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ÜBER

FARBENGEBUNG

VON

W. v. SEIDLITZ

STUTTOART - BERLIN

VERLAG VON W. SPEMANN 190C

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ÜBER

FARBENGEBUNG

VON

W. v. SEIDLITZ

STUTTGART - BERLIN

VERLAG VON W. SPEMANN 19001nbsp;---

RIJKSUNIVERSITEIT UTRECHT

Universiteit Utrecht BIBLIOTHEEKCENTRUM UITHOF

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Druck der Hoffmannschen Buchdruckerei in Stuttgart,

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Die nachfolgenden Aufsatze sind in Spe-manns Museum erschienen. Bis auf einige kleine Berichtigungen gelangen sie hier unverandert zum Wiederabdruck. Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf die Tafeln des Museums.

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I n h a 11

Seite

I.

Die

Bedeutung der Farbengebung .

3

II.

Die

malerischen Ausdrucksmittel

III.

Die

Farbengebung der Frührenaissance .

. 22

IV.

Die

Farbengebung der Blütezeit

• 31

V.

Die

Farbengebung der Neuzeit ....

• 40

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I. Die Bedeutung der Farbengebung.

Der Umstand, dass die Mittel noch nicht gefunden sind, um die Farben der Gemalde auf mechanischem Wege wiederzugeben, erschwert es dem Beschauer, der meist auf die Nachbildungen angewiesen ist, wesentlich, sich von dem Aussehen der Originale eine richtige Vor-stellung zu machen. Wer freilich bereits eine Anzahl Bilder aus den Hauptzeiten der Kunstentwicklung wie aus den verschiedenen Lebensperioden der hervor-ragendsten Künstler gesehen hat, wird sich ohne be-sondere Mühe durch Rückschluss auf verwandte Erzeug-nisse das farbige Aussehen eines bestimmten Bildes ungefahr wiederherstellen können, da die Farbengebung im Grossen und Ganzen dieselbe Stetigkeit in den Ent-wicklungsstufen sowohl der Völker als auch der einzelnen Künstler zeigt, wie die übrigen Bestandteile der Malerei. Wie wenig Menschen sind aber in der Lage, sich eine hierfür ausreichende Kenntnis der verschiedenen Arten der Farbengebung anzueignen; wie schwer haften die Ein-drücke gerade dieser im Gedachtnis; und wie wenig Gewicht pflegt man überhaupt auf die farbige Erscheinung eines Bildes zu legen. Hat sich doch infolge unserer Ge-wöhnung an die farblosen Wiedergaben durch Stich und Photographie mehr und mehr die Anschauung heraus-gebildet, als stelle die Farbe, weil man meist auch ohne sie einen halbwegs ausreichenden Eindruck von dem Wesen eines Gemaldes erhalten kann, nur einen neben-sachlichen, also untergeordneten Bestandteil des Ganzen dar, der ebensogut auch anders hatte ausfallen, ja am

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Ende gar ganz hatte fortfallen können, wahrend man Umriss und Schattengebung für das feste Gerippe und den eigentlichen Kern eines Bildes zu halten pflegt.

Nichts ist aber falscher als diese Anschauungsweise, die sich erst zu einer Zeit hat ausbilden können, da der Sinn für das Malerische durch das verkehrte Streben nach einer plastischen, reliefartigen Wirkung bereits zu-rückgedrangt worden war. Nicht nur bildet die Farbe einen den übrigen durchaus gleichgeordneten Bestandteil innerhalb eines Gemaldes, sondern sie giebt ge-radezu den Ausschlag bei dem Eindruck, den ein Bild auf den Beschauer macht; denn im letzten Grunde ist das Streben des Malers auf die Darstellung der Farbe gerichtet. Das sieht man daraus, dass dort, wo es gilt, die feinsten Unterschiede festzustellen, also z. B. den Meister eines bestimmten Werkes ausfindig zu machen, oder das Original von einer Kopie zu unterscheiden, meist die Farbe die Entscheidung herbeizuführen hat. Sie, die nur mit Mühe und nur annaherungsweise nachgeahmt werden kann, stellt den persönlichsten, am schwersten zu fassenden, durch andere Mittel überhaupt nicht voll auszudrückenden Inhalt des Kunstwerkes dar, bildet daher auch das scharfste Unterscheidungszeichen zwischen einem Werke der Malerei und dem Erzeugnis einer der Schwesterkünste. Wohl tritt sie je nach der Behand-lungsweise und nach der Bestimmung der Werke mehr oder weniger stark hervor, weshalb man eine Reihe scharf gesonderter Arten der Farbengebung, die nicht etwa bloss historisch zu erklaren sind, sondern in dem Wesen der Malerei selbst ihren Grund haben, vonein-ander unterscheiden kann: immer aber wird die Farbe in den Werken der Malerei die Bekrönung des Gebaudes bilden, das der Künstler aufführt.

Es hat ja Zeiten gegeben, in denen das farbige Element so stark zurückgedrangt worden ist, dass es

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thatsachlich nur eine ganz untergeordnete, ausserliche Rolle spielte, also ebensogut oder noch besser ganz hatte fortbleiben können; das waren solche Zeiten, die entweder der Zeichnung, also dem Umriss, oder der Modellierung, also der plastischen Herausarbeitung der Gestalten, ein so einseitiges Uebergewicht gönnten, dass das Werk den Charakter eines Gemaldes überhaupt verlor und zur zeichnerischen Nachbildung eines Erzeug-nisses der Plastik, sei es eines Reliefs, sei es einer frei-stehenden Figur oder Gruppe wurde. So hat jene klassi-zistische Zeit, die zu Ende des vorigen und zu Anfang unseres Jahrhunderts herrschte, einseitig den Umriss betont, den sie nur durch etwas Modellierung und Farbung zu heben suchte. Da sie nicht über die Wirkung eines an die Flache gebannten Reliefs hinausstrebte, blieb sie im Grunde Zeichnung. — Für Michelangelo andererseits war die Modellierung wiederum alles, die Farbe nur eine Zuthat, deren Anbringung er wohl auch, wie z. B. bei der Auferweckung des Lazarus, anderen, hier dem Sebastiano del Piombo, überliess; er blieb also auch in seinen Malereien stets der Plastiker. — Gerade solche Einseitigkeiten zeigen aber, dass Zeichnung und Modellierung nicht als Vorstufen und blosse Vorbereitungen für die Farbung angesehen werden dürfen. Denn in den Werken der eigentlichen Malerei sind sie, wo sie an-gewendet werden, von der Farbe nicht zu trennen. Dass beide für sich allein schon Daseinsberechtigung be-sitzen, andert an dieser Thatsache nichts. Wohl aber spricht dafür der Umstand, dass der eine dieser beiden Bestandteile, namlich die Modellierung, wie wir gleich sehen werden, auch vollstandig fortfallen kann, ohne dass das Ganze dadurch eine Einbusse zu erleiden braucht.

Durch einige moderne Impressionisten ist freilich andererseits der Versuch gemacht worden, das Bild in

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gleich einseitiger Weise allein auf der Farbe, unter Auf-lösung der Form und zwar gerade des Umrisses, auf-zubauen. Doch sind befriedigende Ergebnisse damit nicht erzielt worden, wie sie auch nicht denkbar sind, da Form wie Farbe nur durch die Umgrenzung bestehen.

Im übrigen herrschen innerhalb des Gebietes der Malerei die verschiedensten Arten, die Farbe zu verwenden und zu betonen. Am starksten kommt sie in der rein dekorativen, von der Modellierung ganz oder so gut wie ganz absehenden Malerei zur Geltung. Hier kann sie frei nach Willkür gewahlt werden, da es sich dabei nicht um das treue Abbild eines Natureindruckes handelt, sondern nur um die Erzielung einer für das Auge wohlgefalligen Wirkung, die sowohl durch die Gegenüberstellung stark voneinander abweichender Farben wie durch den Zusammenklang einander nah verwandter Töne herbeigeführt werden kann. In beiden Arten haben die Japaner Mustergiltiges geleistet. Die Malerei der Griechen scheint wahrend ihrer Blütezeit auf diesem Grundsatz der Dekoration beruht zu haben, wahrend sie spater und so auch die der Römer mehr naturalistische Wirkungen erstrebte; zum dekorativen Prinzip kehrten dann wieder die Byzantiner zurück, deren Richtung sich durch die Schule Giottos wie andererseits die früh-gotischen Schulen Nordeuropas hindurch bis zur Be-gründung der Renaissance durch Masaccio und die Van Eycks fortsetzte.

Wahrend des 15. Jahrhunderts wandelte nur noch Piero della Francesca, bei dem die Modellierung auf das geringst denkbare Mass zurückgeführt ist, diese Pfade. In der neuesten Zeit aber hat Puvis de Cha-vannes eine ahnliche Behandlungsweise wieder zu Ehren gebracht. Umriss und Farbe gehen dabei gesondert nebeneinander her, indem der Umriss auch für sich allein genommen, die Farbe aber beliebig gewechselt werden

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kann; die Farbe dient jedoch dabei weder den Zwecken der Raumdarstellung noch denen der Modellierung, son-dern beansprucht für sich eine selbstandige Bedeutung, die umsomehr abgeschwacht werden muss, je naher man dem Naturvorbilde bleiben will. Daher das teppich-artige Aussehen dieser stilisierten Malerei gegenüber der kraftigen Wirkung, die in dem reinem Ornament erzielt werden kann. Wie weit sich dabei der Künstler vom Naturvorbilde entfernen will, das hangt ganz von seinen besonderen Zwecken ab: der stilisierenden, von der Schattengebung so gut wie ganz absehenden Behandlung kann er alles, was seinem Auge begegnet, unterwerfen, die Landschaft wie die lebenden Wesen, die Erschei-nungen der Luft wie die Stofflichkeit der Erde.

Diesen Bestrebungen ist die moderne Freilichtmalerei insofern verwandt, als sie gleichfalls von der Modellierung durch heil und dunkel absieht und ihre Bilder ganz auf dem Gegensatz der Farben aufbaut. Darin aber weicht sie von jenen durchaus ab, dass sie auf eine möglichst tauschende Wiedergabe des Naturbildes aus-zugehen sucht. Um hierbei die Harmonie zu wahren, die in der Natur durch Licht und Luft herbeigeführt wird, sieht sie sich genötigt, die erforderliche Ab-schwachung der Farbe durch ein Geschiebe einzelner mehr oder weniger greller Farbenpunkte herbeizuführen. Sind in ihr auch die Schatten durchaus farbig, so neigt sie in den höchsten Lichtern zu voller Farblosigkeit, die sich bis zur Kreidigkeit steigern kann. Die Aufgaben, deren hier genug noch vorliegen, diirften, wenn die Farbe in dem erreichbaren Umfange gewahrt werden soll, auf dem Wege der dekorativen Behandlung zu lösen sein, also unter teilweisem Verzicht auf das Ideal der unbedingten Naturwahrheit, ohne dass deshalb irgend welcher Konventionalismus einzutreten brauchte.

Einen Mittelweg zwischen diesen vornehmlich auf

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der Farbe beruhenden Arten der Malerei und der die gesamte neuere Zeit von der italienischen Hochrenais-sance an beherrschenden sogenannten Helldunkelmalerei stellt diejenige Behandlungsweise dar, die durch das ganze 15. Jahrhundert hindurch im Norden wie im Süden Europas herrschend war und als die schönfarbige be-zeichnet zu werden pflegt. Ist sie auch im Grunde nichts anderes als eine Weiterbildung der durch das ganze Mittelalter hindurch herrschenden römischen, auf der Vormodellierung beruhenden Malweise, so geht sie doch durch das Bestreben, die Körperhaftigkeit der Ge-genstande wie die Tiefe des Raumes nicht nur anzu-deuten, sondern tauschend wiederzugeben über jene weit hinaus. Beide beruhen noch auf dem Grunde der vollen Farbigkeit im Licht wie im Schatten, die dadurch erreicht wird, dass hier wie dort eine gedampfte Be-leuchtung bei möglichst klarer Luft gewahlt wird; aber die Modellierung gewinnt hier bereits eine selbstandige Bedeutung, wie dies in der farblosen Wiedergabe, die sich nun nicht mehr auf den blossen Umriss beschrankt, deutlich zu Tage tritt. Von ihren Begründern, Masaccio einerseits, den Brüdern van Eyck andererseits, bis zu den Venezianern des 16. Jahrhunderts, den Bellini, Gior-gione, Tizian, bleibt diese Art im wesentlichen unver-andert bestehen; es giebt freilich einzelne Meister, wie z. B. Jan von Eyck und Mantagna, die die Modellierung soweit durchbilden, dass man sich versucht fühlt, zu fragen, ob hier nicht die Modellierung bereits über die Farbe überwiege; bei anderen wiederum, wie namentlich bei Tizian, springt die Bedeutung der Farben so deutlich in die Augen, dass man der Modellierung fast vergisst und schlechtweg ein Bild der dekorativen Art vor sich zu haben glaubt: thatsachlich ist aber doch der innige Zusammenhang und das vollkommene Gleichgewicht von Umriss, Modellierung und Farbe stets gewahrt.

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Erst Lionardo führte einen neuen Grundsatz in die Malerei ein, der allmahlich immer weitere Aufnahme fand und bald zum alleinherrschenden wurde, der er auch bis heute geblieben ist. Seine Braununtertuschung des ganzen Gemaldes, die schliesslich, als man vom kühleren Graubraun zum warmen Rotbraun und weiterhin sogar zum Schwarz überging, dazu führte, die Farbe aus dem Schatten wie aus dem Lichte so gut wie voll-standig zu verbannen , und sie nur in den Mitteltönen mehr oder weniger rein bestehen liess, -— das Hell-dunkel —, war freilich gleichfalls nicht etwa der Art sondern nur dem Grade nach von der bisherigen Be-handlungsweise verschieden; gerade die Meister, die gleich anfangs diese Technik auf ihren Höhepunkt er-hoben haben, allen voran Raphael, haben dabei die volle Leuchtkraft der Farbe in den Schatten wie in den Lich-tern zu wahren gewusst: aber der Weg zu einer ein-seitigen Betonung des Gegensatzes von Heil und Dunkel war damit immerhin geboten, und dieser führte die nach-folgenden Maler immer mehr dazu, die Lokalfarben zu Gunsten einer einheitlichen Beleuchtung zurtickzudrangen und ihre Bilder nun, statt von vornherein in Farben, vor allem auf das Verhaltnis von Licht und Schatten hin zu sehen. Mit der Verfeinerung der Modellierung und der Vertiefung des Raumes, die mit solchem Streben Hand in Hand ging, machte die Fahigkeit, die Natur tauschend nachzuahmen, noch einen weiteren Schritt vorwarts; doch steigerte sich zugleich auch die Gefahr, die bildmassige Wirkung, die auf dem Gleichgewicht aller malerischen Bestandteile beruht, aus dem Auge zu verlieren: was denn auch nicht lange ausblieb.

Eine Reihe von Kiinstlern, die wir als die Meister des Helldunkels feiern, namentlich Rembrandt und Velaz-quez, haben durch die Wahl einer starken und mög-lichst auf einen Punkt gerichteten Beleuchtung diejenige

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Art der Farbung, welche Licht und Schatten von einem bald goldigen, bald silbrigen Licht überflutet und durch-zittert zeigt, auf ihren Höhepunkt gebracht und dabei jene Feinheit des wesentlich auf Grau und Braun ge-stimmten Gesamttones erreicht, welche in der Natur am Gefieder der meisten Vogel, im Mineralreich an den Ge-schieben der Gesteine wahrzunehmen ist. Hier gehen Farbe und Modellierung wieder völlig Hand in Hand, die Einheitlichkeit ist durch die gleichmassige Aus-breitung des aus einer Unzahl kleinster Farbteile ge-bildeten Lichtes erreicht, aber die Klarheit des Aufbaus des Ganzen, namentlich des Umrisses leidet durch das Fehlen scharf gegeneinander abgegrenzter Farbenflachen. Um eine zeichnerische Auffassung, wie man wohl ge-meint hat, handelt es sich hierbei nicht, da die Grund-anschauung, von der der Künstler ausgeht, immer noch die farbige ist, ja eine solche, die in der farblosen Re-produktion sich noch weniger wiedergeben lasst, als selbst die eines schönfarbigen Bildes: aber die Scheide-wand, die diese Art von dem Stich und der Radierung trennt, ist freilich nur dünn.

Welche von den geschilderten Arten der Farbengebung auch in einem Gemalde angewendet werde, ob eine solche, die sich mehr dem in der Farbenwahl ganz unbeschrankten dekorativem Prinzip nahert, oder eine, die hart an das Gebiet der farblosen Zeichnung streift: immer wird das Streben darauf gerichtet sein müssen, dem schmückenden Zweck zuliebe an der Einheit der inneren Anschauung festzuhalten, die scheinbare Natur-treue aber, soweit sie nur durch Uebertreibungen und Einseitigkeiten erkauft werden kann, zu meiden. Leucht-kraft der Farbe und zeichnerische Modellierung stehen zueinander insofern in einem ausschliessenden Verhalt-nis, als der eine Teil mehr zurücktreten muss, soll der andere starker hervorgehoben werden. Will man aber

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dem Eindruck der Natur nach Möglichkeit nahe kommen, so lasst sich das nur dadurch erreichen, dass ein jeder dieser beiden Teile entsprechend abgedampft wird. Ein verfehltes Bestreben ist es, Form und Farbe in voller Starke verbinden zu wollen. Fast zu allen Zeiten hat ihm freilich die Masse der Maler, also der Durchschnitt, gehuldigt; aber nur ganz vereinzelt ist es einem be-sonders hervorragenden Künstler, wie am meisten noch Jan von Eyck und Holbein, gelungen, einem solchen Ideal einigermassen nahezukommen. Gewöhnlich wird dieser Realismus, der dem ungeschulten Auge der grossen Menge entgegenkommt und schliesslich in der Theater-und Panoramenmalerei seine höchsten Triumphe feiert, nur zur Unnatur, zu jener Scheinkunst führen, die den Eindruck der Natur hervorrufen will, thatsachlich aber die grösste Unwahrheit darstellt, da sie über dem Streben nach Deutlichkeit die Einheitlichkeit der Erscheinung aus dem Auge verliert.

Wie der Maler nur einen Teil der Naturerschei-nungen mit seinen Mitteln wiederzugeben vermag, so wird er um dieser Einheitlichkeit willen auf manches zu verzichten, anderes aber wieder zu erganzen haben, will er sich nicht mit der Wiedergabe eines beliebigen Ausschnitts aus der Natur begnügen. Was er zu bieten vermag, ist nur ein Gleichnis, eine Annaherung an die Natur, die sich mit ihr nicht deckt, sondern zu ihr im Verhaltnis des Parallelismus steht. Wie der Maler weiterhin nur gewisse Gegenstande als für die Darstel-lung auf der Flache geeignet befinden, andere aber dem Plastiker überlassen wird, so wird er auch nach dem Gegenstande, den er ins Auge gefasst hat, sich ent-weder für die farblose Darstellung in Stich oder Zeich-nung, oder für die farbige als Gemalde entscheiden, wobei er wiederum zu berücksichtigen haben wird, welche Art der Vorführung hierfür besser am Platze

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ist, die dekorative, die schönfarbige oder die im Hell-dunkel.

Neben diesen Beweggründen, die in dem Gegen-stande selbst liegen, wird die persönliche Anlage, die den einzelnen Künstler dazu hinleitet, die Farbe mehr oder weniger stark zu betonen, wohl auch zur Geltung kommen; doch wird sie stets zurücktreten gegentiber dem Einfluss, den die zur Zeit herrschende Anschauung und Technik auf ihm ausübt. Zum Einteilungsprincip eignet sich also auch auf diesem ganz persönlichen Ge-biet der Kunstübung nicht sowohl die individuelle Eigen-art der Künstler als die verschiedene Behandlungsweise der Farbengebung, welche in den einzelnen Zeiten der geschichtlichen Entwicklung herrschend gewesen ist.

II. Die malerischen Ausdrucksmittel.

Goethe hatte, wie er in seiner Farbenlehre be-kennt, ursprünglich nach den Gesetzen gesucht, denen die Farbengebung auf den Gemalden unterworfen ist. Wahrend aber über die sonstigen Teile der Malerei ge-nau Rechenschaft gegeben werden konnte, schien bei der Farbung alles dem Zufall überlassen zu sein, dem Zufall der durch einen gewissen Geschmack, einem Ge-schmack der durch Gewohnheit, einer Gewohnheit die durch Vorurteil, einem Vorurteil das durch Eigenheiten des Künstlers, des Kenners, des Liebhabers bestimmt wurde. Bei den Lebendigen war kein Trost, ebenso wenig bei den Abgeschiedenen, keiner in den Lehr-büchern, keiner in den Kunstwerken. — Er konnte nur bemerken, dass die lebenden Künstler bloss aus schwan-kenden Ueberlieferungen und einem gewissen Impuls handelten, dass Helldunkel, Kolorit, Harmonie der Far-

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ben immer in einem wunderlichen Kreise sich durch-einander drehten. Was man ausübte, sprach man als technischen Kunstgriff, nicht als Grundsatz aus. — Da suchte er denn den Farben als physischen Erscheinungen erst von der Seite der Natur beizukommen. Bei seinem italienischen Aufenthalte versaumte er nicht, die Herr-lichkeit der atmospharischen Farben zu betrachten, wo-bei sich die entschiedenste Stufenfolge der Luftperspek-tive, die Blaue der Ferne sowie naher Schatten, auf-fallend bemerken liess. Beim Scirocco-Himmel, bei den purpurnen Sonnenuntergangen waren wiederum die schönsten meergrünen Schatten zu sehen. In Weimar schlossen sich dann an solche Beobachtungen jene Unter-suchungen an, aus denen die Farbenlehre hervorwuchs.

Den gleichen Weg wird ein jeder zu betreten haben, der sich über das Wesen der malerischen Aufgaben in der Natur und über die Mittel Rechenschaft zu geben sucht, welche dem Maler für deren Lösung zur Ver-fügung stehen. Zunachst kommt es dabei auf die Art an, wie die Farben entstehen, die sich an der Ober-flache der Gegenstande als deren Lokalfarben bemerk-lich machen; dann auf die Abanderungen, die diese Farben durch das Dazwischentreten der Luft und den Wechsel der Tagesbeleuchtung erfahren.

Die Lokalfarben gestalten sich ganz verschieden, je nachdem es sich um durchsichtige oder undurch-sichtige, um glatte oder rauhe Stoffe handelt. Die Brechungsfarben, die man am Wasser, an geschliffenen farblosen Edelsteinen, am Glas wahrnehmen kann, vermag der Maler nur annaherungsweise wiederzugeben. Ebenso geht es ihm mit den sogenannten Interferenz-farben, die durch das regelmassige Gefüge kleinster übereinander gelagerter Bestandteile von verschiedener Farbung wie an den Muscheln, den Kristallen, den Fisch-schuppen, den Vogelfedern, dem Feil der Tiere gebildet

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werden. Dagegen spielen in der Malerei diejenigen Farben die grösste Rolle, welche durch die Absorption ihrer Komplementarfarbe entstehen, also derjenigen Farbe, welche mit der sichtbaren gemischt weiss ergeben würde. Das sind die Farben der Kategorien Rot, Orange, Gelb einerseits, Grün, Blau, Violett andererseits; je nach der Beschaffenheit der Oberflache, wie z. B. bei der glan-zenden Seide und andererseits der flockigen Wolle, werden sie sehr verschieden erscheinen; ebenso je nach der Starke und dem Einfallswinkel des Lichts, welches die einzelnen Flachen trifft und dadurch die Modellierung des Gegenstandes hervorbringt. Die Reflexe der Umgebung, wozu auch das Blau des Himmels gehort, bewirken weitere Aenderungen. Am höchsten steigern sich die Schwierigkeiten bei der Darstellung des mensch-lichen Körpers in der unendlichen Mannigfaltigkeit seiner Flachen, der Verschiedenartigkeit ihres Unterlagers und dem hieraus hervorgehenden Spiel der warmen und kalten Töne, die Goethe als durch Organisation neu-tralisiert bezeichnet.

Diese Farben der Gegenstande werden je nach ihrer Entfernung vom Auge durch das, was man Luft-perspektive nennt und früher unter der Haltung eines Gemaldes verstand, abgeandert. Darunter ist nicht so-wohl das Verschwimmen der Farben bei zunehmender Entfernung zu verstehen, das um so rascher erfolgt je kleiner die einzelnen Farbenflachen, je unreiner ihre Farben sind und je naher dabei sich erganzende Farben aneinanderstossen, als vielmehr die Trübung der Farben durch das Dazwischentreten der Atmosphare, sei es eines leichten weisslichen Wasserdampfes, sei es eines dünnen weisslichen Staubes. Durch diese farblose, durchsichtige Substanz, die durch ein loses Gemenge weniger durch-sichtiger Teilchen erzeugt wird, werden jene Farben hervorgebracht, die man als durch trübende Medien ent-^

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standen bezeichnet; und zwar ergibt sich, wenn der Gegenstand, vor den sich die Atmosphare lagert, dunkel ist, bei dünnster Luftschicht das starkste Blau, mit zu-nehmender Dichtigkeit dieser Luftschicht aber Blaugrau, Grau, endlich Weiss; vor hellem Grunde wiederum Gelb, Orange und Rot, endlich aber Braun, Grau und Weiss. Schon Lionardo hatte erkannt, dass es sich dabei um dieselbe Erscheinung handelt wie jene, die man bei dem Aufsteigen des Rauches vor einem sei es dunklen sei es hellen Gegenstande beobachtet. Solche Wirkungen lassen sich in der Malerei durch das Ueber-einanderlegen von Farbschichten vortrefflich wieder-geben.

Grundverschieden erscheint die Luftperspektive im Norden von der im Süden. Durch die trübe Luft des Nordens werden die Farben wie die Lichter und die Schatten gedampft; gleich dem gewöhnlichen Nebel lagert sich ein Schleier von blaulich-grauer Farbe über die Ferne, alles harmonisierend und zwar um so starker, je mehr die Luft, wie an Meeresküsten, mit Wasser-teilchen geschwangert ist. In der klaren, durchsichtigen Luft des Südens dagegen, wo die trübenden Teilchen sehr klein sind, erscheinen alle Gegenstande sehr scharf, die Ferne, entsprechend der dazwischen liegenden Luftschicht, entschieden blau, stark beleuchtete Gegenstande schimmern hier noch selbst durch dicke Luftschichten gelb oder rot durch.

Unter den Himmelserscheinungen erweckt zunachst das Blau der Luft die Aufmerksamkeit. Dieses entsteht dadurch, dass die dünnen und sehr reinen höheren Luftschichten diejenigen Strahlen des Sonnenlichtes, welche in ihrer Mischung blau ergeben, also die kurzwelligen, besser reflektieren als die langwelligen. Diese Himmels-farbe, die die Schatten der Ferne, namentlich der Berge, je dunkier diese sind um so starker blau erscheinen

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lasst, wandelt sich in den Schatten bei sehr starkem Licht durch die Einwirkung des Gegensatzes sogar in Violett ab, das bei voller Mittagsbeleuchtung auch in den Schatten naher Gegenstande seine Rolle spielt. — Die Erscheinungen der Morgen- und Abendröte werden dadurch hervorgerufen, dass die Atmosphare zu Beginn und am Schluss des Tages trüber, die Starke des Sonnen-lichtes aber geringer ist als zur Mittagszeit. In beiden Fallen dringt das Licht in unser Auge, ohne dass wir die Sonne selbst sehen, sei es dass sie noch nicht auf-gegangen ist, sei es dass sie unseren Blieken bereits entschwunden ist. Da die Atmosphare am Abend in der Regel trüber, am Morgen reiner ist, so pflegt die Abendröte mehr rot, die Morgenröte mehr orange zu sein.

Zur Darstellung dieser verschiedenartigen Phano-mene stehen dem Maler die in durchsichtige und un-durchsichtige gesonderten Farben zur Verfügung, deren Wirkung er je nach der Art ihres Auftrags und ihrer Verbindung verschieden gestalten kann. Die mehr oder weniger grosse Durchsichtigkeit der Farben beruht dar-auf, dass die einzelnen Farbenkörper beim Anreiben einer grosseren oder geringeren Menge von Bindemitteln bedürfen, um die fürs Malen nötige Konsistenz zu er-halten; Terra di Siena z. B. braucht 183, Bleiweiss dagegen nur 14 Teile Leinöl. Je nachdem, entsprechend der Beschaffenheit der darzustellenden Gegenstande, mehr Licht entweder zurückzuwerfen oder durchzulassen ist, wird der Maler die deckenden oder die durchsich-tigen Farben anwenden. Gilt es einer Farbe Leucht-kraft zu verleihen, so wird dies durch die Verwendung eines weissen Grundes am besten zu erzielen sein; die Verwendung farbiger oder dunkier Gründe vermag weitere Verschiedenheiten in den Wirkungen herbeizu-führen; dünne Schichten einer deckenden Farbe lassen sich als trübendes Medium verwenden.

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Dieses Uebereinanderlegen und Durchschimmern-lassen der Farben bildet die wichtigste, schwierigste und mannigfaltigste Art des Farbenauftrags; es erfordert die grösste Ueberlegung, die ausgedehnteste Erfahrung und hat in den Zeiten lebendiger Kunstüberlieferung deren wesentlichen Inhalt gebildet. Daneben kommt das unmittelbare Mischen der Farben in Betracht, das in den früheren Zeiten nur mit grosser Zurückhaltung geübt wurde, seit den letzten Jahrhunderten aber die allgemeine Regel bildet; und weiterhin das Nebenein-andersetzen von Farben, die durch die Vermischung ihrer Wirkung ein neues Ganzes bilden, die beabsich-tigte Wirkung also durch die Auflösung einer Farbe in ihre einzelnen Bestandteile erzielen. Die letztgenannte Art des Farbenauftrags, die in früheren Zeiten nur ganz ausnahmsweise zur Darstellung bestimmter Wirkungen des grellen Sonnenlichts verwendet wurde, hat erst in jüngster Zeit eine ausgedehntere Bedeutung gewonnen, kommt hier also nur wenig in Betracht.

Durch alle diese Mittel ist der Thatigkeit des Malers ein weites Feld geöffnet, wobei er nur darauf zu achten hat, dass er neben der richtigen Darstellung der Körper-lichkeit und des Raumes auch die Klarheit und Leucht-kraft des Farbenbildes an und für sich wahre. Denn mag er auch mehr zur naturalistischen oder mehr zur stilisierenden Behandlungsweise sich hinneigen, die Farbe wird er, ausser als ein Mittel zur Verdeutlichung des Gegenstandlichen, als einen selbstandigen Bestandteil des Bildes, der gleich dem Ton in der Musik seine eigenen Wirkungen ausübt, im Auge zu behalten haben. Die Farben reden eine eigene Sprache, die man als ihre Symbolik zu bezeichnen pflegt. Hierüber seien, in teil-weisem Anschluss an Goethes Farbenlehre, noch einige Worte gesagt.

Der Maler Runge wies den drei Grundfarben, Gelb,

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Rot und Blau, die Stellung an, dass das Gelb, als die dem Weiss zunachst benachbarte Farbe, am Anfang jener Reihe der warmen Farben steht, die sich durch das Orange (das in Rotgelb einerseits und Gelbrot andrerseits zerfallt) bis zum reinen Rot hinzieht; wah-rend das Blau wiederum, das an das Schwarz angrenzt, durch das Violett hindurch (zunachst Rotblau, dann Blaurot) gleichfalls bis zum Rot geht, die Reihe der kalten Farbe bildend; das Rot aber stellt den Be-rührungspunkt beider Reihen dar. Nach der entgegen-gesetzten Seite schliesst endlich Grün, als die Mischfarbe von Gelb und Blau, den Kreis der Farben ab.

Ueber die Wirkung der einzelnen Farben macht nun Goethe die folgenden Bemerkungen. Gelb wirke immer heil, munter und warm, daher es der beleuch-teten Seite der Darstellung zukomme. Das ist dahin einzuschranken, dass es je nach seinem besonderen Charakter bisweilen auch kalt wirken kann, wie gerade beim Golde, worin Goethe den Höhepunkt dieser Farbe zu erblicken geneigt ist. Richtig ist dagegen, dass das Gelb gegen Trübung, wie eine solche durch die Rauhig-keit des Stoffs, also z. B. Wolle im Gegensatz zur Seide, hervorgerufen werden kann, sehr empfindlich ist. — Das Rotgelb (Orange) wird man nicht mit ihm als eine Verstarkung und Erhöhung des Gelb, sondern eher als eine Trübung desselben und als eine Ueberführung zum Rot anzusehen haben. — Dem Gelbroten (Zinnober) haftet der Charakter des Gewaltsamen an, so dass es selbst noch bei einem ziemlichen Grade von Dunkelheit wirkt. Kraftige, gesunde, natürliche Menschen, in hohem Grade die Kinder und die Naturvölker, fühlen sich da-her zu dieser Farbe, welche selbst auf Tiere erregend wirkt, besonders hingezogen.

Im Gegensatz zu diamp;en Farben habe das Blau einen ausgesprochen dunklen, kühlen, beruhigenden

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Charakter; es sei die Farbe der Schatten, der Tiefe und der Ferne; durch einen Beisatz von Grün, als Meer-grün, gewinne es einladenderes Aussehen. Das Rot-blau (Violett) wird man auch hier nicht mit ihm als eine Steigerung, sondern vielmehr als eine Trübung des Blau anzusehen haben; selbst zu Lila verdünnt, bewahrt es immer noch viel von seinem kühlen Charakter. Das Blaurot (Purpur) wirkt aufregend, wenn es in voller Starke genommen wird.

Beide Reihen vereinigen sich in dem reinen Rot (Karmin) als in ihrem Höhepunkte, einer Farbe, die den Eindruck der Pracht hervorruft und daher als Symbol der Herrschaft verwendet zu werden pflegt; zum Rosa abgeschwacht, kann es als die Farbe der Jugend an-gesehen werden. Je nachdem dessen kalte oder warme Seite mehr betont wird, lasst es sich unendlich ver-schieden gestalten. Grün, die Verbindung von Blau und von Gelb, wirkt, wenn beide sich in der Mischung genau das Gleichgewicht halten, als ein Einfaches, das volle Befriedigung und Sattigung schafft. — Am Weiss und am Schwarz, die in der Koloristik eine so bedeutende Rolle als Sammelpunkte der höchsten Leuchtkraft wie der grössten Ruhe spielen, geht Goethe bezeichnender Weise mit völligem Stillschweigen vorüber.

Auf physiologischem Wege erklaren sich diese verschiedenen Wirkungen der einzelnen Farben aus der Starke der Schwingungsverhaltnisse, die die Wahrnehm-barkeit dieser Farben ermöglichen. Der geringsten Starke bedürfen die grünen Strahlen, um im Auge eine Licht-empfindung hervorzurufen; etwa 11/2 mal so gross muss die Starke der Aetherbewegung bei den grünblauen, 3 bis 4 mal so gross bei den blauen, 15 bis 17 mal so gross bei den gelben und am allergrössten, namlich 25 bis 34 mal so gross, bei den roten Strahlen sein, damit sie als Licht wahrgenommen werden können.

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Weiterhin rufen die Farben, je nachdem sie mit einander zusammengestellt werden, verschiedene Farben-empfindungen hervor. Bestimmend ist dabei zunachst das in den Menschen gelegte Streben, sich nicht beim Anblick einer einzelnen Farbe zu beruhigen, sondern sofort dabei die erganzende Farbe, die mit jener zu-sammen erst ein harmonisches Ganze bildet, mit zu empfinden; also beim Gelb das Violett, beim Blau das Orange, beim Rot das Grün, und ebenso umgekehrt. Das sind die sogenannten Komplementarfarben.

Andere Farbenzusammenstellungen, die Goethe im Gegensatz zu diesen harmonischen als die charakteri-stischen bezeichnet, wecken bestimmte Empfindungen eigener Art, wenn sie auch den beruhigenden Eindruck eines geschlossenen Ganzen entbehren lassen. Indem sie diejenigen Farben, aus deren Verbindung die Misch-farben, also die Zwischenfarben der drei Grundfarben hervorgehen, gesondert neben einander vorführen, nötigen sie das Auge, sich diese Mischfarben selbst zu bilden,, was jedoch nur dann gelingt, wenn kleinste Farbenteil-chen, fortlaufend nebeneinander gelagert, aus der Ferne betrachtet werden, wie solches an den Gemalden vieler moderner Impressionisten beobachtet werden kann. Dieser Zusammenstellungen giebt es vier: Gelb und Blau bilden die einfachste aber auch die armste, da in ihr jede Spur von Rot fehlt, wofür sie freilich dem beruhigenden Grün am nachsten steht; Gelb und Karmin, wenn auch ein-seitig nur aus warmen Tönen gebildet, wirken heiter und prachtig, ahnlich dem Zinnober; Blau und Karmin* ahnlich auf der Seite der kalten Töne, entsprechen dem Purpur; endlich Zinnober und Purpur, wirken erregend und erinnern an das Karmin.

Zusammenstellung nah benachbarter Farben dient oft bestimmten Zwecken in den Gemalden, macht sich aber im ganzen wenig fühlbar; Grün mit Gelb einer-

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seits, mit Blau andrerseits verbunden, hat gewöhnlich sogar etwas Gemeines.

Durch die Zusammenstellung heller mit dunklen Tonen werden weitere Verschiedenheiten erzielt, wobei der Augenschein lehrt, dass warme Farben in der Nahe von Schwarz an Leuchtkraft gewinnen, kalte dagegen verlieren; wahrend letztere wiederum durch die Nahe des Weiss aufgeheitert werden. Karmin und Grün mit Schwarz sieht dunkel und düster, mit Weiss hingegen erfreulich aus.

Die reinen Farben, Rot, Gelb und Blau, lassen sich zu je zweien mischen; alle drei zusammen heben sich in Grau auf. Die Mittelfarben: Grün, Orange und Vio-lett, lassen sich dagegen nicht mit einander mischen, da sie durch das Hinzukommen eines Teiles der dritten Farbe beschmutzt werden. Zusammengenommen aber heben sie sich gleichfalls in einem reinen Grau auf, da dann die Grundfarben wieder gleich stark vertreten sind. Zusammenstellungen wie die zu einem blaulichen Orange, rötlichen Grün oder gelblichen Violett, von denen Runge sagt, sie erinnerten ihn an Ausdrücke wie »südwest-licher Nordwind«, erscheinen jetzt nicht mehr ganz so undenkbar wie damals: etwas Widerspruchsvolles und Aufreizendes behalten sie aber stets.

Alle diese Farben nun mit ihren besonderen Eigenschaften und ihren eigenen Mischungs- und Verbindungs-gesetzen kann der Maler zur Darstellung bestimmter Naturerscheinungen und weiterhin zur Schilderung bestimmter Empfindungen verwenden, die in seiner Seele ruhen. Wie in der Natur durch den Gegensatz der kalten Schatten zu den warmen Lichtern ein Mischungs-verhaltnis beider Farbengattungen geboten ist, so wird der Maler auch im Bilde das Gleichgewicht dieser beiden Stimmungen aufrecht zu erhalten suchen, wobei er je nach seinen besonderen Zwecken bald, um den Eindruck

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des Lebendigen zu erzielen, mehr die warmen, bald, um ruhige Tiefe auszudrücken, mehr die kalten Töne verwenden wird. Je starker die Wirkung sein soll, die zu erzielen er beabsichtigt, um so weniger wird er sie durch eine gar zu ausgedehnte Anwendung von Kom-plementarfarben beeintrachtigen dürfen. Bei der Wahl der Farben, welche in einem Gemalde vorherrschen sollen, wird er dessen eingedenk zu sein haben, dass, je geringer deren Anzahl, um so kraftiger die Wirkung ist; wahrend bei der Verwendung einer grossen Zahl leuchtender Farben wohl der Eindruck des Glanzes und der Pracht erzielt werden kann, aber zum Teil nur auf Kosten der ursprünglichen Kraft der Anschauung.

III. Die Farbengebung der Frührenaissance.

Im Laufe der fünf Jahrhunderte, die seit der Be-gründung der neuzeitlichen Malweise verflossen sind, hat die Farbengebung mancherlei Wandlungen durch-zumachen gehabt. Im 14. und 15. Jahrhundert huldigte sie noch ganz dem mittelalterlichen Grundsatz, die Kom-position in dekorativer Weise auf dem Gleichgewicht der einzelnen Farbenflecke aufzubauen; zur Zeit der Hochrenaissance leitete sie allmahlich zu einer modellierenden Weise über, welche wesentlich den Gegensatz von heil und dunkel hervortreten liess; im 17. Jahrhundert gelangte diese neue Auffassungsweise zu voller, wenn auch nicht ausschliesslicher Herrschaft; doch auch noch in der Folgezeit blieb das Streben nach einer mehr die Farbe betonenden Behandlungsweise daneben bestehen.

Die aufsteigende Entwickelung geht somit bis zu einem gewissen Zeitpunkte, um von da ab in das Neben-

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einander und den Wechsel zweier einander im Grunde entgegengesetzten Richtungen überzugehen. Da das Wesentliche hierbei nicht die Entwickelung an sich, sondern der Gegensatz zwischen der mehr farbigen und der mehr plastischen Auffassungsweise ist, so empfiehlt es sich, dort einen Einschnitt zu machen, wo die Allein-herrschaft des mittelalterlichen Prinzips der Farbengebung zu Ende geht, also am Beginn der Hochrenais-sance.

Der Gegensatz, um den es sich handelt, wird am besten durch eine Vergleichung der Farbengebung Tizians mit derjenigen Rembrandts klargestellt. Ein in Tizians früherer Manier gemaltes Bild leuchtet wie ein Schmuck-stück, das aus einer Anzahl kostbarer Steine zusammen-gesetzt ist. Jede einzelne Farbe, mag es sich dabei um die Gewandung, um das Fleisch, um die Landschaft oder um den Himmel handeln, kommt voll zur Geltung, da sie als ein Ganzes gedacht ist, das nicht in eine die Sonne reflektierende Licht- und eine vom Licht un-berührte Schattenseite zerfallt, sondern überall, im tiefsten Schatten wie im höchsten Licht, ihren ausgesprochenen Charakter bewahrt. Die Lichter aller einzelnen Farben, abgesehen von den sparlichen Glanzstellen, sind daher hier ebenso verschiedenartig wie ihre tiefsten Schatten, die nur ganz ausnahmsweise farblos werden.

Bei Rembrandt dagegen, so zauberhaft auch sein Farbenspiel uns anmutet, scheidet sich keine Farben-masse scharf von der andern, da ein jedes seiner Bilder durch den gemeinsamen Ton der Beleuchtung, die bald die ganze Darstellung goldig überflutet, bald als scharfer Strahl nur einen kleinen Teil des Raumes erhellt, har-monisiert wird. Kreidige Lichter und farblose Schatten giebt es freilich auch bei ihm kaum; aber die Lichter spiegein nur die glitzernden Sonnenstrahlen wieder, die die natürlichen Farben der Gegenstande vollstandig ver-

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decken, und die Schatten sind durch Reflexe aufgehellt, welche gleichfalls wieder das Sonnenlicht, nicht aber die Farben der Stoffe zur Geltung bringen. Schliessen sich so die Licht- und Schattenmassen des Ganzen ein-heitlich zusammen, so ergiebt sich auch für die zwischen-liegenden, die eigentliche Farbe enthaltenden Teile die Notwendigkeit, durch das gemeinsame Sonnenlicht ab-gedampft zu werden.

Um Farbigkeit handelt es sich in beiden Fallen. Bei Tizian jedoch um die Lokalfarben, die im Licht wie im Schatten deutlich zu Tage treten, wahrend bei Rem-brandt der gemeinsame Beleuchtungston vorherrscht, so dass noch starker als die einzelnen Farben die Gegen-satze von heil und dunkel hervortreten. Diese Ver-schiedenheit der Behandlung beruht nicht auf einer verschiedenen Art, die Natur zu sehen, sondern nur auf der Wahl verschiedener Beleuchtungsarten. Die Künstler der alteren Zeiten mussten offene, verbreitete Tages-beleuchtungen, wie sie bei verschleiertem Himmel zu sehen sind, wahlen, weil ihre Malmittel, die Wasser- und Temperafarben, weder starke Gegensatze von heil und dunkel noch die Darstellung des Flimmerns der Farben gestatteten. Und selbst nach der Einführung der Oel-malerei in Italien, gegen Ende des 15. Jahrhunderts, wurde aus asthetischen Gründen, die in der Zeit lagen, noch lange an dieser Art der Farbengebung, der so-genannten schönfarbigen, festgehalten, wie dies eben Tizians Beispiel zeigt. Die Künstler der spateren Zeiten dagegen brauchten auch die starksten Beleuchtungen, welche die Farben, wie wir sagen, aufzehren, nicht zu fiirchten, da sie sie mit Hilfe ihrer Malmittel in voll-kommen ausreichender Weise darzustellen vermochten, freilich zumeist auf Kosten der klaren und schonen Ge-samterscheinung des Bildes.

Bis in das letzte Viertel des 15. Jahrhunderts hinein

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herrschte in Italien eine nahezu vollkommene Ueberein-stimmung in der Behandlungsweise, und zwar in der Monumental- wie in der Tafelmalerei, denn die Mal-mittel waren in beiden Fallen die gleichen, aus dem Altertum iiberkommenen und durch das ganze Mittelalter festgehaltenen.

Das Fresko liess nur wenig Farben zu, erforderte grosse, ruhige Farbflachen, vermochte Glanz nur in ge-ringem Grade darzustellen und war entsprechend auch in der Tiefe, die es den Schatten zu verleihen vermochte, beschrankt. Denn da der Bewurf, auf dem ge-malt wurde, taglich frisch aufgetragen, das beworfene Stück aber auch an dem Tage selbst fertiggemalt werden musste, so erforderte schon die Raschheit der Arbeit eine grosse Einfachheit der Farben- und Schattenflachen. Die Notwendigkeit, die nacheinander fertiggemalten einzelnen Stücke, die kaum ein weiteres Uebergehen zu-lassen, in möglichst unauffalliger Weise aneinanderzu-fügen, unterstiitzte noch diese Forderung. Drittens aber gesellte sich dazu die Veranderung, die mit den Farben wahrend ihres Trocknens vor sich ging: die Farbe, welche auf den noch halbfeuchten Malgrund aufgetragen worden war, verband sich fest mit dem Sinter, erlangte dadurch eine besonders schone, milde Leuchtkraft, liess sich aber in ihrer schliesslichen Wirkung nie vollstandig berechnen und zeigte namentlich die Neigung, nach dem Trocknen viel dunkier zu erscheinen als beim Auf-tragen.

Infolge dieser natürlichen Schranken weisen die Fresken auch nur wenig Verschiedenheiten in ihrer Behandlungsweise auf. Ueber die milden, breiten Schatten-massen Giottos und seiner Schule ging erst Masaccio, zu Anfang des 15. Jahrhunderts, hinaus, indem er die Modellierung ausführlicher gestaltete und die Tiefe des Raumes starker zu betonen wusste (Mus. IV, 18). Die

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Fortschritte, welche Piero della Francesca und Mantegna durch die Anwendung der Regeln der Perspektive und durch die Wahl einer einheitlichen Beleuchtung herbei-führten, leuchten aus Peruginos Schlüsselübergabe (III, 35/36) hervor. Signorelli (II, 50) bereitete durch seine Meisterschaft in der Behandlung des Nackten Michelangelo die Wege; Raffael endlich fasste, wie z. B. in der Schule von Athen (III, 87/88), alle diese Bestrebungen zusammen, und Andrea del Sarto (I, 60) brachte die Leuchtkraft der Farbe auf den höchsten Punkt, der in dem Fresko erreicht werden konnte, aber doch hinter dem, was die gleichzeitige Tafelmalerei bereits zu erreichen im stande war, weit zurückblieb. Ein Wandel in dieser Hin-sicht trat erst bei Raffaels Fresken im Heliodorzimmer ein.

Wahrend des grössten Teils dieser Zeit war die Tafelmalerei infolge der Verwendung der Temperafarben, die bei ihrem Auftragen kaum geringere Schwierigkeiten als das Fresko boten, nahezu ebenso unverandert ge-blieben. Der Malgrund sog hier freilich die Farben nicht auf, aber da auch hier ein Uebergehen nur inner-halb bestimmter Grenzen möglich war, so musste von Anfang an mit der gleichen Vorsicht und Ueberlegsam-keit verfahren werden wie beim Fresko. Die Holztafel, womöglich mit Pergament oder Leinwand überklebt, vvurde mit einem feinen, weissen Kreidegrund überzogen, der nicht etwa die Aufgabe hatte, die Farbe in sich aufzusaugen, sondern im Gegenteil durch einen Ueber-zug von Leim fahig gemacht wurde, solches Aufsaugen zu verhindern. Auf diesen Grund wurden dann die mit Feigensaft und Eidotter angemachten Farben, die Temperafarben , aufgetragen. Zuvor aber war der Umriss scharf einritzend festgestellt und die Modellierung, meist mit gekreuzten Strichlagen von grün und rot, die ein Ineinanderlaufen der Farben verhinderten und durch ihre Deckung ein warmes Grau ergaben, angegeben

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worden. Die Lokalfarben selbst, für das Fleisch, die Gewander, das Erdreich, mussten in leicht deckenden, zusammenhangenden Massen aufgetragen werden, um gleichmassig auszufallen und nicht etwa durch die Auf-lösung der Untermalung getrübt zu werden. Für die Vollendung der Modellierung blieb nur das Hilfsmittel übrig, die Lichter mit mehr oder weniger deckendem Weiss oder aber mit Weiss vermischter Lokalfarbe auf-zusetzen; eine Verstarkung der Schatten aber konnte nur in sehr beschranktem Masse vorgenommen werden. War dann die Luft hingesetzt, falls nicht nach alter Art Gold den Hintergrund bildete, so wurde über das Ganze ein glatter, farbloser, schützender Ueberzug von Mastix-firnis gelegt.

Da diese Behandlungsweise nur ein bescheidenes Mass von Modellierung zuliess, so musste für die Dar-stellungen in der Regel eine möglichst gleichmassige gedampfte Beleuchtung, wie sie zur Mittagszeit bei leicht bedecktem Himmel herrscht, gewahlt werden. Diese Beleuchtungsweise erwies sich aber wiederum als sehr günstig, um die einzelnen Farben in ihrer vollen Leucht-kraft hervortreten zu lassen. Die Maler wurden dadurch dazu geführt, die Wirkung ihrer Bilder wesentlich auf dem harmonisch-kraftvollen Gegensatz der Lokalfarben aufzubauen. In der Verwendung durchsichtiger (Lasur-) Farben, mit denen einzelne Teile oft mehrmals über-zogen werden konnten, fanden sie dann auch noch das Mittel, einerseits die Leuchtkraft einzelner Farben zu verstarken, andererseits aber den Gegensatz solcher innerlich durchleuchteten Teile zu den in matter Deck-farbe behandelten weiter auszubilden. Je weniger aber im übrigen die Temperamalerei darauf ausgehen konnte, sich die Nachahmung des Gesamteindrucks der Natur zum Ziel zu setzen, um so mehr sah sie sich darauf angewiesen, durch Reinheit der Form, Schönheit der

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III. Die Farbengebung der Frührenaissance.

Farbe, klare Gliederung rein dekorative Wirkungen zu erzielen; um so freieren Spielraum zur Entfaltung fanden dann auch die schöpferischen Gaben des Malers: sein Gemüt, seine Phantasie, seine Beobachtungsgabe.

Bei der Beurteilung des einzelnen Bildes auf seine Farbengebung hin wird stets im Auge zu behalten sein, wie leicht es durch das Gelbwerden des Firnisses sein Aussehen verandert und meist warmer und harmonischer wird als es ursprünglich gewesen; auch die Wirkung, die der Schmutz und Staub im Laufe der Zeiten aus-übt, wird mit in Rechnung zu ziehen sein. Die Werke der Giottesken erinnern noch mit ihren hellen, leuch-tenden Tonen durchaus an die mittelalterlichen Miniaturen, bei denen das Zinnoberrot und Kobaltblau zu-sammen mit dem goldenen Grunde die Hauptrolle spielen. Fra Filippo Lippi (III, 115) bringt schon durch die Ab-tönung der Farbe, namentlich nach der Lichtseite hin, eine grössere Mannigfaltigkeit und zugleich eine starkere plastische Rundung hervor. Als der typische Künstler fiir das 15. Jahrhundert aber kann Botticelli angesehen werden (II, 101 u. 142; III. 74), dessen ernste und doch so leuchtende Farbung in Karmin und Dunkelgrün, neben tiefem Blau und stellenweise verteiltem Grau, vortreff-lich zu der sanften Schwermut seiner Kompositionen passt. In der Verlassenen (II, 101) fehlen sogar alle lebhaften Farben, so dass nur der vornehme Zusammen-klang ganz unscheinbarer Töne herrscht. Die starke Betonung der Zeichnung, welche jede Form bestimmt umrissen erscheinen lasst, zeigt deutlich, dass es sich hierbei nicht um ein treues Abbild der Natur handelt, das viel starker hatte harmonisiert werden müssen, son-dern um ein freies Spiel der Phantasie zu wesentlich de-korativem Zweck. Mantegna und Signorelli (II, 68) trieben die Modellierung bereits viel weiter, ohne jedoch die Bestimmtlieit des Umrisses aufzugeben; sie brauchten

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daher auch von der Kraft der Farbe nichts zu opfern.

Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts verbreitete sich in den beiden italienischen Stadten, welche die regsten Beziehungen zu Flandern hatten, in Florenz und Venedig, allmahlich die Bekanntschaft mit der vlamischen Oeltechnik. Bevor der tiefe Wechsel, der dadurch be-wirkt wurde, naher ins Auge gefasst werden kann, muss ein Bliek auf die Entwicklung geworfen werden, die die Malerei in Flandern genommen hatte. Dort hatte, wie in Italien und Deutschland, bis in den Anfang des 15. Jahrhunderts die Temperamalerei geherrscht; da-neben war die Miniaturmalerei, namentlich unter dem Einfluss der prachtliebenden Höfe, zu einer solchen Höhe der Feinheit, Lebendigkeit und Farbigkeit gediehen, dass naturgemass der Wunsch entstehen musste, die gleichen Eigenschaften auch in dem grosseren Format der Tafelmalerei entfalten zu können. Die Temperafarben aber, die sehr rasch eintrockneten, auch einschlugen und stets durch Firnis wieder aufgefrischt werden mussten, ge-statteten kein weiches Ineinanderführen der Töne, son-dern nur eine vorsichtig strichelnde Behandlungsweise. Es musste also ein flüssigeres, zugleich leicht trocknen-des, aber kein Einschlagen der Farbe bewirkendes Binde-mittel gefunden werden, um sowohl grössere Plastik als auch grössere Feinheit erzielen zu können. Solches gelang den Brüdern Van Eyck, die die Farben gleich mit einem aus leicht trocknendem gekochten Lein- oder Nussöl und anderen Bestandteilen gebildeten Firnis verbanden und dadurch sich in den Stand gesetzt sahen, sowohl die Farben nass ineinander zu verarbeiten, als auch beliebige Farbschichten übereinander zu legen, wahrend bis dahin das Oei, als zu zah, nur für ge-wöhnliche Anstreicherarbeiten hatte verwendet werden können. Die Folge war jene leuchtende, fein abstufende

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und alle Einzelheiten herausarbeitende Behandlungsweise, welche an Glanz der Wirkung der Glasgemalde nahekommt, mit der Kraft und Ruhe der Farbenwirkung aber volle Greifbarkeit und wirkliche Vertiefung des Raumes verbindet. Von nun an wurden nicht mehr, wie bisher, bloss die Lichter, sondern auch die Schatten, die somit beliebig verstarkt werden konnten, ausserlich aufgesetzt.

Bezeichnende Beispiele dieser Art bieten Van Eycks Genter Altar (I, 114, 115) mit seinen Streitern Christi in rotem, blauem, saftgrünem Gewand und gegenüber den dunkelgekleideten Pilgern, unter denen der heilige Christoph in tiefrotem Gewand einherschreitet. Ferner der grosse Altar des Van der Goes (I, 67), dessen Farben-pracht durch das schwarze Kleid des Stifters, links, und das tiefviolette der Stifterin, rechts, stimmungsvoll ein-gefasst wird. In der Memlingschen Madonna (I, 50) herrscht bei einer tief gesattigten Farbung, dem roten Mantel der Maria, dem Brokatgewand des Engels über weissem Unterkleide, doch ein sanfter und kühler Ton vor, der durch das tiefe Schwarz des Stiftergewandes noch an Kraft gewinnt. In dem benachbarten Deutschland fand diese Malweise ihre Hauptvertreter in Dürer und Holbein, wahrend Grünewald sich seine eigenen Wege bahnte und an die Stelle der Bestimmtheit in Umriss und Farbenflachen eine weiche und fliissigere Behandlungsweise setzte.

In Florenz und Venedig taucht diese neue Technik bereits frühzeitig, in den siebziger Jahren des 15. Jahr-hunderts auf; wahrend aber die florentiner Meister viel-fach noch tastende Versuche machten und die Oelfarben zunachst nur dazu verwendeten, ihren Temperabildern ein grössere Leuchtkraft zu verleihen — ein interes-santes Beispiel bietet in dieser Richtung Verrocchios Taufe (I, 106), wo der Oberkörper Christi, wahrschein-

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lich von dem jungen Leonardo, in Oelfarben durch-modelliert ist —, bürgert Antonello da Messina, der jedenfalls bei den Vlam en direkt in die Lehre gegangen war, die neue Malweise in Venedig bald völlig ein.

Bei der Bedeutung, welche der Freskomalerei in Italien innewohnte, hatte die Einführung der neuen Technik an sich noch keinen völligen Umschwung zu bewirken brauchen, wenn nicht dadurch die Möglichkeit geboten worden ware, die plastischen Bestrebungen, welche in Florenz durch Donatello zu aussergewöhn-licher Höhe gebracht worden waren, auch auf das Ge-biet der Malerei zu übertragen. Dieser Schritt bestand in der Anwendung einer vollstandig durchgeführten Vor-modellierung, welche in ihrer Einheitlichkeit an die Stelle des früheren Gleichgewichts der einzelnen Farben-flecke trat, ja die Farbe überhaupt als einen Bestandteil, der allenfalls auch so gut wie ganz entbehrt werden konnte, in die zweite Linie zurückdrangte. Der Floren-tiner Leonardo war derjenige, der ihn unternahm und gleich in grundlegender Weise durchführte. Mit dieser Erfindung des sogenannten Helldunkels, das die Möglichkeit des vollstandigen Ineinanderarbeitens der einzelnen Schattenabstufungen zur Voraussetzung hatte, wurde jene moderne, malerische Auffassungsweise be-gründet, welche fortan mehr und mehr die alte schön-farbige Art verdrangte.

IV. Die Farbengebung der Blütezeit.

Die Italiener thun recht, wenn sie die Kunstent-wicklung nach vollen Jahrhunderten abteilen: wie das Trecento auf den Schultern Giottos, das Quattrocento auf denen Masaccios steht, so hat das Cinquecento sein

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Geprage durch Lionardo erhalten. Mit dem Jahre 1500 beginnt auch ein ganz neues Farbenempfinden: die schönfarbige Art, welche den vorhergehenden Zeiten ihr monumentales Geprage verliehen hatte, wird durch das Clairobscür, namlich die einheitliche Durchmodel-lierung des ganzen Bildes, abgelöst. Ein paar Jahr-zehnte lang malen noch einige Künstler, wie z. B. der alte Perugino, in der gewohnten Weise weiter; die führenden Meister aber erfassen sofort die neue Manier, die auch von all ihr en Schülern aufgenommen wird und bis in das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts herrschend bleibt.

Eine Vorbedingung für diese veranderte Behand-lungsweise bildete die Uebernahme der flandrischen Oel-malerei durch die verschiedenen Kunststatten Italiens wahrend des letzten Viertels des 15. Jahrhunderts. Zu einer grundlegenden Umwalzung kam es aber allein dadurch, dass ein Genius von universeller Anlage, Lionardo da Vinei, in der Oelfarbenmalerei die Bedingungen für eine Weiterbildung der Kunst erkannte und diese Umwandlung sofort in abschliessender Weise durch-führte. Die flandrische Art der Oelmalerei hatte wohl eine weit grössere Einheitlichkeit in der Behandlung ge-stattet, als bis dahin bei der sorgfaltigen Auswahl der über einander zu legenden Tempera-Farben möglich gewesen war; auch hatte sie die Mittel geboten, die Schatten wesentlich zu verstarken und dadurch den Bil-dern eine reichere Abstufung in der Modellierung zu ver-leihen: aber diese Eigenschaften hatten nicht dazu ge-führt, die Eycksche Schule über das Prinzip der Schön-farbigkeit hinauszuheben; und so waren auch die Ita-liener, ohne Lionardos Neuerung, allein aus der ver-anderten Technik heraus wohl nicht zu einer Aenderung ihrer malerischen Auffassungsweise gelangt.

Lionardo dagegen erfasste in der Oelmalerei die Mög-

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lichkeit, das ganze Bild in einer einheitlichen neutralen Farbe — bei ihm in einem kühlen Braun — zunachst vollstandig durchzumodellieren, so dass es gleich einer Zeichnung nur durch die Gegensatze und Abstufungen von Heil und Dunkel wirkte — daher der Name Chia-roscuro —, dafür aber bereits, mit alleiniger Ausnahme der Farbe, die spater darauf gesetzt wurde, alle Bestand-teile einer bildmassigen Wirkung in voller Durchführung enthielt. Derartige Untermalungen von seiner Hand be-sitzen die Uffizien in Florenz an seiner grossen An-betung der Könige, die 1478 bei ihm bestellt wurde, und der Vatikan an seinem h. Hieronymus. Wie er die so begonnenen Bilder mit ausserster Sorgfalt durch fort-gesetztes Ueberlegen von Lasuren und genaue Aus-führung aller Einzelheiten beendigte, zeigt seine be-rühmte Mona Lisa im Louvre (II, 4). Mit Hilfe dieser Behandlungsweise konnte erst die volle Einheit der Figuren mit dem Raum, in den sie hineingestellt sind, erzielt, in der Modellierung des Fleisches aber jene Mannigfaltigkeit der Abstufungen wiedergegeben werden, welche im Gegensatz zu der abkürzenden und verein-fachenden Behandlungsweise der vorhergehenden Zeit den vollen Eindruck der Naturwahrheit und Lebendig-keit erweckt.

Mit diesem neuen Verfahren war der letzte Schritt zu einer vollstandigen Befreiung der Kunst von jeder Konvention gethan und der Weg zur vollen Naturwahrheit, die die entwickelte Kunst von der noch in Vorbereitung begriffenen unterscheidet, eröffnet. In Mailand, wo Lionardo die beiden letzten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts verlebte, vermochte er wenig unmittel-bare Nachfolge zu erwecken, als er aber nach 1500 nach Florenz zurückkehrte und dort im Wettkampf mit Michelangelo sein höchstes Können entfaltete, brach er mit einem Schlage der neuen Kunstweise Bahn. Fra

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Bartolommeo schloss sich ihm an, diesem folgte der jugendliche Raffael, bald darauf auch der mit ausser-ordentlichem Farbensinn begabte Andrea del Sarto; und wie mit einem Schlage sah sich das ganze übrige Italien in diese Bewegung hineingezogen.

Die Zeit kurz vor und nach dem Jahre 1510 kann als diejenige betraehtet werden, welche die Farbengebung auf die höchste Stufe ihrer Entfaltung gebracht hat. Schon Giorgione hatte in seiner um 1505 gemalten Madonna von Castelfranco (I, 3) ein Wunderwerk ernster einheitlicher Farbenstimmung in abendlicher Beleuch-tung bei herannahender Wetterwolke geschaffen; Tizian verwendete in seiner ziemlich gleichzeitig entstandenen Irdischen und Himmlischen Liebe (I, 68 u. 69) bei ahn-lichem Abendeffekt die Gegensatze des weissen Atlas-kleides und des roten Mantels (der nackten Gestalt) zu einer wesentlichen Steigerung des Gesamteindrucks; in seiner Madonna mit Heiligen, in Dresden (III, 69), setzte er kiihn die leuchtenden Farben ganz ungebrochen und mit durchaus farbigen Schatten neben einander, ohne das Gleichgewicht seines Bildes auch nur im geringsten zu gefahrden; Palma und Lotto in Bergamo bildeten seine treuesten Nachfolger auf diesem Wege. In Rom führte Raffael die Farbigkeit in seinen Fresken der zweiten Stanze auf die höchste Stufe, indem er gleichzeitig der Modellierung, wie namentlich in der Messe von Bolsena, ihre höchste Kraft verlieh. In Bezug auf die technische Behandlung der Farbe und ihre Ver-wendung zur Darstellung der verschiedenen Stoffe steht sein Bildnis des Papstes Leo X mit den beiden Kardinalen (II, 73) als unerreichtes Muster da; das Bildnis des Grafen Castiglione im Louvre (II, 65) aber leistet das Höchste in der feinen Abtönung und Zusammen-stimmung wenig hervortretender Farben, wie des Grau und des Braun in ihren verschiedenen Abstufungen.

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Correggio endlich, der Meister des Helldunkels, ver-bindet die höchste Leuchtkraft der Farbe mit einer un-endlich mannigfaltigen und dabei ausserst weichen Modellierung.

Alle diese Bilder, die fortan mehr und mehr auf Leinwand statt auf Holz gemalt wurden, sind in einem kühlen Braun vollstandig durchmodelliert; dann wurden die Fleisch- und die Lokalfarben darauf gesetzt, die Lichter mehr oder weniger pastos darüber gelegt und die Schatten wo nötig verstarkt. Die Einbusse, welche die am starksten beleuchteten Teile dadurch sowohl an Leuchtkraft wie an Farbigkeit erfuhreh, machte sich freilich nicht storend bemerklich, solange die Schatten nicht übermassig verstarkt wurden. Die goldene Zeit eines so weisen Masshaltens konnte aber naturgemass nicht lange wahren. Die Verlockung, die Modellierung auf Kosten einer einheitlichen Wirkung zu übertreiben, wurde durch die abgöttische Verehrung, die man seit den letzten Lebensjahren Raffaels der antiken Plastik weihte, noch verstarkt. Raffaels Schule, deren Wir-kungen sich in ganz Italien bemerklich machten, sün-digte schon durch eine allzu grosse Tiefe und Farb-losigkeit der Schatten, allen voran Giulio Romano. Nur wenig Maler, wie Moretto in Brescia und Moroni in Bergamo, blieben noch der alten guten Ueberlieferung treu. Die energischen Versuche der Bologneser Aka-demiker aber, unmittelbar an die grossen Meister an-zuknüpfen, konnten keinen dauernden Erfolg herbei-führen, da sie nicht auf eine selbstandige Auffassung der Natur und ihrer farbigen Erscheinung begründet waren, sondern einseitig, von der Zeichnung, d. h. der Modellierung, ausgingen, die Farbe aber als eine bloss ausserliche Einkleidung der so gewonnenen Formen auf-fassten.

Die spateren Koloristen unter den Venezianern,

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Paolo Veronese und Tintoretto, hüteten sich freilich vor diesem Fehler, Hessen sich aber, um sich die Arbeit zu erleichtern, dazu verführen, den hellen Untergrund auf-zugeben, um ihn gegen einen dunkeln einzutauschen, aus dem sie nun die Körper vornehmlich nach der Licht-seite durch starkes Impastieren herauszuarbeiten hatten. Dadurch verloren die Lichter allmahlich ganz ihre Far-bigkeit und wurden kreidig, die Schatten aber wirkten als eine tote, schwere Masse.

Gegenüber dem allgemeinen Verfall des Farben-sinnes, der sich in Italien zu Ende des 16. Jahrhunderts bemerklich gemacht hatte und allmahlich auch auf alle übrigen Schulen Europas übergegangen war, machte sich im 17. Jahrhundert zuerst in den emporblühenden vlamischen Provinzen Spaniens, dann in Spanien selbst und in Holland eine Reaktion geltend, die die reine Farbe wieder zur Herrschaft brachte 7 nun aber nicht mehr auf dem Grunde der alten Schönfarbigkeit, welche jede Lokalfarbe zu ihrem vollen Recht hatte gelangen lassen, sondern unter Berücksichtigung der einheitlichen Beleuchtung, welche von dem Sonnenlicht ausgeht, und durch Zerlegung des Lichts in die einzelnen Bestandteile, aus denen es zusammengesetzt ist. Den ersten Schritt auf dieser Bahn hatte noch der alternde Tizian in seinen letzten Lebensjahren gethan, wie dies z. B. seine Dornen-krönung der Münchener Pinakothek (IV, 82) beweist, die in durchaus moderner Weise alla prima gemalt ist, ohne einheitliche Vormodellierung und nicht mehr in zusammenhangenden Farbenmassen, dafür aber mit einem reichen Spiel des Lichtes sowohl auf den direkt als den nur durch Reflexe erhellten Stellen. So hat dies Bild seine jugendfrische Kraft bis auf den heutigen Tag be-wahrt. Tizians Beispiel blieb aber seiner Zeit ohne Nachfolge; erst nach mehr als einem halben Jahrhundert fand er Fortsetzer seiner Bestrebungen in Rembrandt

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einer- und Velazquez andererseits. In der Zwischenzeit suchte Rubens auf seine Weise eine Auffrischung der Malerei herbeizuführen.

Für Rubens gab es keine Lichter und keine Schatten an sich, sondern alles war bei ihm Farbe; nur traten die Farben nicht zu Massen zusammen, sondern lagerten sich, je nachdem sie das Licht zurückstrahlten oder durch Reflexe, namentlich die blauen Reflexe der Luft, in den Schattenteilen erhellt wurden, nebeneinander wie in der Natur, und mit der gleichen einheitlichen Wirkung wie dort. Wahrend Rubens dabei bisweilen zur Kalte neigte, verstand sein grosser Schüler van Dyck, der die Venetianer aufs eifrigste studiert hatte, viel-fach die Warme der Gesamttönung noch überzeugender darzustellen. Galt es aber durch besonders feine Wahl und Zusammenstellung der Farben den Eindruck höchster Vornehmheit zu erzielen, so erwies sich doch wieder Rubens als der unerreichte Meister, wie z. B. in dem lebensgrossen Bildnis seiner zweiten Frau in der Ere-mitage (III, 113), wo die Wirkung wesentlich auf dem Zusammenklang der schwarzen Seide mit ihrem violetten Besatz aufgebaut ist. Ein anderer Vlame, der auch zu den grössten Koloristen gezahlt werden muss, ist Brouwer.

In Spanien wusste Velazquez durch die weise Ver-wendung eines hellen warmen Grau in Verbindung mit einigen lebhaften, aber wohl abgestimmten Farben eine Feinheit der Wirkung zu erzielen, die in ihrer persön-lichen Eigenart überhaupt nicht übertroffen worden ist. Da er zudem als vortrefflicher Zeichner seine gross auf-gefassten Gestalten in ungemein wirkungsvoller Art in den Raum hineinzusetzen und die technische Durch-führung an den Stellen, auf die es ankam, bis zur höch-sten Vollkommenheit zu führen verstand, so wurde er von der Folgezeit, besonders aber von unserer eigenen Gegenwart, als der grösste Künstler der neueren Zeit

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auf den Schild gehoben, ohne dass freilich aus seiner ganz persönlichen Art eine direkte Nachfolge hatte er-wachsen können. Das grosse Bild der Spinnerinnen (II, 28 und 29) mit seiner lichtdurchfluteten Raumlich-keit rechtfertigt durchaus diese Wertschatzung.

Für die Ausbildung der hollandischen Malerei wur-den zwei Künstler bestimmend: Franz Hals und Rembrandt. Hals mehr durch die an Velazquez gemahnende vornehme Schlichtheit der Tönung, Rembrandt aber durch die Erschliessung einer ganz neuen Zauberwelt, die in dem nach bestimmten Zwecken nur über einzelne Teile der Bildflache ausgegossenen und in seiner Starke nach Bedarf eingeschrankten Sonnenlicht wohnt. Dem gleichmassig über die Flache verteilten Helldunkel Cor-reggios setzte er ein willkürlich bestimmtes, aber um so mehr die Eigenart eines jeden Bildes betonendes Helldunkel gegenüber, ein Spiel der verschiedenartigsten far-bigen Reflexe, welche trotz der grellen Beleuchtung ein-zelner Punkte das Dunkel des ganzen iibrigen Raumes in ein von den mannigfaltigsten Farben durchzittertes Dam-merlicht umwandelten. Obwohl seine Malweise mit dem zunehmenden Alter immer breiter und ungleichmassiger wurde und die Schatten auf seinen Bildern immer schwarzer gerieten, steigerte sich bei ihm die Leuchtkraft der farbigen Teile doch auch in demselben Masse, so dass so spate Erzeugnisse seines Pinsels, wie die Syndici (II, 44 und 43) und das Braunschweiger grosse Familien-bild (I, 77), zugleich zu seinen farbenkraftigsten Lei-stungen gezahlt werden müssen.

Aus der Menge der übrigen hollandischen Maler, die fast allesamt eine lebhafte Farbigkeit mit sehr durch-geführter Modellierung verbinden, meist aber dem Fehler einer konventionellen Atelierbeleuchtung und übermas-siger Glatte in der Durchführung verhelen, sind Ter-borch, Metsu und Steen, die sich an die Richtung des

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Frans Hals anlehnen, als in der Gesamtstimmung sehr feinfühlige Koloristen hervorzuheben, wahrend der höchste Preis jenen drei von Rembrandt beeinflussten Künstlern gebührt, welche um die Mitte des 17. Jahrhunderts die Farbengebung auf eine ganz neue Stufe brachten, die freilich nur von kurzem Bestande war, an Kraft und Reinheit Vergleichbares aber nur in den glanzendsten Leistungen der vlamischen Schule des 15. Jahrhunderts und der venetianischen zur Zeit Bellinis findet.

Es sind dies die in Deutschland wenig bekannten Nicolaas Maes, Pieter de Hooch und endlich der etwas haufiger vorkommende Vermeer, für dessen elegante und doch bedeutend wirkende Farbengebung das wesentlich auf den verschiedenen Abtönungen von Blau aufgebaute Bild der Sammlung Czernin (II, 3) durchaus bezeichnend ist. Wahrend Vermeer die Harmonie namentlich durch die Verwendung eines feingestimmten, in breiten Massen aufgelegten grauen Schattentons erzielte, schreckten die beiden anderen vor schwarzen Schatten keineswegs zu-rück, wussten solche aber durch die unerhörte und doch durch den allgemeinen Luftton abgedampfte Leuchtkraft ihrer Lichtfarben ganz in Vergessenheit zu bringen. Namentlich leistete hierin de Hooch in seinen früheren Werken, wie deren eines aus dem Buckingham-Palast wiedergegeben ist (II, 86), das Höchste.

Unter den Landschaftern wusste keiner die Harmonie des Lufttons bei massig bedecktem Himmel so überzeugend darzustellen wie Hobbema; Cuyp leistete Ausgezeichnetes in der Schilderung von warmer Glut durchzitterter Abendlandschaften, wahrend der Franzose Claude Lorrain, der wegen seiner Sonnenuntergange be-rühmt war, dank seinem kühlen Naturell doch wohl zur Darstellung der frühen Morgenstimmung, wie eine solche die Dresdner »Flucht nach Aegypten« zeigt (I, 4), am meisten berufen war.

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Im 18. Jahrhundert blühte die Koloristik in Venedig wieder auf, mit Tiepolo, Guardi und besonders Antonio Canale. Bei Watteau dagegen, dessen Farbengebung bisweilen sehr lebhaft ist, lasst sich haufig die Einheit der Gesamtstimmung vermissen. Zu Ende des Jahrhunderts bereiteten die klassizistischen Bestrebungen aller Farbenfreudigkeit ein Ende; nur in England, das bis dahin von der Kunstbewegung so gut wie unberührt geblieben war, damals aber gerade einen gewaltigen Aufschwung erlebte, begann eine neue Bewegung, die in den beiden grossen Landschaftern unseres Jahrhunderts, Turner und Constable, ihren Höhepunkt er-rei chte.

V. Die Farbengebung der Neuzeit.

Unter besonders ungünstigen Umstanden trat die Malerei in das neunzehnte Jahrhundert ein. Im Verfolg der Ausgrabungen in Herkulanum und Pompeji hatte sich seit der Mitte des vorhergehenden Jahrhunderts das Interesse für die lineare Kompositionsweise der Alten bis zu einer Begeisterung gesteigert, welche der bis dahin herrschenden malerischen Auffassungsweise offen den Krieg erklarte; durch die Geistesströmung, welche schliesslich in die französische Revolution ausmündete, wurde dann dieser Verehrung für das Altertum noch weitere Nahrung zugeführt, indem die Vaterlandsliebe der Griechen und Römer als das notwendige Heilmittel für die Schaden der verlotterten Zeit erschien. So konnte die klassizistische Richtung Davids, welche durch ihr Streben nach trockener Bestimmtheit der Form alle malerischen Eigenschaften ausschloss, seit den achtziger

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Jahren zu unumschrankter Herrschaft gelangen und sich allmahlich über ganz Europa ausbreiten. In Frankreich blieb sie, wenngleich seit dem Anfang des neuen Jahrhunderts durch einzelne Versuche, der Farbigkeit ihr Recht wieder zu gewinnen, unterbrochen, bis gegen 1820 herrschend. In Deutschland, wo Carstens sie zur Höhe emporgeführt, dauerte sie sogar, wenn auch nicht bis zuletzt allein herrschend, bis über die Mitte des Jahrhunderts hinaus. Nur England, das niemals die Wohlthaten vergessen, die ihm Reynolds durch sein er-folgreiches Studium der Venezianer zugeführt, hielt sich im wesentlichen frei von dieser Verirrung ins Unmale-rische und einseitig Reliefartige. Von hier aus ging die Erneuerung der Malerei im neunzehnten Jahrhundert und zwar gleich in dessen ersten Jahren aus; der Mann, dem solches zu danken ist, ist der Landschaftsmaler Turner.

Nachdem er im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts nach damaliger Art noch trockene Veduten ge-malt, gewann plötzlich mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts seine Farbung eine Warme, Tiefe, eine Leuchtkraft und einen Schmelz, die nur noch bei den besten hollandischen Landschaften des 17. Jahrhunderts anzutreffen sind. Aus dieser Quelle hat denn auch thatsachlich die englische Landschaftsmalerei jener Zeit ihre neue Kraft geschöpft, wie wir dies aus dem Wirken Old Cromes und andrer gleichzeitiger Künstler wissen. Auch Wilkies Genrebilder wuchsen aus dem Studium der hollandischen Kunst hervor. Turner blieb dieser seiner besten Manier bis gegen 1820 treu. Neben ihm entwickelte Constable noch feinere, wenn auch nicht gleich wirksame Weisen. Von 1820 an wandte sich Turner einer noch starker leuchtenden Farbigkeit zu, die ihres besonderen Reizes nicht ermangelt, aber durchaus dem Gebiet der Phantastik angehört (der Témé-raire III, 14); von 1845 an artete diese Farbenanschauung

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bei ihm, wohl infolge einer Augenstörung, in volle Willkür aus. Constable wandte sich in den zwanziger Jahren gleichfalls einer gesteigerten Farbigkeit zu (das Kornfeld III, 128), die einer Vorliebe der Englander für unvermittelte Nebeneinanderstellung krasser Farben zu entsprechen scheint, seiner friihern Harmonie gegenüber aber keinen Fortschritt darstellt.

Gleichzeitig mit Turner trat in Deutschland der Hamburger Runge als Erneurer hervor, mit seinem Ruf nach Licht, Luft und bewegtem Wesen, wie er ihn in seinen »Tageszeiten« von 1803 verkörpert hat, von denen die Hamburger Kunsthalle wenigstens Bruchstücke des »Morgens« besitzt. Hier wie in seinem lebensgrossen Bildnis zweier spielenden Kinder hat er mit der Wieder-gabe der Erscheinung im klaren Licht des Tages vollen Ernst gemacht; doch hinderte ihn frühzeitiger Tod wie auch wohl die Ungunst der Zeitumstande, eine weitere Wirksamkeit zu entfalten. Erst zwanzig Jahre spater wurden in Deutschland seine Bemühungen in weiterem Umfange wieder aufgenommen.

In Frankreich geht das Streben nach einem Wieder-gewinnen der Farbigkeit auf Gros zurück, der zu Ende des 18. Jahrhunderts in Italien die Werke von Rubens und Van Dyck studiert hatte und sich allmahlich bis zu seinem lebensgrossen, im vollen Duft und mit der vollen Leuchtkraft der Erscheinung gemalten Bildnis des Ge-nerals Serlovèse von 1812 emporschwang. In demselben Jahre trat auch sein Schüler Géricault, der einen ahn-lichen Weg verfolgt hatte, mit grossen, durchaus ma-lerisch empfundenen Reiterbildern hervor. Das Haupt-werk Géricaults, der Untergang der Medusa, förderte freilich nur das plastische Problem, indem es an die Stelle des starren Umrisses die Unendlichkeit der Gegen-satze von Heil undDunkel setzte, bahnte aber doch jenem Meister den Weg, welcher Frankreich aus den Banden

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des Klassizismus befreien und zur Farbigkeit wieder zurückführen sollte: Delacroix.

Mit diesem, mit dessen Dantebarke von 1822 (II, 92), der unmittelbar das Gemetzel von Chios folgte (IV, 144), beginnt eine neue Zeit für die europaische Malerei, die fanger als ein halbes Jahrhundert andauerte. Freilich handelte es sich dabei nicht um die Schaffung eines Neuen und Ureigenen: die Wiedergeburt erfolgt durch das Studium alter Werke aus bestimmten Epochen; bei Delacroix wiederum der Werke von Rubens, bei den ziemlich gleichzeitig einsetzenden Genremalern, im Anschluss an Wilkies Beispiel, durch das Studium der hollandischen Kabinetsmaler, bei den Landschaftern eben-falls der Hollander. War auch diese Bewegung lange nicht so ursprünglich und kraftvoll, wie die der Eng-lander aus dem Anfang des Jahrhunderts — von Runge, der der Natur unmittelbar auf den Leib gerückt war, ganz zu schweigen —, so bedeutet sie immerhin die Rückkehr zu malerischen Grundsatzen im Gegensatz zu der verkümmerten und eingeengten Anscbauungsweise der Klassizisten. In der Mitte der zwanziger Jahre wurde die Art Constables den Franzosen durch Bonington (Marine V, 56) vermittelt; als eine Folge der Februar-revolution erstand ihnen dann seit 1831 die Landschafter-schule von Fontaineblau, durch Dupré begründet und durch Rousseau (Wald von Fontaineblau III, 143) auf ihre Höhe gebracht. War auch die Farbengebung in den Bildern dieser Schule zumeist konventionell, ohne dabei durch einen dekorativen Zweck bedingt zu sein — eine Ausnahme machte nur Corot, dessen Kolorit bei aller Willkür durchaus persönlich und einheitlich ist (Landschaft I, 94) —, so war hier doch nach langer Unter-brechung wieder der Luft und dem Licht Zutritt zu der Malerei gewahrt worden. Als vollstandiger Kolorist, der mit der Leuchtkraft der Farben doch den Duft und

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die einigende Wirkung der Atmosphare verbindet, stand der vorzügliche Karikaturenzeichner Daumier in seinen seltenen kleinen Gemalden allein da.

Die Genremalerei, welche in den zwanziger Jahren in Frankreich ausgebildet wurde, sich dort zu dem historischen Genre emporschwang, alsbald auch in Deutschland und Belgien Triumphe feierte und in den fünfziger Jahren, als sie auf ihrem Höhepunkte stand, allerorten, auch in die Landschaftsmalerei einzudringen begann, vermochte sich von Anfang an nicht aus den Banden des Konventionalismus, der Buntheit und Harte zu lösen. Sie erdrückte die frischen Bestrebungen, die sich auf dem Gebiete der Landschaftsmalerei in Deutschland, namentlich in München, wahrend der zwanziger Jahre bemerklich gemacht hatten; aus den seit 1830 immer haufiger unternommenen Reisen der Künstler nach dem Oriënt und in andere exotische Gegenden vermochte sie keine frischen Krafte zu schöpfen, und erwies sich in der zweiten Halfte des Jahrhunderts als ein weit schwerer zu überwindender Gegner, denn der Klassizismus es für die erste Halfte gewesen war. Seit der Mitte des Jahrhunderts beginnt an verschiedenen Orten und in stetig sich steigerndem Masse der Kampf gegen die harten farblosen Schatten, welche als eine Folge einseitiger Atelierbeleuchtung in Mode gekommen waren, wie gegen den harmonisierenden, alle Farbe auf-saugenden Goldton, den man dem vergilbten Firniss der alten Bilder abgesehen zu haben meinte; doch dauerte es bis zum Ende des Jahrhunderts, ehe diese künstliche der Phantasie keinerlei Nahrung bietende Anschauungs-weise — und auch dann erst zum Teil — überwunden werden konnte. Selbst Bilder, wie Troyons »Am Mor-gen« (1,144) oder Rosa Bonheurs »Beim Pflügen« (IV, 80), die den Höhepunkt dieser Richtung bezeichnen; ja Millets Aehrenleserinnen (I, 54) und das Angelus (IV, 159)

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— lauter Werke aus den fünfziger Jahren — verdanken ihren Wert weit mehr dem in ihnen niedergelegten gegenstandlichen, auf das Gemüt wirkenden Gehalt, der poetischen Stimmung, als der malerischen, auf das Auge und damit unmittelbar auf die Phantasie wirkenden Aus-führung. Nur in seinen Landschaften (Kirche von Gréville II, 159) und einigen auf die Farbe hin kom-ponierten Genrebildern, wie dem Schweineschlachten, hat Millet diesen Mangel überwunden.

Dass der künstlerische Wert eines einzelnen Werkes oder der Thatigkeit eines einzelnen Künstlers nicht in erster Linie auf der technischen Durchführung sondern auf der Erfindung und deren klarer Verbildlichung be-ruht, hat die Wirksamkeit eines Cornelius und Rethel bewiesen, deren Farben gewöhnlich von unertraglicher Geschmacklosigkeit sind; auch die deutschen Genremaler der zweiten Halfte des Jahrhunderts, ferner Feuerbach, Menzel, Gebhardt, verdanken ihren Ruhm gleichfalls mehr dem inneren Gehalt als der malerischen Erscheinung ihrer Bilder: für den Fortschritt der Kunst als eines Ganzen, für die Entwickelung der Anschauungs-weise ganzer Zeiten aber kommen die technischen Fragen, die Wiedergabe der Natur nach ihrer farbigen wie nach ihrer körperlichen Erscheinung, in erster Linie in Betracht. In dieser Hinsicht bot die Kunst, welche sich wahrend der ersten Halfte des Jahrhunderts ausgebildet hatte und in den folgenden Jahrzehnten durch eine straffe, vornehmlich in Paris betriebene Schulung bis zur Virtuositat gesteigert wurde, den nach Selbstandig-keit strebenden Geistern eine eng geschlossene Reihe von Hindernissen, die erst nach langem heissem Ringen beseitigt werden konnten; das Ergebnis war dann aber auch eine vollstandig erneuerte Kunst.

Als Pfadfinder traten ziemlich gleichzeitig um die Mitte des Jahrhunderts in England die Praeraphaeliten,

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in Frankreich Courbet auf. Die ersteren eroberten der Kunst wieder die reine unverfalschte Farbe und die Ehrfurcht vor den Einzelformen der Natur; Courbet lehrte die Welt wieder als eine grosse einheitliche Rea-litat erfassen, die ihren eigenen Gesetzen folgt und nicht erst künstlich zurechtgestutzt zu werden braucht, um künsterische Wirkungen hervorzurufen. Was ihm in seinen Anfangen noch gefehlt hatte, die Weichheit der Luft, die Leichtigkeit der Schatten, der Zusammenklang der Farben, das wurde ihm selbst (Rehe im Walde I, 79) sowie einer Reihe gleichstrebender Künstler, unter denen namentlich Whistier (Carlyle IV, 111, seine Mutter II, 103), Puvis de Chavannes (Wandbilder des Pantheons 1,62), Manet (lm Treibhause II, 31) und Degas zu nennen sind, in den sechziger und siebziger Jahren zu teil, wobei der Einfluss, den die harmonischen Farbenstimmungen des japanischen Holzschnitts besonders seit der Pariser Weltausstellung von 1867 ausübten, nicht gering anzu-schlagen ist. In Deutschland verfolgte Leibl (Die Dorf-politiker V, 7) ahnliche Bahnen.

Waren diese Künstler bis zu den feinen grauen Schatten vorgedrungen, welche es gestatteten, die Farbe als einen wesentlichen Bestandteil der Komposition und nicht bloss als einen mehr oder weniger willkürlichen Gegensatz zu dem gleichmassigen, das Bild beherrschen-den und ihm erst Halt gebenden Dunkel zu behandeln, so lag es nahe, von hier aus noch den weiteren Schritt zu thun und den Schatten selbst die Farbe wiederzu-geben, die ihnen in der freien Natur thatsachlich an-haftet. Diese Neuerung, die um 1870 von den franzö-sischen Impressionisten, Manet und Monet an der Spitze, ausging, bewirkte allmahlich einen vollstandigen Um-schwung in der europaischen Malerei. Nicht als ob es gegolten hatte, die durch Jahrhunderte geübte, auf der Modellierung beruhende Malweise durch diejenige zu

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ersetzen, welche in der Farbigkeit der Schatten, in dem ihnen gemeinsamen Luftton das Einigungsmittel besass: sondern es wurde nur der Einsicht die Bahn erkampft, dass die eine Auffassungsweise so berechtigt sei wie die andre, sobald die Umstande es fordern. Ein ange-strengtes Studium der Natur zeigte, dass es nicht an-gehe, bei zerstreuter oder von hinten einfallender Be-leuchtung die Schatten so dunkel und farblos zu malen, wie sie bei dem einseitigen Atelierlicht erscheinen. Gab man ihnen aber den blauen oder violetten Ton des Himmels, so konnte man den Lichtem nicht mehr die willkürliche Farbung verleihen, welche mit farblosen Schatten vereinbar ist; sondern diese Lichter mussten zu den blauen Schatten stimmen, also in derselben Starke und Abtönung erscheinen, wie sie in der durch das gemeinsame Sonnenlicht zusammengehaltenen Natur auftreten. Durch diese Folgerichtigkeit der Farbenwerte, welche der Malerei weite bisher nicht ausgebeutete Gebiete des Darstellbaren und die Phantasie zur Nach-schaffung Anregenden erschloss, unterscheidet sich die Freilichtkunst wesentlich von der ihr sonst am nachsten stehenden schönfarbigen Manier der alteren Malerschulen, welche sich nur ausnahmsweise — es ist dabei namentlich an Piero della Francesca zu erinnern — den Far-benabstufungen der Natur zu nahern suchte, gewöhnlich aber in der Wahl ihrer Farben für die Lichter wie für die Schatten gleich frei war und nur auf den guten Zusammenklang der Farben zu achten brauchte.

Gewisse Absonderlichkeiten, die bald zur Mode wurden, mussten freilich mit der Zeit erst überwunden werden, wie die Wahl zu starken Lichts, das die Farben so gut wie ganz aufsog und zu einer kreidigen Malweise führte; oder die übertriebene Verwendung des von hinten einfallenden Lichtes, wodurch die Schatten zu einer Bedeutung erhoben wurden, die ihnen nicht natür-

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lich ist. Ebenso führten die Versuche, alle Luftspiege-lungen (Reflexe) und nicht bloss die in grossen Massen (den Hauptschatten) auftretenden wiederzugeben, zu einer zer-hackten, bald in verschiedenfarbigen Strichelchen, bald in ebensolchen Pünktchen sich aussernden Malweise — dem eigentlichen Impressionismus, in seiner Ausartung Poin-tillismus —, die nur in bestimmten Fallen ihre Berech-tigung hat, im allgemeinen aber mehr ein Ergebnis der Ueberlegung als der Eingebung ist. Doch brach sich durch alle diese Uebertreibungen allmahlich die Er-kenntnis Bahn, dass der modernen malerischen Auf-fassungsweise der wahre und unverlierbare Grundgedanke von der Allgegenwart des Lichts und der Farbe inne-wohne und dass dadurch der Umkreis des malerisch Darstellbaren, namentlich nach der Seite des Stimmung-erweckenden, wesentlich erweitert worden sei.

Der erste, der die Bestrebungen der Impressionisten popular machte, war Bastien-Lepage (Die Ernte 1,151). Auf die monumentale Malerei wurden ihre Grundsatze namentlich durch Besnard in seinen Wandbildern der Ecole de Pharmacie (von 1884 bis 1888 entstanden) und der I. Mairie von Paris angewendet. Seitdem bil-dete Paris die hohe Schule für die ganze junge Künstler-schaft von Europa. In selbstandiger Weise wurde die Freilichtmalerei in Deutschland durch Liebermann (Die Netzeflickerinnen III, 39; Schusterwerkstatt V, 40) undUhde ausgebildet. Klingers Versuche, sie dekorativen Zwecken dienstbar zu machen, wirkten — wie Sascha Schneiders Ma-lereien zeigen — in hohem Grade anregend, ohne dass sie bisher zu einer vollkommenen Durchdringung der idealisti-schen mit den naturalistischen Bestandteilen geführt hatten. Ein gleiches kann von Ludwig von Hofmann gesagt werden. Auf einem Sondergebiet, das sich den Künst-lern im letzten Jahrzehnt aufthat, auf dem des Plakats, zeigte sich ein wesentlicher Fortschritt in der Kraft

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und Reinheit der Farbengebung und der harmonischen Zusammenstellung möglichst ungebrochener Farben; hier konnte aber auch von naturalistischen Bestrebungen so gut wie ganz abgesehen werden. Eine Stellung für sich endlich nimmt Carrière ein, der in seinen auf einen feinen grau-braunen Ton gestimmten Bildern von der Farbe fast vollstandig absieht, durch die reiche Ab-stufung seiner Modellierung aber den Eindruck höchster Farbigkeit erweckt.

Andere Wege als die Gesamtheit der übrigen Künstler ist Böcklin gegangen. In seinen Anfangen freilich malte er, der Schüler Schirmers, seine Landschaften in jenem konventionellen warmen Luftton, der seit der Mitte des Jahrhunderts allgemein herrschend war. Von 1864 an aber, dem Jahre, das seine Villa am Meere und seine Altrömische Schenke zeitigte, trat er mit einer kraftvollen Farbenauffassung hervor, die er sich im Studium der italienischen Natur errungen. Gleichwie bei den Italienern der Frührenaissance gelangte bei ihm die Lokalfarbe wieder zu ihrem Recht und er-füllte ihren Zweck in der Erweckung einer bestimmten Stimmung, welche den künstlerischen Kern einer jeden von seinen Schöpfungen bildete. So herrscht in der Villa am Meer das Gefühl der stillen Trauer vor, das in einsamer Gegend bei trübe bewegtem Himmel er-weckt wird; in der Römischen Schenke aber die über-strömende Lust eines klaren Sonnentages inmitten üppiger Natur. Die Farbe war somit durch ihn wieder zu dem Hauptbestandteil des Bildes, der sich nicht wegdenken lasst, gemacht worden. Seitdem er von 1874 an wesentlich seinen Aufenthalt in Florenz genommen, bildete er diese Art zu einem eigenen ganz persönlichen Stil aus (Das Gefilde der Seligen 1,16). Um treue Nachahmung des unmittelbaren Natureindrucks mit der Weichheit seiner verschwimmenden Umrisse und der Einheit seines Luft-

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tons war es ihm gar nicht zu thun; er nahm die Farben so ungebrochen und leuchtend wie möglich, hielt sie in grossen Flachen zusammen, die er scharf umriss, und baute seine Bilder nach Art des 15. Jahrhunderts auf dem Gleichgewicht dieser Farbenmassen auf. Hat er somit mit dem modernen Impressionismus nichts ge-mein, so erweist er sich doch insofern als der vollgültige Vertreter der Kunstbestrebungen seiner Zeit, als er durchaus auf seinen eigenen Füssen steht, die einzelnen Bestandteile der malerischen Erscheinung mit bewun-dernswerter Scharfe stets wieder neu aus der Natur schöpft, sie dann aber mit voller Freiheit für seine, höhern künstlerischen Zwecke verwertet, wie diese es fordern.

Welche Bestrebungen man somit auch ins Auge fasst, überall tritt zu Ende des 19. Jahrhunderts das entschiedene Streben nach voller Farbigkeit hervor.

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