomgrossen grauen Enötchen und fehlt ab und zu an dem Zahnfleischrande stellenweis; solche exeoriirte Stellen sind dunkelroth. Auf der papillären Schleimhaut der Wangen ist das Epithel entweder ganz abgelöst, so namentlich in der Nähe der Maulwinkel, oder es sitzt nur locker auf. Das zarte glänzende Epithel an der untern Zun-genfläche ist mein- oder weniger getrübt, undurchsichtig, zuweilen selbst graugelblich gekörnt; die obere Fläche, der Rücken der Zunge ist von der Spitze bis zum Grunde stets normal — ich habe sie wenigstens niemals erkrankt gefunden — ; der entsprechende
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Theil des harten Gaumens ist selten krank, zuweilen findet man aber auch hier das dicke hornige Epithel gelockert und stellenweis abgestössen; die dunkelrotlien excoriirten Stellen sind am (räumen durch die Vertiefung immer sehr auffällig und werden oft irr-thümlicher Weise für Geschwüre gehalten: an dem weichen Gaumen sind die Epithelerweichung und Excoriationen häufiger; in einigen Füllen sah ich die Excoriationen vom Flotzmaule ab bis zum Gaumensegel so beträchtlich; dass das Epithel nur noch stellenweis aufsass und gewissermassen Inseln auf der rothen excoriirten Mäche bildete, üeberhaupt sind die Verhältnisse in der Maul­höhle sehr verschieden, oft findet man die erwähnten Abnormitäten nur spurenweis am Zahnfleisch, dann findet man wieder einmal diesen oder jenen Theil vorherrschend und in noch andern seltenen Fällen fast die ganze Maulhöhle mehr oder weniger erkrankt.
In der Rachenhöhle ist das Epithel oft verdickt, erweicht, graugelblich gekörnt, selten aber abgestössen, obwohl die Schleim­haut hier ganz regelmässig mit am schwersten erkrankt (geröthet und aufgelockert) ist.
Im Schlundkopfe verhält sich das Epithel öfter wie in der Rachenhöhle, im weitern Verlauf des Schlundes aber fand ich es normal, aber locker aufsitzend, wie im Wanste; weiter erkrankt sah ich es nur einmal durch den ganzen Schlund, in diesem Falle war es undurchsichtig, weisslichgräu granulirt und stellenweis gelöst, einen dünnen käsigen Beschlag bildend.
In den ersten drei Magena, bt hei hingen ist das Epithel stets gelockert, selbst wenn die Schleimhaut nicht weiter krank erscheint. Schon bei ganz frischen Cadavern ist das Epithel hier leichter abzunehmen als sonst, und haben die Cadaver nur einige Stunden gelegen, so bleibt das dicke Epithel schon in grossen Lappen an den Futtermassen hängen, noch bevor Fänlniss eingetreten ist.
Im vierten Magen und Dünndarm pflegt das Epithel regelmässig zu fehlen, im Dickdarm fehlt es nur stellenweis au den kränkern Stellen, besonders in der letzten Partie des Mast­darms auf dem Rücken der Lougitudinalfalten.
Im Kehlkopfe waren die im Momente der Exspiration sich berührenden Flächen gewöhnlich exeoriirt, auch bei sonst nur geringer Erkrankung.
Der käsige Beschlag.
Die exeoriirte Schleimhaut ist an den Stellen der intensivsten Erkrankung überhaupt, ganz besonders aber in den Luftwegen und
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auf den Peyers'chen Plaques oft mit einer dünnen darclisiehtigen oder dickern '.,—1 Linie st;iiken Sehielit einer gnuiweissen, locker zusaiamenhängendeu käsigen Masse bedeckt. Diese Scbicliten, Platten, die ich fernerhin kurzweg den käsigen Beschlag nennen werde, selieii oft dem croupösen Exsudat täuschend ähnlich, nur dus Microskop zeigt den sichern Unterschied. Ich fand sie be­sonders in der Nasenhöhle, namentlich am untern Theile der Scheidewand, in dem Kehlkopfe und der Luftröhre, hier zuweilen durchweg auf der ganzen Fläche und bis ^ Linie dick, oft aber nur stellenweis: weniger oft in den kleinen Luftwegen, einige Male jedoch bis in die Bronchien und diese theilweise verstopfend; in den Verdauungswegen auf den Peyer'schen Plaques, sonst auch im vierten Magen und Dünndarm, aber doch nur selten; auf der Schleimhaut des Schlundes fand ich den Beschlag einmal und nur in der obern Partie.
l)iu Erkrankung der Follikeln.
Die solitären Follikeln sind hauptsächlich im Darmkanale, oft jedoch auch nur spärlich, so erkrankt, dass sie bei der Ob-cluetion augenfällig sind. Vom Pförtner bis zum After, besonders aber in den ersten Partien des Dünndarms findet man Knoten you Linsen- bis Krbsengrösse, und nur selten noch grössere, die tlieils fest sind, eine mehr oder weniger trockene, krümliche, gelblichgrünliche Masse enthalten und sich aus der Schleimhaut herausschälen lassen, theils aber mehr abgeplattet und weich sind, einen eiterigen Inhalt haben und so gewissermassen kleine Schleimhautabseesse mit glatten Wänden darstellen. Die festen und weichen Knoten fehlen oft ganz, obwohl zuweilen nur scheinbar, weil die kleinen wenig prominiren und mein- fühl-als sichtbar sind: in andern Fällen findet man sie mehr einzeln, zuweilen aber auch vielfach und dann, namentlich im Dünndarm an manchen Stellen gruppenweis. In solchen Knotengruppen, wie auch vereinzelt an andern Stellen im Darme, findet man begrenzte runde Vertiefungen mit glatter Fläche, ganz dem geöffneten und entleerten Knötchen entsprechend. Am Pförtner und namentlich am Ende des Mastdarms fand ich häufig solche hirsekorn- und erbsengrosse tiefe Grübchen mit glatten Wänden.
Die Peyer'schen Plaques habe ich regelmässig erkrankt gefunden, sie sind von dem Pestprocesse bevorzugte Organe und zeigen eine anatomische Veränderung, wie ich sie noch bei keiner
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andern Kranklieit gefunden habe; ich glaube es deshalb als einen Irrthum bezeiclinen zu müssen, wenn diese Erkrankung als nicht constant und unwesentlich bezeichnet wird, wie neuerdings von Bristowe und Murchison gesellen ist (dritter Bericht der eng­lischen Gönunission). Anfänglich sind sie hyperämisch, der (Jefäss-kranz um die einzelnen Follikeln strotzt von Blut — cf. Tat. 1. Fig. 1 —. die Röthe wird immer dunkler — Fig. 2 — und geht schliesslich in das Schiefergrau über — Fig. 3 —. Die Follikeln füllen sieb zuerst, treten mehr hervor und zwar inn so deutlicher, je mehr ihr Gefässkranz injicirt ist. und so erscheint der ganze Plaque mehr geschwellt; später platzen die Follikeln auf und zeigen einen grauweissen eiterigen Inhalt, so dass jeder Follikel als ein kleiner offener Eitersack erscheint — Fig. 2 b. [n diesem Stadio trifft man gewöhnlich zugleich eine käsige Platte auf dem Plaque — Fig. 2e —, die ich schon bei einer am vierten Tage getödteten Kuh fand: noch später, wenn die Plaques mehr schwärzlich pigmentirt sind, findet man neben den geschwellten resp. gefüllten Bälgen entsprechende Grübchen und schliesslich nur diese: die ganzen Plaques sind dann wieder mehr zusammengefallen und erseheinen areolirt —
Versehorfung und l'lceratiou.
'W irkliche Verschorfungen und ülcerationen kommen sehr selten und immer nur an Stellen vor, wo besondere mechanische Einwirkungen stattfinden, so dass sie streng genommen nicht auf Rechnung des Iiinderpestprocesses zu bringen sind. Am häufigsten kommt eine oberflächliche Xekrotisirung an der Fläche der Stimmritze?, der Glottis vor, und zwar sah ich sie fast regelmässig wenn grosso Athembeschwerde bestanden und ein starkes Lungen-emphysem sich gebildet hatte, dann zuweilen auf dem Rücken der Longitudinalfalten am Pylorus, an dem llüftdarm- und Mastdarm­ende. An den Blättern des dritten Wagens wird zuweilen eine Ver­sehorfung und Perforation und im Wanste an einzelnen Stellen eine Verschorfang der Schleimhaut beobachtet; ich habe dieses nicht gesehn, es ist deshalb jedenfalls nur selten und dürfte auch wohl mehr durch zufälligen Druck von den Futtermassen bedingt werden. Im vierten Magen, selten im Dünndarm finden sich lichtfarbige, gelbgraue Flecke, die namentlich zur Zeit der Röthung auffällig sind und an denen es stellenweis zu einem seichten Substanzverlust durch einen molekularen Zerfall kommt; solche
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linsen- bis bohnengrosse, seichte Vertiefungen sind mit dickem, zähem Schleim bedeckt.
Die Contenta in den Vcrdanungswegen.
Entsprechend der meist normalen Beschaffenheit der Wan­dungen ist auch der Inhalt in den ersten drei Mägen normal, mir im dritten Magen ist das Futter oft ganz trocken — Löser-äürre —. und dann pflegen auch die Blätter, deren Epithel ge­wöhnlich an den trocknen Futterschichten hängen bleibt, etwas injicirt zu sein: besonders treten die kleinen Papillen als rothe Punkte hervor. Der vierte Magen und Dünndarm enthalten keine Futterstoffe, die kranke Schleimhaut ist mit dickem, sehr zähem, später selbst eiterigem Schleime bedeckt; während der Röthung der Schleimhaut ist der zähe, glasige Schleim mehr oder weniger gelbröthlich, später bei dem Auftreten des schwarzen Pigments wird der dicke eiterige Schleim mehr oder weniger gräulich. Blind- und Grimmdarm enthalten etwas flüssige oder dünnbreiige Contenta, während der Mastdarm wieder leer und mit dickem, zähem Schleim überzogen ist. Die Reaction habe ich leider nur in der letzten Zeit einigemal geprüft; sie war in den beiden ersten Mägen alkalisch, im Psalter leicht sauer, im vierten Magen alka­lisch (hier also abnorm), im Darm wieder alkalisch, -wie auch die Durchfallsmassen stets alkalisch waren.
Ehe ich die Schleimhäute verlasse, will ich um- noch einmal kurz hervorheben, dass sich die erwähnten anatomischen Ver­änderungen bald in den Luftwegen, bald wieder in den Verdanungs-wegen mehr ausgeprägt vorfinden, dass dabei aber der vierte Magen uud Dünndarm, die Rachenhöhle und die Luftröhre immer den Hauptsitz bilden.
3. Verschiedene einzelne Orgaue.
Die Mesenterialdrüsen sind normal oder etwas stärker durch­feuchtet, aufgelockert und etwas blaugrau gefärbt, mehr als man es sonst wohl trifft. Die Milz ist nie krank gefunden. Die Leber ist zuweilen ganz normal, zuweilen etwas geschwellt, zuweilen etwas icterisch. so dass die Schnittfläche das Anseilen von Gnmmi-gutt hat; constant ist aber die Gallenblase mit ihrem Ausführungsgange erkrankt, sie ist gross, mit gelber Galle gefüllt — Grossgalle der Alten —. die Schleimhaut ist geröthet und gewöhnlich mit einem dünnen käsigen Beschlag versehen.
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Die Lunge, abgesehen von den sdum betrachteten Abnormi­täten der Schleimhaut, ist in der Regel mehr oder weniger emphysematisch; das interlobuläre Emphysem stellt mit dem Grade-der Erkrankung der Bronchialschleimhaut immer in gleichem Verhältnisse; zuweilen fällt die Lunge bei dem Oeflnen der Brust­höhle fast noch uormalmässig zusammen, und man findet dann auf der Schnittfläche nur Spuren von Luft in dem mterlobulären Bindegewebe — der geringste Grad —: in andern lallen bleibt die eine oder die andere Lunge fast in dem Umfange, den sie bei der Inspiration einnimmt, wodurch der höchste Grad ausgesprochen ist; auf der Schnittfläche findet man, dann zwischen den Lungen­läppchen dicke Luftschichten in dem interlöbulären Bindegewebe, daneben die Lungenlappen mein- oder weniger comprimirt, atelec-tatisch; hier und da findet man grosse Lufthöhlen in den Lungen (einmal fand ich eine kopfgrosse Höhle mitten in der Lunge) mit mehr oder weniger ausgeprägter Ateleetasie an der Peripherie, und in andern Fallen wieder Luftblasen auf der Lunge, nament-lich#aber an den Plündern und Enden, indem die Luft unter die Pleura getreten ist und diese abgehoben hat; zuweilen trifft man auch grössere oder kleinere Luftblasen zwischen den Blättern des Mittelfells und von dein vordem Mittelfellsraume aus an der Luftröhre entlaug bis vor die Brust; endlich findet man mitunter auch die Luft an der Wirbelsäule entlang nach hinten bis in die Lenden- und Nierengegend verbreitet. Meist ist das Lungen­emphysem mehr partiell und dann gewöhnlich in den vordem Lappen. Ich habe das Lumgenemphysem bei Gestorbeneu ganz constant gefunden, zuweilen allerdings nur gering.
Das Herz ist welk, mehr lehmfarbig, die Venen mit dunklem flüssigem Blute gefüllt und mit diffuser Rötluing umgeben, kleine und grosso Blutextravasate an der äussern Flüche, besonders an der Basis und unter dem Endocardium der linken Herzkammer, vorzugsweise an den Insertionsstelleu der sehnigen Fäden.
Das Gehirn. Unter der Arachnoidea des grossen Gehirns bald mehr bald weniger gelbliches wässeriges Transsudat; Gehirn selbst etwas durchfeuchtet; in den Ventrikeln etwas helles, schwach gebliclies Serum*).
*) Bei besonderer Grehimaffection habe idi keine Gelegenbeit zur Oetfnung der SchädelMhle gefunden. Obige .Erscheürangen dürften in solchen Fallen beträchtlicher sein.
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Capilel
Mikroskopischer und chemischer Befund.
Mikioskunischcr Befuiid.
Blut und Blutgefässe.
An dem frischen Blute habe ich unter dem Mikroskope nichts Abnormes entdecken können: Fürstenherg*) und Beale**) geben an, dass die farblosen Blutkörperchen vermehrt seien; ich kann es nicht bestätigen, ordne jedoch hier meinen Befund gern unter, weil ich nur wenige Untersucbungen am frischen Blute vornehmen konnte. Beale hat auch noch stähchenförmigeKörper aus dem Blute todter Thiere abgebildet, die er für regetahilische Organismen hält, die mir aber ivrystalle zu sein scheinen.
In den äussersteu Schichten der intensiv gerötbeten Schleim­haut waren die kleinen Gefässe und Capillaren stark gefülltlaquo; und ausgedehnt, das Gewebe mehr oder weniger deutlich mit gelöstem Blutfarbstoff getränkt: in den geringern Graden erkannte man die Diffusion des Blutfarbstoffs an einem gelblichen Grundton, in welchem das Capülametz lag — cf. Taf. II. Fig. 5 —; in den höchsten Graden zeigte sich ein röthlicher Hof um die kleinen Gefässstämmchen, deren Conturen dadurch mehr oder weniger verwischt erschienen; dabei stellenweise Zersprengung der Capilla­ren und eine grosse Anzahl diffuser Blutpünktchen (microskopische Extravasate) in dem Capillametze. Alles was man mit unbewaff­netem Auge stellenweis im Verlaufe der Venen wahrnahm, wieder­holte sich auch im Kleinen wieder. In tier Abbildung Fig. 6 ist das ausgeprägte Bild der capillaren Stase mit Extravasation und I)iffusion naturgetreu wiedergegeben.
Eine Erkrankung der Blutgefässe habe ich weder bei den Arterien noch bei den Venen gefunden; Beale spricht von
*) Reisebericht. **) Third report of tlio commissioners appointed to inquire into the origin and nature etc. of the cattle plague with an appendix. London. 1866, Aus­züge in: 1) Oesterreichische Vierteljahrsschrift von Müller u. Roll. B. 26. Heft 2. Prf, Müller. 2) Magazin von Gurlt u. Herwig. B. 33, l.u.Ö.Hft. Lehrer Müller.
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Körnchen an den Wandungen der kleinen Gefässe, von Füllung und Verstopfung der kleinen Gefässe mit einer körnigen Massel, c. Plate I.; ich habe dergleichen nicht gefunden und glaube, dassBeale sich durch seine „Germinal matterquot;, das vermeintliche Wesen derEin-derpest, das Contagitun zu manchen irrtbümlichen Deutungen hat hinreisscn lassen. Ueberhaupt findet man unter den mikroskopi­schen bildlichen Darstellungen mancherlei zufallige Dinge — z. B. Psorosperinienschläuche in den Muskelfasern — mit derselben Sorgfalt abgebildet, als die wirklichen, der Pest angehörigen patliischen Veränderungen.
Die scliwärzliche, scMefergraue Plgmentirung der Damsclileimhaut.
Aus der Röthung geht die Schwärzung hervor, deshalb schliesst sich die mikroskopische Untersuchung der geschwärzten Gewebe hier an. Das schwarze Pigment befand sich stets in der obersten Schicht der Schleimhaut im Bereiche der primären capillaren Hyperämie, und war in kleinen unregelmässigen Kömchen abge­lagert: diese Kömchen lagen theils in Gruppen dicht beisammen, theils mehr einzeln ausgestreut — cf. Fig. 4a. — und bedingte so je nach der verschiedenen Lagerung entweder eine tiefe schiefergraue Farbe, oder einen grauen Anflug in verschiedenen Nuancen. Unter diesen Körnern waren weder eingeschrumpfte Blutkörper, noch irgend welche Krystallformen zu erkennen. Die Bildung ist herzuleiten aus dem Blutfarbstoffe, dem Hämatin. welches sieb von den Blutkörperchen gelöst, im Blutserum aufgelöst und in dieser Lösung das Gewebe durchdrungen hatte. Ueber die weitern chemischen Veränderungen bei der Ausscheidung werde ich später bei der chemischen Untersuchung sprechen4; hier will ich nur noch bemerken, class ich diese schwarzen Pigmentkörner nur in der Schleimhaut der Verdauungsorgane und in den schiefergrauen Mesenterialdrüsen. aber nicht in andern erkrankten Schleimhäuten gefunden habe, und dass in den, durch Aufbewahrung entschwärz­ten Schleimhäuten auch diese schwarzen Körnchen verschwunden waren. Nach Aufbewahrung in Spiritus fand ich in der ent-schwärzten Darmschleimbaut einzelnen Leucinkrystalle in Form von kleinen runden Drüsen — Fiff. 4b.
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Die Schleimhaut der Verdauungswege.
Maul- und Raclicn höhle, Schlund und Psalter.
Das Epithel der vorherrschend erkrankten Schleimhaut der Unterlippe, des Zahnfleisches, des Zungenrandes, der Rachenhöhle und des Sclduudkopfes, welches durchweg sehr gelockert sass, stellen­weis getrübt, verdickt und gekörnt erschien, tlieils aber auch abge­löst auflag und eine gelhlichgraue schmierige Masse bildete, die an eine dünne croupöse Exsudatschicht erinnerte und die ich bei dem Obductionsbefunde als käsigen Beschlag bezeichnet habe, bestand:
a. aus noch zusammenhängenden dünnen Schollen mit vielen eingelagerten Körnchen — Fig. 7a;
I). aus Epithelzellen in den verschiedeüstenEntwicklungsstufen, grossen bauchigen Mutter-Zellen, gefüllt mit Kernen, und kleinem, ein- bis dreikernigen, mehr spindelförmigen Zellen, alle mit mehr oder weniger Körnchen versehen; die Kerne waren fast regelnlässig gekörnt und die Zellen anfänglich vorzugsweise in der Umgebung des Kerns: einige Zellen stellten nur einen Körnchenhaufen ohne Kern dar — cf. Fig. Tb Nr. 1—5;
c.nbsp; aus freien gekörnten Kernen, und
d.nbsp; nbsp;molekularem Detritus — Fig. 7e und d.
Die kleinen gelbgrauen Knötchen und l'latten an der Schleim­haut der Unterlippe und dos Zahnfleisches, die sich schon vor der Excoriation zeigen, bestanden aus denselben mikroskopischenForm-elementen, sie sind als begrenzte stärkere epitbeliale Wucherungen und Verfettungen zu betrachten. Am vollständigsten fanden sich diese Verhältnisse in dem käsigen Epithel der Rachenhöhle.
Fig. 7 führt uns in naturgetreuer Zeichnung aus diesem Epithel die endogene Kernmicherung in grossen Epithelzellen und in spin­delförmigen Zellen, die schon denlbndegewebselementen in derobem Schleimhautfläche angehören, eine fettige Metamorphose der Kerne und Zellen und ein Zerfallen der Zellen und Kerne in allen Abstufun­gen vor; ein pro-und zugleich regressiver Process in dem oberfläch­lichen Stratum der Schleimhaut, der Matter der Epithelschicht.
Das unter dieser Epithelschicht von der gerötheten Schleim­haut Abgeschabte enthielt wesentlich dieselben Elemente, aber nur einzelne zarte platte Epithelzellen und mehr spindelförmige Zellen ohne Körnchen.
Das dicke sehr gelockerte Epithel des harten Gaumens zeigte dieselbe endogene Kemwucherung und denselben fettigen Zerfall;
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in der äussersten Schicht nichts Abnormes, in einer tiefern Schicht platte Epithekellen mit Fettkörnchen und grossen gekörnten Zellen Fig. 8a, und in der tiefsten Schicht junge, spindelförmige, eiu-und mehrkernige Epithelzellen und freie Kerne. Die Kömchen­bildung in den Zellen und Kernen sehr auffällig. Cf. Fig. Sb u. c.
Das unter dem erkrankton Epithel scharf von der tiefrothen Schleimhaut Abgenommene zeigte dieselben gekörnten spindelförmi­gen Zellen mit Kernwucherung.
Aussei- der Oberfläche unmittelbar unter dem Epithel, wo eben eine endogene Wucherung mit gleichzeitiger Fettmetamor­phose bestand, zeigte das Schleimhautgewebe Hyperämie, eine gewisse Durchfeuchtung und eine geringe Schwellung der Binde-gewebselemente in der obersten Schicht; vertikale und Fluchen-Schnitte boten selbst an den am meisten erkrankten Stellen nichts Abnormes weiter dar. Eine Schwollung der Bindegcnvebskörper mit Kernwucherung — eine „intensive Proliferation der Binde-gewebskörperquot; — und eine Infiltration des Gewebes mit kleinen runden ein- bis dreikernigen Zellen, wie Ravitsch*) angiebt, habe ich bei dem sorgfältigsten Nachsuchen nicht finden können. Ich darf daher mit Braue! sagen: das Schleimhautgewebe selbst war intact; ich kann aber nach meinem Befunde die Brauel'sche Angabe nicht bestätigen, dass die Molekularmasse — die Körnchen Fettkörnchen — in der Epidermisschicht nach der Schleimhaut zu abnahm; diese Körnchen fanden sich in der äussersten Schicht am sparsamsten, am reichlichsten in der untersten Epithelschicht, und waren noch sehr vertreten auf der Oberfläche des gerötheten Schleim-hautgewebes. C. Fig. 7 und 8. Substanzveriust in der Sehleimhaut der Maul- und Rachenhöhle habe ich nicht gesehen; ich muss es daher auch unentschieden lassen, ob solcher, wenn er vorkommen sollte, durch directen fettigen Zerfall zu Stande kommt, wie Brauel angiebt, oder durch Betheiligung des Bindegewebes in der Schleim­haut, durch Zellenproliferation und Zellemnfiltration eingeleitet wird, wie Ravitsch vertritt. Im letztern Falle hätten wir den gewöhn­lichen Vorgang der ülceration. Soviel aber glaube ich beobachtet zu haben, dass ein solcher tiefer greifender Zerfall nicht zur Regel, sondern zur Ausnahme, also nicht eigentlich zum Wesen des Rinderpest-Processes gehört, sondern seine besonderen Ur­sachen hat.
*) Magazin von Gurlt und Hertwig. B. 30. Heft 3.
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Das Epithel des Schlundes fand ich nur einmaJ auftallig erkrankt, es -war iu diesem Falle von derselben Beschaffenbeit und zeigte dieselben mikroskopischen Bestandtheüe, wie von dein Epithel der Maul- und Rachenhöhle oben näher angegeben; in allen andern Fällen sass das Schhmdepithel wohl etwas lockerer, es Hess sieh mit der Messerspitze leichter abheben, war aber sonst noch von normaler Beschaffenheit; in Fig. ü ist solches Epithel abgebildet, in welchem mau die hellen Kerne mit ihren Kernkörperchen erkennen, im üebrigen aber noch keine Spur von Kömchenbildung entdecken kann.
Die Angabe Brauel's, nach der die Schleimhaut des Schlundes immer ihres Epithels beraubt sein soll, habe ich nicht bestätigt gefunden.
Das locker sitzende Epithel der sonst normal beschaffenen, nur mit einzelnen Gefässzweigelchen versehenen Schleimhaut des Psalters war im normalen Zusammenhange, zeigte aber in der untern Schicht beginnende Fettmetamorphose, aamentlicb waren in den grossen Kernen schon Fettkörnchen aufgetreten, cf. Fig. 10; die Schleimhaut unter (bau Epithel zeigte nichts Abnormes. Die hier zuweilen an einzelnen Blättern vorkommenden Perforationen habe ich nicht beobachtet; sie mögen auf verschiedene Weise zu Stande kommen, Necrose in Folge des Drucks dürfte wohl oben­anstehen.
Vierter Magen.
Zur sichern Grundlage untersuchte ich erst die normalen Verhältnisse der Schleimhaui des vierten 'Magens, wie auch des Darms, die bis jetzt meines Wissens vom Rinde noch nicht näher beschrieben worden sind. In dem ganzen Magen bis nach dein Pförtner bin fanden sich die Labdrüsen, Schläuche von 0,0380 0,0385 Mm. Durehmesser mit sehr zarter, structorloser Membran ohne Epithel, und leicht gefüllt mil grossen. mein' ovalen Zellen-Läbzellen von 0,0224 Mm. im Längen- und 0,0160 Mm./im Querdurchmesser. Diese cylinder- oder schlauchförmigen Drüsen stehen dicht gedrängt senkrecht nebeneinander und reichen mit ihrem abgeschlossenen Ende fast auf die Muscularis. Cf. Fig. 11 a. und h. Arn Pförtner fanden sieh die Schleimdrüsen, welche ebenfalls cylinderförmig sind und ganz wie die Labdrüsen senkrecht dicht nebeneinander stehen, einen Durchmesser von 0,0480 Mm. und eine dickere structurlose Membram haben, mit cylinder-
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fonnigem Epithel, besonders deutlich in den obern drei Viertheilen
'verseilen sind und runde Zellen von 0,0064—0,0080 Mm. Durch­messer mit einem Kern und Kernkörperchen enthalten. Cf. Fig. 12h.
Kehren wir nun zur pathologischen Anatomie bei der Rinder­pest zurück.
Das Epithel fehlte stets: die zähe, dickschleimige Masse, welche die Magenschleimhaut bedeckte und dieser ziemlich fest anhing, bestand aus einem molekularen Zerfall, grossen, mein- oder weniger gekörnten Labzellen, freien gekörnten Kernen (aus den Labzellen) und kleinen runden Zellen — Schleim- resp. Eiter-körperchen —.
Die Labdrüsen waren mit Labzellen vollgesackt und etwas ausgedehnt, die Labzellen lagen dichter zusammengeschichtet und erschienen dadurch etwas kleiner, als in normalen Schläuchen. Fig. 11c. An den lichten Flecken der Schleimhaut enthielten die Labdrüsenschläuche besonders in ihrem obern 'l'heile mehr oder weniger gekörnte Labzellen und eine Molekularmasse, die grössten-theils aus Fettkörnchen bestand. In den seichten. Vertiefungen von Linsen- bis Bohnengrösse — gewöhnlich Geschwüre genannt, und auffällig, wenn sich zerfallene vegetabilische Substanzen darin abgelagert haliennbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;fand sich molekularer Zerfall der Drüsen-
schläuche, die eine Körnchenmasse und gekörnte Labzellen ent­hielten und am obern Ende zernagt erschienen. Cf. Fig. 13a. und b.: die kleine Vergrösserung a. demonstrirt den Zerfall von der Oberfläche der Schleimheit ans. während in b. die Molekular­masse in dem obern Ende eines stärker vergrösserten Schlauches nebst gekörnten Labzellen und freien gekörnten Kernen dar­gestellt ist.
Die Schleimdrüsen am Pförtner hatten ihr Epithel ver­loren, waren mit Zellen und einem molekularen Zerfall gefüllt; die Kerne der Zellen meist gekörnt. Cf. Fig. 12b.
In kleinen begrenzten Grübchen mit glatter Fläche fand ich nicht den beschriebenen Zerfall; diese Grübchen waren weiter nichts, als die Lager von ausgefallenen solitären Drüsen, die auch in dem Labmagen einzeln vorkommen.
Darmkanal.
.Die normalen Verhältnisse. Die Lieberkühn'schen Drüsen sind ganz gleich den Schleimdrüsen in der Schleimhaut des Pförtners, nur sind sie meist etwas weiter, besonders im Blind-
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darme. Audi diese Drüsen stehen senkrecht dicht neben einander wie Pallissadeti und erreichen das submuköse Bindegewebe, ihre Länge ist daher, wie die Schläuche im Lahmageii, ganz ent­sprechend der Dicke der Schleimhaut. Neben diesen Darmsafb-drüsen sind für uns noch die l'eyer'schen Drüsen von Bedeutung. Es sind hirsekorngrosse weissliche Körperchen mit einer ge­schlossenen Membran and umgehen von einem (iefässnetz. In diesen Körperchen werden lymphoide Zellen (Lymphkörpercheh) gebildet, sie bestehen also aus einer speeifischen, cytogeneu Sub­stanz und werden Lynipht'oliikeln genannt, die in der Schleimhaut und dem Unterschleimhautbiudegewebe liegen, theils einzeln im vierten Magen und ganzen Barmkanal vorkommen — Glandulae solitariae '— theils in grossen und kleinen Gruppen beisammen liegen, besonders im lleum längliche Drüsenplatten bilden und die „Plaquesquot; der Franzosen darstellen. Sind die Follikeln gefüllt, so treten die Plaques deutlicher hervor, die mehr leeren ziehen sich unter die Lieberkühn'schen Drüsen zurück, mit denen sie wie mit Pallisadeu umstellt sind, dadurch entstehen kleine Grübchen, und der ganze Plaque erseheint dann mehr areolirt. Solche leeren, zusammengefallenen Follikel gebendem Plaque das Ansehen, als ob die Follikeln ausgefallen wären.
Dünndarm. Die wesentlichsten mikroskopischen Abnor­mitäten haben wir im Dünndarm und. wie immer, so auch hier entsprechend den makroskopischen Abnormitäten.
Das Epithel fehlte, wenigstens bei den an der Test gefalleneu Rin­dern, immer, die dicke schleimig-eiterige Schicht auf der erkrankten Schleimhaut Hess weiter nichts erkennen als eine Molekularmasse, sphärische /eilen mit körnigem Inhalt und solche, deren Mülle im Zerfallen begriffen waren. Cf. Fig. 17. Zuweilen fand ich. namentlich nach kürzerer Krankheitsdauer, auch noch einzelne Epithelcylinder. Die Contenta ist also eine purulente, schleimige Flüssigkeit, begriffen in molekularem (fettigem) Zerfall.
Die Lieberkühn'schen Drüsen hatten stets das Epithel verloren und waren strotzend gefüllt mit Molekularmasse und Schleimkörpem, die meist einen gekörnten Kern hatten, zum.Theil ganz gekörnt und von Eiterkörpereben nicht zu unterscheiden waren. Cf. Fig. 14. Vergleicht .man Fig. 14b. mit Fig. 17, so tritt es wohl zweifelsohne hervor, dass die dicke eiterig-schleimige Contenta des Darmes hauptsächlich aus den Darmsaftdrüsen
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stammen, dass einfi Zellenwuchemng imcl Fettmetamorphose in diesen Drüsen stattfindet.
Die adenoiden, cytogenen Follikeln. Die solitären Follikein: Wie bereits bei den Obdueticmsbetünclen näher erwähnt, linden #9632;wir diese Follikeln einzeln bedeutend vergrössert in Fenn von Knoten mit trockenem käsigen Inhalte und als kleine Abseesse von Linsen- bis Erhsengrösse. Der Inluilt bestand ans mehr oder weniger fettig degenerirten, ich kann geradezu sagen „Eiter-körperchenquot; und einem molekularen Detritus Fig. 16; in den weichen Knoten war weniger molekularer Zerfall, als in den festen. Diese vereiterten und verkästen solitären Fullikel fallen auch zum Tbeil aus und hinterlassen linsen- bis erbsengrosse Grübchen, die sieb öfter mein- abflachen und Defecte in der Schleimhaut des Dannkanals darstellen, welche man gewöhnlich für Geschwüre genommen bat. die sieb aller bei weiterer Untersuchung durch eine glatte Fläche übne weitere Erkrankung des Gewebes cliarak-terisiren; ich habe wenigstens mikroskopisch und makroskopisch nichts Abnormes entdecken können.
Die Peyer'scben Drüsenhaufen: Die Processe in den solitären Drüsen wiederholen sich vollständig; die Follikel füllen sieb auch hier mit lymphoiden, ebenfalls nicht von Eiterzellen zu unterscheidenden Zellen, sie erlangen jedoch nicht einen so grossen Umfang,• sie platzen schon früher auf und zeigen den eiterigen Inhalt auch dem unbewaffneten Auge Fig. 2b.; aus den nur noch theilweise gefüllten Follikeln tritt der eiterige Inhalt beim Druck auf die Muskelhaut hervor. Diese eiterige Masse zeigte unter dem Mikroskope kleine gekörnte Kugeln, sphärische, mehr oder weniger gekörnte Zellen mit und ohne Kerne, freie gekörnte Kerne, mehr oder weniger gekörnten Detritus und gekörnte Protoplasmahäufchen ohne Um hüll ungsmembran und oft auch grosse Mutterzellen, gefüllt mit kleineren Zellen und grossen, 1 bis 2 Kemkörperchen ent­haltenden Kernen. Fig. 15. Bei den aufgeplatzten und noch zum Tbeil gefüllten Follikeln findet man eine plattenförmige, gran­weise Auilagcrung bis zur Dicke von zwei Linien, die mit einer lockern croupösen Membran Aehnhchkeit hat. bei mikroskopischer Untersuchung aber dieselben Elementarformen zeigte, wie der eiterige Inhalt der Follikel, blas mit der Abweichung, dass die grossen Mutterzellen fehlten und der körnige Detritus mehr ver-treten war, so dass darüber gar kein Zweifel bestehen kann, dass diese Platten keinen geronnenen Faserstoff enthalten, nicht crou-
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pöscs Exsudat darstellen, dass sie nur ;nis ZäUen l)ostelien, die in fettigem and käsigem Zerfall begriffen sind, dass sie haupt-sächlieh ans den Folükeln stammen, nur einen Beitrag von den liielierluilmselien Driiseii zwischen den lüdlikeiu erhalten haben und veritahele Auflagerungen sind. T)ie klebrige interccllidar-substanz mag ans den Lieberkühn'schen Drüsen stammen, wir haben sie in den schleimig-eiterigen Darmcontenta ebenfalls, wie sie überhaupt auf erkrankten Schleimhäuten gar keine seltene Erscheinung ist. ohne dass sie auf einen croupösen Exsudations-process zurückzuführen ist.
Ich habe diese Platten im Darme nur aid' den Peyer'schen Drüsenhaufen gesehen, räume alier gern ein, dass sie auch an andern Stellen Torkommen; sie können dann nur aus den Lieber­kühn'schen Drüsen herstammen, in welchen wir ja ebenfalls Zellenwucherung (Eiterzelleri) mit körnigem Zerfall kennen gelernt haben.
Die gänzliche Entleerung der Peyer'schen Foüikel in den ganzen Plaques tritt schliesslich gewöhnlicL ein, oft sehen früh; die Plaques erscheinen dann areolirt. Dieslaquo;; Areolirung als das schliessliche Resultat hat genau dieselbe Bedeutung, wie die ein­zelnen Grübchen und grossen flachen Vertiefungen, die als Ge-schwüre aufgefasst worden sind; sie bat aber an and für sieh nichts Charakteristisches, weil sie an einzelnen Drüsenhau-fen auch ohne Rinderpest vorkommt. Das Ausfallen ausser bei der Rinderpest ist jedoch nicht so häufig, als man glaubt, #9632;weil die leeren Follikel ein ähnliches areolirtes Aussehen bedingen; in solchen kleinen Grübchen kommen selbst Einfütterungen vor.
Dickdarm. liier dieselben Processe, wie im Dünndarm, aber in geringerm Grade oder doch nur stellenweise mehr aus­geprägt; deshalb haben wir hier auch dieselben Producte und im Wesentlichen denselben mikroskopischen Befund. In den Lieber­kühn'schen Drüsen ist das Epithel meist verschwunden, die Schläuche sind mit Zellen vollgestopft, Fig. 14 c.: an den weniger erkrankten Stellen tinder sieli noch lockersitzendes Epithel: in dein Schleime trifft man noch mehr Epithelzellen, und in dein scharf von der Haut abgenommenen Schleime riehen den kleinen runden Zellen aus den Lieberkühn'schen Drüsen noch junge cyliiideri'ürmige Zellen mit 2 bis 3 Kernen. Fig. 18. Im Blind­darm und an dem immer am meisten erkrankten Ende des Mast-
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darms zeigen sich oft mehrere Grübchen von ausgefallenen ver-grösserten soHtären Follikehi.
Recapituhre ich in der Kürze den inikroskopiselien nei'und in den Verdauungswegen, so ergeben sich, abgesehen von der Röthung und Schwärzung, im Wesentlichsten:
1)nbsp; Desquamation im vierten Magen und Dünndarm, vollstän­dig , in andern Theilen nur stellenweise vollendet, im Schlünde und bis incL dritten Magen gewöhnlich nur bis zu einem gewissen Grade eingeleitet;
2)nbsp; nbsp;excessive Zellenwüchenmg in den Magen- und Darmsaft­drüsen (Lab-. Schleim- und Lieberkühn'schen Drüsen) und in den lymphoiden Follikeln (den solitären Drüsen und den Peyer'schen Drüsenhaufen);
3)nbsp; in den Schleim-, Lieberkühn'schen und lymphoiden Drüsen sind die Zellen von den Kiterzellen nicht zu unterscheiden, wir haben deshalb gewissennassen eine epitheliale und adenoide Eiterung in der ganzen Schleimhaut:
4)nbsp; in allen zelligen Producten der Schleimhaut zeigt sich ein körniger Zerfall; die auftretenden Körnchen etc. sind meist Fett­tröpfchen, daher der Zerfall ein fettiger, eine Fettmetamorphose, die in den Follikeln in der Variation der „Verkäsungquot; auftritt;
5)nbsp; nbsp;der mehr oder weniger im Zerfallen begriffene zellige Inhalt der verschiedenen Drüsen wird bei reichlichem Uervortreten stellenweise, besonders auf den Peyer'schen Drüsenhaufen durch eine klebrige Intercellularsubstanz zusammengehalten, so dass er die betreffenden Stellen in Form von mehr oder weniger dicken Platten deckt — käsige Auflagerung;
6)nbsp; der fettige Zerlall erstreckt sich im Labmagen zuweilen auch auf die Drüsenschläuche und führt Substanzveiiust herbei: ob dieser Vorgang auch im Dann vorkommt, kann ich nicht entscheiden, ich sah es nicht, halte es aber für sehr wohl möglich;
7)nbsp; nbsp;die kranken Foliikel trifft man in drei verschiedenen Phasen,
a.nbsp; nbsp; sie sind mehr oder weniger stark gefüllt und ausgedehnt, der Inhalt wird sein' bald eiterig — kleine Äbscesse;
b.nbsp; nbsp; der Inhalt ist käsig, mehr oder weniger trocken — die Knötchen — besonders in den solitären Drüsen — Rinder­pesttuberkeln —;
c.nbsp; nbsp; sie sind aufgeplatzt und haben den Inhalt ausgeschüttet, oder sie sind ganz und gar ausgefallen; die von grösseren
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Bolitäreu Drüsen zurückgebliebenen Grübeben und grösseren seiebten Vertiefungen werden gewöbnlicb für Gescbwüre genommen. In keiner Partie der Verdaunngswege babe icb die von Ravitscb angegebene regehnässige Betheüigimg des Scbleimbaut-gewebes, die Proliferation in den Bindegewebskörpem und die Infiltration des Scbleimbautgewebes mit kleinen 1—3 kernigen Zellen gefunden; icb liabe aueb niemals die Lieberkühn'scben l)i,üs(;n-schläucbe so weit von einander getrennt gefunden, wie sie H. in seiner Abbildung (Tafel 10, Fig. 6) dargestellt hat. Icb gebe zu, dass stellenweise in der zarten Scbicbt des Bindegewebes, welcbes die diebt nebeneinander stehenden Lieberkübn'schen Drüsen mitein­ander verbindet, wie auch in der dünnen Scbicbt submueösen Bindegewebes zwischen Mncosa und Muscularis, und selbst in der letztern die von 1(. angegebene bauebige Anschwellung und l'ro-liferation der Bindegewebselemente und dann auch eine ..intensivequot; Zelleninfiltration vorkommt, icb gehe dies um so mehr zu. als es ein gewöhnlicher und bekannter Vorgang bei gewissen Ent­zündungen, bei eiteriger Einscbmelzung des Gewebes — bei Ulceration -- ist; ich kann dies aber nicht als Regel und allge­mein in der erkrankten Schleimhaut zugeben und nicht als der Rinderpest angebörig betrachten; ich halte es für eine Ausnahme, bedingt durch besondere locale Einflüsse, nauKuitlich wohl durch mechanische. Ravitscb hat sich in seine Proliferation der Binde-gewebskörper und Zelleninfiltration so sehr verfielt, dass er seihst die Platten, den käsigen Beschlag (die ehemabgen croupösen Auf­lagerungen) wesentlich davon herleitet, während lirauel sie viel richtiger aus den Schleimdrüsen ableitet, dem ich eben nur noch die Abstammung aus den Follikeln der Drüsenbaufen hinzuzufügen habe.
Die buftwege.
Das Epithel in den feinen Bronchien und der Terminal-bläschen war gelockert oder zeigte ebenfalls eine fettige Meta­morphose. Am deutlichsten erkennt man dies in dem sogenannten üebergangsepithel, d. b. in den Epithelzellen, die ihre Flimmer­organe verloren haben und aus der Zylinderi'orm in die Pflaster­form übergehen in den feinern Bronchien, Fig. 19a.; in diesen Epithelelementen ist sogar eine Vermehrung der Kerne zu erkennen, wodurch eine epitheliale Wucherung angedeutet ist. Selbst aber auch in den zarten Blättchen der Terminalbläschen fanden sich
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die Molekularkörperchen reichlich vei^treten. Fig. l'Jb. Die messeiTÜckeiidicke, plattenförmige lockere Auflagenmg, die bei intensiv erkrankter Luftröhre sowohl hier, als auch in den grossen Zweigen oft angetroffen wird und zunächst den Eindruck macht, als oh es ein croupöses Exsudat sei. liess grosse mit Kernen und Zellen gefüllte Säcke — Uiesenzellen —, kleine und grosse runde Zellen mit einem und mehren Kernen, freie Kerne, gekörnte Protoplasmahäufchen ohne ömhüllungsmemhran und einen mole­kularen Detritus erkennen: sämnitliclie Zellen und Kerne waren gekörnt und im Zerfallen begriffen. Fig. 20.
Die Schleimhäute anderer Organe erkranken ebenfalls in ein­zelnen Fällen, ich hatte jedoch keine Gelegenheit xn mikrosko­pischer Untersuchung. Die Schleimhaut der Gallenblase pflegt gewöhnlich mehr oder weniger mit erkrankt zu sein: Braue] fand in der grauweissen Auflagerung, unter welcher das Epithel fehlte, auch Zellen und eine Molekularmasse; Havitsch fand oft kleine gelhgrünliohe Platten, welche aus denselben Elementen bestanden, wie die Platten auf der Darmsehleimhaut.
Die Haut.
Wo die Haut bei der Rinderpest erkrankt, da wiederholen sich wesentlich dieselben Processe. welche wir an der erkrankten Schleimhaut kennen gelernt haben: capilULre Hyperämie in der obern Cutisschicht. epidermoidale Wucherung und reichliche Absonderung der Hautschmiere. Wo es zur Schorfbüdung gekommen war. wie namentlich an der Basis der Striche u. a. ().. da zeigte der 1 — 2 Pinien dicke, lockere Schorf in den obern Schichtungen locker untereinander verklebte Epidermiszellen, tiefer eine Schicht zarter, platter, polygonaler Zellen, den Pflasterzellen des Epithels ähnlich, und hierunter, unmittelbar auf der Oberfläche der intensiv gerötheteu Cutis, auf der structurlosen Lederhautschicht — der intermediären Haut llenle's — eine grosse Anzahl kleiner sphärischer, grösstentheils granulirter Zellen, einzelne grosse ge­körnteraquo; Kugeln und grosse runde epidermoidale Mutterzellen mit endogener Zellenwucherung. Liese grossen Zellen traten erst deutlicher bei Behandlung mit verdünnter Essigsäure hervor. Eine Proliferation der lÜndegewebskörper in der Lederhaut und eine Zelleninfiltration der Cutis konnte ich auch hier nicht auffinden.
Der ganze Rinderpestprocess verläuft also bei der Haut-
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affection hauptsächlicL im Gebiete der Malpighischen iSclüt-lit — Stratum Malpighü.
Chemische Veränderungen.
l)i(gt; knuikliat'tcii chemisclien Verhältnisse sind, wie überhaupt in der ganzen Pathologie, so auch speciell bei der Rinderpest am wenigsten festgestellt.
Die eingeliendsten Untersuchungen der Art sind in England von Dr. Marcet angestellt #9632;worden.*)
1. Das Blut.
a.nbsp; nbsp;Nach verschiedenen Analysen von Marcet war das summa­rische Resultat, das uns hier allein interessireu kann:
1)nbsp; Abnahme an Wasser im Verlaufe der Krankheit von
durchschnittlich............... 831.0 p. miile,
auf...................... 811.3 ,,
Dieser Verlust von durchsdinittlich li'.T p. m. ist wohl auf den Durchfall zurückzuführen.
2)nbsp; nbsp;Mit der Abnahme des Wassers inusste natürlich der Pro­centsatz an Eiweiss zunehmen; eine absolute Zunahme an Eiweiss konnte nicht festgestellt werden.
3)nbsp; nbsp;Fibrin nahm in der Krankheit uni die Hälfte zu. Durch­schnittlicher normaler Gehalt ist 3,393 p. in., bei der Rinderpest schwankte der Fibringehalt zwischen 4.8 und 7.7 p. m. und stellte sieh durchschnittlich auf 4.85; eine durchschnittliche Vermehrung von 0,92 p. m. Diese Zunahme wurde schon im Anlange der Krankheit beobachtet, wo aussei- der Temperaturerhöhung noch kein Symptom weiter vorhanden war.
Die mineralischen Bestandtheile zeigten keine Ab­weichungen.
b.nbsp; nbsp;Die Untersuchungen von Peretti**) ergaben gleichfalls eine Vermehrung des Faserstoffs. Derselbe spricht aber auch noch von Schwefelalkalien im trocknen Blute, was sonst fehle. Von Nasse ist aber im gesunden Rinderblute schwefelsaures Alkali nachgewiesen.
*) Dritter CommissionsbericM. P. 55—67.
**) Conmiissionsberuht an die Handelskammer zu Rom über die Rinder­pest 1803. Abgedruckt in iler österreichischen Vierteljahrsschrift. Bd. 25.
H. 2. Aualecten.
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c. Eine Analyse von Professor Oudemans*) ergalt als Haupt­resultat:
1)nbsp; Abnahme an Wassergehalt.
2)nbsp; Zunahme an Fibrin und Albumin und
3)nbsp; Abnahme der Asehenhestamltheile.
Oudemans führte seine Versuche nach der Methode von Scheerer aus.
1000 Theile Blutserum enthielten: 894,3 Wasser,
94.4nbsp; Albumin,
11,3 Extractivstoffe und Asclienbestandtheile. Aschenhestandtheile im Ganzen 7,8 p. m. 1000 Theile Blut enthielten: 784,8 Wasser, 8,3 Fibrin, 107,3 trockne Blutkörperchen,
90.5nbsp; Albumin,
9,1 Extractivstoife. Asclienbestandtheile 5,6, davon im Wasser auflösbar 4,0. Eine directe Bestimmung der festen Bestandtheile ergab 215,2 auf 1000.
Die Analysen des Rinderbluts von gesunden Thieren:
nach Nasse.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nach v. Baumhauer.
799.59.............. 876.97 Wasser u. Verluste,
4,62.............. 7,56 Fibrin,
121,86 Blutkörpereben ..... 25,19 Hämatin,
2.04.............. 0,19 Fett,
66.90.............. 62,07 Albumin,**)
0.468 phosphorsaures Alkali . 21,43 Extractivstoffe,
1,181 schwefelsaures Alkali . 6,69 Aschenhestandtheile.
1,071 kohlensaures Alkali,
4,321 Chlornatrium.,
0,731 Eisenoxyd.
0,098 Kalk,
0,123 Phosphorsäure,
0,018 Schwefelsäure.
*) Do Runderpest. 1867. Nr. 121 und 122. **) Das Albumin stellt sich in allen diesen Analysen von krankem und gesandem Blute deshalb niedriger, als nach andern Analysen, weil das Albumin der Körperchen nicht mit darin steckt.
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2. Das Fleisch.
quot;Nach Marcet enthält das Fleisch von pestkranken Kindern eine grössere Menge von löslichem Kiweiss, welches durch Wasser langsam ausgezogen wurde, als gesundes Fleisch.
3. Das schwarze Plg-inent in der Darmschleimhaut.
Drei Phänomene waren mir immer aufgefallen, die mich ver-anlassten, eine chemische Untersuchung zu veranstalten: 1) class die schwarze Pigmentirung sehr schnell entstand, schon nach einigen Tagen, auf der Höhe der Röthung begann, 2) class diese Schwärzung mir in den Verclauungswegen und den Mesenterialdrüsen vorkam, während sie bei der diffusen Röthung in den Luftwegen, in der Maul-uncl Rachenhöhle nicht eintrat, und 3) dass das schwarze Pigment bei dem Aufbewahren unter allen Umständen — in Wasser, in Weingeist und in Glycerin — bald verschwand und die Präpa­rate zu meinem Leidwesen so ganz allen Werth für die Unter­suchung verloren hatten. War es blos verändertes llämatin. so waren alle diese Erscheinungen nicht zu erklären. Die chemische Untersuchung wurde voii dem Lehrer der hiesigen Thierarznei-schule Herrn De ge mann sorgfältigst ausgeführt, wobei sichergab, dass das schwarze Pigment, welches wir schon in kleinen Kör­nern bei der mikroskopischen Untersuchung kennen gelernt haben, Schwefeleisen ist.
(' h e mische A n aly se: Kino kleine Quantität zerschnittener Darmstücte wurde mit Weingeist übergössen. Derselbe blieb klar; Aether verhielt sich ebenso. Desgleiclieii wurden conceutrirte Lösungen von Aetzkali, kohlen­saurem Kali, Aetzammomak nicht gefärbt. In allen diesen Fallen veränderten die zerschnittenen Darmstflcke wohl ihre Conturen, die schwarze Färbung veränderte sich jedoch nicht.
Verdünnte Salzsäure entfärbte nach kurzer Einwirkung die gefärbten Stücke und war eisenhaltig geworden.
Nach diesen Reactionen konnte auf das Vorhandensein eines veränderten Blutfarbstott's nicht geschlossen werden; es lag vielmehr die Vennuthung nahe, dass Schwefeleisen die Ursache der färbenden Substanz sei. Um dieses zu coustatiren, wurde eine Portion des Darmstücks in einem Kolben mit Salz­säure übergössen, und in den Hals desselben ein mit Bleizuckerlösung be­feuchtetes Papier gebracht. Jgt;as Papier wurde nach kurzer Zeit schwarz. Schwefeleisen war also nachgewiesen.
Die Darmstücke verloren, in verdünntem Weingeist macerirt, nach einiger Zeit ihre schwarze Färbung. Dabei musste eine Zersetzung des Schwefeleisens vor sich gegangen sein, denn es
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fand sich das Eisen in der iiieht dunkel gefärbten Flüssigkeit noch vor. Bei absichtlich auf gesunden Darmstücken mittelst Eisenvitriol und Sclnvefelammoniuni niedergeschlagenem Schwefel­eisen verhielt es sich ebenso; die schwarze Farbe des Schwefel­eisens verschwand auch hier beim Maceriren in Weingeist.
Später untersuchte schiefergaue Mesenterialdrüsen ergaben ebenfalls Schwefeleisen.
Der Schwefel wird jedenfalls in dem Yerdaumigswege geliefert, während das Eisen mit dem dilfundirten Blutfarbestoff in das Gewebe der Schleimhaut gelangt. Das schnelle und ausschliess-liche Vorkommen der schwarzen Pigmentirung in dem Verdauungs­wege und selbst in den Mesenterialdrüsen findet hierdurch seine natürliche Erklärung; eigenthümlich ist aber, dass das thierischeGe­webe die Fähigkeit besitzt, das Schwefeleisen bald zu zersetzen. Diese Pigmentirung ist daher auch nicht dauernd, wie die schwarze Pigmentirung durch verändertes Ihimatin. Uebrigens ist die Pigmentirung durch Schwefeleisen keineswegs charakteristisch für Rinderpest; ich fand sie auch bei der Ruhr, aber doch viel schwächer, niemals so intensiv, als bei der Rinderpest,
4. Die Kraukheitsproducte der Schleimhaut und Haut.
Die eiterig-schleimigen Contenta im Dünndarm und besonders die käsigen Auflagerungen auf den Peyer'schen Drüsenhaufen er­gaben bei der chemischen Untersuchung des Herrn Begemann sehr viel Fett, wodurch weiter bestätigt wird, dass der körnige Zer­fall wesentlich auf einer Fettmetamorphose beruht, wie man schon bei der Behandlung mit Aether unter dem Mikroskope erkennen kann. Die schmierige Schorfmasse von der erkrankten Haut enthielt ebenfalls sehr viel Fett; der beträchtliche Rückstand, welcher bei der Behandlung mit Aether blieb, verbreitete, beim Verbrennen einen Geruch nach verbranntem Horn, und im Wasser liess er sich leicht zu einer Emulsion vertheilen. Der Hautschorf besteht also zum grosseu Theil aus Hautschmiere.
5. Der Urin.
Die Reaction war schwankend, sauer und alkalisch. Gamgee fand immer Eiweiss im Urin. Derselbe entnahm den Urin stets nach dem Tode aus der Blase, es ist deshalb der Einwurf ge­macht worden, dass der Urin das Eiweiss aus der Blase aufge­nommen haben könne. Hierbei ist aber wohl zu bemerken, dass
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niclitenveisslialtiger Ifaiu auch nach dem Tode in der Harnblase kein Ei\reiss enthält. Der Harn kann allerdings Eiweiss aus der Blase beziehen, wenn diese krank ist, und da man sie bisweilen bei der Rinderpest krank findet, sei kann auch mitunter der Ge­halt an Eiweiss aus der Blase stammen. Wenn Gamgee jedoch in allen lallen Eiweiss gefunden und viele Untersuchungen ange­stellt hat, so liegt darin der Beweis, dass dies nicht etwa von einer mehr zufälligen Mitaffection der Harnblase abhängt.
Nach Sanderson nahm der Harnstoff mit der Temperatur zu: die bedeutendste Menge wurde am fünften Tage abgesetzt. während am vierten Tage die höchste Temperatur beobachtet worden war; in tödtiieh verlautenden Fällen wurde der Harnstoff nahezu verdoppelt. Das speeifische Gewicht des Harns nahm während des Verlaufs der Krankheit stets ab.
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Capilel 5. Diagnose.
Eine Cardinalaufgabe der Wissenschaft ist, die Mittel zur frühzeitigen Erkennung an die Hand zu gehen, von der es zu­nächst abhängt, eine schnelle Tilgung ohne grosse Verluste zu erreichen. Ist die Test einmal als vorhanden festgestellt, so sind weitere neue Erkrankungen ziemlich leicht zu erkennen, aber die ersten Ausbrüche werden häutig und um so leichter übersehen, je. argloser man ist. Deshalb ist die Rinderpest in den Ländern und Landestheilen, die an das stets rinderpestverdächtige Russland grenzen, leichter zu erkennen und viel weniger gemeingefährlich, als in den entfernten Ländern, in denen die Rinderpest bis jetzt bei dem ersten Ausbruche noch immer grosse und oft die gross­artigsten Verheerungen angerichtet hat. Ist die Rinderpest einmal im Lande oder auf der Nachbarschaft, so steht sie auch bei der Staatsbehörde, bei den Thierärzten und bei den Besitzern gewisser-massen auf der Tagesordnung, man ist vorbereitet und jeden Tag darauf gefasst, das Tilgungsverfahren ist geregelt, die Besitzer seihst sind besorgter, ziehen bei jeder Erkrankung die Thierärzte zu Rathe, und diese suchen in jeder Krankheit zunächst erst die Rinderpest. Unter solchen Umständen wird die Pest auch sofort entdeckt und deshalb nicht mehr sehr gefährlich. Die trübere
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Harmlosigkeit bezüglich der Rinderpest muss jetzt selbst in den entferntesten Ländern aufhören; die gegenwärtigen Verkehrsver­haltnisse tragen die Rinderpestgefahr weit hin; wenn man in den entfernten Ländern nach nicht mit solcher Sorgfalt Wache hält, wie an den Grenzen eines verpesteten Landes, so muss man doch überall auf die Rinderpest gefasst und nut der Diagnose vertraut sein. Die erste Feststellung der Rinderpest ist immer eine sehr bedenkliche Sache, der Thierarzt steht zwischen zwei (ie-fahren; erkennt er die wirklich vorhandene Rinderpest nicht sofort, so ist dies von sehr schweren Folgen, während er durch einen unvorsichtigen Ausspruch über das Vorhandensein der Pest eine unschuldige Heerde vernichtet, denn hinter der Diagnose „Rinderpestquot; steht immer die Keule; zwischen Scylla und Charybdis muss der Thierarzt klug und weise zu schiften verstehen, und dazu ist für die nicht Eingeweiheten ein Lootse unentbehrlich. Die Schwierigkeiten bei der Diagnose sind gegeben einmal durch Abortivformen, in welchen die Rinderpest gar nicht direct zu erkennen ist, und zweitens dadurch, dass selbst die entwickelte Bdnderpest keine pathognomonische Symptome hat, die immer vorhanden sind und bei keiner andern Krankheit vorkommen, die also ein sicheres Signum abgeben könnten, dass vielmehr nur die Gesammtheit der Symptome mit dem Verlaufe, das Ensemble ein charakteristisches Bild giebt. Dieses in der Totalität gegebene Bild ist aber nicht so leicht zu erfassen, es ist namentlich für den weniger Geübten um so schwieriger, als es verschiedene andere Krankheiten giebt, die in gewissen Stadien mehr oder weniger ähnlich sind. Deshalb ist hier die Bedingung zur sichern Diagnose, dass man mit allen wesentlichen Symptomen und Eigenschaften der Ridderpest genau vertraut ist. sich namentlich durch unwesentliche Dinge nicht irreleiten lässt, und alle ähnlichen Krankheiten ebenso genau in ihren verschiedenen Stadien kennt; die unterscheidenden Momente ergeben sich dann von selbst.
1. Die cliarakteristisclicii dirnmhiigc der Rinderpest.
Diese Grundzüge liegen in dem bisher betrachteten nosolo-gischen Theile, ausserdem aber auch mit in dem folgenden ätiologischen Abschnitte, den ich deshalb in einigen Punkten an-tieipiren muss, um in gedrängter Kürze das Wesentlichste übersichtlich zusammenzufassen.
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a.nbsp; nbsp;Die wesentlichsten Symptome: Fieber mit asthenischem Character von vonüierein oder doch vom zweiten Tage ab, mit mehr oder weniger Atonie, oft mit Apathie; Erkrankung aller sichtbaren Schleimhäute, namentlich: diffuse Rothung der Binde­haut, Bewässerung der Augen meist bis zum Thränenfluss, Rothung der Maul- und Rächenhöhle mit vermehrter Speichelabsonderung, Trübung. Verdickung, Erweichung und stellenweise Lösung des Epithels besonders der Unterlippe und des Zahnfleisches; Wässern, später Rotzen aus der Nase, diffuse Rothung mit eben erwähnter Epithelerkrahkung in der Schaam; Durchfall nach vorhergegan­gener Retention und mehr oder weniger beschleunigtes, später oft angestrengtes Athmen, oft auch Hautausschlag, namentlich am Grunde der Zitzen.
b.nbsp; nbsp;Verlauf der Krankheit. Unter diesen Symptomen verläuft die Krankheit acut und meist tödtlich; sie erreicht in fünf bis sieben Tagen ihre Höhe und tödtet gewöhnlich am fünften bis neunten Tage: die Genesung erfolgt langsamer, als die Ent-#9632;wickelung.
c.nbsp; nbsp;Obduction. Das Blut dunkel und nicht geronnen; neben den erwähnten sichtbaren Schleimhäuten constante Erkrankung der Schleimhaut der Luft- und Verdauungswege; in den Luftwegen mehr oder weniger starke Rothung. namentlich in dem obern Luftröhrentheile. am Kehlkopfe und in der Nasen- und Rachen­höhle; in den ersten beiden Organen ist die Rothung gewöhnlich mit mehr oder weniger Extravasationen in Form von Enchymosa verbunden; auf der erkrankten Schleimhaut der Luftröhre, selbst der Rachenhöhle oft ein käsiger Beschlag, und in den Lungen ein verschiedengradiges interlobuläres Emphysem: in den Ver­dauungswegen sind namentlich und constant der vierte Magen, der Dünndarm und das Ende des Mastdarms krank; hier an­fangs mein- oder weniger intensiv diffuse, im Mastdärme strei­fige Rothung, später eine gewisse Graufärbung, das Epithel abgestossen, zähsehleimige. selbst eiterig-schleimige, röthlich oder graulich gefärbte Gontenta, und Erkrankung der solitären und Peyer'schen Drüsen in der Art, dass erstere als Knötchen resp. Abscesse bis Erbsengrösse zerstreut in der Schleimhaut liegen oder an ihrer Stelle nur entsprechende glattwaudige Grübchen sichtbar sind, dass letztere aber geschwellte geröthete resp. aschgrau gefärbte Plaques darstellen, in denen die ge­schlossenen oder aufgeplatzten, mit eiteriger Masse gefüllten
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oder leeren Follikeln liegen, die nicht selten mit einer käsigen Platte bedeckt sind und so das Bild der einen oder der anderen der ersten drei Abbildungen darstellen.
d. Die Ansteckungsfahigkeit und der dadurch bedingte Gang der weitern Erkrankungen und Verbreitung. Ich muss, wie schon erwähnt, der Aetiolugie vorgreifen und liier schon her­vorheben , dass die Rinderpest bei uns nicht anders, als durch Ansteckung entsteht und uns inittel- oder unmittelbar durch russi­sches Steppenvieh zugeführt wird.
Das Cbntagium- ist flüchtig, hat eine Incubationszeit von fünf bis sieben Tagen, nur ausnahmsweise einmal um einen Tag-kürzer oder einige Tage länger, und wird hierdurch um so ge­wichtiger für die Diagnose, als sich die weitern Erkrankungen anfänglich in Zeiträumen wiederholen, die der Incubationszeit entsprechen; solche regelmässigen Zwischenzeiten verschwinden jedoch, sobald der Ansteckungsstoil' in den erkrankten Thiereu oder auch an tpdten Gegenständen dauernd gegeben ist und so in dem Stalle etc. aid' vorhandenes Vieh nachhaltiger einge­wirkt hat. Deshalb kommen nach dem ersten Ausbruche in der Kegel die nächsten Erkrankungen erst nach fünf bis neun Tagen; hierauf kann noch einmal ein solcher Zeitraum verstreichen, wenn die Erkrankten nicht längere Zeit unter der Heerde ver­bliehen sind; binnen vierzehn Tagen bis drei Wochen pflegt aber die ganze Heerde eines Stalles erkrankt zu sein, während der Seuchengang unter einer Heerde auf der Weide oder überhaupt im Freien viel langsamer ist, und die doppelte Zeit verstreichen kann, ehe alle Individuen der Heerde erkrankt sind.
2. Kraukhcitcu, ilic iu einem gewisseu Stadio mclir oder weuiger Aehnlielikeit mil der Rinderpest haben.
Die Aphthenseuche, Maulseuche.
Die Erkrankung der Maulschleimhaut, die vermehrte Speichel-und Schleimabsonderung, das gestörte Fressen und Schlucken und die schnelle Verbreitung durch Ansteckung, dies alles hat schon mehrfach Veranlassung zur Verwechslung gegeben. Derartige [rrthümer lassen jedoch immer eine oberflächliche Untersuchung voraussetzen; bei nähere]' Untersuchung verschwindet die Aehn-lichkeit; es giebt namentlich zwei diagnostische Momente, die sofort den unterschied feststellen lassen:
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1) Der Kranklieitsprocess im Maule, die AphtlieiibikUmg, die constant und wesentlich ist, bei der Rinderpest aber nie vor­kommt.
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Ravitscli will am Salmysche br-i dor Maulseucho völlig iihnlicho Knoten und Platten auf dem Zalmtleischc gesehen haben, wie bei der Rinderpest, und deshalb nicht zugeben, dass dies etwas Charakteristisches der Rinderpest sei. In letzterer Beziehung stiramn ich bedingungsweise bei, bei der Aphthenseuche aber sali ich derartige Erkrankung der Maulscldeinduiut nie; will man nicht etwa eine Verschiedenheit der Aphthenseuche in Deutschland und am Salmyschc annehmen, so muss ein Beobachtungsfehler vorliegen.
Das mehr oder weniger begrenzte blasenformige Ablieben des Epithels an den Lippen, dem Zahniieischc und der Zungenspitze kommt bei der Rinderpest nickt vor: wenn die Bläseken und Blasen aber zersprengt sind, so tritt allerdings die rothe Leder­haut als exeoriirte Stelle gerade so hervor, als bei der Rinderpest, aber die Excoriationen bei der Apkthenseucke kommen immer nur in der untern Partie der Maulhöhle vor, quot;sie haben ibreu Liebliugssitz an der Schleimhaut der Lippen, des Zahnfleisches und vor allem an der Zungenspitze, nehmen gern die untere Hälfte bis zwei Drittel der obern Zungenfläche (Zungenrücken) ein, also gerade die, Theile der Zunge, die bei der Rinderpest ver­schont bleiben, verschonen aber die obere Partie der Maul- und der Rachenhökle ganz. Theile, die bei der Rinderpest gerade den constantesten Lieblingssitz mit bilden. Die bei der Rinderpest so eigenthümliche Erkrankung des Epithels sieht man bei der Aph­thenseuche nicht.
2) Der gleichzeitige Kranklieitsprocess au den Klauen, die Klauenseuche begleitet stets die Maulseuche, sei es auch, nur in den geringsten Graden, wo man nur etwas vermehrte Wärme und einen steifen, schmerzhaften Gang wahrnimmt. Bei Kühen kommen sehr oft noch Euteraphtheu, Pdäschen an den Strichen dazu.
Sollten diese unterschiede augenblicklich nicht genügen, was sich wohl antauglich bei der Aphthenseuche und speciellbei dem Steppenvieh ereignen kann, die wir immer mit Argusaugen be­trachten müssen, so wird der weitere Verlauf sehr bald entschei­den: die Aphthenseuche verbreitet sich viel rascher innerhalb einiger Tage über eine grosse Heerde, erreicht in den Individuen schon in zwei bis drei Tagen die Höhe, heilt last ebenso schnell ab und ist ohne besondere Complicationen nicht todtlich.
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Die Lungeiiseuclie.
Bei dieser Krankheit tritt nur auf der Höhe des zweiten, fieberhaften Stadii eine gewisse Aehnlichkeit mit der ausgebil­deten Rinderpest hervor, namentlich bei vorherrschenden pneumo nischen Symptomen. In dem [Jmstande, dass beiderseits nur die höhern Grade eine Aehnlichkeit bieten, liegen zugleich die unter­scheidenden Momente. Husten und Athemheselnverde bilden bei der Lungenseuche das Gentrum der ganzen Krankheit, bei der Rinderpest aber nur einem Thejl und meist nicht einmal den wesentlichen Theil des Krankheitsbildes; je mehr diese Atheni-beschwerde ausgebildet ist bei der Einderpest, wie namentlich bei Lungenemphysem, desto mehr treten nebenbei auch die übrigen wesentlichen Symptome der Pest, namentlich die Erkrankung der sichtbaren Schleimhäute und Durchfall, unterscheidend in den Vordergrund. Die Athembesehwerde ist übrigens bei der Kinder­pest anders ausgeprägt, als bei der Lungenseuche. Als ich in Holland eine Anzahl pestkranker Ochsen mit tief gesenktem Kopfe unter der grössten Athembesehwerde laut stöhnend auf einem Ue-liöl'te antraf, wurde ich lebhaft an die Lungenseuche erinnert; immer fiel mir aber schon von der Ferne die Haltung des Kopfes auf; bei der Lungenseuche wird der Hals bei Athem­besehwerde gestreckt gehalten und die Nase vorweggestreckt, während diese Ochsen mit der Käse fast die Erde berührten.
Hauptsäcbtlieh aber erlangen wir durch physikalische Explo­ration der Brusthöhle, namentlich durch Auscultation bei der Lungenseuche mehr oder weniger sichern Aufschluss; bei der Lungenseuche besteht immer eine umfangreiche Unwegsumkeit, die sich durch Mangel an jedem Brustgeräusch oder durch Bron­chiengeräusch und gedämpften resp. leeren Percussionston zu er­kennen giebt, während bei der Rinderpest entweder normales, aber verstärktes Bläschengeräusch (bei der Inspiration) und emphyse-matisches Rasseln (bei der Expiration) vernommen wird. Diese physikalischen Ermittelungen sind insofern zuweilen untergeordnet, als Gomplicationen der Binderpest mit Lungenseuche vorkommen. Die Obduction wird schliesslich jeden etwaigen Zweifel heben durch die bekannte marmorirte Hepatisation bei der Lungenseuche und durch die pathologischen Zustände in den Verdauungsorganen bei der Einderpest.
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Die Wutlikranklieit.
Es dürfte fast sonderbar erscheinen, diese Krankheit hier unter den ähnlichen Krankheitshildern mit aufzuführen, Die Aeluilielikeit bezieht sieh hier auf die nervöse Form, wie ich.sie in Ungarn zn Nickolsdorf gesehen habe. Die grosse Apathie, der wankende Gang, die Hinfälligkeit erinnerten mich ebenso lebhaft an die stille Form der Wuthkrankheit, als ein Fall mit furibnndeu Symptomen mit der rasenden Form augenblicklich die grösste Aelmliehkeit hatte. Beide Formen kommen beim Rindvieh ganz gewöhnlieh vor. Hierzu kam noch die ausnahmsweise Erschei­nung der .Rinderpest, das Fehlen des Durchfalls: kurz die Symp­tome berechtigten Niemanden, die Rinderpest zu diagnosticiren, wohl aber die Wuthkrankheit mit einiger Wahrscheinlichkeit. Mein dringendster Verdacht auf Wuthkrankheit wurde erst durch den Obdnctionsbefund beseitigt, den ich damals nur einseitig würdigen konnte, weil es meine erste Obduction pest­kranker Rinder war. Nachdem ich die intensive diffuse Röthung im vierten Magen und Dünndarm, die Schwellung der Peyer'schen Plaques gesehen und bei allen constant gefunden hatte, da erst liess ich meinen Verdacht auf Wuthkrankheit lallen.
Die entscheidenden Momente sind also die Erkrankungen der sichtbaren Schleimhäute, die bei der Wuthkrankheit stets gänzlich fehlen: und in den Fällen, wo diese anfänglich ausnahmsweise fehlen sollten, würde bei der nervösen Form der Rinderpest die Obduction entscheiden, die uns bei der Tollwuth nichts zeigt, was mit der constanten Erkrankung des vierten Magens und Dünn­darms einige Aelmliehkeit hätte.
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Das sogenannte bösartige Catarrhallieher, die Kopfkrankheit.
Die Aelmliehkeit ist in manchen Fällen sein; gross und nach­haltig, nicht blos bei der ersten Besichtigung: sie ist hier in der schweren fieberhatten Erkrankung, in der starken Erkrankung der Schleimhäute des Kopfes, in dem Thränen und Nasenausfluss, zu­weilen seihst mit Speicheln verbunden, in pneumonischen Zufällen, in der anfänglichen Retention des Mistes und dem spätem Durch­falle gegeben. Am ersten, auch wohl am zweiten Tage ist es oft nicht möglich, einen Unterschied sieher zu erheben, der sich später jedoch immer mehr herausstellt. Das erste wichtigste und zu­gleich das praktischste Kennzeichen ist die Trübung der Cornea,
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die ich bei der Rinderpest niemals gesellen und auch von keinem Schriftsteller erwähnt gefunden habe, die dagegen hei der Kopf­krankheit eine stellende Erscheinung ist; es giebt Fälle, wo die Erkrankung der Augen weniger heftig auftritt und nicht in einigen Tagen schon zur Blindheit führt, wie ich es öfter gesellen habe, aber ich habe auch noch keinen Fall beobachtet, WO nicht wenigstens die Cornea etwas getrübt worden wäre. Ausserdem sind die unterscheidenden Momente: Athembeschwerde, die gleich von vorn herein in den Vordergrund zu treten pflegt und durch heftige Erkrankung der Kopfscbleinihaut von der Nasenspitze bis in die Luftröhre bedingt ist, die deshalb auch mit mehr oder weniger lauten Zischgeräuschen (Nasenlauten) verbunden ist; die grosae Hitze des Kopfes, die intensive Röthung der Xasenschleimhaut vom Anfange ab und der copiöse Nasenausduss, der mehr oder weniger Blut­spuren zeigt. Man kann mit kurzen Worten sagen, dass die heftige Erkrankung des Kopfes schon in den ersten Tagen wesent­lich unterscheidend ist. Der Verlauf ist ebenso acut, oft noch aeuter, und ebenso mörderisch, als bei der Rinderpest. Die Ob-duetion liefert noch weitere sichere Aufschlüsse. Die Schleimhaut der Nasenhöhle ist sehr intensiv erkrankt, die Nebenhöhlen — Stirn- und Kieferhöhlen — sind immer mehr oder weniger mit erkrankt, wie es bei der Rinderpest nicht der Fall ist; dabei giebt es auf der kranken Schleimhaut gelbe gelatinöse und plastische Exsudate — wirkliche Croupmasse — 'selbst bis in die Luftröhre, die wesentlich verschieden sind von den käsigen Platten bei der Rinderpest. In zweifelhaften Fällen würde hier das Mikroskop zu Hülfe genommen werden müssen. Der vierte Masen und der Dünndarm zeigen nichts Aehnliches von den stehenden anatomischen Veränderungen der Rinderpest; die Schleimhaut im Yerdauungs-kanale ist bisweilen gar nicht auffällig, niemals aber der Rinderpest ähnlich erkrankt.
Die Magenseuche, Ruhr, Magen-Ruhrseuche, Dyssenteria.
Hier sind wir nun bei derjenigen Krankheit angekommen, bei der nicht blos die Diagnose in den einzelnen concreten Fällen sehr schwer und oft gar nicht direct festzustellen ist, bei der sogar die Wissenschaft noch nicht einmal vollständig gesichtet hat.
Die Ruhrseuche etc. wurde zuerst von Waldinger*) von
*) Abhandlungen über die Krankheiten des Kindviehs.
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der Rinderpest unterschieden. W. beobachtete sie häufig im Sommer in niedrigen Gegenden Ungarns; der mildere Verlauf und das Nichteintreten solcher Verbreitung durch Ansteckung, wie sie bei der Binderpest Hegel ist, scheinen W. zu dieser Trennung bestimmt zu haben. Lorinser*) verwirft diese Trennung, er identificirt diese Krankheit bei dem Steppenvieh mit Rinderpest, erkennt nur eine quantitative Verschiedenheit an und erklärt sie für eine milde Rinderpestform. Spinola ist Lorinser's Ansicht und vertritt sie noch in seiner Pathologie. Der gegenwärtige generelle Standpunkt ist nun der. dass man eine Ruhr beim Binde als selbstständige Krankheit anerkennt, dass man aber über die Magenseuche beim Steppenvieh noch dubiös ist. Einige halten sie noch für wirkliche Kinderpest — ich gestehe, dass auch ich die Magenseuche nach den Beschreibungen für Rinderpest gehalten habe —. Andere trennen sie von der Binderpest, es geht ihnen aber wie dem Bojanus, sie wagen nicht recht, an die wissenschaft­liche Trennung von der Rinderpest die Consequeiizen für die Praxis zu knüpfen, sie behandeln die Magenseuche polizeilich, wie die Rinderpest; das haben wir erst kürzlieh in Tyrol wieder erlebt, wo man die Ruhrseuche feststellte und Massregeln gegen die Rinderpest anordnete**).
Es dürfte kaum zu bezweifeln sein, dass unter dem Namen „Ruhrseuchequot;, „Magenseuchequot; etc. noch verschiedene Krankheiten zusammengefasst werden, die sowohl dem Sitze, wie der Ursache nach verschieden sind: einige Male sah ich Formen, die ich als eine Complication der bösartigen Kopfkrankheit ansehen musste; ich bin aber jetzt keinen Augenblick mehr darüber im Zweifel, dass diese Krankheiten alle grosse Aehnlichkeit mit der Rinderpest haben, dass auch solche vorkommen, die nach den Symptomen und einem oberflächlichen Obductionsbefunde nicht direct von der Rinderpest zu unterscheiden, dennoch aber nicht mit derselben identisch sind. Krankheiten, die mit der wirklichen Ruhr, wie sie auch bei andern Thicren vorkommt, nur den leicht blutig werdenden Durchfall gemein hüben, bei welchen aber Mägen und Dünndarm hauptsächlich und weniger die Dick­därme, wie es sonst bei der gewöhnlichen Ruhr stehend ist, leiden: deshalb hat die deutsche Bezeichnung ..Magen-Ruhrseuche''
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*) Untersuchungen über Binderpest 1831. S. 105. **) Adam, Wochenschrift 1865, ]S'r. 14.
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den Vorzug, class sie zugleich das Eigeuthümliche der Kiaukheit von gewöhnlicher Ruhr ausdrückt
Nach dieser allgemeinen Bemerkung will ich ein gedrängtes allgemeines Bild von der Magenruhrseuche gehen.
Symptome, a. Constante. Die Erkrankung der Magen-und Darmschleimhaut ist hier immer das Primäre; die Krankheit heht mit den auffälligsten gastrischen Zufällen an; deshalb immer sofort auffällige Unterdrückung der Fresslust und des Wieder­kauens, lebhafte Thätigkeit im Hinterleibe, und bald Durchfall, der uirht selten das erste auf'täilige Symptom bildet und immer gleich sehr profus auftritt (wässerige Dejectionen werden mehr spritzend abgesetzt), der bald stinkend und blutig wird; die Patienten zeigen mehr oder weniger Leibschmerzen durch Liegen, Wiegen, Stöhnen und Umsehen nach dem Bauche; Fieberzufälle, schneller Wechsel zwischen Kälte und Hitze, an den extremen Körpertheilen, mehr oder weniger frequeuter, immer kleiner, elender Puls, Zittern, grosse Hinfälligkeit und Apathie.
1). Nicht constante: Wässern der Augen, selbst bis zum Thränenfluss. Röthe der Bindehaut, wässriger, später schleimiger Nasenausfluss, mehr oder weniger beschleunigtes Atlnnen. Er­krankung der Maulschleimhaut, namentlich vermehrte Speichel­absonderung, Trübung, Verdickung und Lockerung des Epithels mit mehr oder weniger durchscheinender Röthe an der Schleimhaut der Lippen und des Zahnfleisches; der Rand des letzteren ist namentlich mehr geröthet und stellenweis selbst mit kleinen Excoriationen versehen; Tenesmus und Abgang von Schleimhaut-fetzen mit den blutigen Durchfallsmassen.
Verlauf verschieden, zuweilen sehr acut, mörderisch, wie bei der Rinderpest, der Tod tritt dann gewöhnlich vom 3. bis zum 7. Tage ein; in andern Fällen ist der gajoze Verlauf langsamer und leichte]', er erstreckt sich dann auf 14 Tage bis 3 Wochen und fahrt meist zur Genesung.
Section. Constant fand ich Entzündung der Darm­schleimhaut mit Erweidumg, jedoch nach Intensität, Sitz und Ausbreitung sehr verschieden. In den ersten Mägen war das Epithel gelockert, oft an dem Futter hangend, die Schleimhaut aber nur selten stellenweis etwas geröthet; Schleimhaut im vierten Magen meist aufgelockert, wässrig durchfeuchtet, zuweilen geröthet
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und dann immer erweicht. Der Dünndarm immer mehr oder weniger erkrankt, bald jedoch mehr die. erste Partie nehen gleich­zeitiger Erkrankung des vierten Magens — die Magen- und Ruhr­seuche—. bald mehr die letzte; in andern Fallen war der Dick­darm vorherrschend leidend, was in der Literatur irrthümlicher Weise als charakteristisch bezeichnet wird. Die Erkrankung be­steht in mehr oder weniger intensiver Röthung, Schwellung und Erweichung; nach längerer Krankheitsdauer findet man die er­weichte Schleimhaut mehr grau als roth; die Uöthung ist bei intensiver Erkrankung eine diffuse Entzündungsröthe, oder sie tritt mehr in grossen und kleinen Flecken .auf. so class die Schleim­haut — im Dickdarm namentlich — gesprenkelt erscheint, jedes rothe Fleckchen zeigt capilläre Hyperämie und Extravasation. Die Erweichung .ist in den entzündeten Theilen oft sehr beträchtlich, so dass die Oherfläche zerfetzt, unter Wasser zottig wie Plüsch erscheint, durch einen leichten Wasserstrahl aufgerissen und fort­gespült wird und ebenso auch mit dem Finger leicht wie eine dicke ScHeimmasse zusammengeschoben werden kann. Diese entzündliche Erweichung glaube ich als die wesentliche patho­logische Veränderung hervorheben zu müssen. Die Follikelu und Peyer'schen Drüsenhaufen sind nicht geschwellt oder sonstwie be­sonders erkrankt, sie waren bei meinen Beobachtungen wenigstens in der aufgelockerten, matschigen Schleimhaut kaum zu bemerken. Das Blut meist dunkel und wenig geronnen; die Leber mehr oder weniger mürbe, zuweilen erweicht.
Ursache. Die alten Beobachtungen stimmen darin überein, dass Strapazen auf dem 'Fransporte, widrige Witterungseinflüsse, Anstrengungen, Entbehrungen und Erkältungen, kurz die Müh­seligkeit und Unbill, die ein weiter Transport mit sich bringt, die Ursachen sind. In niedrigen Gegenden Ungarns sah sie W aldinger bei Zugochsen im Sommer häufig. Meine Beobachtungen gehen auch hauptsächlich auf Erkältung hinaus; ich beobachtete die Krankheit namentlich im Frühjahr bei grosser Nässe, vor­herrschenden Nordostwinden und immer bei den Individuen an einer Thür. überhaupt an Stellen, wo ein stehender Luftzug ge­geben war. Die Erkältungen glaube ich um so mehr beschuldigen zu müssen, als ich neben der Magenruhr-Seuche auch Erkrankungen an dem bösartigen Catarrhallieber und selbst Coiuplicationen beider Krankheiten beobachtet habe. Nichtsdestoweniger will ich eine specifische Schädlichkeit, ein Ruhrgift unter Umständen zugeben,
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besonders in heissen Sommern and in niedrigen, sumpfigen tiegenden.
Im Allgemeineu wird die Uulirseiiche auch für ansteckend gelullten; ich habe Impf versuche mit erweichter Darmschleimhaut ohne Erfolg gemacht; ausserdem habe ich aus den Erkrankungen unter kleineren und grössereu Heerden niemals auf eine Ansteckung schliessen können; ich sah wohl mehrere Erkrankungen in einem Stalle, niemals aber standen die verschiedeneu Erkrankungsfälle in solcher Beziehung, dass man auf eine Abhängigkeit von einander hätte schliessen können ; die Erkrankungen erfolgten theils rasch in einigen Tagen, theils wieder nach Zwischenzeiten von einigen und mehreren Wochen aufeinander; nicht solche erkrankten be­sonders, auf die eine üebertragung stattgefunden haben konnte. Ein wirkliches Ansteckungsvermögen glaube ich deshalb nicht zu­geben zu können, wohl aber mag eine Ansteckung durch Zer­setzung der Dejcctionen stattfinden können, wenn dieselben nament­lich zur Einwirkung auf die Verdauungswege kommen. Ent­sprechende Versuche fehlen noch.
In neuester Zeit wurde die Ruhrseuche einmal in Tyrol und
In Karrostcn (Tyrol) erkrankten 1805 Mitte Januar in eiuem Stalle unter fünf Rindern drei, davon starben zwei bis zum 20. Januar, das dritte genas. Am 20. Februar erkrankten in demselben Orte aber in eiiioin andern Stalle die darin befindlichen vier Kühe, die alle innerhalb zwölf Tagen verendeten. Am 14. März erkrankte in einem dritten Stalle unter drei Rindern ein Kalb. In allen drei Ställen hatten sich auch Schafe befunden, von denen aber keins erkrankt ist.
In Varlosen (im Ilannover'schen) erkrankten 1867 vom 25. Februar bis 19. März sechs Kinder in drei Ställen; das erste, das einzige im Stalle, am 25., das zweite am 28. Februar, das dritte am 3., das vierte am 7., das fünfte am 14., das sechste am 19. März. Nr. 2. und (i standen neben einander an- der Thür neben drei andern, 3, 4 und 5 standen wieder in einem Stalle neben vier andern Kindern. Alle starben vom dritten bis achten Tage. In den ersten Tagen des April ein siebenter Erkrankungs- und Todesfall, aber an bösartiger Eopfkrankheit in dem Stalle, in welchem Nr. 2 und ü an Magenruhrseuche erkrankt sind.
Beverbeck (im Hannoverschen). Im Monat März 1807 erkrankten in einem Stalle unter 17 Kindern vier Stück unter den Erscheinungen der Ruhr, an der sie in fünf bis acht Tagen zu Grunde gingen. Die mir von den ersten Patienten übersandten Cadavertheile nebst Beschreibung erweckten solch dringenden Verdacht, dass ich mich veranlasst sah, per Telegraph vorläufig Absperrung anzuordnen.
Die hohe Wichtigkeit einer strengen Diagnose, und zugleich die Schwierigkeit
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sofort zu entscheiden, ob Binderpest oder nicht, lernt man erst begreifen, wenn bei solchen Unlirfülleii die Rinderpest in gewisser Aussicht steht, wenn sie in der Nachbarschaft ist. In Friedenszeiten hinsichtlich der Binderpest kommt man über einen gewissen Verdacht bald hinweg.
Die ätiologischen Verhältnisse in VarLosen und Beverbeck waren gleich; in beiden Orten war bei nasser Witterung der üoden grundlos geworden; mit Wasserstiefeln nur konnte man von einem Gehöfte zum andern kommen; Mistpfötzen an der Stallthfir, die Ställe selbst niedrig, eng. bei sorgfaltigem Verschluss sehr wann und darum gerade so gefährlich. Zur Zeit der Er­krankungen nasse Witterung, kalte, rauhe Nord-Nordost- und Ostwinde. Die Erkrankten standen an der Thür, an Ähzugskanälen oder sonst wie im Luft­züge des Stalles.
Die untersclieideiiden Momente an der Pest sind folgende:
1)nbsp; nbsp;unter den Symptomen tritt der sehr frühzeitige, profuse, stinkende and bald blutig werdende Durehiall auffällig hervor, wie ich ihn bei der Rinderpest nie gesehen bähe; bei letzterer kommt der Durchfall nur ausnahmsweise vor dem dritten Tage, wenig riechend, und namentlich niemals wirklieh blutig oder gar Schleimhauttheiie mit sielt führend, vor. Der frühzeitige und bald blutige Durehiall bleibt ein wichtiges diagnostisches Zeichen für Ruhren und gegen Rinderpest.
2)nbsp; nbsp;Die Sehleimhaut der Maul- und liaehenhöhle leidet entweder gar nicht mit oder es zeigt sich nur an den Lippen und dem Zahnfleische eine gewisse Aehnlichkeit in der Erkrankung des Epithels, wie bereits oben beschrieben. Aber auch in dem aufge­lockerten, erweichten und zum Theil gelösten Epithel war mikros­kopisch nicht jener hochgradige Verfettungsprocess zu erkennen, wie bei der Rinderpest. Doch betrachten wir dies als nebensächlich; besonders wichtig ist dagegen die Nichterkraukung der Schleimhaut der Rachenhöhle.
3)nbsp; Die Erkrankung der Schleimhaut der Verdauungswege in ihrem ganzen Gewebe bis auf die Muskelhaut, der entschiedene entzündliche Erweichungsprocess in der erkrankten Schleim­haut ist wohl als das Pathognomonische der Ruhr aufzu­fassen, wovon bei der Rinderpest nie etwas Äehnliches vorhanden ist, während umgekehrt bei den Ruhren wieder von der speeifischen Erkrankung der Oberfläche der Schleimhaut und dein eigenthüm-lichen Proliferations- und Verfettungsprocess in den adenoiden Gebil­den — wie es bei der Rinderpest constant — nichts zu sehen ist.
4)nbsp; Die ätiologischen Verhältnisse und der Gang der Erkrankung. Meist sind directe Schädlichkeiten (Erkaltungen, grosse Kitze,
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NäSse-Anstrengungen etc.), niemals aber Ansteckungen als Ursachen, nachzuweisen. Die Erkrankungen folgen sich regellos; es können mehrere zugleich erkranken, es vergehen dann wieder Wochen, ehe neue Erkrankungen kommen, und sehr selten sieht man ein durchgehendes Erkranken in einer Heerde: wo ein grossei- Theil in einem Stalle verschont bleibt, da sieht man offenbar, dass von einem Pestcontagium keine Rede sein kann; wo nur wenige Häupter vorhanden sind und in kurzer Zeit erkranken, da fallt allerdings dieses diagnostische Moment ans. und in solchen Fällen kann bei weniger ausgeprägtem Befunde die Ruhr einstweilen als der Rinder­pest verdächtig angesehen werden.
Soweit nun die wissenschaftliche Grundlage zur Feststellung der Rinderpest; schliesslich müssen wir aber doch zugestehen, dass die Wissenschaft uns nicht in den Stand setzt, die Rinderpest unter allen Umständen und augenblicklich bei der ersten Erkrankung und ersten Untersuchung festzustellen, dass die Diagnose noch ihre grossen Lücken hat und niemals die erwünschte Vollkommenheit erreichen kann, weil es einmal einen Abortiv - Verlauf giebt, bei welchem eben keine genügenden Merkmale vorhanden sind, und Weil zweitens bei der vollständig entwickelten Rinderpest die charakteristischen Momente nicht zu jeder Zeit beisammen sind, sondern sich erst im weitern Verlaufe ergeben. Demnach ist es bei dem Ausbruche der Rinderpest oft nothw-endig, die obwaltenden Verhältnisse in ätiologischer Be­ziehung zu prüfen, den Verlauf zu beobachten und weitere Er­krankungen abzuwarten.
Der Sachverständige kann in eine sehr schwierige Lage kommen, die Gefahr drängt zur schleunigen Feststellung, die Wissenschaft lässt ihn aber noch im Stich. Hier erfordert die Lage grosse Umsicht, praktischen Takt und eine schnelle Auffassung der ob­waltenden Verhältnisse; und in allen Fällen, wo aus den objeetiven Erscheinungen wie auch aus den Nebenumständen sich noch irgend eine Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins der Rinderpest herausstellt, da muss man „Verdachtquot; haben. Im Allgemeinen dürften folgende Regeln gelten:
1) Bei fremdem grauen Steppenvieh ist Verdacht gerechtfertigt in allen Fällen, wo nur entfernt ähn-
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liehe Erscheinungen da sind, und bei den aus Russ-lanrt kommenden Steppenviehheerden muss jede leichte Erkrankung, seihst schon die verminderte Fress­lust, oder ein trübes, wässerndes Auge, ein ein­facher leichter Durchfall, ja seihst eine Ermüdung, ein steifer lahm er Gang als verdiiclitig; angesehen werden.
2)nbsp; nbsp;lici jedem Hornvieh, seihst hei Schafen aus Ländern, in denen die Pest herrscht, und ebenso auch innerhalb der verseuchten Länder seihst, wie auch in den angrenzenden Laudestheilen, so weit deren enger volkswirthschaftlicher Verkehr geht, muss unter denselben Verhältnissen schon Verdacht obwalten, wie bei dem aus Russland kommenden Steppenvieh.
3)nbsp; nbsp;In allen Erkrankungsfällen und unter allen Umständen, wo die Symptome denen der Rinderpest sehr ähnlich sind und mau augenblicklich keinen sichern wissenschaftlichen Gegenbeweis auffinden kann, da muss wieder Yerdacht eintreten, weil wir heutzutage zu keiner Zeit und nirgends mehr vor dem Besuche der Rinderpest gesichert sein können. Die Neheu-Umstände können in solchem Falle den Yerdacht abschwächen oder auch verstärken, ent­scheiden können sie mindestens nicht gegen den wissenschaftlichen Yerdacht.
Eeherall nun. wo nach diesen Principien mehr oder weniger Verdacht obwalten muss, da gebietet es die kluge Vorsicht und die Pflicht, alle die Massregeln eintreten zu lassen, die für den Fall der Rinderpest jede Verbreitung inzwischen verhüten. Oft gebietet es die Klugheit, den Yerdacht gar nicht zu äussem; die Sicherheitsmassregeln werden unter irgend einem Ver­wände angeordnet, dies besonders da, wo man bei Mangel an eigenen Erfahrungen sich auf seinen wissenschaftlichen Verdacht nicht recht verlassen kann und die obwaltenden Verhältnisse gegen den Verdacht zeugen; unter Umständen kann man der betreffenden Behörde eine vertrauliche Mittheilung über den Verdacht machen, um so in dringenden Fällen auf amtlichem Wege die provisorischen Massregeln mehr zu sichern; immer aber ist zu rathen, solchen Verdacht nicht öffentlich auszusprechen.
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Der Verdacht dauert in allen Fällen so lange, his durch den Kranldieitsverlauf, durch weitere Beohachtangea und (raquo;liductionen die Diagnose pro resp. contra festgestellt werden kann. Die Zeit und der Scuchengang in der Zeit ist im äusseraten Falle immer entscheidend.
Capilel 6.
P a t h o ^ e n e s e.
Kurze geschichtliche UebersicM der Ansicliten.
Mitten in die uralten Anschauungen hinein, wie sie selbst in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts noch herrschten, führt uns eine kleine Broschüre.*) Hier heisst es an verschiedenen Stellen: „Die materielle Ursache ist so scharf und fressend, wie Scheidewasser. Sie frisst die Schleimhaut im Munde, auf der Zunge, im Schlünde, in den Mägen und Gedärmen an, und an verschiedenen Orten gar ah. Die Krankheitsmaterie ist ein schwefliges Salz; sie vermehrt sich durch Gährung im Blute, wie der Sauerteig im Teige, deshalb die Weiterverbreitung durch An­steckung.quot; „Diese Schädlichkeiten rühren vom Mehlthau hur etc.quot; Ausserdem ersieht man aus verschiedenen Bezeichnungen, wofür man die Pest gehalten hat Die „Lös er dürrequot; ging aus der Anschauung hervor, dass iu dem Loser der Hauptsitz sei, und Kersting**) sagt noch, dass der erste Keim bei einem noch ganz gesunden Thiere sich nach dem Schlachten im Löser finde, in welchem sich zwischen einzelnen Blättern Stellen zeigen, wo das Futter trocken sei und a,u den Blättern fest anklebe. Ebenso hat der Hofrath Faust in seiner Noth- und Hülfstafel zur quot;Verhütung der Rinderpest einzig und allein auf den Löser Rücksicht ge­nommen. Der Name „Grrossgallequot; deutet darauf hin, dass mau in der grossen Gallenblase etwas Wesentliches gesehen hat. Ramazzini (Dissertatio de contagiosa epidemia que de Patavino
*) Kurze Beschreibtalg von der entdeckten Ursache der ViehseucLe. Rostock 176G.
**) Patriotisclipr önterricM 1776,
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agro et tota feri Voneta ilitiono in boves irrepsit, Patavii 1711 bis 12) fand das Wesen der Pest in dem Exantheme, er identificirte sie mit den Pocken und nannte sie geradezu Pockenseuche. Die ersten geläuterten Ansichten liefen auf Darmentzündung—Enteritis — und auf Typhus hinaus. Bald nahm man das Eine, bald das Andere, zuweilen auch Beides zugleich an. und mit einigen Modi-ficationen haben diese Ansichten bis zur neuern Zeit ihre Geltung behalten. Hildenbrand*) zählte die Rinderpest zuerst zu den Varietäten des Typhus, eine Ansicht, die später wiederholt bestätigt wurde und die bis heute ihre Vertreter gefunden hat. Lorinser**) erklärt in sein- vorsichtiger Weise die Rinderpest dem ansteckenden Typhus für nahe verwandt und führt dies in verschiedenen Be­ziehungen näher aus. Der Protomedicus in Prag, Nadherny, er­klärte die Rinderpest für eine dem dysenterischen Typhus des Menschen ähnliche Krankheit und war von der wesentlichenUeber-einstimmung so sehr überzeugt, dass er darauf die weitere Be­hauptung stützte, die Rinderpest entstehe bei uns originär, wodurch er bei der Regierung, von seiner einflussreichen Stellung aus. grosse Sensation machte, weil hierdurch eigentlich alle bestehenden Scliutz-massregelu vollkommen überflüssig wurden. Man gab jedoch der Opposition von Seiten Heine und Anderer Gehör und setzte die Schutzmassregeln nicht bei Seite. — In England, Prankreich, Belgien und Holland ist Rinderpest geradezu mit „Typhus conta-giosus bournquot; übersetzt worden. — Spinola***) setzt das Nächst­ursächliche in das Blut: eine krankhafte Beschaffenheit des Blutes sieht er sehr richtig als das Primäre an, weil es schon zu Anfange der Krankheit ein abweichendes Verhalten vom gesunden Blute der Rinder zeige f), und erklärt die Kinderpest
*) lieber den ansteckenden Typhus. Wien 1812.
**) Untersuclnuigen über die Einderpest. Berlin 1831.
***) Mittheilungen über die Rinderpest. 1846.
t) Unter den Veränderungen des Blutes führt er auch ein sehr lang-satnes Gerinnen auf, während es unter gesunden Verhältnissen umgekehrt rasch gerinnen soll, woraus er die gleichmässige Gerinnung des Rinderblutes ohne Ausscheidung des Faserstoffs herleitet. Dies ist ein Irrthum; das gesunde Riuderblut gerinnt viel langsamer, als das Blut jeder andern Ilausthiergattung, das Pferdeblut gehraucht kaum die Hälfte der Zeit zur Gerinnung, und das Blut der übrigen i-Iausthiere gerinnt noch viel schneller. Das gleichmässige Gerinnen ohne Senkung der Blutkörper bleibt deshalb eine merkwürdige Er-
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schliesslich für einen waiiren Typhus. Die örtlichen Krankheits-l^rocesse in def S .'hleimhaut (die Typlmsprocesse) sielit derselbe als Blutstagnation verzugsweise in den venösen Gefässen an, während er eine Entzündung in Abrede stellt, weil eine Vermehrung des Blutfaserstoffs und namentlich die wahl haft plastische Ausschwitzung fehle. Heyne*) hält die Rinderpest für ein acutes Exanthem, bei dem sich aus unbekannten Einflüssen mehr ein Enanthem entwickele. — Müller und Bochdalek fanden 1845 dieselbe Schwellung und Verschwärung der Beyer'sehen Follikeln wie beim Typhus des Menschen. Roll**) fand schon 1850 platten­artige Gerinnungen, namentlich am Pförtner und im Dünnclarni, besonders aber auf den Peyer'schen Drüsenhaufen, er verwarf deshalb die Typhustheorie und erklärte' die Rinderpest für einen croupös-exsudativen Process, der, je nach Dauer und Körperconstitution, bald in Gestalt fester faserstoffiger Platten, bald als zerfliessende, das Gewebe zerstörende Ausschwitzung auftrete, eine Ansicht, zu welcher sich dann auch die übrigen Professoren der Wiener Thier-arzneischule bekannten, und die nach dem makroskopischen Be­funde sehr wohl zu rechtfertigen war, deren Auftauchen ich gerade in Wien unter einem gewissen Einflüsse der Rokitansky'schen Schule sehr erklärlich finde.
Gegen diese Ansicht traten nun zwei russische Professoren auf; zuerst wies Braueil***) durch seine sorgfältigen und gründ­lichen mikroskopischen Untersuchungen nach, dass die platten-förmige Auflagerung, das vermeintliche cronpöse Exsudat nicht aus geronnenem Faserstoff, sondern aus zelligen Elementen und einem körnigen Zerfall besteht. Nach dem Gesammtergebnisse seiner mikroskopischen Untersuchungen bezeichnet Braueil die Rinderpest als einen Krankheitsprocess, „welcher auf Desquamation des Epithels der Schleimhäute der Digestions- und Respirations­organe, auf Zellenwucherung in den Schleim- und Schlauchdrüsen, sowie in den Follikeln und auf der Haut mit nachfolgendem
scheinung des Bmderblats und muss auf ein geringeres speeifisches Gewicht der Blutkörper oder eine grössere Viscositiit des Pldsma's, wahrscheinlich aber wohl auf beides zugleich zurückgeführt werden.
*) Vicrteljahrsschrift von Müller und Roll. Bd. 2. S. 76. **) Prager Vierteljahrsschrift 1851.
***) Neue Untersuchungen, hetreffend die pathologische Anatomie der Rinderpest. 1862.
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völligen oder partiellen Zerlall derselben Formolemonte, welche durch Wucherung entstanden, und des Gewebes der genannten Schleimhäute und der Haut beruht.quot;
Ravitsch*) hat die mikroskopischen Untersuchungen Brauell's
wiederholt, ist aber nur darin zu gleichen Resultaten gelangt, dass die plattenförmigen Auflagerungen nicht aus amorphem Exsudat, sondern ans Zellen und dem Detritus derselben bestehen, weshalb er sich der Röll'schen Exsudattheorie gegenüber neben Braueil stellt; im Uehrigon bestreitet er die Beschränkung des Processes auf die oberflächliche Schicht der Schleimhaut; nach ihm greift der Process viel tiefer in das Schleimhautgewebe ein; überall will er starke Proliferation der Bindegewebskörperchen und Infiltration des Schleimhautgewebes mit kleinen runden, 1 — 3 kernigen Zellen gesehen haben, und von dieser Proliferation leitet er auch die kleinen runden Zellen in den plattenförmigen Auflagerungen ab; diese Platten sollen eigentlich keine Auflagerungen, sondern aus der Schleimhaut gewissermassen hervorgeschoben sein und ein Continuum mit dieser bilden; während Braueil die Zellen sehr richtig aus den Drüsen der Schleimhaut herstammen lässt. Ravitsch erklärt die Rinderpest für ein Typhoid und die wesentliche anatomisch-pathologische Erscheinung für eine active Ernährungs­störung des lymphoiden Gewebes der Schleimhaut des Darmkanals, welche (Ernährungsstörung) schnell einen destruetiven Charakter annimmt. Das Anatomo-Pathologische der übrigen Schleimhäute ist nach Ravitsch etwas ganz Unwesentliches, das er für soeundär und an einem andern Orte geradezu für eine Complication aus-giebt.
Bruckmüller**), der auf Ravitsch Abhandlung erwidert und in der Anbahnung eines Verständnisses den Begriff des croupösen Exsudats etwas dehnbar macht, erklärt sich gegen die Analogie der Rinderpest mit dem Typhus des Menschen, zumal bei Rindern, Pferden und Hunden wirklich Krankheiten vorkommen, die mit dem Typhus des Menschen eine viel grössere Analogie darbieten. Eine sehr richtige Bemerkung, der aber dadurch zu begegnen sein würde, dass die Rinderpest ein „contagiöserquot; Typhus genannt wird.
*) Magazin von Gurll and Hertwig. Bd. 30, II. 3. 1864. **) Oesterreichische Vierteljahrsschrift. Bd. 23, li. 1.
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Zwischen den österreichischen und russischen Professoren ist
nun Roloff*) als Vermittler aulgetreten. Derselbe bestreitet jede specitische Beschaffenheit der Exsudate, gesteht diesen weder eine wesentliche croupöse noch zellige Natur zu, lässt beide Arten von Exsudat vorkommen und fügt noch ein Drittes hinzu, eine „dipb-theritisclie Entartungquot;; alles dies soll neben einander in ver­schiedenen Combinationen vorkommen, je nachdem die Iieizung grosser oder geringer gewesen sei. Die locale Erkrankung der Schleimhaut lässt er primär in Folge der directen Einwirkung der Ursache (des Contagiums) auf die Schleimhaut entstehen, in Folge dessen erst ein allgemeines Leiden eintrete. Ich halte diese Ansicht für eine jugendliche üehereilnng in dem edlen Eifer für die Zellen-pathologic; bei eigenem Material unter den Füssen hatte R. wohl nie zu dieser Ansicht kommen können.
Fürstenberg**) spricht sich gegen den Typhus aus, er sieht dagegen eine grosse Aelmiiehkeit mit Diphtheritis, die in der Rachenhöhle, dem Kehlkopfe und der Luftröhre auftritt, während im Magen und Üarmkanale solche pathologische Veränderungen auftreten, wie man stets bei der Cholera begegnet. Rueff***) spricht sich für Diphtheritis aus-
Dr. Murchisonf) kann die Rinderpest mit Abdominaltyphus, Kriegstyphus, Influenza, Ruhr, Erysipelas oder Scharlach des Menschen nicht vergleichen, findet aber die grösste Aehnlicbkeit mit den Menschenpocken. Auf diese Ansicht hin wurden Impf­versuche mit Pocken als Schutzmittel angestellt, aber ohne Frfolg. In Folge dessen hat man denn auch diese Aehnlicbkeit fallen lassen, die schon vor mehr als 150 Jahren Ramazzini venmlasst hatte, die Rinderpest Pockenseuche zu nennen.
Mit dieser bunten Musterkarte schhesst nun die Geschichte gegenwärtig ab; der Schluss befriedigt nicht, er führt uns Diffe­renzen und Widersprüche gerade in den wesentlichsten wissen­schaftlichen Punkten vor die Augen. Ich kehre zu meinem Stand­punkte in der Rinderpest zurück und will versuchen, wie weit es
*) Magazin. Bd. 31, S. 488. **) KeiseberieJit. Separatabdmck aus den Annalen tier Lamhvirth-schaft. 186G.
***) Repertoriom. Bd. 37, H. 4. f) Dritter Bericht der englischen Commission etc. 1866.
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mir zur Zeit müglicli ist, das Sachverhältniss klarer zu legen. Zu diesem Zwecke will ich die nackten Thatsachen vonvegschicken und mit der Theorie hinterher kommen.
Thatsachen.
1.nbsp; nbsp;Unter Hinweisung auf den folgenden Abschnitt will ich hier nur als wesentlieho Thatsache hervorheben, dass sich bei der Rinderpest ein eminentes, flüchtiges Contagium ent­wickelt, wie es von keiner zweiten Krankheit be­kannt ist, dass dieses Contagium erst hervortritt mit den ersten Krankheitssymptomcn, dass es an verschiedenen, wahrscheinlich an allen Wiederkäuern, aber auch nur an diesen haftet, dass in ganz Europa noch keine, ohne Ansteckung entstandene Rinderpest nach­gewiesen worden ist, und dass ein zweites ätiologisches Agens überhaupt fraglich ist. Hierdurch allein schon steht die Binderpest als eine ganz besondere, speeifische Krankheit da.
2.nbsp; Die Wirkung des Ansteckungsstoffes und die Ent-wickelung der Rinderpest ist genau dieselbe, ob das Contagium mit einem Tropfen Pestschleira unter die Haut gebracht oder mit der Luft eiugeathmet wird. Es äussert seine eigentliche Wirkung nicht an der Stelle der directen Einwirkung; an der Impfstelle sehen wir eine locale Wirkung wenig oder auch gar nicht über den traumatischen Reiz hinaus­gehen, wenn die eingeimpfte thierische Materie sonst nicht fauliger Natur ist; bei der Aufnahme des Ansteckungsstoffs aus der Luft in den Luftwegen ereignet sich hier niemals eine primäre Local-affection, die Luftwege erkranken trotzdem nicht früher als die Verdauungswege, und nicht früher und stärker, als nach der Ein­impfung an der äussern Körperfläohe. Demnach kann die erste Einwirkung nicht an die Stelle der directen Berührung gesetzt werden, mindestens kann diese locale directe Einwirkung nicht als der Ausgangspunkt der weitern Entwickelung der Rinderpest betrachtet werden.
3.nbsp; nbsp; Ein fieberhaftes allgemeines Erkranken geht dem localen Krankheits-Processe voran. Noch ehe eine Spur von Krankheit äusserlich erkennbar ist, weist das Ther­mometer schon eine Temperatur-Steigerung von 1 bis 2deg; C. nach; ich fand diese Temperatur - Erhöhung 24 bis 30 Stunden vor dem Eintritte anderer Krankheits-Erscheinungen;
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Sanderson*) fand die Temperatur sogar schon 36—48 Stunden nach der Impfung um 2—B1^ 0 F. erhöht und sah anderweitige Symptome erst 2 Tage nach der Temperatursteigerung eintreten. Mit der Temperatursteigerung zugleich tritt eine plötzliche Ver­minderung der Milchsccretion ein; dies ist so sicher, dass man hei Milchkühen auch ohne Thermometer die Ex-krankung schon 24—36 Stunden vor dem Eintritt anderweitiger Erscheinungen erkennen kann. Mit dieser Beohachtnng stelle ich ehenfalls nicht allein da. Bruckmüller**) hatte Gelegenheit, seine desfallsigen Beobachtungen an 156 Milchkühen anzustellen, und immer fand er eine Abnahme in der Milchergiebigkeit mindestens 24 Stunden, oft aber auch 36 Stunden vor dem Eintritt anderweitiger Krank­heitserscheinungen. Die nervösen Aufregungen, die Gehirnreizungen sind, wo sie vorkommen, stets mit die ersten auffälligen Zufälle, die gewöhnlich zu verschwinden pflegen, wenn die Erkrankungen der Schleimhäute sichtbar werden. Ich habe nur Avenige einzelne Elllle dieser Art zu beobachten Gelegenheit gehabt, ich finde aber diese Beobachtung in der Litteratur mehrfacli; so sagt auch Spinola: „Die Aufregungsperiode (bei dem Ausbruche) hält in der Eegel nur einen Tag an.quot;
Endlich sind auch Indicien von einer Veränderung des Blutes in erster Linie vorhanden. Ich habe leider nicht Gelegenheit ge­habt, auf meinen Wanderungen Untersuchungen oder doch wenigstens Beobachtungen über das physikalische Verhalten des Bluts zur Zeit der Temperaturerhöhung vor den localen Krankheitserschei­nungen anzustellen, von Andern sind mir keine derartigen Beob­achtungen, selbst auf specielles Ersuchen an Collegen, in ver­pesteten Districten bekannt geworden, es fehlt mir deshalb der directe Beweis für die frühere Erkrankung des Blutes. Die spätere Veränderung des Blutes auf der Höhe der Krankheit und nach dem tödtlichen Verlaufe — die hyperniotische und liyper-carbonische Beschaffenheit nebst Verlust der Gerinnungsfähigkeit, die man stets bei hypercarbonisirtem Blute findet — will ich hier nicht heranziehen, weil sie sehr wohl von den localen Erkrankungen bedingt sein kann und wahrscheinlich auch bedingt ist. Daraus aber, dass die localen Processe mit Hyperämie beginnen und sich hierbei sofort eine erschwerte Circulation in den Capillargefässen
*) Dritter Bericht etc. 1866. **) Vierteljahrsschrift von Müller u. Köll. Bd. 27, H. 1. 1867
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bekundet, class alsbald starke Ausdehnung der Haargefasse, Stasen und Extravasationeu zu Staude kommen, dass ferner das ilamatiu sehr locker an den Blutkörperchen haltet, alsbald in das lilut-serum und mit diesem in die überliachliehe Gewebsschicht tiitt, was uns sehr bald durch einen weitem chemischen Act, durch Bildung von Schwefeleisen und dadurch bedingte schwärzliche riginentirung an der Oberfläche der Schleimhaut deutlich vor die Augen tritt, hieraus halte ich mich wissenschaftlich zu der Folge­rung berechtigt, dass eine Veränderung, eine Erkrankung des Blutes schon bei der Entstehung der Krankheits-processe in den Schleimhäuten vorhanden ist.
4. Die localen Rinderpestprocesse nehmen ihren Verlauf in der Schleimhaut und nebenbei oft auch stellenweis in der äussern Haut. Die Erkrankung der Schleimhaut ist eine diffuse und sehr extensive, fast alle Schleim­häute leiden mehr oder weniger, nur nicht in gleichem Grade, am constantesten sind die Schleimhäute der Verdaiuiugs - und Respirations-Organe erkrankt, und am intensivsten finden wir die Erkrankung immer im vierten Magen, Dünndarm und am Ende des Mastdarms, an. den Lippen, am Zahnfleische, in der Rachenhöhle, dem Kehlkopfe und dem obern Ende der Luft­röhre, üeberall ist der Process, von den Gradverhält­nissen abgesehen, wesentlich derselbe, nirgends steht er in einer andern Beziehung zur üesammtkrank-heit, nirgends kann man ihn als etwas Secundäres oder als zufällige Complication ansehen, und wenn dies geschieht, so führt das nothwendig zur schiefen Beurtheilung der Natur der Rinderpest, üeberall, auch an den erwähnten Lieb­lingsstelleu, verläuft der Rinderpestprocess wesentlich an der Oberfläche, in der obersten, Epithel bildenden und absondernden Fläche (dem Stratum des epithelialen Keimgewebes), sei es auf der Ebene, sei es in den sack- und cylinderförmigen Einstülpungen (den Lab-, Schleim- und Lieberkülm'schen Drüsen), und zugleich in den eingelagerten nach aussen geschlossenen lymphoiden Drüs-chen (Follikelu), in deren cytogeuen Substanz. Eine regelmässig tief in das Schleimhautgewebe gehende Erkrankung habe ich mit Braue 11 nicht gefunden. Ravitsch hat nun freilich das Gregen­theil behauptet, und vor meinen eigenen Untersuchungen hatte auch ich seine Ansicht adoptirt, ich habe aber immer vergebens nach Proliferation der Bindegewebskörper und starker zelliger
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Infiltration des ganzen Schleiiubautgewebes gesucht. Ich muss deshalb dabei stehen bleiben, der Rinderpestprocess in der Schleim­haut ist ein sehr extensiver, aber immer auf die Oberfläche beschränkter und in diesem Sinne wenig intensiver, in letzterer Beziehung geht er eigentlich nicht über die Grenzen eines ausge­bildeten Catarrhs hinaus.
5. Bei diesen Processen treten capilläre Hyperämie, exorbitante Zellenwucherungen und sehr schneller, allgemeiner Zerfall der ueugebildeten Zellen in den Vordergrund.
a.nbsp; nbsp; Die Hyperämie tritt in erster Linie auf, sie zeichnet sich durch die bedeutende Erweiterung der Capülargefässe, häufige Extravasatioucn im Bereiche der kleinen Gefiisse und Capillaren und durch Diffusion des Blutfarbstoffs aus.
Je nach der Intensität der primären Hyperämie treten auch die weitern J'rocesse in verschiedener Intensität auf. Bei und mit der nachfolgenden Zellemvucherung tritt bald eine Rückbildung der Hyperämie ein, am frühesten scheint sie in der Magen- und Darmschleim haut zu verschwinden, hier trifft man schon am vierten und fünften Tage der Krankheit die Röthung nicht mehr oder nur noch sehr beschränkt an; die nachfolgende Schwärzung steht in gleichem Verhältnisse mit der Intensität der vorherge­gangeneu Röthung, besonders mit der Diffusion des Blut­farbstoffs, nur der diffundirte Blutfarbstoff bildet die Grundlage der nachfolgenden schwarzen Pigmentirnng durch Verbindung des Eisens mit Schwefel.
b.nbsp; nbsp; Die Zellenwucherung ist in einem excessiven Grade vorhanden, wie kaum bei einer zweiten Krankheit, sie er­streckt sich auf die Keimzellen des Epithels und bedingt dadurch Desquamation auf die Zellen in den ab­sondernden Drüsen der Schleimhaut und auf die lymphoiden Zellen in den Follikeln. Ueberall beginnt die Wncherung nach den physiologischen Typen, an leicht erkrankten Stellen bleibt es hierbei, bei luxuriösen Bildungen artet die Hyperplasie in die gewöhnliche Form der Eiterkörper-produetion aus, so namentlich auch in den Follikeln, in denen die normalen Zellen, die Lymphkörperehen, den Eiterkörperchen so nahe stehen. Die in der stürmischen
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Zellenwucherung gebildeten Eiterzellen sind epithelialen und lymphoideu Ursprungs zugleich.
Alles, was ich bis jetzt über den Krankheitsprocess in der Schleimhaut vorgeführt habe, kommt, mit Aus­nahme der eigenthümlichen Verhältnisse bei der Hyperämie, qualitativ bei jedem ausgebildeten Catarrh auch vor; das wahre Specifische ist hierbei aber, wie Ravitsch schon in seiner Entgegnung auf Bruckmüller's Einwürfe sein- richtig urgirt hat.
c.nbsp; nbsp; Das schnelle Zerfallen der neugebildeten Zellen und Kerne. Ich möchte die Zellen unreife Kinder nennen, die nicht lebensfähig geboren sind. Die sofort nach der Geburt eintretende und selbst schon bei der Geburt vor­handene regressive Metamorphose ist hauptsächlich ein Verfettungsprocess, der in den Kernen beginnt, dann in der nächsten Umgebung der Kerne und endlich in der ganzen Zelle auftritt, sich durch das Auftreten von kleinen Körnclien zu erkennen giebt, welche sich bei weiterer chemischer Prüfling als kleine Fetttröpfchen ergehen, die nicht zusammentreten, sondern isolirte Körnchen bleiben. Mit der Verfettung tritt nicht selten auch die verwandte, eigentlich wohl nur modificirte Metamorphose, die Verkäsung besonders in den Follikeln auf, indem die grosse Zellenmasse weniger flüssige Intercellularsub-stanz enthält, diese immer mehr verliert und so bei dem Verfettungsprocess bald eine käsige Masse darstellt, die noch trockner und fester werden und Knoten bilden kann. Die Follikeln treten uns deshalb in verschie­denen Stadien als gefüllte Bälge, als kleine Abscessc, als Knoten — Einderpesttuberkeln — und auch als zerplatzte und halb oder ganz entleerte Säcke entgegen, wenn sie nicht ganz ausgefallen sind und von ihnen nur das Lager noch zu erkennen ist. •
d.nbsp; nbsp; Zuweilen und immer nur an einzelnen begrenzten Stellen, namentlich im vierten Magen und Dünndarm, geht der molekulare fettige Zerfall über die neugebildeten Zellen hinaus auf die Schleimhaut, er beginnt dann immer in der äussersten Schicht, beschränkt sich meist hierauf, geht aber unter besondern Umständen, also immer nur ausnahms­weise tiefer, selbst bis zur Muscularis.
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G. Mechanische Insulte steigern die Processe in der Schleimhaut und können zur (xewebszerstörung bis zur Perforation führen. Solche mehr oder weniger tief gehenden Gewebszerstörungen können durch einen necrobiotischen Vorgang — molekularen Zerfall —, durch Necrotisirung oder auch durch Ulceration geschehen. Andeutungen von der Wirkung solcher mechanischen Insulte haben wir überall da, wo die Schleimhaut in Falten gelegt ist, wie z. B. im Pförtner und am Ende des Mastdarms, hier ist die Schleimhaut auf dem Rücken der Falten immer am stärksten erkrankt; die ab und an beobachteten Perfora­tionen des Wanstes, namentlich einzelner Blatter im Psalter sind so scharf begrenzte Erkrankungen, dass sie immer auf mechanische Einwirkung schliessen lassen; gerade der Umstand, dass man diese Verscborfung bis zur Perforation nicht an den kränksten Stellen, nicht im vierten Magen und Dünndarm, sondern in dem ersten und dritten Magen ündet, wo die Schleimbaut kaum wahrnehmbar erkrankt, lässt auf eine mechanische locale Einwirkung von den Futtermassen amp;us schliessen; an der Glottis findet bei erheblicher Erkrankung der Kehlkopfschleimhaut immer eine tiefer gehende Läsion an den zugekehrten Flächen, die auf der Höhe der Ex-spiration zusammenstossen, statt.
Alles, was solche mechanischen Insulte bringt, ist ungewöhn­lich und darf nicht dem Iliuderpestprocesse zugezählt werden.
7. Croupöse, diphtheritische und exuleerative Pro­cesse kommen nicht vor.
Croupöse Exsudate babe ich in Uebereinstimmung mit Brauell, Ravitsch und Beale nicht gefunden; die platten-förmigen Auflagerungen sind stets aus Zellen und Kernen im Zu­stande der regressiven Metamorphose, im molekularen Zerfall, und einer klebrigen Substanz zusammengesetzt. Diese Platten sind reine Auflagerungen, stehen nicht mit der Schleimhaut in einem Continuum. Die morphologischen Elemente dieser Platten stammen aus dem Wucherungsprocesse an der Oberfläche und in den erwähnten verschiedenen Drüsen.
Diphtheritis*), necrotische Verscborfung kommt bei der
*) In Rücksicht auf manche Leser erlaube ich mir die erläuternde Be­merkung, dass die diphtheritische Entzündung eine specifische ist, bei der ein Exsudat in der obern Schicht der Schleimhaut oder Haut abgelagert wird und das mit diesem Exsudat durchdrungene Gewebe (wahrscheinlich durch Compression der Capillaren) abstirbt und zerfallt.
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Rinderpest auf der Schleimhaut ebenso wenig vor, es ist dies mindestens kein stellender, der Biuderpest angehörender Zustand; ich habe sie ebenso wenig, als Braueil und Ravitsch gefunden.
Ebenso kann ich auch bei der Rinderpest eine eiterig-ulcerative Einschmelzung des Schleimbautgewcbes resp. Haut­gewebsc, eine sogenannte Vereiterung, Exulceration, d. b. Eiterung mit Substanzverlust, Geschwürbildung zugeben. Die hier und da angegebenen Geschwüre sind entweder nur Defecte von ausgefallenen solitären Drüsen oder von dem bereits erwähnten fettigen Zerfall gewesen; haben sich in dergleichen Defecten auf der Schleimhaut vegetabilische Reste eingelagert oder sich puru-lente Schleimmassen angehäuft, so haben dieselben das Ansehen der necrotischen Verschorfung, resp. der eiterigen ülceration.
8. Der Verlauf ist a cut. In vier bis fünf Tagen nach dem Ausbruche erreicht die Krankheit ihre Höhe; die Genesung erfolgt zwar etwas langsamer, immer aber im Verhältniss Aev Schwere der Krankheit ziemlich schnell; eine Restitution der anatomischen Veränderungen in den Scbleinihäy.ten erfolgt ziem­lich schnell, so dass das Genesungsstadium selbst bei schwerer Erkrankung gewöhnlich nicht über 14 Tage hinausgeht.
Der Tod tritt in verschiedenen Stadien ein; in einzelnen, mehr seltenen Eälleu schon nach ein- bis zweitägiger Krankheits-dauer, und in solchen Fällen finden sich die Processe in der Schleimhaut noch wenig entwickelt; in der Regel erfolgt der Tod in der Zeit vom vierten bis achten Tage nach dem Ausbruche der Krankheit auf der Höhe der localcn Krankheitsprocesse; in manchen Fällen aber auch nach dem eigentlichen Verlaufe der Einderpest-processe, wo eine gewisse Restitution in der erkrankten Schleim­haut bereits begonnen hat.
Theorie.
An diese Thatsachen knüpfend will ich versuchen, die wesent­lichsten Erscheinungen in einen genetischen Zusammenhang zu bringen und das Wesen der Rinderpest festzustellen, so weit es eben hiernach möglich ist. Ich will mich hierbei streng an That­sachen halten und jede hypothetische Annahme fern halten, es werden deshalb auch noch Lücken in der Darstellung verbleiben, wie z. B. rücksichtlich der Entwicklung des Contagiums, es bleibt mir aber die Ueberzeugung, dass ich kein Luftschloss gebaut habe, dass doch die Grundpfeiler immer bleiben werden, wenn
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der innere Ausbau auch einmal ungenügend oder unmodern wer­den sollte.
Die Einderpest ist alles das nicht, wofür sie hei der Sucht, sie hei irgend einer bestimmten Krankheitsform im nosolögischen System (besonders der Menschenkrankheiton) unterzubringen, aus-gegehen worden ist; sie ist nicht Typhus, nicht einfache Entzün­dung, nicht ein croupös-exsudativer Process, nicht Diphtheritis, nicht Pockenkrankheit; sie hat mit allen in gemssenBeziehungen etwas Aehnlichkeit. bleibt aber immer eine eigenthümliche selhst-ständige Krankheit und bildet neben jenen fünf Krankheiten eine sechste.
Ich habe wohl nicht nöthig, den Unterschied von allen den erwähnten Krankheiten speciell hervorzuheben, ich darf auf den anatomischen Befund und speciell auf die mikroskopische Unter­suchung verweisen, nur den Typhus will ich hier noch etwas weiter berücksichtigen, der mit der Rinderpest offenbar die meiste Aehnlichkeit hat und behält.
Von dem „Typhus proprie sie dictus der Schulequot; unterscheidet sich unsere Rinderpest besonders:
1)nbsp; Durch das Nichtvorhandensein der Milztumoren und der Affection der Mesentcrialdrüsen. Wenn man auch letztere zu­weilen etwas sueculenter gefunden zu haben glaubt, so sind sie doch niemals so entschieden geschwellt und erkrankt, als beim Typhus, und was die Milz betrifft, so ist dieselbe beim Typhus ebenso constant geschwellt, als sie bei der Rinderpest normal ist.
2)nbsp; Durch das Nichtvorkommen der Verschorfungen und Typhus­geschwüre im Darmkanal. Bei der Rinderpest sind die Follikeln zwar ebenfalls erkrankt; sie vereitern, fallen auch ganz aus, aber dieser Process geht nicht über die Follikeln hinaus; eine markige Infiltration des Bindegewebes, wie Virchow bei dem Typhus neben den Follikeln gefunden hat, kommt bei der Rinderpest nach meinen Beobachtungen nicht vor, und die Erkrankung anderer, gelegentlich aller Schleimhäute in gleicher Weise.
3)nbsp; Durch die regelmässige Erkrankung der Luftwege, der Maul- und Bachenhöble, die keineswegs etwas Zufälliges, Unter­geordnetes und Secundäres ist, die ebenso wesentlich ist, wie die Erkrankung der Dünndarmschleimhaut.
4)nbsp; Durch den sehr acuten Verlauf und
5)nbsp; durch die eminente Ansteckungsfäliigkeit in allen Fällen, selbst in den gelindesten Graden, bei denen die Symptome so leicht
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sind, class man gar nicht an Typhus denken kann; während der Typhus gewöhnlich nicht ansteckt.
Der eigentliche contagiöse Typhus — exanthematischer Typhus, Petechialtyphus, das Fleckfieber, mit welchem Lorinser nament­lich die Kinderpest verglichen hat, zeigt anatomisch noch viel weniger Aehnlichkeit, nicht einmal der Darm bietet constant so etwas Aelmliches dar, als der gewöhnliche Typhus; hier ist es mehr die Ansteckungsfähigkeit, die eine entfernte Aehnlichkeit bedingt: die Ansteckungsfähigkeit ist aber so beschränkt, dass man sie durchaus nicht mit der bei der Rinderpest vergleichen kann, wenn man auch einseitig genug sein und die wesentlichen anatomischen Differenzen ignoriren wollte.
Das Specifische, was die Rinderpest entschieden hat, ist be­dingt durch den specitischen Urheber, das unbekannte Etwas, das wir Ansteckungsstoff nennen und der sich in der Krankheit rege-nerirt. Es ist ziemlich gleichgültig, ob es noch eine andere specifische Schädlichkeit giebt; sollte es eine solche geben, so muss sie nothwendig dieselbe pathogenetische Wirkung haben; für uns in Europa aber existirt zur Zeit kein anderer Urheber. Das Rinderpestcontagium dringt in den Organismus ein und bedingt nach einigen bis mehreren Tagen allgemeine Erkrankung — eine contagiöse Blutvergiftung, die nicht mehr und nicht weniger Räthselhaftes bat, als eine miasmatische Blutvergiftung. Die erste Einwirkung erfolgt auf das Blut, dieses erleidet die erste und directe Läsion, und die hierauf erfolgende erste Action (nach frühern Anschauungen „Reactionquot;) ist im Gebiete des Nerven- uud Gefässsystems gegeben und ausgesprochen durch die allgemeine fieberhafte Erkrankung, besonders durch Temperaturerhöhung, ver­minderte Secretionen (Milchsecretion), nervöse Atonie und Hin­fälligkeit und in einzelnen Fällen selbst durch sensorielle Reiz­phänomene. Von der Aufnahme der Ansteckungsstoffe bis zur ersten Action vergeht immer ein gewisser Zeitraum ohne irgend welche wahrnehmbare Veränderungen und Störungen; was in dieser Zeit vorgeht, das wissen wir nur annäherungsweise aus den End­resultaten, nach denen es unbestritten ist, dass sich in dieser Zeit die erste Läsion ausbildet und das Contagium regenerirt, weil eben mit der ersten wahrnehmbaren Action (Reactionen) das Ansteckungsvermögen zugleich eintritt. Eine weitere Läsion quot;in zweiter Instanz ereignet sich alsbald und constant an den Schleim­häuten besonders der Verdauungs- und Respirationsorgane, in
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denen die Blutvergiftung gemssermassen ihre Entladung findet. Die erste Läsion im Blute kennen wir nicUt näher, weder die Chemie, noch das Mikroskop hat darüber his jetzt Aufschluss ge­geben: wir erlceunen nur uns verselhedenen bereits näher erwähn­ten Umständen eine Alteration des Blutes; wahrscheinlich betrifft sie die mprphologischen Elemente, die Blutkörperchen. Die zweite Läsion mit ihren Actionen, der locale Irritationsprocess in den Schleimhäuten liegt uns jetzt specieller vor; wenn hier auch noch Mancherlei zu ergänzen sein wird, so kennen wir doch der Haupt­sache nach die Processe. Wie diese zweite Läsion zu Stande kommt, bleibt insofern fraglich, als zwei Möglichkeiten #9632;vorliegen, einmal, class das alterirte Blut als solches die Ursache ist, und zweitens, dass das Contagium selbst von dem Llute aus oder in Verbindung mit Blutbestandtheilen auf das Schleimhautgewebe und speciell auf da's Keimgewehe des Epithels, auf die Drüsen und Follikeln einwirkt; wie dem aber auch sei, ein specifischer Heiz wird von dem intoxirten Blute aus gesetzt. Dass diese zweite Läsion, die locale Erkrankung der Schleimhaut nicht nothwendig ist zur Regeneration des Ansteckungsstoffes, ergiebt sich aus der bereits vorhandenen Ansteckungsfähigkeit, wenn die ersten Spuren von Localaffectionen eintreten; dass aber auch bei diesen secundären Schleimluiutcrkraukungen die Regeneration nach fortdauert, folgt aus der zunehmenden Intensität des Ansteckungs-Vermögens. Das Contagium hört jedoch schliesslich und zwar binnen etwa sieben Tagen auf, eine specifische Krankheitsnoxe zu sein, wenn durch die Läsionen jede Empfänglichkeit erschöpft worden ist; deshalb können die Patienten mit einer sehr grossen Quantität Contagium im Leibe genesen, während sie schon durch eine geringe Quantität er­kranken. Die secuudäre Erkrankung der Schleimhäute offenbart sich unbedingt als eine l-a-nährungsstörung; Ravitsch ist vollkommen im Hechte, wenn er die Erkrankung der Schleimhaut so nennt; diese Bezeichnung gehört zu den vorsichtigen, aber auch zugleich zu den vielumfassenden, die häufig passt, deshalb aber auch an sich wenig sagt. Solche generellen, elastischen Ausdrücke passen nicht recht mehr; wir haben hier eine Ernährungsstörung, bei der die wesentlichen Attribute der Entzündung gegeben sind; ich nehme deshalb gar keinen Anstand, dieEriopankung der Schleimhäute- als eine specifische, eine „toxische Entzündungquot; zu bezeichnen. quot;Wie die An-steckungsstofle der Pocken und der Lungenseuche bestimmte- speci­fische Entzündungsnoxen setzen, so auch das Rinderpestcontagium.
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Will man die Entzündung der Schleimliaut bei der Rinderpest
mit irgend einer andern vergleichen, so stehen die erysipelatösen wohl am nächsten zur Hand; der gewöhnliche Sitz der Erysipelas in der Haut kann fliesen Vergleich nicht beeinträchtigen, ich will mich aber bei den Vergleichen mit andern ähnlichen Entzündun­gen weiter nicht aufhalten, ich will daher die Entzündung hei der Rinderpest kurz dahin präcisiren, dass sie als eine diffuse Affection ohne prominente.Heerde auftritt, sich auf die oberste Schicht der Schleimhaut, auf das Gebiet der Absonderung und Zellenproduction be­schränkt, acut verläuft und mit luxuriöser Bildung lebensunfähiger, sofort der Fettmetamorphose unter­liegender, und körnig zerfallender Zellen (epithel i a 1 e und lymphoide Zellen. Eiterkörper) verbunden ist. Dieselbe Entzündung tritt auch an der Obetfläche der Cutis auf, aber nicht constant und mehr stellen weis in exunthematischer Form, nur selten sieht man eine diffuse Verbreitung und dann gewöhnlich nur in geringen Graden.
Der tödtliche Verlauf ist selten das directe Ergebniss einer allgemeinen Intoxication, nur in den hallen, wo der Tod schon innerhalb der ersten zwei Ins drei 'Fuge bei geringer Local-affection eintritt, ist dies anzunehmen: der Regel nach sind es wohl die secundärcn Krunkheitspruccsse in den Schleimhäuten, die den Tod verursachen, der gewöhnlich in der Zeit vom vierten bis achten Tage eintritt und bei dem man die Schleimhautleiden immer auf einer gewissen Höhe findet; die Trocesse auf der Schleimhaut greifen nicht tief in das Gewebe ein, es ist daher wohl die ungewöhnliche Extension auf fast alle Schleimhäute. Schon die einfache Desquamation ist in solcher Extension eine schwere Läsion. wie uns die Catarrhe in dieser Verbreitung genugsam zeigen. Wenn wir uns nun die nachhaltige Zellen­wucherung nebst fettigem Zerfall, die dauernde Desquamation und Eiterung in den adcnoiden Gebilden denken, so bedarf es wohl kaum noch eines andern specifischen Factors zur Vernich­tung des Lebens. Das sogenannte bösartige Catarrhalfieber der Rinder, welches ebenso tödtlicb ist und in derselben Zeit schon tödtet. als die Rinderpest, beweist, dass es bei den Wiederkäuern nur einer sehr extensiven entzündlichen Erkrankung der Schleim­haut zum fast regelmässig tödtlicheu Verlaufe bedarf. Diese Erscheinung hat man missverstanden, man hat- bei dem
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bösartigen Catarrhalfieber aach etwas Speoifischem gesucht, die Schleimliauterkrankuiig für bösartig gehalten und sie auch zu den Typliuskraukliciten gezählt, während sie doch rein entzünd­licher Natur ist.
Die Rinderpest gehört zu den Intectionskraiikheiten. den so­genannten zymotischen Krankheiten; das Specifische derselben verliert sich bei der loealen Erkrankung der Schleimhaut bald. die specifische Noxe muss nothwendig schon sehr geschwächt und selbst schon verschwunden sein, wenn die Kxankheitsprocesse in der Schleimhaut abnehmen, und eine solche Abnahme beginnt schon mit etwa dem siebten Tage, in leichten hallen früher, und damit nimmt die Lebensgefahr alsbald ab, die schon nach einigen Tagen beseitigt ist. Der Tod, der nach dem achten oder neunten Tage eintritt, erfolgt eigentlich nicht mehr an der Rinderpest selbst, sundern entweder in Folge einer uner­warteten schädlichen Einwirkung auf die kranke Schleimhaut oder in Folge des Lungenemphjsems. Im erstem Falle nennt man die neue Verschlimmerung einen Rückfall, womit man aber nicht den Begriff verbinden darf, als habe die Rinderpest selbst sich wieder gehoben, sondern irgend welche Insulte haben auf die er­krankte Schleimhaut eingewirkt und einen einfachen neuen Ent­zündungsreiz gesetzt; dies kann #9632;/.. \\. durch Erkältungen erfolgen, geschieht aber meist dadurch-, class der Appetit früher wiederkehrt als das Epithel in den Verdauungsorganen: eine etwas feste Sub­stanz, etwas Heu aufgenommen, bringt sofort Verschlimmerung lediglich durch mechanische Insultation.
Das interlobuläre Luugenemphysem, welches sich bei schweren Erkrankungen immer zeigt. hat seinen Ursprung nicht in dem lange angehaltenen Athmen, wie Sanderson*) glaubt, dies ist erst Folge des Emphysems und zeigt sich auch in der Atliemnoth hei der Lungenseuche, sondern lediglich in der Erkrankung und Desqua-mation der Schleimhaut in den Broncmen und deren Endungen, den sogenannten Terminalbläschen. Dieses interlobuläre Lungenemphyseni ist übrigens unter allen ümsüiudeu der Ausgangspunkt des Haut­emphysems, welches aber nur bei einem grössern Umfange und nament­lich bei einer gewissen Lage des Lungenemphysems eintritt. Das Hautemphysem ist demnach keineswegs ein Zersetzungsprodukt und deshalb auch kein Zeichen von Sepsis, die überhaupt nichts der
*) S. Dritten englischen Bericht etc.
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Einderpest besonders Angehöriges ist, wie maji früher fast allge-mein annalun und auch jetzt noch von Einzelnen, so z. B. von Rueff*) angenommen wird**).
Die Rinderpest in toto ist von Anfang bis zu Ende so durch­aus specifisch, dass sie mit keiner Krankheit des Menschen so ganz zu vergleichen ist: alle dergleichen Versuche sind als luiss-lungen zu bezeichnen. Solche Vergleichungen waren ehedem aller­dings gerechtfertigt, wo es noch keine wissenschaftliche Thierheil-kunde gab und Menschenärzte bei der Seuche zu Rathe gezogen werden mussten, die sich ganz natürlicher Weise in ihrem Gebiete nach Analogien umsahen; jetzt aber haben sie einen reellen Werth nicht mehr, weil dadurch unsere Einsicht, unsere Kenntnisse, um so weniger gefördert werden können, als alle ähnlichen Krank­heiten nicht besser, manche kaum so gut bekannt sind, als wir die Rinderpest jetzt kennen. AVill man einen Nichtsachkundigen mit wenigen Worten etwas über die Rinderpest orientiren, so ist ein Vergleich mit einer bekannten Menschenkrankheit ganz zweck-mässig, und zu diesem Zwecke behalte man ja den am meisten bekannten „Typhusquot; bei, denn zu leugnen ist es nicht, dass die Rinderpest hiermit immer noch die meiste Aehnlichkeit hat.
Es ist aber weder praktisch noch wissenschaftlich gerecht­fertigt, die Rinderpest geradezu „Typhus'1 zu nennen, weil hierin nicht das ganze Bild der Rinderpest gegeben ist, und das Speci-fische in diesem Namen eigentlich verschwindet und selbst durch den Zusatz „ansteckendquot; nicht gerettet werden kann; der an­steckende Typhus des Menschen ist immer noch lange keine Rinderpest. Uebrigens kommen bei unsern llausthieren und namentlich auch beim Rinde Krankheiten vor, die dem Typhus ganz und gar zur Seite gestellt werden können, wie Bruckmüller sehr richtig hervorgehoben hat und für die wir den Namen Typhus
*) Repertorium Bd. 27. II. 4.
**) Im Magazin von Gurlt und Hertwig Bd. 17, S. 199 habe ich die Entstehung des sporadisch vorkommenden allgemeinen Hautemphysems, welches bis dahin gewöhnlich zum Milzbrände gezählt wurde, direct nach­gewiesen. Bei der Rinderpest hat es ganz dieselbe Genesis; die Luft tritt aus dem vordem Mittelfellraome neben der Luftrühre zunächst vor die Brust, oder sie geht zwischen den Blättern des Mediastinums aufwärts zur Wirbel­säule und kommt neben derselben heraus; sobald sie nicht von der serösen Haut abgeschlossen ist, findet sie kein Hinderniss im Fortrücken, welches das mechanische Druckmoment beim Atbmen bedingt.
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ebenso wenig entbehren, als wir sie mit Rinderpest identificiren können, üeberdem wird der Name „Typhus1- jetzt vielfältig ge-missbraucht und für Kranklieiten verwendet, die ebensowenig Typhus, als Rinderpest sind. Lassen wir also ja diesen Namen bei Seite, um die Verwirrung nicht noch zu fördern, und wir können ihn um so mehr fallen lassen, als wir für unsere Krank­heit sui generis einen vortrefflichen Namen in dem Worte „Rinder­pestquot; haben, vortrefflich, weil er kurz und bündig und unverfänglich ist, keinen Nebenbegriff aufkommen lässt und dabei uns zugleich die Verbreitung und Verheerung kundgiebt. Auch nichtdeutschen Völkern ist der Name „Rinderpestquot; — pestis boum — zu empfehlen, der Gegenstand ist wohl wichtig genug, um eine andere Sprache mit diesem deutschen Wörtchen zu bereichern.
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ÄBTHEHMG II. Aetiologie.
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Capitel '/.
Die Selbstentwicklung,
die autochthone oder ursprüngliche, originäre, freiwillige, spontane Entwickelung.
Die Frage, ob und wie eine Selbstentwickelung der Einder­pest vorkommt, ist von lioher Bedeutung für die Mittel und Wege zur allmähligen Belierrschnng der Pest, sie ist in neuerer Zeit #9632;wesentlieh gefördert, aber selbst noch nicht einmal für uns ausser-halh der Steppen zum Ahschluss gekommen; es bestellen noch Irrtliümer von grosser Tragweite; deshalb will ich etwas näher auf diesen Gegenstand eingehen.
Bis zu den ersten Decennien des 18. Jahrhundert^ war eine genuine Entwickelung noch selbstverständlich; wo die Pest auftrat, da war sie auch entstanden, und diejenigen Umstände, die vor mid bei dem Ausbruche obgewaltet batten und nach der abstracten Theorie wohl feindselig gewirkt haben konnten, waren die Jedes­maligen Ursachen: so erhielt man eine grosso Reihe von Schäd­lichkeiten als Ursache der Rinderpest. Witterungs- und locale Verhältnisse aller Art. giftige Substanzen in der Luft, Miasmen, etc. finden wir in der ganzen altern Literatur unter den Ursachen angeklagt. Mit der Entdeckung des Ansteckungs-Vermögens trat die erste Beschränkung ein, insofern, als man einzelne Districte und Länder kennen lernte, wo die Pest nur durch An­steckung hinkam. Seitdem hat nun die Selbstentwickelung fort­während an Terrain verloren. Camper und Haller traten schon in dem vorletzten iJeeennium des 18. Jahrhunderts als entschiedene
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Contagionisten auf, Camper*) sprach das Resultat seiner For-schungen in gewichtigen Worten aus: „Man hat seit 1711 bis auf diesen Tag nicht bemerkt, dass die Rindviehseuche von selbst entstanden wäre.quot; Adami**), ein Zeitgenosse von Camper, leitete dagegen das beständige Herrschen der Rinderpest im Oester-reiehischen noch von schlechter Pflege, Stauung, Witterung etc. ab. Die Verhältnisse klärten sich aber von dieser Zeit ab ziem­lich schuell, so dass schon zu Anfang unsers Jahrhunderts der Ursprung der Rinderpest bis in die Steppenländer zurückgedrängt war. Damit trat nun das Steppenvieh in den Vordergrund, ihm wurde eine besondere Anlage zur Rinderpest vindicirt. Lau-bender***), später auch Viborg und Andere, nahmen an, dass das Steppenvieh auch ausserhulb der Steppen ohne Ansteckung an der Pest erkranken könne. So big die Sache, als L or ins er's Werkf) erschien, wodurch aufgeräumt, was noch an veralteten Traditionen und Irrthümem vorhanden war, und ein gewisser Abschluss herbeigeführt worden ist. Die Endresultate der Lorinser­sehen Forschungen und Anschauungen lassen sich in folgende drei Sätze zusammenfassen:
1)nbsp; die Rinderpest entwickelt sich in den Steppen und zwar in allen, in den ungarischen, moldau'schen, wallachischen etc. Steppen ebensowohl als in den russischen;
2)nbsp; die Ursachen sind: a. eine besondere Prädisposition des steppenvieh s. der Steppenracen, und b. die in den Steppen ge­gebenen äussern Schädlichkeiten, bedingt durch den ehemaligen Meeresgrund der Steppen, die niedrige Lage, die häufigen Ueber-schwemmungen und theilweisen Versumpfungen, durch den Wechsel zwischen Mangel und Ueberfluss an Futter etc., und
3)nbsp; das Steppenvieh kann vermöge seiner Prädisposition unter Umständen auch ausserhalb der Steppen erkranken, und zxi diesen Umständen gehört namentlich alles Ungemach, wie es der Transport bei schlechtem Wetter und Wege es mit sich bringt, und verschie­
dene cosmische und tellurisclie Einflüsse. In der Einleitun
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„Chronik der Rinderpestquot; hat L. sich viel Mühe gegeben, bei den ungewöhnlichen Rinderpestseuchen in Europa die jedesmal statt-
*) Ueber die Ansteckung der Viehseuclie 1783 S. 33. **) Üeiträge zur Geschichte der Viehseuche in den K. K. Erhliindern. Wien 1781.
***) Gekrönte Proisschrift 1796. t) Untersuchungen tiher die Rinderpest. 1831.
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gehabten ausscronlcntlielien Naturereignisse — z. B. Cometen, Meteore, Erdheben, ungewöhnliche Kälte und Hitze, Uebersclnveiu-mungen, Misswachs, Heuschrecken etc. — aufzuzählen, die er zwar nicht geradezu als Ursachen beschuldigt, in denen er aber offenbar mit ein ursächliches Moment des Auftretens und der Verbreitung der Rinderpest wie auch mancher gleichzeitig bei dem Menschen vorgekommenen epidemischen Krankheiten gesehen hat. Diese Sätze wurden gewissermassen Lehrsätze, die bis heute noch anerkannt worden sind, von Einigen noch gänzlich, von An­dern mit einer gewissen Einschränkung, namentlich bezüglich der sub Nr. 1 erwähnten Verhältnisse; so stehen die Autoren der neuern pathologischen Lehrbücher, vor allen aber Spinola, noch wesentlich auf dem Lorinser'sehen Standpunkte.
Die graue Steppenrace war von jetzt ab ohne Ausnahme ver-urtheilt, in ihr lag der Keim, der überall zur Entwickelung kommen konnte; alle möglichen widrigen Einflüsse konnten die Pest in ihnen zur Welt fördern; alle Steppen in Europa, russische und ausserrussische, waren der Mutterboden, wo mindestens der Keim gelegt wurde. Durch schwunghafte Schilderungen der Steppen suchte man die ätiologischen Verhältnisse darzulegen. Diese Steppenschädlichkeiten waren je nach den meteorologischen Ver­hältnissen grosser oder kleiner, und davon hing es ab, ob die Pest sehr verbreitet oder nur selten auftrat oder für eine gewisse Zeit ganz verschwand. Die Steppenschädlichkeiten wirkten natürlich auf alles Steppenvieh ein; während nur ein grösserer oder gerin­gerer Theil offenbar erkrankte, trug der andere doch den Stoff, den Keim in sich; kamen nun solche nicht erkrankten Thiere unter widrige Einflüsse, so unterlagen sie der Pest. Zur Zeit des aus-1 ;#9632;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;gebreiteten Herrschens der Pest in den Steppen hatten die Steppen-
schädlichkeiten stärker gewirkt, die ausgeführte graue Steppenrace nahm dann natürlich auch eine grössere Dose latenten Peststoffs aus den Steppen mit und unterlag dann ausserhalb der Steppen der spontanen Pest um so leichter. So brachte man in der künst­lichsten Weise das häufige Auftreten der Rinderpest ausserhalb
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der Steppen durch genuine Entwickelung mit dem Herrschen der
Pest in den Steppen in Verbindung. Zum Theil ging man noch weiter, man betrachtete den Keim als etwas in der Race Gege­benes, Erbliches. Peterka kam dadurch sogar auf die Idee, die Anlage durch Aufziehen der Kälber mit Pferdemilch zu ersticken.
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Die Macht der Thatsachen schränkte jedoch das Terrain der Selbstehtyirickluiig trotz der Lorinser'schen Lehrsätze immer mehr ein. üeber die Ursache der Rinderpest indem österreichi­schen Kaiserreich müssen wir wohl die dortigen Herren Collegen als competente Richter ansehen, und diese, J. E. Veith*) an der Spitze, stellen nach den Ergehnissen strenger Nachforschungen in den einzelnen Seuchenfällen die genuine Entwicklung für alle Kronländer Oesterreichs in Abrede. Bruckmüller**) hat den neuern desfallsigen Erfahrungen Ausdruck gegeben und die genuine Entwicklung sowohl in Ungarn, als in irgend einem der österreichi­schen Lande widerlegt. Zlamal***) ist der Entstehung der Rin­derpest in Ungarn seit 30 Jahren mit Sorgfalt nachgegangen, immer aber hat er die Einschleppung gefanden.
Ungarn gehörte bis nachLorinser immer mit zu den Haupt­pestquellen, die angarischen Pusten wurden mit den russischen Steppen und die graue Steppenrace Ungarns mit denen Russlands bezüglich der Uinderpest-Eiitwickelung in eine Kategorie gestellt. Wer nun die Selbstentwickelung in Ungarn und in allen Kron­ländern Oesterreichs nicht anerkennt. der hat keinen Grund und somit auch kein Recht mehr*, die angrenzenden europäisch-osma-nischen Staaten —• Bosnien, Serbien, Wallachei und Moldau — mit der Selbstentwicklung der Kinderpest zu beschuldigen. In allen diesen Ländern ist denn auch die Entwicklung der Rinderpest in der That ebensowenig, als in Ungarn etc. nachgewiesen worden. Nun wird man sagen, dass die Consequenz sehr gefährlich sei, dass sie nothwendig weiter gehen und uns dahin führen müsste, die Selbstentwickelung auch in den angrenzenden russischen Step­pen zu bezweifeln. Ganz recht, gefährlich ist diese Consequenz aber doch nur für die bisherige Hypothese der Selbstentwicklung, ich habe mich deshalb sehr gern schon durch diese Consequenz dahin führen lassen, eine genuine Entwickeluug der Einderpest in den zum Gebiete des Schwarzen Meeres gehörigen Steppen etc. zu be­zweifeln, so sehr sie auch immer in erster Linie beschuldigt wor­den sind. Ich will deshalb den Leser bei dem Nachgehen der originären Entwickeluug jetzt nach Russland führen.
*) Handbuch der Vetoriniirkundp, dritte Auflage 1831. **) Prager Jahresschrift 1862 Bd. 2, S. 55 und später wieder in der Dorpat'schen Zeitung vom 7. November 1864.
***) Bericht über den zweiten internationalen Congress von Thierilrzten 1865, S. 33—34.
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Audi hier liegt Sie Sache jotzt ganz anders, als früher; das Veteriaärwesen entwickelt sich immer mehr, tüchtige Professoreu und Magister stehen an der Spitze, mit deren rastloser Thätigkeit auch hier schon eine Klärung begonnen hat. Wenngleich Lukin, wie uns Unter!)erger*) berichtet, in seinem Werke 1836 noch behauptet hat — vielleicht unter Lorinser's Einflüsse — class die Rinderpest in Russland überall entstehen könne und so hier die Ansicht wieder aufgenommen hat, welche 100 Jahre früher in Deutschland herrschte, so war doch zu jeuer Zeit das gemeine Volk durch seine Beobachtungen schon besser unterrichtet, welches, wie Lukiu seihst anführt, schon damals glaubte, class die Kinderpest aus den südlichen Gegenden durch das in grosser Anzahl herbeigetriebene Vieh eingeschleppt werde. Diese ursprüng­liche Volksansicht hat sich immer mehr bestätigt, so dass gegen­wärtig — wie Unterber-ger sagt — die grosse Majorität der Thierärzte und gebildeten Landwirthe der Ansicht ist, dass nur die Steppen und namentlich die südlich gelegenen die Heimath der Rinderpest seien. Bezüglich der Steppen walten die ver­schiedensten Ansichten ob. Das beschuldigte Podolien wird frei­gesprochen von Adamowitz, dem Professor der ehemaligen Veterinärschule zu quot;Wilna; das beschuldigte Charkow'sche Gouver­nement vertheidigt Haliki**), Director der dortigen Thierarznei-schule, der seit 27 Jahren oft die Einschleppung, aber nie eine Selbstentwickelung der Rinderpest beobachtet hat. Nach Haliki ist dagegen das südöstiieh von Charkow gelegene Land der Donischen Kosaken und das Jekaterinoslaws'sche Gouvernement der genuinen Entwickelung sehr verdächtig. Jessen hat die Gouvernements Cherson und Orenburg, namentlich die Kirgisen-Steppe in Verdacht; in seiner Broschüre ,.die Rinderpest und ihre Impfung etc. 1863quot; sagt .er S. 40 und 41. dass hier die Ursachen der Selbstentwicke­lung vorhanden sein müssten. weil die Impfungen bei dem Vieh von dort stets die günstigsten Resultate lieferten; derselbe äussert sich später aber auch dabin, dass eine Selbstentwickelung der Rinderpest in den Steppen noch nicht zu erweisen sei: beide Gouvernements werden von Jessen als sein1 ergiebige Quellen für die Verbreitung der Rinderpest nach Norden. Nordwesten und
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*) Ein quot;Wort über die Heimath tier Selbstentwickelung der Kinderpest. Abdruck aus den jffittheüungen der K. freien ükonomiseben Gesellschaft 1864. **) Broschüre iu russischer Sprache. 18()4.
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Osten angesehen, ünterberger hat dios auf seineu Reisen nach dem Süden Russlands nicht bestätigt gefunden. Im Gherson'schen erfuhr Unterbergei- von den (Jolonisteu, dass jedesmal, -wenn die Rinderpest in ihren Eeerden ausgebrochen, sie verlier schon in der Nachbarschaft grassixt habe, und schon früher IBSG erfuhr er im Orenburg'schen von den Kalmücken, dass die Pest nicht bei ihnen entstehe, dass die UeberSiedelung auf eine andere Steppe, wenn die Rinderpest in den benachbarten Heerdeu ausgebrochen, das beste Mittel sei. ihr Vieh zu bewahren. Sie glauben, dass die Pest aus dem Süden zu ihnen komme. Im östlichen Gou­vernement Simbirsk, wo U. 13 Jahre als Seuchenveterinär fungirt hat, sah derselbe niemals eine Selhstentwickelung, die Pest wurde gewöhnlich aus dem Orenburg'schen und Kasan'schen eingeschleppt. Dass sie sich aber auch in dem Kasan'schen nicht selbst ent­wickelt, wird von Thiele, frühem inspector der Militärbehörde im Kasan'schen, versichert. Heyne*) sagt, die Russen wollen die Rinderpest von den Kaukasieru, diese von den Persern, diese wieder von den Tartaren, Chinesen etc. eingeschleppt bekommen.
Dies die geschichtliche Sachlage in Russland; überall negative Resultate, nirgends die genuine Entwickelung nachgewiesen, alle directen Erfahrungen sprechen für die ausschliessliche Ansteckung. Das russische Comite**) ist bezüglich der Entstehung der Rinder­pest in Russland sehr zurückhaltend. Ravitsch***) imssert sich schon bestimmter und sagt: „Es giebt keine positive Facta, welche die Quellen der spontanen Erzeugung der Rinderpest mit Evidenz darthun könnten.quot; Am entschiedensten jedoch tritt Unter-berger hervor, der überhaupt bis jetzt allein die Lorinser'sehen Annahmen der Selbstentwickelung der Pest bei dem Steppenvieh ausserhalb der Steppen in Abrede gestellt und so einen freien Standpunkt gewonnen hat; er spricht seine üeberzeugung, als Endresultat seiner Forschungen, dahin aus:
„Die Rinderpest stellt auch für das europäische Russland eine Ansteckungskraukheit dar; ihre Geburtsstätte muss ausserhalb des europäischen Theils des Kaiserreichs und möglicherweise auch ausserhalb der Grenzen des Kaiserreichs gesucht werden.quot;
*) Handbuch der Zoo-Pathologie und Therapie. Zweite Auflage. 1852. S. 384.
**) Ravitsch. „Die Resultate der Rinderpest.1' Impfungen in Bondaxaoka und am balmysche.
***) Magazin. Bd. 30, 8. 355.
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Nacli allen diesen in üb sum errungenen negativen Resultaten tritt nun mit einem Male der Thierarzt Renelt*) im Witebski'-sdien Gouvernement auf und zeigt uns, wo die Sdbstentwickelung der Rinderpest beginnt. Renelt glaubt an eine geograpbisclie Grenze der genuinen Binderpest-Entwickelung zwischen Norden und Süden und nimmt auf der Grenze ein gemisclites Yerliältniss an, wo die Pest als Contagion und als Epizootic zugleich herrsche; von dieser Grenze ab soll die Fälligkeit der Seuche, sieh selbst zu entwickeln, nach Süden bis zur günstigsten Brutstätte gradweise zunehmen, während von der erwähnten Linie ab nördlich hin die Fähigkeit der genuinen Entwickelung aufhört. Im Witehski'sehen Gouvernemcut hat R. eine Panzootie beobachtet, in welcher Milzbrand, Rinderpest und Bauchtyphus mit blutigem Durchfall vorkamen, und in welcher, nach der Anschauung von Renelt, die Rinderpest aus den typhösen Processen in dem, durch verschiedene widrige Einliüsse geschwächten Verdauungssysteme (in Folge weiterer schädlichen Einflüsse — Anhäufung vieler Thiere in einem Stalle) hervorging, indem die Bösartigkeit den Grad erreichte, der durch die Entwickelung eines Ansteckungsstoffes „die Krankheit zur selbstständigen Weiterverbreitung mit der Eigenschaft der wirk­lichen Rinderpest befähigt!quot; So haben wir mit einem Male die Rinderpestscheide in Russland zwischen Norden und Süden kennen gelernt. R. hat übrigens noch weitere Beweise davon gegeben, dass er sich auf einem unzuverlässigen, ja geradezu irrthüinlichen Standpunkte befindet, indem er weiterhin eine „Panzootiequot; 1864—65 vom Misswachs herleitet, während es sich doch um weiter nichts, als um Infection mit Parasitenbrut handelt. Die Verblendung in ätiologischen Dingen ist immer noch sehr gross, und in dieser Verblendung benutzt man immer wieder die längst zu Grabe gegangenen Dogmen.
Wir sind bereits auf dem Punkte angekommen, wo der Metaschematismus in der Medicin nur noch als geistreiche Er­findung der Alten in stiller Erinnerung fortleben darf, es ist nicht mehr zeitgemäss, noch darin zu speculiren und in ähnlichen Erkrankungen Uebergangsformen namentlich zu so ganz absolut speeifischen Krankheiten, wie die Rinderpest ist, zu sehen; so verschieden die Rinderpest auch graduell auftritt, so bleibt sie doch immer dieselbe speeifische Krankheit, die leichteste Form
*) Magazin. Bd. 33, II. 2, S. 164.
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unter emfachen catarrhaliscben Ersflieinungeti bleibt immer die ansteckende Rinderpest, ebenso bleibt auch die ausgebildete Rinder­pest immer ganz wesentlich verschieden von Typhus, Ruhr, oder
wie man sonst die Krankheit nennen mag, welche unter ähnlichen Symptomen auftritt; die Ruhr kann ebenso mörderisch auftreten, wie die Kinderpest, wird aber nie Rinderpest.
Bei den vorangeschickten wissenschaftlichen Errungenschaiten ist es unmöglich geworden, noch eine specifisclie Disposition and in Folge deren eine genuine Erkrankung des Steppenviehes ausser-halb der Steppen aufrecht zu fvhalten; wer noch bei dieser An­nahme stellen bleibt, muss auch hei der spontanen Entvvickclnng in den Steppen stellen bleiben, und der hat keinen Grund, die eine oder die andere Steppe zu bevorzugen, der muss auch die Entstehung in den ungarischen und andern ausserrussisclien euro­päischen Steppen zugehen, ja selbst vertheidigen; die Erfahrung hat wenigstens bis jetzt noch keine Steppe besonders als Mutterland bezeichnet. Es kommt deshalb hier noch die Frage zur Erwägung, ob und welche Gründe es denn heute noch giebt. die spontane Erkrankung des russischen Steppenviehes ausserhalb der Steppen zu vertheidigen ?
Die erwähnten L or ins er'sehen Lehrsätze beruhen wesentlich: 1) auf dem Vergleich der Rinderpest mit dem ansteckenden Typhus des Menschen, den Lorinser nicht blos in symptomatologisclier, sondern hauptsächlich auch in ätiologischer Beziehung verfolgt hat und wobei er zu der Ansicht gekommt ist, dass ähnliche und gleiche Ursachen auch die Pest erzeugen; und 2) auf Identificirung der Ruhrseuche mit der Rinderpest (Magenseuche, Magenruhrseuche), welche Waldinger und Bojanns beschrieben haben, und welche nach Waldinger in den niedrigen Gegenden Ungarns jeden Sommer herrscht, wenn die Zugochsen in drückender Hitze vom frühen Morgen bis in die späte Nacht im Joche ziehen und täglich ein einziges Mal gefüttert und getränkt werden. Der Unterschied zwischen dieser in Ungarn entstehenden Krankheit und der Rinder­pest war nach Lorinser unwesentlich, nur noch ein wenig Bös­artigkeit durch Sumpfluft oder andere Schädlichkeiten dazu, dann war die Rinderpest fertig.
Beides ist irrthümlich, wie wir in der Diagnose und Pathogenese bereits gezeigt haben, und die Voraussetzung, dass die Rinderpest sich in den ungarischen Steppen spontan entwickelt, hat sich nicht bestätigt. Lorinser selbst würde unter diesen Umständen
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seine Ansicht über die spontane Entwickelung bei laquo;lern Steppenvieh sofort aufgeben. Heyne*) bat diese Ansicht zuerst bezweifelt. ünterberger — 1. c. — später• geradezu bestritten, sonst hat sie überall bis jetzt gläubige Aufnahme gefunden. Alle heutigen Anhänger, so weit sie ein selbstständiges ürtheil haben, stützen sieb auf laquo;lie beiden Thatsachen: 1) dass die Rinderpest bis jetzt noch jeden Krieg begleitet hat, in welchem russisches Steppenvieh den Armee-Corps folgte, und 2) dass die Pest unter den Steppen-beerden in weiter Ferne und oft erst ehiige Wochen nach Ankunft an Ort xind Stelle ausgebroebeu ist; diesen Thatsachen gehen die Lorinserianer eine unabweisbare Beweiskraft durch die Annähme, dass sie sich auch ereignet haben ohne Vorhandensein der Binderpest in den russischen Steppen. Diese Ahnahme bat man ohne weiteres auch als eine Thatsache angesehen, und darin liegt eben der Irrtbmn.
Die Rinderpest ist nicht bloss zn manchen Zeiten in den russischen Steppen, sie ist nach allen Beobachtungen der russischen Veterinäre immer vorhanden, sie kann längere Zeit unter einer Heerde und Jahre lang in einer Steppe herrseben, ehe sie aus­stirbt; sie geht von einer Steppe zur andern und macht so ihre Züge durch die Steppen, kehrt wieder, wo sie lange Zeit ver­schwunden war. und bildet eine Wanderseuche in den Steppen. die immer eine grössere oder geringere Zahl von wechselnden Pestheerden bat. welche sich mehr oder weniger oft über die Grenze in der Richtung hin vorschieben, in der die Ausfuhr erfolgt. Wie die Lungenseuche in uusern Viehställen eine ausgestreute Contagion ist, so ist es auch die Rinderpest in den Steppen. Um sich eine Vorstellung von der Grossartigkeit der Verbreitung in dem grossen russischen Reiche zu machen, verweise ich auf die spätem #9632;laquo;•eitern Angaben, hier will ich nur erwähnen, dass sie 1858 nach Jessen**) in 47 Gouvernements etwa von 54deg; bis 51)deg; nördlicher Breite und von ;quot;)? 0 bis 830 östlicher Länge herrschte.
Diese Fortdauer der Pest in den Steppen hielt man nicht für möglich, man sagt, die Heerden müssten in Russlaiä längst aus­gestorben sein, wenn die I'est fortwährend herrsche; ein grosser Irrthum. mau bat dabei viel zu sehr den bösartigen Verlauf in unsem Viehställen vor Augen gehabt: wir haben Beispiele in Ungarn,
*) 1. c. s. 384.
*) Vierteljahrssdivift. Bd. 15. S. 168.
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diiss dit! Pest sich Jahrzehnte durch Ansteckung gehalten hat; nach Adami hat die; Pest 33 Jahre, von 1747 bis 1781. hintereinander geherrscht; in Polen herrscht sie schon seit einer Reihe von Jahren als Contagion. Die gegenwärtige Pest in Holland zeigt uns, wie sie selbst hier bei der dichten Bevölkerung und dem reichen Viehstande auf dem kleinen Räume Jahre lang herrschen kann, und ich bähe die volle üeberzeugung, dass. wenn Holland hei dem bisherigen Verfahren bliebe, die Pest nach 10 Jahren noch dort sein würde; bei einer Contagion aber, die 10 Jahre dauern kann, bei der ist das Ende nicht abzusehen. ^Mir ist schon auf Grund meiner Ee-obachtungeu in Holland vollkommen klar geworden, dass die Rinderpest bei der dünnen Bevölkerung der Steppen, bei dem dauernden Aufenthalte der Heerden auf der Weide und bei dem gewöhnlich gutartigen Verlaufe in den Steppen als reine Contagion fortdauern kann, ja dass sie ohne polizeiliches Einschreiten sogar eine stehende Seuche mit wechselnden Stationen geworden sein muss.
Per bisher uocli immer aufrecht erhaltene Lehrsatz, dass alle Contagionen schliesslich untergehen, dass sie sich nicht für immer halten können, dass sie eine gewisse Höhe erreichen, dann ahnehmen und schlicsslich aufhören, dass immer neue Einfuhr des Contagiums zur Fortdauer, zum Furtbesteheu nothwendig sei, dass deshalb die Contagionen auch langst von der Welt ver­schwunden sein müssten, wenn nicht, zugleich eine autuchthone Kntwickehmg stattfinden könnte, dies ist ein grundfalsches Dogma; die Lungenseuche, die in einem Stalle 20 und 30 Jahre ohne neue Zufuhr von Austeckungsstoff von aussen her bestehen kann, liefert den directen Beireis. Keine Cnntagion stirbt anders aus, als durch Mangel an ansteckbaren Thieren, wenn die Gelegenheit zur Regeneration des Ansteckuugsstoffes langer fehlt, als das Coutagium an den Trägern sich zu halten vermag.
Ein anderer Irrthmn ist immer gewesen, dass man glaubte, die Pest sei nicht in Uussland, wenn man keine Nachricht von dem Vorhandensein hatte. Dass die Pest in Uussland auch ausser-halh der Steppen nie ganz oder doch nicht auf längere Zeit aufhört, ist die natürlichste Folge von der steten Einfuhr des Hornviehes aus den Steppen, und dass die Behörden davon gewöhnlich keine Kenntniss erlangen, ist ebenso natürlich, wenn man die dortigen volkswirtbschai'tlichen Verhältnisse und den Mangel an Thierärzten berücksichtigt. Ist es doch bei uns trotz der dichten Bevölkerung und des geordneten Veterinärwesens möglich, dass ein'grosser Theil der ansteckenden Krankheiten verborgen bleibt; wie oft er­geben sich die Behauptungen von Behörden. Landwirthen, selbst
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von Tliierilrztcn, dass diese und jene ansteckende Kranklunt liier und da nicht vorhaudeu sei, uls falsch?
Ju mehr nun das Steppenvieh Absatz findet, je mehr die
Ausfuhr aus den Steppen in bestimmte Riclitungen hingeht, desto mehr wird auch die Pest an diesem Zuge theilnehmen: wandert sie nicht mit den ersten Viehtransporten. so doch mit einen spätem aus. zumal aus den pestverdächtigen Steppen das Hornvieh mehr, als aus andern fortgeschafft wird; es ist deshalb nichts'natürlicher, als dass die Pest sich immer weiter vorschieben und auf dem Kriegsschauplatze erscheinen muss, ganz gleichgültig, wie fern er von den russischen Steppen liegt: durch grosse Entfernung kann das Erscheinen auf dem Kriegsschauplatze nur verzögert, aber nie verhindert werden.
Ein Irrthum ist es endlich noch, wenn man den Ausbruch der Pest einiges Wochen nach der Einführung 'des Steppenviehes für einen Beweis der Selbstentwickeluug ansieht. Die Incubations-zeit ist der Regel nach allerdings 5—7 Tage, aber sie kann sich bis auf das Dreifache verlängern; es ist eine eigenthiimliche Art Opposition, eine bei allen ansteckenden Krankheiten vorkommende Verzögerung der Incubation zu bestreiten und in den ver-einzelten spätem Ausbrüchen den Peweis für die Selbstent­wickelung zu sehen, die sonst gar keinen Halt hat. und gegen die alle weitern Thatsachen sprechen; wissenschaftlich lässt sich dies nicht rechtfertigen. Ansserdem aber ist es doch immer noch sehr fraglich, ob der erkannte Ausbruch auch wirklich der Aus­bruch der Seuche, d. h. die wahrgenommene Erkrankung auch die erste ist? Unter dem Steppenvieh kommen Fälle vor, bei denen Niemand an Pest denkt. Jessen sagt, es giebt Pest-Er­krankungen, die mit einem einzigen Fieberanfalle vorüber sind.*)
|nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Rinderpest ist deshalb namentlich beim Steppenvieh oft früher
da, als sie ausbricht, d. h. als sie äusserlich sichtbar wird.
jij :nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;In der Literatur sind vielfach Fälle aufgeführt, dass eine für ganz
gesund gehaltene Heerde dennoch die Pest überall verbreitete; schon im vorigen Jahrhundert wunderte man sich in der Mark Brandenburg**) über das gesunde und muntere Aussehen der Heerden, von denen bekannt war, dass sie die Rinderpest gebracht
*) Oesterreichischo Viertcljahrsschrift. Ud. 23, II. 2, S..185. **) Beitrag zur Greschichte der aUgemeinen Tierseuche in der Mark Brandenburc. S. 44.
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hatten. Yon einer Heerde, die drei Wochen in Quarantaino unter strenger und sachkundiger Controle gestanden hat, ist bis jetzt noch kein Pestaushruch nach dieser Zeit bekannt. Ich komme hierauf bei der Quarantaine zurück.
Nach alle diesem kann man die angezogenen Tliat-sachon nicht mehr als Beweisgründe für die -genuine Kntwickelung in dem Steppenvieh bei uns gelten lassen.
Zum Schluss dieses Gegenstandes -will ich nur noch auf einen #9632;wissenschaftlichen Widerspruch aufmerksam machen. Wenn das Steppenvieh einen solchen Grad von specifischer Pradisposition in sich trägt, dass es unter Umständen in Gegenden an der Rinderpest erkrankt, wo anderes Hornvieh nicht an der Pest erkrankt, wie kommt es dann, dass es im Allgemeinen viel leichter erkrankt, als andere Racen? 15is jetzt gilt als 'allgemeine Grundregel in der ganzen Medicin, dass bei grösserer Disposition zugleich auch eine schwerere Erkrankung eintritt. Ich führe diesen Widerspruch, der wissenschaftlich gcwiss sehr gewichtig ist, dennoch principiell nur noch beiläufig an, weil ich die alten Irrthümer, die einen so grossen Einfluss auf unsere Schutz- und Tilgungsmaassregeln haben, mehr thatsächlich zu widerlegen strehe.
So wäre ich nun wohl bei dem Punkte angelangt, sagen zu können:
„Die Rinderpest ist ausserhalb Russlands eine reine Contagion, auch das Steppenvieh erkrankt nicht spontan bei uns; in Russland hat die Pest ihren Sitz in den Steppen, ausserhalb derselben ist sie auch hier ent­schiedener Maassen eine Contagion, wie bei uns; inner­halb der russischen Steppen ist aber ebenfalls noch keine genuine Entwickelung nachgewiesen, und alle neuem Beobachtungen sprechen dafür, dass die Pest in den europäisch-russischen Steppen auch eine reine Con­tagion ist, dass die Rinderpest somit eine aussereuropiüsche Seuche ist, von der es zweifelhaft bleibt, ob sie sich in den asiatisch-russischen Steppen oder wo sonst selbst entwickelt.quot;
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Capitel 8. Ansteckung,
Die Ansteckungsiahigkcit der Rinderpest ist jetzt etwa 150 Jahre bekannt; im Anfang des 18. Jahrhunderts tauchten die ersten Ansichten über Ansteckung auf; deshalb gab es auch zu dieser Zeit einzelne Einfuhrverbote aus verdächtigen Orten. Das erste Seuchenedict erschien im Königreich Preussen 1711, welches schon das Ver­scharren der Todten mit Haut und Haar und eine achttägige Quarantaine für das Rindvieh anordnet, das aus Preussen (Provinz), Polen und Schlesien kommt; in einer weitern Yerordnung von 1717 ist Absperrung der verpesteten Orte durch Truppen rorgeschrieben und der Verkauf des Hornviehes bis 3 .Monat nach der Seuche untersagt.
Kamold*), Arzt in Schlesien, verfolgte schon die Verbreitung durch Ansteckung und wies nach, dass die Pest durch Schlachtvieh aus Polen nach Schlesien komme, und erkannte ganz richtig in polizeilichen Verordnungen das sicherste Rettungsmittel. Der päpstliche Leibmedicus Lancisi**) erkannte zu derselben Zeit in der Verhütung der Ansteckung das beste Schutzmittel, und die hiernach ergriffenen Maassregeln hatten den besten Erfolg. Die Contagiositäts-Ansicht gewann jedoch erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Oberhand. In der hannoverschen Verordnung von 1750. dem prenssischen Viehseuchenpätent von 1769, am entschiedensten aber in dem Patente vom 2. April 1803 ist die Ansicht von der Möglichkeit der Selbstenhvicke-lung schon in den Hintergrund getreten, aber doch noch nicht ganz verschwunden. Seit 50 Jahren hat nun zwar unter com-petenten Sachverständigen kein Zweifel mehr darüber bestan­den, dass die Rinderpest bei allen Nicbtsteppenracen ansser-luüb der Steppen nur durch Ansteckung entsteht, bezüglich der Steppenracen ist es aber, wie wir im vorstehenden Capitel gesehen haben, noch nicht zum Ahschluss gekommen, bei diesen ist bisher immer noch eine autochthone Entwickelung neben der Ansteckung aufrecht gehalten wurden. Nach näherer Beleuchtung dieses Restes von originärer Entwickelung sind wir nunmehr
*) Historisclu; Relation von dor Pestilenz dos Hornviehes. 1713. **) Dissert, historica de bovilla posto 1713.
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aber mit der Lehre von der Ansteckung der Rinderpest auf dem Punkte angelangt, dass der Ansteckungsstoff bei uns und in ganz Europa als das einheitlielie Gemeingefährliche angesehen werden muss, welches wir hier zunächst wissenschaftlich weiter zu erörtern haben, um es später systematisch polizeilich zu ver­folgen und zu vernichten.
Der Austeckimgsstoif, das Rmderpest-Contagium. Den Ansteckungsstoff kennen wir bis jetzt nur aus seiner eminenten Wirkung, beale*) glaubt das wirksame Princip in lebendigen Kömchen — Keimkömchen, Germinal matter — ge­funden zu haben, die er auf seinen Tafeln 1 und 2 mehrfach, be­sonders aber an den Gefässwänden dargestellt hat. Ich habe mit meinen mikroskopischen Untersuchungen in dieser Beziehung nicht folgen können; Körnchen findet man auf der kranken Schleimhaut in den Kranklieitsprodiicten genug, die aber nichts als einen körnigen Zerfall darstellen und meist einfache Fetttröpfchen sind. In den Oetasswandungen habe ich sie nicht gefunden. Ihs jetzt bleibt Beale's Ansicht eine Hypothese und das Contagium ein unbekanntes Agens, von dem wir längst wissen und durch neue Beobachtungen wieder bestätigt bekommen haben, dass es den kranken Körper in seiner Totalität durchdrangen bat. also in allen tliierischen Theilen enthalten ist, am concentrirtesten und deshalb am wirksamsten aber an den Producten der erkrankten Schleim­haut — den Thränen, dem Nasen-, Maul-, Magen- und Darm­schleim — und selbst an den Auswurfsstoffen, dem Harn und Mist haftet.
Es ist jetzt eine moderne Kiclitunit, ilon Anstecktmgsstoff als Organismen resp. Zellen zu betrachten. Beim Milzbrände sollen es die Bacteriea, die Brauell'schenStlbchen sein; jüngst hatBalb (Pathologisch anatomische Studien über das quot;Wesen der Cholera. Wien ISW) im Darmscbleim eine Keimmasse (Zoogoea Tenne) gefunden, aus deren Körnchen sicli Gliederketten bilden. Weitere Versuche müssen erst darüber entscheiden; ein desfallsigcr Versuch beim Milzbrande hat die Bacterien-Theorie nicht bestätigt. Bei der Rinder­pest ist es leicht festzustellen, wenn mit Flüssigkeit, Thränen z. B. geimpft wird, die mikroskopisch keine Körnchen enthält. In Holland und Eng­land ist diese Frage nicht erledigt worden. Wir dürfen aber von imsern Herren tollegon in Russland erwarten, dass sie bei den Impfungen diesen Gegenstand wie auch die Fragen über die Zeit des Auftretens und Ver-schwindens des Ansteckungsstoffes in geimpften Rindern erledigen werden.
*) Dritter Bericht etc. Plate II. und III. Fig. 18, 19, 26, 34, 35, 36 u. 39.
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Mit dem Eintritte erkennbarer Krankheitssymptome und für die ganze Dauer der Krauldieit ist das Contagium nachgewiesen; ob und wie lange die inficirten Hinder schon früher und im Ge­nesungsfalle noch nach der Krankheit Ansteckimgsstoff in sich
tragen, das ist erst noch näher festzustellen.
Bruckmüller*) machte die wichtige Beobachtung, dass während des Herrschens der Rinderpest in dem Bezirk'Bruck an der Leitha 1866 fiele hundert ('entner Fleisch von solchen Thieren nach Brück gebracht wurden, welche ans verseuchten Häusern stammten und im gesunden Zustande unter sorgfältiger Controle geschlachtet wurden sind, ohne dass nur ein einziges Mal hierdurch eine Verschleppung des Contagiums bewirkt worden wäre. Derselbe sagt fernerhin, classes ihm zu wiederholten Malen gelungen sei, durch frühzeitige Entfernung der Erkrankten bei dem ersten Symptome, dem ersten Abbrechen der Milch, den übrigen Viehstand zu crliaUen. Im Februar 1866 wurde die bei Zwolle ausgebrochene Pest in einem Stalle durch sofortiges Tödten eines Ochsens am Erkrankungstage coupirt, obwohl noch mehrere Häupter in demselben Stalle standen, (c. Abschnitt II. Capitol 8. Verschleppung durch Menschen.) Hiernach scheint eine An­steckungsfälligkeit vor den Krankheitssymptomen nicht vorhanden zu sein. Weitere Beobachtungen und Versuche sind sehr wünschenswerth. Bei Versuchen mit Genesenen würden diese selbstverständlich erst desinficirt werden müssen.
Das Contagium ist flüchtig, kein zweites kann ihm in dieser Beziehung zur Seite gestellt werden; es wird frei, gelangt, in die Luft, am stärksten von den Kranken mit der ausgeathmeten Luft, der Hautausdünstung und mit den Auswurfsstoffen; es entweicht aber auch von allen todten Theilen. von dem Cadaver, den Cadaver-theüen, von den Excrementen, kurz wo das Contagium auch steckt, es entweicht, sobald die contagiöse Materie der laifl ausgesetzt ist, und häuft sich stets in den nächsten Luftschiebten an, mficirt — wie man sich wohl ausdrückt — die Luft in der nächsten Umgebung und geht in der Luft unter oder gelangt mit der Luft in empfängliche Individuen und erzeugt die Pest, oder es wird von porösen Körpern mit der Luft absorbirt und mehr oder weniger lange conservirt. Deslmlb kommt das Contagium nicht allein in den Pestkranken und Pestcadavern resp. deren Abfällen, sondern
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*) Vifirtcljiihrsschrift. Bd. 27, II. 1, S. 89.
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auch in anderen porösen Gegenständen vor, die sich in der ver­pesteten Luft befunden haben.
Die Tenacität. Wie lange der Ansteckungsstoff ausserhalb des kranken Tbieres, also in der Luft und an tudten Gegenständen wirksam bleibt und unter welchen Umständen er conservirt resp. ver­nichtet wird, sind äusserst wichtige Fragen. Zunächst will ich die be­treffenden Beobachtungen, so weit sie durch genauere Angaben einen Werth haben und mir bekannt geworden sind, folgen lassen. Weiss. (Ueber das Anstecken dei Yiehseuche von Camper und Weiss. 1783, S. 78.) Ein mit Senchenmaterie getränkter wollener Faden, in einem verschlossenen Glase sechs Jahre lang aufbewahrt, wurde in dem Dunst von heissem Wasser angefeuchtet und 2 Rindern unter die Haut gezogen; beide sollen am neunten Tage die ersten Zeichen und weiter die Erscheinungen der Rinderpest gezeigt haben. Vicq d'Azyr (Expose dos nioyens preservatifs et curatifs) impfte mit Haut-und Fleischstücken von Bindern, die an der Rinderpest gefallen waren und schon langer als drei Monate in der Grube gelogen hatten, zwei Kühe die an der Pest erkrankten und starben. Oerfzen (Oetteutliche Bekanntmachungen der etc. Inoculation der Kindvieh­seuche. 1779, S. 46) sagt: „Aufgetrocknet will sie (die Impfmaterie) iiiich bisherigen Erfahrungen nicht wirken, und nass kann man sie, auch zu kalter Jahreszeit, nicht über 14 Tage vor Fäulniss bewahren.quot; Abilgaard erwähnt, dass die Häute von Pestkranken noch acht Tage nach
dem Abhäuten den Peststoff zu übertragen vermochten. Jessen. (lgt;ie Rinderpest etc. 1834, S. 115.) In Busslaud hört man nicht selten die Klage, dass in einem Stalle, in welchem die Rinderpest ge­herrscht hat. oft mehrere Jahre kein Vieh gehalten werden könne. J. erklärt dies dahin, dass die Ställe ohne festen Fussboden selten gründlich gereinigt werden können. Müller. (Magazin von Gnrlt und Hertwig. Bd. 23, S. 189.) Mitte April kamen in einen nicht desinfleirten Stall, in welchem sich ein junger Bulle befand, der vier Monate früher im Monat December durchgeseucht war, zwei Kühe; beide erkrankten am siebenten Tage in diesem Stalle an der Kinderpest.
Eine Kuh wurde iü einen kleinen Stall gebracht, in welchem das letzte Kind vor 72 Tagen an der Pest gefallen war, ohne zu erkranken. Der Stall ist vorher weder gereinigt noch gelüftet worden, dagegen hatte strenge Kälte vom December bis Februar eingewirkt. Die Kuh erkrankte später in Folge der Impfung.
Derselbe berichtet weiter S. 192 über einen Fall, in welchem sich das Cöntaginm fünf Monate im Heu wirksam erhalten hat. Auf einem Vor­werk war im September der ganze Viehbestand von 120 Ochsen an der Rinderpest gefallen, im Monat Februar des folgenden Jahres, also nach fünf Monaten, das Heu, welches aber dem Peststalle gelegen hatte, nach einem andern Vorwerk gebracht und hier verfüttert worden, wo zehn Tage später die Rinderpest ohne anderweitige nachweisbare Ursache ausbrach
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Brackmflller. (Vierteljahrsschrift. Bd. 27, IT. 1, S. 46.) Drei Wochen nach dein Schlachten vieler pestkranken Ochsen für die Trappen, wo­durch der Rüden mit lilut getränkt worden war, wurden Rinder in einen Stall gebracht, der sich unmittellmr neben dem Schlacbtraume befand; eine Anstechung erfolgte nicht, in der Zwischenzeit hatten zwar heftige Regengüsse stattgehabt, aber es waren doch noch Blut-spuren verblieben. Eine Hutweide, auf welcher viele pestkranke Ochsen gestanden hatten und mehr als 50 getödtet und vergraben worden waren, wurde nach fünf Wochen, innerhalb welchen häufig Hegen ge­fallen war, wieder mit einer Heerde betrieben, ohne dass Ansteckung erfolgte.
Impfung mit altem Impfstoff an verschiedenen Orten Eosslands. Extract aus: Compte-Rendu des experience de L'inoculution de la Feste aux betes ä cornes 1866. 1853 bis 1859 und 1863. Au verschiedenen Orten Russlands.
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104
Impfungen von Raupach in Karlowka, d. Bericht 77 u. R. 1805*)
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Man ersieht aus diesen Tabellen, dass der Impfstoff in ein­zelnen Füllen schon in einigen Tagen wirkungslos geworden war, in mehreren Füllen dagegen Monate lang wirksam geblieben ist; der iilteste wirksame Impfstoff war 9 Monat. Die Erkrankung nach der Impfung mit 21^ bis 9 Monat alten Impfstoff hat bei mehreren Rindern die Anlage nicht getilgt, die betreffenden Binder sind in solchen Fällen eigentlich gar nicht an der Rinderpest erkrankt gewesen. Wie der Impfstoff aufbewahrt worden, ist leider selten angegeben. ()quot;#9632;_) Monat alter Impfstoff hatte zum Theil noch schwere Erkrankung zur Folge.
Diese Beobachtungen und Versuche zeigen eine sehr grosse Differenz, sie beweisen, dass der Ansteckungsstoff sehr sterblich und lange lebensfähig zugleich ist, dass er unter Umständen in einigen Tagen zu Grunde geht, unter andern dagegen bis '/-i Jahr und darüber hinaus wirksam bleibt. Die Beobachtung von Weiss, wonach dasContagium sechs Jahre hindurch in einem verschlossenen Gläschen wirksam geblieben ist, kann ich wohl auf sich beruhen lassen, weil neuere Beobachtungen alle ohne Ausnahme dagegen sprechen: Angaben von noch längerer Zeit, von 19 Jahren z. B. nach Opitz in Minden, müssen der Vergessenheit übergeben werden.
Wir haben hier weiter zu untersuchen, unter welchen Um­ständen das Contagium conservirt und umgekehrt, unter welchen es bald unwirksam wird. Fs kommen dabei nur die physikalischen Agentien in Betracht, unter deren Einflüsse das Contagium immer steht, während von den künstlich anzuwendenden chemischen Vertilgungsmitteln spater bei der Desiufection die Rede sein wird. Die physikalischen Agentien und zugleich für die Praxis die wichtigsten Zerstörungsmittel des Rinderpeststoffes sind folgende:
1. Die Luft. Zwei Thatsachen beweisen uns unwiderlegbar den sichern und schnellen Untergang des Rinderpeststoffes oder
*) Raupacli erwähnt, dass Impfstoff von 3 Tagen uml solcher der .'( Wochen auf Eis conservirt worden war, an einem faeissen Tage in 2 Stun­den verdarb.
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wenigstens flössen mfectionsfähigkeit in der atinosplüiriselien Luft, ieh meine die Absperrbarkeit des l'eststoffes bei aller Flücbtigkeit und die zeitlich und räumlich sehr beschränkte Ansteckungs-fahigkeit der mit Contagium geschwäugerteii Luft.
Die Absperrbarkeit der Rinderpest an jedem Orte, in jedem einzelnen Stalle ist häutig taetisch nachgewiesen und jetzt so all­gemein bekannt, dass ich wohl nicht nöthig habe, die einzelnen Thatsacben beizubringen. Es sind Fälle genug bekannt, wo in geschlossenen Dörfern die Pest in einem einzelnen Stalle verblie­hen und selbst das Vieh in benachbarten Ställen verschont gehlieben ist. Ohne Untergang des Contagiums in der Luft wäre eine Absperrung ebenso wenig denkbar, als ein hermetischer Ver-schluss der Viebställe. und ohne Absperrbarkeit nnisste die Rinder­pest bei der Flüchtigkeit des Contagiums nothwendig einen mias­matischen Charakter in der Ausbreitung haben, der glücklicher Weise nicht vorhanden ist. Auf die Beschränkung der An­steckung durch tnficirte Luft komme ich bei der Ansteckung noch einmal zurück.
Ans der zerstörenden Einwirkung der Luft auf das Pest-contagium einerseits und ans der grossen Flücbtigkeit des letztern andrerseits, ergiebt sich zugleich die desinficirende Wirkung der Luft auf die Träger des Peststoffs, wenn sie freien Zutritt hat. Abschluss von der Luft ist deshalb auch das beste Mittel, den Feststoff zu conserviren; deshalb kann auch das Contagium in den Cadavertheilen, namentlich in den Fleischmasaen und in Fett bis zum Zerfallen, in der Erde, dem Fussboden und Lehmwänden der Ställe, in dem Heu, Stroh und vielen andern Stoffen Monate lang wirksam bleiben; ein Taschentuch, mit Pestluft geschwängert und fest zusammen gewickelt, couservirt das Contagium Tage lang in der Tasche, während es flatternd in der Luft in Minuten des-inficirt wird. Die Frage, ob das Contagium in der Luft wirklich gleich vernichtet oder zunächst nur his zur Unwirksamkeit ver­dünnt wird, ist nicht sicher zu entscheiden und auch mehr eine abstract wissenschaftliche. Der Umstand, dass das Contagium in ruhender, abgeschlossener Luft, in Ställen sich anhäufen, länger und auf weitere Entfernung bin wirksam erbalten kann, spricht mehr dafür, dass die alsbaldige Wirkungslosigkeit in freier Luft zunächst auf Verdünnung zurückzuführen ist: es wäre hiernach gewissennaassen ein ähnliches Verbältnlss, wie bei den tlüchtigen Riechstoffen, die in einem abgeschlosseneu Räume sich anhäufen
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106
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und immer empfunden werden, während sie in freier Luft in einer gewissen Entfernung von der Quelle nicht mehr erkennbar sind. Hallen wir uns an das Fuetuni. dass die Luft das Contagium bald unwirksam macht, dass sie alle tuficirten Gegenstände mit Hülfe der Flüchtigkeit des Peststoffs desinffcirt, wo sie freien Zutritt hat, und dass nichts mehr diese Wirkung fördert, als Luftwechsel, Luftströmung.
Ailami*) erwähnt einen Fall, der von feindlicher Wirkung der Luft auf das Contagium an andern Gegenständen zenjit. Zwei Kindern in einem gesunden Stalle wurde Stroh untergestreut, welches unmittelbar fiber pest­krankem Vieh gelegen hatte und nur 2d Stunden durchgelüftet worden war, Ausserdem wurde noch Heu gefttttert, welches 24 Stunden bei kranken Kindern gelegen hatte und 24 Stunden durchgelüftet worden war.
In einen Stall, in welchem sämmtlichcs Vieh an der Pest ausgestorben, und der blos ausgemistet und gelüftet worden war, kamen schon nach vierzehn Tagen gesunde Kinder, bei denen die Pest nicht ausbrach.
Eine Beobachtung von Müller (S. 102) hat uns gezeigt, dass das Heu ohne Luftzutritt den Ansteckungsstoff 5 Monate conserviren kann.
Frank strich den Nasenausfluss auf Wolle, Hess die freie Luft darüber hinstreichen und impfte dann damit zu verschiedenen Zeiten, wobei sich ergab, dass die Materie den Ansteckungsstoff binnen 4—6 Tagen verloren hatte**). Bei den impiVersuclien in Kussland steckte eine Haut noch an, die 30 Tage in der Erde conservirt worden war. 1. c. p. 125.
2. Temperatur. Die Temperatur von Null und einigen Graden Wärme, besonders aber Kälte, conservirt das Contagium am besten. Ein massiger Grad von Frost zerstört das Contagium nicht: nach den bisherigen Erfahrungen scheint erst ein sehr hoher Grad von Kälte eine zerstörende Einwirkung auf das Contagium aus­zuüben. Gefrorener Dünger steckte nach dem Aufthauen im Frühjahre noch an. Wenn auch die Rinderpest im Laufe des Winters im Allgemeinen mehr abnimmt, besonders bei strenger Kälte, so liegt das mehr in der grössem Isohrung der Ställe, Gehöfte und Ortschaften durch Unterbrechung des Verkehrs.
Von welchem Grade ab die höhere Wärme das Contagium vernichtet, ist noch nicht genau festgestellt. Abilgaard hat Kasen-ausfluss in einem Theekopf auf einem Ofen bis 150deg; Fahrenheit (52deg; IF) erhitzt, ohne ihn einzutrocknen und dann sieben Kinder damit geimpft, von denen keins erkrankte. Dieses Resultat entspricht ganz der zerstörenden Wirkung der Hitze auf Poekenstoff, der schon bei iX)0 R. sicher zerstört wird. Bei einer langem Einwirkung
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*) Beiträge zur Geschichte der Viebseucln **) Viborg's SanunluDgeu. Bd. I, S. S5.
Wien 1781.
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wird das I'estcontagium schon bei einem niedrigem Grude zerstört, cf. Cap. 11 Desinfection der Häute. Die höhere meteo­rologische Temperatur zerstört jedenfalls nieht direct, sie fördert aber das Verdunsten, das Verflüchtigen und so die Entpestung der Pestträger; eine gewichtige desinflcirende Wirkung der liüliern Wärmegrade auf thierisclie Theile ist aber in der Förderung der Fäulniss gegeben. Ijei der ein schneller Unter­gang des Ansteckungsstoffes stattfindet. Sehr faule thierische Theile scheinen uielit mehr ansteckungsfähig zu sein, wenigstens glaube ich das nach meinen Beobachtungen in Holland annehmen zu können, wo halb und ganz verfaulte Cadayerabfalle so umher­lagen und von Hunden verschleppt wurden, dass alle Rinder in kurzer Zeit hätten mittel- oder unmittelbar angesteckt werden müssen, während doch die Pest schon gegen drei Monat bestanden und noch nicht alle Rinder heimgesucht hatte, als ich dort war. Bei dem trockenen Zerfallen in der Erde, dem Verwesungsprocesse, wird das Contagium nicht so bald zerstört, wie die Versuche von Vicq d'Azyr ergeben haben; bei der Fäulniss ist also wieder die Einwirkuna der Luft und die Greleeenheit zur Verflüchtigung die Grundbedingung zur Zerstörung des Contagiums, der Fäulnissprocess selbst scheint das Contagium nicht anzugreifen.
o. Ein gewisser Grad von Feuchtigkeit ist Bedingung zur Erhaltung der Wirksamkeit; Austrocknen ist gleichbedeutend mit Desinficiren. Die Feuchtigkeit ist. wie bei dem Verlauf bereits erwähnt, von förderlichem Einfluss auf die Seuchen; mehrfach ist die Beobachtung gemacht worden, dass die Pest in niedrigen, feuchten Gegenden und an grossen Flüssen am verderblichsten herrscht, ebenso auch, dass sie an Intensität und Verbreitung im Frühjahr und Herbst zunimmt und im lieissen, trocknen Sommer abnimmt; ich kann das alles nur dem conservirendenEinfluss der Feuchtigkeit auf den Peststoff zuschreiben, der sowohl an feuchten festen Körpern, als auch in feuchter Luft länger wirksam bleibt. Bei den Impfungen im vorigen Jahrhundert ist namentlich von Oertzen schon die Erfahrung gemacht, dass die trockene Materie keine Wirkung hat, diese Beobachtung hat weitere Bestäti­gung gefunden. In Russland sind Versuche mit trockenen Häuten angestellt worden, welche nicht mehr inticirten (cf, Desinfection).
In Rücksicht der grossen Bedeutung in veterinärpolizeilicher Be­ziehunghabe ich selbst Versuche angestellt, die auch ganz entschieden den Untergang des Rinderpest-Contagiums bekunden. .Man kann
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I
deshalb den Grundsatz aufstellen, dass durchweg lufttrockene Substanzen nicht mehr infectionsfahig bind und zwar um so weniger,
je älter sie sind.
In gut verschlossenen Gefässen empfing ich im Jaiiuar d. J. bei niedriger Temperatnr ohne Frost verschiedene Cadavertheile von einem an der Rinder­pest gefallenen Binde von Herrn Prof. Hengefeld, die ich alle am vierten Tage nach dem Tode des Rindes in gut conservirtem, aoeh ganz Mschem Zustande empfing. Ein Stück Dünndarm mit erkrankten Peyer'schen Plaques wurde auf einer Glasplatte ausgebreitet und im Anatomiezimmer bei einer Temperatur von-f-5^120 R. in zehn Tagen getrocknet, ohne dass dabei irgend eine Spur von Fäulniss eingetreten war. Von dieser so getrockneten Membran, die uoeh biegsam und keineswegs pulverisifbar, also nur lufttrocken war, wurden schmale Streifchen mittelst, wollener Fäden nach Art eines Flaarseils auf einige Tage unter die Haut eines vier Wochen alten Kalbes ge­bracht Hierauf erfolgte eine kleine örtliche Anschwellung, und nach Ent­fernung bildete sich ein kleiner Abscess. Einige Tage später wurden von demselben Präparate in gleicher Weise zwei halbjährige Ziegen ebenfalls ohne Erfolg geimpft.
Auch andere Contagien gehen durch Austrocknen zu Grunde, namentlich igt;t dasselbe auch ein speeifisches Zerstörungsmittel für das Rotz-Contagium. Ich habe den Nasenausfluss eines sehr rotzigen Pferdes, auf einer Glasplatte bei massiger Stubenwärme von -f 12deg; ,1t. in einigen Tagen eingetrocknet und pulverisirt, zwei Pferden auf die wundgemachte Nasenschleimhaut wie auch unter die Haut, gebracht, ohne Wirkung, selbst nach vorheriger Anfeuchtung mit lauwarmem Wasser, obwohl mikroskopisch die Schleim- resp. Eiterkörper regelmässig erschienen, während die Impfnug von demselben Xasenanstluss, aber uneingetrocknet, nach neun Tagen schon acuten Kotz zur Folge hatte. So kann derRotzstoff durch cinfeches Austrocknen in einigen Tagen, vielleicht noch schneller, zerstört werden, wahrend andrerseits Thatsachen vorliegen, die eine mehrere Monate lange Infectionsfähigkeit des Ansteckungsstoffes in dem Fussboden etc. beweisen.
In dieser Beziehung stimmen die unbekannten Contagien auch mit dem Contagiiiin vivnm, dem parasitise!...... ttberein; alle bisher bekannten parasiti­schen Keimkörner, wie auch alle thierischen Organismen, die Milben und Trichinen werden durch Austrocknen sehr schnell getödtet, und die mannigfaltigsten Wurm-Infectionen unserer Pflanzenfresser kommen hauptsächlich in nassen Jahren und Gegenden auf feuchten Weiden zu Stande.
Die Empfänglichkeit,
Eine Empfänglichkeit für den Ansteckungsstoff und das Em­pfangen, die Aufnahme desselben, sind natürliche Grundlreamgun-gen jeder Ansteckung. Am empfänglichsten für das Contagium ist das Rindergescblecht, dem bis vereinigen Jahren noch allein die Fähigkeit, an der Pest zu erkranken, zugeschrieben wurde, daher auch die Namen Rinderpest, llornviehseuchc. Eine alte
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109
von Antou Tvoczian*) erwälmte Ueberfcragung auf einen llirscli. blieb nnbeacbtet; erst in neues! er Zeit ist der üebergang auf andere Wiederkäuer und zwar zuniichst auf Schaf und Ziege dureii mehrfaclie Beobachtungen festgestellt worden.
Erkrankungen bei Schafen und Ziegen zur Zeit der Einderpest sind schon fniher beobachtet und selbst als Beweis für eine miasmatisclie Natur der Pest angesehen worden, speciellere Beobachtungen landen aber erst in den letzten beiden Deeennien statt; 1851 wies Roll auf das Vorkommen riaderpestälmlicher Erkranksmgeri bei Schafen zur Zeit des Hereschens der Rinderpest hin. Maresch, Landesthierarzt in Böhmen.**) wies 1861 die Rinderpest bei den Schafen nach; an drei Orten waren In acht verseucliten Gehöften von 310 Schafen 144 an der Rinderpest erkrankt, von denen 71 gefallen, 29 getödtet und 44 genesen sind. M. beobachtete die Fortpflanzung von Schaf auf Schaf und auch wieder zurück vom Schaf zum Rinde, und ein Incubationsstadinm von G bis 9 Tagen. Mit M. fast zugleich beobachtete auch Galämbos in Ungarn den Üebergang der Rinderpest aufs Schaf; nach ihm beschränkte sich der Verlust auf 25—30 pCt.; die Dauer erstreckte sich auf 3—4 Tage. Blei-weiss***)v Maly und Seifmann lieferten bald weitere-Beweise für die Rich­tigkeit dieser Beobachtungen. Auf Veranlassung von Roll hat Bleiweiss Rückimpfungen vom Schafe aufs Rind angestellt, die von Erfolg waren. Chicali machte dieselbe Beobachtung in Italien. Die Rinderpest wurde auf Sicilien in der Zeit von 1863 — 18G5 eine wahre Schaf- und Ziegenpest, nachdem sie den Rindviehhostand vernichtet hatte und an deren Stelle Schafe und Ziegen gekommen waren. Im Sommer 18(13 erkrankten allein 0000 Ziegen; die Identität stellte Chicali direct durch Impfung an 11 Ziegen fest; die Sterblichkeit war ebenfalls geringer, als beim Rinde, anfänglich starben 30, spater auf der Höhe der Seuche 70 pCt. In einem spätem Be­richte vom 5. December 1805 schätzt Ghicali den Verlust an Schafen und Ziegen in den Provinzen Palermo, Trapani und Girgonti auf 20,000 Stück.
18G4 herrschte die Rinderpest auch in Egypten unter den Schafen und Ziegen, die nach Lemaitrc zu Tausenden auf der Strasse von Syrien nach Cairo lagen.
In Grossbritannien und Belgien kamen ebenfalls Pestausbrüche unter den Schafen vor.
Die Ausbrüche der Rinderpost in den Thiergärten zu Rotterdam und namentlich zu Paris f), die in dieser Beziehung für die Wissenschaft sehr lehrreich gewesen sind, haben weiter bewiesen, dass aussei- den wiederkäuen­den llausthieren auch Hirsche, Gazellen und Antilopen von der Rinderpest befallen worden können. Durch zwei indische Gazellen wurde die Rinderpest von London nach dem Acclimatisationsgarten in Paris verschleppt. Der Ansteckung waren mehr oder weniger ausgesetzt: 8!) Wiederkäuer. IG verschiedene Pferdespecies.
*) Prüfung der Ursachen der Hornviehseuche etc. 1770. S. 85. **) Oesterreichische Vierteljahrsschrift. Bd. lit, 11. 1, S. 34. ***) Oesterreichische Vierteljahrsschrift. Bd. 21, 11. 1. t) Leblanc. Recueil. Dec. 1865.
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110
4 Pecaiis.
lö verscMedene Nagethiere. 8 Hunde und
1 Kluiüui-u.
Hiervon wurden angesteckt 31 Wiederkäuer und zwar von:
18 verschiedenen Rinderarten 1^.
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25
5
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Ziegenarten 9. Schafen 0. Antilopen 5. Hirschen 3. Zwerghirschen i. Lämmern 0.
^ von 4 Bisamschweinen.
/u üottcnLim crkmiikton und fielen an der Pest im zoologischen Garten 11 Antilopen. In Egypten soll die Rinderpest 18G4 auch die Kameele be­fallen haben.
Naci diesen Beobachtungen ist es sehr wahrscheinlich, dass nlJe Wiederkäuer gelegentlich von der Rinderpest befallen werden können. Dagegen ist bis jetzt nooh die Grundregel festzuhalten, dass die Rinderpest über die Wiederkäuer nicht hinausgeht. In dem Acclimatisationsgarten sind zwar von vier Bisamschweinen — Pecaris — ebenfalls ^wei erkrankt, die einzige Beobachtung, dass die Rinderpest über die Grenze der Wiederkäuerfamilie hinaus­gegangen ist. die man deshalb auch vorläufig auf sich beruhen lassen muss; übrigens stehen die Bisamschweine den'Wiederkäuern insofern näher, dass das eigentliche Schwein, wie sie. einen getheilten Magen haben sollen. Zugleich ergiebt sieh aus verschiedenen Be­obachtungen, dass die Pest von andern Wiederkäuern sieh ebenfalls durch Ansteckung weiter verbreitet und selbst auch wieder am Rinde ungeschwächt haftet. Man sollte sich wundern, dass die Erkrankung wenigstens der Schafe und Ziegen an der Rinderpest nicht schon früher erkannt worden ist. dass die Rinderpest ganz Europa wiederholt überschwemmen und .Millionen von Rindern vernichten konnte, ohne die [Jebertragung auf Schale und Ziegen vor die Augen zu führen, dass wir in der Litteratur selbst fehlgeschlagene Impf-Versuche aufgezeichnet finden*). Nach
11,
*) Petrus Camper, ein zuverlässiger Beobachter, der in Sachen der Rinderpest seinen Zeitgenossen voraus war, sagt #9632;/.. B.: „Ich habe in dem­selben Stalle Pferde, Schafe und Ziegen beisammen gehalten, in denen die Rindviebseuche auf das Schrecklichste wüthete.quot;
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meinen eigenen Beo1)aclitiingeii in Siid-Hollaad, nainentlicli in der Umgegend von Schiedam, wundere ich mich nielit mehr. Das grosse Marschschaf mit langer schlichter Wolle weidete im Herbst 1865 mitten unter pestkranken Heerden; meine erste. Frage war deshalb nach pestkranken Schafen, es liiess aber, ..bis jetzt ist noch kein Schaf an der Pest erkrankt, obwohl sie seit Ausbruch der Pest vor iji Jahr wie heute mit kranken und genesenden Thiereu in engster Berührung auf der Weide gewesen sind.quot; Diese Antwort frappirte mich, es wurden deshalb Impfversuehe veranstaltet, wobei mir die Herren Collegen lieckmejer und Hengefeld durch sofortige Beschaf­ffing von drei Schafen und einer Ziege auf das Bereitwilligste entgegen kamen. Die Impfung haftete bei allen; schon am fünften Tage war die erste Spur durch Temperaturerhöhung angedeutet und in den nächsten 'lagen bildete sich die Pest weiter und deut­lich aus; alle erkrankten jedoch nur in geringem Grade, kein Impfling starb. Diese Beobachtungen in Holland bestätigen die Empfänglichkeit der Schafe und Ziegen, sie beweisen aber in Ueliereinstimmung mit den Beobachtungen im Grossen, dass die Empfänglichkeit namentlich der Schafe doch nur sehr gering ist, und das l'estcuntagimn schon sehr intensiv einwirken muss, um die Rinderpest zu erzeugen, dass namentlich aber die Ansteckung in freier Luft schwer erfolgt.
Wenn nun auch die Rinderpest nach den neuen Beobach­tungen einen viel grössem Kreis bezüglich der Haftbarkeit und Fortpflanzung bekommen hat. so bleibt das Rind und zwar in allen Species, besonders aber unser ITausrind, doch immer das Centrum der Pest. Ob und in wie weit ein Unterschied in den verschiedenen Species besteht, ist noch fraglich; nur vom Büffel, der ja in manchen Ländern als llausthier gehalten wird, wissen wir, dass er ebenso empfänglich ist, wie unser Hausrind.
Bezüglich der Racen seheint bei der Steppenracequot; die Anlage insofern graduell geringer zu sein, als alle altern und neuern Beobachtungen darin übereinstimmen, dass die Rinderpest unter der Steppenrace im Allgemeinen milder auftritt, dass sie zwar aiadi unter ihr grosse Verheerungen anrichten kann, aber doch häutig in einem coupirten Verlaufe unter sehr geringfügigen Symptomen auftritt. Unter den Steppenracen selbst ist wieder eine Verschiedenheit beobachtet; der westliche Schlag diesseits
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der Ivai'pathen sclieint unsem Verschiedenen lincen in dov Em-pfängliQbkeit näher zn stehen, als die östüchen Schläge der Steppenrace jenseits der Kaipatlien. Das russische Comite y.wv Tilgting der Seuchen*) hebt als Resultat der linpi'ungen mit her­vor, dass die Kirgisen- und 8üdsteppon-I\aeeu weniger für das Contagium disponirt sind, als andere Racen. Mir will es scheinen, als ob die grössere und geringere Empfänglichkeit von den.Cultur-verhältnissen abhängig ist. dass mit der Cultnr, d. h. dem ein­seitigen Hochschrauben der Nutzung durch künstliche Pflege, auch die Empfänglichkeit wächst. Das echte Steppenvicli. nament-lich in den Ivii'giscn- und Südsteppen Ünsslands, ist eigentlich kaum als Hausthier zn betrachten, es lebt am naturgemässesten und ist deshalb auch naturwüchsig. Man vergleiche nur den grossen tiefen Brustkasten jener Steppenrinder mit der — ich möchte sagen — „verkümmerten'' Brust unserer, an die Krippen geknebelten Milchkühe. Das naturwüchsige Steppenvieh wird allen andern Krankheiten ebensowohl grösseren Widerstand leisten, als der Rinderpest.
Eine individuelle Immunität scheint der Rinderpest gegen­über bei unsem Racen nicht obzuwalten; mir ist kein Fall be­kannt geworden, class in den Pestställen einzelne Rinder verschont gebliehen wären. Bei dem russischen Steppenvieh scheint dies anders zu sein: das oben citirte russische Comite beantwortet die Frage, ob bei Ausbruch der Rinderpest alles Vieh erkranke, dahin, dass in den nördlichen Gegenden des Reiches wohl hin und wieder solche Fälle vorkommen, in den südlichen (legenden aber fast niemals: während Jessen in seiner Schrift über Rinder­pest 1834 S. 98 sagt, dass sich nur höchst selten ein Thier unempfänglich zeige. Die Immunität bei einzelnen Individuen kann aber in Russland noch besondere Gründe haben, wie wir gleich unten sehen werden.
Die Tilgung der Anlage.
Durchgeseuchte Kinder haben keine Empfänglichkeit mehr; eine sehr alte Erfahrung, die sich bis heute und namentlich auch bei den Impfungen in Russland bestätigt hat. Dies ist
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*) Die Resultate dor mnderpestimpfangeo in Bondarewka und am Sal-nivsdie von Ravitsch. S. 17.
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ja auch die eigentliche Basis der Scliutzimpfung, die auf Ver­anlassung von Jossen in Hussland versucht worden ist. Von dem erwälmteu Comite ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob die Immunität nach iiberstantlener Rinderpest für die ganze Lehensdauer oder auf wie lange vorhalte. Die hierauf bezüg­lichen Versuche haben die Immunität schon bis zu sechs Jaliren nachgelesen; nach den Erfahrungen im Allgemeinen aber und in Rücksicht auf die verhältnissmässig kurze Lebensdauer der Ilausrinder ist eine lebenslängliche Tilgung der Anlage durch die Pest ohne Zweifel anzunelimen, und die Rinderpest in dieser Be­ziehung neben Pocken und Lungenseuche zu stellen.
Vererblich ist diese erworbene Immunität nicht, die Nach-kominen sind wieder empfänglich, aber nach verschiedenen ße-obacht in igen in erster Generation in minderem Grade; dieser Gegenstand ist jedoch noch nicht zum Abschluss gekommen. Kälber, die getragen wurden, während die Mutter an der Pest erkrankte, können mit der Inmiunität geboren werden, jedenfalls ist hierbei aber der Grad der Trächtigkeit bei dem Erkranken niaassgebend; ziemlich ausgetragene Kälber seuchen im Mutter­leibe mit durch, der Foetus in der ersten Anlage wird dagegen von der Seuche weniger berührt; wo die Grenze der Fntwicke-lung ist. von wo ab die Frucht ihre Empfänglichkeit für die Pest verliert, ist noch eine zu erledigende wissenschaftliche Frage.
Alter. Geschlecht und Constitution haben keinen entschiedenen Finfluss auf die Disposition, wenn man nicht etwa das schwerere Erkranken des sehr alten Hornviehes in einer grösseren Dispo­sition findet.
Die Ansteckung.
Von der künstlichen Ansteckung, der Impfung, später nach den Schutz- und Tilgungsmaassregeln: hier nur. von der Ansteckung als Ursache der Verbreitung, die ich, nach dem üblichen Gebrauch kurzweg die natürliche Ansteckung nennen will.
Das flüchtige Contagium gelangt immer mit der Luft zur Einwirkung, und seine Aufnahme geschieht hauptsächlich — um nicht zu sagen allein — in den Lungen, von hieraus erfolgt die wirkliche Einverleibung. Die Aufnahme an der äussern Körper­oberfläche ist insofern möglich, als die Haut wirklich athniet und Sauerstoff aus der berührenden Luftschicht aufnimmt, wie ich
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durch Versuche nachgewiesen habe*); ich glaube aber nicht, dass eine Erkrankung dadurch zu Stande kommt. Ob die Infection von den Verdauuugswegen aus möglich ist. oder oh der An-steekungsstoff in dem Verdauungsprocesse untergeht, ist noch eine zu lösende wissenschaftliche Frage. Aus der altern Zeit sind mehrere Versuche bekannt, in denen der eingegebene und auch mit dem Futter aufgenommene Nasenausfluss keine An­steckung zur Folge hatte; so hat namentlich Camper**) Nasen-ausHass und Blut mit Wasser verdünnt verschiedenen Kälbern gegeben. die darauf nicht an der Pest erkrankten, wohl aber später nach gewöhnlicher Impfung. Von den fixen Contagien sind auch noch keine Beispiele bekannt, dass die eingegebene contagiöse Materie inficirt hätte. Versuche mit Rücksicht auf Vermeidung der Infection von dem Manie und der Bachen­höhle ans sind erst noch anzustellen; für die Praxis sind sie indess untergeordnet, weil das Contagium an Futterstoffen bei der Flüchtigkeit immer mit in die Lungen gelangt, für die Wissen­schaft aber um so interessanter, als die Localisation der Rinder­pest in den Verdauungswegen stattfindet. Für jetzt darf ich wohl bei meinem Satze stehen bleiben: „die Einverleibung des Peststoffes erfolgt mittelst der Luft in den Luftwegen.quot; Die übliche Unterscheidung der unmittelbaren und mittel­baren üebertragung und Ansteckung ist nicht correct, sie führt leicht zu falschen Begriffen; präciser ist die Bezeichnung „directe und indirecte.quot;
Directe Ansteckung.
Eine solche findet statt, wenn das Contagium von dem kran­ken Thiere, resp. dessen Leiche, also von dem Organismus, in welchem es sich entwickelt hat, direct, d. h. ohne andere Zwischen­träger als die Luft zur Einwirkung auf den empfängliehen Or­ganismus gelangt.
Streng genommen ist das Cadaver ein todter Träger des Ansteckongs-stoffes, die Ansteckung, diu von ihm ausgeht, sollte man deshalb zu der indirecten zahlen, zumal zwischen dem ganzen Cadaver und einzelnen Ca-davertlieilen keine Grenze ist und die Ansteckung durch ein Stück Fleisch gewöhnlich zu der mittelbaren gezäblt wird, weil das Contagium durch das
*) Das Hautathmcn. Archiv für Anatomie und Physiologie von .1. Mül­ler 1851. S. 431.
**) Conf. Walz. Rinderpest 1807. S. 28.
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Fleisch fort- und übergetragen worden, ist. Imless ist, es bisher nicht ühlicli gewesen, die Ansteckung eine mittelbare zu nemien, wenn sie in nuinittclliiirer Nähe gefallener pestkranker Eiuder erfolgt ist, deshalb will ilt;di die An­steckung von Cadavern mit zur dirceten zählen.
Gruiulbcdinguiig bei dieser Ansteckung ist also, class die cm-pfänglichen Tliiere in solche Nähe von den Perttkranken resp. Pestcadavern konmieu, in welcher das Contagium in den um-geheüden Luftschichten noch wirksam ist; diese Nähe werde ich feruerKm ..iufectionstahigen Dunstkreisquot; nennen.
Bei der grossen Flüchtigkeit des Pestcontagiums würde dieser Kreis seiir gross, vielleicht kaum abmessbar sein, wenn die Luft niett feindlich einwirkte und das Contagium sehr schnell unwirk­sam machte. Die Grosse dieses Kreises können wir nicht mathe­matisch abmessen, weil noch andere Factoren mit in Betracht' kommen; an der Feuchtigkeit haben wir einen conservirenden Factor kennen gelernt, in der feuchten Luft wird daher der in-fectionsfäMge Dunstkreis jedenfalls weit grosser sein, als in trockner Luft; der Gehalt an Ozon oder ozonisirtem Sauerstoff ist wechselnd, und dieser Wechsel kann auch nicht obne Einfluss bleiben, wenn man dem ozonisirten Sauerstoffe nicht diu ihm zugeschriebene desinficirende. die Luft reinigende Wirkung ganz streitig machen will; ansserdem wird der Kreis bei ruhender Luft (in abgeschlossenen Räumen z. B.) im Ganzen grosser, als bei bewegter, und bei Luftströmungen (Wind, Zugluft) in einer bestimmten Richtung vergrössert, so dass die Ansteckung auf der einen Seite kaum in der nninittelbarsten Nähe, auf der andern aber in einer ungewöhnlich grossen Entfernung stattfindet: bei dem raschem Fortführen des Ansteckungsstoffes in einer bestimmten Richtung findet jedoch auch wieder ein schnelleres Unwirksam­werden statt, so dass die äusserste Distanz, in welcher beim Winde die Ansteckung erfolgen kann, doch nicht über das Doppelte oder Dreifache des gewöhnlichen infectionsfabigen Dunstkreises binaus-zugehen scheint. Die abgeschlossene Luft im Stalle conservirt den Peststoff besser, als die freie Luft, weil sie immer feucht und weniger in Bewegung ist; je mehr kranke Thiere (Pestquellen) sich nun in einem solchen Stalle befinden, desto mehr häuft sich das Contagium an; deshalb ist denn auch in der Kegel die ganze Stallluft geschwängert und der infectionsfähige Dunstkreis gleich­bedeutend mit dem ganzen Stallranme, namentlich in den Ställen, die ohne Ventilation und nicht besonders geräumig sind.
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Wie lange nun das Verweilen in dem infectionsfahigen Dunst­kreise zur Ansteckung erforderlicli ist. das hängt sehr natürlich von dem Grade der Luftsclnvängeruug mit Peststoff ab; in engen Stallen wird deshalb die Ansteckung immer viel früher erfolgen,' als in der freien Luft, und im letzten Falle in der unmittelbarsten Nähe der Kranken schneller, als in der äussersten Entfernung, wo eben noch eine Anstedcung möglich ist; denn der infectionsiähige Dunstkreis nimmt selbstverständlich mit der Entfernung von den Kranken, resp. den Cadaveru ab. Während in sehr inficirter Luft einige Atherazüge genügen, erfolgt die Ansteckung in schwach in­ficirter Luftschicht erst nach Minuten, resp. Stunden; immer aber pflegt die directe Ansteckung ziemlieh rasch zu erfolgen, weil eben die Pestquelle viel ergiebiger ist. als bei indirecter An­steckung. Sehr natürlich ist es auch, dass die Ansteckung neben Pestkranken sicherer und rascher erfolgt, als neben Pestleichen, die den Peststoff nicht mehr ausathmen.
Kehren wir nun von diesen in der Natur des Peststoffs be­gründeten allgemeinen Pegeln zu den directenBeobachtungen zurück.
Abilgaard*) sagt: „Ich habe kein Beispiel, dass sich die Ansteokungs-Atmospharo auf 40 Faden (240 Fuss) erstreckt habe, obgleich der Wind von einer angesteckten Stelle in dieser Entfernung einen Viehstall traf. Ein solches hat mich doch auf die Veriauthmig gebracht, dass der Ansteckungsstoff im Winter wohl 27 Faden (162 Fuss) weit gebracht werden kann. Es ist auch wahr, dass die Ansteckung des Sommers geringer ist, als die des Winters.quot;
Jessen**) sah auf einer Seite eines ungefähr 25 Fuss breiten Flusses pestkrankes Vieh unter freiem Himmel aufgestellt, wahrend am entgegen­gesetzten Ufer auf der Wieso gesunde Kühe weideten, ohne angesteckt zu werden,
Ilöll***) veranschlagt den Dunstkreis auf 20—30 Sehritt, welcher jedoch durch Luftzug und Windströmung bedeutend vergrdssert werden könne.
Brefeldf) erwähnt, dass das Vieh in einem Stalle gesund blieb, der nur 40 Schritt von einem inficirteu Stalle entfernt lag.
Bei der Invasion der Rinderpest 1855 in den Regierangsbezirk Königs­berg stand im Kreise Osterode eine, im Kruge zurückgebliebene, dem Tode nahe pestkranke Kuh mehrere Stunden in einer grossen Einfährt, etwa 25 Schritt von 7 Kindern des Krügers entfernt, ohne dass letztere ange­steckt worden sind ff).
*) E. Viborch's Sammlungen. Bd. 1, S. 55. **) Die Rinderpest etc. 1834. S. 98. ***) Lehrbuch der Pathologie. Zweite Auflage 1860. S. 360.
f) Bericht über die Kinderpest. Breslau 1856. ft) Mittheilungen aus der Praxis von Gerlach. Fünfter Jahrgang pr. 1856/57. S. 83.
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Das russische Comite*) beantwortet die betreffende Frage Nr. 3 dahin, dass die Ansteckung durch die in der Luft verbreitete Ausdünstung der kranken oder gefallenen Thierc nur in eine „nmveite Distanzquot; erfolgt.
In England**) schienen einige Versuche die Ansteckung gesunder Rinder auf eine Entfernung von 20—25 Fuss zu bestätigen, während in einer Entfernung von-100—200 Fuss in einzelnen Versuchen keine Ansteckung er­folgte. Dabei wird bemerkt, dass überall, wo die Pesthöfe klein sind und die Häuser neben einander stehen, die Verbreitung rasch erfolgte.
Schliesslich lasse ich meine Beobachtungen in Südliolland im Septem­ber 1865 folgen. Grosse niedrige, unter dem Meeresspiegel gelegene, abge­deichte, grasreiche AVeidetiächen waren Tag und Nacht mit Viohheordeu besetzt. Diese Weiden waren vielfach durch 3—4 Fuss breite und gänzlich gefüllte Wassergräben in schmale, oft nur 10—20 Schritt breite, gruppemveis in dieser oder jener Richtung parallel neben einander verlaufende und auf einander stossende Parzellen getheilt, die sogenannten Polders. Stellenweis waren nur einzelne, stellenweis aber auch fast alle diese Parzellen mit Rindern und viel­fach auch mit einzelnen Schafen besetzt, auf einigen befanden sich nur einzelne Häupter, auf andern wieder kleine Heerden von 10—20 Stück Rindvieh; im Ganzen mochten so circa 3—4000 Rinder in der Umgegend von Schiedam weiden. Auf der einen Parzelle fand ich kranke, auf der andern noch ge­sunde Rinder; auf derselben Parzelle unter einer zusammengehörigen kleinen Heerde sah ich Durchgeseuchte, Kranke und Gesunde zugleich. So fand ich die Verhältnisse vor, so hatten sie schon seit August bestanden, und in ähn­licher Weise verliess ich die Verhältnisse nach 14 Tagen, mir dass die Zahl der Kranken sich allmäblig gemehrt und der ganze Bestand verringert hatte. Dies alles frappirte mich gewaltig, weil ich bis dahin als reiner Theoretiker einen ganz andern Begriff über die Ansteckung und die Verbreitung der Pest gehabt hatte. Ich suchte nach speciellen Verhältnissen, konnte aber in der kurzen Zeit die Thatsacben nicht in dem erwünschten Umfange sicher fest­stellen; so viel über Hess sich ermitteln, dass die Pest sich im Allgemeinen ausseist langsam von einer Parzelle zur andern verbreitete, dass sich auf eini­gen bereits wochenlang Kranke befunden hatten, während das Vieh auf den angrenzenden Parzellen noch gesund war, dass einzelne Polders sogar aus­gestorben waren, und unter Heerden in unweiter Entfernung, hier und da nicht erheblich über 100 Schritt, noch keine Pest ausgebrochen war.
Das Gesammtergebniss ist hiernach, class in freier Luft der mfectionsfahige Dunstkreis sehr klein sein kann, ohne Wind nicht über 20—30 Fuss hinausgeht, und dass in einer Entfer­nung von mehr als 100 Schritt keine Ansteckung mehr durch die Luft zu erfolgen pflegt.
*) Die Resultate der Rinderpestimpfungen von Ravitsch. **) Dritter Bericht der Rinderpest-Commission. Auszug von Bruckmül-ler in der Vierteljahrsschrift. Bd. 26, U. 2, S. 141.
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Indirecte,
Div Zwischenträger, aamentlicb Cadavertheile
mitt e 1bare A qstec k nn f
welche die Ansteckung vermitteln, siml sög'ehannte thierische Rohpcoducte, Ab­
falle von Kranken und andere Körper, welche das Contagium auf-genomihen haben. Der Vorgang bei dieser Ansteckung ist wesent-lirli derselbfr, wie bei der directen; der Ansteckungsstoff entweicht, tritt in die Luft und wird mit dieser aufgenommen. Sofern Ge­tränk und Futterstoffe die Zwischenträger sind, gelangt das Con-taginm mit diesen in den Verdauungsweg, wahrscheinlich aber von hieraus nicht zur Wirkung: bei dieser Aufnahme findet aber auch zugleich eine Verflüchtigung und ein Eindringen in die Luftwege statt. Jeder Zwischenträger infieirt die umgebenden Luftschichten, er hat also auch seinen inficirten und infectionsfähigen Luftkreis, der auch liier bei f'eueliter Luft grosser werden kann, als hei trockner, der aber hei der gewöhnlich nur spärlichen Entweichung des flüchtigen Ansteckungsstoffes immer viel kleiner ist und nur in unmittelbarer Nähe Ansteckung bewirkt. Diese Zwischenträger sind entweder mobiler oder stabiler Natur: erstere verbreiten die Pest im Räume, die Ausbrüche erfolgen in mehr oder weniger entfernten Orten und Ländern: letztere verschleppen das Conta­gium und somit die Pest in der Zeit, indem sie den Ansteckungs­stoff an Pestorten, in den Ställen, auf den Weiden etc. conser-viren und so gelegentlich früher oder später neue Pestausbrüche bedingen. Je mehr die Zwischenträger das Contagium auf-aehmen und von der Luft abgeschlossen in sich tragen und je weniger sie austrocknen, desto länger können sie es conserviren, in dem Räume und der Zeit verschleppen. Die porösen Körper und die mit ruhenden Luftschichten zwischen sich, als: Erde, Stroh, Heu, Mist, wollene Stoffe und Pelzwerk etc. conserviren das Pestcon-tagium am längsten, sie werden deshalb auch giftfangende Sachen genannt, üebrigens kann der Peststoff an jedem Körper eine kurze; Zeit haften und mit demselben fortgetragen werden, deshalb ist denn auch die Gefahr der indirecten Ansteckung immer in der Nähe der l'est am grössesten. und desshalb kann auch nur eine gänzliche Absperrung die Ansteckung verhindern. Es bedarf da­bei wohl kaum der Erwähnung, dass bei den heutigen Verkehrs­verhältnissen die Gefahr der Ansteckung durch Zwischenträger viel weiter reicht, als ehedem, die Pest kann sich jetzt mehr sprungweise und in viel grössern Sprüngen verbreiten, als früher;
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wo der Verkehr hingeht, da geht auch immer die Pest mit hin, und sind Ausbrüche in Entfernungen von 20, 30 und noch meh­reren Meilen sehr wohl möglich.
Die verschiedenen Zwischenträger können ihren Ansteckungs­stoff auch zunächst an einen andern Zwischenträger abgeben, so dass das Contagium erst in dritter Instanz Ansteckung bewirkt, dies kommt namentlich bei den Abfällen von kranken Thieren und hei Cadavertheilen vor.
Die wichtigsten Zwischenträger wollen wir noch kurz hervorheben.
I) Theile von geschlachteten, resp. gefallenen Pestkranken; im frischen Zustande die gefährlichsten Zwischenträger. In kalter Jahreszeit wird mit den thierischen Substanzen auch das Conta­gium länger conservirt; deshalb können alle die hier in Betracht kommenden Gegenstände auch im Winter die Pest viel häufiger und weiter verschleppen, als in heissen Sommertagen. Die Inten­sität der Ansteckungskraft nimmt aber mit der Zeit ab, und zum grossen Glück geht das Contagium bei dem Austrocknen, resp. fauligem Zerfallen zu Grunde, und wo künstliche Erhaltungsmittel der Eörpertbeile — des Fleisches etc. — angewendet werden, da sind diese gewöhnlich auch die Zerstörungsmittel des Ansteckungs­stoffes. Die ganz frischen, noch gar nicht oder kaum erkalteten 'f heile sind demnach die gefährlichsten; nach einigen Tagen nimmt die Ansteckungskraft ab und nach 8 — 14 Tagen ist sie in der Regel erloschen. Deshalb hat denn auch die Verschleppung der Pest durch solche Theile sehr ihre Grenzen.
Durch Fleisch von geschlachteten Pestkranken wird die Pest immer am meisten verschleppt; denn wo die Rinderpest haus't, da giebt es auch immer viel Fleisch von pestkranken Thieren; es wird billig verkauft und findet immer seine Abnehmer, weil es eine alte Erfahrung ist, dass dieses Fleisch für den Menschen unschädlich ist. Wo das frische Fleisch hingeht, dahin folgt ganz gewöhnlich die Pest nach; der Peststoff aus dem Fleische gelangt durch das Spülwasser, durch Kleidungsstücke oder auch direct in den Kuhstall. Arün den vielen Beobachtungen will ich nur einige der interessanteren anführen, die uns zugleich zeigen, auf welche verschiedene Weise das Contagium des Fleisches zur Einwirkung auf die Rinder kommt.
Bmckmttller*). Im Juli 186G spülten die Trappen ihr, grösstentheils von pestkranken Rindern stammendes Fleisch in einem Anno der Leitha. Die
*) Vicrteljahrsschrift. Bd. 27. H. 1. S. 35.
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Binder auf dpi' nnterhalb der Trappen In dor Xillic gelegenen Mülilc wurden zu diesem Flassame zum Tränken getrieben; eine Kuli und ein Kali) tranken, zwei andere Kühe verschmähten das Wasser. Acht Tage später erkrankte zuerst das Ealb und bald auch die Knh, welche getrunken hatten, die beiden andern Kühe wurden einige Tage später aus Besorgniss geschlaehtet, obwohl sie uotdi gesnnd erschieueus li. bemerkt dabei noch, dass er mit liestimmt-heit bejbaupten zu können glaube, dass in drei Häusern die Einderpest durch Tränkung der Thiere mit dem Wasehwasser des Fleisches zum Ausbruch ge­kommen sei.
Departementsthierarzt Dressler hat bei dem Herrschen der Einderpest 18(jlt;i einige sehr interessante Fälle gesammelt*). Zwei Ochsen, zum Fort­schaffen des Fleisches von pestkranken Rindern nach der Stadt benutzt, er­krankten nach einigen Tagen an der Fest. Am Tage des Fleischtransports hatte eine Kälte von 10deg; E. statt.
p;in Viehbesitzer brachte die Pest unter sein Rindvieh durch 4 Pfund Fleisch, Avelches er am quot;Wochenma.rkte gekauft hatte.
Der Arlieitsmann Peter in Jacohsthal hatte den Kopf einer am 7. Nov. geschlachteten pestkranken Kuh bekommen; die Frau des P. wusch den Kopf ab und gab das Spülwasser ihren beiden Rindern zum Saufen; beide erkrank­ten an der Rinderpest, die erste am 20., die zweite am 24. November.
im Kreise Pr. Holland wurde die Pest von Draulitten nach Buchwalde, 3/.l Meile, durch Fleisch verschleppt; ein Arheitsmann hatte mit einem grossen Stück Fleisch von einer pestkranken Kuh Gelegenheit gefunden, von Drau­litten nach l'.uchwald zu fahren: auf dem Wagen legl er sein Fleisch auf einen Sack; am folgenden Tage kam dieser blutbefleckte Sack, mit Häcksel gefüllt, in den Kuhstall, worauf bald die Pest in diesem Stalle ausbrach.
Kach Kreisthierarzt Arnsberg war in der Zeil vom 3. zum 7. December Fleisch von rinderpestkrankem Vieh aus Draulitten auf einem Schlitten nach Pr. Holland gebracht worden. Der Hund dos W. hatte sich ein Stück Fleisch rom Schlitten geholt und neben der Kuh verzehrt, welche am 14. an der Pest erkrankte.
Nach der Beobachtung von Ereisthierarzt Przibylka im Regierungs­bezirk Oppeln. wo die Pest am 8. September auf einem Hofe ausgehrochen, nahm der Bergmann ('. von einem später erkrankten und geschlachteten Rinde Fleisch mit zu Hans; das zum Abwaschen dieses Fleisches benutzte Wasser war vor dem Kuhstalle der Wittwe J. auf den Dünger geschüttet worden; am 30. September brach die Pest in diesem Stalle ans.
Durch Häute erfolgt die Verschleppung schon seltener, weil sie eigentlich iticlit frisch in deii Handel kommen; wenn sie im frischen Zustande veninssert werden, so gelangen sie gewöhnlich direct in die Gerbereien. Häute von pestkranken Schafen sind gefährlichere Zwischenträger, als von andern pestkranken Thieren; die Wolle conservirt das Contaeium auf der Haut besser, als die
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*) Mittheilungen etc. S. 82—85.
von Gerlach. Fünfter Jahrgang pro 18ö6/7.
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glatten Deckhaare; durch Schafhäute ist deshaJh die Ansteckung nach Menaten wolil noch möglich. Anrlore Körpertheile, wie oa-mentlich Eingeweide, Fett, Hörner und Klauen, sind frisch weniger Handelswaare, sie kommen dcslialb uucli nur 1)ei einer ganz unerhörten Unordnung in Betracht, wie ich si(! allerdings in Holland angetroffen hahe, wo sich die Hunde mit den Knochen und Eingeweiden der geschlachteten und gestorbenen restkranken umher schleppten.
2)nbsp; Abfülle von Pestkranken. Die Darmexcremente, der Harn und die Ausflüsse aus .Maul und Nase sind stark mit Ansteckungsstoff geschwängert und deshalb im frischen Zustande sehr ansteckend, verlieren aber ziemlich früh ihre Ansteckungs­kraft an der Luft: mit dem Harn kann sich das Contagium auch in die Erde ziehen und hier lange' wirksam bleiben: ebenso kann der aufgehäufte Mist das Contagium des Harns und der Darm­excremente lange Zeit, unter Umständen, im Winter z. B. Monate Jang in sich conserviren.
3)nbsp; nbsp;Rauhfutter. Heu uud^Stroh absorbiren das Contagium in den Pestsfällen, überhaupt überall, wo die Luft mit Peststoff geschwängert ist. und conserviren es um so länger, je mehr diese Stoffe auf einander geschichtet liegen und je weniger sie von der Luft durchdrungen werden können. Im (ranzen sind aber die beobachteten Verschleppungen auch hierdurch nicht häufig.
Besonderes Interesse hat ein vom Departementsthierarzt Dressier*) mit-getheilter Fall. Ge^equot; Ende 1855, wo bekanntlich die Rinderpest in Polen sehr verbreitet herrschte, fütterten reisende Fischhändler - polnische Juden ihre Pferde am Kruge des Dorfes Marwalde (Kreis Osterode) und Hessen etwas Heu an der Futterstelle zurück, welches von einem Ochsen des Krügers ver­zehrt wurde: dieser Ochse erkrankte zuerst und fiel am 8. Januar 1856 an der Rinderpest.
4)nbsp; nbsp;Stallungen, Weiden und Eisenbahnwagen. Die Stallungen sind um so mehr geeignet, den Peststoff zu conserviren. je mehr poröse Flächen sie dem Contagium darbieten; in Ställen mit dicken, durchlöcherten Lehmwä nden und Decken und nicht ge­pflastertem Fussboden kann die Pest nach langer Zeit noch wieder zum Ausbruch kommen; Holzwerk, das nicht mit Oel oder andern Substanzen getränkt und überzogen ist. welche die Aufnahme ver­hindern, namentlich fauliges, wurmstichiges Holz kann längere
*) Mittheilungen von Gerlack, Fünfter Jahrgang. S. 85.
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Zeit Zwischerda-ager sein. Besonders gefahrlich sind in dieser Beziehung die hölzernen Fussböden, welche den Urin durch­lassen und das Austrocknen der darunter liegenden Erdschich­ten verhindern. So kann es Htälio geben, welche noch nach '.o—1 Jahre und nelleicht noch später einen Pestaushruch ver­mitteln, während feste, sohde Ställe bei gewöhnlicher Reinigung schon nach vier Wochen aufgehört hüben, Zwischenträger zu sein.
Weiden verlieren das Contagium bei troekner Witterung sehr bald; am längsten wird der Peststoff auf der Weide durch die Darmexcremente erhalten. In der Hegel ist deshalh die Gefahr der mittelbaren Ansteckung auf der Weide binnen 14 'lagen ver­schwunden.
Kisenbalimvagen können die Ansteckung noch nach langer Zeit vermitteln, einmal, wenn dem Holze nicht durch Oel und andere Substanzen die Absorptionslabigkeit genommen ist. und. zweitens, wenn sieb Ablalle — Schleim und Kxerenieute — anhäufen, namentlich in Löcher und Fugen festsetzen; in solchen Fällen können sie Wochen lang, ja wahrscheinlich .Monate lang die An­steckung vermitteln.
5)nbsp; nbsp;Wolle. Seitdem wir wissen, dass auch Schafe' an der Pest erkranken, hat die Wolle als Zwischenträger eine grosso Be­deutung bekommen. Von kranken Schalen ist die Wolle so durch und durch inticirt, dass sie. in Bündel und Hallen verpackt, den Peststoff jedenfalls am längsten conservirt und in der weitesten Ferne Ansteckung vermittehi kann. Die Wolle ist aber dennoch erfahrungsmässig nicht häufig Ursache von Pestaushrüchen ge­wesen, weil sie mein- in den Grosshandel kommt und direct in Fabriken wandert, wo selten Gelegenheit zur Ansteckung ge­geben ist.
6)nbsp; nbsp;Lebendige Zwischenträger. Obenan steht der Mensch; er verschleppt die Fest in seinen Kleidern, namentlich in wollenen Stoffen, im Pelzwerk und durch Stallschmutz an dem Schuhwerke. Diese Art Verschleppung erfolgt vorzugsweise in der Nähe, von einem Stalle zum andern, auch nach benachbarten Ortschaften. Nach weiten Entfernungen erfolgt die Verschleppung durch Menschen gewöhnlich nur. wenn die inficirten Kleider verpackt, durch Ueber-kleider oder sonst wie dem freien Luftzutritte unzugänglich ge­wesen sind.
Ein Officier, der die BeanMcMgaiig der Lento fahrte, welche bei den kranken ärarischeo Triebheerden beschäftigt waren, nahm an der Stalltlnu'
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AbscMed von soiner Wirthin, die ihre Kühe melkte; uucli sechs Tagen zeigte die Kuh zuniiclist dor Stullthür die Rinderpest.
In zwei Stiillcu wurde die Pest durch Soldaten eingeschleppt, welche mit dem Verscharren der Rinderpestcadaver beschäftigt waren, und in einen Stall durch Fleischhauer.
Eine Frau aus einem verseuchten Hause besuchte ihre kranke Schwieger­tochter in dein benachbarten Orte, worauf nach einigen Tagen in diesem Hause die Pest zum Ausbruch kam*).
Im Regierungsbezirk Breslau verschleppte der Thierarzt N. in Quhrau die Pest aus Seitsch. l1/^ Meilen von ßuhrau entfernt, in seinen eigenen Viehstall**).
Ein Thierarzt***) zu Hainaut in Belgien wurde, nachdem er eine Ob-duetion an einem Pestcadaver gemacht hatte, nach einem Viehbesitzer ge­rufen, dessen Vieh er hei diesem Besuch angesteckt hat. #9632;
lu Holland ist die Pest recht häutig ans dem Seuchenherde (Südholland, südlicher Theil von Nordholland und die westliche Hälfte von Utrecht) heraus-gespnmgen und an oft sehr weit entfernten Punkten der Provinzen Nord­holland, Gelderland, Brabant und Oberyssel aufgetaucht, sie ist sehr oft über die holländisch-belgische und einige Male aber die bolländisch-preussische Grenze gesprungen. Diese Sprünge sind mehrfach durch Handelsleute und andere Personen aus verpesteten Ortschaften verursacht worden. Ich will hier einen Fall besonders erwähnen, der mir Veranlassung gab, nach Holland zu reisen. Im Februar ISÖG brach in Zwollerkaspel bei Zwolle — Provinz Oberyssel — über 20 Meilen von der Grenze des Pestherdes entfernt, die Rinderpest in zwei weit von einander entfernten Stullen aus. Keine andere Ursache war ausfindig zu machen, als dass acht Tage vor dem Ausbruch ein holländischer Handelsmann in beiden Ställen gewesen war; in dem einen Stalle erkrankten einige Häupter und sämmtliches Vieh musste zur Tilgung getödlet werden, in dem andern hatte der Handelsmann nur in der Stallthür gestanden und den an der Thnr stehenden fetten Ochsen besehen, in diesem erkrankte nur dieser eine Ochse, durch dessen sofortige Entfernung die Pest coupirt wurde.
Mitte Januar wurde die Rinderpest durch einen holländischen Handels­mann (Keyser in der Provinz Nordbrabant) durch Hornvieh nach Hasselt gebracht, welches in pestfreier Gegend der Rheinprovinz aufgekauft worden war. Departementsthierarzt Luthenz glaubt — und gowiss mit Recht — dass der K. mit seinen holländischen Knechten den Peststoff in den Kleidungs­stücken verschleppt und die aufgekauften Rinder selbst angesteckt habe. Derselbe holländische Handelsmann ist auch in Verdacht, die Pest nach dem Kreise Cleve (Rheinprovinz) in seiner Kleidung gebracht zu haben.
Durch Thiere. DSrcLgeseuchte Thiere sind am gefähr­lichsten: Wie lange ein durchgeseuchtes Thier mit und olmo Dos-infectipn das Contagium verschleppen kann, ist noch zu ermitteln;
*) Brück mit Her. 1. c. Bd. 37. S. 39. **) Mittheilungen etc. von Gerlach pro 1856/7. S. 75. ***) Annales de Med. veter. p. M. Delwart et Thiemesse 18GÖ. S. 648.
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jedenfalls sind bei ümen Ilaiitscliuppen und E[aare mit Con-tagium gesättigt Thiere, die nicht selbst erkranken^ können die Pest auch verschleppen. sie sind aber in der Regel nicht so getiihrlich. als man sie ansieht; der Peststoff kann sich an diesen Thielen in dem kurzen Deckhaar nicht lauge hal­ten, die tliiensche Wärme fördert einerseits die Verflüchtigung und desinficirt im Vereine mit dem Luftzüge bei Bewegung sehr bald. Eine Verschleppung durch diese Thiere kann deshalb nur in der nächsten Nähe geschehen und geschieht erfahrungs-mässig auch nur in dieser. Hunde. Katzen and Hatten können bei ihrer freien Lebensweise die Pest sehr leicht in die Nach-bärschaft tragen.
Das Geflügel steht auch in einem viel grössern Verdacht, die Rinderpest zu verschleppen, als in Wirklichkeit vorkommt: zunächst kommt höchstens das Bofgeflügel in die Pestsphäre, dasselbekommt aber, mit Ausnahme der Tauben, selten vom Gehöfte und dann gewöhnlich nur in die Nachbarschaft. Die Tauben dehnen ihre Besuche zwar weiter aus. sie desinficiren sich aber schon im Fluge, in welchem die Luftströmung durch das Federwerk das etwa an­haftende Gontagium sicher abführt und vernichtet. Ich habe, bis jetzt noch keinen Fall, weder aus der Literatur noch aus eigener Beobachtung kennen gelernt, wo eine Verschleppung durch Feder­vieh nachgewiesen wäre.
Die Incubationszeit.
Von der Aufnahme des Ansteckungsstolfes. von der Ansteckung bis zum Eintritt der ersten Krankheitssymptome vergeht ein be­stimmter Zeitraum , die sogenannte Brütungs- oder Keimungszeit — tempus ineubationis s. genninationis. - - Dieser Zeitraum ist rücksichtlich der Verschleppung, des Seuchenganges und der Schutzmaassregeln von grosser Bedeutung für die Praxis. Der Regel nach ist die mittlere und gewöhnliche Incubationszeit 6 bis
7 Tage. ..... für den feinen Diagnostiker 6, für den weniger Geübten
7Tage — und die gewöhnlichen Schwankungen um 2 Tage rück- und vorwärts, also von 4—9 Tagen. Dies ist eöfe alte und immer wieder von Neuem bestätigte Erfahrung, darüber ist keine Meinungsver­schiedenheit. Dagegen sind Differenzen entstauclenzwischen den altern und einigen neuem Beobachtern über die ausnahmsweise weitere Verlängerung dei-Incubationszeit; die Alton haben die [neubations-zeit bis zu 'd Wochen beobachtet: einige der neuem Beobachter
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iu Russland und Oesterreich bestreiten dies, sie sehen in 10 Ta^en die äusserste Verlängerung und wollen deshalb die Quarantaine für das russische Steppenvieh auf 10 Tage reducirt wissen. Bei den betreffenden Discussiouen auf den internationalen thierarztlicheu
Congressen in Hamburg 18(53 und Wien 1865 befand ich mich in der Opposition: ich konnte den alten Beobachtungen gegenüber die neuem noch nicht für genügend erachten, um darauf eine so wichtige Abänderung einer alten, bewährten Maassregel /.n basiren. Meine Gründe hierbei waren und sind es noch heute:
1)nbsp; Man muss vorsichtig sein und darf nicht so rasch mit dem Alten brechen in Dingen, wo es sich nicht um Theorien, um theoreti­sche Deuteleien, sondern um empirische Tbatsachen bandelt, um Zahlen, bei denen höchstens einmal ein Factor übersehen sein mag, den wir jetzt besser würdigen können: es können deshalb bei den al­ten Beobachtungen über die Incubationszeit ab und zu Irrthümer untergelaufen sein, sie aber gänzlich als falsch zu bezeichnen und zu verwerfen, halte ich au und für sich nicht gerechtfertigt und um so weniger, als im 18. Jahrhundert, aus dem die alten Beobachtungen namentlich herdatiren. die Rinderpest nicht aufgehört bat. ausser-balb der russischen Grenze in Europa zu herrschen, und in den nördlichen und westlichen Ländern Europas — namentlich in Dänemark, Norddeutschland und Holland — viele tausend Kinder gVimpft worden sind, wogegen die Zahl der neuen Impfungen noch
eine winzige ist.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;}
2)nbsp; Eine positive Beobachtung wiegt mehr, denn hundert, ja tausend negative in Dingen, wo es sich um Ausnahmen von der Kegel handelt.
3)nbsp; Die meisten neuen Beobachtungen stützen sich auf die Resultate der Impfungen in Russland; von den Impfungen auf natürliche Ansteckungen einen liückschluss zu machen hinsichtlich einer ausnahmsweisen Verlängerung der Incubationszeit, kann ich aber nicht für zulässig halten. Uebrigcns werden wir weiterhin sehen, dass die angezogeneu Resultate gar keine btütze für die moderne Behauptung abgeben.
4)nbsp; Endlich haben wir keine ansteckende Krankheit, bei der nicht unter Umständen die Incubationszeit verlängert würde; selbst bei den Pocken, namentlich den Schafpocken, die einen am meisten fixirten typischen Verlauf haben, bei denen die mittlere Incubations­zeit auch 7 Tage beträgt und deren gewöhnliche. Schwankungen sich gleichfalls auf 2 Tage rück- und vorwärts beschränken: bei diesen
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Pocken, die uns Gelegenheit gehen, mit grossen Zahlen zu rechnen, kommt sogar nach den Impfungen zirweilen eineVeiiängerung von 14 Tagen bis 3 Wochen und länger, nach den natürlichen Ansteckungen aber sehr häutig eine wesentlich längere Incubation vor.
Ich zieiie hier andere ansteckende Krankheiten mit heran. weil sie Alle uns darüber belehren, dass es neben derKigenschait des Ansteckungsstoffes noch andere Factoren giebt, die hierbei mitwirkend sind (bei den Schafpocken sind davon einige, z. B. Temperatur und Nährznstand, bekannt), und dass bei allen ansteckenden Krankheiten die Quantität des ant'genominenen An­steckungsstoffes wesentlich mit maassgebend ist. Eine minimale Quantität steckt gar nicht an, ebenso wenig auch ein sehr ver­dünntes Contagium; sehr concentrirte Cuntagien in grossen Quantitäten bedingen intensive Ansteckung und dabei auch ge­wöhnlich eine möglichst geringe ineuhationszeit. Leichte Er­krankungen liefern gewöhnlich auch weniger Ansteckungsstoff, daher die Impfmaterie weniger intensiv und die natürliche Ansteckung schwächer.
Dies ist der theoretische Standpunkt, kehren wir nun zu den
Erfahrungen zurück.
Die Köiügl. Dänische Regierung Hess auf Staatskosten von 1770—1772 Inipfuugeu nach. Anleitung des Professor Camper auf einer kleinen pestfreien Insel Aunüe anstellen; die Resultate davon sind von Tode*) übersetzt und bekannt gemacht. Von 390 geimpften THeren erkrankten: 50 vom 4. bis 10. Tage, 201 „ 11. „ 20. „ 20 „ 21. „ 2G. „ 113 erkrankten gar nicht
Es ist nicht zu leugnen, dass man lioi diesen Resultaten zu der Ver-muthung kommt, es möchten andere Factoren iutcrciimrt and namentlich natürliche Ansteckungen mit stattgefunden haben.
v. Oertzen**) sagt, dass eine Erkrankung nach 10 Tagen vorkomme, wenn die Materie zu schwach gewesen sei; man merkte dann, dass die Impf-wunde nicht sonderlich inflamnürt war.
Auf Langland wurden 18 zweijährige Rinder mit 14 Tage alter Materie geimpft, 4 davon erkrankten am 10., die übrigen 14 am 15., l(j. und 18 Tage***).
Die Pest war in dieser Zeit sehr gutartig; in Mecklenburg starben von 4075 Hindern, welche im Jahre 1778 geimpft worden sind, nur 438 Stück.
*) Geschichte der [mpfung der llonivicliseuche in Dänemark etc. 1775. **) Oeffentliche Bekanntmachung der sattsam erprobten und in Mecklen­burg allgemein gewordenen Inoculation der Kinderpest 177'J. ***) Walz 1. c. 1803. S. 142.
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Wir wollen diese altem BeobacLjamgen uichi -weiter verfolgen, sondern zurückkehren zu den netteru oud neuesten Beobacbtungeu und zunächst mit Lorinser beginnen. In dessen Werke*), die erste und eigenfliphe wissen-
sehiiftliche Grundlage, heisst es S. 180: „In Schlesien, in der Neumark und in undent Gegenden hat man ehemals den Ausbruch der Krankheit bei Heer-den beobachtet, die 18—20 Tage sieb in einem pestfreien Lande befandenquot;; „dass der Erscheinung der Kinderpest bei einer Heerde mindestens ein ge­sunder Zeitraum von 14 Tagen vorhergegangen, ist in den letzten Jahren mehr als einmal ermittelt worden.quot;
Lorinser war in der Idee der genuinen Entwickelung befangen und glaubte deshulii in den angeführten Fällen den Beweis für Selbsteutwickelnug zu linden; ohne diese Befangenheit würde L. eine ausnahmsweise längere Ineuliation als zweifellos angesehen haben.
In dem, Seite 120 bereits erwähnten, vom Departeinentsthierarzt Dressler mitgetheilten Falle sind die beiden Kühe des Arbeitsmanues Peter in Jacobs-thai, welche das Spülwasser, womit, der Ebpf einer am 7. November ge­schlachteten pestkranken Kuli abgewaschen werden war, bekommen hatten, erst am 20. und 24. November erkrankt.
Zlamal**) erwähnt einen Fall, wo ein Vieh, angekauft auf einem ver­pesteten Markte, erst am 21. Tage in die Seuche verfiel, und führt zum Be­weise, dass auch eine 21 tilgige Quarantaine nicht schütze, einen zweiten Fall an, in Welchem die Seuche nach 21 Tagen noch ausbrach, und am dritten Tage nach der Quarantaine schon eine Pestleiche gab.
Fürstenberg***)crwäluit nur im Allgemeinen, dass sich die Incubation in einigen sicher constatirten Fällen in Holland und England auf 14 and 15, selbst auf 18 Tage erstreckt habe.
Leiseringf) erwähnt folgenden Fall: Eine Kuh, aus Holland stammend und im August auf dein Markte zu Mecheln gekauft und isolirt in einem Stalle aufgestellt, erkrankte am 14. oder 16. Tage nach dem Kaufe an der Kinderpest.
im Journal de la Societe Agricole Nr. 591, 1867 ist ein Fall mitgetheilt, in weichemeine Schafheerde von 142 Stück von einem pestkranken Kinde angesteckt wurde und erst nach einer Incubationszeit von nahezu 3 Wochen erkrankte.
Die beiden Hannoverschen Thierilrzte Steinkühler und Muller, welche 186G von der Regierung nach Holland geschickt worden sind, erwähnen in ihrem Berichte, dass in einem Stalle eine Kuh unerwartet an der Kinderpest starb und erst am dreizehnten Tage nachher weitere Erkrankungen vorge­kommen sind.
Ich selbst hatte bei meinem Aufenthalte in Holland keine Gelegenheit, bestimmte Fälle von längerer Incubation zu beobachten; ich habe aber im Allgemeinen die Beobachtung gemacht, dass in manchen Ställen die Dauer der Pest zur Annahme einer längern Incubation hindrängt. In einer Brennerei
*) Untersuchungen über die Kinderpest etc. 1831. **) Amtlicher Bericht über den zweiten internationalen Congress. AVieu 1805. S. 34 u. 38
***) Bericht, Abdruck aus den Annalen der Landwirthschaft. 1856. t) Bericht über die Kimlerpest in Holland und Belgien. 1808. S. 12.quot;
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#9632;/.. B. standen 50 und einige Rinder in 2 Reilien dicht uebftii einander mit den Iföpfen gegenüber so aaJie, ilass sie sich mit den Nasen berühren konnten. Die Pest war bereits 4 Wochen vor meiner Ankunft in diesem Stalle ansge-brochen, aber ungewöhnlich gutartig, und als ich 10 Tage später abreiste, waren noch zwei fiisch erkrankt. SpecieUere Beobachtungen haben mir die C'ommissiousinitglieder zu Schiedam zur beliebigen Benutzung aus ihren Notizen luitgetheilt:
Herr Professor 11 o ckm e y e r: „In einer kleinen Hinderbeerde wurde der erste Erkrankungsfall am G. August festgestellt; Patient starb am 7. August. Der nächste Erkrankungsfall zeigte sich erst am 1. October. Eine spätere Ansteckung nach dem 7. August war weder zu ermitteln, noch anzu­nehmen/'
Herr Professur lleugefeld: „Am 8. August wurden zwei trächtige Kühe-in Rotterdam auf dem Markte gekauft, zu Wasser (auf der Maas) nach der Insel Kosenlmg gebracht, wo noch keine Pest war; am 1. September, also am 22. Tage, brach die Rinderpest bei der einen Kuh ans, die zweite erkrankte auch bald.quot;
Derselbe: „Witwe de Jong te Vlardinger-Ambacht kauft am 8. August in Rotterdam filnf Kimler, bringt sie sofort nach Vlarde (21/j Stunde von Rotterdam entfernt). Am 3. September erkrankte eins dieser Rinder an der Binderpest; der erste Erkrankungsfall in diesem Orte.quot;
Herr Thierarzt Swart aus Rar endrecht; „Herr van der Poel, Bauer zu Kiddenkevk. kauft am 15. August 1865 zu Rotterdam ein Beest und bringt es direct nach Riddenkerk, wo es am 6. September an der Pest erkrankt und am 7. getödtet worden ist. In Riddenkerk selbst und Umgegend von Va Stunde war noch keine Binderpest. — Eine Kuli desselben Besitzers, die mit dem kranken, aber mit keinem andern Rinde in Berührung gekommen ist und zu der auch keine fremde Person Zutritt gehabt hat, erkrankte am 1. Oct. an der Rinderpest. Also zwei Fälle von 22- und 21tägiger Incubation.quot; Dieser zweite Fall ist aber unsicher, weil das Thier nach dem Tode des er­sten Thieres noch angesteckt sein konnte.
Herr Thierarzt Devernas: „Eine iuficirte Rinderheerdo kam am 6. September mit einer gesunden Heerde iu Berührung. Die erste Erkrankung an der Kinderpest zeigte sich unter der gesunden Heerde erst am 29. September, also nach 23 Tagen. Eine anderweitige Ansteckung war nicht möglich , weil die Rinderpest sonst in der ganzen Umgegend nicht vorhanden war.quot;
Am 10. Mai 1866hatte ein Gutsbesitzer in der Nähe von Verviers durch einen Viehhändler fünf Kühe erbalten, die auf dem Markte in Gent angekauft worden waren. Gegen Ende (leider keine nähere Angabe) erkrankte eine von diesen Kühen, und die übrigen am folgenden Tage an der Binderpest*).
Der Thierarzt in Au, welcher eine rinderpestkranke Kuh des Gastwirths in Au behandelte, leistete den 26. September 1806 Geburtshülfe bei einer Kuh in ßerneck, die in Folge des Gebährens starb und deren Kalb ein anderer Einwohner des pestfreien Ortes kaufte und zu einer Kuh iu seinen Stall brachte. Beide, Kalb und Kuh, erkrankten am 16. October an der Rinderpest**).
*) Mittheilungen etc. von Müller und Roloff. 1867. S. 85. * **) Report, von Hering. B. 27, S. 378.
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Kobichew*) stellte vier einjährige Ochsen in einen unreinen Stall, in welchem rinderpestkrankes Vieh gestunden hatte, von welchem das letzte Stück 32 Tage zuvor gestorben war. Von diesen Ochsen erkrankten drei, und zwar am 12., 14. und 15. Tage nach der Einstellung, die alle nach 8—lOtiigiger Ivrankhcit starben.
Ich fahle sein- wohl, dass sidi gegen manche dieser Be-
obuclitimgeu EinwendungeD erheben lassen, class wie nicht alle vollgültigen Beweis liefern: in der (iesanimtheit aber beweisen sie entschieden das Vorkommen einer langem Incubation. Wer aber noch zweifeln sollte, der prüfe doch einmal die hnjd'vcrsuche in liiissland. auf welche sich die österreichischen und russischen Veterinäre gestützt haben, um die alten Beobachtungen in dieser Beziehung zu annulliren. und er wird finden, dass von einer grossen Anzahl die Incubationszeit gar nicht angegeben ist, dass unter den angegebenen Incubationen eine auf die doppelte Zeit und darüber sich belaufende Verlängerung gar nicht so ganz selten gewesen ist. und dass diese Versuche keineswegs berechtigen, die alten Beobachtungen zu ignorireu und die Contumaz zu reduciren.
K u r
ze Zusammenstellung der längern Incubationen aus: Compte Reudu.
Seile.
Anzahl
d. geimpften
Tbiere,
Kr-krankt.
Incubation.
Tage.
II o in c r k ii n g e u.
17
54
54
5-10
Impfirtoff 10. Generation; 11 Stück starben.
17
52
52
4—10
Impfstoff 1. Generation; alle genasen.
20
21
3G 98
11
84
4—10
( 1M7U.25
NB. Die Erkrankungen sollen dureb spätere aatürlicbe Anstecktmgbedingt worden sein; dies seheint aber nur aus der spätem Erkrankung gefolgert zu sein.
23
08
60
3—2o
Bei .11) sehwei- Erkrankten 3—10 Tage, bei 20 leicht Erkrankten 20 Tage, bei 5 zwischen ö und 25 Tage.
23
35
17
20
Leichte Erkrankung.
29 37
17 25
1 24
17 13
Waren 11 Tage hindurch in einer pest­kranken Ileerde; die Nase oft mit Speichel eingerieben.
44
258
dio Meisten,
10—15
3S Stück starben.
45
271
p
4—14
11 , .,
45
93
die Meisten.
16
8 g
114 129
2
2
2
2
12 6 u. 10
0 r e n b u r g.
*) Compte reudu des experiences de l'inoculation do la peste aux betes ä comes. Petersburg 1866.
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Ciipilcl 9.
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Die Rinderpest-Invasionen.
Zunächst ein kurzer historischer Rückblick besonders auf die Invasionen in den letzten Decennien.
Nacbweisüch hat die Etinderpest sclion seit 1500 Jahren von den russi­schen Steppen aus die europäischen Länder in verschiedenen Zeiten heimge­sucht. Die ältesten Nachrichten stammen aus dem 4ten Jahrhundert, in welchem sie wahrscheinlich-durch die Völkerwanderung aus Osten nach Westen verschleppt worden ist; gegen Ende dieses Jahrhunderts trat die Uimlerpest in Pannonien auf und verbreitete sich von hieraus über lllyrien, Oberitalien, Gallien und Belgien und richtete überall grosse Verheerungen an, weshalb ihr der 'Sumc „Pestquot;, Viehpest, „Pestis pectidumquot; beigelegt wurde. Von dieser Zeit sind die Nachrichten bis zum 17ten Jahrhundert sehr spärlich, von einzelnen Jahrhunderten — des öten, 7ten, 8ten, 12ten, 14ten u. löten — haben wir gar keine zuverlässige Nachrichten, dagegen sind das 9te, 13te und zuletzt das 18te Jahrhundert durch ungewöhnliche Verbreitung der Rinderpest über Europa ausgezeichnet. Im Uten Jahrhundert trat sie nach dem Kriege des grossen Kaisers gegen die Dänen 80S) in allen Staaten des Kaiserreichs auf; späterhin herrschte sie in Ungarn (820), Frankreich (850) und Deutschland (875). Im loten Jahrhundert ist die Rinderpest mit den mongolischen Horden westlich vorgedrungen, die sie auf ihren Raubzügen verschleppt haben; nach und nach verbreitete sie sich über Ungarn, Deutschland, Italien und Frankreich, wo sie überall das Hornvieh lieerdenweise vernichtet hat. Im Kiten und 17ten Jahrhundert hat sie einige Male in Deutschland und Italien geherrscht; der Senat von Venedig sah sich 1599 veranlasst, bei -Todesstrafe den Verkauf des Rindfleisches, der Käse und Butter in Padua zu verbieten.
Die denkwürdigsten Knulerpestseucheu Europa's fallen in das 18te Jahr­hundert, in welchem die Rinderpest von Anfang bis zu Ende, ja bis in das 19te Jahrhundert hinein geherrscht, nach und nach alle Länder und die meisten zu wiederholten Malen verheerend heimgesucht hat; fiberall fasste sie festen Fuss und herrschte Jahre lang, in manchen Ländern dauerte sie eine Reihe von Jahren, so class mau sie schliesslich für eine einheimisch ge­wordene Seuche betrachtete; so herrschte sie z. B. in England, Holland und Norddeutschland über 10 Jahr hintereinander. Nach einer allgemeinen Be­rechnung hat sie im Laufe dieses Jahrhunderts in Deutschland allein 28 Mill. und in Europa etwa 200 Mill. Häupter Hornvieh getödtet. Sie war beständig Begleiterin der Kriege dieses Jahrhunderts und auch aller Kriege, welche Frankreich von 17i);5 bis 1815 mit den östlichen Staaten Europa's führte; bei dein Rückzüge der französischen Armee folgte die Binderpest den Alliirten bis Paris und machte den letzten grossen Zug von Osten nach quot;Westen durch Europa. Von 181(1 bis zum Ausbruche des russisch-türkischen Krieges 1828 war die Rinderpestseuche in Europa ausserhalb Russlands verschwunden, mit diesem Kriege tauchte sie wieder auf, besonders in den östlichen österreichischen
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Staaten. Kiue grössere Bedeutung gewraun iiber die Bmderpest erst wieder von den vierziger Jahren ab, die sie bis heute für uns und für ganz Europa behalten hat.
Von dieser Zeit alj wollen wir die Invasionen etwas specieller verfolgen und zunächst mit Russlaud beginnen. Seit dem 4ton Decenuium, den lie-richten nach namentlich seit 1844, hat die Einderpest auch in Russland ausser-halli der Steppen eine grBssere Verbreitung gewonnen. Nach oftieiösen Quellen*) hat der durchschnittliche Verlust durch die Kinderpest sich alljähr­lich auf 10 Millionen lluliel belaufen; berücksichtigt man den geringen Preis des Steppenviehes in Russlaud, namentlich in den Steppen selbst, so muss die Anzahl der gefallenen Rinder sehr gross sein. Im Jahre 1844 bis 45 sollen allein eine Million Rinder an der Pest verlorengegangen sein: im Gouvernement Kasan herrschte die Pest von 1844 bis 48 in aöS Ortschaften; 1848 und 4,.t herrschte sie sehr verheerend inVolhynicn, Podolien, Bessarabien, der Moldau und Wallacliei; 184!raquo; und 50 fielen in 19 G-ouvemements 85,660 Stück; 1858 herrseilte die Pest in 47 Gouvernements, in denen 178,690 Stück erkrankt und 118.315 gefallen sind; im Jahre 1866 in 21 Gouvernements, in denen über 50.000 Rinder erkrankten.**) Diese kurzen Angaben mögen für uns genügen, um zu zeigen, wie gross seit Jahren tlic Gefahr der Einschlepimng der Rinder­pest aus Russland gewesen und noch immer ist.
Preussen. liier tauchte die Pest in den östlichen Provinzen auf; die ersten einzelnen Aushrüclie nach 1.815 zeigten sich zur Zeit der polni­schen Insurrection 1831—33 in der Nähe der polnischen Grenze; es blieb aber bei einzelneu Fällen, obwohl die Pest 10 Jahre laug inPolen wenig oder gar nicht aufgehört bat. haue wirkliche Rinderpest-Invasion fand 1855 zum ersten Male wieder statt; 1S5G, 57, 50, 60 und fM wiederholten sich die Aus­brüche, so dass im Ganzen 14 Invasionen vorgekommen sind, die theils von Polen, tbeils von Galizien aus erfolgten. Durch Schleunige Maassregeln wurde die Pest immer sehr bald getilgt, nur zweimal dauerte sie über ein halbes Jahr, weil sie zu spat zur Kenntniss der Behörden gekommen war.
Immer ist sie in Folge des zweckmässigen Verfahrens beschränkt geblieben, und der Gcsainmtverlust ist nur gering, wie folgende Tabelle nach den Mit­theflungen von Kanzleirath Brauser***) aus den Ministerialacten zeigt.
J a h r.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; RegieruDgsbezirk.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Kreise u. Ortschaften.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Gesammtverlost
Oppeln.......#9632; 7 Ortschaften ...nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 118 Stück.
I Bromberg..... 3 „ ...nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 83nbsp; nbsp; nbsp;
) Posen .... ' Königsberg .
2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; „ ...nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1G6nbsp; nbsp; nbsp;
3nbsp; Kreise.......nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 203nbsp; nbsp; nbsp;
(Breslau....... 3 „ 26 Ortsch.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1066
\ Posen........ 3 „ 16 ,.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 998nbsp; nbsp; nbsp;
Latus . . 2(394 Stück.
*) Bericht über die ersten in Russland angestellten [mpfongen der Rinder­pest. 1854.
**) Jessen. Magazin. Bd. 26, S. 207 und Bd. 33, S. 203. ***) Magazin von Gurlt und llcrtwig. Bd. 32, II. 2, S. 202.
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mil ] #9632;
1857
1859
IBtJO 1864
Breslau . . Oppeln . . . ( Grumbinnen Oppeln . . Breslau . . Oppeln . .
1 Ortsch. .
6
T
LllSJ
ort
2694 ; 31
183
13
170
133
40
Stück.
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7
8
1
Summa in 0 Jahren . . 3~i)-l Stück.
An der westlichen Grenze ist die Rinderpest von Holland und /war von der Provinz Gelderland aus einige Male eiugedruxtgen; in der Zeit vom
10. December ISHÜ bis 22. Februar 1807 ist, die Pest an sechs Orten im Re­gierungsbezirke Düsseldorf, Kreis Cleve, Rees, Geldern und Kempen und an einem Orte im Regierungsbezirke Münster, Kreis Borken zum Ausbruch ge­kommen. Uebenill wurde die Pest sofort getilgt, in keinem Falle bat sich die Seuche uach amtlicher Feststellung von einem inficirten Gehöfte weiter ver­breitet. Gesamratverlust auf 11 Gehöften 133 Stück, davon sind nur 3 ge-fallen, die übrigen, und zwar 18 kranke und 112 gesunde getüdtet. Die Kinschleppung konnte in keinem Falle genau festgestellt werden: meist war dieselbe auf Personen-Verkehr zurückzuführen.*) Durch militärische Besetzung der holländischen Grenze wurden weitere Invasionen sowohl von den alten Provinzen wie von der Provinz Hannover abgebalten.
Im österreichischen Kaiserreiche hat sieb die Rinderpest nach dem russisch - türkischen Kriege und seit der polnischen Insurrection in dem 3teii Decenuium wiederholt gezeigt, hantiger und bedeutungsvoller aber wurde die Rinderpest erst in dem 4ten Deceuuiuin, als sie in llussland eine grössere Verbreitung gewonnen hatte.
Schon 1844 brach sie in mehrere Kronländer ein und herrschte stellenweis bis 1847. 1S48 drang die Pest im Herbst mit dem russischen Heere bis an die galizisch-siebenbürgische Grenze vor, brach im Jahre 1849 schon in Sieben­bürgen aus, herrschte hier bis IS.7)! und trat weiter im Banate, in der Militär­grenze, Ungarn, Niederösterreich und Mähren in 43 Bezirken und 257 Ort­schaften auf. 1853—55 ttberfluthete sie abermals verschiedene Kronländer und 1857herrschte sie in Galizieu. von wo sie nach Preussen kam. Von 1859 ab ist sie bis jetzt in jedem Jahre vorhanden gewesen, aber mit Unterbrechungen; nach erfolgter Tilgung traten immer wieder neue Invasionen auf; die letzte Invasion brachte der Krieg 18G0 mit sich. Streng genommen hat die Rinder­pest seit 1844 in jedem Jahre im Oesterreichischen geherrscht. So weit die speciellen Nachrichten**) reichen, nachstellende kurze üebersicht.
*) Magazin. Bd. 33, S. 316.
**) Vierteljahrsschrift von Roll und Müller. Bd. 1, 2, 17, 22 u. 27. und Amtlicher Bericht über die erste internationale Versammlung 1864. Beilage. 1, S. 44.
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Tl. Uebersiaht von 1S63—1865.
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9950 3321 1150
4168 3462
1092
64,1 | 124-184 67,6 I 73034 61,0 I 27282
1860 fand die Rinderpest in Folge dos Krieges zwischen Oesterreich und
l'reusji'ii eine neue Verbreitung. Die Rinderpest brach schon im Juni unter dem Schlachtvieh der österreichischen Nordarmee aus, drang in alle Staaten ein, welche von dem Durchzuge der Armee berührt wurden, und soll überall mit grosser Heftigkeit gewüthet haben.
Italien. 1862 drang die Pest von Dalmatien aus über das adriatische Meer nach Neapel und kam von hier bald nach Sicilien; sie herrschte bis 1866 und hat 50,000 Kinder und 20,000 Ziegen und Schafe hingerafft.*; Auf dem römischen Territorium herrschte die Rinderpest 1863.
1844 zeigte sich die Rinderpest in E gyp ten; 1864 tauchte sie hier wieder auf und vernichtete in sein- kurzer Zeit 100,000 Kinder und mehrere tausend Schafe und Ziegen. 1866 wurde sie in Alexandrien und Cairo durch Vieh aus den Donaufürsteutbiunern eingeschleppt. Es kamen die in Europa üblichen Maassregeln mit Erfolg in Anwendung.**)
1864nbsp;zeigte sich die Rinderpest sogar in Indien; sie herrschte in Kalkutta zur Zeit der ersten landwirthschaftlichen Ausstellung. '(Veterinarian January 1867.) Nach der „Gazette medicale de Parisquot; ist die Rinderpest, sogar in Südamerica ausgebrochen. Ein Brief ans Panama erzählt, dass täglich Hunderte von Thieren an den Bahnlinien von Aspinvall sterben.
1865nbsp; landete die Pest in England, wo sie seit 110 Jahren nicht gewesen war, und kam von da sehr bald nach Holland. Die Commission spricht sich in ihrem dritten ausführlichen lierichtc über die Einschleppung- nicht ent­schieden aus. Gamgee dagegen ist aus überzeugenden Gründen zu der Ansicht gelangt, dass die Pesl mit einer llornvielibecrdo von 332 Häuptern, die in Reval eingeschifft worden ist, eingeschleppt wurde. Unter dieser gegen Ende Mai eingeschifften Heerde, die auf verschiedenen Wegen in Russland nacli Reval gelangte, haben sich ursprünglich 46Steppenochsen befunden, von denen alier nur 13 in Reval angekommen sind: wo die übrigen verblieben, ist nicht ermittelt worden: in Reval starb ein Ochse, zwei andere wurden krank laquo;nd deshalb an den Schlächter Siebert verkauft: auf der Reise erkrankte ein vierter Ochse, der aber noch lebendig in Hull ankam und hier für 11 Liv. st. an den Schlachter verkauft wurde. 175 von dieser Heerde wurden nach London geschickt und am 1. Juni auf den grossen Londoner Vicbmarkt ge-
*) Repertoriiun. Bd. 25 n. 27, S. 343, resp. 182. t*) Lemaitre. • Recueil de med. voter. Journal 1866.
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bracht, während (He übrigen nach Manchester und andern Ortschaften gingen. Mehrere Tage nach dem Markte zeigte sich die Pest in einzelnen Stallen London's, kl welche Marktvieh gekommen war. und am 15. Juni sah man schon pestkrankes Vieh auf dem grossen Markte; am 27. Juni brach die Pest in einer grossen Milchwirthschaft in der Nähe des Viehmarktes aus, in welcher alle, 115 Häupter fielen. Schon im Laufe dos Monats Juli sollen in London allein 2000 Kinder an der Pest gefallen sein. Untcrberger hat die Rinder­pest-Invasion mit den in Reval eingeschifften russischen Ochsen zwar be­stritten, weil in der Umgegend von Roval keine Rinderpest geherrscht habe; ein Einwand, der wohl den Thatsachen gegenüber keine Bedeutung haben und von einem in der Kinderpest erfahrenen Manu kaum ernstlich gemeint sein kann.
Bei der gänzlichen Vernachlässigung aller Schutz- und Tilgungsmaassregeln, der jS'ichtbcacbtung aller Erfahrungen in Deutschland, auf die man gering­schätzend hinblickte, und bei der Befangenheit in der Selbstcntwickelung, die später todtgeschwiegen wurde, fand die Pest Zeit und Gelegenheit, in unge­wöhnlichen Dimensionen aufzutreten, sich bald über ganz Grossbritannien zu verbreiten und selbst nach Irland vorzudringen. Bis Ende December 18Ö6 hatte sich die Pest über 85 Grafschaften — 54 in England und 31 in Schott­land und Wales — vorbreitet; die Höhe hatten sie im Februar 18G6 erreicht, wo in einer Woche 13,000 Stück erkrankt sind.
Erst den endlichen, am 20. Februar 18G6 in Anwendung gebrachten energischeren Maassregeln ist sie allmählig im Anfange dieses Jahres gewichen. Den Zeitungsnachrichten zufolge sind im Mai d. J. mehrfache neue Pest-ausbrüche vorgekommen, sodass die kurz zuvor aufgehobenen Maassregeln wieder in Kraft gesetzt werden mussten. Der Verlust an Rindvieh belauft sich über eine halbe Million, der Schaden betrug Ende 186(i schon circa vier Millionen Liv. St.
Nach Holland kam die Pest schon Mitte Juli 1865. Vor 120 Jahren hatte sie England von Holland durch 2 Kälber zugeführt bekommen, diesmal war das Verhältuiss umgekehrt. Gegen Ende Juni wurden 23 holländische Ochsen nach London geschickt, die wegen nicht erfolgten Verkaufs auf dem grossen Yiehmarkte 10 Tage später wieder nach Rotterdam zurückkehrten, am 7. Juli auf ein Gehöft der Gemeinde Kethcl bei Schiedam gebracht wurden, hier sofort pestkrank wurden und den primitiven Seuchenherd bildeten, von wo aus sehr bald ganz Südholland verseuchte. Die endliche Tilgung steht erst jetzt, nach zwei vollen Jahren in naher Aussicht. Hier hat es noch schwerer gelullten als in England, ehe die Tilgungsmittel zur Geltung kommen konnten. Bis Ende 18Gtgt; ist die Rinderpost in fortwährendem Steigen gewesen; die Hübe erreichton die wöchentlichen Erkrankungen vom G. bis 12. Jan. 18G7, in dieser Zeit erkrankten 43S7.
Ganz Südholland, der südliche Theil von Kordholland und die westliche Hälfte von Utrecht ist verseucht. In Seeland, Nordbrabant, Gelderland und Oberyssel sind mehrfache sporadische Ausbrüche vorgekommen, die aber immer sofort getilgt worden sind. Bis zum 24. September sind keine Nachrichten über die Erkrankungen vorhanden; vom 24. Sept. ab hat „DeRnnderpest Bylagc tot de Landbouw-Courantquot; die Uebersicht von den Erkrankungen gegeben i
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hiernach waren in der letzten Woche vom 9. liis 15. Juni noch 22 in Süd-
liolhuul uml Utrecht erkrankt. Das Uesiannitcrgebniss vom 24. September lHb(gt; bis 15.Juni 1867 ist folgendes:
P r o v i n #9632;/..nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;angesteckt gestorben. geschlachtet genesen
Süd-Holland.....nbsp; nbsp; nbsp; 96705nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 46425nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;18573nbsp; nbsp;quot; 34523
Utrecht .......nbsp; nbsp; nbsp; 50413nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;30653nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 4034nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 16198
Nord-Holland ....nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;8343nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 064nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 9852nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 840
Gelderland.....nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;914nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 49nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 3922nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4
Nord-Brabanl ....nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;317nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 19nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 538nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0
Totalsumme . . 156592 78110nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 36919nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 51565
Die quot;Belgische Grenze wurde von der holländischen Rinderpest zum ersten
Male im Monat August 1865 überschritten, seitdem haben viele Einbrüche,
meistentheils durch holländisches Vieh, oft auch auf unbekannten Wegen
stattgefunden. Bis 22. April 1867 sind nach und nach 46 Gemeinden in sechs
quot;Provinzeu von der Einderpest heimgesucht worden; die grössten Verluste hatte
die Kinderpest in Hasselt zur Folge, hier sind vom 23. Januar bis 9. Februar 1867
8 Stück gelallen
330 „ krank / •.a,-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;, getodtet
10*':) „ gesund!
Diese Ziffern geben den besten Beweis von dem energischen Tilgungs-verfabren in Belgien, dem es zu verdanken ist, dass die Rinderpest trotz der hautigen Ausbrüche doch nicht zur Herrschaft gekommen ist, und die Ver­luste verliilltnissmässig nur gering gewesen sind, wie nachstehende Uebersicht zeigt:
Rindernbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Schafe
erkrankt verdächtig Summanbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;erkrankt verdächtig Summa
Gefallen 11865nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;286nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;148nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 434nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;8
und ',1866nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;144nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;226nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 370nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;33nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 87nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;120
getodtet. '1867nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;423nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1093nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1516nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;16nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 146nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 162
Summa 853nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 146?nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2320nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;57nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 233nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;290
In Frankreich kamen 1865 zwei Seuchenausbrüche vor, der eine im Departement du Nord in tier Nähe der belgischen Grenze, der andere im Acclimatisationsgarten; an beiden Orten fielen nur 78 Opfer. Frankreich war auf Pest-Invasionen vorbereitet, die Tilgimg erfolgte deshalb auch sofort durch die Tödtung der Kranken und Verdächtigen. In dem Acclimatisationsgarten kam sie mit zwei indischen Gazellen von dem Tbierbamller Jamrasch in London, die am 14. November 1865 in dem Garten eintrafen, am 19., resp. 25. November erkrankten und beide starben. Die Pesf hatte weitere Er­krankungen bei den Einwohnern des Gartens zur Folge, wie bereits Seite 110 näher angegeben ist. In der Strasse, wo Jamrasch wohnt, war die Pest in drei Ställen; ausserdem waren die beiden Gazellen in einem Wagen transportirt worden, welcher zum Transitort des Fleisches aus der Umgegend mich der Stadt diente.*)
*) Eecueil. December 1865.
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Währeucl die Aufmerksamkeit auf die Rinderpest im Westen gerichtet war und man an den holländischon Urenzon wie in den Häfen strenge Maass­regeln ergriffen hatte, drohte die Rinderpest wieder von Osten; in Folge des Krieges hatte die Rest sich wieder in den österreichischen Landen verbreitet. 1S()6 tauchte die Pest mit einem Male in Tyrol (das einzige österrei­chische Kronland, welches bisher von der Pest verschont geblieben ist) und in der Schweiz auf. Von Oesterreich ans gelangte sie auf dem Wege mitten durch Baiern nach Vorarlberg und der Schweiz. 32 Schlachtochsen wurden am 27. Anglist auf dem Wiener Markte gekauft, mit legalen Gesuudheitsscheineu versehen, auf der Eisenbahn über Salzburg, München und Augsburg nach Lindau und von hier weiter zu Fuss am 1. September nach Bregenz gebracht; in Salzburg wurden sie untersucht und für gesund befunden, in Bregenz, ebenfalls noch gesund erscheinend, zum Theil geschlachtet, zum Theil in einem Stalle neben Hornvieh untergebracht, nach einigen Tagen kamen acht Stück nach Dombim, zwei nach Stockbach in Baden (bald ge­schlachtet) , vier Stück kamen am (!. und ein Ochse am 15. September nach St. Gallen, drei gingen über Au auf der Eisenbahn nach Chur. Die Rest brach aus in Bregenz, Dornbim (am 11. September), St. Gallen und Chur. In Au hatten die Ochsen am 10. September übernachtet, worauf nach 10 Tagen die beiden Rinder des Wirths erkrankten, von denen die Rest durch den Tliier-arzt in seinen eigenen und noch in einen andern Stall verschleppt wurde. üeberall erfolgte baldige Tilgung ohne grosse Verluste.
Riese Invasion beweist, dass die Pest mit dem Viehc durch ein grosses Land nach entfernten Punkten wandern kann, ohne in demselben Ausbrüche zu veranlassen, dass femer auch die legalen Gesundheitsscheine einen ebenso beschränkten Werth haben, als die thierärztlicheii Besichtigungen.
Im folgenden Jahre war Baiern nicht so glücklich; im April 1867 brach in St. Johannes bei Bayreuth (Oberfranken) und fast gleichzeitig auch in Untersteinach die Rinderpest aus. Die Rest wurde zwar erst später erkannt, vorsichtiger Weise waren jedoch vorher schon Maassregeln zur Verhütung einer Verschleppung getroffen worden. Im Ganzen kam die Rest bis jetzt (Juni) in vereinzelten Fällen an 7 Orten in den Regierungsbezirken Ober- und Unter-franken vor. Die Tilgung erfolgte mit geringen Opfern; der Gesammtvcrhist beläuft sich etwa auf 100 Stück, einige Schafe und Ziegen. Die Ein­schleppung ist, den Berichten mich*), mehrfach von Thüringen aus und besonders durch thierärztliche Pfuscher erfolgt; nach Maroldsweisach in Oberfranken wurde die Rest z. B. durch den Pfuscher Hennig aus M., welcher im Meining'schen die Pestkranken mit Genehmigung der Be­hörde behandelt hatte, verschleppt. Gegen Ende Juni brach die Pest in üntersteinach wieder aus, dorn Vermuthen nach in Folge mangelhafter Des-infection.
In Thüringen herrschte die Rinderpest in den Monaten April und Mai 1867 ziemlich verbreitet. Am 4. April brach sie in Uäselrieth bei llild-bnrgbausen im Gasthofe an der Werrabahn nach dem Ankauf einiger Ochsen aus, welche aus dem Gesterreichischen gekommen waren. Die ersten Kranken
*) Wochenschrift von Adam f. 1867. Nr. 23—27.
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-vvurdni geschlachtet; das Fleisch wurde verkauft und verschenkt. Von hier verbreitete sich die Pest in Häselrietb und Hüdbarglmusen, namentlicli er­krankten die Iviihe, welche von dem Hüllen dos Gastwirths bespnmgen worden waren. Die Pest wurde erst am 4. 3Iai erkannt, Ins dahin war sie für Milz­brand gehalten worden. Bis zum 3b. Mai hatte sie Verluste herbeigefilhrt:
1)nbsp; In Sachsen-Coburg an 9 Orten in
18 Stallungen...........gest. 2, getödt. 117, Verlust 119
2)nbsp; In Sachsen-Meiningen-Hildburg-
hausen an 23 Orten in 71 Stal­lungen ............... „ 46, „ 150, u.lZioge, „ 196
3)nbsp; Sachsen-Weimar an 2 Orten in
2 Stallungen ............,10 „nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;„ 14
4)nbsp; Im vormal. Eurhessen an 2 Orten
in 9 Stallen............ „ 2 „ 28,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;„30
Totalsumme . . Verlust 359 Invasion von den russisclien Steppen aus.
Seit Jahrhunderten hat die Rinderpest, wie wir gesehen Laben, ihren Herd in den russischen Steppen gehabt, von welchem ans sie wiederholt in alle Welt gegangen ist. und welcher noch heute ihr Ausgangspunkt ist. Ganz abgesehen von den ursächlichen Verhältnissen kann man deshalh wohl mit Recht die Rinderpest eine russische Seuche neu neu. die, wie schon früher erwähnt worden ist. abwechselnd in der einen und der andern Steppe auf kürzere oder längere Zeit abbrechen kann, im Ganzen aber doch nie aufhört Deshalb ist denn auch die Gefahr der Invasion von hier aus immer gegeben, und die Pest zu jeder Zeit zu er­warten, wenn Steppenvieh eingeführt wird. So gut wie mit der Beziehung des Hornviehes aus Gegenden, wo die Lungen­seuche herrscht, immer die Geiaht- der Einschleppung dieser Seuche verbunden ist. und dieselbe früher oder später sicher einmal ein­bricht, so verhält es sich auch mit dem russischen Steppenvieh rücksichtlich dor Rinderpest. Jedes band, welches russi­sches Steppenvieh ohne quot;Weiteres zulässt, hat auch mit der Rinderpest zu kämpfen, das ist eine alte bewährte Er­fahrung, die sich immer wiederholen wird, so lange man in Russ­land nicht Herr geworden ist über die Rinderpest. Die Ver­schleppung aus Russland ist nun natürlich um so häutiger, je mehr die Pest in Kussland selbst herrscht. Auch in Russland giebt es sogenannte Pestjahre, in denen die Ausbreitung durch irgend welche Zufälligkeiten, nicht durch .Miasmen, wie man. be­fangen in dem Vörurtheile der Selbstentwickelung, behauptet hat.
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cine grössere Ausbreitung gewinnt.; in solchen Pestzeiten, die wir seit 1844 gehabt und noch haben, ist die Gefahr der Invasion ausserhalb Russlands natürlich viel grosser.
Wie kommt nun die Rinderpest aus den russischen Steppen zu uns und andern Ländern Europa's?
Eine Verschleppung der Pest aus den Steppen, wie überhaupt aus Russland durch sogenannte thierische Rohproducte, Häute, Gehörn, Klauen, Talg, Gedärme, wie auch durch andere leblose Gegenstände, kommt hier nicht in Betracht, sie haben, nach den uns jetzt besser bekannten Eigenschaften des Peststoffes, nur eine Bedeutung in dem kleinen, unmittelbaren Verkehr. Tief aus Russland ist die Pest durch diese Gegenstände gewiss niemals über die Grenze getragen worden. Wir haben es deshalb nur mit dem Steppenvieh zu thun, dies trägt den Peststoff weithin , mit sich fort, wobei die Verhältnisse sich sehr verschieden ge­stalten können.
1) Das Steppenvieh geht inficirt über die Steppen-, resp. russische Grenze; unter einer grossen Ileerde kann vielleicht nur ein einziges Stück inficirt sein. Dass Handelsleute keine Speculation mit iuficirten oder auch nur der Infection verdächtigen Steppenochsen treiben werden, ist selbst­verständlich, dass aber nichts destoweniger zuweilen iulicirte Ochsen mit unterlaufen, ist zu natürlich. Solche iulicirte Hinder erkran­ken nach der gewöhnlichen, oder auch wohl einmal nach einer ungewöhnlich laugen Incubationszeit. also in den ersten acht Tagen und auch später, in den Entfernungen von einigen bis 50 Meilen und mehr ausserhalb der Steppen. Der Ausbruch kann unbemerkt bleiben, in einer grössern Heerde ist dies wohl gewöhn-iicli der Fall, wenn der Ausbruch ein gelinder ist, einmal, weil die Erscheinungen so gering sein können, dass sie für den Laien und ohne besondere Aufmerksamkeit gar nicht erkennbar sind, ausser-dem aber auch, weil auf dem Transporte leichtes Kränkeln und Verschmähen des Futters auch in Folge der Anstrengungen, der angünstigen Witterung etc. häufig und daher an sich nicht weiter gleich verdächtig ist. In solchen Fällen erkennt mau frühestens die Pest nach der zweiten Incubationsperiode und in der doppel­ten Entfernung von 50—100 Meilen von den Steppen. Ja selbst die zweite Eruption kann noch unscheinbar sein, und so kann die Pest bis zu der dritten Propagation verborgen bleiben; ob Fälle
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vorkommen, in welcher die Pest in der mildesten Form miter der ganzen Heerde verläuft, ohne bemerkt zu werden, lasse ich lt;la-liin gestellt; nach dem. was wir iiher die Pest unter dem Steppen­vieh in der Litteratur aufgezeichnet finden. ist es nicht allein möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich. Vielleicht gehört der so vielfach angezogene Fall von Pilger*) 1797 hierher, der 1500 für die Armee bestimmte Steppenochsen untersuchte und die Rinderpest nicht entdeckte, obwohl, die Heerde überall die Pest zurückgelassen hatte; hätte der damalige Hauptmann die Pest hesser gekannt, so würde er laquo;gewiss statt Ermüdung bei vielen Ochsen die Pest wohl gefunden haben. Die Verhältnisse können sich aber auch noch anders gestalten. Der betreffende Handels­mann erkennt die Seuche; .jedes Stück, das erkrankt, wird um jeden Preis losgeschlagen, selbst schon bei den ersten Spuren. Dadurch hält er die Heerde scheinbar rein: die Ansteckung wird hierdurch sehr beschränkt, und bis zu welchem umfange dies möglich ist. habe ich in Holland ans der spärlichen Verbreitung der Test unter einer Heerde, die Tag und Nacht unter freiem Himmel war. erkannt. Die Erkrankungen erfolgen im Freien überhaupt spärlicher, ganz; besonders aber muss dies bei den leichten Erkrankungen der Fall sein; ich finde es deshalb sehr natürlich, dass — wie Lorinser S. loS sagt — unter einer Steppenheerde oft in Zwischenzeiten von acht Tagen binnen drei und vier Weichen nur 5- -10 Häupter erkrankten.
Her Handelsmann kann also mit wenigen Verlusten wochenlang weiterwandern und selbst sein Ziel mit der Heerde erreichen, zumal es Erfahrungssache ist. dass die ersten falb.', namentlich unter dem Steppenvieh, gewöhnlich sehr milde zu verlaufen pflegen. Am Ziele ist nun die Aufgabe, rasch und unter allen umständen zu verkaufen und unter keiner Bedingung in die Quar^ntaine zu gehen, dauere sie auch nur einige Tage. Ist er dem Ziele fern und glaubt er es nicht zu erreichen, so räumt er möglichst schnell mit der ganzen Heerde auf. Der Absatz der einzelnen Kranken wird durch niedrige Preise und allerhand Vorwand ermöglicht; Ermüdungen, Verbällungen, Lahmheiten etc. werden vorgeschützt. Fine grosse Anzahl von Beispielen sind bekannt geworden! dass zurückgebliebene lahme Ochsen die Rinderpest gebracht haben. Die Lahmheit kann nach meinem Dafürhalten, gestützt
*) Handbuch. Bd. 2. S. 107. b.
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auf die Miterkraakoiig der Haut und auf die mitwirkenden Momente bei der Localisation, sein' wohl durch die Rinderpest selbst bedingt, sein, ich glaube sogar, (Imss dies diejenige Form des coupirten Verlaufs ist. die bei dem Steppenvieh auf dem
Transporte sich am häutigsten zeigt. Die andauernden mechani­schen Insulte sind es. welche eine Erkrankung der Ballen und solche der Fleischwand etc. bedingen. Sind doch selbst einzelne Fälle von Hauterkrankung an der Krone in HoUand und England beobachtet worden. Die vermeintlichen Ermüdungen sind meistens wohl nichts weiter, als gewisse Grade von Ivlauenaft'ectioii durch Rinderpest. Ks kommen dabei gewiss auch Simulationen seitens des Händlers vor; Kranke mögen absichtlich lahm gemacht werden, um sie als solche noch zu verwertheil.
Eine Steppenheerde, unter der sich Lahme und Ermüdete befinden, ist deshalb unter allen Umständen als der Kinderpest im höcbsten Grade verdächtig zu erachten. Die Verblendung durch die vermeintlich genuine Entwickelung ist so weit gegangen, dass man in den vielseitig beobachteten Thatsachen, — dass die ermüdeten und lahmen Steppenochsen zuerst erkrankten, die Pest einschleppten, wenn sie selbst sich auch von ihrer Er­müdung resp. Lahmheit erholt batten und zum Theil schliess-licb der Test erlagen — einen weitern Beweis für die Selbstent­wickelung der Pest durch übermässige Anstrengung unter dem Steppenvieh gefunden hat. Nicht die Lahmen und Müden erkranken zuerst, sondern die ersten Seuchenspuren äussern sich durch Ermüdung und Lahmheit.
2) Das Steppenvieh gebt durchgeseucht aus den Steppen. Dass das durchgeseuchte Vieh heruntergekommen und keine Handelswaare sei, wie Spinola sagt, ist bei schwerer Er­krankung richtig; ich habe aber in Holland durchgeseuchte Rinder genug gesehen, die jeder Schlachter für seinen Zweck gebrauchen konnte; ausserdem giebt es auch alte durchgeseuchte Steppenrinder und alle können Träger des Feststoffs sein. Kommt nun ein ein­ziger solcher Pestträger unter eine zusammengekaufte Triebheerde, so genügt es ja vollkommen, denselben weitem.Gang zu verur­sachen, als im ersten Falle, nur dass die ersten Ausbrüche später und in einer viel grössern Entfernung stattfinden. Es mag sein, dass es auch Fälle giebt, in denen die ganze Heerde durchgeseucht ist, die auf Reisen geht; eine solche Heerde kann möglicher Weise die Fest einmal verschleppen, ich lege aber auf diese Verschlep-
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pang nicht das Gewicht, wie von inaiichen andern Seiten ge­schehen ist, Aveil an der freien Luft, Wind und Wetter ausgesetzt, sehr bald eine natürliche Desinlection erfolgt. Solche Ileerdeu sind daher gerade am wenigsten geeignet, die Pest weithin zu verschleppen. Das durchgeseuehte Hind ist als einfacher Träger mir dann von Bedeutung für weitere Verschleppung, wenn sich immer noch Pesterkrankungen in der Heerde ereignen und die Durchgeseuchten immer von Neuem mit Feststoff wieder beladen werden. Geht eine durchgeseuehte Steppenheerde, unter der sich kürzlich neue Seuchenfälle ereignet haben, aus einander in die Ställe der Käufer, so bringt sie den Peststoff in die verschiedenen Ställe, in denen das Steppenvieh als pestfest allein verschont bleibt. Wäre die grossartige Idee Jessen'laquo; inRussland zu verwirklichen und die Schutzimpfung bei allem Steppenvieh ausführbar, könnten wir also durchgeseuehte Rinder beziehen, so würde ich eine Verschlep­pung aus den Impfställen etc. nicht fürchten und mich ebenso entschieden für unbedingte Einfuhr von russischem Steppenvieh erklären, wie ich jetzt aus vollster Ueberzeugung dagegen sein muss.
Neben der kriechenden Verbreitung aus den Steppen im engem volkswirthschaftlichen Verkehr durch mittel- und unmittel­bare Ansteckung erfolgt die Verbreitung in kleinen und grossen Sprüngen auf den grossen Ausfahrwegen durch Steppenvieh, welches gesund oder nur gesund scheinend die Steppen verlässt; auf den grossen Auswanderungsstrassen bilden sich in angegebener Weise mehr oder weniger zerstreute restberde, Relais, die von den Steppen aus zur Weiterförderung der Rinderpest dienen. Diese Peststationen können tbeihveise ganz unmerkbar sein, es ist nicht nöthig. dass das Pestcojptagium überall, wo es abgesetzt worden ist, auch grosse Verheerungen anrichtet; einzelne Ställe verpesten, die Besitzer wissen vielleicht selbst nicht, dass sie die Pest haben, oder das Contagium ruht im unbesetzten Stalle oder sonstwo an denßuhe-stellen der Wanderheerden. Solche vorgeschobene Pestherde können einzeln ausgestreut, aber auch mehrfältig sein; je grosser die Ausfuhr in bestimmter Kichtung, desto mehr wer­den sie sich bilden, und so wächst die Gefahr der Ein­schleppung der Rinderpest durch Steppenvieh, mit der Einfuhr des Steppenviehes. Wieder ein Moment mehr, warum im Kriege, die Pest mit dem Steppenvieh immer einge­schleppt worden ist.
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Diese Peststationen, kleine und grosse, offenbare und ver­borgene, sind es mm, vermittelst derer die Pest durch Steppenvieh Hunderte von Meilen weit hin verschleppt werden kann. Ist die Pest ausserhalh der Steppen in Russland selbst sehr verbreitet und unsern Grenzen nahe gerückt, dann hat das Steppenvieh. als solches, aufgehört, allein die Ursache der Pest-Invasion bei uns zu sein, dann ist wieder die Ge­fahr der Einschleppung vielseitig in den Verkehrsver­hältnissen gegeben.
Invasion aus verseuchter Nachbarschaft.
Die Invasion aus verseuchten Gegenden und Län­dern in der Nachbarschaft, oder aus solchen Ländern, die durch Eiseuljahn und Dampfschifffahrt nahe gerückt sind, ge­schieht auf den gewöhnlichen volkswirthschafÜichen Verkehrs­wegen. Je näher die verpestete Gegend, desto grosser die Gefahr der Pestinvasion, die immer mit dem Verkehre zu- und abnimmt; deshalb kann unmittelbar an der Grenze des Pestrayons nur ein gänzlich aufgehobener Verkehr die Invasion verhindern. Die be­reits näher erörterten mittel- und unmittelbaren Ansteckungen sind die Grundlagen, nach denen sich diese Einschleppungen be­messen und beherrschen lassen. Solche Invasion kann natürlich von jeder Seite einmal drohen und stattlinden, wie die jüngsten Zeiten genugsam gezeigt haben.
Die Invasion durch inücirte Heerden kann klein beginnen oder gleich in extenso auftreten; die Eruption ist eine isolirte oder zeigt sieh in einigen vereinzelten Ställen, und wird nur dann sogleich entdeckt werden, wenn man auf Wache steht und vorbereitet ist; in solchen lallen bleibt es denn auch in der Regel bei einem geringen Verluste; in den Ländern an der russi­schen Grenze oder in der Nähe von verpesteten Gegen­den werden deshalb auch die vorkommende]! Pest­ausbrüche gewöhnlich sein- bald getilgt. Kommen solche Fälle aber in entferntem quot;Ländern vor. wo mau nicht an die Rinderpest denkt, da bilden die ersten Eruptionen in der Hegel die Ausgangspunkte zur weitem und oft sehr beträchtlichen Verbreitung. So geschah
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es in Holland und jüngst im Thürüigischen. Die Invasionen können aber auch gleich von vornherein in grossartigem Maasstabe auftreten, wenn die inflcirte Heerde sehr zerstreut wird undnament-licbwenn sie. sei es auch mir theilweise. auf frequente Viekmärkte kommt. Hiervon hat uns England jüngst das grossartigste Beispiel geliefert, wo durch den Viehmarkt in London zu Islington, auf dem man 5—7000 Rinder aller Racen beisammen sehen kann, die einge­schleppte Pest in wenigen Wochen über den grössten Theil von Grossbritannien verbreitet worden ist.
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ÄBTHEHÜNG III.
Schutz- und Tilgnngsmaassregeln.
Capitel 10. Scbntzmaassregelii gegeu die lliusciticpininlaquo; der Rinderpest.
Allgemeine Grundprinoipien.
DieEinderpest ist bei uns und in ganz Europa als eine reine Contagion aufzufassen, die nichts Miasmatisches hat. lediglich auf den Verkehrswegen weiter wandert, jetzt schneller und weiter als früher, die überall grosse Verheerungen anrichtet, wo sie keine Hindernisse findet, die sich festsetzt, wo sie nicht verfolgt wird, die dagegen überall den entsprechenden Tilgungsmaassregeln weicht. Von solchen wirksamen Schutz- und Tilgungsmaassregeln ist aber ein organisirtes Thierheilwesen die Grundbedingung. Schon im vorigen Jahrhundert hat man dies richtig erkannt, und in dieser Erkenntniss lag die erste Anregung zur Errichtung von Thier-arzueischulen, die ihren Ursprung den gewaltigen Verheerungen im vorigen Jahrhundert verdanken und sich von der zweiten Hälfte des­selben herdatiren. Diese Schulen haben Thierärzte und mit den­selben nach und nach eine immer vollständigere Thierheilkunde gebildet und so die Mittel geschaffen, das Thierheilwesen über­haupt und speciell zur Sicherheit der Staaten gegen gemeingefähr­liche Krankheiten und hier vor allen gegen die Rinderpest zu organisiren, sichere Schutz- und Tileunssmaassregeln zu erlassen und auch zur Durchführung zu bringen.
Die Organisation des Thierheilwesens ist gegenwärtig und künftighin dringender, als je, mit der Zunahme der Verkebrs-
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Verhältnisse in grossen Kreisen, mit der SdmeHigkeit des Trans­ports der Thiere tritt diese Notliwendigkeit immer mehr in den Vordergrund. Wir haben es jetzt recht deutlich gesehen, welche Schwierigkeit die Rinderpest in England und noch mehr in Hol­land gemacht hat, wo ein geordnetes Thierheilwesen noch in der Wiege liegt, im Gegensatz von Preussen und Belgien; seit 50 Jah-#9632; reii schon hat Preussen die Test nicht aufkommen lassen, obwohl an der östlichen Grenze fortwährend Gefahr drohte; Belgien wurde von Holland aus häufig von der Pest heimgesucht, sie ist aber hier dennoch keine Landesseuche geworden, sondern immer mit grosser Sicherheit und schnell getilgt, wo sie sich auch blicken Hess. Zur Organisation des Thierheilwesens gehören:
1)nbsp; nbsp; hinlängliche Anzahl tüchtig durchgebildeter Thierärzte überhaupt;
2)nbsp; nbsp;besonders designirte Sachverständige für den Fall der Seuchenausbrüche, die als zuverlässige Techniker den Beamten zur Seite stehen und in entsprechender Anzahl vorhanden sein müssen, damit überall Kenneraugen sind und die Pest und alle ansteckende Krankheiten sofort erkannt werden, wo sie sich blicken lassen, eine Grundbedingung zur schnellen und sichern Tilgung ohne grosso Opfer;
3)nbsp; Gesetze und Verordnungen, auf eine technisch-wissenschaft­liche Grundlage gestützt und den örtlichen und zeitlichen staat­lichen und volkswirthschaftlichen Verhältnissen angepasst.
Dies alles ist der Inbegriff eines geordneten Thierheilwesens, womit die Rinderpest und jede andere ansteckende Krankheit ab-und in Schranken gehalten, resp. getilgt werden kann.
Staaten, in denen heutzutage solche Organisationen nicht be­steben, sind, so weit sie nicht zufällig durch ihre isolirte Lage mehr geschützt sind, den Einwanderungen und dem Festsetzen aller an­steckenden Krankheiten Preis gegeben, und die Pdnderpest nament­lich findet hier so recht ihr Gebißt. Solche Staaten werden unter heutigen Verhältnissen hinsichtlich der ansteckenden Krankheiten wieder gemeingefährlich für andere Länder, die damit in einem commerciellen Verkehr stehen. So ist in Rücksicht der Rinder­pest Holland bereits seit zwei Jahren für alle Nachbarländer ein gemeingefährlicher Staat gewesen, so ist es Russland seit Jahr­hunderten und um so mehr, je mehr hier eine Ausfuhr von Itincl-vieb besteht. In diesem grossen, dünnbevölkerten Reiche ist es eine schwere Aufgabe, das Thierheilwesen dein Bedürfnisse und
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Staatszwecke entsprechend zu orgamsiren, es wird dies noch eine lange Zeit erfordern; Russland hat aber bereits einen sehr guten Anfang gemacht, und wenn es auf dieser Bahn fortschreitet, so kommt es auch dahin, wo Deutschland, Frankreich und Belgien jetzt sind, und wenn es dahin gekommen sein wird, dann hat dieses mäch­tige Reich aufgehört, für uns in Sachen der Rinderpest gefährlich zu sein, dann wird es Herr werden über die Binderpest, wie Mil­es in den genannten Ländern jeder Zeit sind, es wird sie tilgen, wie wir sie tilgen, und die I'est wird damit ihre Heimath in Europa verlieren, wo sie sich stellenweise und zwar besonders in Russland auf dem Wege der Ansteckung fort und fort als Gast erhalten und herumgetrieben hat. Ist das europäische Russland erst pest­frei, und hat es an seinen asiatischen Grenzen sichere Contutnazen für flas eindringende Vieh, dann können wir unsere, jetzt so noth-wendige Schutzwehr an der russischen Grenze eingehen lassen und das russische Vieh ebenso sicher zulassen, als anderes Vieh. Möchten doch die maassgebenden Personen und Behörden in .Russ­land immer mehr die Ueberzeugung gewinnen und festhalten, dass die Rinderpest auch bei ihnen, wenigstens in Kuropa, eine Con­tagion, also tilgbar und auf dem Wege der Organisation des Thierheilwesens allein zu tilgen ist: sie würden aid' diese Weise der Wissenschaft zu dem grossen Triumphe verhelfen, den bösen Feind, der nachweisslich. Jahrhunderte eine schwere Geissel Europa's ge­wesen ist, und der den ersten Anstoss zu ihrer Geburt gegeben hat, aus unserm Welttheile verbannt zu haben. Die Schwierig­keit ist nicht zu verkennen, aller der Gegenstand ist grosser Opfer werth.
Was nun die Schutz- und Tilgungsmaassregeln speciell betrifft, so kommt hierbei die reelle und die formelle Seite in Betracht; hier kann selbstverständlich nur von der erstem, der teclmisch-wissenschafÜichen Grundlage, wie sie durch die Aetiologie an die Hand gegeben ist, die Rede sein insoweit, class die Verwaltungs­behörden darnach Gesetze entwerfen und Verordnungen treffen können, die für die gegebenen staatlichen und volkswirthschaft-lichen Verhältnisse passen.
Der Praxis entspricht es wohl am besten, wenn wir auch hier die Maassregeln in zwei Hauptkategorien, in der gegen die Ein­schleppung und in der beim Ausbruche der Rinderpest betrachten. Dass Schutzmittel principiell höher stehen, mehr Werth haben, als Tilgungsmittel, ist selbstverständlich; bei der grossen Gemein-
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gefakr der Rinderpest, deren Tilgungsmittel in Vernichtung, in Todtschlagen dor Heerden besteht, können die Schutzmittel durch Tilgungsmittel nie ersetzt werden: deshalb müssen jene mit grosser Sorgfalt, mit Aufwand, seihst mit beträchtlichen Opfern durchgeführt werden. Trotz alledem können wir- aber heutzutage bei den innigen VerkehrsTerhältnissen in engen und weiten Kreisen die Schutzmittel nicht exact genug durchführen, bei aüer Sorgfalt werden wir doch immer auf den Einbrach der Pest gefasst sein müssen, und deshalb müssen wir seihst das mörderische Tilgungs­verfahren bei der Rinderpest mit Sorgfalt ordnen.
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Miiiissregein liegen die Eiiiädüeppiuiglaquo;
Sie werden dahin gerichtet, woher die Test kommen kann, und müssen nach der Grosse der Gefahr natürlich auch in ver­schiedenem Umfange ergriffen werden: die Grosse der Gefahr ist abhängig von dem Verkehr: je manniclifaltiger und leichler da­durch der Peststoff verschleppt werden kann, desto strenger müssen natürlich die Schutzmaassregeln sein: bezieht sich der Verkehr mit dem Pestlande nur auf einen Gegenstand, mit welchem der Feststoff herübergebracht werden kann, so beschränkt sich natür­lich die Schutzmaassregel auf diesen einen Gegenstand; besteht er im Gegentheile im täglichen innigen volkswirthschaftHchen Ver­kehr, so giebt es nur ein sicheres Schutzmittel in der absoluten Grenzsperre. Der Zeit nach haben wir hier perpetuirliche und temporäre Schutzmaassregeln zu betrachten.
Die permanenten Scliutzmaassregeln.
An den Grenzen der Länder, von denen aus eine beständige Gefabr #9632; der Einschleppung gegeben ist, sind auch beständige Schutzmaassregeln geboten. Russland ist zur Zeit das Land der Rinderpest, es ist aber nicht das ganze grosse russische Reich, es sind seine Steppenländer, von denen aus die Invasionen immer zunächst ausgehen, gegen diese müssen die beständigen Schutz­maassregeln gerichtet sein. Dringt die Pest nachweislich in das russische Reich weiter westlich und nördlich vor, sind auch die an unserer Grenze gelegenen Gouvernements verpestet, so treten noch andere Maassregeln und dieselben Verhältnisse ein, wie bei der Post in andern angrenzenden Ländern. Die russischen Steppen müssen wir als continuirliche Pestquelle ansehen, wenn die Pest auch in die­ser oder jener weiten Steppe einmal abbricht, auf Jahre verschwin-
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det, so herrsclit sie doch in anderen; eine Controle über die Pest in den Steppen ist kaum möglich, am allerwenigsten aber kann man im Auslaude wissen, wo und wann die Test in den Steppen herrscht Deshalb sind die russischen Steppen und alles, was von dorthex kommt and den Pestsstoff in oder an sieh tragen kann, verdächtig. Hätte Russland selbst im Innern sichere und zuverlässige perpetuirliche Schutzmaassregeln an den Grenzen der Steppenländer, so wären auch wir gesichert, läitte das einverleibte Königreich Polen an der russischen Grenze sichere Vorposten, so brauchte Preussen nicht beständig an der Grenze auf Wache zu stellen. Die Schutzmaassregeln in Polen sind aber, sdbst in der Verbesserung, in welcher sie Seifmann auf dem internationalen Congress in Wien (Bericht S. 26) dargestellt hat, nicht geeignet, Polen pestfrei zu halten und die preussischen Grenzwachen entbehrlich zu machen. Neben Russland stehen noch die Donaufürstenthiimer bezüglich unserer Schutzmaassregeln auf einer Linie. In die europäischen osmanisohen Staaten bricht die Pest, öfter ein, ohne dass wir hier etwas davon erfahren, und das Veterinärwesen ist dort auch noch nicht so geordnet, um auf zuverlässige Nachrichten rechnen zu können; deshalb müssen wir das Steppenvieh dieser Staaten mit dem russischen noch in eine Kategorie werfen.
Preussen und Oesterreich sind die beiden Staaten, denen die continuirhehe Gefahr am nächsten liegt, die an ihren östlichen Grenzen gegen Russland, resp. gegen die Donaufürstenthümer be­ständige Schutzmaassregeln errichten müssen, wenn sie nicht selbst jeder Zeit eine Pestinvasion erleiden und die übrigen westlichen Nachbarstaaten in Gefahr bringen wollen. Alle westlichen europäi­schen Staaten haben aber jetzt auch ein viel grösseres Interesse an den beständigen Schutzmaassregeln der beiden erwähnten Gross-staaten, als ehedem; denn einmal ist der Ausbruch der Kinderpest diesseits der russischen etc. Grenzen überhaupt viel gefährlicher, wegen der leichten weitem Verscbleppuug, und davon haben wir jetzt Beispiele, wie die Pest aus inücirten österreichischen Kron­ländern wiederholt in die kleinen süddeutschen Staaten, selbst bis zur Schweiz gedrungen ist; anderntheils aber kann bei unvoll­kommenem Schütze an der russischen Grenze die Pest über die diesseitigen Grenzländer hinausspringen und auf den Eisenbahn­wagen direct mitten in das Herz Deutschlands, selbst weiter in die westlichen Staaten Europas eindringen, wo man nicht zu allen
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Zeiten darauf vorbereitet ist. Preussen hat bisher seine Schuldig­keit sowohl im eigenen, als auch im Interesse seiner westlichen etc. Nachbareu getlian: eine Grenze von circa 150 Meilen und mehr hat es so bewacht, dass die Test nur selten einmal über­gesprungen ist in das preussisehe Gebiet, und in den seltenen Fällen ist die Invasion immer nur aus der Nachbarschaft erfolgt, nachdem die Pest in Hussland bis an die Grenze vorgedrungen war. eine Invasion, bei der die permanenten, auf die weite Ferne der Pest berechneten Maassregeln unschuldig sind.- bei der mir die speciellen, für die Nachbarschaft der Rinderpest berechneten Maassregeln in Betracht kommen. Niemals ist die Pest aus der Tiefe Russlands plötzlich in das preussische Gebiet eingedrungen, und diese Thatsache be­weist die sichere Wirksamkeit seiner beständigen Grenzmaassregeln. Oesterreich ist nicht so glücklich gewesen in der Abhaltung der Rinderpest: es hat die preussiseheu Maassregeln zwar später eingeführt, aber nicht mit genügender Strenge consequent durch­gesetzt. Eine wirksamere Durchführung der preussischen Schutzmaassregel (die 21tägige Contumaz) hat darin namentlich, grosse Schwierigkeiten gefunden, dass Oesterreich sich in seinen östlichen Kronländem nicht so unabhängig von dem russischen und moldauischen Steppenvieh gemacht bat, wie Preussen. Deshalb sind denn auch in Oesterreich trotz der Contumaz an der Grenze so häutige Pestinvasionen vorgekommen, und aus demselben Grunde bietet denn auch Oesterreich den westlichen Staaten nicht dieselbe Schutzwehr gegen die Rinderpest, als Preussen. Die Pestgefahr würde aber für Oesterreich selbst wie für seine Nachbarstaaten noch viel grosser sein, wenn es nicht ein geordnetes und gut ge­handhabtes Tilgungsverfahren in den verschiedenen Kronländern hätte. quot;Nur in Ungarn ist die Tilgung nicht so sicher: die öster­reichischen Tilgungsmaassregeln werden hier nicht so exact durch­geführt. Dem Vernehmen nach liegt dies besonders mit darin, dass die Landesthierärzte, die zugleich Menschenärzte sind und grösstentheils von ihrer menschenärztlichen Praxis leben, denen aber nichts destoweniger die Tilgung besonders obliegt, die grosse Districte haben und bei den Dienstreisen nicht entsprechend ho-norirt werden, so dass sie natürlich mehr ihrer Praxis, als der schnellen und gründlichen Tilgung nachgehen. Wie dem aber auch sein möge, soviel stellt fest, dass die Rinderpest in Ungarn als Contagion einen fruchtbaren Böden hat und viel häufiger und
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länger herrscht, als wir liier zu glauben geneigt sind; nach den Aeussemagen mehrerer Landestliierärzte und Veterinäre geht die Kmderpest in Ungarn selten ganz ans. Wer hieran noch zweifelt, der darf sich nur die Geschichte der betreffenden Veterinärpolizei von Bruckmüller*) anseilen, #9632;um sicli ebenso sehr von der in Ungarn gegebenen Einderpestgefahr, als von der Besorgniss der österreichischen Behörden zu überzeugen.
Ungarn steht deshalb hinsichtlich der Einderpest mit den Donaufürstenthümern in einer Kategorie; das ungarische Step­pen vi eh ist für uns gar nicht so unverfänglich, es kann und darf deshalb bei uns auch nur unter ganz besonderer Vorsicht im Handel zugelassen werden; dasselbe würde, zur vollen Sicher­heit, mit dem moldauischen und russischen Steppenvieh an der Landesgrenze gleich betrachtet werden müssen, wenn nicht Oester-reich selbst das Interesse und in seinen Einrichtungen auch die Mittel hätte, die Kinderpest in Ungarn von seinen verschiedenen Kronländern zurückzuhalten. Aus diesem Grunde und lediglich aus demselben sind diesseitig an den Grenzen Oesterreichs dauernde Maassregeln hinsichtlich des ungarischen Steppenviehs noch nicht nötfaig geworden; man kommt hier mit rechtzeitigen zeitlichen Schutzmaassregeln aus. Anders verhält es sich aber mit dem direct aus Ungarn bezogenen Hornvieh, welches auf den Eisenbahnen ohne Aufenthalt durch die österreichischen Kronlän­der nach dem Auslande geht; bei diesem Bezüge muss das unga rische Hornvieh auch als verdächtig betrachtet und behandelt werden.
Russland und die Donaufürstenthümer sind es also nament­lich, die bis jetzt fortwährend als der Rinderpest verdächtig zu betrachten sind, und gegen welche Länder wir stehende Schutz­maassregeln haben müssen.
Die. Gegenstände der beständigen Maassnahmen sind das Steppen­vieh und dessen Korpertheile, die sogenannten thierischen Roh-producte; von diesen letztern kommen namentlich in den Handel, in den sogenannten Grosshandel: Häute. Haare, Hörner. Klauen. Talg und Gedärme. Alle diese Gegenstände haben für die perpetuirlichen .Maassregeln aber nur eine sehr untergeordnete Bedeutung; noch kein Fall ist nachgewiesen, dass durch sie die Pest von den
*) Oestorreichische Vierteljalirsscbrift für wissenschaftliche Veterinär­kunde. Bd. 18 u. 19.
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Steppenländern aus zu uns gebracht worden wäre, und nach der leichten Zerstörbarkeit des Pestgiftes an den Cadavcrtlieilen, so­fern sie nicht durch Eingraben von dem Zutritt der Luft voll­ständig abgeschlossen sind, ist dies auch sehr natürlich. Eine dauernde Gefähr der Einschleppung durch diese Gegenstände kann jedoch in Zukunft gegeben werden, wenn Eisenbahnen das grosso russische Reich durchschneiden und zu den grossen Sohlaeht-unstalten im südlichen Russland in und ansserhalb der Steppen führen. Dann kann die Herbeischaffung in einer so schnellen Weise möglich werden, dass noch wirksamer Peststoff an denselben haften könnte. Aber auch für diesen später einmal eintretenden Fall haben wir immer Sicherheit, wenn wir
1)nbsp; die Häute nebst Gehörn und Klauen ganz trocken, d. Ii. vollkommen lufttrocken,
2)nbsp; das Fett ausgeschmolzen in Gelassen,
3)nbsp; die Gedärme eingesalzen oder getrocknet, und
4)nbsp; die Knochen getrocknet zu lassen. Sollte der ausge­schmolzene Talg auch in dorn grossen Wanst als Behälter gebracht sein und als Wampentalg zu uns kommen, so ist die bisherige Vorschrift, den Wanst abzunehmen und zu vernichten oder zu reinigen und. zu desinficiren, unnütz, weil die Temperatur, in welcher das Fett flüssig hineingegossen wird, das rorhandene Gontagium sicher zerstört, von der an der Aussenfläche statt­findenden Lufteinwirkung ganz abgesehen.
Auf dem zweiten internationalen Congress von Thierärzten in Wien 18Ö5*) einigte sich die Versammlung in folgenden Beschlüssen:
„1) Vollkonunen trockene Rindshäute, Hornspitzen, trockene Knochen, gesalzene und trockene Rinderdärme, geschmolzener Talg in Gefässen, Kuh-haare und Schweinsborsten, Schaftrolle in Säcken seien frei und ohne eine Desinfection einzuleiten, im Handel zuzulassen.
2)nbsp; Ganze Homer, sowie Klauen, seien mit conccntrirtcr Chlorkalk- oder KochsaMösung zu behandeln.
3)nbsp; Geschmolzener Talg in Wammen sei in der Art zu desinficiren, dass die Emballage äusserlicL mit concentrirter Chlorkalk - oder Koclisalzlijsung zu waschen käme.
ad 1, 2 und 3. Selbstverständlich wären solche Eohproducte, wenn sie aus verseuchten Gegenden oder Ortschaften stammen, unbedingt zurückzu­weisen.quot;
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*) Amtlicher Bericht von läge Nr. 1.
ill und Kor st er 1805. S. 48—54 und Bei-
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Die Maassregel sub Nr. 2 halte ich für überflüssig, wenä die Tbeile nur trocken sind, Maassregel sul) 3 ist gleicbfalls ounöthig. Haubner bemerkte auf dem Congresse selir richtig, dass die Gegenstände im GrroBshandel, die weit herkommen und
weit hingehen, so dass sie monatelang unterwegs sind, oder die in Fabriken gelangen und mit Rmdvieli in keinerlei Berülirung kommen, weniger getalirlieh sind, als die Gegenstände im Klein­handel, im engen Verkehre.
In Bezug auf alle diese Gegenstände kann man bei den permanenten Maassregeln alle mögliche Freiheit gewähren, sie bringen uns die Test nicht.
Das Steppenvieh selbst ist es, welches uns die Pest bringt. schon oft gebracht hat und jederzeit wiederbringen kann; hier­gegen müssen wir die entsprechenden perpetuirlichen Maassregeln aufrecht erhalten, wenn wir nicht fortwährend in Sorge leben und zu jeder Zeit des Ausbruchs gewärtig sein wollen. Man hat den Begriff von Steppenvieh, russischem Steppenvieh als vag und unzuverlässig hingestellt, um die dagegen ergriffenen Maassregeln anzutasten, man hat hervorgehoben, dass die bestehenden .Be­schreibungen gar nicht einmal übereinstimmten, dass es auch diesseits der Steppen schon Steppenvieh in den Ställen der Land-wirthe gebe etc. i'as alles ist tendenziöse Pedanterie. Die graue Race, ob hell- oder dunkelgrau, ob das Grau ins Schwarze oder Itothe sich hineinzieht, ob darunter einmal ein Exemplar vor­kommt, an welchem man nur an einzelnen Körpertheilen das Grau findet, das alles ist für den Praktiker ganz gleichgültig, also die graue Race in weiten Grenzen des Grauen mit mehr oder weniger schlankem und kräftigem Gehörn und langem Schwanz, mit t i e-fem Brustbau und weniger voluminösem llinterleibe, ob sonst mit einem schlanken, hochbeinigen oder stämmigen knebelbeinigen Bau, diese Pace aus Russland ist die verdächtige Waare, die an­gehalten werden muss, wenn auch anderes Vieh in einer Ileerde mit untergemischt sein sollte. Die Möglichkeit, dass solche lleer-den gar nicht aus der Steppe kommen, gar nicht einmal daher stammen, kommt nicht in Präge. In Friedenszeiten, d. b. wenn der Feind —- die Pest — nicht in Sicht ist, mag man sich unter Um­ständen auf weitern Nachweis einlassen und solche. Steppenheerden passiren lassen, die sich genügend ausweisen können, dass sie seit Monaten oder Jahren in der pestfreien Nachbarschafl gewesen sind; dies ist sachlich zulässig, nur Sicherheit, dass kein
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Betrug mit im Spiele, ist not tig. Principiell aber .ist es dieses Vieh, was die permanenten Grenzmaassregeln erheischt.
Die dauernden Schutzmaassregeln bestellen in A b sperru a g und Contumaz. Die Absperrung ist natürlich das radioalste Mittels
als dauernde Maassregd über findet sie gewöhnlich grosse volks-wirthschaftliche und selbst politische Schwierigkeiten, so dass sie bisher noch nicht in Anwendung gekommen ist. Es kann aber Umstände geben, wo die Absperrung in modificirter Weise in An­wendung kommt. /.. I!. Absperrung des lebendigem Viehes, aber mit Zulassung dessen Fleisches. Man lässt das Steppenvieh bis an die Grenze oder über dieselbe kommen und schlachtet es ab, sofern es natürlich gesund ist bei der augenblicklichen Besichti­gung, und führt die Steppenochsen als thierischeJElohproducte ein. Wenn es sieh um Fleiselmalirung. in grossen Städten namentlich, handelt, die nicht anderweitig entsprechend herbeizuseliaffen ist, so ist jetzt auf den Eisenbahnen der Fleischtrausport in Wagen mit Eismassen etc. als ein Auskunftsmittel recht gut anwendbar. Wenn man in England an den Landungsplätzen grosse Schlachte^ reie.u anlegt und so die Fleischmärkte statt der Viehmärkte mit russischer Waare frequentirt, so giebt das entschieden Sicherheit. Ich svolltc hier nur anführen, class dies, von thierärztlicher Seite aufgefasst, hinsichtlieh der Einschleppung der Pest gar kein Be­denken hat.
Die Contumaz.
Das stets verdächtige russische Steppenvieh an der Landes­grenze anzuhalten und so lange zu beobachten, als zu der üeber-zeugung nothwendig ist. class kein Peststoll'in ihnen steckt, ist nächst der gänzlichen Zurückweisung noch das einzige wirksame Schutzmittel. Die dringende Frage ist hier, wie lange Zeit ist nothwendig zu der Sicherheit, dass kein Peststofi' in der Steppen-heerde mehr stecke'.-'
Das Contiunazveifahren hat sich in Preussen ausgeMdet', es datirt sich von 1767 her, wo schon vom General-Directorimn chic achttägige Quarantaine vorgeschrieben wurde; in dem Viehseuchenpatent 1802 wurde diese Conturimz-zeit in |. 14 für anslamp;ndjsches Vieh überhaupt auf 48 Stunden, für das aus Polen und Russland kommende Vieh aber auf vier Tage; festgesetzt, dabei musste aber das Vieh nach sect;. 17 bei dein üebergange in eine andere inlän­dische Provinz nochmals 24 Stunden zur Beobachtung angehalten worden. In eii!i;r andern Verordnung des Genfiral-Directorinuis vom 21. iMai 1805 sind die sect;sect;. 14 und 17 des Patents aufgehoben und für das aus russischen
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und östurmcliischen Staaten eingehende Vieh Quarantaine von 21 Tagen fest­gesetzt worden. 1810 winde in einer Gabinetsordre vom B. Mai von der Quaran­taine wieder Abstand genommen und das Begleitsystem eingeführt. Wenn eine podolische Ochsenheerde zwei Tage in der Quarantaine gesund geblieben war, so wurde sie unter vlerzelmtägiger bis dreiwöchiger Begleitung weiter getrieben. Von dieser Begleitung kam man bald wieder zurück-. 1826 wurde über Abkürzung der 2]tägigeii Quarantaine verhandelt, es blieb aber beim Alten. Kino königliche Verordnung vom 27. März 1836, in welcher weitere Maassregeln an der Grenze im Falle des Naherrückens der Fest vorgeschrieben sind, ist die 21tiigige Quarantaine für das Steppenrieh (podolisches Vieh) festgehalten. Alles aus Russland kommende Vieh darf nur an bestimmten Orten, wo Ilauptzollämter sind, passiren; ergiebt die Besichtigung, dass es eine Steppenheerde ist, oder dass Steppenvieh sich darunter findet, so muss es in einer Quarantaine 21 Tage verbleiben, und wird hierauf nur dann über die Grenze zugelassen, wenn es vollkommen gesund, d. h. verdachtsfrei von der Pest ist. 1853 verwandte sich namentlich der Polizeipräsident von Berlin v. Hinkeldey auf Andringen des Berliner Schlachtergewerbes für die Auf­hebung dieser Maassregel. Das königlich preussische Ministerium forderte das Gutachten des Lehrercollegiums der Thierarziieischule und später auch das der Regierungen in den östlichen Provinzen' ein. Bas Lehrercollegium hielt die 2Itägige Contumaz entschieden aufrecht. Die Regierungen zu Liegnitz, Königsberg, Oppeln, Posen und Gumbinnen sprachen sich in ihren Berichten (November und December 1853) ebenfalls für Beibehaltung der 21tägigcn Quarantaine ans, während die Regierung zu Bromberg die Contumaz auf acht Tage für den Fall beschränken wollte, wo das NichtVorhandensein der Pest in den angrenzenden Provinzen entschieden nachgewiesen sei. Die Regierung zu Breslau hat wegen Mangel an gutem Fleisch für Herabsetzung der Con-tumazzeit auf zehn Tage gestimmt, aber zugleich hinzugefügt, dass diese Contumazzeit allerdings nicht vollständig schütze, dass aber die Gefahr eines Ausbruchs nicht so sehr hoch anzuschlagen sei. inzwischen war ausnahms­weise eine grosse Heerde Steppeuochsen unter Begleitung von Prof. Hertwig und einem Polizeibeamten direct aus Russland auf der Eisenbahn nach Berlin gebracht worden, nachdem zuvor das betreffende russisclio Terrain untersucht und seuchefrei befunden worden war. Dieser Import war glücklich abgelau­fen; es erschien in Folge dessen am 4. Juli 18r)4 eine Gabinetsordre, wodurch die Ministerien der Medicinalangelegenhciten und des Handels gemeinschaft­lich in gefahrloser Zeit zu derartigen Vornahmen autorisirt wurden. Bis jetzt ist aber meines Wissens niemals Gebrauch davon gemacht worden, einmal, weil ein derartiger Import unter den erforderlichen Vorsichtsmaassregeln kostspieliger ist, als die Contumaz, und zweitens'wohl, weil die Berliner Schlachter von ihren Illusionen kurirt worden und zu der Einsicht gekommen sind, dass die podolischon Ochsen erst durch einen Maststall gehen müssen, ehe ihr Fleisch mit dem von nnsern Mastochsen coneurriren kann.
Der Frfolg dieser preussischeu Schutzmaassregel an der russischen Grenze war so eclataut, dass Ocsterreich sich 1^40 veranlasst sah, die 21tägige Con-tumazperiode auch an seinen östlichen Grenzen gegen Russland einzuführen. liier aber hatte diese Maassregel keinen Frfolg. Die Rinderpest kam auch nachher mit wenig Unterbrecbung alljährlich vor; die Regierung schritt des-
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hull) zur Revision dor Scbutzmaassregeln und ernannte dazu eino besondere Commissiou, die wesentlich aus Sachverständigen-bestand und welche eine deduction der ( ontumazdauer auf 10 Tage vorgeschlagen hat. Die Staats-regierung hielt jedoch für räthUch, hieraof nicht ohne die Zostinunung dor nördlichen und westlichen Nachbarländer sogleich einzugehen, sio beauftragte daher den Studieudirector Professor Dr. Uüll, diesen Gegenstand auf der ersten internationalen thierärztlichen Versammlung zu Hamburg 1863 zur Sprache zu bringen. Die Stimmenmehrheit entschied sich in dieser Versamm­lung für die Reduction. Hierdurch war das Bedenken der Staatsregierung aber noch Dicht gehoben worden, zumal die von der preussischen Regie­rung nach Hamburg abgeordneten Veterinäre dagegen gestimmt hatten; sie iie.ss deshalb diesen Gegenstand zum zweiten Male auf dem zweiten inter­nationalen thierärztlichen Congress in Wien I860 zur Sprache und Abstim­mung bringen. Der preussische Abgeordnete war hier in die betreffende Commission zur Vorberathung gewählt und in derselben für die Reduction gewonnen worden; derselbe vertheidigte nun in der Generaldebatte die Ver­minderung der Contumazzeit auf 10 Tage ebenso entschieden, als er sie zwei Jahre früher mit dem Verfasser bekämpft hatte, und. wus die Hauptsache ist, mit denselben Gründen; die Sltägige Contumaz, die sich so sehr bewährt hatte, wurde jetzt als ganz erfolglos hingestellt, der gefährliche Schmuggel­handel, dorn man früher durch eile Reduction der Contumazzeit nicht steuern zu können glaubte, verlangte jetzt dringend solche Reduction, und die Erfolge in Preussen, die in llainhnrg die 21tägigo Contumaz vertheiiligon konnten, uiusste dieselbe in Wien verurtheilen*). Die mtellectuellen Urheber der Ver­minderung der 21tägigen Contumazzeit auf 1U Tage stützten sich:
1)nbsp; auf die neuen Erfahrungen durch die Impfungen in Rnsslaud, bei denen die Incubationszeit selten acht Tage erreicht habe — nach Ergänzung von russischen Vertretern nur in wenigen Fällen bis nenn Tage gegangen sei — und
2)nbsp; auf die unglücklichen Erfolge von der Sltagigen Contumaz in Ooster-reich, einer Maassregel, die den Schmuggelhandel und damit auch die Gefahr der Einschleppung gefördert habe. Hervorgehoben wurde dabei noch, dass die Rinderpest in vierzehn Jahren nur einmal in der Qnarantaine seihst vor­gekommen sei. während Ausbrüche im Lande sieh fast alljährlich wiederholt hätten. Die österreichischen Veterinäre, die fast die Hälfte der Versamm­lung ausmachten, fanden sehr natürlich in den russischen Abgeordneten ihre getreuesten Secundanten. Die Vertreter ans Süddeutschland, der Schweiz und ans Frankreich Hessen den Gegenstand als Principienfrage fallen und fassten ihn rein vom österreichischen Standpunkte auf, weil sie eben in der Reduction der Contumaz an der österreichisch-russischen Grenze keine directe Gefahr für ihre Länder sahen, vielmehr auf die Tilgungsuiaassregelu inOester-reich und Preussen, eventuell auf ihre Separatabspemmg rechneten, so stimm­ten sie mit den Oesterreichem, und so kam es, dass ich in der Festhaltung am Principe, unbeachtet aller loealen Sonderinteressen, wie es doch gewiss einer internationalen Versammlung von Fachmännern geziemt, in einer so
*) couf. Amtliche Berichte der ersten und zweiten Versammlung in Ham­burg S. 9 u. 10 in Wien S. 23 n. 31.
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ernsten und gewichtigen Sache für Deutsdüaud und das ganze westliche Kuropa in der Opposition gar keine Unterstützung fand und bei der Ali-stimmung in einer schwachen Minorität blieb. Hierbei wurde von einem ras­sischen Veterinär sugar meine Competenz in Frage gestellt, weil ich damals noch nicht selbst direct wahrgenommen hatte, wie ein pestkranker Ochse stöhnt und mistet, ja sogar mein uneigennütziges Streben für die Sache im Principe und zum allgemeinen Besten Deutschlands wurde angetastet. Die Beschlüsse auf dem zweiton internationalen Congress von Thierürzten sind dem Wortlaute nach folgende*);
„I. Die Veräammlung entscheidet sich dafür, dass die Dauer der Contumaz-periode mit Rücksicht auf die über die Incubationszeit der Kinderpest ge­wonnenen Krfahrnngen für das, aus Rassland und aus deiiDonaufürätentliümeni nach dem Westen Europa's eintretende Hornvieh auf zehn Tage festzustellen, dass diese Periode aber fortan und unter allen Yerhältnissen des Gesundheits­zustandes des Hornviehes in dem benachbarten Auslande, und ohne Kücksicht auf die Bestimmung und die Race des Viehes aufrecht zu erhalten wäre.
II. Die Versammlung kann jedoch zu einer Herabsetzung der gegen­wartig gebräuchlichen 21tägigen Contiunazperiode nur dann einratheu, wenn nachfolgende Voraussetzungen zur Durchführung kommen, u. zwar:
1)nbsp; Wenn die Errichtung von Contnmaz-Anstalten überall dort, wo die Anforderungen des Handels sie iiothweudig, und die Ortsverhältnisse sie zulässig machen, stattgefunden haben wird. In letzterer Kücksicht wäre insbesondere auch auf die Möglichkeit einer leichten Bei-stidhuig des Futterbedarfs, und zwar nicht aus dem seuchenver­dächtigen Auslande, und auf das Vorhandensein von Wasser zum Tränken und zum Reinigen der Thiere Rücksicht zu nehmen;
2)nbsp; wenn die ( ontnmazen derart eingerichtet sein werden, dass sie den Anforderungen der Veterinär-Polizei und der Erhaltung des Gesiuul-heitszustandes des dahin gebrachten Viehes entsprechen, und eine gesicherte thierärztliche üeberwachung gestatten werden;
3)nbsp; wenn die Anstellung einer hinreichenden Anzahl gehörig instruirter und entsprechend besoldeter Thierärzte in den (Jontumaz-Anstalten erfolgt sein wird.
Die genaue Feststellung aller in den Ilornvieli-Quarantainen durch­zuführenden veterinär-polizeiliehen Maassregeln hat Gegenstand einer besondem Instruction zu sein.
Für nothwendig erklärt die Versammlung weiter:
4)nbsp; Die Einführung einer Vieh-Conscription in den Orenzhezirken, zwischen Oesterreich und Preussen einerseits, Russland und den DonaufÜrstenthümem andererseits und die Anstellung von Thier­ürzten daselbst zu diesem Zwecke und zur Ueberwaclunig des Ge­sundheitszustandes des dort befindlichen Viehes;
5)nbsp; die genaneste üeberwachung der Yiehtriebe im Innern des Landes;
(!) die Bestrafung der Uebertretör der Contnmaz- und der die Rinder­pest betreffenden vetermär-polizeilichen Vorschriften nach der vollen Strenge des Strafgesetzes.
*) 1. c. Heilage 1.
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III. Für besonders wünschenswerth liiilt es die Yersammlung, dass duroh die Bildung eines Fonds die Mittel geboten werden, die Tilgung der Rinder­pest durch die Tödtung alles kranken und verdächtigen Viehes möglichst rasch herbeizuführen und hierdurch die -YerschLeppnngen des Contagiums nach dem WestenEuropa's zu verhindern.quot;
Ich werde auf diese Beschlüsse weiter zurückkommen.
Während sich in der Debatte und den Beschlüssen ülier die Kinderpest von den Vertretern der Thierlieilkunde in ganz Europa vielfach eine Unter-schätzimg der Rinderpestgefahr kund lt;i;\h, trat die Pest im westlichen Europa in einer Art und Weise auf, die wohl geeignet sein durfte, die Grosse der Gefahr wieder mehr hegreiflich zu machen und der schwachen Minorität doch in ihren Principien zur Geltung zu verhelfen.
Kehren wir zu unserer Frage zurück. Aus der kurzen ge­schichtlichen Darstellung ergiebt sich zunächst, dass Preussen kein russisches Steppenvieh — sogenanntes podolisches Vieh — anders über die Grenze lässt, als nach einer 21tägigen Contumaz. dass diese Maassregel schon seit 62 Jahren bestanden hat, dass sie in neuester Zeit angetastet worden ist und die Contumazzeit auf zehn Tage reducirt werden soll. Es treten deshalb hier die Principienfragen in den Vordergrund:
1)nbsp; nbsp;hat die 21tägige Contumaz noch jetzt eine ge­nügende wissenschaftliche Grundlage und sich auch in der Praxis bewährt? oder ist
2)nbsp; nbsp;eine Abkürzung auf zehn Tage zulässig, ohne Deutschland und das westliche Europa in Gefahr zu bringen?
ad. 1. Die 21tägige Contumaz für das russische Steppenvieh hat noch ihre volle wissenschaftliche Grund­lage, ja sie hat sie jetzt mehr denn je.
Einmal ersehen wir aus dem Endergebnisse der Untersuchungen (Ahtli. 11. Cap. 8), dass die Incubation der Regel nach 5—7 Tage, oft aber auch ü Tage, ausnahmsweise selbst bis 16 und noch einige Tage darüber dauert, dass seihst die Beobachtungen bei den Impfungen in Russland, auf welche man sich bei der Reduction der Quarantaine eben gestützt hat, uns keineswegs berechtigen, die Contumazzeit um die Hälfte zu reduciren, dass somit die wissen­schaftliche Basis für solche Abkürzung gänzlich fehlt.
Wenn man gesagt hat. dass die Regel maassgebend sein müsse und man auf die Ausnahmen keine Rücksicht nehmen dürfe, so ist dies principiell ganz falsch und in der Praxis nur bedingungsweise zu billigen. In Rechtsstreitigkeiten gilt die Regel,
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für Ausnahmen bleibt der Beweis: die Veterinär-Polizei aber darf die seltneren Fälle aeben den häufigen und gewöhnlichen nicht unbeachtet lassen, sie muss auch diese um so mehr berücksichtigen, je grosser die Gemeingefahr bei der
Krankheit ist, und da dürfte denn doch wohl die Hinderpest schwer in die Wagschale fallen und dringend mahnen, bei der Yorbauung auch die seltneren Fälle der Verbreitung sorgfältigst mit zu beachten. Die ausnahmsweisen längern Incubationszeiten sind aber hier um so mehr zu berücksichtigen, als man wissen­schaftlich zu der Annahme berechtigt ist, dass sie bei der zu­fälligen Ansteckung überhaupt häufiger vorkommen, als bei der Impfung, und dass sie namentlich bei der zufälligen Ansteckung des Steppenviehes häufiger vorkommen, als bei unserni Hornvieh, weil ersteres vielfach nur sehr geringe Disposition besitzt, wie aus der häufiger vorkommenden geringen Erkrankung hervorgeht. Diese ausnahmsweise längere Incubationszeit ist aller nicht der einzige, ja nicht einmal der Hauptgrund für die 21 tägige Dauer der Contumaz, ein zweiter, viel wichtigerer Grund ist eben das erwähnte häufige leichte Erkranken des Steppenviehes, und zwar in solchem Grade, dass oft nicht einmal eine Erkrankung, geschweige denn die Krankheit selbst erkannt wird. Das Ueber-sehen einer Krankheit ist um so leichter und das Nichterkennen der Pest um so eher möglich, als das Steppenvieh durch die Strapazen angegriffen und ermüdet ist, bei allen der frische Ausdruck (Habitus) der Gesundheit mehr oder weniger fehlt, unter der Heerde immer einzelne oder viele besonders ergriffen sind, schlecht oder zeitweise gar nicht fressen, das Futter, das Heu auch oft zum Theil schlecht ist und deshalb mehr verschmäht wird etc.; bei schlechter Witterung wird dies alles noch mehr und selbst in Begleitung von leichten catarrhalisehen Affoctionen hervortreten. Unter dieser so häufigen, ja fast regelmässig mehr oder weniger gegebenen allgemeinen Trübung der Gesundheit kann die Rinderpest versteckt sein, und Niemand vermag sie bei ver­kapptem Verlaufe herauszufinden. Jessen hat es denn auch ge­radezu für unmöglich erklärt, unter einer Steppenheerde das Mcht-vorhandensein der Rinderpest festzustellen; es soll deshalb sogar die 21 tägige Contumaz noch nicht einmal Sicherheit gewähren, und aus diesem Grunde (!) nimmt er keinen Anstand für eine Verminderung auf zehn Tage.
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Die Unmöglichkeit, die ersten Erkrankungen an der Rinderpest immer gleich zu erkennen, und das nicht seltene, selbst häufige Vorkommen soldier Fälle, in denen die Rinderpest erst nach einiger Zeit durch mehrfache Erkrankungen in zweiter und selbst in dritter Generation erkannt werden kann, alle diese Verhältnisse erheischen zur Sicherheit eine längere Beohachtong and machen die Contumaz ganz illusorisch, wenn sie sich nickt auf drei Wochen oder duck annähernd auf so lange Zeit erstreckt.
Ein sehr gewichtiger technischer Einwand gegen die Sicherheit einer jeden Contumaz war bisher immer die Annahme der genuinen Entwickelung der Rinderpest bei dem Steppenvieh auch ausser-halb der Steppen: liavitseh wollte daher auf dem Congress in Wien ans diesem Grunde folgerichtiger Weise die Contumaz überhaupt als ganz nutzlos darstellen. Ich vorweise in dieser Beziehung auf die weitere Ausführung in Cap. 7 und glaube hier­durch der Contumaz für das Steppenvieli die wesentlichste wissen­schaftliche Stütze gewonnen zu haben, die sie nach der bisherigen Doctrin noch, entbehrte.
NacMem auf dem Congress in Wien so oft davon die Rede gewesen war, ihis.s auch eine 21 tägige Contumaz nicht schütze, warf ich die Frage auf, ob irgend Jemand einen Fall kenne, in welchem das durch die 21tägige Contumaz gegangene Steppenvieh noch an der Pest erkrankt sei, vorausgesetzt, (kiss keine Gelegenheit zur Ansteckung nach der Contumaz gegeben gewesen. Niemand hatte einen Fall aufzuweisen als Zlamal aus Pesth, der einmal erlebt hat, dass in den ersten drei Tagen nach der Quarantaine sehen drei Häupter an der Rinderpest gefallen sind (c. Bericht S. HS u. 39). Dieser Fall beweist die Nothwendigkeit, aber nicht die Unzulänglichkeit der 21tägigen Contumaz, er wirft aber auch zugleich ein Streiflicht auf die Aufsicht bei den ungarischen Quaraataineu, worauf ich wieder zurückkomme.
Die alte Maassregel, die Sltägige Contumaz. hat sieh bei ihrer vollen wissenschaftlichen Grundlage auch in der Praxis bewährt. Den 50jährigen Frieden mit der Rinderpest in Deutschland, im ganzen westlichen Europa, verdanken wir dieser Maassregel an der östlichen preussischen Grenze.
Preussen hat sich und diesen Ländern durch die 21tägige Contumaz die Rinderpest vom Halse gehalten, die zuvor über 100 Jahre hindurch wenig aufgehört hatte, ihre Geissei über ganz Deutschland, über Europa mit furchtbarer Gewalt zu schwingen. Dieser 50jährige Friede ist jetzt unterbrochen worden, aber wo­durch? nur durch Umgehung der preussischen Schutzwehr; Eng-
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land hat sich den Feind direct zu Wasser geholt und zu Wasser nach Holland geschickt, und dadurch ist der Feind uns von einer unerwarteten Seite in die Flanken gefallen.
Bei den Invasionen haben wir gesehen, dass auch während der ei'wiLhnten 50 Friedensjahre die Rinderpest in den östlichen Provinzen Preussensmehrmals aufgetaucht, aher immer sein- bald getilgt worden ist; diese Ausbrüche hat mau der Sicherheit der 21tägigen Contumaz immer entgegengestellt, aber sehr mit unrecht; erst jüngst noch hat Hertwig*)die 11 Seuchenaushrüche seit 1855 als Beweis hervorgehoben, dass die 21 tägige Quarantaine nicht die Sicherheit gewähre, welche man von derselben voraus­setze, dass sie sehr wahrscheinlich durch Förderung des Schmuggel­handels die Pest-Invasion mehr fördere. EL scheint bei seiner neuem Ansicht von der Quarantaine etwas zu fordern-, was man von derselben gar nicht verlangen kann. Zunächst muss ich diesem Einwände gegenüber hervorheben, dass die Pest in allen diesen Fällen niemals durch die Contumaz. sondern um dieselbe herum gegangen ist, dass dies in dem engern Grrenzverkehre zu den Zeiten geschehen ist, wo sie in den benachbarten Districten herrschte und oft bis hart an die Grenze vorgedrungen war. Was in aller Welt kann die perpetuirliche Maassregel für solchen Einbruch, die nur auf eine beständige. Gefahr aus der Tiefe Itusslands be­rechnet und für das Steppenvieh bestimmt ist; haben wir nicht an der holländischen Grenze trotz der Absperrung, schliesslich selbst durch einen Militär-Cordon. Invasionen in der Rheinprovinz und inWestphalen gehabt, hat nicht Belgien trotz seinen strengen Grenzmaassregeln in l1/^ Jahren dreimal so viel Invasionen von Holland ans gehabt, als Preussen in 9 Jahren'.-' quot;Wie überall, so sind auch an der russischen Grenze für solche Fälle weitergreifende Maassregeln erforderlich, von denen wir noch' weiter sprechen werden; und wenn selbst die sorgfältigsten Sperr-maassregeln in solchen Fällen doch nicht unter allen Umständen die Pest abhalten können, wie wir das ander holländischen Grenze gesehen haben, weil eben eine chinesische Mauer nicht mehr gezogen werden kann, so kann man die stehende Contumaz für das Steppenvieh doch wahrlich für solche Pestausbrüche nicht verantwortlich machen, welche der volkswirthschafÜiche Verkehr mit sich bringt; es ist dies ein gänzliches Verkennen der Sachlage.
*) Magazin. Bd. 32, S. 209.
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Roll*) weist tabellarisch nach, (lass die Rinderpest nach der Einführung der ältägigen Contumaz noch ebenso und zeitweise selbst noch mehr geherrscht, und letztere mehr geschadet als genutzt habe. Auch hier, glaube ich, bürdet mau der Contumaz etwas auf, woran sie ganz unschuldig ist. Die Rinderpest war bereits in der Nähe der österreichischen^Grenze, als die 21tägige Contumaz eingeführt wurde, und hat auch his Jetzt im Ganzen wenig aufgehört, in den Grenzländern zu herrschen. Dass unter solchen Umständen noch -andere strengere Maassregeln stattfinden müssen, ist selbstverständlich, dass diese aber weniger zur Durchführung gekommen sind oder auch vielleicht haben kommen können, dies beweist schon der Umstand, dass ein so lebhafter Schmuggelhandel stattfindet, dem man ja geneigt ist, alles in die Schuh zu schieben, und der wiederum bedingt sein soll durch die 21tägige Contumaz.
Wenn die Contumaz so häufig umgangen wird, wie uns die österreichischen Veterinäre sagen, so kann man von einer Durch­führung einer noch strengern Grenz-Maassregel auch keinen Erfolg erwarten, ein Schutz gegen die Rinderpest ist dann aber um so wenigermöglich, je grosser der Grenzverkehr ist. Es giebt kein Schutzmittel ohne die strengste Controle, und bei der Contumaz muss gerade in den ersten zehn und zwanzig Jahren das betreffende Vieh durch den Polizeiarm in die Sicherheits-anstalt getrieben werden: ist der Weg einmal gehahnt und ge­wohnt, dann ist die Durchführung leichter selbst schon dadurch, dass der Andrang vermindert wird. Ohne strenge Grenzcontrole ist ebensowenig eine Contumaz als ein Grenzzoll durchzusetzen, beides wird nutzlos.
Die Ungarn schlagen denselben Ton an. auch sie behaupten ohne Weiteres, vielleicht zur eigenen Entschuldigung, dass die 21tägige Contumaz ihnen gar nichts nütze. Das Factum ist richtig, aber die Sache sieht hinter den Coulissen ganz anders aus, als nach einer Verdammungsrede, welche über Contumaz in Wien und namentlich auch von dem ungarischen Professor ZI a mal ge­halten wurde, zu glauben war. Nach der [landhahung der Con­tumaz in Ungarn ist der schlechte Erfolg sehr erklärlich. Wenn StBppenvieh ankommt, so schreibt der betreffende Handelsmann,
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*) Bericht iibor die erste internationale Versammlung zu Hamburg. 18133. Beüage I.
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auf dessen Kosten der Inspector, oder wie die betreffenden Persönlichkeiten heissen, entgegenreist, und von Stunde der An­kunft bei der Heerde auf dem Transporte beginnt die Contumaz-zeit. Wie, der betreffende Inspector, der in der Regel nicht Thier-arzt sein soll, weiter verfährt, ob er neben der Heerde her­wandert oder nicht, wie er sie controürt, ob erkranke Tbiere erkennen kann, ob ihm jeder etwaige Wechsel durch Ab- und Zugang oder einseitig durch Abgang bekannt wird, das wusste man mir in Ungarn ebensowenig zu sagen, als manches Andere, was dabei sehr nahe liegt: darüber aber waren die Herren, bei denen ich mich orientirt habe, im Klaren, dass die Ausfübrimg der 21 tägigen Contumaz in Ungarn gar keine Sicherheit geben könne.
ad 2. Eine Abkürzung der Contumaz von 21 auf 10Tage ist nicht ohne Gefahr für Deutschland und über­haupt für das westliche Europa.
In der Abfertigung der ersten Frage ist diese zweite auch schon erledigt: denn alles, was die Zweckmässigkeit und Notb-wendigkeit für die längere Dauer der Contumaz vertheidigt, ist zugleich gegen die Zulässigkeit der, Verminderung. In der inter­nationalen Versammlung in Wien ist Jedoch diese Reduction an gewisse Bedingungen geknüpft worden, auf diese sowohl, als auch auf die für die Zweckmässigkeit der Herabsetzung der Contumaz-zeit hervorgehobenen Gründe muss ich hier noch kurz zurück­kommen.
Die sub 1, 2. 3, 5 u. 6 aufgeführten Bedingungen (S. 157) sind selbstverständliche Dinge, ohne welche eine Contumaz von 10- wie von 21 tägiger Dauer kaum ausführbar, jedenfalls aber nutzlos ist. Daraus, dass die österreichischen Veterinäre diese Bedingungen urgift, ein grosses Gewicht darauf gelegt habefi und dadurch eine Reduction möglich gemacht zu haben meinen, wird man zu dem (Hauben gedrängt, dass alle diese selbstverständlichen Dinge bisher in der österreichischen und ungarischen Contumaz nicht stattge-funden haben, und dann liegt eben nichts näher, als die bisherige Erfolglosigkeit. Was den vierten Punkt, die Vieh-Conscription, betrifft, so dürfte sie schwer durchzuführen und überhaupt sehr wenig zuverlässig sein und zwar jenseits der Grenze noch vielmehr, als diesseits. Ueberdem ist dies eine Maassregel, die, wenn streng durchführbar, ihren grossen Nutzen für die Fälle und Zeiten haben würde, in denen die Test in der Nähe der Grenze ist und der enge Grenzverkehr streng controlirt werden muss,
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namentlich bezüglich des Viehverkehrs. Einen besondem Vortheil aber hinsichtlich derstehenden Contnmaz für das Steppen­vieh kann ich mir davon nicht versprechen; das eingeführte Steppen­vieh kumuit nicht ans der Grenznähe und verbleibt auch dies­seits nichl immer in der Nähe derßrenze, es geht tbeilweise direct durch und ofi weil hin; was hilft da das Verzeichniss von dein Viehbestände an der Grestze? Ich vermag hierin nicht den ge­ringsten Ersatz /.w finden luv die gestrichenen 11 Tage an der Gontumaz.
Die Anstellung von Thierärzten in den Grenzdistricten, jenseits und diesseits, ist eine ausseist zweckmässige Maassregel, die nicht genng zu enipielilen ist. durch welche alle Schutzmaassregeln an der Grenze an Sicherheit in der Ansliihrnng gewinnen, ergänzen kann sie aller die ungenügende lOtägige Gontumaz nicht.
Die intellectuellen Urheber der Reduction der Contumazzeit haben neben der Erleichterung der Zufuhr hauptsächlich die Unterdrückung des Schmuggelhandela im Auge gehabt and deshalb in der Reduction nicht blos eine Erleichterung, sondern auch eine Verbesserung gesehen. Wcmi ich nun die Reduction Ins auf 10 Tage sachlich habe zurückweisen müssen und das Xicht-genügen der lOtägigen Gontumaz nachgewiesen zu haben glaube, so wäre es dech immer mich möglich, dass die lOtägige Gontumaz aus Zweck niä ss igkeitsgrün den vorzuziehen sei, dass man sich veranlasst sehen könnte, lieher auf eine volle Sicherheit durch die Gontumaz zu verzichten und dafür andere überwiegende Vor-theile anzunehmen. Ich kann aber in der Reduction der Gontumaz-zeit kein Mittel sehen, den Selunuggelliandel zu unterdrücken. lgt;ass die Futterkosten in der Quarantaine durch jene Reduction um die Hälfte venrÄndeii werden und das Schmuggelgeschäft bei 21 Tagen Gontumaz mehr einbringt, als bei 10 Tagen, weiss Niemand besser, als der Schmuggler selbst: das Schmuggelgeschäft bleibt aber immer mich einträglich genug bei 10 Tagen. Die tausendfältigen Beobachtungen der Zollofficianten beweisen es, wie gross der l!eiz des Scbmuggelgeschäfts ist, wie oft ein kleiner Gewinn genügt, sich grossen Mühen und Gefahren auszusetzen. Ohne die strengste Gontrole wird der Schmuggelhandel auch neben lOtägiger Gontumaz blühen. Dabei darf man nicht übersehen, dass bei erleichterter Einführung auch die Zu­führung von Steppenvieh aus den Donaufnxstenthümeru sowohl als den russischen Steppen wächst, dass mit dem grössern Andränge
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des Steppeimehes an die Grenze auch wieder eine Zunahme des Schmuggelhandels verbunden ist. und das mn so mehr, als bei reichlicher Zufuhr die Gontrole schwieriger wird, die Schmuggler eher durchschlüpfen können und iiaiuentlieli nicht sei leicht zu fürchten haben, diesseits der Grenze entdeckt xu werden. Das Biuüberbringen des Viehes über die Grenze ist nicht so schwer, die grosse Ausdehnung derselben macht es überall möglich; das iibergeschmuggelte Vieh ist aber nicht in Kisten zu verpacken, es muss öffentlich untergebracht werden, und hierbei ist es bei eini­ger Gontrole leicht zu entdecken, wenn die Zufuhr an Steppenvieh spärlich ist; die Gontrole diesseits wird aber sehr schwielig und das Einschmuggeln immer leichter, jemehr Sfceppenvieb über die Grenze kommt.
Auf alle diese Verhältnisse will ich aber noch gar nicht ein so grosses Gewicht legen, mich bestimmt noch ein anderer Grund, die Reduction der Gontumazzeit für nutzlos zu halten, es ist der von den Gontumazkosten mehr unabhängige Schmuggelhandel mit verdächtigem Vieh'.
Das Vieh der verdächtigen oder wirklich iniicirteii Heerden darf unter keiner Bedingung in die Contumaz, gleichviel ob auf 10 oder 21 Tage, es muss direct und möglichst schnell an den Mann gebracht werden; solches Vieh wird um jeden Preis los­geschlagen und für die Sclnnuggelhändler ist dies gerade das lucrativste Geschäft, sie kauten billig und können dadurch auch schnell wieder verkaufen. Deshalb wird gerade der gefährlichste Schmuggelbandel bei 10 Tagen Contumaz ebensowohl fortbestehen, als bei 21 Tagen, und dieser gefährliche Schmuggelhandel wächst unbedingt mit der Frequenz der Steppenvieh-Einführung. Man glaube also ja nicht, die Gefahr des Schmuggelhandels durch die Reduction der Gontumaz­zeit zu beseitigen oder auch nur abzuschwächen. Möglichst ge­ringe Einführung von Steppen vieh und die strengste Aufsicht an der Grenze sind die einzigen Mittel, den Schmugelhandel zu unterdrücken und die Rinderpest-Invasionen neben der 21tägigen Contumaz zu verhüten. .Möglichste Unabhängigkeit von dem Steppen vieh ist also der Kernpunkt. Hat Oesterreich diesen Standpunkt landvvirth-schaftlich noch nicht erlangt, namentlich noch nicht in den Län­dern an den betreffenden Grenzen, so mag hier vielleicht eine Erleichterung der Einfuhr von Steppenvieh auf Kosten derSicher-
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licit uütliig sein und die Reduction rücksichtlich der localen land-und voIkswirthschaMicheii Verhältnisse sieh empfehlen; man würde dann im Iiineru strenge Wache halten müssen, die ja in Grenz-districten ausführbar ist. Dies alles will ich zugeben, obwohl es immer noeh fraglich ist, ob es nicht vielleicht andere Aushunfts-mittol für Oesterreieli giebt, als die Reduction der Contumaz, ob nicht #9632;/,. 15. die Futterkosten in der Contumaz vom Staate zu tragen wären, um so für die, Inhaber gesunder Ueerden jeden Grund zum Schmuggeln zu nehmen und dadurch die Controle zu er­leichtern; oder ob es nicht zweckmässig ware, auf die Erleichte­rung der Zutülir ganz zu verzichten, rücksichtslos die strengsten Maassregeln durchzuführen, damit sich die Verhältnisse nach dem Bedürfnisse im Innern regeln; in allen diesen fallen sehen die Staatslandwirthe klarer als ich; bei mir sind alle diese fragen aufgetaucht, weil selbst nach einer Berechnung von Hoffmann*) der Gewinn für Oesterreieli durch Einführung von Steppenvieb illusorisch wird.
11. weist nach, ila.ss jährlich durchsclmiulich 62,812 Centner Fleisch im Werthe von 628,120 Fl. von Russlaud eingeführt wird und ilass durch die hierbei mit eingeschleppte Binderpest bisher durchschnittlich jährlich S2.13ii Centner Fleisch verloren gegiinjicn sind. Die Nutzlosigkeit der Einfuhr und die Entbehrlichkeit des Steppenviehs ist hierdurch für das ganze Oesterreieli nachgewiesen; es kann sich also nur um die Orenzländer handeln, die das russische Vieh hilliger beziehen können, als österreichisches Vieh.
Unter keiner Bedingung kann ich aber zugehen, dass die Verbältnisse in Preussen gleichfalls eine Reduction der Contumaz-zeit erbeischen. Preussen ist zu seinem eigenen Wohle, wie im Interesse des ganzen westlichen Europa's unabhängig geworden von dem russischen Steppenvieh; die 2ltägige Quarantaine au der östlichen Grenze hat die Zufuhr sofort vermindert und schliess-lich last abgeschnitten; die Viehzucht in den Grenzprovinzen hat sich in Folge dessen so gehoben, dass der eigene Bedarf mehr als gedeckt ist. Wollte Preussen eine Maassregel aufheben, die anfänglich für die Grenzprovinzen gewiss ebenso schwer und drückend gewesen ist, als sie noch beide für die betreifenden Grenzländer Oesterreichs ist. die aber bereits 50 Jahre be­standen und ihren Druck in dieser Zeit gänzlich verloren hat, indem sich alle Verhältnisse in den Grenzprovinzen aecom-modirt haben, eine .Maassregel, die ganz Preussen direct und alle
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*) Vicrteljahrsschi-ift etc. 1864. Bd. 21. Analecten S. 131
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westlichen Liliidei-Europa's indirect geschützt lint, wollte man unter solchen Verhältnissen auf den Plan Oesterreichs eingehen, diese Maassregel, die 21tägige C'outumaz, an der östlichen Grenze auf-zuhehen und auf die ungenügende Contumazzeit von 10 Tagen herabzusetzen, und zwar unter den heutigen leithatten Verkehrs­verhältnissen , hei denen unsere alte bewährte Schutzmaassregel viel dringender gewurden, als sie je gewesen ist, wo die Gefahr der Pestinvasion nicht blos die Grenzpro\inzeii, sondern ganz ent­fernte Länder direct bedroht, so würde ich dies von ineinera technischen iätandpunkte aus rücksichtlich Preussens für unheil­voll mid liinsichtlicii Deutschlands und des ganzen Westlichen Europa für sehr beklagenswerth halten müssen. Kann Oester-reich nicht anders, so mag es allein vorgehen und die Eolgen tragen; und wenn uns hierdurch Gefahr von Oesterreich erwächst, so natürlich müssen wir entsprechende Maassregeln an der öster­reichischen Grenze ergreifen, wie wir sie gegenwärtig gegen Hol­land ergriffen haben.
Mehrfach hat man selbst in Preussen auf schnelle Tilgung der auftauchenden Pest ein grosses Gewicht gelegt und deshalb für eine Reduction der 21tägigen Contumaz auf zehn Tage ge­sprochen und gestimmt. So bedeutungsvoll und iinerlässlich eine schnelle Tilgung unter allen Umständen ist, so sehr man darauf gerade heute Bedacht nehmen muss, weil die Invasionen bei aller Sorgfalt nicht absolut zu vermeiden sind, so ist es dennoch eine unglückliche Ueberschätzimg, wenn man sich auf seine sichern Tilgungsmittel stützen und die Schutzmaassregeln mehr hinten­ansetzen will. Worin besteht denn das eigentliche sichere Til-gungsmittel? es besteht im Todtschlagen der Kranken und Ver­dächtigen, im Todtschlagen ganzer Heerden. „Wenn die Pest kommt, so scldage ich das Vieh todt, dann ist auch die Pest ge­tilgt/' Sie! Hat man ein Recht, auf ein solches Heilmittel hin die schützenden Maassregeln für untergeordnet zu halten? Ich sollte meinen, man hätte grosse Ursache, der Furchtbarkeit des Heilmittels wegen das Eindringen der Pest mit allen Kräften zu verhindern. Dem verstorbenen Regierungsrath Brefeld war es gelungen. die Rinderpest im Regierungsbezirk Breslau 1856 mit verhältnissmässig geringen Opfern durch Tödten zu tilgen; des­halb stimmte er für Reduction der Quarantaine, um besseres Fleisch auf den Breslauer Markt zu bringen (!), Einige Thierärzte befinden sich auf demselben Irrwege.
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Wi'im die Invasion im erster Stulle entdeckt wird, so ist es eben nur der eine Viehstimd. sei er klein oder gross, der zur schnellen Tilgung geopfert zu werden braucht^ wäre die Entdeckung iurnier in dem ersten odörauch aur in dec ersten Ställeu möglich und gesichert, dann könnte ich mich auch mit diesem Grundsatze vertraut machen, aber wir sehen, dass dies anfänglich selten, meist nur ausnahms­weise der Fall ist. dass selbst in den Landestheilen, wo man wegen specieller Gefahr auf der Wache steht und in jedem Er-krankungsfaU die Test sieht, so lange, bis das Gegentheil bewiesen ist, dass die Pest auch unter diesen umständenquot; vor der Ent­deckung oft grössere Dimensionen erreicht, dass seihst bei sehr früher Entdeckung doch schon Verbreitung auf unbekannten quot;Wegen stattgefunden haben kann, kurz die Tilgung erfordert selbst unter den günstigsten Verhältnissen doch recht oft schon sehr grosse Opfer. Viele Beispiele giebt es hiervon in Oesterreich, ei­nige sogar in Preussen, wie man aus der kurzen Darstellung der neuem Invasionen ersieht; in Oesterreich besteht auch ein sehr exactes Tilgungsverfahren, und durch d.-is häutige Vorkommen der l'est ist man hier mit demselben sehr vertraut geworden, und dennoch sind die Verluste oft sehr bedeutend. Die jüngste Zeit hat uns sogar ein Beispiel in Belgien gegeben. Nirgends hat man strengere Mache gehalten als hier, und so gelang es auch, eine grosse Anzahl von Pesteruptionen mit verhältnissmässig gelängen Opfem im Keime zu ersticken; dennoch verlangte eine der letzten Eruptionen in Hasselt trotz der schnellen Elrkennung 1395 Häup­ter Rindvieh, im Werthe von 812,077 Fr. zum Opfer. Nun werfe man doch aber einmal einen Blick auf die entfernten Länder, wo es nicht möglich ist. in jedem kranken Funde die Pest zu ver-muthen, wo man in seiner Arglosigkeit die ersten Ausbrüche nie gleich erkennen wird. Länder, die bei dem heutigen schnellen Trausporte auf der Eisenbahn der östlichen Grenze sein- nahe ge­rückt und der Gefahr der Invasionen ausgesetzt sind: man be­denke doch femer, dass es selbst in den Grenzländern viel schwieriger für die Dauer zu erreichen ist. dass jeder verdäch­tige ErkrankiingsfaU zur Anzeigt' gebracht werde, als eine Leber-wachung der Vieheinfiihr, zumal an einer Zollgrenze. In Rück­sicht auf diese Verhältnisse ist es wirklich unbegreiflich, wie man auf die sichere Tilgung hin, die Schutzmaassregeln lockern und auch den Zudrang von Steppenvieh Fördern kann, welches immer als Pestträser verdächtig und insofern für ganz Europa ohne Ausnahme
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gemeingefährlicli ist. Hierzu kommt eiHllicli aoch dw ümstandj dass die Rinderpest seit zwei Decemiien in Russland sehr ver­breitet ist iiinl mehr oder weniger in der _ Grenznahe herrscht; dass man aher noch gar nicht absehen kann, ob und wann sie wieder tief nach Kussland zurücligedrangt werden wird. Erschweren wir die Einfuhr des Steppenviehs nicht, hemmen wir nicht den Zudraug, lassen wir nicht alles Steppenvieh durch eine strenge 21tiLg!ge Contumaz passiren, so wird bezüglich der Rinderpest das vorige denkwürdige Jahrhundert wiederkehren, nur mit dem ein­zigen Unterschiede, dass man jetzt mehr todtschlagen wird, während man früher mehr sterben Hess, dass dieser Unterschied aber wegen der Häufigkeit der Wiederkehr ua^ nicht viel bessere Resultate liefern wird-
Ehe ich den so wichtigen Gegenstand, die permanenten Schutz­maassregeln, verlasse, will ich die entscheidenden Thatsachen kurz zusammengefasst hervorheben:
1)nbsp; nbsp;Die Rinderpest ist bei uns eine reine Contagion und des­halb auch an der Grenze abzuhalten.
2)nbsp; nbsp;üeberall, wo rassisches Steppenvieh zugelassen wird, kommt auch die Rinderpest früher oder später zum Ausbruch.
3)nbsp; Trotz der exaeten Tilgungsart geht doch durch den Im­port des russischen Steppeuvielies im Lande durchschnittlich an der eingeschleppten Rinderpest mehr Vieh zu Grande und wird mehr Fleisch eingegraben, als Steppenvieh eingerührt wird; ein reeller Gewinn an Fleischwaaren lässt sich höchstens für einzelne Districte berechnen.
4)nbsp; nbsp;Die Rinderpestgefahr wuchst mit der Zunahme der Ein­fuhr des Steppenviehs, und bei starker Einfuhr giebt es gar kein Schutzmittel mehr, weil dadurch die erforderliche Controle erschwert, wenn nicht ganz lalim üelegt wird.
5)nbsp; nbsp;Die 21tägige Contumaz schützt sicher, einmal, weil sie bei guter Handhabung Sicherheit darüber giebt. dass kein Peststoff in der Steppenheerde steckt, und zweitens weil sie den Zudrang mindert und so eine genügende Controle über eingeführtes Step­penvieh überhaupt möglich macht. Wo sie die Zufuhr ganz ab-schneidet, da kann Niemand ihre Wirkung bezweifeln und dies­seits der Grenze auch nicht beklagen.
6)nbsp; nbsp;Eine erheblich allgekürzte Contumaz, so namentlich eine Contumaz von zehn Tagen, giebt aus entwickelten Gründen keine genügende Sicherheit und wird auch niemals den Schmuggelhan-
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del beschranken, mindestens uiclit in solcher Weise, dass die Ge-fahx der itiiulerpestiüvasiou abnimmt.
7)nbsp; Andere permanente Schutzmittel giebt es nicht; das Begleitsystem hat sieb aus nahe liegenden Gründen gar nicht bewahrt.
8)nbsp; Unsere permanente Wache und 21tägige Contumaz an der russischen Grenze müssen wir aufrecht halten, bis Russland Herr geworden sein wird über die Rinderpest, dieselbe in die Steppen zurückgedrängt hat und im Stande ist. sie hier gleichfalls zu lügen oder zurückzuhalten, wenn mit einem Worte unsere per­manente Schutzmaassregel an die Steppengrenze oder selbst an die europäisch-russische Grenze hinverlegt sein wird. Wir haben gesehen, dass dies möglich ist. wenn nur Russland erst die Rinder­pest als Contagion ansieht und behandelt. Ob es bis dabin mög­lich werden wird, die Rinderpest durch Schutzimpfung niederzu­halten und nur durebgeseuebtes Hornvieh auswandern zu lassen, wage ich nicht zu entscheiden. Grossartig und verdienstlieb ist und bleibt das unermüdliche Streben des Professors Jessen in dieser Absicht.
leb hoffe, dass die Million Rinder, die seit zwei Jahren im westlichen Europa der Rinderpest als Opfer gefallen ist, dazu beitragen wird, den Grenzschutz zu schärfen und zur Vorsieht zu mahnen, nicht leichtfertig eine alte bewährte Grenzmaassregel zu verlassen, zumal in einer Zeit, wo sie unentbehrlicher ist, als sie je gewesen, lu England bat man denn auch nach der bittern Erfahrung, trotz des IVlajoritätsbesohlusses auf dem internationalen thierärztlichen Congress in Wien, eine Contumaz sogar auf 28 Tage festgesetzt.
Temporäre Solmtzmaassregeln gegen die Rinderpest im Auslande.
Ist die Rinderpest im Auslande irgendwo ausgebrochen, so kuniiiit es auf die direeten Verkehrsverhältnisse, die Handels­beziehungen zu den verpesteten Landestheilen und auf die Nähe derselben an, ob und welche Maassregeln erforderlich sind. Immer muss man unterscheiden:
1) die verpesteten oder verseuchten Orte und Gegen­den; unter letzteren ist immer die, durch täglichen Verkehr jeden Augenblick bedrohte Nachbarschaft von Pestorten zu ver­stehen. Will man eine bestimmte Distance festsetzen, so dürfte eine halbe deutsche Meile entsprechen;
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2)nbsp; die verdächtige Gegead; ich möchte den Verdacht princi-piull auf fünf Meilen ausdehnen, d. h. die ausserhalb der sub Nr. 1 erwähnten Nachbarschaft gelegene Umgegend bis fünf Mei­len Entfernung von der Seuche als verdächtig ansehen und den „Seuchen-Grenzbezirkquot; nennen; selbstverständlich kann diese Entfernung nicht unbedingt für alle Fälle maassgebend sein, der Verdacht kann nämlich weiter gehen und auch umgekehrt auf ein geringeres Terrain beschränkt sein;
3)nbsp; die seuchenfreien Gegenden, d. h. alle Landestheile eines von der Rinderpest heimgesuchten Staates ausserhalb der sub Nr. 2 erwähnten verdächtigen Gegend. Die mehrfach getadelte preussisehe Verordnung vom 27. März 1836 ist im Principe voll­kommen gerechtfertigt.
Bei grossen Entfernungen bestellen die Verkehrsverhältnisse gewöhnlich nur für einzelne bestimmte Handelsgegenstände, und auf solche, soweit sie den Peststoff in sich bergen können, müsseu sich die Schutzmaassregeln auch beschränken; mit der Abnahme der Entfernung nimmt der Verkehr zu und damit auch die Ge­fahr, deshalb müssen auch die Schutzmaassregeln bei dem Näher­rücken der Rinderpest immer mein- geschärft werden bis zur endlichen gänzlichen Grenzsperre, eine Sperre, die in der Regel auch eintreten muss, wenn die Rinderpest im Bereiche des täglichen engsten Grenzverkehrs aufgetreten ist. Neben den Entfernungen kommen natürlich auch noch mancherlei Um­stände in Betracht; der Eisenbahnverkehr bringt /,. Vgt;. entfernte Länder näher, während wieder natürliche Grenzen, grosse Flüsse, Sümpfe. Gebirge etc. den Verkehr in der Nähe hemmen und ab­schneiden können; so kann die Rinderpest aus einer grossen Ferne zuweilen eher eindringen, als aus der Nähe. Alle tempo­rären Schutzmaassregeln müssen deshalb gesetzlicli in solchen elastischen Formen gegeben werden, dass die betreffenden Be­hörden nach Lage der Sache und auf Grund eines competenten Sachverständigen die Zügel anziehen und nachlassen können, dies ist um so mehr nötbig. als die heutigen innigen Verkehrsverhält­nisse mit dem Auslande so gross und innig sind, dass jede nur mögliche Erleichterung gewährt werden muss und keine entbehr­liche Hemmung eintreten darf.
Die technische Grundlage für selche elastischlaquo; Schutzmaass­regeln habe ich schon in der Betrachtung des Contagiums und der Ansteckung gegeben, ich will hier nur die einzelnen Gegen-
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stände kurz (lurchsiolicn, die bei den temporären Schutzmaass-regeln überhaupt in Bettacht kommen.
1) Alle Thiere, die selbst an der Rinderpest erkran­ken können, nach der gegenwärtigen Erfahrung also sämmt-11 ehe Wiederkäuer, vor allen aber die landwirthschaftlichen — Rinder, Schafe und Ziegen -— sind hier die gewichtigsten Gregenstähde. Bezüglich dieser Thiere giebt es für die Dauer der Rinderpest drei verscluedene Sehutzmaassregeln:
a.nbsp; Ausweis darüber, dass sie aus gesunden und un­verdächtigen Orten und (regenden kommen. Dieser Aus­weis ist an sich eine sehr nnyollkommene Sicherheitsmaassregel, gar leieht können Irrthümer unterlaufen und selbst- Fälschungen obwalten, deshalb kann ein solcher nur ausnahmsweise unter der Bedingung genügen:
1)nbsp; wenn das betreffende Vieh direct aus gesunden, d. h. pest­freien und unverdächtigen Orten durch eine unverdiiclitige Gegend bis zur Grenze gelangt ist:
2)nbsp; wenn vollgültiger Beweis hierüber geliefert wird durch amtliche Begleitung und sogenannte Ursprungs- resp. Gesundheits-scheine, aus denen die Unverdächtigkeit des Ortes, die Zeit des Abganges hervorgeht. Die Seheine ohne Begleitung eines Beamten sind selten zuverlässig genug.
b.nbsp; nbsp;Contumaz. Sind Contumaz-Anstalten an der Grenze, wie /,. B. an unsern östlichen Grenzen, so muss sänuntliches hierher gehöriges Vieh - - Rinder natürlich ohne Rücksicht auf Race — 21 Tage in der Contumaz verbleiben. An anderen Grenzen kommt diese Maassregel wegen .Mangel an Contumaz-Anstalten selten zur Ausführung, an der holländischen Grenze ist sie meines Wissens nirgends zur Anwendung gekommen. Principiell muss auch hierdie Contumazdauer von 21 Tagen beibehalten werden. In Rücksicht darauf, dass bei unsern Bindviehi-acen eine ausnahms­weise Verlängerimg der Incubationszeil und ein Ahoriivverlauf seltner ist. die Rinderpest nie so versteckt auftritt, als bei dem Steppenvieh, und in Rücksicht der geringeren Empfänglichkeit und der geringeren Gefahr bei allen übrigen Wiederkäuern könnte eine ausnahmsweise Reduction ani 14 Tage bei den Wiederkäuern wohl zulässig sein, die nicht aus den verseuchten Gegenden selbst koni men.
c.nbsp; Gänzliche Absperrung. Das einfachste und radicaiste Verfahren, welches uhbedinet bei allen Wiederkäuern aus
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Pestbezirken stattfinden muss und als temporäre Maassregel auch ansfiihrbar ist. Die Pest in Holland hat dio Durchfiihi'bar-keit bewiesen; das Land der Rindviehzucht, welches uns alljährlich so reichlich mit Vieh versehen hat, ist nun bezüglich des llind-viehes fast zwei Jahre verschlossen worden, und man kann nicht von einer Beeinträchtigung sprechen, die nur entfernt im Vergleich der Griisse der Gefahr in Betracht kommen könnte. Ich glaube deshalb, dass im Gesetz die gänzliche Absperrung für alle Wieder­käuer ans den von der Rinderpest heimgesuchten Ländern resp. Ländestheilen ohne Weiteres ausgesprochen werden kann. Ich würde solches Gesetz unbedingt empfehlen. Sollte Fleiselmoth ob­walten, so giebt es zwei Wege; einmal, das bei der Untersuchung augenblicklich gesund befundene Vieh aus einer noch seuchenfreien Gegend wird unter Begleitung auf der Eisenbahn direct zur Schlacht­bank gebracht, oder noch sicherer, das gesund befundene Vieh wird an der Grenze geschlachtet und das Fleisch eingeführt.
2) Anderweitige Hausthiere, als: l'ferde, Esel, Schweine, Hunde, Katzen und das Meiergeflügel, kommen im Ganzen wenig in Betracht: sie können nur als Träger des Peststoffs betrachtet werden, wenn sie aus den verpesteten Orten und Gegenden kommen, weil das Contagium sich nicht auf längere Zeit in den kurzen Deckhaaren und selbst in den Federn hält; am allerwenigsten sind die Schweine geeignet, den Peststoff zu verschleppen, diese werden immer viel mehr gemaassregelt, als sie es verdienen. So hinge die Pest noch mindestens fünf Meilen von der Grenze ist und sofern diese Thiere nicht etwa direct aus den Pestorten auf der Eisenbahn ankommen, kann man sie ohne Gefahr passiren lassen. Diese Thiere kommen immer erst bei einer gänzlichen Grenz­sperre mit in Betracht. Wenn man noch weiter gegangen ist und selbst Gefieder, das nicht einmal zum Hofgeflügel gehört, mit abgesperrt hat, so zeugt das jedenfalls von einer Uebertreibnng der Besorgniss und der Schutzmaassregeln.
B) Die sogenannten Rohstoffe von Wiederkäuern, vor allen von Rindern, als: Häute, Haar, Wolle (die noch nicht der Fabrikwäsche unterlegen hat). Hörner, Klauen, Knochen, Eingeweide, ungeschmolzenes Fett und Fleisch, gehören mit zu den gefährlichsten Zwischenträgern. ganz besonders im Winter, viel weniger im Sommer. Die zusammengelegten oder auf einander geschichteten Häute können den Peststoff in dem Haaren viel länger conserviren, als lebendige Thiere. Die grösste
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Sorgfalt ist ant' das frische Fleisch zu verwenden, welches durch Abschlachten der Pestkranken in grossen Quantitäten gewonnen billig veräussert und deshalb besonderer Handelsartikel wird. Die Ein- und Durchfuhr ans verpesteten Gegenden ist für alle diese Gegen­stande zn untersagen. Ans nicht verpesteten Gegenden können trockene Häute. Homer, Klanen. Knochen, geschmolzenes Fett, eingesalzenes Fleisch, verpackte Wolle und Haare ohne Gefahr ein- und durchgelassen werden. Der Ursprung ist aber in der liege! nicht genügend nachzuweisen, deshalb muss die gänzliche Untersagung die Hegel, die bedingungsweise Zulassung Ausnahme bleiben, üeberseeische Gegenstände dieser Art sind in Original­verpackungen ungefährlich.
4)nbsp; Raubfutter. Stroh, Heu und ähnliche giftfangende Suchen sind aus verpesteten und verdächtigen Gegenden als Träger des Peststoffs anzusehen und zurückzuweisen: seihst ids Emballage dürfen diese Gegenstände nicht eingelassen werden.
5)nbsp; nbsp;Die K Ie id un gsstüc k e. Alte Kleidungsstücke und Lumpen sind als Handelsgegenstände wie die giftfangenden Sachen, wie Wolle und Rauhfutter zu behandeln. Grosse Schwierigkeiten verursachen aber dergleichen Reise-Effecten und die Bekleidung der Menschen.
Leute, welche mit pestkrankem Vieh in Berührung kommen, verschleppen die Pest mit am häufigsten, Handelsleute, Viehtreiber, Hirten und Schlächter, seihst die Thierärzte sind die verdächtigsten Personen. Durch die dicke Bekleidung im Winter, namentlich durch Wollstoffe und Pelzwerk erfolgt die Verschleppung mehr und viel weiter, als im Sommer hei leichter und mehr leinener Bekleidung; durch verpackte Kleidungsstücke kann die Pest viel weiter verschleppt werden, als durch getragene. Besonderes Augen­merk verdient das etwa in Kuhställen beschmutzte Schuhwerk. In dem engern Grenzverkehre wird die Rinderpest durch Menschen in der Bekleidung am meisten verschleppt, und dieser Ver­schleppung wegen sind je nach Umständen nachstehende Maass­regeln geboten :
a. Verbot der Ausfuhr von Wiederkäuern in das betreffende Ausland und Aufhebung der Viehmärkte innerhalb 5—10 Meilen an der Grenze. — Maassgebend für nähere Bestimmung der Meilenzahl bleibt immer die Bedingung, dass innerhalb von mindestens 10 Meilen von den Pestorten kein Markt gehalten werden darf.
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Diese Maassrege] bezweckt die Abhaltung der Handelsleute und Schlächter des Terdächtigen Auslandes. Das Ausfuhrverbot genügt wohl für grössere Entfernungen, aber nicht in der Grenz­nähe, wo das gekaufte Vieh leicht über die Grenze geschmuggelt
werden kann. Deshalb die Aufhebung der Viehmärkte.
b.nbsp; Gänzliche Absperrung der Grenze durch Militär-Cordons; eine dringende Maassregel, wenn sich die Pest innerhalb fünf Meilen von der Grenze befindet, oft äueb schon bei grösserer Ent­fernung von der Grenze. Der Personenverkehr wird beschränkt auf diejenigen, welche sich als Unverdächtige legitimiren. d. h. die nach­weisen können, class sie aus keinem Pestorte und diesseits der Grenze nicht mit Vieh in Berührung kommen. Principiell müssen alle zugelassenen Personen mit ihren Kleidungsstücken in einer Räucherkammer desinficirt werden.
c.nbsp; Maassnahmen bei den Personenzügen. Grosse Schwierig­keiten bietet der Eisenbahnverkehr: eine gänzliche Absperrung des­selben dürfte wohl selten ausführbar sein, obwohl diese Frage hei uns an der holländischen Grenze in ernstliche Erwägung gezogen werden musste, als die Fest unserer Grenze immer näher kam mid wöchentlich einige Tausend Rinder in Holland erkrankten. Aussei­diesem Radicalmittel giebt es noch drei Mittel, die wohl einigen Schutz gewähren können; 1) dass man die Züge anhält und sämmt-liehe Personell in Räucherbuden desinficirt, wie es in der Rheinpro­vinz an der holländischen Grenze beschlossen worden ist (ob zur Durchführung gekommen?); 2) dass man nur diejenigen Personen passiren lässt, die sich über ihre ünverdächtigkeit ausweisen können, eine .Maassregel, die ebenso schwierig in der Ausführung als unge­nügendfür den Zweck ist; und 3) dass man alle Personen, die auf den ersten Stationen aussteigen, die also den engern Grenzverkehr freijueutiren und von denen es zum Theil wahrscheinlich ist, dass sie mit Vieh direct oder doch indirept in Berührung kommen, sorgfältigst desinficirt, und zu diesem Zwecke Räundichkeiten zum Räuchern eingerichtet werden. Diese letzte Maassregel halte ich für die praktischste, die auch an der Grenze zwischen der Provinz .Hannover und Holland zur Ausführung gekommen ist und sich bewährt hat.
6) Die Grenzbewachung. Nach dem Umfange der Verbote natürlich verschieden; allgemeine Grundbedingungen:
a, Instruction über die durchzuführenden Grenzmaassregeln; zunächst natürlich, für die leitenden Spitzen.
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Iraquo;. So lange die Pest noch weiter., mindestens fünf Meilen, von der Grenze entfernt ist und eine Beschränkung und Ueber-
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tchung des Grenzverkehrs nicht erforderlich ist, genügt gewöhn-
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lich eine Grenzwache an den üehergaugspunkten, an den Eisen-Bahnstationen, den Chausseen oder sonstigen Hauptstrassen.
c.nbsp; nbsp;Sobald aber der ganze Grenzverkehr beschränkt oder ab­geschnitten werden muss, dann ist die Grenze überall, wo üebergänge möglicli sind, durch Posten und l'ati-ouillen zu überwachen — Militär-Cordon.
d.nbsp; nbsp;Eine strenge Controle in den Grenzdistricten durch Land-gensd'armerie ist unerlässlich.
e.nbsp; Unter allen Umständen sind die diesseitigen Grenzbewohner mit den Grenzmaassregeln bekannt zu machen, über die Gefahr und darüber zu belehren, dass sie nur durch ihre Mithülfe, durch strenge Befolgung und üeberwachung der Grenzmaassregeln ihrer Seits geschützt werden können. Vor allem ist namentlich darauf aufmerksam zu machen, dass sie kein fremdes Vieh aufnehmen und keine fremde Menschen, namentlich keine Fleischer. Vieh-und Fellhändler. Viehtreiber, Bettler und Landstreicher etc. in ihre Viehställe oder sonstwie zu ihrem Vieh lassen.
Capitel II.
Tilgungsmaass regeln.
Beim Ausbruch der Rinderpest im Inlande ist es Aufgabe, den
Anstecknngsstotl in den angesteckten Kindern oder andern Wieder­käuern und an leblosen (legenständen zu verfolgen und zu ver­nichten. Hierbei kommt alles darauf an, die Fest so rasch als möglich zu entdecken, die Weiterverbreitung sofort zu inhibiren und das gewisse rmaassen gefangen genommene Contagium schleunigst zu zerstören oder sonst wie un­schädlich zu- machen.
I. Die Rinderpest möglichst schnell zu entdecken.
Bei der Flüchtigkeit, der leichten directen und indirecten üebertragb'arbeit und sichern Haftung des Ansteckungsstoffes, bei
der raschen Fnhvickehmg der Pest und der enormen Regeneration
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des Ansteckungssfcoffes in kurzen Zeitabschnitteii von 5—7 Tagen ist die Verbreitung der Uinderpest eine ungewuhnlicli schnelle, und mit der Verbreitung steigen die Schwierigkeiten der Tilgung und die damit verbundenen Opfer. Wird die Pest in dem ersten Stalle entdeckt, so wird das Vieh getödtet und das Gehöft abgeschlossen bis nach der Desinfection; es kann nichts Einfacheres geben, als die Tilgung der Pest in einem solchen einfachen Falle. Die extremen Gegensätze, wie sie uns England und Holland jetzt ge­zeigt haben, beweisen dagegen, wie gross die Schwierigkeiten und Opfer bei zu später Erkennung und anfänglicher Vernachlässigung werden können.
Die Maassnahmen, welche zu der so dringend nothweudigen schnellen Entdeckung einer Pest-Invasion verhelfen, sind im All­gemeinen folgende:
1)nbsp; Belehrung des grossen Publikums über die Er­scheinungen durch einfache, fassliehe, kurze, d. h. wirklich populäre Beschreibung der Pinderpest.*) Man vertheile solche Belebrungen in Abdrücken und gebe sie wiederholt in den auf dem Lande gelesenen Blättern, den Amts-, Kreis- und Wochen­blättern. Vielleicht wären auch die Ortsvorsteher zu verpflichten, dergleichen Belehrungen den Besitzern vorzulesen. Neben solcher Belehrung sind wiederholte Berichte über das Verhalten der Rinder­pest im benachbarten Auslande sowohl, wie im Inlande zu geben. Kurz die Binderpest muss den Landbewohnern immer und immer wieder zu Gemüthe geführt werden, so dass selbst der Indolenteste daran denkt, wenn ein Bind in seinem Stalle krank wird. Wenn solche Belehrungen für gewöhnlich auch wenig beachtet zu werden pflegen, so werden sie es doch zur Zeit der grössern Gefahr, wenn die Pest in gewisser Aussicht steht.
2)nbsp; Verpflichtung des Besitzers, resp. dessen Stellver­treters und eines Jeden, der Kenntniss erlangt, bei jedem verdächtigenFalle sofort der Ortsbehörde Anzeige zu machen oder einen Thierarzt zuzuziehen; ist die Pest
• ganz in der Nähe, innerhalb fünf Meilen, so ist es zwockmässig, diese Verpflichtung auf jeden Erkrankungsfall, soweit derselbe nicht offenbar von äussern Beschädigungen herrührt, auszudehnen.
*) Auf Veranlassung des ehemaligen Königl. Ilannov. Ministerü dos Innern habe ich eine „populäre Belehrung über die Rinderpest 1866quot; ub-gelasst,
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Die Ortsbehörde bekommt hierdurch selbstrerstandlich die weitere Verpflichtung, d:is Gehöfte oder — wenn in mehr als einem G.ehöfte Verdacht entstanden — den ganzen Ort einstweilen abzusperren,
namentlich alle Wiederkäuer zurückzuhalten und nur den noth-wendigsten Verkehr der Personen zu gestatten, welche mit den verdächtigen Thieren nicht in Berührung kommen. Der Thierarzt hat dieselbe Verpflichtung, sofern er sich nicht sicher von dem Nichtvorhandensein der Pest überzeugt hat.
3)nbsp; nbsp; Das Pfuschen ist zu untersagen, wenigstens bei den Wiederkäuern ist es durchaus unzulässig. In recht vielen Fällen ist gerade das thierärztliche Pfuschen die Ursache der zu späten Entdeckung der Binderpest und davon gewesen, dass statt einer Heerde Hunderte von grössern und kleinern Heerden zum Opfer gefallen sind. Die jüngste Pest in dem Thüringischen hat wieder einen Beweis von der Gemeingefahr der thierärztlichen Pfuscher geliefert. *Slit einem geordneten Veterinär-Polizeiwesen ist die thierärztliche Plüscherei durchaus unverträglich, deshalb sollte man dasselbe schon der Einderpest wegen gänzlich verpönen, und dies um so mehr, als bei den heutigen Verkehrs­verhältnissen die Absperrung aller ansteckenden Krankheiten immer weniger durchführbar und zuverlässig wird, und die schnelle Tilgung bei allen ansteckenden Thierkrankheiten erstrebt werden muss.
4)nbsp; Thierärztliche Hülfe muss dem Besitzer zu Gebote stehen. In Gegenden, wo sich ein Thierarzt nähren kann, pflegen zwar — in Deutschland — auch Thierärzte in hinlänglicher Anzahl zu sein, wo es aber daran fehlt, wie in armen und namentlich in den Gegenden, wo das Pfuschen an der Tagesordnung ist, da muss von der Behörde für die Zeit der Rinderpestgefahr für Thierärzte gesorgt werden.
5)nbsp; In den vorzugsweise bedrohten Bezirken, den Seuchen-Grenzbezirken, empfiehlt sich die Aufnahme des Viehbestandes und Coutrole desselben nach dem Verzeiclmiss. Die von der Breslauer Regierung getroffene Anordnung vom 18. Juni 1856 ist • hierbei zugleich zu empfehlen. Der Verwaltungsbezirk wird beim Herrschen der Pest in kleine übersichtliche Revisionsbezirke ge-theilt, und ein Revisor für denselben designirt, der mindestens einmal in der Woche alles Vieh revidirt.
6)nbsp; Neben angemessener Strafe und Vorlust aller Anspräche auf Entschädigung sollte volle Entschädigung auch für die
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Erkrankten mindestens für den Fall der frühzeitigen Anzeige der ersten Erkrankung in einem Orte in Aussicht gestellt werden.
7) Bei der thierärztlichen Untersuclmiig muss erforderlichen Falls, behufs einer Obduction. die Tödtung eines verdächti­gen Kranken zulässig sein.
In zweifelhaften Fällen nach der thierärztlichen Untersuchung müssen die weitem Maassregeln. wie bei der Pest provisorisch eintreten und die thierärztlichen Beobachtungen täglich fortge­setzt werden.
Alle diese Vorkehrungen lassen sich zeitweise durchführen und um so sicherer, je mehr die Rinderpest in Sicht, ist. je schwerer die Verluste sind, von denen man täglich hört; in den Verwaltungsdistrikton an der russischen Grenze wie überall da,' wo eine gewisse Gefahr der Pest-Invasion fortdauernd gegeben ist, lassen sich auch solche Maassnahmen noch für die Dauer durch-führen: unter andern Umständen aber ist es nicht möfflich, die Aufmerksamkeit der Besitzer bezüglich der Rinderpest fortwährend wach zu halten. .Deshalb ist die Rinderpest gerade am gefähr­lichsten, wenn sie nicht besonders befürchtet wird, man darf des­halb auch nicht zu sehr auf Sicherheit durch schnelle Tilgung für den Fall des Ausbruchs rechnen; eine gewisse Sicherheit durch schnelle Tilgung geht nicht über dieDistricte an der rus­sischen Grenze hinaus; und aus diesem Grunde sind eben sichere Schutzmaassregeln an der russischen Grenze fortdauernd er­forderlich.
II. A b s p e r r u n g.
Die Absperrung tritt schon bei Verdacht, im vollen Maasse aber sofort nach der Constatirung der Einderpest ein, sie erstreckt sich vor allen auf die erkrankten und verdächtigen Rinder und andere Wiederkäuer, und demnächst auf alle Gegenstände, die den l'eststotf aufgenommen haben und als Träger desselben dienen können. Alles, was Gegenstand der Sperrmaassregeln an der Grenze eines verpesteten Auslandes ist, das ist auch hier Gegen­stand der Sperrmaassregeln. Verschieden ist aber diese Absperrung in räumlicher Beziehung, und je nach dem Umfange sind zu unter­scheiden:
1) Gehöftssperre. Ist die Pest im ersten Stalle resp. Gehöfte entdeckt und noch nicht weiter gegangen in dem betreffenden Orte, so genügt diese Sperre, und dann ist nichts leichter, als die Kinderpest zu tilgen, weil eben diese Absperrung am strengsten
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durchgeführt werden kann. Alles auf ilem Pestgehofte wie im ganzen Orte frei umherlaufende Vieh wird eingesperrt resp. ange­legt, das ganze Gehöft absolut abgesperrt; die Wache kann Be­dürfnisse im Verkehr zwischen den mit dem Vieh nicht direct in Berührung kommenden Personen vermitteln. Oh und wie weit Nachsicht geübt, ob ausnahmsweise von der absoluten Absperrung abgesehen, ob z. B. die Pferdeknechte mit ihren Pferden zur Feldarbeit gelassen werden können etc., das hängt von Umständen ab und muss in concreten Fällen von Sachverständigen festgestellt werden. Bei den Personen und Tiiiereu, die auf dem verpesteten Gehöfte nicht in die Nähe der restkranken kommen und ausser-halb des Gehöftes auch nicht mit Wiederkäuern in mittelbare oder unmittelbare Berührung' treten, kann erforderlichen Falls sehr wohl eine Ausnahme stattfinden.
2)nbsp; Ortssperre. VAue relative Ortssperre bezüglich der Aus­fuhr dei'Wiederkäuer und der giftfangenden Sachen über die Feldmark des Orts hinaus, sowie die Durchfuhr dergleichen Thiere und Gegenstände besteht auch noch neben der Gehöfts­sperre. Eine absolute Ortssperre hat aber gewöhnlich erst ein­zutreten, wenn die Rinderpest auf mehr als einem Gehöfte aus­gebrochen, wenn die Entdeckung auf dem Seuchengehöfte erst nach längerm Bestehen der Pest erfolgt und es wahrscheinlich ist, dass schon vor der Gehöftssperre eine Verschleppung in andere Ställe stattgefunden hat. oder wenn die Gehöftssperre nicht streng genug durchgeführt worden ist: in allen diesen Fällen tritt absolute Orts­sperre ein. So lange wie möglich sucht man die gänzliche Ab­sperrung des Ortes zu umgehen, besonders in Städten: grössere Städte sind gar nicht abzusperren, hier beschränkt man sich auf Gehöftsperre und allgemeine Stallsperre für alles Vieh, namentlich aber für Wiederkäuer; nur Pferde, soweit sie nicht von der Ge­höftssperre getroffen werden, können dem Gebrauche überlassen bleiben. Ob, wann und unter welchen Umständen bei der Orts­sperre ausnahmsweise Personen, Thiere xind Sachen durch die Sperre hinein und heraus passiren können, muss in concreten Fällen wieder durch Sachverständige festgestellt werden. Personen, die unvermeidlich hinein uyd heraus müssen, werden natürlich bei dein Austritt desiniieirt.
3)nbsp; Absperrung eines -grössern oder kleinern Landes­theils, eines Kreises, eines Regierungsbezirks etc. Relative Spemnaassregeln müssen auch in einem grossen Districte neben den
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Absperrungen Nr. 1 und 2 immer stattfinden, und in dieser Be­ziehung dürfte es im Allgemeinen genügen, wenn innerhalb fünf Meilen im Radius von Seuclienorten die Vieh markte aufgehoben und die Ausfuhr von Wiederkäuern und tbierischen Roh-producten verboten wird.
Die gänzliube Absperrung eines grossen oder kleinen Landestheils hat einzutreten, wenn die Pest in mehreren Orten ausgebrochen ist und andere Orte durch den Verkehr vor der Sperre bereits verdächtig geworden sind. Der räumliche Umfang dieser Sperre hängt namentlich von der Anzahl und Lage der bereits verpesteten und verdächtigen Orte ab; dabei kann es oft zweckmässig sein, mit der Absperrung selbst über einige noch gesunde Orte hinauszugehen, wenn sich dafür natürliche Grenzen zur Unterstützung einer strengen Durchführung der Absperrung darbieten sollten. Liegen in den abgesperrten Districten noch gesunde Orte, so besteht rücksichtlich dieser auch noch Ortssperre innerhalb der Districtssperi-e. Je grosser die Districte sind, desto weniger ist eine absolute Sperre durchführbar; es kann sich daher bei dieser Absperrung wohl ereignen, dass manche Personen und Gegenstände durchgelassen werden müssen und auch ohne Gefahr durchgelassen werden können; dies wird namentlich in allen den Fällen uöthig werden, wenn grössere Städte in dem abgesperrten Districte liegen, und namentlich Städte, in denen es kein Rindvieh und keine Schafe, höchstens ein paar Ziegen giebt; für solche Städte sind Ausnahmen ebenso ungefährlich, als nothwendig, Dass zur Ausführung dieser Sperre militärische • Hülfe erforderlich, ist selbstverständlich.
Die Ilolliiiulcr halten eine solche Sperre für die Provinz Südhollaud einge-fiihrt; diese Sperre kam aber nicht allein viel zu spi'it, sie war auch überhaupt, mindestens im ersten Jahre, mehr nominell; die Pest respectirte sie nicht, ging unbehindert darüber hinaus, und so musste die Sperrlinie immer weiter in die angrenzenden Provinzen hinein verlegt werden; sie diente in Wirklich­keit mehr zur Täuschung, als zum reellen Schutz, sie versprach den Nachbaren einen Schutz, den sie nicht gewährte. In Holland hat man kennen lernen können, wie es nicht gemacht werden darf; es war eine vortreffliche Schule.
4) Landessperre, das äusserste Mittel bei äusserster Ge­fahr im ganzen Lande, bei Verbreitung der Rinderpest über das ganze Land, so dass durch zahlreich ausgestreute Seuchcnheerde überall und von allen Seiten im Lande die Gefahr der Verschlep­pung gegeben ist. Von absoluten Absperrungen kann unter solchen Umständen selbstverständlich nicht die Rede sein; es wird nur
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der Verkehr mit den Wiederkäuern gänzlich aufgehoben und der mit Rohproducten derselben möglichst eingeschränkt; namentlich werden alle Viehmärkte aufgehoben, die Wiederkäuer von jedem Verkehre ausgeschlossen, sie verbleiben an Ort und Stelle, dürfen namentlich nicht über die Feldmark hinaus von einem Orte zum andern kommen und nicht auf der Eisenhahn transportirt werden. Das Schlachtvieh wird entweder nach der Schlachtbank direct be­fördert und darf unter keinerlei Bedingungen wieder zurück, oder es wird an Ort und Stelle geschlachtet und das Fleisch trans­portirt.
England hat uns jetzt ein Beispiel von dieser grossartigen Maassregel gegeben; naclulcm gegen alle bessern Erfahrungen über die Rinderpest in England alles unterlassen geblieben war, was das Fortschreiten hemmen konnte, und die Pest sich mit Hülfe der grossen Viehmftrkte besonders in Leudon bin­nen einem halben Jahre über ganz Grossbritannien verbreitet hatte, da erschien endlieb die Parlameutsacte vom 20. Februar 1866, in welcher das energischste Tügungsverfajjren, neben dem Tüdten der Kranken und Verdächtigen auch eine Sperrmaassregelbezüglich des Hornviehes für das ganze grosse Reich vorgeschrieben wurde, und wodurch es gelungen ist, die Seuche im Laufe eines Jahres, vom Februar ISCb bis dabin 1867, d. h. bis auf einzelne Seuchen­herde zu tilgen. Wenn wir an England anfänglich ein abschreckendes Bei­spiel von den Folgen der Yemachlässigung gehabt haben, so haben uns die Engländer schliesslich doch auch wieder gezeigt, dass bei energischem Willen, geboten durch die Noth, eine Landessperre für das Hornvieh und hierdurch neben dem Tödten und Desinficiren, die Tilgung der Binderpest als allgemein verbreitete Landesseuche möglich ist.
5) F)ie Sclbstabsperruug. Neben den Absperrungen in verschiedenen Dimensionen nach allgemeinen gesetzlichen Vor­schriften durch Einschreiten von Staatswegen muss zugleich ein Sichselbstabsperren als Privat-Schutzmaassregel stattfinden. Solcher Selbstschutz unterstützt die Sperrmaassregeln ausserordentiieh und ist eigentlich unerlässlich, aber immer um so dringlicher, je un­vollständiger und unsicherer die vorstehenden Sperrmassregelu zur Durchführung kommen, also je grosser die Verbreitung der Pest ist. und je umfangreicher die Absperrung; hat erfolgen müssen, je mehrfach sie deshalb auch trotz einer guten Controle verletzt werden kann, je unvollkommener ferner das Schutz- und Tilgungswesen überhaupt organisirt ist. Dieser Selbstschutz kann in grossen und kleinsten Dimensionen zur Ausführung kommen, ganze Provinzen, Gouvernements oder Kreise können an ihrer Grenze gegen das verpestete Inland ihrerseits noch Schutzmaassregeln, gleich de­nen an der Grenze dem verpesteten Auslande gegenüber.
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ergreifen; vor allen Dingen aber ist es hier erforderlich, die Absperrungsinaassregel'! seitens des Staates in den angrenzenden gesunden Districten auf das Strengste zu überwachen und etwaige, durch locale Verhältnisse etc. bedingte Lücken in der staatlichen Absperrung durch geeignete Schutzmaassregeln zu ergänzen und unschädlich zu machen. So kann sich aber auch jeder einzelne gesunde Ort in einem verpesteten Districte noch dadurch schützen, dass er nichts durch seine Tliore liereinlässt, was den PeststofF mitbringen könnte, also weder fremde Wiederkäuer, noch frische thierische Rohproducte, noch llauhfutter etc., noch Menschen, die ihrer Beschäftigung nach wohl mit restkranken in Berührung ge­kommen sein können; kleine Orte können sich sogar noch strenger absperren. Endlich können sich selbst die einzelnen seuchenfreien Gehöfte in verpesteten Orten durch Absperrung schützen in allen den Fällen, wo die verpesteten Ställe sich nicht in unmittelbarster Nähe hetinden. Verschluss der Viehställe und des ganzen Gehöfts, so dass Menschen und Vieh weder Aus- noch Eingang haben anders, als wenn der Besitzer die Pforte öffnet, ist ein sicheres Schutzmittel. Es sind Beispiele genug vorhanden, dass es auf diese quot;Weise gelungen ist, einzelne Gehöfte mitten in verseuchten Orten gegen die Rinderpest zu schützen.
Ein gänzliches Preisgeben, ein Unterwerfen darf selbst in den unglücklichsten Verhältnissen bei allgemeiner Verpestung in schwe­ren Kriegszeiten nicht stattfinden: jeder Einzelne und Vereine können Herr werden über die Pest, wenn auch die Staatsgewalt gelähmt sein sollte.
Die Dauer dieser Sperrraaassregeln. So lange der Pest­stoff nicht sicher vernichtet ist, müssen die Sperrmaassregeln fort­dauern. Es hat grosse Schwierigkeiten, eine allgemein gültige Norm festzustellen: je länger die Pest bereits geherrscht und je mehr sie um sich gegriffen hat, desto niannichfaltiger ist auch der Peststoff mit verschiedenen Gegenständen in Berührung ge­kommen, desto mehr ist er ausgestreut, desto mehr haftet das Contagium an den verschiedensten Gegenständen und kann in ge­wissen Substanzen mit Absorptionsfähigkeit um so tiefer einge­drungen sein. Werden die ersten Kranken und Verdächtigen schleunigst vertilgt, so können bei sofortiger gründlicher Desin-fection des Stalles die Sperrmaassregeln in 14 Tagen schon auf­gehoben werden, während unter andern Umständen die drei- und vierfache Zeit nöthig sein kann. Im Allgemeinen kann man für
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die Praxis als Norm festhalten, class wenn innerhalb vier Wochen kein ErkraaxkungsfaU mehr Torgekommen ist, die Rinderpest als erloschen betrachtet werden kann, und dass noch vier Wochen später die Spemnaassregeln aufgehoben werden können, wenn sofort vorschriftsmässige Desinfection stattgefunden hat. Die Beschrankung im Personenverkehr kann nach gründlicher Des­infection der Ställe, Gehöfte und Kleider sofort aufhören. Die Wiederbesetzung der Pestställe mit Wiederkäuern sucht mau mög­lichst aufzuschieben, sie ist im Allgemeinen nicht- vor zwei Mona­ten nach der Beseitigung der Pestkranken zu gestatten; an ei­nem recht verseucht gewesenen Orte ist ein Vierteljahr vor der Wiederbesetzung anzuempfehlen. Das neu beschaffte Vieh in den desiulicirten Ställen darf in den ersten sechs Wochen nicht ver­kauft und muss in dieser Zeit sehr sorgfältig überwacht werden ; jede innere Krankheit muss zur sofortigen Anzeige und provisorischen Absperrung verpflichten, ganz so. wie verfahren werden muss, wenn die Pest in der Nähe herrscht.
England hat uns auch wieder die neuesten Thatsachen iüs Belog dafür geliefert, dass die Pest nach der Tilgung hie und da leicht und seihst mehrere Wochen nach der Tilgung wieder auftaucht. Im Laufe Februar d. J. war die Pest als getilgt zu erachten; immer aber traten noch einzelne neue Eruptionen in dieser und Jener Grafschaft wochenlang nach der Tagung wieder hervor und im Mai wurde die Pest — den Zeitungsbe­richten nach — wieder so mächtig, dass mau uochmals zu dem bereits längst aufgehobenen allgemeinen Tilgungsverfahren greifen musstc. Nach anderen Angaben soll im Mai eine neue Einschleppung vom Auslande stattgefunden haben.
Allgemeine Grundregeln bei den Absperrungen sind: sie räum­lich mögTichst zu beschränken, aber sehr streng durch­zuführen, und die Wiederbevölkerung mit Hornvieh nach der Tilgung möglichst weit hinauszuschieben.
III. Das Tilgungsverfahren bei kranken und verdächtigen
Tliieren.
Her päpstliche Leibmodicus Lancisius hat 1718 die TOdtung des kranken und verdächtigen Hornviehs als Tilgungsmittel vorgeschlagen, und heute sind wir nach iöojahriger Erfahrung auf dem Punkte angekommen, wo wir gestehen müssen, dass es zur Zeit noch das einzige sichere, schnelle und deshalb auch das billigste Tilgungsmittel ist. tu Preussen und Oesterreich war man schon längst zu diesem Resultate gekommen, welches aber erst jetzt eine allgemeine Anerkennung gefunden hat; die letzten Erfahrungen rmissten erst noch hinzukommen, die sehr theuer gekommen, dafür aber um so beleb-
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render geworden.sind. AVährend man in Hannover*) und England schon vor 100 Jahren dieses Tilgungsmittel mit zuerst in Anwendung brachte, sträubte man sich bei der Pestinvasion 18ö5in England gar gewaltig; iuan verurtheilte dieses Tilgungsverfalireu als ein barbarisches, unseres heutigen humanen und wissen­schaftlichen Standpunktes unwürdiges Verfahren. Die Rinderpest aber rächte die Geringschätzung, mit welcher man die langjährigen Erfahrungen in Deutsch­land ignorirte; bald verstummten die Schreier, die gesunde Einsicht kam zur Geltung'; nach allgemeiner Verbreitung der Pest und nach schweren Opfern griff man endlich zur Keule, man musste sie aber ein volles Jahr gebrauchen und viele Tausend Kinder tödten, ehe der letzte Schlag die Pest selbst traf und tödtete. Die Holländer haben es nicht besser gemacht und die Nicht­beachtung noch viel länger fortgesetzt; seihst der glückliche Erfolg der Be­kehrimg in England konnte sie nicht rühriger machen; sie verharrten in den
DOnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Onbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;.
verpesteten Landestheilen in ihrer Passivität und setzten das Durchseuchungs-system fort, bis man sich endlich, von der unabsehbaren Fortdauer überzeugt, vor einigen Monaten zu dem alten bewährtenTilgungsverfahren entschlossen hat. Belgien benutzte die Erfahrung in Deutschland, und hat dadurch hei einer grossen Anzahl von Pesteruptionen mit verhältuissmässig geringen Opfern das Land geschützt.
Die kranken und verdächtigen Rinder und andere Wieder­käuer werden getödtet, resp. geschlachtet; als vercläclitig müs­sen alle Wiederkäuer gelten, welche mit den erkrankten in einem
..... Stalle stehen oder sonstwie mit ihnen in mittel- oder unmittelhare
Berührimg gekommen sind, welche überhaupt möglicher Weise ange­steckt sein können. Der Umfang der Möglichkeit ergieht sieh aus den Eigenschaften des Ansteckungsstoffes und den verschie­denen Wegen der Ansteckung, wie sie in Capitel 8 näher erörtert worden sind; es muss aber bei der Aburtheilung über „verdäch­tigquot; und „nichtverdächtigquot; immer der Grundsatz gelten, dass in zweifelhaften Fällen die Verdächtigkeit festgehalten wird und lie­ber zehn Thiere zu viel als eins zu wenig getödtet werden. Neben diesem Grundsatze muss ich doch aber auch hervorheben, dass man bei der Tilgung oft viel zu verschwenderisch verfährt; die Wissenschaft darf nicht einseitig sein, sie hat hier die Pflicht neben dem Unentbehrlichen zugleich das Entbehrliche zu beleuchten; wer dann aus Besorgniss weiter gehen will, wird ja dadurch nicht behindert. Deshalb hier in der Kürze das einzelne Verfahren:
*) Unterricht und Verordnung von demjenigen, was in den königl. Gfoss-In-itannischen imd cliurfürstlicli Brannschweig-Lfineburgschen Landen wegen der Ilornvieliseuche und zu deren Abwendung zu beobachten. 175ö.
Die älteste ausführliche und zum Thcil noch jetzt sachgemäsae Ver­ordnung.
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1)nbsp; Das Tödten und Vergraben. Alle Kranken müssen als Quelle des Peststöffs sofort getödtet und vergraben worden. Darüber ist mau einig, weil alles darauf ankommt, die Quelle des Peststoffs miiglielisl raseli aus der Welt zu schaffen und jede Gelegenheit zur Verschleppung zu verhüten; soll aber das Tödten und Vergraben noch über die Kranken hinausgehen? Notlnvendig ist das nicht; als zweckmassig kann man es gelten lassen bei den ersten Äxtsbrüchen, namentlich in vereinzelten kleinern Ställen, ferner auch stets bei den Gesunden, die in der Nähe der Kranken stellen; grosse Versehwendung aber würde es sein, wenn man das entfernt verdächtige in benachbarten Ställen etc. und vor allein. nach bedeutender Verbreitung der Pest, das gesunde Vieh zu Hunderten und Tausenden tödten und vergraben wollte. In dem letzten Falle muss statt des Tödtens und Verscharrens
2)nbsp; das Schlachten eintreten. Die verdächtigen aber noch gesunden Thiere werden nur abgethan, damit sieh keine neuen Testquellen in ihnen etabliren können, sie selbst sind aber noch nicht ansteckungsfähig, höchstens könnte sich ein Feststoff in ihrer Körperbehaarung aufhalten und deshalb ist an dem ganzen Thiere nichts, als die Haut verdächtig; werden sie an Ort und Stelle ab­gehäutet und die Häute zurückbehalten, so sind sie ganz unschäd­lich und können unbedingt zur Nahrung verwerthet werden, wenn man nur die gebührende Rücksicht auf die Transport­mittel nimmt. F)as Fleisch, überhaupt die abgehäuteten Thiere, gehören nicht zu den giftfangenden Sachen, die man mit der Pest absperren, resp. vertilgen muss. Der Genuss des Fleisches von solchem verdächtigen gesunden Vieh kann aus ge­sundheitlichen Rücksichten für den Menschen gar keinen Anstoss erregen, wenn man erwägt, dass selbst das Fleisch pestkranker Rinder die Gesundheit des Menschen nicht beschädigt.
Es ist eine alte Erfahrung, dass das Fleisch pestkranker Kinder ohne Dachtheilige Folge genossen werden kann, selbst wenn die Krankheit in aus­gebildeten] Grade vorhanden ist. Ganze Ärmeecorps sind in Eriegszeiten schon mit dem Fleische pestkranker Rinder ernamp;hrt worden; in dem Be­freiungskriege 1814 und 1815 haben die Truppen der alliirten Mächte Tau-sende von pestkranken Steppenochsen verzehrt, ohne die geringsten Folgen. Wenn es noch des lieweises bedurft hätte, so wiire Holland jezt im Staude, Tausende von Heispielen für die Unschädlichkeit pestkranker Kinder aufzu­zahlen. In Schiedam crepirten hei meiner Anwesenheit verhältnissmässig nur noch wenige Kranke, so dass man Xoth hatte, Obductionen zu machen, weil die Pestkranken schliesslich und gewöhnlich erst im hofiuungslosen Zustande
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geschlachtet und verzehrt worden. Kindtaufen und Ilodizeitcn wurden in den niedorn Volksschichten weit solenner gehalten, weil es grosse und billige Braten von pestkranken Rindern galgt;.
Innerhalb der abgesperrten Seuelienorte und Districte schlachte man das gesunde Vieh aus der Nähe der Pest immer weg, und je grosser die Verbreitung der Pest, desto unentbehrlicher ist das Auträumen des Rindviehbestandes im Seuchenbereiche durch Schlach­ten, Die grossen Städte sind ganz besonders geeignet, die Rinder­pest durch Fleischconsumtion tilgen zu helfen, ein Hülfsmittel, welches ich der ztir Untersuchung und Tilgung in England ein­gesetzten Commission schon im October 1865 dringend empfohlen habe.
3)nbsp; Die Isolirung. Das Isolirsystera. welches darin be­steht, dass man das gesunde, aber doch der Ansteckung verdäch­tige Vieh in isolirten SStällen unterbringt und beobachtet, also Quarantaine halten lässt, hat sich nicht bewährt; die Tilgung wird unsicher, jedenfalls aber verzögert und kostspieliger. Dennoch kann es Fälle geben, in denen es zweckmassig ist, dazu zu greifen; ist z. B. eine grosse. Ileerde kaum als verdächtig zu betrachten, muss man aber dennoch eine gewisse Besorgniss haben, so giebt es nichts Einfacheres und Natürlicheres, als dass eine solche Ileerde isolirt und vier Wochen lang beobachtet wird; die Niebterkrau-kung innerhalb vier Wochen beseitigt jeden Verdacht.
4)nbsp; nbsp;Das Abhäuten der getödteten Thiere. Das Vergraben der getödteten Thiere mit Haut und Haaren ist nicht unbedingt erforderlich zur Tilgung der Seuche, weil die Häute sehr leicht zu desinliciren sind;- es empfiehlt sich aber als zweckmässig, die getödteten Thiere, namentlich die kranken mit Haut und Haaren zu verscharren, so lange es sich um eine geringe Anzahl handelt; muss das Tödten aber in grossem Umfange ausgeführt werden, hat die Seuche grosse Dimensionen erreicht, dann ist nicht ab­zusehen, warum man dort die Häute vergraben' und nicht durch Desinfection erhalten will, wo so viele Gegenstände desinficirt werden müssen. Diellaut hat ungefähr '/g—Vu- durchschnittlich also etwa '/jq des Wertlies der Thiere, bei einer grössern Anzahl rechnen die Häute also schon wesentlich mit. So lange man den Peststoff in seinen Eigenschaften nicht näher kannte, war die Vernichtung der Häute wie aller Körpertlieile geboten, so lange wir aber wissen, dass die Haut in einigen Stunden unschädlich
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zu machen ist, gehört die Vermchtimg der Häute zu dem ver­schwenderischen Tilgnngsverfahren, das nur bei den ersten und beschränkten Eruptionen gerechtfertigt ist.
5) Das Vergraben der gefallenen und getödteten
Thiere nehst Abfällen. #9632; Hierdurch kommt der Feststoff noch nicht aus der Welt, im Gegentheil, derselbe wird in dqr Erde viel länger conservirt. als irgendwo anders. Hat man daher Gelegen-beit, die Cadaver in chemischen Düngerfabriken sofort zu ver­nichten oder bei billigem Brennmaterial zu verbrennen, so ist dies unbedingt vorzuziehen. Das Vergraben selbst muss so geschehen, dass mindestens vier Fuss hoch Erde auf die Cadaver zu liegen kommt; die Beschüttuug mit Kalk ist empfehlenswerth. Brennbare Substanzen — Dünger, Futterreste und Stroh aus den Pestställen etc. werden recht zweckmässig auf den Cadavem in der Grube verbrannt. Dass die Verscharrung nicht in der Nähe von Vieh­ställeu, Strassen und Weiden erfolgen darf, ist wohl kaum zu er­wähnen. Die Plätze müssen in den ersten vierzehn Tagen bis vier Wochen mit Wachen besetzt werden, um das Ausgraben der Ca­daver zur Verwerthung zu verhüten; nach dieser Zeit verbietet sich die weitere Benutzung von selbst; es genügt dann im Allge­meinen die Einzäunung oder Bepflasterung.
Bei diesem Tilgungsverfahren ist die Entschädigungsfrage noch kurz zu erörtern. Wo die Test unerwartet auftaucht, kann die Abschätzung natürlich erst immittelbar vor dem Tödten er­folgen, im üebrigen ist es zweckmässig. sie in der Nähe der herr­schenden Pest im Voraus vornehmen zu lassen, um zu jeder Zeit nach Maassgabe der Gefahr ohne Zeitverlust tödten, resp. schlach­ten lassen zu können. Die Kranken werden, ohne Rücksicht auf die Krankheit nach dem Werthe im gesunden Zustande abgeschätzt. Bei der Entschädigung fragt es sich: „wie hoch und woher die Entschädigung'.-'quot; Dies ist zwar nicht mehr streng technisch, aller doch von Einfluss auf schnelle Tilgung, und deshalb er­laube ich mir einige Worte nach meiner Auffassung der Sache. Rücksichtlich des gesunden Viehs hin ich ganz unbedingt für volle Entschädigung, soweit dasselbe durch Schlachten nicht hat verwerthet werden können oder dürfen; ich will hierbei den Rechtspunct gar nicht weiter verfolgen, sondern nur vom technischen Standpnncte aus hervorheben, dass durch sichere Aus­sicht auf vollen Ersatz eine baldige Tilgung erleichtert und ge­sichert wird. Für Pestkranke bin ich priueipiell auch für volle.
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eventuell aber für 3j,l AVertlientscliikligung und zwar aus folgenden Gründen:'
a.nbsp; nbsp;Es kommt vor, dass in dem einen oder andern Stalle die Hälfte und noch mehr durcliseuclien, und da es sich im Voraus nicht berechnen lässt, wie gut oder bösartig die Fest verlaufen wird, so muss man für den schuldlosen unglücklichen Besitzer auch die günstigeren Verhältnisse annehmen. Bei einer Entschädigung von Uj — lJ2 für Kranke kann dem Besitzer noch ein directer Schade durch das Tödten der Kranken zugefügt werden.
b.nbsp; Wird nun auch noch das Abhäuten untersagt, wie es ge­wöhnlich der Eall ist, so verliert der Besitzer auch noch einen Theil des Werthes seiner Thiere im allgemeinen Interesse, denn ihm kann ja durch das Abhäuten weiter keine Gefahr mehr erwachsen.
c.nbsp; nbsp;Die volle Werthentschädigung ersetzt dem Besitzer doch immer noch nicht den ganzen Schaden durch die Pest; die Des-infection und das längere Wirthschaften ohne Vieh im Stalle bringen immer noch empfindliche Verluste.
d.nbsp; nbsp;Sehr schwer wiegt aber noch der Umstand, dass die volle Entschädigung auch für die Kranken einen mächtigen Beiz auf den Besitzer ausübt zur sofortigen Anzeigt;; die Besorgniss, das kranke Vieh zu verlieren und die Aussicht, es durch Anzeige zu retten, ist und bleibt das wirksamste Mittel, die Pest überall, wo sie auftaucht, schleunigst zu ermitteln.
Die Werthentschädigimgen in verscMedeuen Staaten.
1)nbsp; Pieüssen (Viehscuclienpatont 1802. sect;. 120): Für gesundes Vieh voller Werth, für krankes '/s- Nach sect;. 38 des Viehseiichenpateuts ist die Befugniss zum Tödten eine sehr beschränkte, sie muss überschritten werden zur Tilgung; zur Deckung der Kosten durch solche Deberschreitungen haben sich, wenn ich recht unterrichtet hin, Proviuzialvereine oder Versicherungen gebüdet, die weitere Entschädigungen nach verschiedenem Modus leisten.
2)nbsp; Oesterreich: % des Werthes für Gesunde und Kranke.
3)nbsp; Baiern (1866), Würtemberg und Baden (18lt;i7): volle Entschädigung für alle Thiere, die auf amtliche Anordnung getödtet werden. Bei verschuldeter Einscbleppung und unterlassener Anzeige fallt die Entschädigung weg.
4)nbsp; Belgien (1S6Ö): 2/3 des Werthes für Gesunde und Kranke.
5)nbsp; Frankreich: 3/4 für Gesunde und Kranke.
6)nbsp; England (18(iG): '/'i flaquo;1' Gesunde und 3/4 für Kranke. (Wenn weitere Benutzung geschehen kann.)
7)nbsp; Holland (1866): voller Werth für Gesunde und 2/3 für Kranke.
Auf die Frage, woher die Entschädigung kommen müsse, kann ich nur die Auffassung vertheidigen, dass die Rinderpest ein gemeingefährlicher Feind für das ganze Land ist, der hie und da
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seinen ersten Angriff machen kann, von jedem Punkte ans aber das ganze Land bedmht, und an dessen schnellster Tügung mit
allen Opfern das ganze Land mehr oder weniger betheiligt ist, um die Pest von jedem andern Landestbeile abzuhalten und grosse Verheerungen zu verhüten, wodurch die Fleischkost für Jeder­mann theurer -werden würde. Die Rinderpest muss als ein feind­liches Kriegsheer aufgefasst werden; jeder muss zu den Lasten beitragen. Deshalb dürfte es wohl gerechtfertigt erseheinen, dass die Entschädigungs-, wie die allgemeinen Absperrungskosten aus den grossen Staatskassen genommen werden. Lies gilt mindestens für kleine und mittlere Staaten: in grösseren Staaten giebt es auch Gründe für die Beschränkung der Kosten auf die betreffende Provinz.
IV. Desinfection.
Die Desinfection ist der zweite directe Tilgungsact der Pest, der dem ersten, der Beseitigung der kranken und verdächtigen Thiere als wirkliebe oder präsumtive Pestquellen, sogleich folgen und sich auf alle Gegenstände ausdehnen muss, die inficirt sind oder sein können.
Die Desinfection erfordert besondere Sorgfalt, der Peststoff, der ihr entgeht, kann die Ursache von neuen Ausbrüchen werden; eine wirkliebe Tilgung der Pest ist nicht mit dem Todtsohlagen und Vergraben der kranken und verdächtigen Thiere, sondern erst mit der Vernichtung des Peststoffs in den Ställen, auf den Ge­höften, in den Stuben, den Kleiderschränken, kurz an allen mög­lieben stabilen und mobilen Trägem erreicht.
Die Desinfectionsmittel sind:
a.nbsp; natürliche, d. h. solcbe, durch welche der Peststoff im­mer früher oder später von selbst, ohne Jlinzuthun der Kunst, zerstört wird, und die wir schon bei der Betrachtung der Eigen­schaften des C'ontagiums, Capitel 8, in der Luft, dem Aus-trocknen und dem Zerfallen der organischen Substanzen kennen gelernt haben, und
b.nbsp; nbsp;künstlich in Anwendung kommende physikalische und chemische Agcntien von speeifischer zerstörender Einwirkung auf das Gontagium. Die bewährten, rücksichtheh des Preises und der Anwendbarkeit zugleich practischen Desinfectionsmittel für unsere Zwecke sind folgende:
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1)nbsp; Die Hitze von etwa 40deg; 11 ab.
Siedendes Wasser zerstört den Peststoff sicher und findet als Desint'ectiunsnuttel bei vielen Gegenständen umsomehi' seine zweckmassige Anwendung, als es immer zur Hand und zugleich ein Reinigungsmittel ist. Die trockene Hitze ist wirksamer durcli das gleichzeitige Austrocknen; eine bis 40deg; 11. erhitzte Luft zerstört das Pestcontagium ziemlich schnell. 'Dass durch Ver­brennen und Ausglühen alle Contagien sofort vernichtet werden, ist bekannt.
2)nbsp; Chlor.
a.nbsp; nbsp;Chlorgas. Die Entwickelung nach der alten Vorschrift von Guiton Morreau (Kochsalz 3 Th., Braunstem 2 Th. und Schwefelsäure 21/2 Th. mit gleichen Tbeilen Wasser verdünnt) ist bekannt; eine praktischere Methode ist die Entwickelung aus Chlorkalk und Salzsäure. Zur starken' Entwickelung in^ leeren Räumen nimmt man auf l Gewichtstheil Chlorkalk 2 Gewichts-theile Salzsäure und 2 bis 3 Gewichtstheile Wasser; für einen Stall von entsprechender Grosse für zehn Häupter Eindvieh z. li. ein Pfund Chlorkalk und zwei Pfund Salzsäure mit zwei bis drei Pfund Wasser; zur schwachen Entwickelung in Räumen, in denen Menschen und Thiere athmen, nimmt man für gleich grosso Räume l!s der Ingredienzen und verdünnt die Salzsäure mit der vielfachen Gewichtsmenge Wasser.
b.nbsp; nbsp; Chlorwasser. Zur Desinfection lebendiger Thiere na­mentlich geeignet; des Preises wegen weniger gebräuchlich; dafür aber ist
c.nbsp; nbsp;der Chlorkalk ein vorzügliches praktisches Mittel zur Desinfection des Holzwerks, der Stallwände, Eusshöden etc. Auf ein Pfund Chlorkalk 24 Pfund oder 1 Eimer Wasser giebt eine wirksame Mischung.
d.nbsp; nbsp;Das unter chlorigsaure Natron. Nach Einigen soll dieses Präparat Vorzüge vor dem Chlorkalk haben, was in Rück­sicht darauf anzuerkennen ist, dass es seine Wirksamkeit nicht so leicht verliert, als der Chlorkalk. Es wird in Wasser gelöst unter dem Namen Bleichwasser (Eau de Javelle) angewandt; durch Zusatz von etwas Kochsalz soll es an Wirksamkeit gewinnen.
Dr. Clemens hat sein Desinfectionsmittel, die Chlorknpfer-Dämpfe und den Ghlörkupfer-Splritus jüngst auch hei der Rinderpest empföhlen. C. Augs-burger Mg. Zeitung 1867 Nr. 152. Die desinficirende Wirkung dieses Mit­tels ist auf das Chlor zu reduciren, der Gehalt am Chlor ist aber so gering
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und das Mittel so theuer, (lass es für ilie Viehstiillo weiter nicht in Betracht kommen kann.
3)nbsp; Sclrweflige Säure.
lu Wasser gelöst zum Waschen etc., als Gas in Stallmumen, durch Verbrennen des Schwefels entwickelt, zweckmässig.
4)nbsp; Kali-, resp. Natronlaugen.
Die Lauge ist ein vorzügliches Reinigungsmittel, und hier-ilureli. zugleich aber auch durch die chemische Einwirkung auf den Ansteckungsstoff ein wichtiges, unentbehrliches Desinfections-mittel. Die Kalilauge bereitet man am zweckmässigsten und bil­ligsten , wenn man Vo Pfund Pottasche mit 'f.' Pfand KaJkhydrat gemengt in einem Eimer voll heissen Wasser einrührt, das Auf­rühren einige Mal wiederholt und absetzen lässt. Bei Natronlauge muss statt Pottaseiie Soda genommen werden, jedoch auf ^ Pfund •Kalkhydrat 1 Pfund Soda u. s. w.
5)nbsp; Die Theerproducte der trocknen Destillation. Carbol- oder Phenylsäure, phenylsaures Natron, phenylsaurer
Kalk, Kressylsäure, Kreosot etc.; in neuerer Zeit besonders als Desinfectionsmittel empfohlen. Croker will durcli praktische (?) Versuche die Carbolsäure am wirksamsten gefunden haben. Ich habe Desinfectionsversucbe mit Rotzmaterie angestellt und die Carbolsäure wirksam befunden; ob sie auch bei dem Pestcontagium eine entschiedenere Wirkung hat, oh alle die genannten Producte der trocknen Destillation ebenso gute Anticoutagien als sie Anti-septica sind und das Chlor ganz ersetzen können, darüber fehlen noch die Erfahrungen.
(Jeber diese künstlich zur Anwendung kommenden Desinfectionsmittel gehen gegenwärtig die Ansichten und Behauptungen weit aus einander, was der Kino rühmt, das verwirft der Andere, und so weiss Niemand, der nicht an seinen eigenen Erfahrungen ein festes Fundament gewonnen hat, so recht, was er glauben und thun soll. Die Ursache dieser Zerfahrenheit liegt einmal in der Neigung, alles Neue mit grosscn Hofinungen aufzunehmen, es auf Kosten des Alten zu rühmen und ohne exaete, d. h. in jeder Beziehung ein­wurfsfreie Versuche und klinische Beobachtungen als unreife Früchte in die Oetfentlichkeit zu bringen, vor allem aber darin, dass man bei der Desinfec-tion ganz heterogene Dinge confundirt und so auf dem Wege der theore­tischen Deduction zu ganz falschen Kesultaten kommt. Man hält Fäulniss, Luftvcrderbniss durch h'äulnissproducte und Contagium nicht aus einander, alle hiergegen in Anwendung kommenden Mittel nennt man Desinfections­mittel. Der vage Begriff von Desinfection trägt die Schuld ; dem Chemiker ist diese Confusion deshalb nicht zu verargen, der Mediciner aber muss sichten.
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or darf ilio Mittel nicht für Zerstörongsmittel der Coutiigien halten, weil sie die Gahruiig-, Fäulniss hemmen odor weil sie die Luft von Fäulnissprodacten befreien, die Luft reinigen. Nur in den Füllen, in welchen durch die Zersetzung ein wirkliches Contagium producirt wird, kann das antiseptische Mittel zugleich das anticontagiöse sein; ob es snlclie Fälle giebt, kann ich hinsichtlich der Contagian derllausthiere nicht bestätigen; nach Pettenkofer soll dies hei der Cholera sosein; die Cholera^Ausleerungen sollen im frischen Zustande nicht an­stecken, sondern erst, nachdem sie in eine alkalische Gährung, in Fäulniss abergegangeu sind, und deshalb sind denn alle die Mittel, welche diese Zer­setzung verhindern, die Aborte geruchlos machen und erhalten, bei der Cho­lera wirkliche Desinfectionsmittel. Dem mag sein wie ihm wolle, so viel steht fest, dass das ansteckende Agens der Rinderpest nicht das Product einer Fäulniss ist, dass deshalb die antiseptischen Mittel noch nicht nothwomlig auch Desinfectionsmittel sind.
•Das alte berühmte und bisher auch allgemein gebräuchlich gewesene Desinfectionsmittel bei allen Contagien, das Chlor, ist jetzt vielfach angegrif­fen worden, aber mit Unrecht; die erste Veranlassung dazu war eben die, dass.es bei vergleichenden Versuchen Fäulnissprocesse weniger hemmte, üble Gerüche nicht so fortnahm, als manche andere Mittel. In der thieriirztlichen Veit ist es neuerdings von E. Husson*) als ein unsicheres Desinfections-mittel bezeichnet worden, wobei derselbe als erwiesen hinstellt, dass es das Rotz- und Wuthcontaginm. nicht zerstöre. Mir ist von diesem „Erwie­sen seinquot; nichts bekannt; bei dem Rotzcontagium kann ich entschieden das Gegentheil behaupten; ausserdem muss ich gestehen, dass ich bei allen an­steckenden Thierkrankheiten, wo ich es als , Desinfectionsmittel angewandt, noch nie Gelegenheit gefunden habe, es als ein unzulängliches Desin­fectionsmittel kennen zu lernen. Bei einem in Dorpat bei der Rinderpest an­gestellten Versuche**) genügten die Guiton Morveau'schen Dämpfe, zwölf Stunden lang im Stalle gehalten, nicht zur gänzlichen Desinfection. Dass dieser Erfolg nicht gegen die desinficirende Wirkung des Chlors zeugen kann, bedarf für den Sachverständigen quot;keiner Erläuterung, dass hierdurch nicht Wände, Fussboden, Decke etc. desinficirt werden können, lässt sich leicht begreifen.
unter allen chemischen Dcsinfectionsmitteln bei den Contagien müssen wir das Chlor immer noch an die Spitze stellen, und vor allem muss man sich hüten, auf Empfehlungen, die oft nicht ohne kaufmännische Motive im Hintergründe sind, und auf unvollkommene Beobachtungen hin, die neuen Mittel mit Hintenansctzung der alten bewährten anzuwenden, wovon die Fol­gen so bedeutungsvoll werden können, wie bei der Rinderpest.
Die Wirkungsweise der Anticontagia kennen wir nicht, weil wir das Contagium selbst nicht anders, als aus seiner Wirkung kennen; wenn man daher aus dieser oder jener chemischen Eigenschaft ein Mittel zu den Dcs­infectionsmitteln rechnen will, so ist das reine hypothetische Theorie. Unsere
*) L'art medicinal interet sociaux scientifiques et professioneis 1867, p. 56.
**) Magazin von Gurlt und Hartwig. Bd. 26, S. 110.
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Anticoutagia können wir mir auf empirischem Wege finden, wir können uns durch die bekannten cheniischen Eigenschaften nur leiten lassen, mit diesem oder jenem Mittel y.n experinientiren.
Die besten Desinfectionsmittel bleiben übrigens erfolglos, wenn sie nicht mit Umsieht und Sachtenntmss angewendet werden, von dem Desinfectionsverfahren hängt die Tilgung der Rinderpest im­mer wesentlich mit ah, deshalb hier noch einige allgemeine Regeln.
1)nbsp; nbsp;Man beginnt mit der Entfernung, resp. Vernichtung aller Gegenstände, die schwer zu desintieii-en oder einer mühevollen Des-infection nicht werth sind. Dünger. Ifeu und Stroh, sowie alle werthlosen Stallutensilien und andere Gegenstände von Holz ete. werden am besten verbrannt; der Bofdünger wird auf die Felder gebracht, ausgebreitet und vor acht Tagen nicht quot;unterge­pflügt; bis dahin müssen natürlich alle Wiederkäuer von solchen Feldern abgehalten werden, sei es auch durch eine besondere Wache. Durch sofortiges Unterpflügen, wie gewöhnlich vorge­schrieben, wird der Peststoff immer auf längere Zeit couservirt und der Zweck, den Dünger sofort unschädlich zu machen, selbst bei dem sorgfältigsten Unterpflügen doch nicht erreicht.
2)nbsp; Nach dem Aufräumen die Reinigung im weitesten Umfange, am besten mit Kalilauge.
Von nicht soliden Wänden und Decken muss selbst die obere Schicht abgehauen werden; ist der Fussboden nicht •impermeabel, so ist er aufzunehmen und die Erde bis '/a r,lss ''L,1 zu ontfernen.
3)nbsp; nbsp;Hierauf kommen die eigentlichen Desinfectionsmittel in Anwendung und zwar in folgender Reihenfolge:
a.nbsp; nbsp;Zuerst die Gase, am besten das Chlurgas bei innigem Ver-schluss des Stalles auf 12—24 Stunden. Es handelt sich hier keineswegs um die Desinfection der Luft, diese desinfleirt sich beim Pestcontagium immer selbst, sondern um das Hineintreiben des gasförmigen Zerstörungsmittels in alle Oetfnungen. Engen und Poren.
b.nbsp; nbsp;Darauf lassen wir das natürlichste und speeifischeste Desinfectionsmittel, die Luft, einwirken, die aber ihre Wirkung am Tollkommensten ausübt, wenn sie in Bewegung gesetzt ist, deshalb Luftzug. Dieses Auslüften muss mindestens acht Tage dauern , je länger aber, desto besser. In feuchten Ställen kann, wenn die Beschaffenheit derselben es gestattet, ab und an Feuer angemacht' werden. um das Austrocknen zu fördern, zumal wenn
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eine huldige Besetzung erfolgen soll; das Austrocknen ist von sicherer und sclmeller Wirkung, deshalb sehr zu empfehlen.
c. Zuletzt kommen die flüssigen Desinfectionsmittel, das üeber-spülen und üeberstreiehen mit Chlorkalk oder unterchlorig-saurem Uatron oder Carbolsäure, carholsaurem Kalk etc. in An­wendung.
4) Nach den Chemikalien, am Schltiss die Restauration des Stalles etc., die Wiederherstellung des Fussbodens, die Ueber-tiinchung der Wände und Decken mit Kalk etc. nach baulichem Bedürfoiss; etwas specifisch Wirksames liegt hierin nicht.
Auf diese Reihenfolge im Des infection sverfahren lege ich ein grosses Gfewicht hier, wie bei allen Desiniectionen; ich hebe dies besonders hervor, weil so oft planlos und verkehrt ver­fahren und alles von den Mitteln allein verlangt wird. Es han­delt sich nun noch um einzelne besondere Gegenstände.
Die De sin fection der thierischen Rohproducte. Das Fleisch verliert seine Anstecknngsfähigheit durch Einsalzen und durch Räuchern; Häute. Homer, Klauen können durch die er­wähnten Chemikalien in flüssiger Form, selbst schon durch Kalk und Kochsalz desinficirt werden: daneben haben wir an der Hitze von 4U0 R. ab, sowie an dem Austrocknen und Räuchern ebenso bequeme, als sichere Desinfectionsmittel.
Solotowsky*) stellte mit Häuten von pestkranken Bindern vefschiedene
Versuche an, die Resultate waren:
1)nbsp; Hautstücke, die 48 Stunden bei 40deg; R. in einer Badstube aufgehängt und (lenmiiehst vier Eindem drei Tage lang zum Beriechen vorgelegt worden waren, steckten nicht an, ebenso steckten
2)nbsp; Hautstacke, die bei 30 0 K. vier Tagraquo; in der .Badstube getrocknet waren, und
3)nbsp; eine Haut, die 48 Stunden in Kalkwasser gelogen hatte, nicht an:
4)nbsp; dagegen wurden vier Rinder durch llautstückc augesteckt, die 24 Stunden in Aschenlauge gelegen hatten.
In den beiden Imiitinstituten in Boudarewka und am Sabnysche wurden von 1861—1863 verschiedene Desinfectionsversuche mit den Häuten nach Anleitung der Commission**) angestellt.
1) Mit Aschenlauge: — 4 Pfund Asche von Steppenkriluteni und ll2 Pfund Kochsalz auf 1 Eimer Wasser —. Hautstücke, die 7 Tage in dieser
*) Livländor Jahrbücher der Landwirthschaft, neunte Folge. Bd. 13, 11. 3. Dorpat 1859.
Ein Auszug in der Vierteljahrsschrift für Yetermänuedicm. Bd. 10. II. 1, S. 22. 1861.
**) Coiniite-Rendii etc. Petersburg 18ü(j, pag. 274.
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Lauge gelegen hatten, und in Streifen geschnitten in Form eines Haarseils unter die Haut gebracht, steckten nicht an.
2)nbsp; nbsp;Mit Kalkmilch: 1—2 Pfand frisch gelöschten Kalk auf 1 Eimer Wasser—. Frische Häute und solche, die 4—C Tage in einem Schuppen auf­bewahrt worden waren, wurden, nachdem sie 1 und 2 Tage in der Kalk-losnng gelegen hatten, den Versuchsthieren zum Beriechen und Belecken tagelang vorgelegt* zum Theil wurden auch Stückchen in Form von Haarseilen unter die Haut gebracht, olrae dass Ansteckung erfolgte.
3)nbsp; Mit The er; Ein Streifen Haut, drei Tage in Thoer gelegen und in Form eines Haarseils unter die Haut gebracht, stockte nicht an.
4)nbsp; Mit trockner Warme: a. Ein Hautstilck, ausgebreitet 24 Stunden an einem heissen Ofen getrocknet, in Streifen geschnitten und unter die Haut gelegt., steckte nicht an. b. Eine frische Haut, 24 Stunden in einer Badstube bei 40deg; R. aufgehangen und darauf der Luft ausgesetzt, steckte nicht an.
5)nbsp; Mit kochendem Wasser; Ein frisches Hautstück in kochendes Wasser gethan, 24 Stunden darin belassen (ob beständig erhitzt?) steckte nicht an.
(i) Mit.einfach getrockneten Häuten: 4—35 Tage alte getrock­nete Häute steckten nicht au.
7) Eine Haut, zwei Tage lang zusammengerollt aufbewahrt, zerschnitten und in Stücken zehn Tage einer Frostkälte von 32u R. ausgesetzt, steckte nicht au.
Die Versuche wurden controlirt durch Impfungen mit .frischen Stücken von den Versuchshäuten und durch spätere Ansteckungsversuche bei den Versuchsthieren, so dass sie als exact zu betrachten sind.
Mensclien und Kleidung. Die Menschen: durch Waschen der Hände und Reinigen der Fussbekleidung mit verdünntem Chlorwasser, durch Chlorräucheriiugcii in einem abgeschlossenen Räume — Zimmer, Stall, Bretterbude —. mindestens eine viertel Stunde lang; zweckmässig sind Oefinungen in einer Bretterwand, um mit angelehntem Gesichte frische Luft athmen und so durch stärkerer Gasentwickelung schneller und sicherer desinficirt wer­den zu können. Kleidungsstücke, wollene Stoffe, Reiseetfecten und andere Gegenstände, an denen das Contagium haften kann, werden in denselben oder besondem Räumen auf ein Stangengestell gehängt, und die Chlordämpfe darunter möglichst stark entwickelt. Ist Gelegenheit gegeben, die Gegenstände einer hoher Tempera­tur bis 400 R. in geheitzten Räumen auszusetzen, so wird dadurch jedes andere Mittel überflüssig.
Lebendige Thiere werden am einfachsten mit Lösung von Chlorkalk oder unterehlorigsaurem Natron (1 Th. auf 20 Th. Wasser) gewaschen und gebürstet, wobei die Klauen sorgfältig gereinigt werden müssen.
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Capilcl 12. Behandlung und Impfung.
Behandlung.
Die Behandlimg der Rinderpest ist ganz unverträglich mit der Tilgung durch die Keule; wo diese ausgeführt werden soll, da muss man auf jene verzichten. Die praktische Frage ist hier aber, ob überhaupt und unter welchen Umständen eine therapeu­tische Behandlung der Pestkranken zulässig sein kann. In dieser Beziehung sind zwei Thatsachen hervorzuheben, einmal, dass die Behandlung der Pestkranken bis jetzt noch keinen Erfolg gehabt hat, dass wir noch heute mit Loriuser sagen müssen: „Fast der ganze Arzneischatz und Unzähliges, was die blinde und vernünf­tige Empirie ersinnen und der Aberglaube darbieten konnte, ist erschöpft worden ohne Erfolgquot;, und zweitens, dass die Gefahr der Verschleppung bei der Behandlung sehr gross ist. Die Verbrei­tung der Rinderpest bei der Behandlung und selbst durch dieselbe ist so entschieden und so weitgreifend, dass selbst bei gewissen glücklichen Erfolgen der Schaden durch Verschleppung die er­reichten Vortheile doch weit übertreffen würde und eine kunst­gerechte Behandlung nur dann wirklichen Vortheil bieten könnte, wenn es sichere oder doch ziemlich sichere S2)ecifische Heilmittel gäbe, die wir aber bis Jetzt nicht haben. Die thierärztliche Be­handlung der Rinderpest ist somit zur Zeit noch gemeingefährlich, sie kann deshalb von Staatswegen nicht zugegeben werden. Es kann jedoch ausnahmsweise Fälle geben, in denen diese grosse Gemeingefahr wegfällt, und dann natürlich fällt auch der Grund fort, die Behandlung zu verbieten; solche Fälle sind gegeben, wenn ein grosser District so verseucht ist. dass man auf die directe Tilgung durch die Keule verzichtet und sich auf Absperrung des ganzen Seucheterrains beschränkt. In Ländern, wo die Rinder­pest eine mehr stehende Seuche ist und bald in diesen, bald in jenen Districten herrscht, wie z. B. in manchen russischen Gou­vernements und angrenzenden Ländern, ist namentlich geeignete Gelegenheit zur Behandlung gegeben, und die Benutzung solcher Gelegenheit zu Heil versuchen mit gewissen Mitteln und Methoden im Interesse der Ileilwissenschaft ist sehr erwünscht.
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Für solche Heilversuclie lässt sich keine Vorschrift weiter geben, als einige diätetische riegeln auf Grund der heilsamen aüssem Einflüsse (cf. S. 22), die sich bei der Beobachtung des Verlaufs der Rinderpest unter verschiedenen Verhältnissen herausgestellt haben und die nach den bekannten pathologischen Processen und Zuständen auch ganz rationell sind. Wir wissen, dass die Rinderpest unter gewissen Verhältnissen einen gefahrlosen Aburtivverlanf annimmt, und hierin liegt gerade ein Fingerzeig, class durch äussere diätetische Einflüsse viel geleistet werden kann. Die diätetischen Grundregeln sind:
1)nbsp; nbsp;Gänzliche Entziehung fester Futterstoffe von der ersten Spur der Krankheit an bis zur Genesung; auf der Höhe der Krankheit versagen die Patienten von selbst jede Nahrung, an­fänglich aber nicht, und bei leichtem Verlauf besteht immer etwas Appetit: bei nicht tödtlichem Verlaufe ist das frühere Wieder­kehren des Appetits, ehe die Verdauungsorgane wieder im Stande sind, ihre Function anzutreten und die mechanischen Einwirkun­gen des aufgenommenen Futters zu vertragen, oft Ursache von gefahrvollen Verschlimmerungen, wenn die Futterentziehung unbe­achtet bleibt.
2)nbsp; nbsp;Verabreichimg schleimiger und nahrhafter Getränke nach Bediirfniss; Mehlsubstanzen, am besten gekocht, Milch, rohe Eier etc.
'3) Frische Luft, Warmhalten und Vermeidung der Nässe: hei milder Witterung ist der Aufenthalt im Freien am zuträglichsten; die Ausdünstungen der Kranken wirken schädlich zurück; je mehr Kranke in einem Stalle, desto weniger günstig der Verlauf.
üeber das therapuntische Heilverfahren lässt sich gar keine Andeutung gehen: höchstens kann man auf Grund der Erfahrung,
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äfc #9632;
dass die äussere Haut mit zu den Theilen gehört.
denen die
Rindcrpestprocesse sich gern etabliren, nnd die exanthematische Form zu den weniger schlimmen gehört, sowie auch auf Grund des pathologischen Befundes einige; Andeutungen über ein ratio­nelles PaUiatiwerfahren machen, und in dieser Beziehung möchte ich auf die derivatorische (hautreizende) und deckende, einhüllende Curmethode aufmerksam machen. Es dürften in dieser Rücksicht Versuche mit reizenden Einreibungen an der Bauchwandung mit Ter­pentinöl und darauf folgenden nassen Umhüllungen (um zugleich eine diaphoretische Wirkung auszuüben), innerlich mit schwachen Lösuu-
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gen von Argentum nifricnm — etwa )j — 3j pro Tag in zwei
Dosen mit zwei Pfund reinem Regenwasser — zu empfehlen sein.
Eine so durchaus speeifische Krankheit, vie die Binderpest,
verlangt ihre speeifischen Heilmittel, und solche sind uns zur Zeit unbekannt. Bei den Heilversuchen heisst es hier so recht eigent­lich „Probiren geht vor Studirenquot;; denn es giebt über das Heil­verfahren bei der Rinderpest noch nichts weiter zu studiren, als class alle bisher gerühmten, empfohlenen und versuchten Mittel und Methoden noch durchaus erfolglos gewesen sind, selbst das einst so berühmte Pessina'sche Mittel*), die eisenhaltige Salz-, säure nicht ausgenommen. Auch bei der in Holland und England in jüngster Zeit verfolgten Behandlung der Pestkranken ist mau schliesslich wieder zu dem alten Ergebnisse gekommen, dass von den behandelten Pestkranken, gleichviel, welche Mittel in Anwen­dung gekommen sind, durchweg ebensoviel und oft noch mehr gestorben sind, als von den Nichtbchandelten.
1) Einfluss des Futters nach dem 3. Bericht der englischen Commission.
Art der Fttttenmg.
, Zahl der : Genesen behaadel- nadh Pro-tenTMere. centen.
73,9
57,5 22,2
13,5
Thiere von Iläuslera mit Mischfutter gefüttert.....
95
Grössere Viehstilnde während derGeuesungmitTrocken-
105 303
futter gefuttert.....................
Thiere, gefüttert mit Mischfutter und Heu.......
Thiere, gefüttert mit Trockonfiitter und mit Arznei- !
mittein behandelt....................i 310
2) Erfolg der Behandlung.
Qegen 10,000 wurden mit verBchiedenfiD Mitteln behandelt, dabei genasen 26,25 pCt, Das Ver-bältniss war ziemlich dasselbe bei jeder Art der Behandlung.
Beliamllungswelse.
Zahl der | Nach Procenten behandel- - -tenTMere. genesen.
Antiphlogistische Behandlung.....
Tonische und stimulirende Behandlun Antiscptische Behandlung Specifiscbe Behandlung
*) Anleitung zur Heilung der Rinderpest mit der eisenhaltigen Salz­säure 1812.
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Impfung.
Die Impfling der quot;Rinderpest ist im vorigen Jahrhundert erfanden Morden und aucli zu hohem Ansehen gekommen, während sie in diesem Jahrhundert
wenig beachtet worden und jetzt — abgesehen von Rassland — so ganz in den Hintergrund getreten mid imangewandt geblieben ist. Wie eigenthümlich dies nun auch erscheinen mag, so ist es doch vullkoramon darin begründet, dass dielmpfung uns nicht mehr das leistet, was sie im vorigen Jahrhundert geleistet hat, weil #9632;wir bessere Schutz- und Tilgungsmittel haben und die Im­pfung eben überall weichen muss, wo und wenn diese bessern Mittel durch-#9632;fQhrbar sind. Zwei Umstände führten im vorigen Jahrhunderte zur Einimpfung der Binderpest, einnud die Entdeckung der Ansteckungsfälligkeit und weiter­hin die Erfahrung, dass die durchgeseuditen Kinder spater von der Binder­pest nicht wieder befallen werden, und zweitens die Erfindung der Vaccination, wodurch die gefährlichen Blattern des Menschen aufhörten, eine gefürchtete Krankheit zu sein. Dies führte nmsomehr zu Impf versuchen bei der Kinderpest, als diese seit Eamazzini mehrseitig für eine Pockenkrankheit gehalten wurde. Die so zur Anwendung gekommene Impfung wurde aber nicht etwa durch besonders glückliche Erfolge hochgebracht, diese hatte man nicht nur stellenweis, sondern durch verschiedene, namentlich aber durch folgende Umstände:
a. die allgemeine Verbreitung der Binderpest in ganz Kuropa und die häutige Wiederkehr in Ländern, wo man die Verluste kaum überwunden hatte, so dass man üi der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in vielen, wenn nicht in allen Gegenden zu der Ansicht gekommen war, dass die Rin­derpest, „das herumgehende Viehsterbenquot;, eine für die Dauer nicht tilgbare und insofern eine bleibende Krankheit sei;
b.nbsp; nbsp;die Kathlosigkeit bezüglich der Tilgung und die Meinung, dass es gar keine Tilgungsmittel gebe; die eingebildete Selbstentwickelung war immer noch ein Hemmschuh für eine weitere Entwickelung des Schutz- und Tilgungs­verfahrens : und
c.nbsp; endlich die geringem Verluste bei der Impfung im Vergleiche zu dem sonst so mörderischen Verlaufe der Pest; dabei tauchten auch noch einzelne ganz besonders günstige Resultate auf, die immer wieder von Neuem da er-nmthigten, wo man die Impfung wegen der eingetretenen Verluste schon wie­der hatte fallen lassen.
Wie bei den Blattern, so hat auch bei der Rinderpest die Einimpfung zuerst in England stattgefunden, nach Angabe von Camper und Erxleben hat Dodson die ersten Impfversuche gemacht, um einen mildern Verlauf zu erzielen. Kältere Angaben fehlen uns, nur in dem Hamburger Correspondent ten 1755 Nr. 13 ist die gute Wirkung der Rinderpest-Impfung in England ge­rühmt. Im Braunschweigschen wurden schon 1741! bei 19 und 1760 hei 12 Häuptern Impfversuche angestellt, von denen 15 starben; es heisst deshalb in den Nachrichten*), dass bei der Impfung eben so viel sterben, die Seuche
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*) Versuch einer nähern Erklärung der Ilornvielisettche nebst einigen Nachrichten über die Einimpfung derselben. Braunschweig 1763.
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aber abgekürzt werde, was man schon sehr richtig als einen llaiiptvortheil hervorgcliobeii hat. Ernstlicher und nachhalliger aber wurde die Impfung etwas später in Holland unter Camper's Einfiuss verfolgt. Der Anfang war selu' ungünstig; drei Holländer (Koseinanu, Kool und Tock) hatten (1755) 17 Häupter geimpft und davon nur drei erhalten; dies schreckte die Hollän­der nicht ab, weil es mit der Pockenimpfang anfänglich auch nicht gut ge= gangen war, und als die Pest 1768 wieder sehr verheerend auftrat, wurde die linpfmig fortgesetzt und zwar mit zufriedenstellendem Erfolg, denn man ver­lor mir die Hälfte , während die nicht geimpfte Hindertest durchschnittlich dreiviertel fortraftte. Camper reranlasste Versuche auf Vereinskosten und verfolgte dabei die erste Idee einer Schutziiiipfung bei den Kälbern, nicht allein wegen eines mildern Verlaufs, sondern bauptsäcldich, weil die Kälber weniger Werth haben, durch todtgeimpfte Kälber weniger verloren, als in den diirchgeseuchteu gewonnen werde durch die Sicherheit gegen die Kinderpest. Die Impfungen hatten besonders bei Kälbern von durchgeseuchteu Müttern sehr guten Erfolg; diese Impflinge erkrankten so gering, dass man über ihre Erkrankung oft zweifelhaft blieb; von 120 gingen nur ÜU verloren. Die nie­derländische Gesellschaft zur Förderung des Ackerbaues setzte, durch diese günstigen Besultate veranlasst, sogar 1778 einen Preis von 40 holländischen Ducaten für Denjenigen aus, welcher die meisten Kälber von durchgeseuchteu Kühen mit dem besten Erfolge geimpft hatte. G. KeInders im Gröning-schen, der 4!)9 Kälber mit glücklichem Erfolge geimpft hatte, wurde der Preis zuerkannt; ein zweiter Preis von MO holländischen Ducaten wurde anderwei­tig für die [mpfting von 31 Kälbern bewilligt. Die fortgesetzten Versuche in Holland und Camper's unermüdliche Thätigkeit gaben Veranlassung, die Impfung in Xorddeutscbland und Dänemark weiter zu verfolgen.
Sein- günstige Erfolge wurden in Mecklenburg erzielt. Der Kammer-junkei v. Bülow impfte in den Jähren 1777—1778 im Ganzen 177 Häupter, von denen 135 genasen, v. 0erzen*) folgte 1778 nach, impfte seine gesunde* Ileerde (erste Präcaiitionsimpfiing); es folgten andere Gutsbesitzer und so wurden bis 1779 an souchenfreien Orten in Mecklenburg-Schwerin -'5806 Halbs­ter geimpft, von denen 341 gefallen sind. Auf Empfehlung der Impfung von der Regierung (durch Patentverordnung vom 26. Januar 1779) sind im Meck-lenburgscben nachweislich überhaupt 4075 Häupter geimpft worden, von denen 438 gestorben sind.
Diese Erfolge waren anregend für alle nördlichen Staaten, in denen die Pest herrschte, Dänemark ordnete zum zweiten Male die Impfung an; die erste Impfung halte bereits 1770 und 1771 auf der Insel Avnoe an der süd­lichen Küste von Seeland bei 390 Häuptern unter der Leitung Oeder's von dem Wundärzte Witer stattgefunden, von denen nur 277 erkrankt und 45 ge­storben waren. In Langeland wurden 703 Stück mit 236 Stück Verlust und in Laaland 168 Stück mit 103 Stück Verlust geimpft. Durch diese ungünsti­gen Besultate sah sich die dänische Regierung veranlasst, die Jinpfung wieder aufzugeben und das Tödten der Pestkranken anzuordnen,
*) Oefl'entliche Bekanntmachung der nunmehr sattsam erprobten und in Mecklenburg allgemein gewordenen Inoculation der Rindviehseuche etc. 1779.
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In Preussen wurde dagegen in Folge der günstigen Erfolge in Pommecn und in der Kurmark, wo von 620 Impfiingeu 71 und von 124 nur 15 gestor­ben waren, (inivli cine Cabinetsordre 17.S1 die Impfung mit gewisser Ein-scliriuiknng rücksichtlich der Verbreitung gestaltet. Im llolsteinseheu wurden 4y() Stück mit .r'G Stück Verlust eingeimpft.
Auch im Ilannoverseheii wurde die Impfung lebhaft betrieben; Ker­st! ug, der damalige Director der Thierarzneischule zu Hannover, wurde 1779 von der Regierung nach Mecklenburg und zum Grafen Bernstorff in Gartow (im Lüneburgschen) geschickt, um sieh über die Impfung /.u orientiren. In Gartow waren sehr gute Impfanstalten hergerichtet und in Zeit von etwa vier Wochen (vom November bis December i779) wurden in K. Anwesenheit allein liraquo;;5 Stück mit einem Verluste von nur 7 Stück geimpft. Hierauf impfte Ker-sting selbst im Hoya'schen einegrosse Anzahl, nach Walz Angabe*) .'5J()0 Stück, von denen etwa Vi starben. Kerstiug's Bericht au die hannoversche Regie­rung vom 7. August 1780 nebst Anweisung, wie die Impfung der Rinderpest zu verrichten und was bei der Erkrankung zu beobachten sei **), giebt Zeug-niss von umfangreichen und scharfen Beobachtungen.
Im Ganzen sind bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts in Norddeutsch-laud ungefähr ÜUCO Häupter mit circa 16 Proceut Verlust geimpft worden.
im gegenwärtigen Jahrhundert wurden aussei' ßussland nur noch ein­zelne umfangreichere [mpfimgen vorgenommen; in Preussen 1801 von Sick bei 68 Häuptern, von denen 45 starben; im Oesterreichischen sind geimpft:
In Galiziwi von Laurenzer:
1827 57 Häupter mit 50 Häuptern Verlust;
1820 119 Häupter russisches Steppenvieh mit 14 H. Verlust;
183!) 54 Haupter mit 5 H. Verlust.
In Ungarn:
1847 von Dr. Barach 2500 11. mit 75 Häuptern Verlust und von Belli 328 Häupter mit 11 H. Verlust.
Hiermit schliesst die alte Geschichte der Noth- und Präcautionsimpfnug. • Von Neuem hat die Impfung als Schutzimpfung, d. b. um das Auf­treten der Rinderpest fortdauernd durch Impfung zu verhüten . in Russland auf Anordnung der kaiserlichen Regierung begonnen. Der Urheber davon ist Jessen.
Die erste Idee zu solcher Schutzimpfung ist von Camper ausge­gangen, durch Prämien für die Impfungen bei Kälbern sollte sie in Holland eingeführt werden, weil man die Rinderpest für eine bleibende Seuche hielt. Selchow sagt in seiner, allen Potentaten gewidmeten Broschüre von 1779, dass die Rinderpest durch Impfung vollständig zu tilgen sei. Walz***) spricht sich für eine allgemein einzuführende Schutzimpfung in den Ländern aus, wo eine Selbstentwickelung vorkommt. Viborg hat sich einige Jahre später in demselben Sinne über die Impfung der Rinderpest geäussert
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*) Untersuchung über Natur und Behandlung der Rinderpest ISOquot;. S. 149.
**) Magazin von G. u. St. Bd. 24. S. 9. ***) 1. c. sect;. 82.
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Jessen hat schon 1834*) den Wunsch ausgesprochen, dass in den Steppen-länderu ausgedehnte Versuche über die Ausführbarkeit einer fortdauernden Schutzimpfang bei Kälbern angestellt werden jnöchten. Spinola**) hielt eine Art SchutzimpAing in den russischen Steppen vielleicht für ausführbar; ich seihst habe froher***) eine Schntzünpfang für die russischen Steppen als sehr heuchtensweitli empfohlen.
1852 trat Jessenf) entschieden mit der EinfOhrung der Schutziinpfung :ils Ausrottungsmittel der Binderpest in Kussland hervor; in Folge dessen gab die kaiserliche Regierung 1853 Veranlassung zur Anstellung von Impf­versuchen.
Die Resultate der so an verschiedenen Orten des Reiches angestellten Versuche waren sehr verschieden, die kaiserliche Regierung setzte deshalb 1858 ein Ccunite ein, unter dessen Leitung die Rinderpest-Impfungen in be-timmten Anstalten noch drei Jahre fortgesetzt werden sollten. Uns Comite konnte seine Thiitigkeit erst 18(10 beginnen; es wurden zwei Impfinstitute, eines iu llondarewka. Gouvernement Cherson in der Nähe von Nikolajew und eins im Gouvernement Orenburg am Flusse Salmyschc eingerichtet, und dem Comite jährlich 10,000 R. für diese Versuche bewilligt.
Das Comite entwarf einen bestimmten Plan zur systematischen Durch­führung der Impfung, zur Erledigung der wichtigen praktischen Fragen, ob und in wie weit eine Mitigirung des Impfstoffes durch Impfung und somit ein milderer Verlauf der eingeimpften Rinderpest zu erreichen sei, ferner, wie die Häute von Pestkranken unschädlich zu machen seien, und beauftragte mit der Ausführung die Veterinäre Kobuscheff (am Salmysche) und Sergeeff (in Bondarewka). Im Jahre 18(13 wurden die Professoren Jessen und Ra-vitsch nach den Impfinstituten abgeordnet. um die Impfungen iu dem Som-mersemester selbst zu leiten.
1863 erstattete das Comite unter dem 30. December ihren Bericht über die impfresultate, der rücksichtlich der Mitigirungsfrage verneinend ausfiel. Professor Jessen gab jedoch in diesem Punkte ein dissentirendes Votum zu Gunsten der Mitigirung ab. Auf Antrag des Comites wurden die Impfinstitute auf Staatskosten aufgehoben, die Schutzimpfung nicht anbefohlen, den Vieh­besitzern jedoch die Gründimg von Impfinstitutionen in den Steppen-Gouver­nements gestattet. So bestehen denn auch noch jetzt diese Impfungen an einzelnen Punkten, besonders aber in der Herrschaft der Grossfürstin II. Pau­lo wna in Kailowka fort, wo der Veterinär Raupach sehr umsichtige Thätig-keit entwickelt.
Die russischen Versuche sind in einem, mir erst jetzt zur Hand gekom­menen Werke: „Comptc-rendu des experiences de l'inoculation de la peste aux hetes ä comes 180(1quot; zusammengestellt worden.
*) 1. c. S. 108. **) l.-c. S. 150. ***) Lehrbuch der allgemeinen Therapie 1853. S. 209. t) Leber die gänzliche Ausrottung der Rinderpest.
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Nach dieser kurzen geschichtlichen Uebersicht über die Empfangen und ihre Resultate haben wir hier die Frage zu er­örtern, oh und unter Welchen Umstünden die Einimpfung der Einderpest angezeigt und empfehlenswerth sein kann.
Die Zwecke sind hei der Impfung dreifach verschieden, und darnach müssen wir die Anwendbarkeit betrachten.
1)nbsp; Die Vorbauungs-Impfung im engsten Sinne, die soge­nannte Präcautions-Impfung, die darin besteht, dass man die Einimpfung bei gesunden rundern vornimmt, quot;wenn die Rinderpest in der Nähe und die Gefahr des Einbruchs gross ist. Diese Impfung ist an und für sieh nicht mehr angezeigt, seitdem wir wissen, dass die Rinderpest absperrbar ist, und die Erfahrung gemacht haben, dass sich selbst in verseuchten Orten einzelne Gehöfte durch Ahsperrung gegen den Einbruch schützen können; sie ist ausserdem auch nicht verträglich mit dem sofortigen radi-calen Tilgungsverfahren.
2)nbsp; nbsp;Die Noth-Impfung, d. h. diejenige, die bei der bereits ausgebrochenen Rinderpest in einer Heerde stattfindet. Diese Impfung kann zweckmiissiger Weise nur dann stattfinden, wenn es auf Durchseuclien ahgeschen ist. d. h. wenn das Tilgungsverfahren_ durch Tödtimg und der Schutz durch Sperrung nicht mehr mit Nutzen ausführbar ist, also im wirklichen Xothfalle, der heute nicht mehr so leicht eintritt, als ehedem, wo man in der Tilgung
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sich bei uns wohl nur in Kriegszeiten und hei
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ursprünglicher Vernachlässigung ereignen kann.
Der Hauptzweck hierbei ist. Abkürzung der Seuche, der Sperrmaassregeln und der Gefahr der Verschleppung, die seihst bei strengster Absperrung immer noch vorhanden ist, namentlich hei Absperrungen in grössem Dimensionen, die aber stets mit der Dauer wächst, weil die Sperre mit der Zeit immer lästiger und die Durchführung schlaffer wird. Neben der sichern Abkürzung kommt immer noch der umstand mit in Betracht, dass von den geimpften Thieren doch durchschnittlich, unter Umständen sogar beträchtlich mehr durchseuchen, als nach natürlicher An­steckung; auf ungewöhnlich günstige Erfolge, wie sie im vorigen Jahrhundert mehrfach, namentlich in Norddeutschland wie auch iu diesem Jahrhundert in Ungarn beobachtet wurden sind, kann und darf man nicht rechnen, sie sind Ausnahmen, man kann aber unter günstigen Witterungsverhältnissen bei zweckmässiger Diät immer auf einen mehr oder weniger günstigem Seuchenverlauf
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rechnen. Für dun Fall, dass innerhalb eines Staates ausgebrei­tete Seuchenherde abgesperrt werden müssen, da darf man nicht bei dieser halben Maassregel stehen bleiben, innerhalb der abgesperrten Seuchenherde muss die Keule oder die Impfnadel zur baldigen Tilgung agiren. Je grosser der Seuchenherd, je grosser die Anzahl des preisgegebenen Hornviehes ist. je mehr bei einem gutartigen Charakter auf Durchseuchen zu rechneu ist, desto mehr gewinnt die Impfhadel den Vorzug vor der Keule. Diese Noth-Impfung ist die einzige, die für uns wohl unter Umständen noch praktisch in Bfetracht kommen könnte, die aber bei der grossen Gemeingefahr doch immer vom Staate erlaubt und selbst geboten worden muss.
Dass os auch bei unsem heutigen Kenntnissen und dorn bewährten Tilgnngsverfahren doch noch Nothfälle für diese Impfung gehen kann, davon habe ich mich in Holland überzeugt. Hier war die Pest ursprünglich und lange Zeit ansschliesslich in der Provinz Siidholland: diese Provinz sperrte man ab, soweit sie verseucht war und überliess die Rinderpest innerhalb der abgesperrten Districte sich selbst, es geschah wenigstens nichts, was geeignet gewesen wäre, die Pest zu tilgen; im Gegenfheil, es geschah zur Zeit meiner Anwesenheit und auch später noch lange Zeit alles, was geeignet war, die Pest fort und fort zu unterhalten (man brachte z. B. frisches Vieh in verseuchte Orte und gab der Pest immer wieder neue Nahrung), und so geschah es denn, dass die Pest in einem Orte — in Schiedam z. 15. — länger als ein volles Jahr und in der Provinz gegen zwei Jahre herrschte, dass in dieser langen Zeit der Seuchenherd trotz der Absperrung immer grosser wurde, sich endlich in die benachbarten Provinzen mehr, oder weniger hineinerstreckte und die Pest rocht oft Sprünge über die Sperrlinie machte und so in verschiedenen entfernten Orten in Holland und dem benachbarten Aaslande, besonders in Belgien sporadische Ausbrüche verursachte. Hätte man bei der Absperrung der Provinz Südholland sämmtliches, der Riuderpest preisgegebenes Tieh ge­impft, wie ich os im November 1865 an Ort und Stolle vorgeschlagen hatte, zu einer Zeit, wo die günstigsten Witterungsverhältnisse herrschten, die Seuche einen gutartigen Charakter hatte und die Sterblichkeit unter der impfnadel im Yerhältniss mir gering gewesen sein würde, so wäre die Tilgung D/2 Jahr früher mit viel geringeren Verlusten erfolgt, 100,000 Rinder würden vielleicht weniger eingescharrt worden sein.
3) Die Schutz-Impfung. Für Deutschland und alle nörd­lichen und westlichen europäischen Staaten ist dies eine abstract-wissenschafUiche Frage geworden: als praktische Frage kann sie gegenwärtig nur in jenen Steppenländem in Betracht kommen, wo die Rinderpest noch zu dun stehenden (Kalamitäten gehört. Augenblicklich ist diese Impfung eine brennende Tagesfrage in Russland. Die Rinderpest, sowohl die durch zufällige Ansteckung, als die durch Impfung entstandene, tilgt die Anlage zum Erkranken
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20G
oder die Enipfiiriulicliiceit für den Peststoff auf Lebensdauer, wenigstens für diejenige, welche unserm Hausrinde beschied'en ist; hierin liegt nun der dauernde Schutz gegen die Rinderpest durch die Impfung, l^a aber das Vieh nur als Waare von einem be­stimmten Werthe in Betracht kommt, so bringt diese]' Schutz nur dann reellen Gewinn, wenn das Schutzmittel nicht eben so viel kostet, als die Beseitigung der Gefahr'werth ist; kostet eine Wache so viel, als das bewachte Object werth ist, so verliert sie ihren ökonomischen Nutzen. Die Impfung gewährt im ökonomischen Sinne wirkliehen Schutz unter tol^nden beiden Bedingungen:
1quot;) Wenn die Pest häutig vorkommt und andere Schutzmittel nicht vorhanden oder nicht durchführbar sind. Wo die Rinderpest sich genuin entwickelt, da kann von polizeilichen Schutzmitteln keine Rede sein: solche Länder aber kennen wir bis jetzt noch nicht, es ist deshalb auch noch kein Land bekannt, wo die Schutz-Impfung das einzige absolute Schutzmittel wäre; von ßussland gilt bis jetzt noch die Annahme der Selbstentwickelung, in Ab­schnitt II. Capitel 7. habe ich aber nachgewiesen, dass diese An­nahme unbegründet ist. dass sie his jetzt noch, auf Scheingründen beruht, denen direct widerlegende Gründe entgegenstehen. Deshalb ist denn auch die Schutz-Impfung in Russland ebensowenig, als in Ungarn und seihst als in Deutschland das einzige Mittel zur Ab­haltung der Rinderpest. Eine andere Frage ist die, ob die Schutz-und Tilgungsmaassregeln in Russland so ausführbar sind, als bei uns und als es nothwendig ist zur Abhaltung der Rinderpest. Dies kann ich nicht beurtheilen, es mag deshalb wohl sein, dass augenblicklich die Schutz-Impfung in Russland noch als Ersatzmittel dienen muss, ich glaube sogar, dass in dieser Beziehung die fort­gesetzte Schutz-Impfung gewiss noch von einem grossen Werthe ist.
2) Wenn die Schutz-Impfung nicht selbst grossen Schaden mit sich bringt. Diese Bedingung ist nun bei der Rinderpest an sich nicht gegeben, die Impfungen haben unter Umständen grosso Verluste herbeigeführt, deshalb sind die Rinderpest-Schutz-Impfun­gen bis jetzt noch sehr kostspielige Maassregeln und von sehr be­schränktem Werthe. Könnte man die Pest so gefahrlos einimpfen. wie die Kuhpocken, dann wäre sie auch in den Ländern als äusserst zweckmassige Maassregel angezeigt, wo die Pest öfter als Contagion hin verschleppt wird, man würde dann viel besser dem Verkehre freien Lauf lassen und die Rinder durch fortlaufende Impfung gegen die Pest schützen. Sehr verdienstlich und anerkennenswerth
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ist daher das Streben nach einer gefahrlosem Scliutz-lnipfuiig, wie es Jessen in so unermüdlicher Weise bethätigt hat.
Den [mpfetoff milder zu machen — zu mitigiren — ihn zum hnpi'en vorzubereiten und geeigneter zu machen — ihn zu eulti-viren — sind verschiedene Mittel zur Anwendung gekommen.
1)nbsp; nbsp;Die Verdünnung mit Wasser und mit Glycerin. Obgleich die Impfmaterie um so intensiver wirkt, je mein- Contagium sie enthält, je concentrirter also der Impfstoff ist, so hat sich solche Verdünnung bis jetzt doch noch nicht bewährt, der so behandelte Impfstoff wirkt entweder wie nicht verdünnter oder bei starker Verdünnung gar nicht.
2)nbsp; Das Aufbewahren des Impfstoffes. Dies hat sich von allen angewandten Mitteln noch am #9632;wirksamsten gezeigt, namentlich bei den neuem Impfungen in Russland. Der Impfstoff wird bei dem Aufbewahren schwächer und dadurch milder. Diese Ab-schwächung mag unter Umständen auf einen Zerfall der palpablen Substanz mit beruhen, in der Regel aber ist das allmählige Ent­weichen des unbekannten flüchtigen Ansteckungsstoffes die Ursache des Schwächerwerdeus. Wie ein duftender Körper fortwährend an Riechstoffen verliert und deshalb immer mehr an Riechstoff verarmt, so verliert die palpable Substanz immer mehr au Rinder­peststoff, der freigewordene Ansteckungsstoff wird in der Luft vernichtet, und so verzehrt die Luft den Rinderpeststoff langsam oder schnell, je nachdem das Entweichen mehr gehemmt oder begünstigt ist: hohe Temperatur und trockencLuft begünstigt die Verflüchtigung und beschleunigt so das Schwächerwerden und die schliessliche Unwirksamkeit. Je mehr die Verflüchtigung des Conta-giums von dem Impfstoffe durch die Zeit schon beschiünkt worden ist, desto mehr eignet sieh derselbe zur beschränkten localenEinimpfung. Wir würden deshalb bei der Rinderpest, die sieh durch ihr eminent flüchtiges Contagium auszeichnet, grade an dem Aufbewahren der Impfmaterie das beste Mittel zur Mitigirung haben, wenn wir im Stande wären, den Zeitpunkt abzumessen, wo die entsprechende Ahschwächung eingetreten ist, so class eben nur noch eine Ansteckung erfolgt. Die äussem Verhältnisse bedingen eine zu grosse Ver­schiedenheit, deshalb kann diese Mitigirung nicht wohl eine ge­regelte Methode werden, durch die mit Sicherheit auf guten Erfolg gerechnet werden könnte, und dies um so weniger, als wir schon die Erfahrung gemacht haben, dass durch sehr leichte Er­krankungen nach der Impfung mit altem Impfstoff die Immunität
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nicht erreicht wird. So viel aber steht schon jetzt fest, dass man ganz frischen Impfstoff vermeiden und ihn erst in dem Alter benutzen muss, in welchem er der Regel nach noch nicht verdorben ist. Durch Versuche muss man 15e-dingung und Zeit der Aufhewalirnug bis zur Impfung für die praktischen Grundregeln erst noch näher feststellen. Das Aus­trocknen ist bei dein Aulbewahren zu verhindern; es dürfte sich die Aufbewahrung in gewissen ruhenden Luftmassen, z. 1gt;. in ver-schliessbaren Gläsern, bei einer oiedrigen, die Zersetzung zurück­haltenden Temperatur empfehlen.
Sergeeff hat vollkommen recht, wenn er sagt, „die Zeit mildert und mitigirt den Impfstoffquot;.
3)nbsp; nbsp;Durchgang des Peststoffes durch Schafe und Ziegen. Beide Wiederkäuerarten erkranken durchschnittlich weniger schwer nach der Ansteckung: man könnte deshalb wohl von der Hiiek-Impfung von Schaf und Ziege auf das Rind einigen Erfolg er­warten; verschiedene Versuche haben jedoch gezeigt, dass auch auf diesem Wege kein milderer Impfstoff zu erlangen ist.
4)nbsp; Durch Einimpfung von lliiul auf Itiud und so durch eine Reihe von Fortpflanzungen durch Impfung — Propagationen, Ge­nerationen.
Die Pessina'sche Doctrin von 1802 iüJer Mitigation oder Cultivirung des Schafpocken-Impfstoffes hat man auf die Rinder­pest übertragen; Marchold versuchte sie zuerst bei der Jlinderpest-Impfung 1829: hei den Impfversuchen quot;in Russland ist dieser Zweck aber ganz besonders verfolgt worden, weil sie unter obwaltenden Verhältnissen die Lebensfrage einer allgemeinen Schutz-Impfung ist. In Rücksicht darauf, dass dies immer noch eine wissenschaft­liche Principienfirage ist. will ich die betreffenden Impfungen tabellarisch zusammengestellt folgen lassen.
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212
Zusanunenstelliuig nach den einzelnen Generationen, wobei in den wenigen Füllen eine gleichmässige Repartition stattgefunden hat, in welchen die Anzahl der Geimpften und Erkrankten etc. von verschiedenen Generationen summarisch angegeben worden siud.
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62
10,59
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14
12
1
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Diese tabellarische Uebersicht über die Impfergebnisse bedarf keines Commentars; wenn die Procentverbältnisse auch nicht so ganz zuverlässig und maassgebend sind, weil nicht in jeder Gene­ration eine gleiche Anzahl geimpft und der Impfstoff nicht immer von gleichem Alter gewesen ist. so beweisen sie doch entschieden, dass in den spätem Generationen (Propagationen) und nach der zehnten z. B. noch ebenso ungünstige Erfolge eintreten können, als in der ersten, dass es sich in dieser Beziehung gerade so ver­hält, wie bei den Scbafpocken-Impfungen, dass auch bei den Ein­impfungen der Rinderpest verschiedene Factoren in Betracht kommen, die Über den mehr oder weniger günstigen Erfolg ent­scheiden. Von diesen Factoren kenneu wir folgende:
1) Die Disposition, die zum Theil individuell und deshalb unberechenbar, zum Theil empirisch bekannt ist. Wir wissen, dass sie hei dem Steppenviph geringer ist, namentlich bei dem südlichen Steppenvieh. Die von Raupach geimpften vier Devonshire krepirten alle, während die zu gleicher Zeit und von demselben Impfstoff geimpften zehn Steppenochsen nur leicht erkrankten; es ist ferner bekannt, dass sie in der 1. GenSration von Durchgeseuchten geringer ist, besonders dann, wenn die Mütter während der letzten Zeit der Trächtigkeit durchseucht sind: angenommen wird endlich auch
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noch, class die Disposition im ersten halben bis ersten Jahre und im hohen Alter grosser sei.
2)nbsp; Die Quantität des Impfstoffes und die Concentration des Ansteckungsstoffes in dem Impfstoffe. Quantität und Intensität d. h. Concentration des Impfstoffes bilden einen ge­wichtigen Factor, von dem der Erfolg wesentlich abhängt. Nach-ge-\vieseu ist dieser Factor durch die Tbatsachen, dass immer eine bestimmte Quantität Ansteckungsstoff zur Ansteckung erforderlich ist, class die palpabele Substanz, welche als directes Krankheits-pröduct den Ansteckimgsstoff am concentrirtesten enthält, immer am sichersten und entschiedensten ansteckt, weshalb dieselbe auch immer als Impfstoff gewählt wird, dass durch erhebliche Ver­dünnungen mit den mildesten Stoffen, die keine zerstörende 'Wirkung auf das Contagiuin haben, wie z. B. das Wasser, die Ansteckungs­kraft eines Impfstoffes aufgehoben wird, dass der Impfstoff beim Aufbewahren allmählig schwächer wird; endlich auch noch durch die Erfahrung, class in Ställen, wo mehrere Pestkranke beisammen stehen, die Erkrankungen immer viel schwerer sind. Ausserdem lassen sich die günstigem Verhältnisse nach der Impfung im Ver­gleich zu den Folgen von der natürlichen Ansteckung überhaupt nur auf die quantitativen Verhältnisse zurückführen. Die künst­liche Ansteckung ist von der natürlichen ja nicht weiter verschieden, als dass man eine abgemessene Minimal-Quantität Ansteckungsstoff in den Körper bringt, und gerade bei der Rinderpest tritt es mehr als bei jeder andern Krankheit überzeugend hervor, class die Verschiedenheit der Impfung von der natürlichen Ansteckung nur in quantitativen Verliältnissei\berulit. weil der locale Charakter bei der eingeimpften Schafpocke, der noch die Annahme eines andern Unterschiedes zulässt, bei der geimpften Rinderpest weg­fällt , diese verläuft nach der örtlichen Infection ohne specifische Wirkung an der Impfstelle in denselben Organen und in derselben Extension, wie nach zufälliger Infection.
3)nbsp; nbsp;Die diätetischen Verhältnisse, die wir schon bei den Ein­flüssen auf den Verlauf und bei der Diätetik kennen gelernt haben.
Wie bei den Schafpocken Jahreszeit und Witterungseonstitution von dominirendcn Einflüssen sind, von denen der Erfolg der Impfung .wesentlich abhängig ist, so scheint dies auch bei der Rinderpest zu sein, wie dies aus den Resultaten der Impfungen in Orenburg 1801 und besonders aus der Aeusserung von Kobichew
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(p. 84) hervorgeht, wonach eine heftigere Wirkung des Peststoffes ilurch Kälte und schlechte Witterung bedingt wird, weshalb er die Impfimg im Frühjahr bei günstiger Witterung empfohlen hat. Meine Beobachtungen über den FJuliuss der Witterung auf den Verlauf der Rinderpest bestätigen dies vollkommen.
Eine Mitigirung des Impfstoffes im Pessina'schen Sinne als vierter Factor, der alle übrigen domiuirt und den Erfolg der Impfung sichert, haben die russischen Impfversucbe auch bei der Rinderpest nicht nachgewiesen. Schon früher habe ich*) auf Grund meiner eigenen Erfahrungen bei den Schafpocken die Mitigirung des Impfstoffes überhaupt in Abrede gestellt; meine Widerlegung der Mitigirungsdoctrin hat in der weitern Erfahrung sowohl bei den Schafpocken wie auch bei der Rinderpest ihre Bestätigung gefunden. An der Wiener Schule sind in dem Schafpocken-Impf-Institute dieselben Beobachtungen gemacht; Bruckmüller (Vierteljahrsschrift 1864) sagt, dass es bei oOjähriger Bemühung nicht gelungen sei, (.'inen cultivirten Schafpocken-Impf­stoff hervorzubringen. Bei den Impfungen der Kinderpest ist dies durch fortgesetzte Propogationen bis zur 14ten Generation auch nicht gelungen.
Die allgemeinen Schlusssätze, die sich auch durch die zahl­reichen Impfungen bei der Rinderpest bewährt haben, sind:
1)nbsp; Das Milderwerden des Lnpfstüffes ist ein Schwächerwerden, bedingt durch Abnahme des Contagiums in der palpabeln Substanz.
2)nbsp; Durch fortgesetzte Impfung wird der Impfstoff nicht gradatim milder und geeigneter zum Impl'en: es giebt keine Propagations-stufe, auf welcher der Impfstoff die Höhe der C'.ultur und eine qualitative Milderung in dem Grade erreicht hat, dass eine ge­fahrlose oder doch fast gefahrlose Schutz-Impfung damit möglich wäre.
3)nbsp; Der Impfstoff ist bei leichter Erkrankung milder als bei schwerer, weil die palpabele Substanz weniger mit Contagium ge­sättigt ist. Bei der Binderpest ist es namentlich ganz gleichgültig, ob der mildere Verlauf nach zufälliger Ansteckung oder nach der Impfung erfolgt ist.
4)nbsp; Derselbe Impfstoff in der vermeintlichen vollendeten Culti-virung erzeugt unter ungünstigen Verhältnissen, bei grosser Dispo­sition, bei ungünstigen localen, meteorologischen und diätetischen
*) cf. Allgemeine Therapie 1853. S. 214.
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Verhältnissen überhaupt wieder eine schwer verlaufende Rinderpest,
und der bei solcher schweren Erkrankung entnommene Impfstoff wirkt wieder gerade so, wie' vor der sogenannten Cultivirung.
5)nbsp; Die Schutz-Impfung hat deshalb in Russland mir insoweit einen günstigeren Erfolg,quot; als das Steppenvieh eine geringere Empfänglichkeit besitzt; bei sorgfältiger Beobachtung aller günstig influirendeh Verhältnisse kann daher die Schutzimpfung grade im südlichen Kussland recht gute Erfolge haben, aber keines­wegs sichere.
6)nbsp; Die Schutz-Impfungen mögen deshalb augenblicklich in Russland noch oft vortheilhaft sein, sie werden aber keine stehende Schutzmaassregel abgeben können; man wird auch in Russlaud endlich auf die Schutz- und Tilgungsniaassregeln greifen müssen, die für uns stets von entschiedenster Wirkung gewesen sind, Maass­regeln, die in Russlaud dieselbe radicale Wirkung haben weiden, wenn man hier von dem Phantom der Selbstentwickelung sich freigemacht und das Thierheihvesen organisirt haben wird. Erst wenn dies geschehen ist, dann können wir unsere Schlagbäume an der russischen Grenze wegnehmen und dem Steppenvieh IVei-zügigkeit gestatten: Europa wird dann nicht mehr zu fürchten haben die Geissei der Rinderpest.
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(jreKeichnet voin Thierarzt Rötteken.
Tafel I.
Fig. J3 stellen die Sclileiinhautfiädie mit Pay er'schon Drüsonliaufen des Dünndanns in verseliiedenon Krankheitsstadien dar. Naturgrösse.
Fg. 1. Im (ersten) Stadio der hijeetion. Eine leichtere diffuse Kotlie der Schleimhaut mit Hervortreten kleiner venöser (lefassstiimmc — a; das Ge-fassnetz um die einzelnen Follikeln tritt, als rothe Hülle hervor — b.
Fig. 2. Intensive, diffuse dnnkie KOthc, stellenweis Uebergang ins Schwarze; a) die Schleimhautfläche; 1gt;) aufgeplatzte Follikeln mit einer eiterigen Masse gefüllt; c) käsige Autlagerung.
Fig. 3. Ein areolirter Peyer'scher Plaque; a) die Schleimhaut leicht aschgrau pigmentirt; b) Drüsenhaufen mit ausgefallenen Follikeln; die hellen Puncte stellen ilio Grübchen, die Follikellager, dar, dazwischen die Schleim­haut dunkel sehiefergran.
Fig. 4. Stück von schiefergraüer Dünndarmschleimhaut. Vergr. 100.
a)nbsp; Pigmentkijrnchen;
b)nbsp; Kleine Drusen, Leuciu.
Tafel II.
Fig. ö. Gefössnctz von der Oberfläche einer dunkelrothen Schleimhaut des Labmagens. Der gebliche Grundton deutet auf einen gelingen Grad von Diffusion.
Fig. 6. do. von der Oberfläche einer intensiv dunkelrothen Schleimhaut der Rachenhöhle. Die Stämme sind noch als geschlossene Gefässe zu er­kennen; Capillargefässe nur noch theilweise erkennbar, aber sehr'erweitert und mit Ausbuchtungen; viele mikroskoijischo diffuse Extravasatc. Der gelbe Grundton zeugt von dift'uudirtem Blutroth.
Fig. 5 und 6 Vergr. GG.
Tafel III. Fig. 7. Epithel aus der Rachenhöhle, von der Schleimhaut gelöst und als eine grainveisse Masse aufgelagert.
a)nbsp; Epithel mit vielen kleinen Körnchen; die grosscn Kerne der Pflaster­zellen als gekörnte Haufen erkennbar;
b)nbsp; einzelne Zellen aus der untersten Epithclschicht.
1.nbsp; Platte Epitbelzellen mit einem gekörnten Kerne und wenigen Körnchen in der nächsten Umgebung der Kerne.
2.nbsp; Eine grosso bauchige Multerzelle mit mehreren gekörnten Tochter­zellen.
3.nbsp; Eine grosso spindelförmige Zelle mit gekörnten Kernen,
4.nbsp; Kleine, fast spindelförmige Zellen mit 1—3 Kernen in beginnender Körnclieuhildung.
5.nbsp; Kino gleiche aber kernlose und ganz gekörnte Zolle.
c)nbsp; Freie gekörnte Kerne.
d)nbsp; Molekularer Zerfall — Fettkornchen — zum Thcil in Gruppen ver­einigt, die den Kernen entsprochen und Korne ohne Hüllen darstellen.
llt;ig. S. Dickes aufgelockertes und gelöstes Epithel vom harteu Gaumen, a) Zusammenhängende Pflasterzellen mit vielen Molekülen und grosseu gekörnten Kernen.
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b)nbsp; Spindelförmige, gekörnte Zellen, meist mit mehr als einem Kerne, aus der tiefsten Schicht des Epithels.
c)nbsp; Fein gekörnte Kerne und gekörnter Detritus.
Fig. 9. Normales Epithel von der Schleimhaut des Schlundes desselben Cadavers, von welchem Fig. 7.
Fiy. 10. Epithel von der Schleimhaut des Psalters. Beginnende Köm-chenbildung namentlich in den grossen Kernen.
Tafel IV.
Fiy. 11. Labdrüsen aus dem vierten Magen, gefüllt mit Lahzellen.
a)nbsp; Zwei Schläuche aus dem vierten Wagen eines gesunden Rindes.
b)nbsp; Labzellen aus den normalen Schlüucben.
c)nbsp; Schlauch aus der Schleimhaut eines au der Binderpest gefallenen Rindes.
Fig. 13. Sclileimdrüsen aus der Schleimhaut des Pförtners.
a)nbsp; nbsp;Schlauch von einem gesunden Kinde; daneben einige einkernige Schleimkörper aus dem Schlauche.
b)nbsp; Schlauch von einem an der Pest gefallenen Rinde, daneben einige gekörnte Schlehnzellen aus dem Schlauche. Epithel im Schlauche zerfallen.
Fig. 13. Ein Verticalschnittcben durch die Schleimhaut des vierten Magens an einer Stelle, wo die Schleimhaut in der Gviisse einer Hohne durch Substanzverlust bis gegen die Hälfte ihrer Dicke vertieft war. -- Vergr. 00. — Die palissadenförmig nebeneinander stehenden Labdrttsen zeigen am obern Ende a) den Zerfall; die kleinen Körner sind die Labzellen,
b) stellt einen abgelösten Schlauch bei stärkerer (320) Vergrösserung dar, in welchem gekörnte Labzellen und freie gekörnte Kerne in einer Molekular­masse, besonders am obern Ende liegen.
Fig. 14. Lieberkühn'sche Drüsen;
a)nbsp; aus dem Diinndarni,
b)nbsp; gekörnte Zellen und körniger Detritus aus dem Schlauche a);
c)nbsp; Schlauche aus dem Blinddarm. Fettkörnchenbildung im Ueginnen.
Tafel V.
Fig. 15. Zellen aus den Follikeln der Peyer'schen Drüsenhaufen;
a)nbsp; grosse Mutterzellen, irefüllt mit kleinen Zellen;
b)nbsp; grosse und kleine gekörnte Zellen mit und ohne Kern, freie gekörnte Kerne und Punctmasse. -
Fig. 10. Gekörnte Zellen und molekularer Zerfall ans erbsengrossen Knoten (erkrankte sölitäre Follikeln) des Dünndarms.
Fig. 17. Dicker Schleim von der schieforgrauen Schleimhaut des Dünn­darms. Spärliche gekörnte Zellen und molckuliirer Zerfall.
Fig. 18. Gekörnte Cylinder-Epithelzellen in verschiedenen Entwickelungs-stufen von der runden Keimzellen-Form ab, zum Thcil mit 2 und 3 Kernen; von der Schleimhaut des Dickdarms scharf abgenommen.
Fig. 19. Epithel aus den Lungen:
a)nbsp; gekörnte, ein- oder inehrkcrnigc Epithelzelleh — aus den feinen Bronchien;
b)nbsp; gekörntes Pflaster-Epithel mit elastischen Fasern aus den Torminal-hlaschen. die Kerne deutlich sichtbar.
Fig. 20. Zellen
im kurmgen
Zerfall: ans
'/ä bis 1'quot; dicken Auf-
lagerung — käsiger Beschlag — auf der Schleimhaut der Luftröhre.
Fig. 21. Zellen aus der tiefsten Schiebt eines Exanthems an der Schenkeltlaclie;
a)nbsp; Mutterzellen mit vielen Tochterzellen;
b)nbsp; ausgeschattete, theilweise gekörnte Zellen.
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