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SPANISCHER INFORMRTHHIS
DIENST ISIS
Niemand glaubt Franco, wenn er
sagt, das er «die Zukunft Spaniens
nicht hypothekarisch belasten»
werde. Weil alle wissen, dass
diese Zukunft nicht ihm gehört...
WÖCHENTLICHER AUSZUG AUS DEM "SERVICIO ESPAÑOL DE INFORMACIÓN
Barcelona, 28 März 1938
Af. 14 de Abril, 556
Nummer 14
"Es irren diejenigen, welche darauf
spekulieren, dass der wachsende Terror
uns seelisch zermürben wird! Ganz
Spanien ahmt das heroische Beispiel
Madrids nach und seine siegbringende
Moral, seine Widerstandsfähigkeit
wachsen in dem Masse, als die auslän-
dischen Invasoren, mittelst brutaler
Luftangriffe, es zu demoralisieren
versuchen".
DR. NEGRIN,
(Aus der Rede des Präsidenten des Ministerrates,
in der Tagung der Cortes am 1. Februar 1938).
FRANCOS HYPOTHEKEN
politischen Freunde die Sieger. Spanien würde
sich in ein Skia ven volk verwandeln, in ein Abes-
sinien, ein Marokko, ein Tunis, das an den Kar-
ren der mitteleuropäischen totalitären Systeme
gespanut würde, in eine Pflanzschule von Zwangs-
soldaten. Hitler und Mussolini würden sich in
seine landwirtschaftlichen Reichtümer und Bo-
denschätze teilen — sie teilen sie jetzt schon —
und ein ungeheures Heer aufstellen, um es an der
Pyrenäengrenze gegen Frankreich zu werfen und
die Spanier würden kämpfen müssen, um fremde
Interessen zu verteidigen und exotische Hassin-
stinkte zu befriedigen.
Franco und die Seinen würden reagieren? Ja,
aber wie? Es wäre ihnen unmöglich. Selbst wenn
sie wollten — was wir sehr bezweifeln, denn wir
wissen, dass sie unfähig sind, in ehrlichem Pa-
triotismus ihre Taten zu bereuen — sie könnten
es garnicht : ihnen würden dazu die unumgängli-
chen Elemente fehlen. Hitler und Mussolini wür-
den sie im Nu zur Ohnmacht verurteilt haben.Ein
anderer Verräter würde an die Stelle des bereits
abgenutzten treten, der sich in seinem Grössen-
wahn für unersetzlich hält. Irgend ein Queipo,
Yagüe, Davila, Jordana, Várela würde zum Ge-
neralissimus, Staatschef, etc., proklamiert. Und
hundert Zeitungen würden seinen Ruhm singen.
Und sein Bild würde in hundert Kinos erschei-
nen... Es ist so leicht, Retter und Regenten zu
improvisieren, dort, wo keine Freiheit existiert
und der Schmeichelei Tür und Tor geöffnet ist!..,
* * *
Niemand glaubt Franco, wenn er sägt, dass er
«die Zukunft Spaniens nicht hypothekarisch be-
lasten» werde. Weil alle wissen, dass diese Zu-
kunft nicht ihm gehört...
Franco hat einen Chock bekommen. Es hat ihn
erschreckt zu sehen, wie sogar Pariser und (Lon-
doner Zeitungen, die ihm bis jetzt günstig gesinnt
waren, in diesen Tagen erklären, dass sein
Triumph das Verschwinden Spaniens als einer
unabhängigen Nation bedeuten würde. Die Wahr-
heit ist im Begriff, sich Bahn zu brechen. Der
Augenschein hat mehr vermocht, als die mit Gold
bezahlten Lügenfeldzüge.
Und der «Generalissimus» hat durch die Agen-
tur Havas einige Erklärungen über seine zukünf-
tigen Pläne veröffentlichen lassen :
«Ich werde die Unantastbarkeit und Unabhän-
gigkeit Spaniens nicht hypothekarisch belasten»,
hat er gesagt.
Eine der populärsten Zeitungen Frankreichs,
die «Dépéche de Toulouse» hat auf diese Erklä-
rungen sehr treffend geantwortet :
«Wir nehmen an, dass Franco, an dem Tag,
wo er den Triumph davontrüge, sich von dem
Joch seiner augenblicklichen Beschützer wird be-
freien wollen. Wie wird er das machen? Und wie
lange wird es dauern, bis jene ihn zerschmettert
haben?»
*
Die «Dépéche de Toulouse» stellt die Frage
mit absoluter Klarheit. Franco hat, von dem Tag
ant wo er, nicht imstande, das Regime, das er
verraten hat, mit seinen eigenen militärischen
Kräften zu besiegen, sich in die Arme des Aus-
landes warf, sich damit begnügen müssen, eine
Sepoy-Rolle zu spiele und passives Instrument
in der Händen der Nationen zu sein, die in un-
serem Lande nicht nur Rohmaterialien, sondern
strategische Positionen suchen .Und wenn die Re-
publik besiegt würde, wären weder er, noch seine
Man muss der Wahrheit ins
Gesicht sehen. Hitler .— man
muss ihm Gerechtigkeit wider-
fahren lassen — hat es nie vor
uns verborgen, dass Frankreich,
ob das rechte oder das linke, ob
das jakobinische oder das reak-
tionäre, in seinen Augen der
Feind numero i ist, den es um
jeden Preis zu vernichten gilt.
Er hat uns auch keineswegs ver-
heimlicht, dass, um uns sicher
zu treffen, man uns erst isolieren
und einkreisen muss. Wir wären
blind, wollten wir nicht sehen,
dass dieser Plan gegen uns auf
dem Wege ist, Punkt für Punkt
realisiert zu werden
Hitler hat begonnen, uns zu
isolieren, indem er sich der Mil-
lionen in Polen, in Rumänien und
Jugoslawien gegen uns bedient.
Er setzt seine Absicht fort, in-
dem er die Tschechoslowakei be-
droht und indem er in Frankreich
durch seine Agenten einen Feld-
zug in grossem Stil gegen den
französich-russischen Pakt füh-
ren lässt. Die Besetzung Spa-
niens durch die Faschisten ist
die logische Krönnug dieses
Werkes : wenn wir das zulassen,
wären alle Bedingungen erfüllt,
die Hitler für einen Angriff ge-
gen uns braucht : Und Fran-
kreich wird angegriffen werden.
* * *
Man wird vielleicht sagen, wir
könnten diesem Angriff vorbeu-
gen, indem wir Konzessionen
machen? Sicherlich. Nach Berch-
tesgaden können wir immer ge-
hen. Aber Umwege dieser Art
führen nicht sehr weit. Im grel-
len Licht der Vorgänge in Öster-
reich und Spanien, ist Hitlers
Spiel klar : Er hofft unter der
Maske des Antikommunismus
seinen Kreuzzug gegen die «Ro-
ten» durchzuführen. Das heisst,
gegen die Demokratieen. Sobald
die Volksfront in Spanien zer-
stört wäre, würde er sie in Frank-
reich zerstören wollen. Ist das
eine Hypothese ? Nein. Während
der letzten Krise haben die fran-
zösischen Agenten des «Führers»
es gewagt, uns zu sagen, mir
hätten kein Recht mehr, eine Re-
gierung nach dem Wunsche des
französischen Volkes zu bilden,
weil Hitler das nicht zulassen
würde.
Das heisst, dass wenn
wir die Nazis durch Konzessio-
nen entwaffnen wollten, es sich
nicht darum handeln würde, uns
mit ihnen über die Verteilung der
Rohstoffe oder über Kolonial-
mandate zu verständigen : wif
müssten es uns gefallen lassen,
dass die Listen unserer Minister
in Zukunft in Berlin genehmigt
würden und dass unsere innere
Politik durch den «Führer» ge-
lenkt würde. Auf dieselbe Weise
wie die unglücklichen Österrei-
cher müssten wir es uns gefallen
lassen, durch die Agenten der
«Nazis» regiert zu werden ; hät-
ten wir zu dulden, dass irgendein
Seiss-Inquart über uns herrscht
— es gibt bereits einige Kandi-
daten dafür — und dass die Män-
ner vom C. R. A. S. und vom
C. S. A. R. ans Ruder gelan-
gen ; und inzwischen würden die
Republikaner grausam unter-
drückt, würde das ganze Werk
der französischen Revolution
vernichtet, alle unsere Freiheiten,
alle unsere Hoffnungen, das ganze
Ideal, das der Name unseres
Landes vor der Welt verkörpert.
Keine «Menschenrechte» mehr!
Keine «Demokratie» mehr! Kein
«sozialer Progress!« Kein
«Frankreich» mehr!
* * *
Gibt es einen Republikaner,
einen einzigen, der das annehmen
kann? Nein. Ich will keinem der
unseren -die Schande antun, ihn
zu befragen. Ich weiss, dass es
eine Handvoll von Verrätern
gibt, die bereit sind, mit deut-
schen Bomben und Maschinenge-
wehren an der Vernichtung unse-
res Landes mitzuarbeiten. Aber
ausser d'esen Hitleragenten,
würden alle Demokraten, alle
freien Männer, sich wie ein Mann
f Farttetzvni) auf Seite 41
Ein besiegtes Spanien bedeutet ein
bedrohtes Frankreich
Wie wir vorausgesehen haben,
verschärft sich die internationale
Lage von Stunde zu Stunde. Mit
unerbittlicher Logik trägt die
Politik der Konzessionen an den
Faschismus ihre bitteren Früch-
te : Eine Folge der Tolerierang
der Agression gegen Abessinien
ist die Agression gegen Spanien ;
Auf die Agression gegen Spanien
folgte die Agression gegen Chi-
na ; Die Agression gegen China
hat die Agression gegen Öster-
reich ermöglicht ; und schliess-
lich, da diese Besitzergreifung
nichts anderes als platonische
Proteste ausgelöst hat, wird be-
reits ein Bedrohungsfeldzug ge-
gen die Tschechoslowakei vorbe-
reitet, während Deutschland und
Italien zum entscheidenden
Schlag gegen die spanische Re-
publik ausholen.
Gewiss müssen wir gegen die
von den faschistischen Agenten
lancierten Nachrichten auf der
Hut sein, welche die Sache der
Republik für verloren ausgeben.
Es ist allerdings richtig, dass die
Republikaner vor der Übermacht
der von Hitler und Mussolini
geschickten Kanonen und Flug-
zeuge zurückweichen mussten. Es
ist" richtig, dass, wenn Frank-
reich nicht, und zwar ohne Zeit
zu verlieren, Spanien wirksame
Hilfe leistet, wir das Schlimmste
zu befürchten haben.
Das Sohlimmste ist die
deutsch - italienische Besetzung
der Balearen und der Halbinsel,
die grausame Abschlachtung un-
serer Brüder in Spanien, ein «Ple-
biszit», analog dem, welches sich
in Österreich vorbereitet und —
die Einkreisung Frankreichs.
Müssen wir das dulden? Müs-
sen wir es zulassen, dass unter
dem Vorwand einer angeblichen
«Nichteinmischung», die mehr
als je zu einer brutalen Einmi-
schung gegen Spanien geworden
ist, ein freies Volk, ein Nach-
barvolk, aus Mangel an Waffen
zugrunde geht?
—Ja — sagen die einen — denn
wenn Frankreich Spanien zu Hil-
fe käme, würde Hitler uns wahr-
scheinlich mit Krieg überfallen.
Und der Krieg ist das Schlimm-
ste aller Übel. Und darum ist es
schon besser, zuzulassen, dass
Spanien zermalmt wird.
Ich meinerseits verabscheue —
und das sage ich laut — diesen
falschen Pazifismus, der nichts
anderes ist, als eine feige Dul-
dung des Krieges und der unsere
republikanischen Brüder in Spa-
nien kaltblütig einem grausamen
Tod ausliefert.
Aber ist die Berechnung derer,
die uns vorschlagen, den Frieden
mit dem Blute der Kinder von
Madrid und Barcelona zu erkau-
fen, wenigstens richtig? Mit an-
deren Worten, ist es wahr, dass
wir Frankreich retten würden,
wenn wir Spanien opfern?
Nein und hundertmal nein.
Mit allen Mitteln sucht die Hit-
lerpropaganda es unsere öffentli-
che Meinung glauben zu machen.
Aber was man in das Land hin-
ausschreien muss, weil es die
Wahrheit ist, das ist, dass eine
französische Kapitulation i m
spanischen Problem, weit davon
entfernt, den Krieg von uns ab-
zuwenden, ihn unvermeidlich
machen und nah heranrücken
würde.
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Spanischer Informationsdienst
Seite 2
28 März 1938
Vier Wochen in der Hölle
Aus Arthur Koestler: "Spanish Testament
//
schwader im Norden von Madrid.
Das Hospital von Cuatro Cami-
nos, das, wie alle Hospitäler, das
rote Kreuz auf seinem Dache
trug, wurde mit vier Bomben
beehrt. Ganze Familien wurden
hier ausgerottet. In der Nähe fiel
eine Bombe in einen Wasserbe-
hälter, und eine mit dem Blut der
•Strasse gemischte schlammähnli-
che Masse strömte, Arme und
Beine mit sich führend, über den
Damm. Die Statistik dieses
Sonntags betrug 53 Tote und 150
Verwundete.
Montag den 16 November gab
es zwei raids ; um vier Uhr nach-
mittags fielen einige Bomben in
das Arbeiterviertel Cuatro Cami-
nos. Nach neun Uhr regnete es
Brandbomben über der medizini-
schen Fakultät, und in das Ge-
bäude von San Carlos, in die
Casa de Socorro (Rettungsstation)
am Paseo Recoletos und in ein
Hospital des Roten Kreuzes an
der Plaza de Colon. Hundert
Tote ? Zweihundert ? es war nicht
möglich, es festzustellen. Aber
alles das war nur ein Vorspiel
für die Hölle, die am folgenden
Tag über die Hauptstadt Spa-
niens hereinbrach.
Vom 17 an, während der Nacht
vom 17 zum 18 und den ganzen
Tag, versuchte Franco mit Hilfe
seiner ausländischen Piloten Ma-
drid und seine Bewohner zu ver-
nichten. Es ist von jenem Au-
genblick an unmöglich die Zahl
der zerstörten Häuser, der getö-
teten Männer, Frauen und Kin-
der genau fastzustellen.
Am 18 November, in den er-
sten Nachmittagsstunden, war
Madrid in einen Feuermantel ge-
hüllt. Die drei bedeutendsten
Hospitäler der Hauptstadt stan-
den in Flammen. Es brannten
ausserdem die Puerta del Sol und
das Hotel Savoy. In einigen
dichtbevölkerten Strassen, wie
Calle Atocha und del Leon, bahn-
ten sich die Flammen, vom eisi-
gen Winde der Sierra angefacht,
unter dicken Rauchwolken einen
weg von Haus zu Haus.
Dieses höllische Bombardement
dauerte die ganze Nacht hin-
durch. Hunderttausende Madri-
der verbrachten sie in den Kel-
lern, schlaflos, paralysiert vor
Entsetzen, in ständiger Erwar-
tung, dass das Gebäude über
ihren. Köpfen zusammenstürzte
oder dass die Flammenzungen
bis zu ihrem Versteck durchdran-
gen. Das «Metro» von Cuatro Ca-
minos wurde von einer Bombe ge-
troffen, welche die Eingeweide
der Stadt biosiegte. Im Pflaster
auf der Puerta del Sol klaffte ein
Loch von fünfzehn Meter Breite
und zwanzig Meter Tiefe. In der
Umgebung des Telegraphenamts
fielen fünfzehn Brandbomben.
Man glaubt, dass die Zahl der
Toten ca 200 betrug und die der
Verwundeten etwa tausend.
Am 18 erreichten die Bombar-
dements ihren Höhepunkt. Die
schönsten Gebäude deri Haupt-
stadt — Kirchen, Klöster, Mu-
seen, die Nationalbibliothek, ver-
schied ene Botschaften, das
Ministerium des Ausseren, ein
Markt und ganze Häuserblocks—
standen in Flammen. Es waren
meist Bomben von grossem Kali-
ber ; ein Haus in der Calle Au-
gustin wurde von oben bis un-
ten zerstört und allein bei dieser
Explosion kamen dreissig Mens-
chen um. Sechzehn Stunden lang
säten die neuesten Erfindungen
der Kriegstechnik in der Umge-
bung der Puerta del Sol und im
Zentrum der Stadt Tod und
Vernichtung.
Am folgenden Morgen um acht
ein halb Uhr zeigten sich die
schwarzen Vögel erneut über der
Puerta del Sol. Sie spähten zwei-
fellos nach den Erfolgen der
Frankistischen Furien, warfen
zwei, drei Abschiedsbomben ab
und verschwanden im blauen
Äther. Am Nachmittag des 23
November zogen einige regen»-
schwere Wolken von der Sierra
herauf und hüllten Madrid ein.
Eine Million Menschen atmete
auf. Der Regen ergoss sich über
die Verteidiger Madrids, und
durchnässte die obdachlosen
Frauen und Kinder bis auf die
Knochen. Sie schliefen im dich-
ten Nebel, umweht von eisigem
Wind. Sie lagen auf den blutbe-
fleckten Strassen. Endlich durf-
ten sie es wagen zu schlafen. Die
Wolken, die sich über der tötlich
verwundeten Stadt entleer-
ten, löschten die letzten Flam-
men. Während einiger Tage hat-
ten Frauen und Kinder, Kranke
und Sterbende ein wenig Ruhe.
VIER WOCHEN IN DER
HÖLLE
Es dämmerte ; schwatzende
Gruppen füllten die Puerta del
Sol, das Forum von Madrid ; in
den Strassen der Arbeiterviertel
genossen spielende Kinder die
letzten Strahlen der untergehen-
den Sonne. Frauen standen
«Schlange» vor Bäckerläden und
Lebensmittelgeschäften, denn
alles begann knapp zu werden.
Scharen lachender, schreiender
Kinder strömten aus den Schu-
len, die in Madrid um fünf Uhr
geschlossen werden.
Auf der Plaza del Progreso, in
einem der ältesten Viertel von
Madrid, spielten um fünf Uhr
zehn gegenüber einem Kinder-
hort drei Kinder mit den Solda-
ten. Sie sahen etwas Dunkles vom
Himmel fallen und eines von
ihnen schrie : «Eine Bombe, eine
Bombe!» und alle drei warfen
sich zu Boden. Sie waren die ein-
zigen Überlebenden und die ein-
zigen Zeugen der Zerstörung des
Kinderhortes und eines Teils der
Plaza del Progreso. Einige Minu-
ten später zog man zwölf Kinder-
körper aus den Trümmern her-
vor ; sie wTaren nicht zu identifi-
zieren.
Das Geschwader Francos, be-
stehend aus dreiundsechzig Jun-
kers-Bombern, hatte sich unbe-
merkt, in grosser Höhe, der
Stadt genähert. Die Bomben reg-
neten vom heiteren Himmel auf
die ahnungslose Stadt herab. In
den Strassen von Getafe lagen
sechzig Kinder, zermalmt oder
verwundet. Der Turm der alten
Kirche von San Ginés, im Zen-
trum der Stadt, schwankte und
stürzte mit gewaltigen Getöse
herab. In der calle de la Luna
fiel eine Bombe in die «Schlan-
ge» vor einem Milchladen. Fün-
funddreissig Frauen, viele mit
Kindern auf dem Arm, fanden
den Tod. Gegenüber war ein
Metzgerladen. Der Metzger starb
mitten unter seinen Kalb— und
Ziegenfleischstücken. Einer
Frau, die gerade mit einem Kin-
de an der Hand in den Laden
trat, wurde der Kopf abgerissen.
Zehn Sekunden vor der Explo-
sion sahen Zeugen ein mit Haus-
rat von Flüchtlingen beladenees
Eselchen die Strasse heraufkom-
men ; hinter ihm schritt ein alter.
Mann mit zwei Kindern. Zehn
Sekunden später war von ihnen
nur eine blutige Masse übrig.
Im Zentrum der Stadt, wo es
weder Kasernen, noch militäri-
sche Verteidigungsanlagen gibt,
fielen zwölf Bomben. Eine fiel in
der Calle de Fuencarral, tötete
zehn Passanten und brachte das
Deposito eines Autos zur Explo-
sion, dessen Insassen sämtlich
umkamen. In der Calle de la Es-
pada wurden die Kinder von Mi-
lizianern, die dort in einem Kin-
derhort untergebracht waren,
unter den Trümmern des einstür-
zenden Hauses begraben. Von
einem mit Fahrgästen überfüll-
ten Autobus blieben nur ein paar
Metallreste und einige Fetzen
übrig.
Eine andere Bombe fiel in ein
Gärtchen an der Puerta de To-
ledo.
—Das Gärtchen — erzählte
mir Ginés Ganga, Abgeordneter
der Cortes und persönlicher Zeu-
ge dieses Vorgangs — war voll
von alten Frauen, die dort die
Sonne genossen und von Müt-
tern, die ihre Kinder spazieren
führten. Ich wurde durch die Ex-
plosion betäubt; als ich die Au-
gen öffnete, war das erste, was
ich sah, unförmige, blutige Fet-
zen, über den Rasen verstreut;
nackte Arme und Beine in gro-
tesken Verzerrungen. Der einzi-
ge Leichnam, der fast intakt ge-
blieben war, nach den Kleidern
zu urteilen eine Frau, .sass vorn-
übergefallen auf einer Bank.
Nur der Kopf fehlte...
Am folgenden Tag begrub
Madrid seine Toten. Es waren
circa zweihundert; zwei drittel
davon Frauen und Kinder. Nur
180 konnten identifiziert werden.
Dreihundert Verwundete, fast
alle schwer, lagen in den Hospi-
tälern.
Am 2 November wurde Madrid
dreimal bombardiert. In der calle
Jaime Vera, eine enge Gasse im
Süden der Stadt, gab es drei ge-
tötete Kinder und acht verletzte
Frauen. Eine halbe Stunde spä-
ter wurden noch acht Leichen in
einer nahliegenden Strasse ge-
borgen. In derselben Nacht wur-
den im hall einer Schule, die als
Deposito d'ente, vierzehn Frauen
und zwölf Kinder getötet.
Am 4 November um acht Uhr
morgens wurde der Markt von
Vallecas bombardiert. Resultat :
zwölf Tote, Frauen und Kinder.
Am 8 November begann die
Beschiessung Madrids durch die
deutsche s c h w ere Artillerie.
Gleichzeitig erschien über den
i\rbeitervierteln im Süden und
Westen der Stadt ein Geschwa-
der, bestehend aus Junkers und
Capronis.
Am 9 und 10 November wurde
Madrid ununterbrochen durch
Aviation und Artillerie beschos-
sen. Das Cortesgebäude wurde
schwer beschädigt. In den Pra-
do, der eine der wertvollsten Bil-
dersammlungen der Welt ent-
hält, fielen zwei Bomben. Allein
in diesen zwei Tagen gab es 350
Tote und Verwundete. Circa
1.000 Personen lagen im Hotel
Palace. In der Nacht vom 10 No-
vember fielen dreissig Bomben
von grossem Kaliber und viele
Brandbomben in den Nordbahn-
hof, auf die Plaza de la Indepen-
dencia, in den ehemaligen Kö-
nigspalast und die Umgebung
der Puerta del Sol. Um zwölf
Uhr brannten fünf Häuser.
Zwölftausend Flüchtlinge aus
den südlichen Stadtteilen ver-
brachten diese Nacht im Freien
oder unter der Erde.
Vom 12 November früh bis in
die Nacht- des 13, fiel ein un-
aufhörlicher Bombenregen auf
alle Teile der Stadt herab.
Am 14 November, mittags,
zerstörten zwanzig Bomben ein
ganzes Häuserkarree in der calle
de Atocha und im Pacifico, einer
südlichen Vorstadt. Der Ein-
gang zur Metro in der Calle Ato-
cha wurde zerstört ; achtzig Op-
fer wurden unter den Trüm-
mern hervorgezogen.
Der nächste Tag war ein Sonn-
tag. Die Madrider strömten auf
die Strassen, um das schöne Wet-
ter zu gemessen und den Alb-
druck der Woche abzuschütteln.
Ganze Familien pilgerten zu den
Hospitälern, um die Verwunde-
ten zu besuchen. Aber die emsi-
gen deutschen Piloten feiern
Sonntags nicht. Um vier Uhr
nachmittags erschien ein Ge-
ein Lazarett verwandelt war,
wurde am 12 November in Brand
geschossen und zerstört. Bis
zum Ende dieses Monats fielen
35 Brandbomben auf die Natio-
nalbibliothek und vernichteten
die Archive und das Archeologi-
sche Museum. Ausserdem wur-
den verschiedene Gebäude des
Botanischen Gartens, die Land-
wirtschaftliche Schule, die Insti-
tute Rubio und Rockfeiler mehr
oder weniger stark durch Brand-
bomben beschädigt.
Auch dem Ausland gehörende
Gebäude litten Schaden. In der
Nacht vom 16 zum 17 November
wurde die französische Gesand-
schaft zweimal bombardiert ; eine
der Bomben fiel in die Kanzlei
und es ist ein Wunder-, dass sie
nicht mehr Schaden angerichtet
hat. Das Velasquez-Haus, Ei-
gentum des französischen Unter-
richtsministeriums, wurde vier
Tage lang ununterbrochen bom-
bardiert ; augenblicklich liegt
dort kein Stein mehr auf dem
andern. Die rumänische Bot-
schaft wurde in Brand gesteckt.
Im Innern des Telegraphenam-
tes, eines fünfstöckigen Gebäu-
des, das einer amerikanischen
Gesellschaft gehört, richteten die
Bomben grossen Schaden an.
Ebenfalls völlig zerstört wur-
den die Büroräume und die Dru-
ckerei der «La Libertad», «El
Liberal», und des «Heraldo de
Madrid».
Am 30 November 1936 erklär-
te Kapitän Macnamara, Mitglied
der interparlamentarischen eng-
lischen Komission, die sich in
Spanien aufhielt, dem Korres-
pondenten der Reuteragentur in
einem Interview :
«Der dritte Teil von Madrid
ist eine Ruine.»
Dann fügte er hinzu :
«Wir waren Zeugen der gröss-
ten Infamie, die die Welt je ge-
sehen hat.»
TÄGLICHE TRAGÖDIEN
Ich war an jenem Nachmittag
zu Hause — sagte mir die Haus-
gehilfin Josefa Martínez, die am
30 Oktober verwundet wurde—.
Ich habe nichts von den Flugzeu-
gen gemerkt. Plötzlich gab es ein
furchtbares Krachen, ich fühlte
einen heftigen Stoss und lag auf
dem Boden. Dann fühlte ich,
dass ich aus dem Oberschenkel
blutete. Als man mich aufhob,
sah ich die kleine Tochter des
Hauses im Korridor liegen, tot.
Sie war 11 Jahre alt. Eine Mi-
nute vor der Explosion war der
Maler aus dem Hause gegangen.
Er hatte noch mit mir geulkt.
Mai; sagte mir, er sei auch tot.»
Der Ausdruck« vom Himmel
gefallen» hat für die Madrider
einen buchstäblichen Sinn be-
kommen, denn die Geschwader
Francos nähern sich in solcher
Höhe, dass es unmöglich ist, die
Flugzeuge zu sehen oder das Ge-
räusch der Motoren zu hören.
Aus heiterem Himmel, wo nichts
an drohende Gefahr mahnt,
schmettern die Bomben auf die
unglücklichen Opfer nieder, die
ahnungslos zu ihrer Arbeitsstät-
te gehen, vor dem Bäckerladen
Schlange stehen oder ihre Küche
scheuern. Und in einem Augen-
blick ist der Rahmen des alltä-
glichen Lebens gesprengt und
zum Schauplatz blutiger Tragö-
dien geworden.
(Farsetzung auf Seite 4)
Die Gesamtzahl der Opfer un-
ter der Zivilbevölkerung von Ma-
drid zwischen dem 24 Oktober
und dem 20 November beträgt,
nach unten abgerundet, ca 1.000
Tote und 2.800 bis 3.000 Ver-
wundete.
H I S TORISCHE GEBÄUDE
UND KUNSTSCHÄTZE
Es ist schwer, heute die Zahl
der Monumentalbauten, der Bild-
werke aus dem Prado und aus an-
deren Museen, der handschriftli-
chen Sammlungen der National-
bibliothek a b z u schätzen, die
durch den Vandalismus der Re-
bellen vernichtet worden sind.
Die folgenden Daten beziehen
sich ausschliesslich auf die
vorhin erwähnte vierwöchige
Periode.
Von den zerstörten Kirchen er-
wähnen wir nur die durch ihre
Kunstschätze berühmten. Am 11
November wurde die Kathedrale
San Francisco el Grande fast völ-
lig zerstört. Zwei Tage darauf
die Kirche von San Ginés mit
ihrem berühmten Altarbild. Am
17 wurde das Kloster San Jeróni-
mo mit seiner Kapelle, in der die
Trauung des letzten Königs von
Spanien, Alfons XHI mit der
Prinzessin Erna von Battenberg
stattfand, und die Kirche Santis-
sima Trinidad völlig zerstört.
Am selben Tage setzten die deut-
schen Bomben das berühmte Do-
minikanerkloster in der Calle
Atocha in Brand, das trotz der
Bemühungen des Verteidigungs-
komitees nicht gerettet werden
konnte.
Unter den Monumentalbauten
und Museen, die ganz oder teil-
weise zerstört wurden, muss der
Prado und der Palast des Herzogs
von Alba, erwähnt werden der
eine der wertvollsten Gemälde-
sammlungen der Welt enthielt
und den die Regierung der Re-
publik in ein Museum verwan-
delt hatte.
Das ehemalige Gebäude der
medizinischen Fakultät, das in
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Seite 3
28 März 1938
Spanischer Informationsdienst
Barbaren Aber Barcelonas Bimmel
digerweise scheitern. Wir sind
entschlossen, frei zu sein oder zu
sterben. Was kümmert uns die
Aviation der Legionäre mit ihren
monatlich bezahlten condottieri,
selbst wenn sie mit Bomben an-
kommt, die mit flüssiger Luft
geladen sind? Es gibt nur einen
Tod ; und der bleibt sich immer
gleich.
ABER AUSSERHALB SPA-
NIENS
Chamberlain hat im Unterhaus
gesagt, dass er beim Lesen der
Schilderungen von den letzten
Bombardements i n Barcelona
Entsetzen und Abscheu empfand.
Es ist nur natürlich, dass er das
empfand. Jedes menschliche
Wesen muss das empfinden. Ent-
setzen über das Verbrechen. Ab-
scheu gegen die feige und niedri-
ge Art, in der es verübt wurde
lind die erbärmliche Weise, es zu
entschuldigen...
Militärische Objekte! In dem
offiziellen und offiziösen Teil
ihrer Rundfunksendungen haben
die Faschisten gesagt, dass sie
die Ministerien und andere offi-
zielle Zentren Barcelonas bom-
bardiert hätten. Weder ein Mi-
nisterium, noch irgend ein offi-
zielles Zentrum ist von ihren
Bomben getroffen worden. Und
das ist begreiflich. Selbst wenn
sie es sich vorgenommen hätten,
sie hätten es nicht verwirklichen
können. Sie warfen ihre Geschos-
se aus einer Höhe von mehr als
5.000 Metern. Und sie begnügten
sich damit zu trachten, dass ihre
Bomben mitten unter die Bevöl-
kerung fallen. Sie waren sicher,
so oder so, ein Ziel zu treffen...
Das Ziel sind Privathäuser.
Das Ziel sind Nichtkämpfer.
Barcelona ist ein einziges unge-
heures Ziel von vielen Quadrat-
meilen. Es ist eine Grossstadt,
eine von den Städten, die Expo-
nente und Kernpunkte der Zivi-
lisation sind. Es ist die Quintes-
senz der Mühe und Arbeit vieler
fleissiger Generationen. Es ist
der Stolz einer edlen und zähen
Rasse, die bereit ist, sich für die
Zukunft zu opfern, die eine ern-
ste Auffassung vom Leben hat.
Es ist das Werk einer zweitau-
sendjährigen Geschichte...
Gegen alles dieses kämpfen die
Henker des Äthers, die Mörder
der Lüfte, die condottieri Musso-
linis, die Reisigen Hitlers. Pyg-
mäen, die gegen den Giganten
ankämpfen. Staub gegen einen
Felsen. Was können sie tun?
Man sieht es. Sie verüben einige
hundert, einige tausend Morde.
Und ziehen ab. Beschämt? Auf
jeden Fall überzeugt von ihrer
abgründigen Impotenz.
Aber diese Verbrechen — Völ-
ker der Erde! — sind nur der
Prolog der Schrecken, die noch
kommen. Hast du, Bewohner von
Paris, Bewohner von London, die
Schriften gelesen, welche die
deutschen Militärzeitschriften vor
zwei Jahren dem Plane Goerings
gewidmet haben, der sich mit
dem intensiven Bombardement
und der Zerstörung der französi-
schen Hauptstadt durch Feuer
befasst ?
Die totalitären Mächte üben
ihre Kräfte in Spanien. Hier
machen sie ihre Berechnungen
und schärfen ihre Krallen. Das
weite und runzlige Fell des iberi-
schen Stiers ist ihr Laborato-
rium, ihr Experimentiertisch.
Ist der Augenblick noch nicht
gekommen, wo der Selbsterhal-
tungstrieb die Demokratien zum
Handeln treibt?
Frühling in Barcelona. Früh-
ling am Mittelmeer. Die Luft ist
weich, süss und lau. Die Ram-
blas sind ein Meer von Blumen.
Vögel singen auf dem Gezweig
der Bäume, die von neuen Säf-
ten geschwellt sind. Tiefblauer
Himmel, v o n durchsichtigen
Wölkchen umsäumt.
Es ist Krieg, gewiss. Aber er
ist 200 km. entfernt. Hier, in
der grossen Stadt, in der Stadt
der anderthalb Millionen Men-
schen, breitet sich lärmendes und
buntes Leben aus, vibrierend von
Musik, von dumpfem Lärm, von
Gesang und Gelächter, von Ru-
fen und Schreien, von dröhnen-
den Hammerschlägen und Auto-
hupen, von den langgezogenen
Sirenen der Handelsschiffe.
Die Zeitungen bringen beweg-
te Schilderungen von den Kämp-
fen im Nieder-Aragon und ko-
mentieren sie in flammenden
Leitartikeln, aus denen Beklem-
mung sowohl als Hoffnung
spricht. Gewiss, man ist tief be-
sorgt. Aber das Leben geht sei-
nen normalen Gang. Das Hinter-
land hat seinen gewohnten Ryth-
mus nicht unterbrochen. Wie im-
mer, bestimmt das Tagewerk den
Rythmus des Lebens.
Man weiss, dass die Aviation
von Mallorca fortfährt, an der
Küste entlang Vernichtung zu
säen. Aber seit dem 30 Januar
war sie nicht nach Barcelona ge-
kommen. Die Tragödie von San
Felipe Neri, die achtzig von
Bomben zerrissenen Kinderkör-
per, ist auf den Seiten der Ta-
gespresse durch die Welt gegan-
gen. Ob die Schuldigen wohl
Reue empfinden ? Ob sie deshalb
nicht in die katalanische Haupt-
stadt kommen, die heute der Sitz
der zentralen republikanischen
Regierung ist? Vielleicht...
DIE THEORETIKER DES
VERBRECHENS
Es war der geniale Novellist
Wells, der angesichts der ersten
Versuche auf dem Gebiete der
Luftschiffahrt, ihre grandios-
schrecklichen Möglichkeiten vor-
ausgesehen hat. Der Mensch, der
den Spuren des Adlers folgend,
den Traum Lionardo da Vincis
verwirklicht, kann Gott sein und
Dämon. Und Wells hat in seiner
Novelle «Der Krieg in den Lüf-
ten»
vorausgesagt, dass das Luft-
schiff in der Hand der Militärs,
die Menschheit in die primitive
Barbarei zurückwerfen wird.
Er hat sich nicht geirrt. Wir
haben es soeben in Barcelona ge-
sehen. Ludendorff, der Preusse
und Douhet, der Italiener, der
eine tot, der andere lebend, ste-
hen im Hintergrunde der furcht-
baren Verbrechen, die die Flug-
zeuge aus Mallorca während
dreier Tage des Grauens in der
alten Grafentadt verübt haben.
Der Erstere hat den tot ahn
Krieg
erfunden, diese nieder-
trächtige Formel für die Ein-
schüchterung des Hinterlandes;,
durch welche der Nichtkämpfer
mehr gefährdet ist, als der Soldat,
der in der vordersten Linie
kämpft. Der zweite hat die allge-
meine Verwendung der Luftwaf-
fe erfunden, die bei den alten und
antiquierten Generalstäben Euro-
pas eine Hilfs= und Ergän-
zungswaffe, jedoch nach dem
Techniker, auf den wir uns be-
ruf eti, ein für den Endsieg ent-
scheidendes Element darstellt.
Ludendorff und Douhet haben
ihre Theorien vereinigt und aus
dieser monstrueusen Verbindung
enstand das Werk der wiederhol-
Fahrdamm scheint ein kleines
Mädelchen sich auf seinen Ärm-
chen, an denen die Hände fehlen,
aufzurichten...
Und das achtzehn Mal! —
Achtzehn ! — in weniger als vier-
zig Stunden...
DIE BILANZ
Die Regierung hat offizielle
Ziffern herausgegeben. 671 Tote.
1.200 Verwundete. 48 Gebäude
völlig zerstört; 71 teilweise
zerstört.
Diese Ziffern waren nicht end-
gültig. Es gab mehr Tote. Es
starben viele Verwundete.
über zweitausend Opfer in ei-
ner Stadt von anderthalb Millio-
nen Einwohnern, mehr als hun-
dert Häuser zerstört, in einer j
dichtbevölkerten Stadt, wo die
Strassen nach hunderten zählen
und wo es ausserdem unendlich
viel Plätze, Parks, Werften und
Gärten gibt.
Und was ist erreicht? Nichts.
Am Tag darauf war Barcelona
wieder das Barcelona von früher.
Es wusch das Blut von den
Strassen. Es begrub seine To-
ten ; brachte die Verwundeten in
die Flospitäler, räumte den
Schutt weg und nahm sein ge-
wohntes Leben wieder auf, sein
Leben der Arbeit und der Pro-
duktion.
DAS SCHEITERN DER EIN-
SCHÜCHTERUNGSPOLITIK
Von einem Bombardement zum
andern arbeitete Barcelona mit
unermüdlichem Eifer. Es arbei-
tete heroisch, barg die Opfer aus
den eingestürzten Häusern,
brachte sie in die Rettungsstatio-
nen, organisierte Wachen bei
den Gebäuden, die einzustürzen
drohten. Männer, Frauen und
Kinder nahmen an dem Werk der
Barmherzigkeit teil. Und das
Bewusstsein, dass die Mörder
wiederkommen würden, dass bald
wieder die grausigen dumpfen
Explosionen ertönen würden,
schreckte die zahllosen Retter
nicht. Eine tiefe Solidarität, ge-
boren aus Schmerz und Empö-
rung, eine Solidarität, die über
den Klassen, ja über den Ideolo-
gien stand, einte die Anstrengun-
gen der Behörden und der Arbei-
ter, der Syndikate und der Bur-
geoisie, der Polizei, der Militär-
personen und der Passanten. Man
sah schwache Frauen, Knaben
und Mädchen, mit Spaten und
Pickel hantieren, Tragbahren
improvisieren, Handkarren schie-
ben. Gewiss sah man — wer woll-
te das leugnen — wilde Massen-
flucht zu den Unterständen,
wahnsinnige Wettläufe nach den
Kellern und Untergrundbahnen,
aber daneben erlebte man auch
Szenen geistesgegenwärtiger
Tapf erkeit, stillschweigenden
Heldentums, edelster aufopfernd-
ster Selbstverleugnung...
SIE OPFERN VERGEBENS
IHRE ZEIT UND IHRE
BOMBEN
Ja, sie sollen es wissen, die in
Salamanca und Burgos, in Rom
und Berlin. Die verbrecherischen
Italo-Germanen yon Palma ver-
geuden ihre Zeit und ihre Bom-
ben. Weder der vereinzelte Raid,
noch der wiederholte systemati-
sche Angriff in Staffeln, können
etwas gegen Barcelona oder die
anderen Städte Spaniens, die für
ihre Freiheit und Unabhängig-
keit kämpfen, ausrichten. Die
Nerven unseres Hinterlandes
sind aus Eisen. Jeder Versuch, es
zu demoralisieren, muss notwen-
ten und systematischen Bombar-
dierungen offener Städte. «Der
Nichtkämpfer — schrieb Luden-
dorff — muss mehr leiden, als
der Kämpfer selbst. Auf diese
Weise wird er, entmutigt, auf
seine Regierung einwirken, da-
mit diese kapituliert. «Die Avia-
tion — sagt Douhet — muss auf
dem gesamten feindlichen Terri-
torium verwendet werden. Auf
diese Weise wird der Feind de-
moralisiert und gezwungen, sich
zu ergeben.»
DIE NEUEN GEISTER DER
VERNICHTUNG
Deutschland und Italien be-
nutzen den spanischen Krieg
nicht nur, um ihre militärischen,
politischen und wirtschaftlichen
Ziele zu verfolgen — die Erobe-
rung von Rohmaterialien und
strategischen Stützpunkten, die
Isolierung u n d Einkreisung
Frankreichs, die Beherrschung
des Mittelmeeres — sondern, um
ihre nagelneuen Vernichtungs-
maschinen auszuprobieren. Die
neuen Typen von Bombenflug-
zeugen — Bimotore und Trimo-
tore—, die neuen Jagdflugzeuge,
die neuen Flugzeugbomben, die
neuen Abwehrgeschütze,die neue
Anti-Tankartillerie, die neuen
Maschinengewehre, die neuen Ex-
plosivstoffe, die neuen Geschos-
se, die neuen Kanonen, die neuen
Panzerwagen werden an den Städ-
ten und Völkern Spaniens und an
dem Fleisch seiner Männer,
Frauen und Kinder ausprobiert.
Es folgt ein Guernica auf das
andere und während die Häuser
flammen und in den Strassen
schutzlose F 1 ü chtlingsscharen
niedergemetzelt werden, messen
fühllose Zeitmesser Wetter und
Entfernungen.
BOMBEN MIT FLÜSSIGER
LUFT
Barcelona ist die grauenvolle
Ehre zuteil geworden, dass an
seinem schönen starken Körper
die mit flüssiger Luft gefüllten
Bomben ausprobiert wurden, die
der germariische wissenschaftli-
che Vandalismus erfunden hat.
Es kannte bereits die Explosiv =
und Brandbomben. Die Bomben,
die zu Boden schmettern, die
spalten, die in Stücke reissen
und zugleich beschiessen, und
solche, die aus den Trümmern
der Familiengräber Flammen
herausschlagen. Und soeben hat
es die allerneuesten kennen ge-
lernt, anscheinend der letzte
Schrei der für die allgemeine
Vernichtung arbeitenden Chemie.
Flüssige Luft... Flüssige Luft,
die durch ungeheuren Druck zu-
sammengepresst, sobald sie ihre
Freiheit wiedergewinnt, zum dä-
monischen Agenten der Verhee-
rung und Vernichtung wird. Es
wirkt wie ein Erdbeben. Bringt
Gebäude zum Einstürzen, die für
die Ewigkeit gebaut schienen.
Und tötet, ohne zu verletzen. Tö-
tet heimtückisch, Tötet, ohne die
geringste Wunde zu hinterlas-
sen. Ihre Opfer zerplatzen inner-
lich. Die Erschütterung der at-
mosphärischen Schichten zer-
reisst ihnen die Lungen, die Le-
ber, die Milz, zerstört das Herz.
Und sie sterben, ehe der Arzt
Zeit hat, sich von dem Vorgefal-
lenen Rechenschaft zu geben.
ALLE "DREI STUNDEN EIN
BOMBARDEMENT
Sie fingen des Nachts an und
kamen dann alle drei Stunden,
und sogar öfter. In etwas mehr
als anderthalb Tagen erlitt Bar-
celona 18 Bombardements. Sie
flogen sehr hoch. Und erst durch
das dumpfe Krachen der Explo-
sionen machten sie sich bemerk-
bar. Die Sirenen heulten. Die
Menschen stürzten zu den Un-
terständen. Bei nächtlichen An-
griffen erlosch das elektrische
Licht. Der gesamte Verkehr
stand still. Ununterbrochen
dröhnten die Schüsse der Abwehr-
kanonen... Aber alles war schon
vorbei. Das grauenhafte Verbre-
chen war, s o unfassbar e s
scheint, Wirklichkeit geworden.
Ganze Stockwerke waren einge-
stürzt, und Dutzende von Un-
glücklichen, haupts ächlich
Frauen und Kinder, lagen unter
ihren Trümmern begraben. Auf
Strassen und Plätzen lagen die
verstümmelten Leichen der von
den Luftgeschossen überaschten
Passanten. Hier und dort schlu-
gen die von schwarzem Rauch ge-
krönten Flammen einer Feuers-
brunst zum teilnahmslosen Him-
mel empor. Dichtbelaubte Bäume
waren in tragische Stummel ver-
wandelt. Irgend eine zentrale
Strasse nahm plötzlich in den er-
schreckten Augen des verwirrten
Zuschauers das Bild einer Mond-
scheinlandschaft an...
Und dann noch einmal... Und
wieder... Und nach einer Weile...
Und von neuem... Man schlief
nicht. Man ass nicht. Aber man
arbeitete. Die Sirenen kündeten
periodisch wiederkehrend, die
Gefahr. Aber ihre Warnung kam
zu spät, denn schon waren ihr die
Explosionen vorausgegangen...
In Burgos oder in Salaman-
ca wurde es befohlen, den Anwei-
sungen aus Rom und Berlin fol-
fend. Es galt zu demoralisieren,
niederzudrücken, zu desorgani-
sieren, Panik und Flucht hervor-
zurufen, die moralische Wider-
standskraft zu brechen, den Geist
der Kapitulation zu säen... Wie
kann man der unaufhörlichen
Furcht widerstehen, dem unauf-
hörlichen Risiko, der unaufhör-
lichen Angst? War diese Berech-
nung grausam, bestialisch, teuf-
lisch? Sicherlich. Aber, was
kümmert da^ die Theoretiker der
Vernichtung !...
Oh diese unbeschreiblichen Bil-
der der Bombardierung !... Ein
Autobus, beladen mit Fahrgä-
sten, hält an, weil der Führer
ferne Explosionen hört. Einige
Sekunden bewegungsloser Stille.
Keiner wagt, auszusteigen. Wird
die Gefahr vorübergehen ? Plötz-
lich — ein Pfeifen. Was folgt,
ist ein einziger ungeheurer Schrei
der Agonie. Eine Bombe ist auf
das Fahrzeug gefallen und hat es
in einen flammenden Vulkan ver-
wandelt. Es ist wie ein Scheiter-
haufen, auf dem fünfzig Bareelo-
neser lebendig verbrennen...
Ein Platz. Darauf ein Kiosk.
Daneben eine schwarz-rot gestri-
chene Säule. Hier halten die
Elektrischen. Es ist offizielle
Haltestelle. Eine Gruppe von
Menschen wartet.
Und ein Geschoss fällt zwi-
schen den Kiosk und die Säule.
Jener verschwindet wie fortgebla-
sen. An seiner Stelle ist ein
schwarzes Loch. Die Säule, in
zwei, nein, in drei Teile gespal-
ten, fast geschmolzen, bricht in
Stücke. Von der Gruppe bleiben,
als der Rauch sich verzieht,
nichts als einige menschliche
Glieder zurück, ein bestrumpftes
Bein, ein Kopf, dessen Augen
noch erfüllt sind von Entsetzen,
ein nackter Arm, ein blutiger
Rumpf... Und mitten auf dem
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Seiíe 4
Spanischer Informationsdienst
28 März 1938
Das diplomatische Korps
im spanischen Krieg
Vor kurzem war es der Beobachter aus dem Nicht-Interventions-
komitee auf dem Schiff Siamvell, welcher der totalitären Barbarei
zum Opfer fiel. Heute ist es der Vizekonsul von Frankreich, Mr. An-
tony Le Couteux ; der Generalkonsul von Frankreich, Mr. Binet und
der frühere Brasilianische Gesandte, señor Pecanha, sind von den
Bomben der Luftpiraten verwundet.
Die Strassen Barcelonas sind nicht nur vom Blute der stoischen
Bürger gefärbt, welche auf ihrem Posten im Hinterland die Ehre des
spanischen Zeltes verteidigen — heute mehr als je die Synthese edel-
ster Selbsverleugnung — es ist auch das Blut der Angehörigen der
internationalen Diplomatischen Organisationen, des die spanische
Erde düngt, um noch deutlicher das Recht unserer Sache, von dem
sie sich auf jedem Schritt überzeugt haben und das Verbrecherische
und Feige der franco-italienisch-deutschen Agression aufzuzeigen.
Die Bombardements wiederholen sich, angesichts der unerklärli-
chen Untätigkeit derer, die berufen sind, sie zu verhindreu. Aber
trotz allem. Wir sind in einer Lage, wo es heisst, den Kampf fort-
zusetzen, bis der Eindringling und die Verräter des Vaterlandes ver-
nichtet sind. Das spanische Blut fliesst in Strömen, zu unserer Ver-
teidigung und zur Verteidigung alles dessen, was Freiheit und De-
mokratie heisst. Spanien bietet ein einzigartiges, gewaltiges und er-
habenes Beispiel. Neben dieser edelsten Geste unseres unbesieglichen
Geistes, verdient die loyale Haltung der diplomatischen Vertreter
jede Anerkennung. Mehrere Diplomaten haben bereits, in Ausübung
ihrer speziellen Funktionen, den Tribut der Nichteinmischung ge-
zahlt.
Dieses Korps, welches das Ausland vertritt, hat im Verlaufe des
Krieges empfindliche Verluste erlitten. Mehr als ein Repräsentant
des hin und her schwankenden Nicht-Interventionskomitees, ist im
Kampfe gefallen ; in diesem Kampfe, der immer länger wird, wie
der Schatten dieses sporadischen Instrumentes, das aus dem neuen
internationalen Recht hervorgegangen ist. Ein besonderer Fall ; ein
Fall, der wert ist, im der Stille des Studierzimmers untersucht zu
werden, unabhängig von dem Bedrückenden der Tragödie, um sich
in seine ethischen Hintergründe zu vertiefen und sich seine keine-
swegs erwünschten Resultate vor Augen zu führen. Diese neue Auf-
fassung der rechtlichen Beziehungen, der Völker untereinander deren
Verkörperung, könnte mau sagen, die Nicht-Intervention sein könn-
te sach sich am eigenen Körper verwundet. Viele ihrer Mitglieder sind
Opfer dieser Nicht-Einmischung geworden.
Die Diplomaten, denen wir den Tribut unserer Bewunderung
zollen ; die Diplomaten, die sich an unserer Seite befinden, sind die
objektivsten Zeugen dafür, was den Sinn unseres Kampfes ausmacht,
welches unsere Kampfmethoden sind und welches in Summa die
Konsequenzen unseres endgültigen Triumpfes sind.
Sie werden ihre Stimmen eines Tages erheben können, um der
Welt zu sagen, wie gross unsere p^uergie im Leiden ist und wie vor-
bildlich unsere Haltung in der Tragödie.
Sie, die unabhängig von allen Losungen der Kanzleien das er-
schütternde spanische Problem erleben, tragen in ihrem Innern die
unvergesslichen Bilder des Erlebten. Zu irgend etwas musste die
Nicht-Intervention doch nutze sein, ausser dem, dass sie unseren
Endtriumph verzögert und die totalitäre Einmischung erleichtert hat.
Zu etwas : nämlich dazu, dass die, die am Leben bleiben, die von der
wilden Barbarei der Piraten aus 5.000 Meter Höhe verschont geblie-
ben sind, eines Tages ihre Stimme erheben können und sagen : «Die
Nicht-Intervention hat ein Land geknebelt, gefesselt und vergewal-
tigt, und dennoch hat dieses Land es fertig gebracht, den Feind aus
eigenen Kräften zu schlagen, die übrigen demokratischen Völker zu
verteidigen und das glorreichste Beispiel won Treue zu geben».
Aber zweifellos werden sie auch ■— wenn es auch nicht in Worten
ausgedrückt wird — in ihrer Seele ein solches Mass von Bitterkeit,
einen so tödlichen Stachel davontragen dass sie, wenn ein solcher
Fall eintreten sollte, eine Fiktion fliehen werden, die es möglich
machte, dass im Hinterland «unter dem Titel der Nicht-Interven-
tion» eine beträchtliche Anzahl von Beobachtern ihr Leben lassen
mussten, die in keiner Weise zu den Kämpfern gezählt werden
können...»
Ein besiegtes Spanien.
(Farlsetzung)
erheben — wie es unsere Brüder
in Spanien getan haben — um
die Freiheit und Frankreich zu
verteidigen.
Aber, muss man wirklich völ-
lig passiv abwarten, bis man uns
zu diesem Extrem treibt? Müs-
sen wir mit unserer Verteidigung
warten, bis Frankreich isoliert,,
eingekreist, von den nord-afrika-
nischen Verbindungswegen ab-
geschnitten ist? Mit anderen
Worten, müssen wir uns in die
Enge treiben und uns den Krieg
aufzwingen lassen ?
Ich meinerseits, antworte dar-
auf wie ich es vom ersten Tage
an getan habe : dass unsere Brü-
der in Spanien, indem sie für
sich kämpfen, zugleich auch für
uns kämpfen, indem sie ihre
Unabhängigkeit verteidigen, auch
die unsere verteidigen, dass sie
aus ihrem Körper eine Mauer ge-
gen den Krieg machen, der uns
bedroht. Ich gemeinsam mit der
C. G. T., mit der Liga für Men-
schenrechte, mit dem Sozialisten-
scher Bomben, die Knechte des
«Führers», als Kriegstreiber hin-
stellen ! Das Land wird nicht so
leicht daran glauben, dass die
Kanonenhändler und Hassver-
breiter plötzlich zu Friedens-
freunden geworden sind und dass
wir, die Republikaner, uns eben-
so plötzlich in Kriegsenthusia-
sten verwandelt haben. Um das
Volk unserer Städte und unseres
Landes eine solche Lüge schluc-
ken zu lassen, brauchten die
französischen Agenten Berlins
mehr Millionen, als die Nazis
ihnen geben könen. Der Friede,
der wahre Friede, beruht auf dem
Recht der Völker, über sich
selbst zu bestimmen, auf der
Achtung vor dem Gesetz, auf der
kollektiven Sicherheit, und wir
sind es, die ihn verteidigen, und
wir, die ihn retten werden. Was
die Csaristen, die Crasisten und
die anderen Verräter betrifft, so
wollen wir mit ihnen nicht weiter
diskutieren : wir fordern, dass
man sie festnimmt und sie ausser
Gefecht setzt. Albert BAYET
kongress in Marseille, mit den
Kommunisten, mit Herriot, mit
Daladier — ich fordere, dass
Frankreich im Namen seiner
eigenen Sicherheit, im Namen des
Friedens, der gerettet werden
muss und kann, unverzüglich
und entschlossen der spanischen
Republik zu Hilfe eilt.
«Das bedeutet den Krieg» !
schreien die französichen Agen-
ten des Führers. Nein ; das be-
deutet nicht den Krieg. Im Ge-
genteil, das bedeutet eine Siche-
rung des Friedens, denn wenn
wir uns endlich entschlossen der
Kriegstollheit entgegenstellen, so
w erde n die Friedensfreunde
neuen Mut schöpfen und der
Kriegswahnsinn wird zusammen-
brechen ; lassen wir uns aber,
unter dem Vorwand, den Frieden
zu retten, einkreisen, so öffnen
wir der Katastrophe Tür und
Tor, und der Ruin Spaniens wäre
ein Vorbote unseres eigenen Un-
terganges.
Sollen uns daraufhin die «Ex-
nationalen», die Aufstapler deut-
Vier Wochen in der Hölle
ist eine Frage der Nerven und des
Temperamentes, die nichts mit
politischen Überzeugungen zu
tun hat. Während eines Luftan-
griffs ist die Zivilbevölkerung
weder eine politische, noch eine
heroische Einheit ; sie ist nichts
als eine Herde in einem Schlacht-
hause. Franco hat diese Metzelei
mit vollem Bewusstsein provo-
ziert. Am i6 August erklärte er,
dass er niemals die Haupt-
stadt seines Vaterlandes bombar-
dieren würde, und am 29 August
fing er an es zu tun. Er hat ge-
logen. Er hat aus seinen Mitbür-
gern, friedlichen Individuen, die
in ihren Büros, ihren Fabriken
und Häusern sitzen, eine Beute
blutdürstiger Mörder gemacht.
Das ist kein politischer Akt; das
ist eine Herausforderung an die
Zivilisation.
Wer die Hölle von Madrid er-
lebt hat — mit den Augen, mit
seinen Nerven, seinem Herzen,
seinen Eingeweiden — und vor-
gibt, neutral zu bleiben, ist ein
Lügner. Wenn diejenigen, die
über eine Druckerpresse und
Druckerschwärze verfügen, um
ihre Meinung auszudrücken, ge-
genüber solcher Bestialiltät neu-
tral bleiben, dann ist Europa
verloren. In diesem Fall müssen
wir uns hinsetzen, den Kopf in
den Sand stecken und warten,
bis uns der Teufel holt. Und in
diesem Fall ist es mit unserer
westlichen Zivilisation zu Ende.»
Kinder weinten und riefen nach
ihren Müttern. Neues Krachen.
Der Fahrstuhl war herunterge-
stürzt : aus den Ruinen ragten
Arme und Beine. Jetzt kommt die
Feuerwehr und eine Ambulanz.
Man beginnt die Toten unter den
Trümmern hervorzuziehen...»
Folgender Abschnitt stammt
aus der Feder meines
Freunde Louis Delaprée, vom
«Paris Soir», der einige Tage,
nachdem er diese Zeilen geschrie-
ben hatte, bei der Beschiessung
des Flugzeugs, in dem er reiste,
umkam.
«Gestern — schrieb er—, sah
ich wärend eines raid, wie drei
Kinder ruhig inmitten der Stras-
se standen und zum Himmel
schauten. Ein Milizionär drängte
sie mit Gewalt in ein Portal.
Kaum war der Mann fort, da
standen sie auch schon wieder
auf der Strasse. Eine alte Zei-
tungsverkäuferin, welche die
Szene mit ansah, sagte, ihren
weissen Kopf schüttelnd : «Las-
sen vSie doch den Kindern ihren
Spass ! Es ist ja sowieso bald zu
Ende mit uns allen...» Ein Luft-
angriff ist für diejenigen, die ihn
erleben, kein politisches Ereig-
nis, sondern eine elementare Ka-
tastrophe wie ein Erdbeben oder
der Ausbruch eines Vulkans. Ei-
nige bleiben dabei kaltblütig, an-
dere verkrampfen sich oder er-
starren in fühlloser Apathie. Es
{FarSetzung)
Ich war gerade die Milch holen
gegangen — erzählte eine ande-
re Hausangestellte, Emilia Gar-
cia —' als ich eine riesige Flam-
me auflodern sah. Ein donner-
ähnliches Krachen und ich fiel
zu Boden ; ich verlor das Be-
wusstsein ; aus meinen Schläfen
strömte Blut; Als die Ambulanz
mich holte, sah ich wie durch
einen Schleier die Strasse mit
blutigen Fleischstücken über-
säht ; Das ganze Pflaster war rot
und ich verlor von neuem das
Bewusstsein.
«Frauen und Kinder hatten
sich in den Keller geflüchtet —
schreibt die Journalistin Ilse
Wolf, ein Wohnhaus während
eines Bombardements beschrei-
bend— ; Eine Wolke von Rauch
und Staub drang plötzlich in die
Kellerräume. Die Atmosphäre
war zum Ersticken. Die Kinder
begannen zu schreien. Gleichzei-
tig ertönte von oben Donnerge-
töse. Eines der Stockwerke war
' eingestürzt; die Frauen packten
ihre Kinder und stürzten ins
Freie. Rote Flammen schlugen
ihnen entgegen, die an den Haus-
wänden leckten. Einige der Ein-
wohner, die in den unteren
Stockwerken wohnten, drangen
erneut in die Wohnungen und
warfen Matrazen und etwas
Wäsche aus den Fenstern. Ein
Kind wurde vermisst. Andere
vorhanden, was die Schüler brau-
chen ; aber mau wird ebensowe-
nig etwas Überflüssiges darin
finden. Die Schüler werden, ne-
ben voller Verpflegung, den glei-
chen Lohn weiter beziehen, den
sie in den Fabriken und Werks-
tätten hatten, in denen sie gear-
beitet haben.
—Zu den Eintrittsexamen ha-
ben sich über 90 Schüler gemel-
det ■— sagte der Direktor—. Alle
waren sehr gut vorbereitet und
der Wettkampf äusserst heftig.
70 haben die Prüfung bestanden,
darunter befinden sich 15 Jüng-
linge, für die ein spezieller Flü-
gel des Gebäudes zum Aufent-
halt reserviert worden ist.
Ferner gibt es hier einen Klub,
einen Erholungsraum, _ Sport-
plätze und auch zwei Bibliothe-
ken, eine rein literarische und
eine professionelle. Es ist dafür
gesorgt, dass die Arbeiter, die
dank der Republik eine höhere
kulturelle Atmosphäre gemessen
werden, keinen Augenblick ihre
Herkunft vergessen und auf sie
stolz sind.
Bei der Einweihung gab es
keinerlei Festlichkeit. Die Schü-
ler zogen in aller Schlichtheit,
gemeinsam mit ihren Lehrern, in
ihr neues Heim ein und vereinig-
ten sich, unter der einzigen of-
fiziellen Assistenz des Madrider
Delegierten des Unterrichtsmi-
nisteriums, bei einem gemeinsa-
men Mittagessen—einem Kriegs-
essen—, ohne den geringsten
Luxus, das gewöhnliche Menü,
das die Schüler, mit kleinen Va-
riationen, von jetzt ab täglich
haben werden.
Und während wir das Gebäude
verlassen, denken wir, dass eben-
so wie es sich hier um ein Bil-
dungszentrum von neuem Cha-
rakter handelt, auch die Atmos-
phäre, die darin herrscht, eine
völlig neue ist : eine iVtmosphä-
re, in der man einen weit grös-
seren Optimismus empfindet, als
in den alten Zentren des offiziel-
len Unterrichtswesens.
Eröffnung eines Arbeitergpnasiums in Madrid
von unserem Madrider Spezialkorrespondenten
Schülern umher. Als wir uns
ihm nähern, beantwortet er be-
reitwilligst unsere Fragen, voller
Enthusiasmus darüber, die Idee,
mit der er sich schon seit langem-
trägt, verwirklicht zu sehen.
■—Der Einweihungsakt — sagt
er zu uns — ist ganz einfach,
entsprechend den schweren Zei-
ten, die das spanische Volk
durchmachen muss ; aber ich
werde Ihnen das Gebäude zeigen
und Sie mit den von uns geschaf-
fenen Einrichtungen bekannt
machen.
Bei dem Rundgang durch das
Institut begleiten uns ausser dem
Direktor, der Architekt Mosque-
Heute wurde in Madrid das
Gymnasium für Arbeiter einge-
weiht. Das saubere, geräumige
Gebäude war erfüllt von über-
strömender Erregung. Die Gän-
ge- glichen einem menschlichen
Ameisenhaufen und überall sah
man lachende Gesichter ; die
jungen Arbeiter sahen den so
heiss ersehnten Augenblick ge-
kommen, wo sie ein Studium be-
ginnen konnten, das bisher für
die vom Glück Begünstigten und
nicht für die Fähigsten reserviert
war.
Der Leiter des Institutes, Don
Marcelino Martín, geht plau-
dernd unter seinen künftigen
ra und der Verwalter Vidal Pi-
quer.
Das Gebäude ist ein ehemali-
ges Kloster. Aber die Umbauten
und Abänderungen, die darin
vorgenommen wurden, sind so
bedeutend, dass man sagen kann,
dass nur die äusseren Mauern
stehen geblieben sind. Das ge-
samte Innere ist vollkommen ver-
ändertj; die Hörsiälfe sEndf ge-
räumig, sonnig und mit dem mo-
dernsten Lehrmaterial ausgestat-
tet. Aber das Interessanteste
sind wohl die für die Schüler
bestimmten Wohn räume. In
freundlichen, weissen Zimmern
stehen je drei Betten. Es ist alles
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28 März 1938
Spanischer Informationsdienst
Seite 5
Der Kampf des reaktionären Spanien
gegen das Aufbauwerk der Republik
Als im Jahre 1931 die Monar-
chie in Spanien fiel, nahmen die
Befreier des Volkes von Anfang
an eine höchst zurückhaltende
und vorsichtige Haltung gegen-
über den landwirtschaftlichen
Problemen ein.
Die Republik sah sich einem
verödeten und trostlosen Spanien
von beschämender Ignoranz ge-
genüber, das ein Opfer von be-
rufsmässigen Sadisten, von Wu-
cherern und Kaziken war, die
unter dem einfachen Volke eine
Art von modernistischem Evan-
gelium predigten und ausübten :
«die Resignation im Elend».
Die Art der Verteilung des
spanischen Bodens bietet keines-
wegs ein sehr erfreuliches Bild.
Es sieht folgendermassen aus :
18.353.546 Hektar kultivierte
Bodenfläche.
25.281.100 Hektar Viehweiden
und Heideland.
3.814.628 Hektar unfruchtba-
res Land.
Nach der Ansicht der Techni-
ker müssen diese Ziffern folgen-
dermassen übersetzt werden :
10 % nackter Felsen ; 35 %
Terrain mit geringer Produktion
und 10 % des Terrains in der
Hand der vom Glück Begünstig-
ten.
Auch die Perspektiven inbezug
auf Viehweiden und Heideland
waren nicht sehr verlockend,
denn wenn diese auch mit
25.281.100 Hektar angegeben
wurden, so erreichte ihre Zahl in
Wirklichkeit kaum die Hälfte,
infolge der Ausraubung durch
die Monarchie.
Nach dem amtlichen Kataster-
bericht betrug die Menge der im
Kataster für die verschiedenen
Provinzen eingetragenen kulti-
vierten Ländereien 10.479.198
Hektar und der unkultivierten
9.169.299 Hektar. Diese Ziffern
sind ein deutlicher Beweis für
die geringe Aufmerksamkeit, die
die Regierung der Monarchie der
Landwirtschaft als Reichtums-
quelle geschenkt hat. Was die so-
ziale Seite der Frage betrifft, so
bieten die folgenden Zahlen ein
gutes Bild :
Grossgrundbesitz : 7.969.029
Hektar.
Mittlerer Grundbesitz:
2-339-957 Hektar.
Kleiner Grundbesitz:
8.014.715 Hektar.
Das war in grossen Zügen die
Perspektive der spanischen Land-
wirtschaft im Jahre 1931. Diese
unhaltbare Verteilung des Bo-
dens fand die Republik bei der
Übernahme der Regierung vor.
REFORMISTEN, POLITI-
KER UND WUCHERER
Aber die Republik vom 14
April, die ihren mehr reformi-
stischen als revolutionären Pos-
stulaten treu blieb, wollte in den
landwirtschaftlichen Problemen
das verwirklichen, was in allen
zivilisierten Ländern bereits ge-
tan war. Es braucht nicht gesagt
werden, dass die Projekte der
Regierung der ersten zwei Jahre
der Republik den Unwillen und
die Rachegelüste der sogenann-
ten Männer der «Ordnung und
Kirche» hervorriefen, von denen
die einen Phantasten waren und
die anderen beschränkt und die
Mehrzahl Schurken und Faul-
pelze und daher unfähig zu be-
greifen, dass der spanische Bo-
den allen Spaniern gehören müs-
se und nicht einer Minderheit
von Feudalherren und Mönchen.
In diesem Sinne wurden die
ersten Schritte einer Agrarre-
form angebahnt. Sie wurde von
oben nach unten durchgeführt,
das heist auf legislativem Wege,
um innerhalb des Gesetzes die
neue juridische Tatsache zu be-
festigen. Aber gegenüber dem
typisch evolutionärem Programm
der Konstituierenden Cortes,
zeigte sich sofort die obstrukti-
ve Tendenz, das traditionelle
Hindernis,
die konservative Po-
litik der Privilegierten und der
Wucher der Kleriker.
Die konservativen Politiker
und Wucherer wehrten sich aus
allen Kräften gegen die legale
Reform auf dem Gebiete des
Grundbesitzes, soweit sie sich
auf den «klassischen spanischen
Grossgrundbesitz» bezog.
Man muss in Betracht ziehen,
dass die konservativen Politiker
und Wucherer einen Reichtum
repräsentierten, der sich vor dem
Weltkrieg auf 77 Milliarden be-
lief. Die Renten dieser Multimil-
lionäre betrugen, nach unserer
Berechnung 10.745 Millionen Pe-
seten, und waren im Jahre 1930,
auf Grund des «Mehrwertes»,
auf 25 % Milliarden gestiegen.
In der vorhergehenden Periode
der Republik betrugen die Ren-
ten des bäurischen Besitzes aus
Kapital und Arbeit :
Wert der Produktion : 5.485
Millionen Peseten.
Besitzrente : 2.340 Millionen
Peseten.
Landarbeiter löhne : 1.960 Mil-
lionen Peseten.
Man beachte, dass die obigen
Ziffern, ungeachtet der ungefäh-
ren Berechnung, den Keim aller
gewaltsamen Revolutionen in sich
tragen.
Das will heissen, dass die reak-
tionären Politiker und Geldver-
leiher das nicht zu Verteidigende
verteidigten; wie Uribe, der ge-
genwärtige Minister der Repu-
blik, erklärte. Sie verteidigten
den Zustand, dass 100.000 Grund-
besitezr 12 Millionen Hektar
Land besassen ; dass zwei Mil-
lionen armer Bauern der Boden
fehlte, den sie bearbeiten könn-,
ten und auf dem sie ihren Unter-
halt fänden und dass weitere
zwei Millionen landwirtschaftli-
cher Arbeiter sich im grössten
Elend befanden.
In Summa : «...dass 59 % des
spanischen Bodens unbearbeitet
blieb ; 79 % der unkultivier-
ten jedoch brauchbaren Lände-
reien am Mangel an Baumbestän-
den litt.»
(Erklärung Clarions auf dem
Kongress der Ingenieure 1921.)
DIE IM KAMPF GEGEN DIE
SOZIALPOLITIK DER RE-
PUBLIK VERFOLGTE LI-
NIE
Um den Mangel an Weitblick
dieser Männer der «Ordnung»
zu kennzeichnen, stellen wir fest,
dass die «Spanier von Burgos»
konsequent und hartnäckig die
gegonnene Linie des Kampfes
gegen das soziale Werk der Re-
publik weiterführen. Denn die
negative Arbeit der spanischen
Reaktionäre kann durch folgen-
des Paradoxon charakterisiert
werden : sie wollen als Männer
der «Ordnung» erscheinen und
«Unordnung» stiften. Klarer
ausgedrückt : ehe sie von ihrem
Egoismus lassen, zerstören sie
lieber alles, sogar die Unabhän-
gigkeit Spaniens.
Man beschuldigt die zwei
«roten» Jahre, die Streiks, Sabo-
tagen, Besitzergreifung von Gü-
tern, etc. ; aber dieses Argument
hält keiner vernünftigen Kritik
stand. Wenn es unter der Land-
bevölkerung Rebellion gab, so
gab es ihrer weit mehr unter den
herrschenden Klassen, welche
die unglücklichen Bauern zu die-
sem Zweck aufhetzten, begün-
stigten und kauften. Weder die-
jenigen, welche das «klassische
Eigentum» verteidigten und sich
dabei Republikaner nannten —
die Anhänger einer Republik mit
dem Kardenal Segura an der
Spitze — noch die, welche die
Republik innerhalb der republi-
kanischen Legalität angriffen —
die von Angel Herrera geführte
Gruppe — wirkten für eine ge-
rechte Sache. Die einen wie die
andern hofften mit Hilfe der ent-
täuschten Arbeiter die Republik
zu stürzen und zu den Fleisch-
töpfen Aegypten zurüchzukeh-
ren.
Andrerseits konnte die niedri-
ge und erbärmliche Haltung der
«señoritos» —■ der traditionellen
und der arrivierten — im Spa-
nien des XX Jahrhunderts nicht
fortgeführt werden. Viele Ort-
schaften, die dem «Tyrannen»
unterworfen lebten, haben das
Martyrium des spanischen Pro-
letariates durch offenen Kampf
gegen das spanische Feudalsy-
stem noch vermehrt. Denn im
Spanien von 1931 gab es noch
Feudalismus.
Die Folgen dieser antisozialen
Richtung spiegelt sich in der fol-
gender kriminellen Statistik des
Jahres 1920 wieder, welche sich
nur auf die acht andalusischen
Provinzen bezieht :
Delikte gegen die öffentliche
Ordnung : 924.
Persönliche Delikte : 5.124.
Selbstmorde : 331.
Eigentumsdelikte : 7.585.
EINIGE BEWEISKRÄFTIGE
BEISPIELE
Wenn wir die Handlungsweise
der «Granden von Spanien» un-
tersuchen —■ der grösste Teil
dieser «Granden» waren, zwar
nicht klein, aber niedrig und ge-
mein, so haben wir da zum Bei-
spiel einen Ex-Herzog de San Pe-
dro de Galatino, der 30 Kilome-
ter hinter Malaga eine Herr-
schaft (señorío) besass, mit 870
Bauern als Vasallen. In seinem
«señorío» zirkulierte kein natio-
nales Geld und die Justiz wurde
im Namen des Herzogs ausgeübt.
Erinnern wir uns auch eines
Ex-Herzogs del Infantado, der
im Munizipalgebiet von San Juan
de los Reyes und Fuencarral
Güter besass, die eine Ausdeh-
nung von 958 Hektar hatten.
Und, um nicht noch mehr zu
zitieren, den Ex-eonde de Roma-
nones, Herr über fast die ganze
Provinz Guadalajara.
Wir müssen hinzufügen, dass
die Ex-Granden, wie fast die
ganze Agrar-Plutokratie, «katho-
lisch, apostolisch, römisch» wa-
ren, aber weder an Christus
glaubten, noch das Evangelium
befolgten, wohl aber die durch
die «Heiligen Väter» diktierten
Normen zur Verteidigung des
schlecht verwalteten und auf
noch schlechtere Weise erworbe-
nen Eigentums. Sicher war, dass
die Religion, ebenso wie die
Kleider, zu nichts anderem dien-
te, als die Scham zu verdecken.
DIE «TOTE HAND»
Ein anderes Bild von den Zu-
ständen auf dem spanischen Lan-
de bot die Lage der kleinen
Grundbesitzer, welche die Re-
publik aus den Krallen der Geld-
verleiher und kirchlichen Inqui-
sitoren zu befreien bemüht war,
die in der Macht und im Reich-
tum die früheren Besitzer der
jenigen Güter ersetzten, die man
mit «tote Hand» zu bezeich-
nen pflegt.
Es gab im monarchischen Spa-
nien einen Organismus, welcher
der ausländischen Macht des
Papstes unterstellt war, die soge-
nannte «Katholische Soziale Ak-
tion», deren Zweck es war, die
einfachen Landleute mit Wolken
von Opium zu benebeln, und
zwar auf der Basis der «bolsche-
wistischen Hölle», welche zwei-
fellos ein moderneres Thema
war, als die «ewige Verdamm-
nis» . Tochterorganisation der
«Katholischen Sozialen Ak-
tion» waren die Katholischen
Landwirtschaftlichen Syndikate,
Nester derer, die die Güt/fer
der «toten Hand» zurückforder-
ten. Die Pfaffen und Mönche
bemächtigten sich der Ernten,
der Renten, ja sogar der persön-
lichen individuellen Freiheit.
Die Katholische Soziale Aktion
wurde gebildet aus dem Zentral-
komitee der Katholischen Sozia-
len Aktion, dem Nationalrat der
katholischen Arbeiterorganisatio-
nen, der Katolisch-Agrarischen
Nationalen Konföderation, der
«Acción Popular», etc., alle unter
der Leitung der Kardinäle Segu-
ra und Ilundain ; des Abgeord-
neten Marín Lázaro, des Ex-
Sekret ärs der katholischen
Union, Aristizábal und des Di-
rektors des «El Debate», Herre-
ra Oria.
Man braucht nicht zu betonen,
dass die äusserst aktiven römi-
schen Filial-Organizationen die
Sophismen Leos XIII, die Ma-
növer Pius X und Benedikts XV
und die wirtschaftspolitischen
Programme — die Enzykliken —
Pius IX oder Pius XI sehr ge-
schickt handhabten, um schliess-
lich zu folgender Norm in der
Ausbeutung der kleinen Grund-
besitzer in Spanien zu gelangen :
Preis der Rente pro Hektar im
Jahre
1913 : Minimum 15 Pese-
ten ; Maximum 35 Peseten.
Preis der Rente pro Hektar im
Jahre
1930 : Minimum 50 Pese-
ten ; Maximum 100 Peseten.
Das bedeutet, dass bei diesem
Tempo im Jahre 1947 die Renten
230 und 120 Peseten pro Hektar
erreicht haben würden, als Ma-
ximum, resp. Minimum.
Diese Taktik erreichte ihren
Höhepunkt in den Jahren 1931
und 32 mit dem Ziel, gegen das
Werk der bolschewistischen»
Republik zu arbeiten, indem man
die Preise der Produkte in die
Höhe trieb.
Nicht weniger interessant war
die Form, in der dem Arbeiter
die Doktrinen der Enzyklika
«Rerum Novarum» beigebracht
wurden.
Die Tagelöhne auf dem Lande
in Sevilla während des Som-
mers
1935 :
Männer : Maximum 3 Pese-
ten ; Minimum 2,25 Peseten.
Schnitterinnen : 1,50 Peseten.
Kinder : Maximum, 2,50, Mi-
nimum, 0,50 Peseten.
In Jeres de la Frontera :
Männer : Maximum 2,50 Pese-
ten ; Minimum 2 Peseten.
Frauen : 1,25 Peseten.
Kinder : 0,25 Peseten.
In Córdoba :
Männer : 3 und 2 Peseten.
Frauen : 2 Peseten.
Kinder : 0,60 und 0,25 Pese-
ten.
Der Arbeitstag war ofiziell auf
acht Stunden festgesetzt ; in
Wirklichkeit aber waren es 12,
14 und 16 Stunden intensivster
Arbeit.
DIE AGRARREFORM DER
REPUBLIK
Die gesetzgeberische Tätigkeit
der ersten zwei Jahre der Repu-
blik konnte unmöglich alle Re-
formen verwirklichen und in die
Praxis umsetzen, die der spani-
sche Boden verlangte. Am 5 Sep-
tember 1932 haben die konstitu-
tionellen Cortes das Gesetz der
Agrarreform angenommen, und
später, am 22 Oktober, wurde ein
Dekret über die intensivere Kul-
tivierung der Landgüter von Ba-
dajoz, Caceres, Ciudad Real, To-
ledo, Salamanca, Sevilla, Cadiz
und Jaen, das heisst in den Feu-
dalgebieten der Teokratie, veröf-
fentlicht.
Das Gesetz der Agrarreform
stellte, wie wir vorhin bereits
sagten, einen gemässigten, mi-
nimalen Versuch dar. Die Ver-
fügung über die Intensivierung
des Anbaus war eine Konsequenz
der antisozialen Aktionslinie der
Reaktionäre.
Das ursprüngliche Projekt der
Agrarreform enthielt nicht das
Prinzip der «entschädigungslosen
Enteignung» — das Motiv eines
skandalösen' Feldzugs gegen die
Projekte der republikanischen
Regierung— ; aber während die-
se in den Cortes diskutierte, ent-
stand das Komplott vom 10 Au-
gust — die «Sanjurjada»—, das
die Schaffung eines speziellen
Strafgesetzes über die Güter der
des Landes Verwiesenen zur Fol-
ge hatte, sowie die entschädi-
gungslose Enteignung der der
«Grandezza» gehörenden Güter.
Am 8 September 1933 dimit-
tierte die Regierung. Es entstand
eine Krise, die die Auflösung der
Cortes zur Folge hatte.
Wieder einmal triumphierte
das «traditionelle Hindernis» ge-
gen den Willen der 99 % der
Spanier : das heisst, der Klerus,
die Aristokratie und die Gross-
grundbesitzer und in ihrem Dien-
ste, der bourbonische Militaris-
mus.
D I E MAXIMALISTISCHE
GEGENREFORM
In kurzer Zeit war der soziale
Fortschritt der republikanischen
Befreier zunichte gemacht. Man
kann sagen, dass die Zerstörer
das Gebäude demolierten, ohne
sich eine Hintertür offen zu las-
sen. Die Losung der Feudalher-
ren war : Entweder mit Karl
Marx oder mit dem Papst; das
soll heissen : wenn ihr Arbeit
wollt, so entfernt euch vom Mar-
xismus und von der Republik
und ergebt euch der «Resigna-
tion im Elend» die die Agenten
(Fartsetzung auf der nächsten Sei)
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Seite 6
Spanischer Informationsdienst
28 März 1938
In der Zeitschrift "II Mediterráneo", die in Rom heraus-
kommt, schreibt General Ambrosio Valatti, der an dem
Feldzug in Abessinien teilnahm und auch jetzt hier auf
unserer Halbinsel Truppen befehligt hat, die folgenden
zynischen Sätze: "Es ist Zeit, dass die Welt davon Kennt-
nis nimmt, dass der Feldzug in Spanien eine Fortsetzung
des Feldzugs in Abessinien darstellt. Wir müssen unseren
Einfluss bei den Spaniern geltend machen, denn sonst
werden wir nie erreichen, dass das Mittelmeer der "Lago
Italiano" wird, von dem der "Duce" spricht.
Deshalb helfen wir Franco".
tiven des mittelalterlichen Feu-
dalismus.
Villatoya und das ganze zu sei-
nem Weichbild gehörige Land^
waren Eigentum einer Señora,
die sogar in ihrem Marquesa-
Titel den Namen dieser Ortschaft
führte. Die Pachtverträge der
elenden Häuser und der Boden-
parzellen waren mit so vielen um-
ständlichen Klauseln versehen —
unerbittliche Verfallsfristen, alle
möglichen Steuern, Abgaben,
Zehnten von der Ernte, etc.—,
dass sie die Bewohner in unent-
rinnnbarem Elend gefangen hiel-
ten, da diese kaum ihr Leben
fristen konnten, während die
Produkte ihrer Arbeit in die
Truhen der Besitzerin wander-
ten. Diese hatte sich angesichts
der Möglichkeit, dass in dem
Bewusstsein ihrer Vasallen eines
Tages die Flamme der Resistenz
auflodern könnte, schon vor Jah-
ren, schon zu den Zeiten der Mo-
narchie, vorgesehen. Sie benutzte
ihren politischen Einfluss, um
durchzusetzen, dass im Dorfe, in
einem Hause, das die Marquesa
dem Staate als Kaserne geschenkt
hatte, ein starker Posten der
Guardia civil einquartiert wurde.
Diese bewaffnete Macht hatte
keine andere Aufgabe, als die,
mit ihrer Gegenwart — oder nö-
tigenfalls mit Gewalt—die elen-
den Pächter einzuschüchtern.
Der Staat beging in diesem
Fall wieder eine seiner törichten
Handlungen. Der Unterhalt des
Postens der Guardia Civil legte
der Staatskasse jährlich Umko-
sten in Höhe von 25.000 Peseten
auf, während er durch alle Art
Steuern in Villatoya keine 3.000
Peseten im Jahr zusammenbrach-
te.
Die Republik, die inbezug auf
die Rechte des Privateigentums
grosse Zaghaftigkeit an den Tag
legte, konnte die Abwicklung des
Falles Villatoya wie auch vieler
anderer, nur mit grosser Lang-
samkeit vornehmen, da sie mit
den legalen Fundamenten kolli-
dierte, mit denen die Besitzerin
ihre privilegierte Position unter
Zuhilfenahmne von umständli-
chen und langwierigen Gerichts-
verfahren verteidigte.
DIE GÜNSTIGE SITUATION
VON HEUTE.
In dem Kriegsbrand, den die
habgierigen Kapitalisten gemein-
sam mit den aufständischen Mi-
litärs gegen die Republik ent-
facht haben, hat die Provinz Al-
bacete, wie alle anderen auf lea-
lem Gebiet —■ eine soziale Wie-
dergeburt und ein Wiederer-
wachen sozialer Würde erlebt.
Die 86 Bürgermeistereien, aus
denen diese Provinz besteht,
funktionieren völlig normal nach
den Munizipalbestimmungen. Sie
alle handeln im Zeichen einer
administrativen Moral, durch die
es ihnen bereits gelungen ist, .
frühere Schulden zu liquidieren
und den Weg freizumachen zu '
wirtschaftlichem Gedeihen und
zu einer Aufbauarbeit auf allen
Gebieten : auf wirtschaftlichem,
kulturellem, sanitärem, etc.
Es ist selbstverständlich, dass
diese Arbeit und der entsprechen-
de Erfolg in jedem einzelnen
Fall einem besonderen Rythmus
unterlag ; denn in den Ortschaf-
ten, in denen bereits Arbeiteror-
ganisationen funktionierten, die
den Boden für eine kollektive
kulturelle Arbeit vorbereiteten,
ging die administrative Umwand-
lung mit viel grösserer Schnellig-
keit vor sich, als dort, wo nicht
einmal eine Spur einer Organi-
sation vorhanden war.
EIN BEISPIEL
Eine der Ortschaften, in der
sich die wirtschaftliche und so-
ziale Umwandlung am schnell-
sten vollzogen hat, ist zum Bei-
spiel- Villarrobledo. Sie hat ihre
landwirtschaftliche Produktion
vermehrt; hat ihre Viehbestän-
de von sechstausend Stück auf
zwölftausend erhöht ; hat dreis-
sig Schulen gegründet und ist
im Begriff, noch mehr zu grün-
den ; hat fünftausend Peseten
für Schulkolonien aufgebracht ;
unterstützt die Universitätsföde-
ration ; unterhält eine Zeichen-
schule und stiftet 10 Freiplätze
für fortgeschrittene Schüler ; sie
hat ihre Strassen gepflastert und
den Bürgersteig asphaltiert ; sie
hat Organismen sanitären Cha-
rakters geschaffen und — als
Ausdruck ihres Patriotismus —
in den ersten Augenblicken des
Krieges zwölftausend Freiwillige
mobilisiert, die aus dieser Ort-
schaft auszogen, um für die Ver-
teidigung der Freiheit und Un-
abhängigkeit der spanischen Re-
publik zu kämpfen.
Hinter den Namen von Villa-
toya kann man, was alle diese
Äusserungen einer regen Tätig-
keit betrifft, die Namen von La
Roda, Almansa und alle übrigen
86 der Provinz Albacete setzen,
welche mit vorbildlichem Eifer
alle ihre Pflichten in strikter
Unterordnung der Parteien und
Syndikate unter die Autorität
der Regierung erfüllen, wodurch
sie das Lebensniveau, erheblich
verbessert haben, besonders auf
dem Lande, wo der Elendskoef-
fizient, allgemein gesprochen, am
höchsten war.
Die öffentliche Ordnung ist
vollkommen — schloss der Gou-
verneur seine Ausführungen.
Einer der deutlichsten Beweise
dafür ist die Tatsache, dass seit
dem Juli 37 nur ein einziger Fall
von Kapitalverbrechen su ver-
zeichen ist und nicht ei*i einziger
anderer bedeutender Fall von
Verbrechen. Mit jener einzigen
Ausnahme, kann man der Wahr-
heit gemäss behaupten, dass das
gemeine Verbrechen in der Pro-
vinz Albacete verschwunden ist.
Kultur, Normen sozialer Recht-
lichkeit und Respekt vor der
Autorität haben diese günstige
Situation geschaffen.
Der Kampf des real
(Farsetzung)
ionären...
gramm derer, die sich gegen die
jahrhundertealte «Ordnung» des
Status quo empörten. Aber mit
dem Militäraufstand kann man
den historischen Prozess der Auf-
lehnung gegen das soziale Werk
der Republik, von dessen Bedeu-
tung wir hier nur eine kleine
Skizze liefern, als abgeschlossen
betrachten.
Die Regierung der Volksfront
hat den spanischen Boden für die
Schaffenden wiedererobert, die
Nutzniessung seiner Früchte für
sie zurückgefordert.
Die Linien, in denen sich die
Reform der agrarischen Konter-
reform abwickelt, weisen in ihrer
heutigen Form, innerhalb der
Möglichkeiten, welche die Ver-
fassung des Staates zulässt, einen
bedeutenden Fortschritt auf.
des Papstes und der Monarchie
predigen.
Durch ein Dekret vom n Fe-
bruar 1934 wurden die Bauern
von den Ländereien gejagt, wel-
che die Republik ihnen in Ex-
tremadura gegeben hatte. Durch
eine andere Verfügung wurden
den in das Komplott vom 10 Au-
gust Verwickelten ihre Lände-
reien wiedergegeben. Das Gesetz
über Arbeitszeit, Löhne und Ar-
beitsvertrag wurde rückgängig
gemacht.
Aber das Zerstörungswerk der
Rechten machte dabei nicht halt.
Durch ein Gesetz wurde 14
Grossgrundbesitzern die enorme
Summe von 239.413.750 Peseten
zugebilligt, eine Farce, die die
Tendenz der «Gegenreform» auf-
deckte.
Ganz augenscheinlich hatte die
reaktionäre Tendenz die Partie
gewonnen. Die Grossgrundbe-
sitzer und Granden von Spanien
sahen sich wieder in ihre Privi-
legien eingesetzt und die skanda-
löse Verteilung des Bodens in
Spanien gesichert.
DIE REFORM DER GEGEN-
REFORM
Da kam der Sieg der Volks-
front. Gegen die Laster und Ver-
brechen der durch den nationa-
len Willen Besiegten, flammte
glühender Hass empor, der sich
in allen Städten in blutigen Aus-
brüchen entlud. Es war das un-
geheure Elend, es war blinder
Plünderungstrieb, Mordlust ; es
war endlich das gesamte Pro-
ARBEIT UND ORDNUNG
IM REPUBLIKANISCHEN SPANIEN
DIE W I R K L I C HKEIT
MACHT DIE FASCHISTI-
SCHE PROPAGANDA ZU-
NICHTE
Welche ausländischen Delega-
tionen auch immer die Provinz
Albacete besuchen, sie überzeu-
gen sich restlos von der Lügen-
haftigkeit jener Propaganda,
durch welche d i e spanischen
Faschisten und ihre internatio-
nalen Alliierten versuchen, die
Meinung der Welt mit der ange-
blichen Desorganisation auf dem
von dem Republik beherrschten
Territorium irrezuführen.
Don José Cazorla, der Zivil-
gouverneur der Provinz Albace-
te, stellt mit der Zverlässigkeit
eines Mannes, der über untrüg-
liche Beweise für seine Aussagen
verfügt, folgende Behauptungen
auf :
Das geordnete und arbeitsame
Leben in der Provinz Albacete —
wie in dem ganzen regierungs-
treuen Territorium—bietet der
Welt eines jener Beispiele, die
die zynische Skrupellosigkeit der
Propagandisten des Faschismus
vor aller Augen biosstellen.
EIN RÜCKBLICK
Gerade die absolute Stabilität
der öffentlichen Ordnung und
der ausdauernde Arbeitseifer in
Albacete und in der Provinz, ge-
ben eine Vorstellung von dem
Geiste der Disziplin und des mo-
ralischen Verantwortungsgefühls
des republikanischen Volkes,
das, seit Jahr und Tag unter-
drückt, jetzt sehr wohl von sei-
ner Freiheit Gebrauch zu machen
weiss, ohne die Grenzen zu über-
schreiten, die der Respekt vor
dem Gesetz und die Achtung für
die Autorität der Regierung ihm
gebietet.
Die Provinz Albacete ist eine
von denjenigen, auf denen der
Druck der Tyrannei des sozialen
und politischen Kazikentums am
schwersten lastete. Man kann
behaupten, dass in dieser spani-
schen Zone, sowohl die Haupt-
stadt, als das Land, zum aller-
grössten Teil Privatbesitz von
acht bis sehn Familien waren.
Diese Familien herrschten, und
tausende von. Bürgern und Bauern
waren gezwungen zu gehorchen,
und sich unweigerlich dem Egois-
mus einiger Herren zu unterwer-
fen, die mit einer Handbewegung
jeden in tiefstes Elend stürzen
konnten, der Anstalten machte,
Widerstand zu leisten.
Die staatlichen Organismen
waren Scheingebilde, die sich den
Anstrich der Legalität gaben.
Die Bürgermeistereien funktio-
nierten nicht, denn in Wirklich-
keit lag die Verwaltung der Ort-
schaften in den Händen der Ka-
ziken und wurde von deren Pri-
va tbüros aus geleitet. Die städti-
sche Rechtspflege, in den Hän-
den von armen Leuten, die dem
Gebieter hörig waren, war eine
Waffe mehr, um die Einwohner-
schaft seinen allmächtigen Willen
fühlen zu lassen. Die Tageslöhne
auf dem Lande — ausser bei ge-
wissen speziellen Arbeiten —
hielten sich unveränderlich auf
der Höhe von drei Peseten. Die
wenigen und schlechten Schulen
erwiesen sich als fast zwecklos,
da sogar die Kinder als Arbeits-
kräfte verwendet wurden. In eini-
gen Ortschaften, wie zum Bei-
spiel in Alcaraz, waren fast
sämtliche Bewohner Analphabe-
ten. Unwissenheit, Unterernäh-
rung und abergläubische Furcht
vor dem Kaziken hatten die
Willensimpulse jener Unglückli-
chen fast völlig atrophiert, so
dass sie fast ein Hinderniss für
die Republik bildeten, als diese
in ihrem Befreiungswerk mit der
politischen Liebedienerei der Po-
tentaten und der geistigen Träg-
heit der Ausgebeuteten selbst
zusammenstiess, die aus Angst,
es mit jenen zu verderben, die
Abwicklung des Instanzenweges
vereitelten.
Somit war fast alles : die Land-
wirtschaft, die in manchen Dör-
fern in völlig primitiver Weise
gehandhabt wurde ; der Handel
in seinen verschiedensten For-
men und die Industrie, in den
Händen dieser drei oder vier pri-
vilegierten Familien, die sogar
zur Ausnutzung der öffentlichen
Einrichtungen Gesellschaften bil-
deten, um das Eindringen frem-
der Elemente zu verhindern, die
das wirtschaftliche Klüngelwe-
sen durchbrechen und von aussen
her einen frischen Hauch von
Demokratie und sozialer Gerech-
tigkeit hereintragen konnten. So
lebte die Provinz Albacete in
j ahr hun dertealter Kraftlosigkeit
dahin.
FEUDALISMUS MITTEN IM
XX JAHRHUNDERT
Eines der charakteristischsten
Beispiele dafür, wie die Men-
schen in vielen Zonen dieser
Provinz lebten, ist das Dorf Vil-
latoya.
Das Bild, durch entsprechende
Dokumente bekräftigt, mutet uns
an, wie ein alter Stich nach Mo-
Der «Servicio Español de Infor-
mación» wird täglich in spani-
scher und französischer Sprache
herausgegeben. Ein wöchent-
licher Auszug erscheint ausser-
dem jeden Montag, Mittwoch
und Freitag in deutscher, italie-
nischer und englischer Sprache.