-ocr page 1-
SPRMISCHERINFORMRTIOMS
DIENST rarrran
Die Republik betont ihren Entschluss, allen ihren
Verantwortungen ohne Furcht und Zaudern nach-
zukommen. Sie lenkt die Aufmerksamkeit Frank-
reichs und Englands auf die unerträgliche Unge-
rechtigkeit, welche die einzig gegen das leale
Spanien angewandte Nicht-Intervention darstellt.
umente
WÖCHENTLICHER AUSZUG AUS DEM "SERVICIO ESPAÑOL DE INFORMACIÓN"
Barcelona, 11 April 1938
Av. 14 de Abril, 556
Nummer 16
Die spanische Regierung erhebf von neuem
Einspruch gegen die Nicht-Intervention
Die Regierung der spanischen Republik hat der franzö-
sischen und britischen Regierung durch ihre Botschafter in
Paris und London folgende Note überreicht:
Angesichts einer militärischen Lage, deren Ernst nicht
zu verkennen ist, fühlt die Regierung der Republik sich
verpflichet, an die Regierung Frankreichs und Englands, als
die Urheber des Nicht-Interventionsvertrages, eine feierliche
Erklärung zu richten, inbezug auf die grauenhafte und ge-
fährliche Ungerechtigkeit, die die Aufrechterhaltung des
genannten Vertrages bedeutet, während die offene Verlet-
zung, von Deutschland und Italien öffentlich und zynisch
eingestanden, eine so offensichtliche Tatsache ist, dass nie
mand, der ein öffentliches Amt bekleidet und sich seiner
Verantwortung bewusst ist, es wagen kann, sie anzuzwei-
fein.
Wir stellen vor allem fest, dass diese Verletzungen nicht
nur dann bestanden haben, den Rebellen die Märkte zum
Ankauf von Kriegsmaterial zu öffnen, sondern dass vor den
Augen der gesamten Welt und ohne den geringsten Skrupel,
sich noch dazu brüstend und öffentlich damit prahlend, Ita-
lien und Deutschland seit dem Ausbruch der Rebellion nicht
einen Augenblick aufgehört haben, die Rebellen nicht nur
mit ungeheuren Mengen von Kriegsmaterial aller Art zu
versorgen, denen nur die Erfordernisse der militärischen
Operationen eine Grenze setzten, sondern ihnen auch be-
trächthehe Massen vor. Kämpfern und eine grosse Anzahl
von den regulären Armeen beider Länder angehörenden
Fachleuten zu senden.
Die Regierung der Republik ist in der Lage, inbezug auf
die letzten Siege der Rebellen an der Aragonfront konkrete
und sofortige Beweise für die Tatsache zu liefern, dass diese
Siege der enormen Vertärkung durch Menschen und Kriegs-
material zuzuschreiben sind, die Italien und Deutschland
kürzlich nach Spanien geschickt haben. Da die Regierung
diese Sendungen, was Italien angeht, nicht nur als eine
erneute Verletzung des Nicht-Interventionsvertrages ansieht,
sondern noch dazu als eine direkte und besondere Verlet-
zung des durch die italienische Regierung der britischen
Regierung abgegebenen Versprechens, die Situation in Spa-
nien während der Dauer der anglo-italienischen Verhand-
lungen nicht durch neue Verstärkungen zu modifizieren,
hat sie der englischen Regierung am 23 März 1938 eine
Note überreicht, die eine konkrete und detaillierte Informa-
tion über die neuerlichen Sendungen von Menschen und
Material vonseiten Deutschlands und Italiens enthielt. Die
Regierung der Republik weiss nicht, ob die britische Re-
gierung, um die Richtigkeit besagter Information zu prüfen,
irgendwelche Untersuchungen angestellt hat, noch, welche
Resultate diese ergeben haben, aber sie wiederholt, dass die
von ihr gelieferten Informationen, in ihrer Gesamtheit, ab-
solut wahrheitsgetreu sind.
Die Regierung der Republik will Frankreich und Eng-
land nicht die Beleidigung zufügen, anzunehmen, dass ihre
Initiative zur Herstellung des Nicht-Interventionsvertrages
sich ihr auch entgegenstellen mögen, diese Pflichten zu er-
füllen und diese Verantwortung, ohne Wanken und
Weichen, bis zum Ende auf sich zu nehmen.
Im Bewusstsein dieser Entscheidung, glaubt die Regie-
rung in einem der kritischsten Augenblicke, die die Erfül-
lung ihrer Pflichten auf sich zu nehmen sie gezwungen hat,
das Recht zu haben, den Regierungen Frankreichs und
Englands eine feierlicht Erklärung zugehen zu lassen, nicht
nur inbezug auf die unerträgliche Ungerechtigkeit einer
ausschliesslich gegen die republikanische Regierung ge-
handhabten Nicht-Intervention, sondern auch inbezug auf
die ungeheuren Gefahren politischer Art, die der hart'
nackige Beschluss, sie auch in Zukunft aufrechtzuerhalten,
einschliesst. Die totale Machtlosigkeit inbezug auf die
Verhinderung der Einmischung und der direkten Unter-
stützung der Rebellen vonseiten der deutschen und italieni-
schen Regierungen, hat eine Situation geschaffen, dank wel-
cher die Nicht-Intervention nicht nur die Erlangung ihrer
wesentlichsten und vornehmsten Ziele nicht sicherstellen
kann — die Lösung der spanischen Frage ausschliesslich den
Spaniern selbst zu überlassen — sondern sich noch dazu in
das wirksamste Instrument zur Erreichung des entgegen-
gesetzten Zieles verwandelt hat: die Lösung der spanischen
Frage ausschliesslich der Einmischung und Unterstützung,
die Deutschland und Italien den Rebellen zuteil werden las-
sen, anheimzugeben. Daher ist die Aufrechterhaltung der
Nicht-Intervention vonseiten Frankreichs und Englands
nicht nur ungerecht und widerrechdich, sondern auch ein
offensichtliches Attentat gegen das elementarste Prinzip
der Logik. Auf welche solide Basis also können sich bei die-
sem Stand der Dinge die Argumente gründen, die die
Aufrechterhaltung eines Vertrages verteidigen, der infolge
seiner speziellen Anwendungsbedingungen sich in das wirk-
samste Instrument verwandelt hat, um das zu erreichen,
was man gerade vermeiden wollte?
Da alledem noch wirksam zu begegnen im Bereich des
Möglichen liegt; da noch Zeit ist, die verheerenden Folgen
der Ungerechtigkeit und des politischen Irrtums, den die
Aufrechterhaltung der Nicht-Intervention einschliesst, auf-
zuhalten und da ihre Urheber selbst jede Hoffnung aufge-
geben und auf jeden ernsthaften und wirksamen Versuch
verzichtet haben, sie integral zur Anwendung zu bringen,
würde die Regierung der Republik glauben, ihre loyale
Pflicht gegenüber den Regierungen Frankreichs und Eng-
lands unerfüllt zu lassen, wenn sie ihnen nicht in klarer
und überzeugender Weise ihren Standpunkt inbezug auf
eine Frage mitteilte, die die permanenten und allgemeinen
Interessen des spanischen Volkes auf eine so vitale Weise
berührt, und wenn sie nicht feierlich die volle Anerkennung
ihres Rechtes zurückforderte, sich das nötige Kriegsmaterial
verschaffen zu können, um die ausländische Invasion, unter
der das spanische territorium leidet, zu vertreiben.
einzig und ausschliesslich dem egoistischen Zwecke ent-
sprang, zu vermeiden, dass die spanische Rebellion zu einen
allgemeinen Weltbrand würde, dem auch sie nicht entrinnen
könnten.
Diese Initiative wurde zweifellos von dem Vorsatz ins-
piriert, dem spanischen Volk die Möglichkeit zu geben, den
in seinem Lande als Ergebnis einer tiefen und schweren
inneren Krisis ausgebrochenen Konflikt ohne ausländische
Einmischung auszutragen. Die Regierungen Frankreichs
und Englands waren zuerst der Meinung, dass jede auslän-
dische Einmischung in den Lösungsprozess dieses Konflik-
tes nicht nur eine schwere Ungerechtigkeit, sondern ausser-
dem eine ungeheure politische Gefahr sowohl für Spanien als
für Europa bedeuten würde, da die so erreichte Lösung der
wesentlichen Garantien der Billigkeit und der politischen
Stabilität entbehren würde, die nur dann gesichert wären,
wenn man die Herbeiführung der Entscheidung den spa-
nischen Elementen überliesse. Nun gut, der elementarste
Sinn für politische Realität zwingt zu der Feststellung, dass
die Nicht-Intervention in der Erlangung des erstrebten
Zieles, das in der Meinung der spanischen Regierung der
höchste und vornehmste Zweck der Politik der Nicht-Inter-
vention in ihren Anfängen war, vollkommen versagt hat.
Die Schwere und Bedeutung des gegenwärtigen Augen-
bliks legt der spanischen Regierung die Pflicht auf, in ihrer
Analyse der Situation eine strenge Objektivität zu wahren.
Sie glaubt, dass der Augenblick gekommen ist, wo man
den Mut haben muss, einzugestehen, dass die italienische
und deutsche Intervention in Spanien eine Tatsache ist, die
in der politischen Linie, die die beiden totalitären Regime
ihren respektiven Ländern aufzwingen, so tief verwurzelt
und so fest mit ihr verbunden ist, dass es kindlich wäre,
anzunehmen, die Erwägungen, Motive und Ziele, die die
Basis des Nicht-Interventionvertrages ausmachen, könnten
den geringsten Einfluss auf sie ausüben. Die ununter-
brochene Erfahrung dieser zwanzig Monate beweist mehr
als genug, dass wir uns einem historischen Phänomen ge-
genüber befinden, das durch keinerlei Simulierungsversuche
verdeckt werden kann. De facto hat man jegliche Hoffnung,
die integrale Durchführung der'Nicht-Intervention zu errei-
chen, aufgegeben.
Es ist nicht Aufgabe der spanischen Regierung, bei dieser
Gelegenheit zu untersuchen, was die expansive Kriegslawine
der totalitären Staaten Europas für die Zukunft und die
Existenz anderer europäischer Länder bedeuten kann. Aber
sie hat ein klares, durch eine grausame und schmerzliche
Erfahrung bestätigtes Bewusstsein von dem, was sie für
Spanien bedeutet: zunächst das Opfer von Tausenden und
Abertausenden unschuldiger Leben, als grauenhaftes Re-
sultat der sogenannten totalitären Kriegsmethoden. Die
Regierung der Republik besitzt eine klare Vision der
Pflichten und Verantwortungen, die ihr in dieser enrsten
Lage das spanische Volk, als historische Einheit betrachtet,
auferlegt, und sie ist entschlossen, welche Schwierigkeiten
(Agencia «España»
)
und Deutschland ihm zum Siege
verhelfen, in Abhängigkeit von
ihnen geraten würde. Schliess-
lich, wie gross auch die aus-
schlaggebende militärische Hilfe
sei, die Mussolini Franco ge-
währt hat, Mr. Chamberlain er-
klärt sich befriedigt durch die
Versicherung Italiens, dass es in
Spanien und auf den Balearen
keinerlei territorialen, politi-
schen und wirtschaftlichen Ziele
verfolgt. In dieser politischen
Erklärung gibt es ein oder zwei
Dinge, welche die Regierung
niemals erwähnt, die aber er-
wähnt werden müssen, denn es
gibt in unserer modernen Ge-
schichte wenige Episoden, die
schimpflicher wären, als diese.
Das regierungstreue Volk Spa-
niens ist das Opfer der aNicht-
Interventions»-Politik geworden ;
da man ihm seine Rechte genom-
men hat, ist es fast wehrlos ge-
worden. Franco, dagegen, hat
diese Politik von Anfang an bis
jetzt ausländische Hilfe garan-
tiert. Die britische Regierung
(Fartsetzung auf der nächsten Sei
Das spanische Rätsel
Das Merkwürdigste an Cham-
berlains Aussenpolitik ist ihr
Verhältnis zu Spanien. Nirgends
macht sich ein solcher Unter-
schied bemerkbar v zwischen der
Ansicht des Mannes der Strasse
und den bezaubernden Perspek-
tiven Mr. Chamberlains; auf
keinem anderen Gebiet ist es so
schwierig, die logischen Schluss-
folgerungen aus den Tatsachen,
die er vorbringt, zu ziehen. Er
sagt — selbstverständlich — dass
die «Nicht-Intervention» einen
guten Erfolg gehabt hätte, da sie
einen grösseren Krieg vermieden
habe. Er sagt weiter, dass die
Regelung der spanischen Frage
einen wichtigen Teil der allge-
meinen Verständigung bilde, die
angestrebt wird ; trotzden hat er
das später abgeändert, indem er
hinzufügte, dass die Zurückzie-
hung der Truppen Angelegen-
heit des Nicht-Interventionsko-
mitees sei. Er sagte, dass Musso-
lini während der Dauer der Un-
terhandlungen nichts an der ma-
teriellen Situation Spaniens än-
dern dürfe und am Donnerstag
erklärte er, dass diese Vereinba-
rung weiter bestünde. Er glaubt
nicht, dass Franco, wenn Italien
-ocr page 2-
Seite 2
Spanischer Informationsdienst
11 April 1938
{Farsetzung)
hat die «Nicht - Intervention»
durch eine doppelte Intervention
aufrecht erhalten ; sie hat das re-
gierungstreue Spanien geopfert
und hat vor der ausländischen
Hilfe an Franco die Augen ge-
schlossen ; alles dies ist klar—,
das Übrige ist ein Rätsel.
Mussolini hat zwei grosse
Wirkungsfelder : Österreich, wo
er gewesen ist und das westliche
Mittelmeer, wo er sich mit seinen
spanischen Stützpunkten noch
immer befindet. Ein unabhängi-
ges Österreich bedeutete für ihn
den Schlüssel zur Kontinental-
macht ; aber er hat es verloren
und damit, die Hoffnung auf
Macht und Sicherheit seiner
Grenze : er wird sein Prestige im
Volke verlieren, sobald dieses
beginnt, sich von dem Geschehe-
nen Rechenschaft abzulegen. Der
gesunde Menschenverstand sagt,
dass er sich rehabilitieren muss,
und dazu soll ihm Spanien die-
nen, wo er bereits festen Fuss ge-
fasst hat, indem er seine Herr-
schaft über die Halbinsel und,
nach jeder menschlichen Be-
rechnung, auch über Franco aus-
zudehnen im Begriff ist, der ihm
seine Existenz, und wenn er sein
Ziel erreicht, die Macht über
Spanien zu verdanken hat. Von
dieser Basis aus hat er die Mög-
lichkeit, Grossbritannien und
Frankreich mit dem Verlust der
Seewege durch das Mittelmeer
bis an die Küste von Afrika und
von Afrika nach Frankreich zu
bedrohen. Aber inbezug auf Mus-
solini gibt es zwei Gesichtspunk-
te. Der eine ist der, dass er mit
Hitler ein Abkommen bezüglich
Österreichs getroffen hat : Hitler
freie Hand in Österreich zu las-
sen, unter der Bedingung, dass
HMer ihm hilft, mittelst Spanien
seine Ziele gegen England und
Frankreich zu erreichen... Aber
wenn das so wäre, wie könnte
Die ausländische Aviation bombardiert nnansgesetzt
Städte des Hinterlandes
2  April.—Um 19 Uhr bombardierte ein Wasserflugzeug Alcocebre,
Alcalá und Torreblanca in der Provinz Castellón.
3  April.—Um 7.20 Uhr warfen fünf «Junker» etwa IOO Bomben
über Castellón de la Plana ab, welche 26 Häuser zerstörten. In dem
Provinzhospital wurden der Operationssaal, die Apotheke und die
Abteilung für ansteckende Krankheiten zerstört. Um 9 Uhr griffen
drei Apparate Vidreras und Llagostera (Gerona) an.
Um 11.55 Uhr belegten vier Trimotore Benicarló mit 25 Explosiv-
bomben und acht Brandbomben, welche 45 Gebäude zerstörten. IJ
Personen wurden getötet und 30 verwundet.
Um 13.52 Uhr griffen drei «Junker» Sagunt an, wo sie dreissig
150 Kilo—Bomben abwarfen.
4  April.—Um 0.35 Fliegerangriff gegen Port-Bou, wo die Luftab-
wehrgeschütze ein heftiges Feuer eröffneten, das die vertikale Lage-
rung der Angreifer über dem Ort verhinderte.
Mussolini jetzt geneigt sein, wie
Mr. Chamberlain glaubt, mit
Mann und Gepäck aus Spanien
herauszugehen und, seine Vor-
mundschaft zurück ziehend,
Franco freie Hand zu lassen, ?
Der zweite Gesichtspunkt, den
anerkannte Autoritäten vertre-
ten, wäre, dass Mussolini in sei-
ner übereilten Annäherung an
Hitler aus Wut über die Sank-
tionen, «düpiert» worden ist;
dass er über den Staatsstreich in
Österreich weder zu Rate gezo-
gen wurde, noch überhaupt dar-
über informiert worden ist, um
was es geht und dass Hitler, um
ihn zu entschädigen, jetzt seine
freundschaftliche Hilfe, sowohl
in Worten wie in Taten, verdop-
pelt. Und dennoch, wenn es auch
so ist, wenn Mussolini auch
durch den Verlust Österreichs
und durch die Form, wie er es
verloren, aufs tiefste verletzt
ist, — er muss ja trotzdem die
Axe immer noch verherrlichen,
aus Furcht, völlig ohne Freunde
zu bleiben—, so kann er sich
doch nur in Spanien, auf unsere
und Frankreichs Kosten, schad-
los halten. Deshalb, wenn Mr.
Chamberlain uns sagt, dass
Mussolini bereit sei, auf alles zu
verzichten und wegzugehen, kein
territoriales, wirtschafliches oder
politisches Ziel mehr zu verfol-
gen, so suchen wir eine entspre-
chende Erklärung dafür und fin-
den keine. Manche glauben, dass
Mussolini sich mit England und
Frankreich verständigen möchte,
um Deutschland gegenüber stär-
ker zu sein ; solange Mussolini
die Ruhe im Mittelmeer nicht
wiedererlangt hat, braucht Hit-
ler sich um ihn nicht zu küm-
mern. Aber auf wieviel verzichtet
er und warum, wenn das seine
Absichten sind? Die «Anerken-
nung» würde ihm in Abessinien
bessere Ernten verschaffen ;
kleine Schwierigkeiten würden
beseitigt und die absurde Furcht,
wenn er sie hat, was sehr
zweifelhaft ist — dass England
Italien angreifen könnte, würde
verschwinden. Wenn aber — wie
Mr. Chamberlain vorgibt —■ Ita-
lien die Absicht hat, sein Aben-
teuer in Spanien aufzugeben,
dann hat er für eine sehr wenig
wertvolle Sache Blut und Geld
geopfert. Hat er es getan, um
wertvoller strategischer Vorteile
willen oder um den Kommunis-
mus zu zerschmettern? In die-
sem Fall, wird er Franco seinem
Schicksal überlassen, angesichts
einer Nation, die er ohne die
Truppen, mit denen er sie ero-
bert hat, nicht zu beherrschen
imstande ist, denn zweifellos
wird der Vertrag nicht gestatten,
dass Italien, wenn es einmal fort
ist, wieder zurückkehrt? Auf
alle diese Fragen gibt es keine
Antwort, ausser dass Mr. Cham-
berlain der Ansicht ist, dass alles
in Ordnung ist. Aber es existiert
ein Prinzip, das von Mussolini
aufgestellt ist — Hitler hat es
angenommen und beide haben es
mit der Waffe verteidigt—, das
er allem Anschein nach nicht zu-
rückzieht, nicht einmal Mr.
Chamberlain zu Gefallen : er ist
fest entschlossen, den Sieg des
«Kommunismus» in Spanien —
das heisst, den Sieg der Regie-
rung—nicht zu dulden. Schliess-
lich werden wir also den Tod ei-
nes Systems dulden müssen, das
dem spanischen Volk den Auf-
stieg in eine Atmosphäre grös-
serer Freiheit, grösserer Be-
wusstheit und grösserer Unab-
hängigkeit z u gewährleisten
schien. In dieser Hinsicht gibt
es kein Rätsel, nicht einmal in-
bezug auf die Gründe : die Inter-
vention der Diktatoren, die
«Nicht-Intervention, auf die un-
sere Regierung so stolz ist.
(«The Manchester Guardian».)
MUT
VON HEINRICH MANN
Kürzlich hat Ministerpräsi-
dent Hodza den Preis des Mu-
tes erobert. Nach seiner Rede
wurde in Frankreich gesagt :
das tschechische Volk ist das
tapferste Europas.
Den Eindruck machen eine
Nation und ein Minister heute
einfach damit, dass sie nieman-
den erlauben, sie mit der Peit-
sche des Tierbändigers zu behan-
deln. Wer einfach sagt : hier ist
keine Menagerie, und werden
wir angegriffen, dann wehren
wir uns, —■ der hat Mut.
Soweit ist es gekommen.
Früher war es selbstverständ-
lich, dass jeder sich verteidigte.
Darauf wird kaum mehr gerech-
net. Sondern der Angreifer gilt
für so fürchterlich, dass seine
Drohungen genügen. Zum An-
griff kommt es nicht erst; man
bricht vorher in die Knie.
Der Angreifer ist bankerott.
Der Angreifer hat sein eigenes
Land so weit er konnte zu Grun-
de gerichtet. Sein Volk ist un-
frei, es hungert, es glaubt an die
Führung des Staates nicht; und
käme der Krieg, dann zweifelt
das Volk wenig daran, dass sei-
ne Unterdrücker ihn verlieren
würden. Es ist eine Frage des
Temperaments, ob dies den Un-
terdrückten unerwünscht wäre.
Gleichviel, in einer mutlosen
Welt gilt der Angreifer für
fürchterlich. Diese mutlose Welt
legt alles zu seinen Gunsten aus.
Diplomatische Erfolge, die aber
gar keine sind. Internationale
Gewalthandlungen, die nach
Krieg aussehen möchten, aber
man hütet sich, den Krieg zu
erklären ; nur Bomben fallen zu
lassen auf Wehrlose, das wagt
man. Aber es genügt, damit die
Welt vor Schrecken erstarrt.
Dieselbe Welt schreit vor
Schrecken Heil und Sieg, wenn
einer seine eigene Armee säu-
bern, unterwerfen, gleichschalten
muss, und das nach fünf Jahren
uneingeschränkter Herrschaft.
Sie war durchaus nicht uneinge-
schränkt, wie man sieht. Der Ge-
walthaber hat weder das Volk
noch hat er das Heer. Die Welt
erschrickt, sie findet ihn immer
fürchterlicher, je öfter er seine
Schwäche verrät.
Dies alles, weil er grosse Worte
macht. Weil er vor seinen bezahl-
ten Statisten drei Stunden lang
brüllt — gegen fremde Regierun-
gen, die er nicht dulden wird,
gegen Völker, die er in die
Tasche stecken wird.Schön. Er
duldet nicht. Er wischt weg und
steckt ein. Aber tut er es wirk-
lich? Er droht. Darauf allge-
meine Erweichung der Kniee. Mi-
nister fliegen. Um Verhandlun-
gen wird gebettelt.
Man hat Angst, was begreif-
lich ist. Eine Welt ohne Angst
hat es niemals gegeben, das Le-
ben ist eine Angstpartie, beson-
ders die Politik. Immer hat einer
den anderen gefürchtet. Wer
etwas zu verteidigen hatte, be-
ging Fehler über Fehler aus blos-
ser Furcht: daraus erklärt sich
das traurige Ende des grossen
Kaisers Napoleon.
Dieser hatte wirklich die Welt
erobert, was man nicht von jedem
sagen kann. Trotzdem hatte vor
ihm die Welt nicht entfernt die
Furcht wie heute vor dem, der
nichts, aber gar nichts erobert
hat. Da der menschliche Mut ein
Produkt der menschlichen Angst
ist, fand damals Europa den Mut,
sich gegen Napoleon zu wehren,
und besiegte endlich den, der alle
geängstet hatte, bis er selbst vor
Furcht den Kopf verlor.
Es darf erwartet werden, dass
auch diesmal die Welt nach
ihrem Anfall von Angst einen
ebenso starken Anfall von Mut
bekommt. Nur Geduld. Man
weiss schon längst: der Angrei-
fer hat mehr zu fürchten als alle
Anderen. Er droht, weil er muss.
Er verbreitet Furcht und Schre-
cken, je besser er selbst mit der
Furcht und dem Schrecken be-
kannt ist. Sein schwerster Alb-
druck ist, dass jemand mobilisie-
ren könnte — gleichgültig, ob ein
grosses oder ein kleines Heer.
Das österreichische war ihm
schon zu viel.
So ist es gekommen. Das kleine
Heer ist nicht mobilisiert wor-
den. Die wenigen Truppen wur-
den von der Grenze in das Innere
zurückgezogen, damit es nicht
zum Vergiessen deutschen Blutes
käme. Welchen deutschen Blu-
tes? Das Blut des kleinen Vol-
kes, das sich überfallen Hess,
wird reichlich fliessen. Nur der
Angreifer steht, seiner Taten
froh, im Lande und nennt seinen
Ueberfall, wie er die ganze Pest,
die er verbreitet, immer und
überall nennen wird : eine deut-
sche Revolution.
Wie viele Länder, klein und
gross, wollen den Angreifer, der
sehr wohl die Angst kennt und
nur die Scham nicht, über sich
kommen lassen? Zehn kriegs-
starke Regimenter, die wirlich
schiessen, hätten ein giftiges,
aber feiges Reptil in sein Loch
zurückgejagt.
Die unerschütterliche Moral der spanischen Bauern
nische Aviation zerstörte Ort-
schaften ; fleissige, regsame Ort-
schaften, die nur das Verbrechen
bezahlen, an der Mittelmeerkü-
ste erbaut worden zu sein. Die
Bomben waren gegen die engli-
sche Vormacht gerichtet, aber
sie trafen auf sie. Wir Spanier
sind dazu verurteilt, für fremde
Schuld zu büssen, mit jenem
Gut, das kaum noch eine Rolle
spielt : mit dem Leben. England,
das sich weigert, uns die legale
Hilfe, die wir fordern, zukom-
men zu lassen, verfolgt mit ner-
vöser Aufmerksamkeit unseren
Krieg, und der Gedanke, dass
Italien und Deutschland dabei
sind, sich Spaniens zu bemäch-
tigen, erfüllt es mit Schrecken.
Wenn wir Spanier, nach uner-
hörten Anstrengungen und Op-
fern, unser .Land freigmacht ha-
ben werden, dann werden die ma-
ritimen Stützpunkte des Mittel-
meeres weder Italien noch
Deutschland gehören. Und dann
werden die englischen Konserva-
tiven sagen : «Unsere Stellung
im Mittelmeer ist unanfechtbar».
Aber der kleinliche Kalkül und
die schwankende Haltung sind
nicht die besten Wege, um im
Leben zu triumphieren. Mit
Schwankungen und kleinlichem
Kalkül hätten wir den Krieg
schon längst verloren. Nur die
edlen Impulse, die männlichen
und ritterlichen Entschlüsse kön-
nen die von Hindernissen und
drohenden Gefahren umringten
Völker retten.
In der Nähe von Tortosa habe
ich mit einer Familie gespro-
chen, die damit beschäftigt war,
eine Hütte zu bauen.
—Werden Sie hier bleiben?»
— fragte ich die Frau.
—Hier sind unsere Äcker» —
antwortete sie mir — und wir
müssen sie bebauen. Trotz der
Bombardements und trotz allem,
hat mein Mann auch nicht einen
einzigen Tag aufgehört zu arbei-
ten.»
Wer kann gegen Menschen,
die eine solche aussergewöhnli-
che Moral in sich tragen, etwas
ausrichten? Tortosa ist von den
deutschen und italienischen Ban-
diten zerstört worden. Aber seine
fleissigen Bewohner, denen kein
einziges Haus zum Bewohnen
mehr übrig bleibt, bauen sich
Hütten, setzen die Bodenbearbei-
tung fort und bereiten die Ernte-
arbeiten vor.
Wenn du, der du dieses liest,
deine Liebe zu Spanien noch
heisser lodern lassen willst, so
besuche seine Dörfer, und seine
Kampffronten. Dann wirst Du
sehen, dass die geliebte spani-
sche Erde überall bebaut wird
und dass in allen Ortschaften die
Bewohner reichlicher zu essen
haben, als vor einem Jahre Es
geht alles voran, dank dem En-
thusiasmus, der, anstatt abzu-
nehmen, in ständigem Steigen
begriffen ist.
Und in den aragonesischen Ge-
bieten wirst du mit Soldaten voll-
besetzten Lastautos begegnen,
mit der spanischen Flagge. Sie
fahren an die Front, um der ita-
lienischen und deutschen Avia-'
tion und Artillerie einen Damm
entgegenzusetzen Und sie sin-
gen. Wenn sie durch ein Dorf
kommen, bricht lauter Jubel los
mit Hochrufen auf Spanien und
Wir verliessen Barcelona nach
einer Nacht schrecklicher Bom-
benabwürfe. Hunderte von Spa-
niern hatte der anbrechende Tag
zerfetzt und verstümmelt vorge-
funden. Unsere Reisegefährten
sprachen nüchtern über die er-
lebten Schrecknisse. «Die ver-
fluchten Mordgesellen haben aus
der Todesgefahr schon etwas
ganz Gewöhnliches gemacht,
einen täglichen Unfall».
Als wir Barcelona im Rücken
hatten, sahen wir am Himmel
wieder die bekannten weissen
Wölkchen der Luftabwehrge-
schütze auftauchen und von der
Mitte der Stadt her dröhnten
dumpf neue Bombenexplosionen.
Wieder wirbelten dort, zerfetzt
und zerstückt, mit Erde und
Häuserschutt vermischt, Körper
von wehrlosen Frauen, Kindern
und Nichtkämpfern in die Luft.
Zur selben Stunde gaben sich
wohl die demokratischen Mitglie-
der der «Nicht-Intervention» in
ihren Wohnungen in Paris und
London dem Schlummer hin.
Auch sie haben sich an das an-
klägerische Zucken ihrer Gewis-
sen schon gewöhnt. Aber wenn
sie glauben, dass das vergossene
Blut so vieler Wesen, die von der
edlen Sehnsucht erfüllt waren,
ihr Vaterland frei zu sehen, sie
nicht befleckt, so sieht doch die
ganze Welt über ihnen den
Schatten der in der besten Blüte
ihres Leben vernichteten Ge-
schöpfe schweben und die Flüche
der Mütter, die ihre Kinder ver-
loren haben und der Kinder, de-
ren Mütter ermordet wurden.
Durch die deutsche und italie-
gen muss. Der Widerstand Ma-
drids dauert schon anderthalb
Jahre. Noch anderthalb Jahre
Widerstand in Aragon bieten alle
Wahrscheinlichkeit des Endsie-
ges.
die spanische Republik. Man
muss dieses republikanische Spa-
nien und seine Soldaten gesehen
haben, um die Sicherheit zu ha-
ben, dass der jetzige Widerstand
uns den künftigen Triumph brin-
-ocr page 3-
Seite 3
11 April 1938
Spanischer Informationsdienst
DER TOTALE KRIEG
Der «Servicio Español de Infor-
mación» wird täglich in spani-
scher und französischer Sprache
herausgegeben Ein wöchent-
licher Auszug erscheint ausser-
dem jeden Montag, Mittwoch
und Freitag in deutscher, italie-
nischer und englischer Sprache.
Ich persönlich bewundere Machiavell ausser-
ordentlich. Ich liebe es, mir das Gehirn des Flo-
rentiner Sekretärs wie eines jener Uhrwerke vor-
zustellen, die mit entblösster Maschinerie in eine
Glasglocke eingebaut sind. Ebenso präzis, klar
und leuchtend. Es gibt darin keine Schleier, kei-
ne Schatten, keine Ungenauigkeiten. Zweckmäs-
sigkeit, Wirksamkeit und gesunde Vernunft sind
die Motore seiner Räder. «Der Fürst» ist ein
Buch von krystallener Klarheit und hat die ma-
thematische Exaktheit einer stählernen Triebfe-
der. Brutal? mitleidslos? Ohne Zweifel. So bru-
tal und mitleidslos, wie ein Maschinengewehr, ist
die in abstrakte Wissenschaft verwandelte, auf
algebrisehen Formeln beruhende Politik. Aber nie
wäre Machiavell, Autor des Buches «Der Fürst»,
auf die Idee des totalen Krieges gekommen. Er
war zu intelligent dazu. Der totale Krieg konnte
nur in einem finsteren und dumpfen Hirn ent-
stehen, in einem Hirn, das nur aufs ungefähre
und tastend denkt. Das ist ein typisch deutscher
Einfall. Deutschland ist ein Land, das voll ist
von Halluzinationen und geistigen Nebeln. Seine
höchsten Gipfel — Goethe, Schiller, Kant, Nietz-
sche, Beethoven — lassen den Nebel unter sich
und sind so wundervoll, so leuchtend und durch-
sonnt wie die in anderen Breitegraden auch ; aber
die deutschen Köpfe, denen es nicht gelingt, ge-
nialerweise die Nebelschicht über ihren Häuptern
zu durchstossen, leben ihr ganzes Leben zwischen
Phantasmen und Spiegelungen. In ihrem Stre-
ben nach der Sonne aber ohne den leitenden In-
stinkt, begehen sie oft den Irrtum, sie in den
Tiefen der Erde zu suchen, und je grösser ihre
Beharrlichkeit, um so blinder werden sie. In
einem dieser Köpfe ist die Idee des totalen Krie-
ges entstanden, eine anti-machiavellistische Idee,
weil, abgesehen von der moralischen Ungeheuer-
lichkeit, eine zur Wirkungslosigkeit verurteilte
Dummheit.
Uns Spanier hat das Unglück getroffen, den
Beweis für seine Nichtigkeit zu erbringen. Der
totale Krieg fusst auf zwei völlig willkürlichen
Voraussetzungen : erstens, dass das Hinterland,
das eingeschüchtert werden soll, sich einschüch-
tern lässt; zweitens, dass dem Feinde die Mittel
fehlen, um auf den Angriff zu reagieren, da bei
genügendem Luftschutz — Jagdflugzeuge und Ab-
wehrgeschütze — • die Abwehr nicht mehr nur
passiv zu sein braucht. Es scheint, dass diese bei-
den Voraussetzungen für Abessinien zutrafen.
Die Theoretiker rieben sich die Hände. Ihre Be-
rechnungen stimmten genau. Der Zusammen-
bruch Abessiniens war niederchmetternd und er
war zweifellos auf die Unmenschlichkeit der ita-
lienischen Kriegsmethoden zurückzuführen. Heu-
te ist es möglich, dass die Invasoren sich davon
überzeugen, dass die Flamme zwar sengt, aber
nicht verbrennt. Ein langsameres Vorgehen —
Machiavell hätte es empfohlen — mit humaneren
Mitteln, mit freiem Spielraum für die politische
Klugheit, hätte vielleicht bis zu den Wurzeln vor-
dringen können, die in diesen Tagen wieder neue
Triebe entfalten. Die Asche des von den Flam-
mengarben der Bomben verbrannten Laubwerks
dient als Dünger und nicht als Leichentuch.
Nach Abessinien ist die Reihe an Spanien, das
Ubungsfeld für die barbarischen Versuche abzu-
geben. Wir sind mitten drin. Aber hier fehlt
völlig die erste der beiden Voraussetzungen, und
wenn die zweite nur teilweise fehlt, so nicht durch
unsere Schuld. Das spanische Hinterland hat sich
nicht willig gezeigt, sich einschüchtern zu lassen.
Das spanische Volk hat den Geschossregen mit
der verächtlichen und spöttischen Geste Madrids
aufgenommen ; mit der. stummen Verbissenheit
von Sagunt, oder mit dem nervösen Zusammen-
raffen Barcelonas ; drei verschiedene Arten von
Temperamentsäusserung, die auf einen gemein-
samen Nenner zurückzuführen sind : auf ent-
schlossenen Stoizismus. Man komme uns nicht
mit dem Beispiel solcher Ortschaften wie Guer-
nika, die von der Laudkarte verschwunden sind,
denn das würde soviel heissen, wie den Soldaten,
der im Schützengraben im Angesicht des Fein-
des stirbt, der Wankelmütigkeit anzuklagen, weil
er stirbt. Man spricht vom Terror als von einem
demoralisierenden Element im totalen Krieg. In
Spanien hat er versagt. Wenn der brutale Zer-
störungswille, das zweite Prinzip, auf das sich
das System stützt, nicht versagt hat, so liegt das
am Fehlen der notwendigen Elemente zur Vertei-
digung und zum Gegenangriff, aber das geht auf
Rechnung der Nationen, welche die juridische,
moralische und politische Pflicht hatten, uns
nicht im Stich zu lassen und die uns im Stich
gelassen haben. Wenn das Missverhältnis, das
inbezug auf die Kriegsmittel, im spanischen
Krieg zugunsten der Rebellen existiert hat und
noch exitiert, sich nicht in der Menge der Flug-
zeuge und Tanks, sondern in primitiven Flinten
und Bombarden gegen Messer und Steinäxte aus-
gedrückt hätte, das Resultat wäre das gleiche ge-
wesen. Und man könnte nicht sagen, dass dies
totaler Krieg gewesen wäre. Nein, inbezug auf sei-
ne moralische Auswirkung ist dieser auf spani-
schem Boden an der wunderbaren Charakterstärke
der Rasse gescheitert. Hätten wir genügend
Waffen, um der Agression etwas mehr entgegen-
zusetzen, als die Brust und die Charakterstärke,
die Rebellen und ihre Verbündeten hätten die
Brutalität, die uns allein zugedacht war, am ei-
genen Leibe zu spüren bekommen. Das was hier
bei uns nicht geschehen ist — was aber gesche-
hen kann und noch geschehen muss •— das wird
sich notwendigerweise am Tage des Zusammen-
stosses zwischen zwei Nationen abspielen, die mi-
litärisch auf der gleichen Stufe stehen, und zwar
mit dem Vorteil, den das moralische Übergewicht
der legitimen Verteidigung dem Angegriffenen
gibt.
Spanien hat einen Mythus zerstört und den
Nationen, die schon vor Schreck erstarrt sind,
ehe sie noch angegriffen werden, ein erhabenes
Beispiel gegeben : es ist eines mehr in der langen
Reihe der Dinge, die Europa uns zu verdanken
hat und die wir angenblioklich mit unserem
Blute besiegeln.
begonnen haben, werden in Städ-
te geschickt, wo Werkstätten
oder andere Institutionen existie-
ren, in denen sie den gleichen
Beruf erlernen können.
Ganz besondere Aufmerksam-
keit wird allen den Problemen
gewidmet, die auf das Kind Be-
zug haben. Sowohl was die pro-
fessionelle Ausbildung und die
Frage der Schulen betrifft, als
inbezug auf Sanatorien für die
Kranken. Die Kinder sind auf
diese Weise, trote der Wechsel-
fälle des Krieges, vor der Ver-
wahrlosung g e s c h ü t zt. Das
Schicksal vieler tausender hat
sich sogar in einer für sie glück-
lichen Weise gewendet. Kinder
aus den andalusischen Dörfern
und aus der Extremadura, zum
Beispiel, die mit ihrer Familie
auf Bauern = oder Pachthöfen
wohnten, von zartester Kindheit
an von den Herren ausgenutzt,
zu Analphabetentum und völli-
g e r Unwissenheit verurteilt,
eröffnen sich jetzt neue ungeahn-
te Perspektiven für die Zukunft.
Die Panik, die von ihnen Besitz
ergriffen hatte, als die Mauren in
ihre Dörfer eindrangen oder als
die italienisch-deutschen Flug-
zeuge sie den Weg entlang mit
Bomben und Maschinengewehren
verfolgten, wird allmählich ver-
schwinden, angesichts des Ge-
fühls, sich geliebt und beschützt
zu sehen von denen, die die Ge-
schicke Spaniens lenken. Und
diese Kinder — bisher die un-
scheinbarsten und unglücklich-
sten Spaniens, werden einst nütz-
liche Menschen sein, die Spanien
inbrünstig lieben werden, da es
sie zu wahren Menschen gemacht
hat.
VALENCIA
Um einen Begriff von der Or-
ganisation des Flüchtlingsdien-
stes zu geben, wollen wir das
Beispiel Valencias wählen. In
dieser Stadt wurde eine Polykli-
nik für die Flüchtlinge gegrün-
det, in der monatlich bis zu vier-
tausend Kranke betreut werden ;
ausserdem das Hospital Giner de
los Rios ; das Altersheim de la
Borrasca ; das Flüchtlingslager
Ramón y Cajal zum vorüberge-
henden Aufenthalt. Alle diese
Zentren sind in hervorragendster
Weise betreut. Die Flüchtlinge
haben nicht nur ein Heim und
Arbeit, auch Ärzte und Apothe-
ken stehen ihnen zur Verfügung.
Das ist ein im höchsten Sinne des
Wortes soziales Werk. Man stem-
pelt sie nicht zu Bettlern, man
gewöhnt sie nicht an das verant-
wortungslose und inaktive Leben
eines Almosenempfängers. Man
verschafft ihnen eine Existenz
und die Sicherheit, im Krank-
heitsfall betreut zu werden wie
nie zuvor.
ALICANTE UND ALMERÍA
Nicht allein in Valencia ist das
Flüchtlingswesen vorzüglich or-
ganisiert. In Almería ist ein
wunderbares Flu chtlingsheim
eingerichtet worden : geräumig,
gut ventiliert, mit allen Bequem-
lichkeiten. Mit einem Opera-
tions = und einem Sterilisie-
rungssaal. Die Frauen in dem
Heim haben eine Seifenfabrik
eröffnet. Die Direktion versorgt
sie mit dem nötigen Material. In
Alicante ist ein Altersheim im
Bau begriffen und mehrere
Güter sind für Infectiöse, Re-
konvaleszenten, kranke Kinder,
etcétera, eingerichtet.
Als konkretes Beispiel für die
hervorragende und menschlich
wertvolle Arbeit, die auf diesem
Gebiet geleistet wird, möchten
wir den Fall eines Dorfes anfüh-
ren, in dem ein Flüchtlingslager
errichtet wurde. In diesem Dorf
in Extremadura, wenige Kilome-
ter hinter der Front, wurden in
den kalten Monaten, 10.000 Klei-
dungsstücke verteilt; zwei Er-
holungsheime für Greise errich-
tet und 1.000 Säuglinge aus
Flüchtlingsfamilien betreut.
MUT TER HEIME FÜR
FLÜCHTLINGSMÜTTER
In zwei Dörfern in den Provin-
zen Valencia und Almería sind
Mütterheime für werdende Müt-
ter errichtet. Sie sind für fünf-
hundert schwangere Frauen vor-
gesehen. Beide Institutionen wur-
den von einem so berühmten
Arzt wie Matteo Carreras, Pro-
fessor an der Universität von Ma-
drid, organisiert. Eine Einzelheit
aus der Organisation erhellt ins-
besondere das moralische und hu-
manitäre Niveau der Republik.
Um zu vermeiden, dass die wer-
denden Mütter sich von ihren
Kindern, bzw. von ihrer Familie
trennen müssen, hat man passen-
de Räumlichkeiten bereitgestellt,
in denen sie mit den ihren vereint
leben können, solange es die Um-
stände gestatten. Die Betreuung
der Gebärenden ist ausgezeichnet.
DIE KINDER IM AUSLANDE
Die Dirección de Evacuación
hat einen Delegierten in Paris,
der die Unterbringung der
Flüchtlinge im Auslande organi-
siert. Grössere Kinder werden in
Ländern untergebracht, wo sie
ihre Ausbildung in den besten
Fabriken und Werkstätten voll-
enden können. Auf diese Weise
wird ein Stamm von Spezialisten
herangezogen, die in den modern-
sten technischen und anderen
Verfahren ausgebildet sind.
Dieses Werk des Arbeitsminis-
teriums auf dem Gebiete des
Flüchtlingswesens, das wir hier
in grossen Zügen geschildert ha-
ben, ist eines unter den vielen,
welche sich die Regierung zur
Aufgabe gestellt hat und das die
ernste und aufbauende Arbeit des
republikanischen Staates und die
ethischen Grundsätze beleuchtet,
die all ihren Handlungen zugrun-
de liegen und die innerhalb wie
ausserhalb Spaniens Bewunde-
rung erregen müssen.
Die Flflchtlingsfflrsorge in Spanien
Die Arbeit, welche die «Direc-
ción General de Evacuación»
(Die Oberleitung der Flüchtlings-
hilfe) leistet, verdient bekannt
zu werden. Das schwierigste un-
ter den zahlreichen Problemen,
vor die der Krieg diese Institu-
tion gestellt hat, ist das der Fa-
milien, die aus den von den Fa-
schisten Überfallenen Provinzen
oder aus den in der Feuerlinie
befindlichen Ortschaften haben
flüchten müssen. Alles, was sie
besassen, ist in jenen Gebieten
geblieben, deren Früchte augen-
blicklich Italien und Deutschland
ernten. Die Odyssee der Fa-
milien, die in den ersten Kriegs-
monaten auf den Landstrassen
oder querfeldein vor dem faschis-
tischen Terror flüchten mussten,
ist von wahrhaft erschütternder
Dramatik. Die Republik hat
ihre ganze Aufmerksamkeit da-
rauf gerichtet, die Situation die-
ser Familien nicht nur augen-
blicklich zu erleichtern, sondern
sie von neuem ;m Leben der Na-
tion zu verankern, ihnen eine
Existenz zu verschaffen, die sie
gleichzeitig an den allgemeinen
Bestrebungen teilnehmen lässt.
Die «Dirección General de
Evacuación» wurde dem Arbeits-
ministerium angegliedert. Man
begann, Flüchtlingszentren zu
schaffen. An der Spitze der Or-
ganisation steht eine Frau, die
eine ungewöhnliche organisato-
rische Begabung mit feinem wei-
blichen Instinkt vereint. Und das
Werk hat in menschlicher, wie in
konstruktiver Hinsicht die be-
sten Resultate gezeitigt.
ÜBER ANDERTHALB MIL-
LIONEN FLÜCHTLINGE
Es gibt augenblicklich circa drei
Millionen Personen, die ihr
Heim und ihren Aufenthaltsort
verlassen mussten. Von ihnen
waren 1.753.000 ohne alle Exi-
stenzmittel. Der Staat musste
sich ihrer annehmen. Zu diesem
Zweck gründete die Dirección
General Delegationen in Madrid,
Valencia, Pons, Albacete, Alca-
zar, Alicante, Almería, Caste-
llón, Castuera, Fabara, Huelves,
Jaén und Murcia. Diese Delega-
tionen haben folgende Mission :
erstens, die Evakuierung der
Dörfer und Städte in die Wege
zu leiten, die durch ihre Lage in
der Nähe der Kampffront ge-
fährdet sind. Diese Delegation
unterhält die Verbindung mit de-
nen, die in den Städten arbeiten,
welche imstande sind, Flüchtlin-
ge aufzunehmen. Auf diese Wei-
se haben diese Städte, wenn ein
Flüchtlingstransport ein trifft,
schon sogenannte Flüchtlings-
heime mit allem, dessen die
Flüchtlinge bedürfen, vorberei-
tet.
Aber die Dirección General
begnügt sich nicht mit dieser ele-
mentaren Hilfe. Sobald die
Flüchtlinge an ihrem zukünfti-
gen Aufenthaltsort untergebracht
sind, wird denen, die arbeiten
wollen, Männern wie Frauen,
Arbeit in ihrer Spezialität zuge-
wiesen.
Die Kinder kommen in Schu-
len und die Älteren in eine Lehre.
Diejenigen, die bereits eine Leh-
re in einem bestimmten Beruf
-ocr page 4-
Seite 4                                                                        Spanischer Informationsdienst                                                               11 April 1938
Nach dem Bombardement von Barcelona
Vier Kinder : das älteste 18
Jahre ; das jüngste drei.
Sie lebten mit ihren Eltern in
der Ronda San Pedro. Die Mut-
ter war 43 Jahre, der Vater 45.
Jene Nacht, jene furchtbare
Nacht vom 17, verbrachten sie
zum grössten Teil in einem be-
nachbarten Unterstand. Gegen
Morgen erst gingen sie heim. Um
sieben Uhr früh jagten sie —
kaum waren sie eingschlafen —
2 neue Explosionen in nächster
Nähe aus den Betten.
Die dritte Bombe fiel unmittel-
bar darauf in des Haus.
Die vier Kinder stürzten aus
ihren Zimmern und schrieen,
was alle Kinder schreien, wenn
sie leiden oder erschrecken :
«Mama! Mama !»
Als sie in den Korridor kamen,
blieben sie vor Schreck erstarrt
stehen : es gab keinen Korridor
mehr ; vor ihren Füssen gähnte
ein Abgrund ; dort unten lagen
ihre Eltern begraben.
Fünfundzwanzig Körper wur-
den allmählich aus den Trüm-
mern geborgen.
«Papa und Mama haben sie am
zweiten Tage gefunden : Papa
war erstickt, aber Mama war
garnicht zu erkennen... «sagte
mir ein Bürschchen von 13-14
Jahren, der mir berichtete, auf
welche Weise seine drei Geschwis-
ter und er zu Waisen gtewor-
den waren... Magda DONATO
Das Bombardement begann in
der vorhergehenden Nacht, um
io Uhr ; es dauerte, mit kurzen
Unterbrechungen, bis ein Uhr ;
flackerte um vier für einige Au-
genblicke wieder auf.
Jetzt, um sieben Uhr morgens,
schläft die Familie, erschöpft von
Übermüdung und Aufregung.
Manuel Muntó Geschäftsrei-
sender ; seine Frau, Ramona ;
seine beiden unverheirateten
Schwestern ; seine sechs Kinder.
Die Älteste, Sara, ist siebzehn
Jahre alt ; die Jüngste, Ana Ma-
ria, ist vor einem Monat geboren.
Plötzlich — es ist kurz vor
acht — ertönt ganz in der Nähe
das Krachen einer explodieren-
den Bombe ; ein höllischer Orkan
wälzt sich in die Wohnung ; das
Haus erbebt in seinen Grund-
festen ; die Fensterscheiben split-
tern ; die Wohnungstüren und
Balkontüren werden aufgerissen.
Die Bombe ist in einer benach-
barten Strasse gefallen. Und es
ist eine von jenen Bomben mit
flüssiger Luft, deren Wirkungs-
kreis eine ungeheure Ausdeh-
nung hat und die alles, was sie
auf ihrem Wege antreffen,. }n
Geschosse verwandeln ; es ist,
mit einem Wort, eine jener wahr-
haft dämonischen «Neuheiten»,
welche die ausländische Aviation
im Hinblick auf den kommen-
den Weltkrieg an uns auspro-
biert.
Die Familie ist voller Entset-
zen aus den Betten gesprungen ;
aber im selben Augenblick fällt
eine neue Bombe, und diese fällt
in das Haus, spaltet es in zwei
Teile und verwandelt den ganzen
hinteren Teil des Gebäudes in
einen Trümmerhaufen.
Die Eltern und die Schwestern
schliefen im vorderen Teil, der
heil geblieben war; ein wahres
Wunder, das dadurch zu erklä-
ren ist, dass der von der ersten
Bombe erzeugte Luftdruck die
Fenster aufgerissen hat, so dass
diese jetzt keinen Widerstand
boten. Unter den Trümmern des
hinteren Teiles waren die sechs
Kinder begraben.
Und jetzt suchen die Eltern
ihre Kinder, geleitet von der
angsterfüllten Stimme der io-
jfahrigen Rosario, die ununter-
brochen wimmert : «Ester atmet
nicht! Ester ist tot!»
Maria Ester war die Zweitälte-
ste. Erschreckt durch die nächt-
lichen Bombardements, wollte sie
im Bett des Schwesterchens
schlafen und nun liegt ihr toter
Körper schwer über der Kleinen.
Ja, sie ist tot; die anderen
fünf sind verwundet, schwer ver-
wundet. Eins hat ein zerschmet-
tertes Bein ; einem anderen ist
ein Holzsplitter in den Magen
gedrungen. Alle kommen sie ins
Hospital, um viele Wochen zu
leiden, operiert zu werden,
Schmerzen zu erdulden. Das
eine wird vielleicht sterben ; das
andere fürs Leben verkrüppelt
bleiben.
Aber Ester ist tot!
Zehn Tage sind vergangen.
Manuel Muntó, fahl, mit einge-
sunkenen und geröteten Augen,
weint; er kann sich nur mit
Mühe erinnern, erzählen, erklä-
ren. Seit neunzehn Jahren ist er
verheiratet; .das Heim ezrstört;
die Kinder verstümmelt und Es-
ter... tot.
Unter Tränen murmelt er im-
mer wieder : «Sie war fünfzehn
Jahre!... fünfzehn Jahre...»
* * *
Ich habe sie an der Eingangstür
zum Schauhaus des Hospital Clí-
nico kennen gelernt. Mit ihrer
Tochter, einem Mädchen, dassen
Gesicht vom Weinen verschwol-
len ist, ist sie heute gekommen,
wie sie gestern kam und vorge-
stern und jeden Tag, seit jenem
Donnerstag, dem i8ten.
Die Aufseher sprechen ihr
voller Mitleid Mut zu : «Kommen
sie morgen wieder; vielleicht
wird man ihn gefunden haben :
es sind immer noch welche drun-
ter...»
Ja, immer noch ; nach zehn
Tagen ununterbrochener Arbeit,
zieht man immer noch von Zeit
zu Zeit einen Körper oder ein
Stück von einem menschlichen
Körper unter den Trümmern
hervor.
Noch bleibt Emilia Ferrer Ma-
teu die «Hoffnung», die Leiche
oder einen Teil von der Leiche
ihres Mannes zu finden.
Sie wohnten in einer Quer-
strasse der Rambla, mitten im
Herzen Barcelona.
Ihr Mann, Modesto Uno Ta-
vella war sehr nervös geworden
seit den letzten Bombardements,
denen vom Januar, die uns da-
mals von unerreichter Grausam-
keit schienen und die dennoch
durch die vom März hundertfach
über troffen wurden, als gäbe es
keine Grenzen mehr für den
menschlichen Frevel.
Im Januar fiel ein Blindgän-
ger in das Haus der Familie
Uno ; eine zweite Bombe spaltete
das gegenüberliegende Haus vom
Dach bis zum Keller.
Und Modesto Uno Tavella
packte die «Scheu vor dem Hau-
se» : er blieb nicht daheim ; kaum
hatte er gegessen, ging er los.
Am meisten beruhigte es ihn, auf
einer Bank in der Cortes zu sit-
zen, nahe an der Balmes. Das
war ein so friedlicher und freund-
licher Ort! Dort, schien es ihm,
könnte ihm nichts Böses gesche-
hen.
Und an diesem tragischen Don-
nerstag kam er zum Stelldichein
mit dem Tod. Um zwei Uhr
nachmittegs setzte er sich auf
«seine» Bank.
Jetzt geht seine arme Frau je-
den Tag zum Schauhaus. Es ist
möglich, dass der Körper ihres
Mannes, wie so viele andere, zer-
rissen wurde, in grosser Entfer-
nung fortgeschleudert, vernich-
tet... Aber vielleicht, vielleicht
liegt er doch noch unter den
Trümmern und sie wird ihn noch
einmal sehen können... Diese
«Hoffnung» verlässt sie nicht : es
sind ja immer noch welche drun-
ter ...
                   * * *
Spanien retten taeisst Grossbritannien retten
«Weshalb nicht jetzt eine feste
Haltung einnehmen, während
wir noch damit rechnen können,
dass uns mächtige Nationen zur
Seite stehen, die einig sind und
die unsere Bestrebungen und un-
sere Sorgen teilen ? Weshalb
müssen wir diesen Entschluss
hinausschieben, bis ein allgemei-
nes Abschwenken der kleinen
Staaten zum Naziregime stattge-
funden hat, weil ihnen kein an-
derer Ausweg bleibt?»
Diese Worte Churchills, die er
in Unterhaus vor kurzem gespro-
chen hat, erlangen jetzt ange-
sichts der kritischen Situation
des spanischen Kampfes höchste
Aktualität.
In unserem Laude wächst die
Ansicht, dass wir zu Hitler und
Mussolini sagen müssen : «Jetzt
ist's genug», und dass England
die Pflicht hat zu erklären, dass
es Frankreich helfen wird, einen
deutschen Angriff gegen die
Tschchoslowakei abzuhalten.
Aber Frankreich wird sich,
wenn es ein faschistisches Spa-
nien im Rücken hat, in einer
wenig günstigen Situation befin-
den, um gegen einen Angriff
Deutschlands auf die Tschecho-
slowakei Widerstand zu leisten.
Deshalb arbeiten jetzt Hitler und
Mussolini in Spanien, um ihr
Ziel eines faschistischen Europa
zu verwirklichen.
Während die britische Regie-
rung von der «Nicht-Interven-
tion» redete, führten sie ihre
Aviation und schwere Artillerie
nach Spanien ein, um die grosse
Offensive vorzubereiten.
Sie glauben, wenn sie sich
Spaniens bemächtigen, so haben
sie das ganze demokratische Eu-
ropa in ihrer Gewalt. Nicht nur
Frankreich wäre paralysiert : ein
faschistisches Spanien an den Li-
nien der britischen Verbindungs-
wege im Mittelmeer, würde auch
Grossbritannien paralysieren.
Folglich laufen heute die fran-
zösische und englische Demokra-
tie nicht weniger Gefahr, als die
spanische. Was die deutsche Ar-
tillerie jetzt zu vernichten trach-
tet, ist nicht nur die Freiheit
Spaniens, sondern auch die Eng-
lands und Frankreichs. Entwe-
der wir halten Hitler und Musso-
lini in Spanien zurück, oder wir
ergeben uns feige und schmäh-
lich dem Faschismus.
Die ganze Welt weiss, was
getan werden muss : es gilt, die
philofaschistische Verräterpolitik
zu verlassen und Flugzeuge und
Kanonen nach Spanien zu schaf-
fen ; es gilt, die Grenzen zu öff-
nen und den Engländern und
Franzosen, die bei der Verteidi-
gung der Europäischen Demo-
kratie mittun wollen, freie Hand
zu lassen, das zu tun.
Diejenigen welche sich auf die
verbrecherische Nicht-Interven-
tions-Politik versteifen, sind
Feinde des englischen Volkes
und wünschen den Untergang
der britischen Demokratie; sie
wünschen Grossbritannien von
einem faschistischen Europa b«?-
herrscht zu sehen, um den Sieg
der reaktionären Klasse über die
Freiheiten des britischen Volkes
zu sichern ; sie sind bereit, um
ihre verbrecherische Politik fort-
setzen zu können, zu dulden, dass
der Faschismus eine Macht er-
langt, die ihm erlaubt, die bri-
tischen Seewege abzuschneiden
und die Verteidigung der autono-
men Dominion — Neuseeland
und Australien — gegen einen
Angriff Japans zu erschweren.
Die Behauptung, welche diese
Personen vor zwanzig Monaten
aufstellten, dass die «Nicht-in-
tervention» dazu beitragen wür-
de, den Frieden zu erhalten, ist
heute als zynische und reaktio-
näre Lüge entlarut.
Die «Nicht-Intervention» ist
der Name für die verräterrische
Übergabe der Schlüsselstellungen
an die Faschisten : ist ein Deck-
name für das Sprungbrett, das
den Faschisten ausgehändigt
wird, von dem aus sie ihren ent-
scheidenden Vorstoss gegen die
letzten Bollwerke der Demokra-
tie^ die letzten Bollwerke der
freien Arbeiterbewegung in Eu-
ropa unternehmen können.
Der Augenblick ist gekommen,
wo das ganze demokratische Volk
Englands handeln muss.
Organisiert euch zu eurer ei-
genen Verteidigung, indem ihr
dafür kämpft, dass Waffen und
Flugzeuge nach Spanien ge-
schickt werden ; organisiert gi-
gantische M a n i festationen in
allen Städten und Dörfern unse-
res Landes ; organisiert Meetin-
ge in allen Fabriken und Werk-
stätten, zwingt die lokalen Exe-
kutivkomitees der «Trade
Unions» und der Arbeiterpartei
zum Handeln.
Der faschistische Krieg ist da.
Die englische Demoratie ist in
Gefahr.
Haltet den faschistischen Vor-
marsch in Europa auf!
Rettet Grossbritannien, indem
ihr die spanische Demokratie ret-
tet !
Flugzeuge, W'afflen und Hilfe
für Spanien !
{«.Daily Worker», 17 März 1938.)
Gefeilsche anf dem politischen Jahrmarkt
denn dort ist es, wo man ihm das Geld verwei-
gert ; aber er zieht es vor, seine Wut an einem
strategischen Punkte auszutoben, der in der
Nachbarschaft Frankreichs liegt, damit die er-
schreckten Franzosen intervenieren. Das Feil-
schen geht weiter und Mr. Chamberlain ist in
einer Anwandlung von Grossmut bereit zu ge-
nehmigen, dass die Italiener in ihren kriegeri-
schen Versuchen fortfahren und die fehlenden
Pfunde in Freiwillige umsetzen.
Auf diesem Punkt sind die Verhandlungen
stehen geblieben. Voller Ungeduld, tobt Mussoli-
ni im Senat und spielt auf die Freiwilligen an.
Es ist die gebieterische Stimme des Fordernden.
Lord Plymouth macht im Namen seiner Regie-
rung das Angebot, das Spanien bezahlen soll.
Und Europa, bestürzt über dieses Schauspiel,
fragt sich : Aber was haben die Spanier mit der
agressiven Armut des Duce und mit der Unan-
tastbarkeit des englischen Geldbeutels zu tun ? So
einfach gesehen, erscheint einem die Angelegen-
heit wie ein Witz, und dennoch ist es, nach dem
Willen der Götter, eine Tragödie. Ein entsetzli-
ches Drama, gesteigert durch das Leiden eines
Volkes, das als Handelsobjekt dient zwischen dem
englischen Egoismus und den grossprecherischen
Prahlereien Italiens. Es wäre ehrenhafter, wenn
die beiden Parteien ihren Handel direkt austra-
gen würden, ohne dritte hineinzuziehen.
Aber das bringt das Risiko mit sich, ein Schei-
tern herbeizuführen, da es nicht ganz leicht ist,
die Ansprüche eines flegelhaften Armen mit dem
Misstrauen eines hochmütigen Reichen auszusöh-
nen. Die spanische Sache hat den Vorzug, beiden
Parteien zur Abreagierung zu dienen. Etwa so
wie zwei Champions im Boxkampf mit dem Trai-
ner kämpfen, anstatt miteinander zu kämpfen.
Aber das Ernste daran ist, dass wir Spanier im
Ernste kämpfen, bis das schimpfliche Gefeilsche
ein Ende nimmt und der Jahrmarkt an allen vier
Ecken zu brennen beginnt.
Die Rede Mussolinis ist eine gewaltige Bedro-
hung der Demokratien. Cäsar würde ihn um den
Ton beneiden. Acht Millionen Italiener machen
sich anheischig, die Welt zu verschlingen. Keine
schlechte Antwort auf das Angebot der friedli-
chen Zurückziehung von 12.000 Freiwilligen, die
Lord Plymouth macht, diese Drohung, Europa
mit neuen acht Millionen Freiwilligen zu über-
schwemmen.
Von unserem Standpunkt aus ist das einzige,
was unsere lebhafte Neugier erregt, das Geheim-
nis um die Harmonie, die zwischen dem gedul-
digen Mr. Chamberlain und dem gewalttätigen
Mussolini besteht. Ist es eine aufrichtige Har-
monie, Oder ist es die Harmonie zwischen dem
Schwiegersohn, der um Geld bittet und dem
Schwiegervater, der es nicht hr-rgibt? Das Be-
klagenswerte an den Wutausbrüchen Mussolinis
ist nur, dass Spanien sie bezahlen muss. Und
das Beklagenswerte an dem Widerstand Lord
Chamberlains ist, dass ihn ebenfalls Spanien be-
zahlt. Nur eines setzt uns in Erstaunen : die Er-
bärmlichkeit des Schachers. Noch nie hat das
Imperium sine Interessen so niedrig eingeschätzt.
Wieviel verlangst du dafür, dass du meine See-
wege nicht bedrohst? Das ist das englische An-
gebot. Das heisst : Wieviel verlangst du, um mein
geographisches Statut nicht anzutasten? Worauf
Italien erwidert : Die Anerkennung des abessini-
schen Imperiums und eine Anleihe.
Englands Premierminister, oder, was dasselbe
ist, die City, zittert. Einem unsicheren Volke
Geld leihen? Die Tiara des Imperators, wenn sie
auch nur Simili ist, würde man dem kleinen Sa-
voyen noch zubilligen, wenn die Italiener sich von
Berlin distanzierten ; aber Geld ist eine heilige
Sache und seine Abtretung bringt mannigfaltige
und wesentliche Unannehmlichkeiten mit sich.
Dem Duce steigt das Blut zu Kopf, und um
seine Macht zu zeigen, bombardiert er Barcelona.
Es wäre viel logischer, die City zu bombardieren,