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DIE

CjCHÖPFUNG

DER

SPRACHE

VON

WILHELM MEYER-RINTELN

LEIPZIG

Friedr. Wilh. Grunow

1908

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Die Schöpliing der Sprache

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Meinem lieben Bruder


Dr. ïïrnst Meyer


zugeeignet.


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Yorwort

Ich übergebe hiemiit die Frucht jahrelanger Arbeit auf dem Gebiete der Sprachforsehung der Offentlichkeit. Mit ibrennbsp;Keimen reicht sie in die letzte Zeit meines Stadiums an dernbsp;Universitat Marburg zuriick, in die Zeit, wo der dazu einmalnbsp;befahigte Mensch in milderer oder harterer Weise die Ent-wicklung vom Wissen zum Begreifen durchmacbt, oft sogar innbsp;der Form einer so scharfen Abkebr von aller auBern Kenntnis,nbsp;wie sie sicli ausspricht in dem Worte: „Mir ekelt lange vornbsp;allem Wissen.“ Die Beobacbtungen an den LebensauBerungennbsp;der Spracbe, die ich damals gerade mitten in den Vorbereitungennbsp;fiir das Examen u. a. planmaBig aufzuzeichnen anting und auchnbsp;wahrend meines militarischen Dienstjahres nicht aus den Augennbsp;verlor, lebten fiir mich mit neuer Kraft auf in Wiesbaden, wo-hin mich mein Lebensweg fiir die nachsten Jahre fiihrte. Hiernbsp;in dem gesegneten Himmelsstrich der Ehein- und Maingegend,nbsp;wo von der einen Seite die Heimat Jakob Grimms und von dernbsp;andern die Vaterstadt Franz Bopps heriibergriiBten, hier in dennbsp;Waldern des Taunus verdichteten sich meine Gedanken, und esnbsp;traten fiir mich nun die ersten Tatsachen so hervor, daB sienbsp;mir die GewiBheit iiber den Erfolg meiner Bemiihungen gaben.nbsp;Aus der Not eine Tugend machend — eine groBe Bibliotheknbsp;hat mir wahrend der ganzen Arbeit nicht zur Verfiigung ge-standen! — vermied ich jedes Studium sprachwissenschaftlichernbsp;Biicher, indem ich mich nur an den Stoff selbst hielt, wo undnbsp;wie er mir entgegentrat, und ich behielt diese Arbeitsweise, dienbsp;wohl ihre Gefahren, aber zunachst ihre noch weit gröBern Vor-teile hatte, noch fiir eine lange Zeit bei, um ganz unbefangennbsp;meine eignen Wege finden zu können, und wenn auch um dennbsp;Preis mancher augenblicklicher auBerer (!) Irrungen, meine Be-obachtungskraft immer mehr zu steigern.

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VIII

Vorwort

Mil der Zeit trat mir mein Ziel immer deutlicher heryor, aber mit ihm talen es auch leider die gewaltigen auBernnbsp;Schwierigkeiten, die sich mir auf dem Wege zu ihm hinderndnbsp;entgegenstellten. Noch hoffte ich freilich, in kürzerer Zeit fertignbsp;zu werden, da ich nicht daran denken konnte, den Bereich dernbsp;drei Sprachen, deren genauere Kenntnis mir mein üniversitats-studium vermittelt hatte, zu überschreiten. Indogermanischenbsp;Studiën im eigentlichen Sinne hatte ich nie getrieben. So wolltenbsp;ich nur am Germanischen, Griechischen und Lateinischen dienbsp;Gesetze aufweisen, die das gesamte Sprachleben beherrschten,nbsp;aber — es kam doch anders, und es niuBte so kommen. Nach-dem ich mir einen eignen, festen Standpunkt den Tatsachennbsp;des Sprachlebens gegenüber errungen hatte, wollte ich nun annbsp;ein gründliches Studium der gesamten sprachwissenschaftlichennbsp;Literatur gehn, eine Absicht, die ich leider aus auBern Gründennbsp;nur ganz unvollkommen habe ausführen können, aber schonnbsp;dieses Wenige genügte, mich zu der Erkenntnis zu führen, daB,nbsp;wenn ich etwas Ganzes geben und nicht der Gefahr manchernbsp;auBerer Unvollkommenheiten und Fehler ausgesetzt sein wollte,nbsp;ich auch die andern indogermanischen Sprachen heranziehennbsp;muBte, die mir bis dahin ganz fern gelegen batten. Der un-geheure Stoff muBte in einer einzigen Person vereinigt werden!nbsp;Ein eingehendes jahrelanges Studium ware nötig gewesen, wennnbsp;man der Aufgabe einigermaBen hatte gerecht werden sollen. Danbsp;sich mir aber die Hoffnung, für die Erfüllung der Aufgabe Hilfenbsp;von auBen zu erhalten, leider nicht erfüllte, muBte ich, in barternbsp;Notwendigkeit ganz allein auf meine eigne Kraft angewiesen,nbsp;sehen, damit fertig zu werden, so gut es ging, und die Lösungnbsp;dieser Aufgabe war für mich um so schwieriger, als ich auchnbsp;sonst persönlich unter recht ungünstigen Verhaltnissen zu arbeitennbsp;hatte. Dièse lange Zeit aufreibender Arbeit, die an meine Kraftnbsp;die höchsten Forderungen steilte — ich war inzwischen innbsp;meine Heimat Einteln übergesiedelt —, will ich übergehn. Ge-nug; da ich eben gerade den Weg eingeschlagen hatte, auf demnbsp;sich die Sprache als ein einheitlicher Organismus erweisen muBte,nbsp;so muBte auch meine Arbeit mit Notwendigkeit über die zuerstnbsp;gesteckten Grenzen hinausdrangen und sich auf das gauze indo-

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TX

Vorwort

germanische Sprachgebiet erstrecken. Die Spuren dieses Vor-gangs wird der aufmerksame Leser auch in meiner Darstellung noch an mancben Stellen erkennen können, wie sie überhaupt dasnbsp;allmahlicbe Wachsen meiner Anscbauungen widerspiegeln wird.

Man ndrd hiernach seinen Standpunkt für die Beurteilung der vorliegenden Arbeit einnehmen und die Frage 'Was gibtnbsp;der Verfasser?’ billigerweise auflösen müssen in die Fragennbsp;Was bat er geben wollen? Was bat er vorderhand nur g-ebennbsp;können?’ Der einsicbtige nnd nnbefangne Leser wird dienbsp;Antwort hierauf das ganze Buch bindurch von selbst finden;nbsp;es will das Ganze erfassen, die groBen Gesetze zeigen, unternbsp;denen alles steht. Dagegen macht es nicht den Anspruch, schonnbsp;in allen Einzelheiten das Richtige getroffen zu haben. Es willnbsp;innerlich genommen werden. lm Ganzen, im GroBennbsp;Wahrheit, im Einzelnen, im Kleinen noch Irrtum — das wirdnbsp;hoffeutlicb das ürteil sein, zu dem auch der Leser gekommennbsp;ist, wenn er dieses Buch mit innerm Nach denken bis zur letztennbsp;Seite durchgearbeitet hat. Man stoBe sich also nicht an demnbsp;einen oder dem andern Beispiel. Das einzelne Beispiel kannnbsp;falscli sein, d. h. unzutreffend in der Art, wie es angeführt ist,nbsp;an der Stelle, wo es in dem vorliegenden Buche steht. DaBnbsp;hier Verschiebungen möglich sind, wird jeder leicht einsehen,nbsp;wenn er sich von der ungeheuern JAeiheit in den Erscheinungs-iormen einer Wurzel überzeugt bat. Ein solches Vergreifen innbsp;dem einzelnen Beispiel hat also nur etwa die Bedeutung einesnbsp;auBern Eechenfehlers in der an sich vollkommen richtig durch-geführten Lösung einer Aufgabe; man nehme es heraus undnbsp;setze ein besseres dafür ein, wie sie zu Hunderten zu habennbsp;sein werden für jeden, dem der Stoff besser und leichter zu-ganglich ist, als er es mir bisher gewesen ist. Man halte sich vornbsp;allem eben an die Beispiele, die eine absolute Beweiskraft haben,nbsp;und zielie aus ihnen seine Folgerungen. Denn hier kann es sichnbsp;zunachst um keine Kritik von Einzeltatsachen ban dein — dienbsp;orgibt sich mit der Zeit von selbst —, sondern hier stehtdienbsp;Sprache als Ganzes zur Diskussion.

Einen ganz hervorragenden Anted an dem Buche hat mein Bruder Dr. Ernst Meyer. Gleich mir beschaftigte er sich in der

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Vorwort

ersten Zeit seines akaclemischen Studiums eifrig mit Sprach-fragen, wandte ilinen aber mehr und mebr den Kücken, da er auf diesem Gebiete 'die groBe Notwendigkeit des Seins’ ver-miBte, die er dafür suchte und fand in philosophischen und innbsp;geographiscben wie geologischen Studiën. Sobald ihm aber dienbsp;ersten Ergebnisse meiner Forscbungen bekannt wurden, warnbsp;er aucb dem Gebiete der Spraclie wiedergewonnen, und er istnbsp;mir von da an ein Mitarbeiter im vollkommensten Sinne desnbsp;Wortes gewesen, dem ich mehr verdanke, als ich hier sagennbsp;kann. Herzlichen Dank schulde ich ferner Herrn Professornbsp;Georg Berlit vom Nikolaigymnasium in Leipzig, der meiner Arbeitnbsp;sein tiefes Interesse zugewandt und mich in echter idealer Hilfs-bereitschaft mit Kat und Tat unterstützt hat, und — last notnbsp;least! — ein ganz besondrer Dank gebührt dem Herrn Verleger. Was gerade dieses Buch innerlich und aufierlich ihmnbsp;verdankt, kann nur der Verfasser würdigen.

DaB die Sprache als die Tragerin und Vermittlerin unsrer Gedanken für alle Zeit der Mittelpunkt höherer menschlichernbsp;Geistesbildung ist, bedarf keiner Ausführung. Das Interesse fürnbsp;sie hat sich darum auch immer von neuem in mannigfachernbsp;Weise betatigen müssen, und so darf wohl auch dieses Buchnbsp;hoffen, bis in die weitesten Kreise der Gebildeten hinein — esnbsp;ist dementsprechend angelegt ~ eine freundliche Aufnahme zunbsp;finden. Moge sie ihm zuteil werden.

W. M.

Rinteln, im 3Iarz 1905

Anmerkung: Bei der groBen Masse der aus allen Sprachen ange-führten Wörter wird man es naohsichtig beurteilen, wenn sich ein Fehler eingeschlichen hat wie auf S. 153 Zeile 5 von oben, wo statt des aksi.nbsp;srup-M (Sichel) srip-rt gelesen werden muB, oder wenn sonst Druckfehlernbsp;stehn geblieben sein sollten.

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Der indogermanische Sprachstamm

Die durcb die geschiclitliche Überlieferung auf uns ge-kommnen und gröBtenteils uocb heute lebendigen indogerma-iiiscben Spracben gliedern sich in folgende acbt Hauptgruppen Oder Spracbzweige:

in Asien

1. das Arische,

2. nbsp;nbsp;nbsp;dasnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Armenische,

3. nbsp;nbsp;nbsp;dasnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Griechische, j

4. nbsp;nbsp;nbsp;dasnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Albanesische, inbsp;nbsp;nbsp;nbsp;in Südeuropa

5. nbsp;nbsp;nbsp;dasnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Italische, j

6. nbsp;nbsp;nbsp;dasnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Keltische,nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;|

7. nbsp;nbsp;nbsp;dasnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Germanische,nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;lnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;innbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Nordeuropa

8. nbsp;nbsp;nbsp;dasnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Baltisch-Slawischenbsp;nbsp;nbsp;nbsp;)

Das indogermanische Sprachgebiet umfafit danach einen gr o 15 en Teil von West- oder Vorderasien und (fast) ganznbsp;Europa (darum auch die Bezeichnung 'Indoeuropaer’!).

1. Das Arische besteht aus den indischen und den iranischen Sprachen undwird danach auch als derindo-iranischeSprachzweignbsp;bezeichnet. Die für uns erreichbare frühste Entwicklungsstufenbsp;des Indischen — die attesten Denkmaler reichen bis in dennbsp;Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. hinauf — wird als Alt-indisch oder Sanskrit bezeichnet.

Die attesten erhaltnen Dialekte des Iranischen, das Alt-iranische, sind das Altpersische (Westiranisch) und das Avestische (Ostiranisch), die Sprache des Avesta, der Samm-lung der heiligen Bücher der Zoroastrier. Der mitteliranischennbsp;Stufe gehort das Pehlevi oder Parthische an, und unter den

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XII

Der indogermanisohe Sprachstamm

neuiranisclien Sprachen steht an erster Stelle das Neuper-sisclie, daneben das Kurdische (in Kurdistan), das Ossetische (im Kaukasus) u. a.

2. nbsp;nbsp;nbsp;Ein andrer selbstandiger Zweig des Indogennanischennbsp;ist das Armenische, dessen für uns in Betracht kommende Lite-ratursprache (Altarinenisch) vom 5. Jahrh. n. Chr. an iiberliefertnbsp;und als solche bis in die Neuzeit fast unveriindert im Gebrauchnbsp;geblieben ist, wahrend die modernen Volksdialekte (Neuarmenisch)nbsp;weit davon abstehu.

3. nbsp;nbsp;nbsp;Das Griechische war schon seit der friilisten Zeit in vielenbsp;Mundarten gespalten, von denen die wichtigsten das lonisch-Attische, das Dorische und das Aolische sind. Das Altgriechischenbsp;entwickelte sich zum Mittelgriechischen (11.—16. Jahrh.) undnbsp;welter zum Neugriechischen.

4. nbsp;nbsp;nbsp;Das Albanesische in Epirus, die Sprache des alten Illyriens,nbsp;besteht vor allem aus den Mundarten von Tiirkisch-Albanien,nbsp;die sich in zwei Druppen teilen, die toskische im Siiden und dienbsp;gegische im Norden.

5. nbsp;nbsp;nbsp;Der Italische Sprachzweig schied sich in das Latei-nischeund die oskisch-umbrischen Mundarten. Von dennbsp;letzten war vor allem das Oskische iiber ein weiteres Gebietnbsp;verbreitet, so liber Samnium, Kampanien, Lukanien, Bruttium,nbsp;Apulien, und ihm standen die sog. sabellischen Dialekte nahe,nbsp;d. h. die Mundarten der Paligner, Marser, Sabiner u. a.

Aus dem Lateinischen haben sich die sog. romanischen Sprachen entwickelt, Italienisch, Spanisch nebst Katalonisch,nbsp;Portugiesisch, Französisch nebst Provenzalisch, Katoromanisch,nbsp;Rumanisch.

6. nbsp;nbsp;nbsp;Von den keltischen Sprachen kommt fiir uns hier nebennbsp;dem Britannischeu, der Sprache der alten Britanner, die sich innbsp;Kymrisch (in Wales), Cornisch (in Cornwallis, ausgestorben) undnbsp;Bretonisch (in der Bretagne) schied, vorzugsweise das Irischenbsp;in Betracht, dessen alteste literarische Denkmaler (Glossen) insnbsp;8. Jahrh. zuriickreichen. Diese Sprache der Glossenhandschriftennbsp;bezeichnet man als Altirisch, von 1100 an rechnet man dasnbsp;Mittelirische, wahrend man die Schriftsprache vom 17. Jahrh. annbsp;und die heutigen Mundarten als Neuirisch bezeichnet.

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xrii

Der indogermanische Sprachstamm

”¦ Das Gemanische setzt sich zusammen aus dem Go. tischen, der altertümlichsten Spraclie desgermanischen Zweiges,nbsp;die uns hauptsachlich dnrch die Bibelübersetzung des westgotischennbsp;Biscbofs Ülfila (311—383 n.Chr.) bekannt ist, aus dem Nordischennbsp;und dem Westgermanischen. Das Nordische, das bis 1050 einenbsp;einheitliche Sprache war, ging seit jener Zeit in vier Hauptdialektenbsp;^useinander, in Islandisch und Norwegisch, Schwedischnbsp;Und Danisch, von denen sich die ersten beiden alsWestnordischnbsp;und ebenso die letzten beiden als Ostnordisch noch lange Zeitnbsp;einander naher berühren. In der zeitlichen Entwicklung rechnetnbsp;uian bis zur Reformation das Altnordische, von da an dasnbsp;Neunordische.

Das Westgermanische gliedert sich in das Angelsach-sische, das auch als Altenglisch bezeichnet wird, da sich aus ihm das heutige Englisch entwickelt hat (bis 1500 Mittelenglisch,nbsp;Von da an Neuenglisch), in das Friesische, in das Nieder-deutsche oder Niedersachsische, das bis 1200 als Altnieder-deutsch oder Altsachsisch, bis 1500 als Mittelniederdeutsch, vonnbsp;da an als Neuniederdeutsch oder Plattdeutsch bezeichnet wird, innbsp;das ihm ziemlich nahe stehende Niederfrankische oder Nieder-landische, das in seiner jüngsten Entwicklung seit 1500 alsnbsp;Neuniederlandisch (Hollandisch, Flamisch usw.) bezeichnet wird,nbsp;und in das Hochdeutsche (Ober- und Mitteldeutsch), das sichnbsp;nach seiner Entwicklung in Althochdeutsch (bis 1100), Mittel-hochdeutsch (bis 1500) und Neuhochdeutsch teilt.

8. Von dem baltisch-slawischen Sprachzweig endlich gliedert sich das Baltische, d. h. die Sprache der am Baltischen Meerenbsp;wohnenden Völker, in das Litauische, das Lettische und dasnbsp;Preuhische. Wahrend das PreuBische, die Sprache der Be-wohner des alten PreuBens, die darum auch als AltpreuBisch bezeichnet wird, seit dem 17. Jahrh. ausgestorben ist, leben dasnbsp;Litauische und das Lettische, die dem PreuBischen gegenübernbsp;enger zusammengehören, noch heute. Das Litauische gliedertnbsp;sich wieder in die Mundarten des preuBischen (Memel und Tilsit)nbsp;und des russischen Litauens (Kowno und Wilna), und ihm schlieBtnbsp;sich im Norden das Lettische an, das in Kurland und Liv-land gesprochen wird.

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XIV

Der indogermanische Sprachstamm

Die slawischen Spraclien scheiden sich in eine süd(öst)liche und eine westliche Gruppe. Jene umfaBt das Kussische, dasnbsp;sich in Grohrussisch, WeiBriissisch und Kleinrussisch gliedert, dasnbsp;Bulgarische und das Serbisch-Slowenische, d. h. dienbsp;Sprache der Serben, der Kroaten und der Slowenen. Die altestenbsp;uns überlieferte Form des Bulgarischen wie der slawischennbsp;Sprachen überhaupt ist das sog. Altkirchenslawische (auchnbsp;Altbulgarisch genannt), d. h. die Sprache, in der im 9. Jahrh.nbsp;die erste Bibelübersetzung der Slawen verfaBt worden ist, undnbsp;die so die kirohliche Sprache aller Slawen des griechischen Be-kenntnisses, d. h. der Bussen, Serben und Bulgaren wurde. —nbsp;Die westslawischen Sprachen sind das Tschechische, das sichnbsp;wieder in Böhmisch, Mahrisch und Slowakisch gliedert, dasnbsp;Sorbische, die Sprache der Wenden in der Lausitz (auchnbsp;Wendisch genannt), und das Lechische, das das Polnische,nbsp;das Kassubische (an der untern Weichsel) und das ausgestorbnenbsp;Polabische oder Elbslawische unifaBt.

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Abkürzungeii

a ret. = altbretonisch

kurd. = kurdisch

^ngelsachsisch

lat. = lateinisch

aid. = althochdeutsch

lett. = lettisch

“= altindisch

lit. = litanisch

— altirisoh

macedornm. = macedo-rumanisch

aisl. = altisliindisch

mbret. = raittolbretonisch

aksl. = altkirohenslawisch

md. = mitteldeutsch

alb. = albanesiseh

mengl. = mittelenglisch

= altnordisch

mhd. = mittelhochdeutsch

^ndalus. nbsp;nbsp;nbsp;andalusisch

mir. = mittelirisch

aol. = aolisch

nd. = niederdeutsch

®pers. == altpersisch

ndl. = niederiandisch

= armeniach

ngriech. = neugriechisch

arusa. = altrussiseli

nhd. = neuhochdeutsoh

= altsachsisch

nkymr. = neukymrisch

att. = attiscli

npers. = neupersisch

av. = avestisoli

nsl(ov). = neuslowenisch

bask. = baskisch

nsorb. = niedersorbisch

bayr. = bayrisch

ob(er)d. = oherdeutsch

bohm. = bohmisch

osk. = oskisch

bulg. = bulgarisch

osorb. = obersorbisch

corn. == cornisch

osset. == ossetisch

dan. = danisch

pehl. = pehlevi

dor. = dorisch

poln. = polnisch

engl. = englisch

port. = poi'tugiesisch

frz. = französisch

preuB. — preuBisch

gall. = gallisoh

rum. = rumanisch

got. = gotisch

russ. = russisoh

griech. = griechisch

¦ sabin. = sabinisch

hd. = hochdeutsch

schwed. = sohwedisch

bom. = homerisch

Serb. = serbisch

idg. = indogermanisch

sorb. = sorbisch

ion. = ionisch

span. = spanisch

Iran. = iranisch

tschech. = tschechisch

ital. = italienisch

umbr. = umbrisch

kret. = kretisch

weiBruss. = weiBi-ussisch

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20—49

50—82

82—95

96—109

109—113

113—124

125—142

142—146

146—158

158—163

163—170

170—178

178—185

185—191

191—198

198-228

228—246

246—256

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Kapitel I.

Die treibenden Kriifte.

Veritas se ipsam patefacit. Dieses Wort Spinozas moge an der Spitze stehn — in seiner ruhigen Zuversicht das echte Leit-wort fiir den Forscher, der im festen Glauben an die Wahrheitnbsp;seiner Ideen seinen FuB in das unbekannte, vor ihm liegendenbsp;Land setzt. Fiir mich war dieses Land das Reich der Sprache,nbsp;dessen Geheimnisse schon den Knaben, ohne daB er sich dessennbsp;recht bewuBt war, angezogen batten und dann die erstarkendenbsp;Kraft des Jiinglings und des Mannes defer und defer beschaf-tigten und ihn nicht eher wieder freigaben, als bis er sich mitnbsp;ihnen abgefunden hade. Mit dem ernsten FleiBe, den nur die Be-geisterung fiir die Sache zu geben vermag, suchte ich auf dernbsp;LFniversitat vor allem meine Muttersprache in ihrer Entwicklungnbsp;defer kennen zu lernen und zu verstehn, indem ich aber auchnbsp;ihre beiden klassischen Schwestersprachen nicht unberiicksich-tigt lieB; und mehr und mehr wurde es mir gewiB, daB geradenbsp;in der Verbindung des antiken und des germanischennbsp;Geistes etwas auBerordentlich Befruchtendes liegen miisse —nbsp;auch fiir die tiefere Erkenntnis der Sprache.

Das wachsende Verstandnis fiir die Zusammenhange der Sprachen hatte zur Folge, daB ich das Gebiet der Sprache undnbsp;der Sprachforschung in immer gröBerem ümfange kennen zunbsp;lernen verlangte, um eine immer breitere Grundlage zu gewinnen.nbsp;Doch gerade dieses Streben nach summarischer Bewaltigung desnbsp;Sprachstoffes fiihrte den ümschwung herbei: die Aussichtslosig-keit dieses Weges wurde mir bald genug fühlbar. ünd vornbsp;allem: auch wenn jenes Ziel „alles zu wissen“ wirklich zu er-reichen gewesen ware, wie ein ungeheurer Ballast hatte der

Meyer, die Schöplnng der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;1

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2 nbsp;nbsp;nbsp;Kapitel I.

Stoff seinen Tracer erdrücken müssen, da nicht er den Stoff, sondern der Stoff ihn beherrscht batte. Auf diesem Wege warnbsp;das Heil nicht zu erlangen. Wohl batte die historische Sprach-forschung mit ihren mannigfachen Ergebnissen die Kraft gehabt,nbsp;den Geist betrachtlich über die Masse des Sprachstoffes zu er-heben, aber von einer wirklicben Beberrschung des Stoffesnbsp;konnte nicht die Rede sein, und so blieb das tiefste Verlangennbsp;des menschlichen Geistes ungestillt. Neben der historischennbsp;Denk- undBetrachtungsweise rang sich aber nun aus dernbsp;Tiefe des BewuBtseins die andre, höhere empor — die philosophise he, und mit ihrem MaBe gemessen muBten auch dienbsp;umfassendsten Ergebnisse der historischen Sprachforschung geringnbsp;erscheinen. Hatte bis dahin der Geist eine reine Freude em-pfunden an dem Anschaun der gesetzmabigen Entwicklung dernbsp;Sprache, wie sie sich von der altesten historischen Zeit an innbsp;verhaltnismaBig klarer Weise vor ihm vollzog, vom philosophi-schen Standpunkt aus muBte der Weg als kleine Strecke einernbsp;Bewegung erscheinen, deren Ausgangspunkt und Richtung ininbsp;Dunkeln lagen, und die Freude lief Gefahr, sich in Mifimut zunbsp;verkehren. Zwar wird der einseitige Historiker die Ansprüchenbsp;des neuen Störenfrieds, der mehr wissen will, als möglich ist,nbsp;als unberechtigt zurückweisen; macht sich aber in ihm nebennbsp;dem historischen Sinn der philosophische Drang geltend, dannnbsp;ist es vorderhand um seine Ruhe geschehen: den Fragen, dienbsp;von der einen Seite erschallen, tont von der andern keine Ant-wort wieder.

Der Sprachhistoriker ist stolz darauf, den veranderten Zustand der Sprache auf der einen Stufe als das Ergebnis gesetz-mafiiger Entwicklung aus der vorausliegenden feststellen und so eine ununterbrochene Veranderung des Stoffes nachweisennbsp;zu können, Fragen, die der nicht verstehn und beurteilen kann,nbsp;der das Vorausliegende nicht kennt, d. h. der eben nicht hatnbsp;historisch arbeiten und denken lemen. Der Philosoph dagegennbsp;betont die andre Seite der Entwicklung, ihm kommt es daraufnbsp;an, durch die nach Zeit und Raum sich ausbildenden ünter-schiede hindurch doch das Gleiche, in dem Wechsel die Dauernbsp;zu erkennen. Dem Historiker werden für sein Forschen und

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Die treibenden Krafte. nbsp;nbsp;nbsp;3

Erkennen die Grenzen von auBen gesetzt, und er bescheidet sicli in ihnen mit BewuBtsein, eine Beschrankung, der die Gröfie nichtnbsp;zu fehlen braucht; den Philosophen aber, den nur die Erkennt-nis des ewig unveranderlichen Wesens der Dinge befriedigennbsp;kann, reilit es fort bis an die Grenze, wo er das Unerforschlicbenbsp;als solches erkennt und in Demut verehrt. Seine Anspriichenbsp;müssen also über die des Historikers hinausgehn.

Trotz der groBen Entwicklung der historiscben Spracb-forscbung seit den Tagen Franz Bopps und Jakob Grimms ist doch, mit den Augen des Philosophen gesehen, alles noch Einzel-erkenntnis, Einzelwissen geblieben. Niemand kann an dernbsp;Tatsache der indogermanischen Sprachverwandtschaft zweifeln,nbsp;die Zeugnisse sind unwiderleglich, und doch — wie vereinzeltnbsp;im Hinblick auf das Ganze! Welches Entsagen erfaBt einen,nbsp;wenn man etwa sprachbetrachtend Horaz, Homer und Walternbsp;von der Vogelweide, die Vertrauten der Jugend, aufgeschlagennbsp;nebeneinander vor sich liegen hat! Drei Kinder einer Mutter,nbsp;und doch — wie himmelweit voneinander verschieden: die Ein-heitlichkeit durch einzelne unter den dastehenden Wortgebildennbsp;klar bezeugt, und ihnen gegeniiber die ganz iiberwaltigendenbsp;Masse der andern, die stumm bleiben und trotz aller Fragennbsp;keine Antwort geben wollen I Hier muB der Kampf entbrennen:nbsp;sie müssen reden, und der Ausfall des Kampfes an dieser be-grenzten Stelle bedeutetSieg oderNiederlage auf der ganzen Linie,nbsp;d. h. für die Erkenntnis des Gesamtgebietes der indogermanischennbsp;Sprachen. Und wir glauben an den Sieg: in all dieser un-endlichen Mannigfaltigkeit muB eine Einheit waltennbsp;— das sagt uns unser tiefstes BewuBtsein —, eine tiefe, verborgenenbsp;Einheit, von der jene ubereinstimmenden Wortgebilde nur alsnbsp;einzelne, sinnfallige Zeugen an der Oberflache liegen. Ware esnbsp;anders, herrschten hier keine durchgehenden Gesetze, die Sprachenbsp;müBte auf horen, im höhern Sinne ein Forschungsgebiet des.nbsp;menschlichen Geistes zu sein, und die allein nur noch möglichenbsp;Kleinarbeit könnte auf die Dauer den Forscher nicht befriedigen,nbsp;der es weiB, wie 'sicher und groB' Natur sonst ist. Aber dienbsp;Sprache kann eben keine Ausnahme machen: sie ist doch auchnbsp;ein Naturprodukt im tiefsten Sinne. Das zeigt dem, der es

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Kapitel I.

nicht innerlich weiB, die Tatsache ihrer sich in gesetzmaBigen Bahnen vollziehenden Entwicklung. Was sich aber gesetzmaBignbsp;entwickelt, muB auch gesetzmaBig entstanden sein — denn „allesnbsp;entsteht und vergeht nach Gesetz“! —, muB, da Entwicklungnbsp;Leben bedeutet, einmal geboren, erschaffen sein, und zwar er-scbaffen nach denselben Gesetzen, nach denen es sich entwickelt.

Wir stehn also damit unmittelbar vor dem Problem der Sprachschöpfung und — kehren nicht urn, da unser Wegnbsp;unzweifelhaft sicher ist. Für uns gibt es auf dieser Höhe keinenbsp;Sprachen mehr, sondern nur noch Sprach e, und die Frage nachnbsp;dem Ursprung der Sprache ist gleichbedeutend mit der Fragenbsp;nach dem innersten Wesen der Spracheinheit, d. h. nach demnbsp;Wesen des Wortes. Es müssen doch Gründe dafür verhanden sein, weshalb das einzelne Wort gerade den von ihmnbsp;ausgedrückten Gegenstand bezeichnet, und es darf doch nichtnbsp;auch jeden beliebigen andern bezeichnen können: Ausdrucknbsp;und Gedanke müssen irgendwie eins sein. lm andernnbsp;Falie müBte jedes Forschen aufhören. Doch unsre Forderungnbsp;ist unumstöBlich, und wir können sie unter keiner Bedingungnbsp;aufgeben, wenn ihr auch die historischen Tatsachen noch sonbsp;sehr zu widersprechen scheinen. Sieht man in ein Wörterbucbnbsp;hinein, da kann einem allerdings oft zunachst wunderlich zu-mute werden; ein Wort bezeichnet da oft die verschiedenartigstennbsp;Gegenstande, die nichts miteinander gemein haben; manbekommtnbsp;den Eindruck, dafi hier alles möglich sei. Doch das muB undnbsp;wird sich eben aufklaren: wir müssen es mit verschiednen Wör-tern zu tun haben. Beispiele aus historischer Zeit können unsnbsp;schon darüber belehren. Wie erstaunt muB der, der den Sach-verhalt nicht kennt, gegenüber der Tatsache sein, daB z. B. imnbsp;Französischen das eine Verbum louer zugleich'loben'’und termieten’ bedeutet, zwei Begriffe, die schlechterdings nichts miteinander gemein haben! Der Kenner weiB, daB hier zwei ganznbsp;verschiedne Verben lat. la u da re und loc are auBerlich einsnbsp;geworden sind, da ihre Entwicklung in demselben Eesultate ge-mündet ist. Ebenso verhalt es sich mit dem deutschen Verbumnbsp;kosten, das einmal dem lat. constare (frz. couter) und dann

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Die treibenden Kraftc. nbsp;nbsp;nbsp;5

auch dem lat. g us tare (frz. gouter) entspriclit, und mit vielen andern Wörtern. Wie stünde es nun, wenn wir diese histo-rischen Tatsachen zufallig nicht mehr feststellen könnten? Solltennbsp;wir nicht doch immer wieder der Versuchung unterliegen, hiernbsp;nur ein Wort zu sehn und so zu verbinden, was ewig getrenntnbsp;bleiben muB? Sollte dieser Fehler nicht tatsachlich gemacht sein,nbsp;wenn die etymologische Forschung z. B. das lat. mare == Meernbsp;mit mors (Tod) zusammenbringt und diese nur durch die auBerenbsp;Form veranlaBte Verbindung dann innerlich damit zu begründennbsp;sucht, daB das Meer im Gegensatz zu der fruchttragenden Erdenbsp;dem Menschen als tot erschienen sei? Wir können es nichtnbsp;anders glauben. Die auBere Form allein kann nicht den MaB-stab abgeben für die Beurteilung von Zusammenhangen in dernbsp;öprache, wir mussen nach tieferen, in dem Wesen der Sachenbsp;liegenden Gründen suchen. Nur so können wir boffen, Ergeb-nisse zu erhalten, die auf allgemeineobjektiveAnerkennungrechnennbsp;dürfen. Etymologie im wirklichen und tiefsten Sinne ist nurnbsp;möglich durch ein Aufsteigen bis zur Quelle alles Sprachlebens,nbsp;d. b. sie ist gleichbedeutend mit der Erkenntnis der individuellennbsp;Wesenheit des einzelnen Wortes. Diese aber erhalten wir, wennnbsp;wir alles Sekundare, Formale, das es mit tausend andern ge-mein haben kann, abziehn: bei der Beantwortung der Frage,nbsp;weshalb z. B. das lateinische Wort timor 'Furcht’ lieiBt, scheidetnbsp;der Bestandteil or, den es mit vielen andern teilt, aus, und dienbsp;Gründe sind allein in dem Bestandteil tim zu suchen. DaBnbsp;dieser das absolut Notwendige und das Bleibende des Wortes ist,nbsp;wird uns gewiB einmal durch die Reihe taa-ox {Furcht), tim-Qonbsp;ifürcht-en), tim-i dus {furcht-sam) und dann noch durch dienbsp;Reihen tim-or, terr-or, err-or usw., tim-eo, fulg-eo, sed-eo usw.,nbsp;tim-idus, cup-idus, val-idus usw. oder kurz auch durch dienbsp;Parallelreihe cal-or (Warme), cal-eo (warmsein),cal-idus {warm).nbsp;Diesen Bestandteil, worin allein die Begriffs-, d. h. die eigent-liche Bedeutung des Wortes enthalten ist, hat die Sprachwissen-schaft als Wurzel bezeichnet, und wir können uns dieser Be-zeichnung anschlieBen. Unsre Aufgabe besteht also darin, dienbsp;Wurzeln der einzelnen Wortgebilde festzustellen und auf sie unsrenbsp;ganze Aufmerksamkeit und Beobachtungskraft zu richten zur

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6 nbsp;nbsp;nbsp;Kapitel II.

Aufdeckung der Beziehungen, die da notwendig vor-handen sein milssen. Welcher Art sie sind, können wiv nicht voraussagen, aber dessen sind wir im tiefsten Innern gevviB: sienbsp;sind einfach. Unser Weg ist uns klar vorgezeichnet: es istnbsp;der Weg durch das Sekundare hindurch zum Primaren, wo wirnbsp;hinter all der auBern sinnverwirrenden Maunigfaltigkeit der Er-scheinnngen das einheitlich alles durchdringende Gesetz erkennennbsp;müssen, der Weg aus der Vielheit zur Einheit, der sonbsp;absolut zuverlassig ist, daB wir seiner Wahrheit gewiB bleibennbsp;müBten sogar dann, wenn wir das Vermogen, ihn bis ans Endenbsp;zu gehn, nicht haben sollten, denn ideae, quae sunt claraenbsp;et distinctae, nunquam possunt esse falsae (Spinoza).

Kapitel II.

Vokalische Differenzierung der Wurzel.

Treten wir mit dem innern Bedürfnis der Einheit, das uns unsre Wege bahnen soil, an irgend einer Stelle, z. B. im Grie-chischen, in die Masse des Sprachstoffes ein, dann wird dienbsp;erste Erkenntnis, zu der wir mühelos gelangen, die vokalischenbsp;Abwandlung ein und derselben Wurzel sein, zunachstnbsp;das mit gesetzmaBiger Sicherheit immer wiederkehrende Ver-haltnis der Vokale ê und ö zueinander, das wir als Ablaut zunbsp;bezeichnen gewobnt sind. Gerade dieses Ablautsverhaltnis nimmtnbsp;in der Sprache wohl den breitesten Eaum ein, in ganz besondrernbsp;Weise wieder im Griechischen, wo man fast wie mit einer absolut feststehenden Tatsache damit rechnen kann, daB jede Wurzelnbsp;mit dem Vokal ë auch irgendwie ihre in o abgelautete Formnbsp;neben sich bat. Die Reibe TpÉJt-w {wenden), rQOJt-i] (IFen-dung), tQón-og (Wendung), xQOJt-éa {wenden) z. B. gilt odernbsp;galt für jedes derartige Verbum nahezu vollstandig, sodaB mannbsp;sie auch von cpéq-io, kéy-co, '/.xév-uo usw. ohne weiteres innbsp;getroster Zuversicht auf die tatsachliche Bestatigung bildennbsp;kann:

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Vokalische Differenzierung der Wurzel. nbsp;nbsp;nbsp;7

(fiSQ-to (tragen), nbsp;nbsp;nbsp;(póQ-og, (poQ-éio;

kéy-co {sagen), Xoy-g, Xóy-og, Xoy-éw; xtév-uo {toten), xov-g, xróv-og, xrov-éco;nbsp;öéix-co (bauen), öo[i-rj, öó^-og, óofi-éa;nbsp;jtêr-ogai (fliegen), stor-rj, —, nor-éogai;

(pé^-ogai {sich fürcMen), —, lt;pó^-og, (pó^-éogai usw. usw. Hat hier der Gebrauch der beiden Ablautsformen geradezu dienbsp;feste RegelmaBigkeit eines Schemas angenommen, so darf mannbsp;sich dadnrch nur nicht zu der Annahme verletten lassen, alsnbsp;waren sie daran irgendwie innerlich gebunden. Allein schonnbsp;Beispiele wie griech. öéf-rsgog (der sweite): öo-F-ióg {zweifach),nbsp;Oder noch mehr wie griech. véF-og {neu): lat, no-v-us {neu),nbsp;Beispiele, denen leicht Himderte hinzugefügt werden können,nbsp;können uns hierüber schon genügend belehren, und noch freiernbsp;muB unser Urteil über das Vokalverhaltnis werden, wenn wirnbsp;es z. B. auch im lat. terr-a {Land): ea;-torr-is {landflüchtig),nbsp;in bën-e (gut) und liixi-ignus {gütig): bon-MS {gut), in vel-fenbsp;{wollen): v6l-o {ich will) wiederfinden, und vollends gar, wennnbsp;wir sehn, wie die eine Sprache diese, die andre jene Form auf-weist. So entspricht dem lat. ped-s (Fufl) das griech. jtóö-g,nbsp;dem lat. gen-u {Knie) das griech. yóv-v und anderseits demnbsp;griech. xéq-ag ' (Horn) das lat. cor-nw- mit dem germ. hor-M,nbsp;dem griech. èst-L {gegen) das lat. ob, dem griech. jtoX-vg (viel)nbsp;das got.fll-ii (lt;pel-M); und dab wiederumkeine absolute Bindungnbsp;der Formen vorliegt, kann uns hierzu das griech. rgt-jtsd-ognbsp;{drei Fuji lang) und xoQ-avóg (gelerümmt) zeigen. Wir sehnnbsp;von einer weitern Ausführung dieses Ablautsverhaltnisses hiernbsp;ab, da es nach seiner Tatsachlichkeit allgemein bekannt ist, undnbsp;da die Beispiele so zahlreich sind, dab sie sich kaum erschöpfennbsp;lassen. Dieser letzte Umstand aber verdient ganz besonders betont zu werden, und darum mubte sich uns bei unserm Suchennbsp;nach Einheit in der Sprache auch gerade dieses Ablautsverhalt-nis an erster Stelle unmittelbar aufdrangen. Es war uns ja na-türlich langst bekannt, aber wir sehn es doch jetzt von einemnbsp;ganz andern Standpunkt an, da wir z. B. in den oben genanntennbsp;Wurzeln %qb7C und tqow nichts Verschiednes mehr sehn, sondernnbsp;nur zwei innerlich ganz gleichwertige Erscheinungsformen des-

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Kapitel II.

selben Inlialts, d. h. die beiden Formen sind untereinander nicht verbunden durch das Verbaltnis der direkten Abstammung (De-szendenz), sondern sie sind, jede für sich selbstandig, die indi-viduellen Ausstrahlungen derselben GröBe, namlich der Idee dernbsp;Wurzel, geradeso wie hinter den Individuen Eichen, Buchen,nbsp;Birken usw. die Idee des Baumes steht. Wir stellen also dienbsp;generelle Tatsache fest: Jede Wurzel trëp, pët, gèn,nbsp;mër usw. kann aucli in der ihr vollstandig gleicb-wertigen sog. Ablautsform tröp, pot, gön, mor usw.nbsp;erscheinen.

Etwas langer wird es sclion dauern, bis wir fest erkannt haben, dab den Wurzeln mit ë auch ihre Formen mit a zurnbsp;Seite stehn, dab also zu dem eben erörterten Ablautsverhaltnisnbsp;das von ë:a hinzutritt. Dasselbe Wort lautet im Griechischennbsp;(i£v-w (bleiben), im Lateinischen man-eo, dort jteX-ióg (bleich.nbsp;blaf]), hier ^all-idus, und das lat. ma,g-nus {grof]) bat seinenbsp;e-Form nicht nur im griech. g,Éy-ag, sondern auch im got. mik-il-s {lt; meJc-el-s) sich gegenüber. Das griech. jtéX-sia (Taube)nbsp;finden wir im Lateinischen als pal-ttwamp;es wieder, dem griech.nbsp;sX-ix-rj {die Weide) gegenüber bat das Lateinische sein sal-ic-s,nbsp;wie es auch unserm lef-se, lipp-e gegenüber das Wort in dernbsp;Form lab-wtm aufweist, und das Litauische zeigt uns die demnbsp;lat. par-io {gebaren) entsprechende Form als per-iA (bruten).nbsp;Diesen Wechsel zwischen ë und d können wir auch noch besondersnbsp;gut beobachten in einem Vergleich des Lateinischen mit den andernnbsp;italischen Dialekten, wo wir sehn, wie z. B. das lat. pét-o {zunbsp;erreichen suchen) im Volskischen ar-pat-^^^^ und das lat. ti'p-idusnbsp;(lau) im ümbrischen tap-isfenw lautet, wahrend wir umgekehrtnbsp;das lat. ar-iet-s {Widder) umbriscb als er-iet-u antreffen, genaunbsp;wie im Griechischen als 'éq-upog {EocTc). So hat auch dasnbsp;griech. aqG-rjv {mannlich) sein jon., kret. 'é^G-rjv neben sich, undnbsp;wie im Griechischen ‘xéX-og.ai {rufen) und ytaX-éco {rufen),nbsp;yeX-do) (lachen) und yaX-eqóg (heiter) u. v. a. nebeneinandernbsp;stehn, so auch im Lateinischen fat-z^o {ermüden) und fet-sztsnbsp;gt;¦ fessus {ermüdet), grï A-us {Schritf) und gtlA-sus gt; gr essusnbsp;{Schritt), von den en wir die letzte Form im got. grip-s {Schritf)nbsp;wiederfinden.

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Vokalische Differenzierung der Wurzel. nbsp;nbsp;nbsp;9

Wir sehn also, daB ë nicht nur mit ö, sondern aucli mit a im Wechsel stelit, und diese Beziehung muB uns die Fragenbsp;nalie legen, ob nicht vielleicht auch zwischen ö und a selbst einnbsp;solches Ablautsverhaltnis besteht. Die Tatsachen antworten aufnbsp;diese Frage mit Ja. Es ist dieselbe Wurzel, die uns im Latei-nischen als scab-o (kratzen, schab-en) und als scöb-is {Sdge-spane) entgegentritt, und wie wir fac-s {Fackel, Feuer) nebennbsp;icc-ics (Feuer, Feuerstdtte, Herd) stehn sebn, so bat auch part-snbsp;(Teil) sein port-io (Anteil) zur Seite und scalp-o (ausschneiden,nbsp;schnitzen) sein gleichbedeutendes sculp-o lt; scolp-o. Ebensonbsp;finden wir im Griecbischen ayx-óv {Ellenhogen, Bug, Winkel)nbsp;und öyx-os (Bug, Winkel), óQóg-og (Lauf) und óQag-eivnbsp;(laufen) u. v. a. nebeneinander, und oft genug sehn wir wiedernbsp;die eine Form in dieser, die andre in jener Sprache vertreten:nbsp;so stehn sich gegenüber lat. doc-eo (lehren) und griech. öi-ödx-axco (lehren), lat. dom-o (bezwingen) und griech. dap-da (he-zwingen), lat. mön-ïfe (Halsband) und griech. pdv-og (Halsband), und umgekehrt griech. öl-óó-vul (geben) und lat. da-renbsp;(geben), griech. ?.oFéco (waschen, baden) und lat. lav-o (waschen),nbsp;griech. oëq (Ohr) und lat. aur-is (Ohr) usw.

Fassen wir diese Tatsachen in ihrer grundsatzlichen Be-deutung, so ergibt sich für uns als Erweiterung der oben fest-gestellten Tatsache die wichtige Erkenntnis, daB in jeder Wurzel die Vokale e, ö, d ohne ünterschied miteinander wechselnnbsp;können, und so haben wir ja denn auch in der Tat oft genugnbsp;die Wurzel in allen drei Erscheinungsformen in vollkommensternbsp;Deutlichkeit nebeneinander. Schon von der Schulgrammatik hernbsp;wissen wir, daB das griech. rQéq)-io (ernahren) sein té-rqo(p-anbsp;und Té-rQa(p-gai wie è-rQd(p-T]v neben sich hat, und aus no-minalem Gebiete gesellen sich r^oip-rj (Nahrung) und xQatf-sQÓg (wohlgendhrt) dazu; und so brauchen wir nur zu erinnernnbsp;an die zahlreichen Falie wie xQéjt-co (wenden), té-rqoip-a, è-XQdJt-rjv, xXéjt-xco (stehlen), xXozt-rj (JDiebstahl), è-xXdzt-rjv;nbsp;öéQ-cj (abhauten), öéQ-og (Haul), öoq-d (Haul), öd^-aig (dasnbsp;Abhauten); öxé}.-i(a (absenden), oxóX-og (Heereszug), è'-axaX-xa usw. So haben wir ferner neben i-ysv-dgtjv (entstehn) dienbsp;beiden Perfektformen yé-yov-a und yé-ya(v)-a, neben gév-og

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Kapitel II.

{Sinn) fiÉ-(iov-a und i.ié-}xa{v)-cc, wozu man noch das griech. yév-og {Geschlecht) und das lat. gen-Ms (Geschlecht) so wie dasnbsp;griech. yov-svg (Erzeuger) und ebenso das lat. men-s (Sinn)nbsp;mit mon-eo (erinnern) hinzuhalten mag. Gerade diese Vokal-dreiheit begegnet uns immer wieder, sodaB wir sie ohne groBenbsp;Mühe aufweisen können: Beispiele wie öéQu-ouai (sehn), e-ÖQaK-ov, dé-öó^x-c! und jtéQd-to (zerstören), ë-ztQwd-ov, jroQamp;-éco, wie ^Ék-og (Wurfgescho/S), ^oX-rj {Wurf), i3d?,-uo (werfen)nbsp;oder [isQ-og {Teil), [lóQ-a {Ahteilung) mit pot^-ö {Teil) lt;Z flÓQ~nbsp;lu, ndQ-tg {ein Mafi) lassen sich noch zahlreich aufstellen. Dienbsp;drei Formen können sich natürlich auch auf die Einzelsprachennbsp;verschieden verteilen, worin sich uns ihre individuelle Selb-standigkeit am besten offenbart: so haben wir nebeneinandernbsp;griech. (pkéy-w {brennen), griech. lt;pXóy-g {Flamme) und lat.nbsp;flag-r-ure (brennen) und ebenso neben griech. (itu-w {bleiben)nbsp;und iiov-g {das Bleiben) nebst (ióv-i/.wg (bleïbend) das lat.nbsp;man-eo {bleiben), und bei got. hairt-ö (= mhd. hërz-e), lat. ccr(d)nbsp;{Herz), griech. xaqö-ia {Herz) sehn wir sogar, wie sich die dreinbsp;Formen auf drei verschiedne Sprachen verteilt haben. DaBnbsp;dieser Ablaut auch in den formalen Bestandteilen der Sprachenbsp;erscheint, daran wollen wir hier nur kurz erinnern durch einennbsp;Hinweis auf die bekannten Falie, wo wir z. B. neben Nom. yév-og {Geschlecht) und Gen. yév-sa-og die Formen xéQ-ag {Horn),nbsp;¦/.vécp-ag {Finsternis) usw. antreffen, und dasselbe Wort sehnnbsp;wir uns so noch als ipécp-oq {Finsternis) und xpécp-ag entgegen-treten. Da im Germanischen durch sekundare Entwicklung bnbsp;regelmaBig zu d geworden ist — man denke an lat. hortus gt; gar-ten, octo gt; acht usw. —, so treffen wir hier nur noch dennbsp;Ablaut ë-.ci an, diesen aber darum auch im gröBten MaBe:nbsp;geb-en : gab, nehm-e??: nahm, werf-ew : warf, stehl-ew ; stahl mogennbsp;als Vertreter von Tausenden von Beispielen dienen. So stehtnbsp;dem griech. Fég-vv-gi {Meiden) und dem lat. ves-ti-s {Kleid) dasnbsp;got. vsi,a-jan (Meiden) mit vas-ti {Kleid) gegenüber, bei dem wirnbsp;es also zunachst ganz dahingestellt sein lassen müssen, ob wirnbsp;es mit einem ursprünglichen vas oder vos zu tun haben. Imnbsp;Altindischen sind sogar alle drei Vokale e o d in den letzten zu-sammengefallen, sodaB wir von dort aus, wo uns der gröBte

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Vokalische Differenzierung der Wurzel.

Teil der Wörter ausschlieBlich mit a entgegentritt, für die Er-kenntnis der Vokalverlialtnisse wenig gewinnen können.

Doch nicht diese entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungen im einzelnen sind nnser Zweck, uns kommt es vielmehr daraufnbsp;an, ans den vorhandnen Tatsachen die Prinzipien zii gewinnen,nbsp;die in der Sprache überhaupt mafigebend sind, und mit ihrernbsp;Hilfe unsre Erkenntnis über die historische Zeit hinaus zu er-weitern. Jede Wurzel also, so haben uns die Tatsachen gelehrt,nbsp;kann beliebig mit einem der drei Vokale ë ö a erscheinen. DaBnbsp;dies auch für ihre Langen ë d a seine Gültigkeit haben muB,nbsp;leuchtet uns ohne weiteres ein, und wenige Beispiele werden ge-nügen, die Eichtigkeit des Gedankens an den Tatsachen zunbsp;zeigen. Dem lat. vin-eo {verJcauft werden) steht gegenüber dasnbsp;griech. fviv-éofj.ai Qcaufen), und im Lateinischen finden wirnbsp;nebeneinander hal-o Qiauchen) und an-Yiël-o (keuchen, schnatiben)nbsp;so wie rad-o (hratmi, schaben) und röd-o (nagen) und gnó-sconbsp;(kennen lemen) neben gna-rws (kundig). Da im lonisch-Atti'nbsp;schen, dem literarisch wichtigsten Dialekte des Griechischen, 3nbsp;zu rj geworden und damit — wenigstens in der Schrift — mitnbsp;ë zusammengefallen ist, so begegnet uns hier nur der x\blautnbsp;g ; co, z. B. tpriy-to (zerreïben) neben xpcb'y-io (zerreihen), ó.Q'iqy-ionbsp;ihelfen) neben aQOiy-g (Hilfe), cpr^-gi (sagen): lt;po)-vrj (Stimme)nbsp;usw., und kommt es uns darauf an, das gegenseitige Ver-haltnis der Formen hier festzustellen, ob wir es mit dem Ablautnbsp;ë : ö oder 3 ; ö zu tun haben, so muB uns der dorische Dialektnbsp;Aufklarung geben, der jenen Übergang nicht mitgemacht hat. Fürnbsp;uns allerdings könnte es im Grunde gleichgültig sein, ob diesesnbsp;oder jenes Ablautsverhaltnis vorliegt, die Hauptsache ist uns dienbsp;Erkenntnis, daB die Wurzel sowohl in dieser wie in jener Formnbsp;erscheinen kann, daB also z. B. dieselbe Wurzel im Lateinischennbsp;als söl (Sonné) und im Griechischen als orjA-tog gt; fl-iognbsp;(Sonne) erscheint, wobei es für uns nur die historische Wahr-heit erfordert zu wissen, daB wir es nach Ausweis des dorischennbsp;Dialektes mit einem a).-Log zu tun haben. Im Germanischennbsp;ist anderseits « zu ö geworden (vgl. lat. fnter gt; got. broparnbsp;'Bruder', lat. f^gus gt; got. bóA;-a 'Buchequot; u. a.), sodaB uns hier ausnbsp;diesem Grunde nur der Ablaut ë : ö begegnen kann, der durch

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Kapitel II.

Beispiele wie got. lêt-a?^ (lassen): lai-lot {ich lieji), got. têk-aw (berühren): tai-tók usw. sinnfallig genug vertreten wird. Audinbsp;in den formal en Sprachbestandteilen treffen wir dieselben Vokal-verbaltnisse wieder an, z. B. in dem Nebeneinander von griecb.nbsp;-TriQio- und lat. -torio- (neutrales Suffix), und wie uns dasselbenbsp;Suffix als -men und -mon nebeneinander begegnet, so aucb alsnbsp;-mén und -mön.

In jeder Wurzel können also die Vokale e o a in ihrer Kürze sowohl wie in ihrer Lange beliebig miteinander wechseln,nbsp;und so haben wir denn aucb tatsachlich im Griechischen die-selbe Wurzel vor uns als aXéjt-'vco (stehlen), xkaji-o] {Diehstahl),nbsp;è-xXdjt-rjv {ich wurde gestohlen), aXd)Jc-s {Dieh) und xXvijt-aoguL {stehlen) — neben ^oó-x?.Bjt-g {Hinderdiei), rvQÓ-xXsjt-gnbsp;(Kdsedieh) — usw. So bat audi, um kurze und lange Vokale nebeneinander zu zeigen, das griecb. vég,-a) (austeilen) seinnbsp;voig.-dcü, TQÉx-co (laufen) sein rQlt;xgt;y-dw^ stÉr-ofiai {/liegen) seinnbsp;sioix-dogcii, zur Seite, und in rpsjt-w {wenden), x^ost-g, ë-xqan-ov, xQO)jt-dco sebn wir wieder fast alle Möglichkeiten nebeneinander verwirklicbt. Der Fornienreichtum, den wir hier inner-halb derselben Einzelspracbe sebn, kann sich aber aucb wiedernbsp;auf verschiedne Spracben verteilen, und so tritt uns dasselbenbsp;Wort im Altindiscben als pad-as {Fufl), im Griechischen alsnbsp;jtóö-g, im Lateinischen als pad-s und im Gotischen als fót-usnbsp;entgegen. Die Wurzel sel ‘glanzen ferner, die wir schon imnbsp;griecb. i^X-iog {Sonne) und im lat. sol {Sonne) kennen gelerntnbsp;haben, finden wir im griecb. GéX-ag {Licht) und in GeX-gvrjnbsp;{Mond) mit kurzem Vokal wieder, und wie wir im Griechischennbsp;einund dasselbe Wort unterschiedslos als Xén-og, ),óji-og und Xamp;st-og {Feil, Einde) antreffen, so ist es aucb offenbar ein und dieselbenbsp;Wurzel, die uns als lat. geji-u{Knie), als griecb. yóv-v {Knie) undnbsp;als griecb. yamp;v-og (Winkel, Krümmung) entgegentritt. Wie wir dienbsp;drei Vokale zunacbst als Kürzen, dann als Langen in allen Ver-bindungen unter sich kennen gelernt haben, so müssen sie unsnbsp;nun eben aucb in allen Verbindungen zwischen kurzen undnbsp;langen Formen begegnen, also in allen quantitativen und quali-tativ-quantitativen Ablautsverhaltnissen erscheinen können. Danbsp;die angeführten Beispiele dies schon deutlich genug gezeigt

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Vokalische Differenzierung der Wurzel.

baben werden, so wollen wir aus der Menge der Erscheinungen nur nocb das Wicbtigste herausbeben. Ganz klar zutage liegennbsp;die Verhaltnisse wie im Lateiniscben ed-o (essen) : ëd-i (ichnbsp;habe gegessen), ebenso lëg-o (lesen) : leg-i, sëd-eo (sitzen) : sëd-i,nbsp;vën-io (kommen) : ven-i, wie griech. jiax-QÓ-g und gax-eövógnbsp;(lang) : ftijx-og = dor. gax-og (Lange), wie griech. öi-óó-vai,nbsp;(geben) : öügt;-qov (Geschenk) und lat. db-Gs (Mitgift), wozii mannbsp;noch so bezeichnende Falie wie das griech. óó-iaö-g (Geruch)nbsp;oder èö-uyó-Tj (Speise) stelle. Wie wir ferner im Lateiniscbennbsp;Tamp;-tus und rë-ri (denken, meinen), aS.-tus und aê-vi (scien) neben-einander fiuden, so erscheint auch neben dem lat. ta“g-o (6e-rühren) wie dem griech. ts-ray-óv (berührt habend) und demnbsp;anord. tak-a (berühren) das got. têk-«n (berühren), und diesesnbsp;Ablautsverhaltnis wird man danach auch in den bekanntennbsp;B'allen des Lateiniscben wiedererkennen, wo wir cap-io (ergreifen)nbsp;und cëp-i (ich habe ergrïffen), fac-io (machen) und fec-i, ag-onbsp;(handeln) und ëg-i, fra^g-o (brechen) und frëg-i, jac-io (werfen)nbsp;und jèc-i nebeneinander finden. Besonders haufig treffen wirnbsp;die Vokale d und ö im Wechsel miteinander an: lat. csp-ionbsp;(greifen) imd camp;p-ulus (Griff): griech. xibzt-g (Griff)', griech.

(leben): gw-or (lebendes Wesen) und nbsp;nbsp;nbsp;(Leben), lat,

amp;o-u-pedius (schnellfüfiig): griech. dgt;x-vg (schnell) und lat. öc-ior (schneller), und dieselbe Wurzel finden wir in beiden Formennbsp;unmittelbar nebeneinander im griech. aw-ay-ioy-g (Versamm-lung), in xar-ay-my-iov (Herberge), in uaid- und ërjg-ay-oiy-ógnbsp;und ebenso in dx-Mx-p (Spitze). Noch haufiger begegnen unsnbsp;diese beiden Vokale im Germanischen nebeneinander, wobei wirnbsp;allerdings in historischer Weise berücksichtigen mussen, dab hiernbsp;infolge der sekundaren Veranderungen (idg. ö gt; germ, d undnbsp;idg. a gt; germ, o) die drei Ablautsverhaltnisse a :ö, b :ö undnbsp;ö : « in das erste zusammengefallen sind. Wahrend der reinnbsp;historischen Betrachtung hieraus die Aufgabe erwachst, zu untei%nbsp;suchen, welches der drei Ablautsverhaltnisse im Einzelfalle vor-liegt, interessiert uns schlieBlich nur die Tatsacbe der vokalischennbsp;Differenzierung an sich, wenn wir im Gotischen dieselbe Wurzelnbsp;erscheinen sehn als iax-an (gehn, fahr-en) und for (ich ging, fuhr),nbsp;als vahs-jaw (wachs-en) und v6hs, als grab-a (Grahen) und grób-a

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Kapitel II.

(Grube), als dag-s {Tag) und fidur-amp;ög-s (viertagig), und für das Wesen der Saclie macht es keinen ünterschied aus, wenn wirnbsp;denselben Ablaut im Mittelhochdeutschen als a : uo oder mitnbsp;Umlaut als d : üe und dann weiter im Neubochdeutschen alsnbsp;a : u{ü) wiederfinden: mhd. trag-e^^ : truoc = nbd. trag-em ; trüg.nbsp;mhd. han {Halm) : huon {Huhn), mhd. kal-t: küel-e, mhd. mat:nbsp;müed-e usw. Ihrem Wesen nach können wir diese Tatsachennbsp;der Sprache im Neuhochdeutschen so gut wie im Gotischen er-fassen, aber ebenso gut wissen wir auch, daB es zur richtigennbsp;Beurteilung der wirklich vorliegenden Tatsachen immer der ge-nauesten Kenntnis ihrer historischen Entwicklung bedarf, undnbsp;nur durch die Vereinigung von historischer und philosophischernbsp;Betrachtung, von denen die letzte uns in der einzelnen historischennbsp;Tatsache immer das Ganze zu sehn heiBt, sind wir zu unsermnbsp;Ergebnis gelangt, daB namlich in jeder Wurzel die Vokale ë ö d,nbsp;ë o a ganz beliebig miteinander wechseln können.

Was sollte nun aber, wm wir uns von dieser Freiheit in den Erscheinungsformen der Wurzel haben überzeugen müssen, fürnbsp;ein Grund verhanden sein, daB die Vokale i und u von diesemnbsp;Wechsel ausgeschlossen waren, zumal da sie ja den Vokalen enbsp;und o ohnehin so nahe verwandt sind? Das bisherige Ergebnisnbsp;will uns, in seiner grundsatzlichen Bedeutung genommen, mitnbsp;Notwendigkeit zu dieser Erweiterung drangen, und — wiedernbsp;finden wir die Zustimmung der Tatsachen. Neben sal-ic-snbsp;(Weide) sehn wir im Lateinischen ein sil-er (Bachweide),nbsp;dem griech. dwa-T-u/og (Finger) gegenüber das lat. Aig-itusnbsp;(Finger) und dem got. waiL-an (wach-en) gegenüber das lat.nbsp;vig-il (wachend, tvach) stehn; dem lat. (v)rad-ic-s (Wurzel) undnbsp;dem got. vaürt-s (Wurz-el) gegenüber ha,t das Griechische seinnbsp;Qi^-a (aol. (iQLffött), und das deutsche werf-en (got. vairp-an)nbsp;finden wir dort als (J^Qiüt-'vio (werfen) wieder. Wie im Lateinischen ferner (cow-, pro-) flig-o (schlagen) und üag-eUum (OeiHel)nbsp;und hïr-a (Leerdarm) mit Yiix-u-spex (Eingeweideschauer) neben-einander stehn, so im Griechischennbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(drüchen, quetschen)

und das gleichbedeutende iI-Ada», und dasselbe Wort, das wir im Lateinischen als moll-is antreffen, tritt uns im Germanischen alsnbsp;mild entgegen. Die unzahligen Falie, wo ein aus ursprünglichem

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Vokalische Differenzierung der Wurzel.

e nachtraglich entstandnes i den andern Vokalen gegenüber-steht, wie z. B, im lat. e-mln-eo (hervorragen): aion-^-s {Berg), dürfen wir mit den aufgeführten Beispielen natürlich nicht un-mittelbar zusammenstellen. Besonders haufig treffen wir dennbsp;VYecbsel von i und a ira Germanischen an, wo mlid. wis-enbsp;(B'iese) und was-e (Basen), nhd. Gitt-er und Gatt-er, Flitt-ernbsp;und flatt-ern, Zink-en und Zack-en, auch Kist-e und Kast-en usw.nbsp;nebeneinander stebn, und das Gefühl für den Ablaut kann nie-mals starker empfunden werden, als wenn wir der redupliziertennbsp;Bildungen gedenken wie Zick-zack, Tick-tack, Scbnick-schnack,nbsp;Misch-masch, Wirr-warr usw., zu denen wir die andern wienbsp;Sing-sang, Kling-klang, Himp-hamp, Tingel-tangel hinzuhaltennbsp;können. Gerade diese Bildungen können für uns sehr lebrreichnbsp;sein, und an dem bim-bam-bnm der Kinderspracbe brauchen wirnbsp;nicht gedankenlos vorüberzugehn. Die letzte Form hat unsnbsp;schon zu dem Vokal itgt; hinubergeleitet, und wie 'l, so sehn wirnbsp;nun auch ü mit allen übrigen Vokalen wechseln. Beispiele wienbsp;lat. nüb-es [WoTke): ne\i-ula {Neb-el, OewöW) und griech. vé(p-og {WolJce, Nebel), wie lat. hüm-awMs (menschlich): hëm-o bezw.nbsp;höm-o (Mensch) mussen uns unmittelbar darauf hinweisen, undnbsp;so sebn wir dann auch das griech. GtvX-og {Saule) und oriqX-rjnbsp;(Saule), jtï]ö-dio (springen, hüpfen) und jtvé-agluo Qiüpfen,nbsp;tanzen), fintf-ctw (nafi, feucht sein) mit ixvö-aóvio (henetzen) undnbsp;[,iad-cccü (zerflieflen) mit lat. mad-eo {nap, feucht sein), griech.nbsp;7]x-Qo-v (Unterleib, Bauch) und lat. ut-em.s {Bauch, Mutterleib),nbsp;griech. %ag.-al (auf der Erde) und lat. hnm-ïzs (Erde) nebeneinander stehn, und eindringlich genug kann auf uns wirkennbsp;das Nebeneinander von lat. noc-t-s {Nacht) und griech. vóx-r-snbsp;(Nacht) wie von lat. cal-ic-s {Becher) und griech. xüX-iy.-s {Becher),nbsp;von lat. fÖl-mm (Blatt) und griech. (ptl-lov (Blatt), von lat.nbsp;mbl-a (Mühl-e) und griech. (xijX-T] (Mühle), von lat. püm-ec-snbsp;(Bimsstein) und mhd. him-z, von got. fón {Feuer) und fun-iusnbsp;(des Feuers). Auf die Beweiskraft vieler, besonders lateinischernbsp;Beispiele mussen wir leider verzichten, da wir mit der Mög-lichkeit eines sekundaren, aus o entwickelten tt-Lautes zunbsp;rechnen haben, wie z. B. im lat. nm-erws (Schulter) gegenübernbsp;dem griech. ófi-off (Schulter), im lat. pull-Ms (schwarz, dunhel)

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Kapitel II.

gegenüber dem griech. jte?.k-óg (schwarz, dunhel), im lat. fulv-ws (blond) neben flav-Ms (blond), im lat. fulg-eo (glanzen) und Mg-ur (Blitz) neben flag-r-o (bronnen) u. v. a. Wieder finden wirnbsp;aucli hier in den Suffixen die Tatsache des Ablauts bestatigt,nbsp;vvenn wir z. B. das lat. smec-tüt-s (Greisenalter) gegen liber-tats (Freiheit) halten.

Dah endlich auch die Diphthonge an diesem allgemeinen Wechsel der Vokale teilnehmen, wird nach dem Bisherigen überhaupt keinem Zweifel mehr unterliegen können, und so deut-liche Beispiele wie das nhd. 'ich weifs : wir wiss-ew (got. vait:nbsp;vit-um, griech. fuTö-a : Fió-gsv) geben uns sofort die tatsach-liche Bestatigung, die vollends erreicht wird, wenn wir sehn,nbsp;wie z. B. dem lat. ckc-umen (Gipfel, Spitze) und dem ai. kak-lul- (Gipfel) dieselbe Wurzel im Litauischen als kauk-ard (Hügel)nbsp;und ebenso im Gotischen als hauh-s = nhd. hoch gegenüber-steht — dazu auch der Gebirgsname Kav^-aoogl —, wie fernernbsp;dem griech. xajt-rj?iog (Kleinhdndler, Kramer) das lat. caup-onbsp;(Kramer), dem lat. claud-ws (lahm, hinJcend) das got. halt-snbsp;ilahm) entspricht, und wie im Griechischen x^dy-ico gt; y.QaCtonbsp;(schreien) mitapdy-di' (schreiend),y.qiy-ri (Knarren, Geschrill) undnbsp;xQavy-rj (Geschrei) nebeneinander stehn, oder wenn wir sehn, wienbsp;z.B. dasselbeWortimGotischen als dail-s (Teil), im Altkirchenslawi-schen als dêl-it und im Litauischen als dal-zs erscheint. Tritt uns sonbsp;mit den Diphthongen die Wurzel in ihrer vollsten vokalischen Er-scheinung entgegen, so fehlt es auch nicht an dem geraden Gegen-satze hierzu, der als letzter Gegenstand unsrer Erörterung übrignbsp;bleibt. Die Wurzel kann namlich auch in ihrem vokalischennbsp;Bestandteile so reduziert erscheinen, dah man kaum noch dennbsp;Eindruck eines bestimmten Vokals hat, und die Eeduktion alsonbsp;einem völligen Vokalschwund gleichkommt. Man kann sich vonnbsp;vornherein sagen, daB sie in dieser Gestalt jedenfalls nur sehrnbsp;wenig gebraucht worden ist, und so finden wir sie auch nurnbsp;unter ganz bestimmten Bedingungen im Gebrauche festgehalten,nbsp;vor allem nach einer sog. Eeduplikationssilbe; so haben wirnbsp;z. B. griech. yi-yv-ogai (entstehn, werden), lat. gi-gn-o (er-zeugen) : ysr-éad-ai, gen-ui, yov-svg usw. und jcl-uit-co (fallen) : jter-eïv (stsa-etv), wé-jtrvi-xa, ztxögt;-gcc (Fall), und ebenso

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Vokalische Differenzierung der Wurzel.

erscheint diese schwachste Form der Wurzel in den reduplizier-ten Aoristen wie ë-7te-lt;fv-ov {ich tötete): lt;póv-og {Mord), è-y.é-xii-ezo (er rief): xa2.-éio irufen), und auch in ë-ayi-ov {ich hatte): (ö)6x-w (haben), ê-ósi-ófiiqv {ich folgté): {oyé^t-ogai {folgen)nbsp;u. m. a. Ferner treffen wir diese Erscheinungsform an, wenn dasnbsp;derWurzel angefügte sekundare Element einen vollen vokalischennbsp;Anlaut bat, wie es z.B. der Fall ist im lat, cl-am {heimlich] vgl,nbsp;pdl-dm — öffmÜich, unverhohlen): lat oll-o (verheimlichen) undnbsp;oc-cüJ-o {verbergen)^ griech. xaX-’ijttm {verhullen), mhd. hel-» =nbsp;nhd. uer-hehl-e» usw. Wir sehn also, daB diese schwachste Formnbsp;der Wurzel nur dann im Gebrauch erscheint, wenn ihr Mangelnbsp;an Vokalgehalt irgendwie ausgeglichen wird.

Unsre Erörterungen der vokalischen Erscheinungsformen der Wurzeln, wie sie sich uns in den historisch vorliegenden Tat-sachen zeigen, können hiermit ihr Ende finden, zumal da dienbsp;folgenden Kapitel noch Beispiele genug bringen werden, wienbsp;überhaupt jedes folgende Kapitel das Material für die in dennbsp;vorhergehenden besprochenen Erscheinungen immer vergröBert.nbsp;Welche grundsatzliche Lehre, welchen Gewinn für die Erkennt-nis der Wurzel überhaupt können wir nun aus den angeführtennbsp;Tatsachen ziehn? Es braucht fast kaum noch gesagt zu werden.nbsp;Denn mag auch der Einzeltatsache gegenüber vom historischennbsp;Standpunkt aus eine Verschiedenheit der Auffassung möglichnbsp;sein, das muB jedem klar geworden sein, daB in der vokalischennbsp;Erscheinung derWurzel eineauBerordentlicheFreiheit undMannig-faltigkeit herrscht. Das muB sogar dem Laien sofort ins Augenbsp;springen, wenn man ihn nur darauf hinweist, wie dieselbe Wurzelnbsp;im Neuhochdeutsclien z. B. als brech-ew, pe-broch-e», (erj brach,nbsp;(er) brich-f, Bruch erscheint, also mit samtlichen fünf Vokalen,nbsp;wobei es nicht allzuviel ausmacht, wenn er dabei den historischennbsp;Fehler machen muB, die Formen ge-broch-en, brich-t, in denennbsp;die Vokale sekundar aus u und e entstanden sind, mit den andernnbsp;auf eine Stufe zu stellen, ümgekehrt müssen wir ihn im historischen Sinne ja auch noch darüber belehren, daB im Pluralnbsp;des Prateritums ursprünglich der Vokal ê gestanden hat, dernbsp;durch die historische Entwicklung ganz mit a zusammengefallennbsp;ist (got, brhk — brêk-»?» gt; nhd. brach — brach-en). Das Wesen

Meyer, die Schöpfang der Spiache. nbsp;nbsp;nbsp;2

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Kapitel II.

der Sadie geht ihm aber gleichwohl in voller Deutliclikeit daran auf, indem er sieht, wie die Konsonanten der Wurzel sichnbsp;in allen Form en gleich bleiben, die Vokale dagegen dem Wechselnbsp;unterliegen, und je mehr man in den Stoff eindring!, üm so mehrnbsp;erkennt man, wie die Wurzeln in allen Abstufungen der Vokalenbsp;nach Qualitat und Quantitat hier so, dort so erscheinen. Fassen wirnbsp;die Sprache also als Ganzes ins Auge, so ergibt sich uns ausnbsp;der Beobachtung des vorhandnen Sprachstoffs für seine Ent-stehung mitNotwendigkeit die wichtige Erkenntnis: Die Wurzelnbsp;ist von Plans aus jeder vokalischen Differenzierungnbsp;fahig. Aus dieser ursprünglichen sclirankenlosen Freiheit dernbsp;Formen bat dann natürlich in der weitern Ausbildung der ein-zelnen Sprachgenossenscbaften eine Auswahl stattfinden müssen,nbsp;eine gewisse Bindung der Formen, die sich mit der historischennbsp;Entwicklung von selbst ergab und hier so, dort so erfolgennbsp;konnte. Am weitesten vorgeschritten finden wir diese historischenbsp;P’ormenbindung in den sogen. germanischen Ablautsreihen, wienbsp;z. B. got. nim-an (nehm-ew), nam, nêm-wm num-aws oder got.nbsp;steig-an (steig-en), staig, stig-wn, stig-ans usw., die einenbsp;geradezu gesetzmabige P^stigkeit erlangt haben. Erst dadurch,nbsp;dab der Gebrauch zwei vokalisch differenzierte Formen engernbsp;miteinander verbindet, entsteht der bestimmtere Begriff des Ablauts, indem so die eine P^orm ihrem Klange nach an der andernnbsp;gemessen wird. Von einem Ablaut zwischen dem got. fót-wsnbsp;{Fuji) und dem lat. ped-s {Fup) kann also eigentlich nicht ge-sprochen werden, da die beiden Formen verschiednen Einzel-sprachen angeliören und so nur von der Sprach wissenschaft verbonden werden können; wohl aber wird die Verbindung diesernbsp;beiden Vokale ë und ö als Ablautsverhaltnis empfunden im mhd.nbsp;schër-«: schuor — nhd. scher-e?ï: {8chaf-)scla.\a^ ebenso wie imnbsp;Griechischen jtóö-g {Fuji) und -vQi-jteö-og {drei Fuji lang) imnbsp;Verhaltnis des Ablauts zueinander stehn. Wir haben also sehrnbsp;zu berücksichtigen, dab die Auswahl und die mehr oder wenigernbsp;feste Verbindung der vokalischen Erscheinungsformen der Wurzel durchaus sekundarer, geschichtlicher Natur ist, ohne jedenbsp;innere Notwendigkeit und darum ohne bindende, ausnahmslosenbsp;Allgemeingültigkeit, sodab auch alle Versuche, die Gesamtheit

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Vokalische Differenzierung der Wurzel.

des indogerraanischen Vokalismus in diesen nacbtraglicli ge-wordenen Einschrankungen unterzubringeii, jederzeit febl-scblagen müssen. Indem wir nun die Schranken der Ein-zelsprachen durcbbrechen und aus dem Ganzen des Sprach-stoffs aufsteigend den Weg zu seiner Entstebung wiederanfzu-finden suchen, werden wir mit Notwendigkeit zu der Erkenntnis gefübrt, daB die Wurzel von vornherein jeder vokaliscben Ab-wandlung fabig gewesen sein muB, und das stiinmt auch mitnbsp;der ganzen Entwicklung der Sprache bis auf den beutigennbsp;Tag: wabrend die Konsonanten im allgemeinen verhaltnismaBignbsp;fester bleiben, zeigen die Vokale eine auBerordentlich reichenbsp;Bildsamkeit und geben in fortlaufender Entwicklung inein-ander über.

Greifen wir also irgend eine Wurzel, etwa die des griechi-scben yï-yv-ead-ai {entstehn, werden) als Beispiel beraus, so er-gibt sicb als ümfang ibrer vokaliscben Differenzierung folgender Formenreicbtum:

gun;

gen,

gon, gan, gm, gun; gen, gon, gan, gin, gein, goin, gain; geun, goun, gaun; gn.

Da wir für die Bezeicbnung der Wurzel irgend einen Vokal an-wenden müssen, so wablen wir die vokaliscbe Mittellage, d. b. den Vokal e dazu und sprechen von einer Wurzel gen^ olinenbsp;damit sagen zu wollen, daB diese Form irgendwie etwas vornbsp;den andern voraushat. Im Gegenteil — das muB nochmalsnbsp;betont werden —, alle diese Formen stebn völlig gleichwertignbsp;nebeneinander, sodaB jede in gleicher Weise der Trager des-selben Bedeutungsinbaltes sein kann. DaB aber die formellenbsp;Differenzierung sekundar auch in den Dienst einer innern tretennbsp;kann, das lehren uns scbon einige der bisber angefübrten Bei-spiele deutlicb, vor allem das mbd. ban: buon = nbd. Hahn:nbsp;Èiihn, WO wir die zur Verfügung stellenden Formen verwandtnbsp;finden zur Bezeicbnung des innern Gegensatzes von mannlicbemnbsp;und weiblichem Gescblecbt desselben Gescböpfes, wie dieselbenbsp;Abwandlung der Form in den Verbalformen quot;wir trag-en ; wirnbsp;txug-en zur Bezeicbnung eines Zeitunterscbiedes dient. Abnlicbnbsp;verbalt es sicb aucb mit dem mbd. kal-t: küel-e, mit dem mbd. mat:

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Kapitel III.

niüed-fgt;, mit dem mhd. tür : tor, mit dem griech. roly^-og (Wcmd): rely-og (Maner) u. v. a., und wir tun gut, diese Erscheinungnbsp;fest im Auge zu behalten.

Kapitel III.

Differenzierung der Wurzel durch die ver-schiedne Lagerung ihrer Bestandteile (Gesetz der Metathesis).

Nachdeiii die vokalischen Verhaltuisse der Wurzel für mich in der eben geschilderten Weise einigermafien ihre Aufklarungnbsp;gefunden batten, wurde damit fast die ganze Beobachtungskraftnbsp;frei zur üntersuchung ihrer konsonantischen Bestandteile, undnbsp;es enthüllte sich hier dem Blicke bald ein überaus wichtigernbsp;Konsonantenwechsel, der spater noch eine ungeahnte Erweiterungnbsp;erfahren sollte, und den ich darum des organiscben Zusammen-hanges wegen erst im nachsten Kapitel behandeln werde. Hiernbsp;soil uns die Beobachtung beschaftigen, die ich an dritter Stellenbsp;machte, und die nach ihrer aubern Wirkung zunachst etwas ganznbsp;Überraschendes an sich hat. Indem das forschende Auge immernbsp;langer und eindringender auf den von allem Sekundaren be-freiten Wurzelgebilden ruhte, trat ihm — erst ganz verstohlennbsp;und zaghaft, dann mit dem Eindruck gröBern und gröfiern Ver-trauens und zuletzt mit sieghafter GewiBheit die überraschendenbsp;Erscheinung der Wurzel metathesis als gesetzmaCige Tat-sache entgegen, die Bezeichnung Metathesis, d. h. Lautumsetzungnbsp;in ihrem vollsten Sinne gefabt. Ich kann hier nicht den sub-jektiven Weg wiedergeben, wie er sich in mir im einzelnen ge-bildet hat bis zum schlieblichen Endziele, und kann deshalb auchnbsp;nicht gerade die Beispiele an die Spitze stellen, an denen sichnbsp;für mich die Erkenntnis allmahlich vollzogen hat. Hier mubnbsp;ich den direkten objektiven Weg einschlagen, und da ist wohlnbsp;kein Beispiel mehr geeignet, an erster Stelle genannt zu werdennbsp;als das lat. tim-or (Furchf) : met-its (Furchf). Mit welchen Augennbsp;sehn uns nun auf einmal diese beiden alten Bekannten an, dienbsp;wir von Kindesbeinen an kennen und — doch nie gekannt

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Differenzierung der Wurzel durch die verschiedne Lagerung usw. 21

haben! Jetzt erst nahem wir uns der Erkenntnis ihres Wesens, indem wir sehn, dah der Begriff 'Furcht’ an die Wurzel temnbsp;wirklich gebunden ist, und dab diese Wurzel auch in der ihr völlignbsp;gleichwertig-en umgelagerten Form erscheinen kann — kurz, dabnbsp;tim-or und met-us ein und dasselbe Wort sind. Hinterher willnbsp;es einem zunachst geradezu ratselhaft erscheinen, wie eine sonbsp;often zutage liegende Beziehung so lange hat verschleiertnbsp;bleibeu können, und man fragt sich einem so spreekenden Bei-spiele gegenüber, ob nicht vielleicht einmal ein glücklicher Blieknbsp;das Verhaltnis hatte erschauen und dann von hier aus das 6e-setz der Metathesis hatte feststellen können. Wir dürfen diesenbsp;Möglichkeit wohl stark bezweifeln. Denn es hatte ihm dochnbsp;ewig eine Einzelerscheinung bleiben mussen, zu der er vielleichtnbsp;noch hier und da ein Seitenstück gefunden hatte, aber diese fastnbsp;neckisché Erscheinung als ein durch den ganzen Sprachstoffnbsp;hindurchgehendes Gesetz zu erkennen, dazu gehort eine Trieb-kraft, die aus der Tiefe kommt und darum mit zwingender Not-wendigkeit wirkt. Doch — ich bin schon vorausgeeilt, da ichnbsp;wohl nahezu allen die gesetzmabige Kraft dieser Erscheinungnbsp;erst noch zu erweisen habe. Nun, die Beispiele sind natürlichnbsp;auch hier unerschöpflich. Dem lat. nec-are (toten) entsprichtnbsp;das griech. ymv-uo (toten), und unser Standpunkt ist so sicher,nbsp;dab wir sofort auch das griech. ytsv-uo (toten) heranziehen und,nbsp;wenn wir es nicht schon sonst wübten, hier die sekundare Naturnbsp;des T folgern mübten, wie es sich ja in der Tat verhalt (vgl.nbsp;das griech. ntól-iq : jcóX-ig 'Stadt’). Zu dem griech. réii-vwnbsp;(schneiden) haben wir das lat. met-o (schneiden) und das un-verschobne got. ii-raa.it-an (ieschneiden), ja im Griechischennbsp;zeigt sich uns diese Wurzel vori beiden Seiten unmittelbar neben-einander in (iér-a)2ov (BergwerJc) : Xa-tofi-éco (Steine hreehen),nbsp;wie sich uns diese beiden wesensgleichen Wörter z. B. in dernbsp;Xenophontischen Schrift TIóqol (Staatseinhünfte) immer in ihrernbsp;organischen Verbindung zeigen. Zu dem lat. iol-iüm und demnbsp;griech. (piX-iov (Blatt, Laub) tritt nun auf einmal die germa-nische Erscheinung mhd. lonb unmittelbar binzu, und wenn wirnbsp;das griech. -d-vg-óg bezeichnen wollen, so dürfen wir nicht mehrnbsp;sagen 'es heibt Mut’, sondern 'es ist ganz genau unser mhd.

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Kapitel III.

muot’. Ebenso erkennen wir jetzt in ihrer vollkominnen Wesens-gleichheit das griecli. (piX-éco (lieben) und unsre mhd. lieb-en wie bnol-e» (= nhd. huhl-en), wie auch das griech. %)-a7.-uonbsp;{tvachsen, hlühen) ganz eins ist mit seiner gotischen Sekwesternbsp;liud-an (tvachsen), und das grieck. ^a^-vg (tief) mit ^v-d-ógnbsp;(Tiefe) lieiBt für uns nicht bloB mehr 'tief, sondern ist es, =nbsp;got. diup-s (tief), lit. dub-zts (tief). So bieten sick uns, nachdemnbsp;unser Bliek einmal für diese Erkenntnis frei geworden ist, bisliernbsp;ungeahnte Beziehungen in Fülle dar: griech. ¦Q-aX-a^og (jedernbsp;verhorgne Orf): griech. Xfiamp;sïv (verborgen sein), lat. lat-eamp;ranbsp;(Versteek)-, griech. xoïX-og (holil), mhd. hol: mhd. loch, wie wirnbsp;im Mhd. auch noch in ganz auBerer Übereinstimmung daz holnbsp;= daz loch haben; griech. Xéüt-og, Xójt-og und Xlt;bzt-og (Hülle,nbsp;Haut, Feil, Rinde m-w): griech. stéXX-a (Feil, Hemt), lat. pollis (Feil, Haut), got. fill (Fell, Haul)-, griech. Xén-ag (Fels, Berg)-.nbsp;ahd. fel-is (Fels) und mhd. fluo (Fels, Fluhe)] nhd. ge-nes-en:nbsp;ge-STan-d. Das mhd. wab-e (Honigwabe) tritt nun auf einmalnbsp;ans seiner Vereinzelung heraus und in die unmittelbarste Be-ziehung zu dem gleichbedeutenden lat. fav-ws; und wie oft habennbsp;wir das lat. caus-a mit'Sachequot; und das lat. ad mit ‘zu übersetzt,nbsp;ohne zu ahnen, daB wir damit genau dasselbe Wort gebrauchen:nbsp;lat. caus-a (Ursaché, Rechtssache, Angelegenheit)-. mhd. sach-enbsp;(Ding, Angelegenheit, ürsache, Rechtssache) — vokalisch stehnnbsp;die beiden Wörter zueinander wie das griech. y(d7t-7]?.og zum lat.nbsp;caup-ó u. a. (vgl. S. 16) —, lat. ad (zu, bis usw.) : as. tö, te = ahd.nbsp;zuo, ze, wie wir auch im Slawischen und Keltischen das Wortnbsp;als do (zu, bis) antreffen und im Englischen sogar beide Form ennbsp;als at und to nebeneinander haben. Als Bezeichnung für ‘dienbsp;Hand, besonders die flache Hand’ finden wir im Griechischennbsp;jtaX-agg, im Lateinischen pal-ma, im Althochdeutschen tol-manbsp;= as. fol-mos (die Heinde) und im Gotischen — lóf-a: die Metathesis springt in die Augen. Ja es mutet uns eigen an, wennnbsp;wir jetzt z. B. im Mhd. dasselbe Wort als büh-e^ (Bühl, Hügel)nbsp;und hüb-e? und ein andres als fleber und biever (Fieber) odernbsp;im Gotischen unser nhd. ‘taub’ als daüb-s und baud-s unmittelbarnbsp;nebeneinander vor uns sehn, und der Niederdeutsche wird der-artige Empfindungen noch ganz besonders haben, wenn ihm jetzt

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Differenzierung der Wurzel durch die verschiedne Lagerung usw. 23

seiiialtvertrautespot, wie es aucli der Franzose von ilim überkommen bat, gegenüber dem hochdeutschen topf in das Licht dieses Gesetzesnbsp;tritt; auch sein biw-em {sich schnell hin und her beivegen) = mhd.nbsp;web-en (sich hin und her bewegen) kann er jetzt in gleicher Weisenbsp;betrachten, ebenso derHolIander sein hamp;k-eljauw=bask. ha,ec-aUavanbsp;gegenüber dem uns gelaufigenkab-(ej?iaM, und hier erinnern wir iinsnbsp;auch daran, dafi dem ndl. poot dasselbe Wort ini Mhd. als tap-enbsp;{Ffote) gegenübersteht. Nicht minder würden wir wohl einennbsp;alten Eömer in Erstaunen gesetzt haben, wenn wir ihm battennbsp;zeigen können, wie sein stud-mm {Eifer^ Fleip) und sein in-dust-r-ia {Eifer, Fleip) ein und dasselbe Wort sind; dab in demnbsp;letzten das in- Verstarkungsprafix und das r sekundarer Naturnbsp;ist, batten wir ihm vielleicht kaum noch besonders zu sagennbsp;brauchen. Und daB sich so der rein wissenschaftliche und dernbsp;GewerbfleiB, das Studium und die Industrie in ihrem Wesennbsp;auch hier von selbst zusammenfinden, mag uns von schonernbsp;symbolischer Bedeutung sein. Ahnlich können wir empfindennbsp;gegenüber dem Verhaltnis lat. vesp-er {Abend)-, ai. svap-wasnbsp;{Schlaf) = griech. üijt-vog, lat.sop-or nebst somnus, aisl. svef-n usw.:nbsp;Abend und Schlaf, in ihrem Wesen ganz dasselbe! Das s sehnnbsp;wir hier auf der einen Seite in Verbindung mit dem p, auf dernbsp;andern mit dem v, etwas Ahnliches beobachten wir in demnbsp;Nebeneinander von lat, spec-io [sehauen), mhd. speh-en {schauen,nbsp;spdh-en) griech. ö'afst-T-o.uat {umherschauen),öxo3t-éw (spdh-en).nbsp;Auch dieses letzte Verhaltnis, das wir unbewuBt doch wohl immernbsp;empfunden haben, tritt nnn als Glied einer allumfassenden Sprach-erscheinung in unser BewuBtsein, wie wir nun auch den offen-baren Zusammenhang zwischen dem lat. cal-c-s {Ferse, Fuji) undnbsp;dem griech. Xax-g {mit dem FuPe\ vgl. xai mit Handnbsp;und Fup') nicht niehr auf dem Wege der Konstruktion zu ver-initteln brauchen, sondern direkt erkennen. Geradezu auf dernbsp;Hand liegt die Sache bei den beiden völlig gleichbedeutendennbsp;griechischen Wörtern in-óio (drücJcen): Jti-éCco {drüchen). Wirnbsp;sollten fast meinen, der Grieche müBte hier die Gleichheit em-pfiinden haben, aber — haben wir vielleicht etwas davon empfunden, wenn wir das lat. rên-es mit Nier-ew (ahd. nier-o) über-setzten, oder wenn wir in unsrer eignen Sprache Kahn (md.

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Kapitel III.

kan-e) und Nach.-en (as. nak-o) nebeneinander gebrauchten? 1st es uns zum BewuBtsein gekommen, daB Zieg-e (ahd. zig-a) uiidnbsp;Geifi (ahd. geiz) wie im Wesen so auch ira Ausdruck eins sind?nbsp;Weit eher könnte das auffallige Nebeneinander von Zick-e undnbsp;Kitz-e = ahd. ziech-ï : chizz-ï seine Wirkung getan haben, Voll-ziehen wir das Gesetz nicht unraittelbar wieder, wenn wir fürnbsp;den drauBen im Felde aufgeschichteten Haufen Stroh nebeneinander die Ausdrücke Stroh-diem-e und 8troh-viiet-e gebrauchen?nbsp;Die engere Zusammengehörigkeit unsrer beiden edelsten Wald-tiere, des Hirsches und des Eehes, empfindet jedes Kind; daBnbsp;aber ihre Wesensverwandtschaft auch in ihren Namen ihrennbsp;Ausdruck findet, wii’d schwerlich jemand bisher empfundennbsp;haben: lat. cer-vus (Hirsch), ahd.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;; mhd. rêch. Überall

findet sich so das Wesensgleiche, wie es ja nicht anders sein kann, auch in der Sprache wieder organisch zusammen; tagrnbsp;heiBt — in Übereinstimmung mit dem griech. öaxQ-v und mitnbsp;dem alat. Aa,cv-uma gt; lacr-ima — im Gotischen ''die Trane’ undnbsp;grêt-a« ‘ weinen'sie sind im Wesen und, wie wir jetzt sehn,nbsp;auch in der Form gleich, sodaB sich nun die beiden gotischennbsp;Verben tagr-jan {weinen) und grêt-an {weinen) für unsre Auf-fassung zu einem einzigen verbinden. Und die Metathesis kannnbsp;oft die Bedingungen für die weitere Entwicklung der Wörter sonbsp;verschieden gestalten, daB der ursprüngliche Zusammenhangnbsp;völlig verwischt ist: so sind nhd. Zahre und Trane ein undnbsp;dasselbe Wort, indem sich jenes aus got. tagr über ahd. zdharnbsp;und mild. zaher^ dieses aus ahd. trah-an^ mhd. trah-er entwickeltnbsp;hat, die erste Form also auf den Wurzeltypus dakr und die zweitenbsp;auf drak zurückgeht. Wie selbstverstandlich finden sich ferner zusammen das griech. [lé^-ag {sehwarz, dunhel) mit dem griech.nbsp;Xiii-§-QÓg {dunhel, filister), das mhd. stif (steifi fesf) mit demnbsp;mhd. vest-e (fest), wie wir ja diese beiden Wörter in Verbindungennbsp;wie ‘steif und fest behaupten u. a. dicht nebeneinander ge-brauchen, und von ihren zwei Seiten zeigt sich je ein und die-selbe Wurzel im griech. adg,-og (Anhöhe) und jiaa-róg {Hügel),nbsp;im griech. lt;y/.oA-(.dg (krumm, schief) und Xo^-óg {krumm, schief,nbsp;schrag), im lat. ctisprid-s {Spitze) und i'gvi-ulum {Spitze), im mhd.nbsp;mask-e {Mashe, Larve) und mhd. schem-e lt; ahd. skem-a {Mashe,

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Differonziemng der Wurzel durch die verscliiedne Lagerung usw. 25

Larve), im griech. ütéXX-a (Stein) wie im alb. pil-e (Steinchen, Fluphiesel) und im lat. lap-id^-s {Stein), im lat. mord-eo (beipen)nbsp;und im griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(helpend, scharf), und endlich im griech.

KtX-iY.-s {Becher, Schale), lat. cal-ie-s (Kelch, Becher-, Schüssel, Topf), lat. cvl-ullus {Becher, PoJcal), griech, ask-éP'i] {TrinTc-hecher, Wassereimer, Opferschale) einerseits und anderseits imnbsp;griech. Agjt-óg, -uvrj {Schüssel, Bechen), im griech. X't]'n-v-amp;os {01-flasche), im lit. lak-as {Krug) u. a. Nebeneinander stehn imnbsp;Griechischen ttut-rco {schlagen) mit ti):rt-og {Schlag) und ütax-aaaio (schlagen), Xer/^-gv (Flechte) und /ijA-etico {stricken, flechten),nbsp;dy-QÓ-g (Acker, Land, Feld) und ya-ia mit yfj {Erde, Land,nbsp;Acker, Feld) und yv-a (gej)flügtes Land, Acker), adt-avog (Tiegel)nbsp;und — mit sekundarer Erweichung des r zii yngy-avornbsp;(Tiegel); im Lateinischen ferner begegnen uns als verschiedennbsp;gelagerte Formen ein und derselben Wurzel post-is {Pfost-en,nbsp;Pfeiler) und stip-et-s (Pfahl, Baumstamm), sac-er (heilig) undnbsp;cas-tws (rein, keusch, heilig), wic-us (Gemeinde, Dorf, Flecken;nbsp;Stadtviertel) und civ-is {Bürger, Mifbürger) —, dazu halte mannbsp;auch das ai. vë9-cis (Nachbar, Hintersap) —, con-aamp;^-us {hohl, ge-w'ólbt, gerundet) und con-vec-sus {gewölbt, gerundet). Dem griech.nbsp;jtaï-cü (essen) ferner entspricht das lat. e^^-ulae (Alahl, Speisen),nbsp;dem griech. aró-ga {Mund; Mündung, Offnung) das lat. ost-ium (Mündung', Eingang, Tür), dem griech. g.'óy-Lco gt; gvCwnbsp;(st'óhnen, seufgen) mit [ivy-gó-g {das Stöhnen, Seufzen) das lat.nbsp;gém-o (stöhnen, seufgen), und wenn wir nun das griech. póxQ-vgnbsp;(Traube) aussprechen, so müssen wir unmittelbar auch unsernbsp;mhd. trüb-e = nhd. Traub-e (mit unverschobnem b!) darausnbsp;hervorklingen horen, wie uns das griech. Xéy-oj (sagen, sprechen]nbsp;in unserm mhd. kall-en (sprechen, schwdtzen) und das griech.nbsp;HéX-og (Olied) in dem ags. lim (Glied) wiederklingt, und es istnbsp;uns, als vollzöge sich der sprachschöpferische Vorgang der Um-lagerung von neuem in vollkommenster Deutlichkeit vor uns,nbsp;wenn wir auf das lat. form-a (Gestalt, Form) das griech. (xoQcp-gnbsp;(Gestalt, Form) als Echo antworten horen. Die Wurzel des lat.nbsp;dic-o (sagen, nennen) ferner finden wir nicht nur im got. ga-teih-a^i (verkündigen) wieder, sondern auch im got. hait-^^^^nbsp;(heipen, nennen, rufen), sodaB wir noch heute in den neuhoch-

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Kapitel III.

deutschen Verben ver-zeVa.-en (mhd. ver-zlh-en = versagen, ent-sagen, ver-zich-ten) und heifi-en (mlid. heiz-m) die Metathesis dicht nebeneinander haben, und dasselbe Wort, das uns im 6o-tischen als fèt-jan {schmüclcen) begegnet, treffen wir im Mhd.nbsp;wieder als zaf-en {schmüchen), neben dem in derselben Bedeutungnbsp;auch ein vazz-e?^ steht, wie dem got. iw-grud-ia {triige) das ahd.nbsp;trag-i = mhd. trseg-e gegeniibersteht. So erhalt auch das sonbsp;ganz vereinsamte lat. cib-Ms (Speise) nun Gesellschaft an demnbsp;griech. (ien-óg {Brot), und zu dem griech. xoqó-ijlr) (Keule) ge-sellt sich von einem ganz andern Sprachgebiet her das aksl.nbsp;üiik-oli(Knittel, Keule), das selbst ein aksl. zrid-i (Knittel, Keule)nbsp;zur Seite hat.

Was man bisher in der Sprachwissenschaft unter Metathesis oder Lautversetzung verstand, war die ganz vor unsern Augennbsp;an der Oberflache liegende, hier und da unter gewissen Bedin-gungen auftretende, rein auBerliche Umstellung zweier Laute, undnbsp;zwar wurde sie, was das Ausschlaggebende ist, nur als sekun-darer Vorgang beobachtet und beurteilt, durch den sich die einenbsp;Form zn einer andern umbildet. Von jetzt an ist der Begriffnbsp;aber, wie wir gesehn haben, in prinzipiell vertiefter und unge-heuer erweiterter Bedeutung oder, wie wir sofort weiter sehunbsp;werden, in seiner gesetzmaBigen Allgemeingültigkeit zu fasseu,nbsp;d. h. auf das TJrgebilde der Sprache, die Wurzel, angewandtnbsp;sagt das Gesetz der Metathesis: Die Wurzel kann in jedernbsp;möglichen Lagerung ihrer Bestandteile erscheinen.nbsp;Die Wurzel gen also, die wir als Beispiel gewahlt und im vorigennbsp;Kapitel nach dem Umfange ihrer vokalischen Erscheinungsformennbsp;bestimmt haben, kann hiernach in folgenden, ganz gleichwertignbsp;nebeneinander stekenden 6 Formen erscheinen:

gen nbsp;nbsp;nbsp;gnenbsp;nbsp;nbsp;nbsp;egn

neg nbsp;nbsp;nbsp;engnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nge.

Ganz deutlich tritt eine solche Abwandlung ein und derselben Wurzel hervor in dem Nebeneinander von lat. tol-erare (ertragen,nbsp;erdulden), got.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{ertragen, er-dul-d-en) — ahd. dol-êw, griech.

raX-ag {duldend), rX^-vai {erdulden) und ör).-og {Last, Leiden) mit órLeiJco {leiden, dulden), ebenso im lat. asc-iu {Axt)\ sëc-uris {Axt, Bell), im aksl. kam-^/ {Stein): lit. akm-M {Stein) und

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Differenzierung der Wurzel durch die verschiedne Lagerung usw. 27

im air. lem (Ulmé) gegenüber den gleichbedeutenden lat. lllm-^{s und mhd. elm nebst elm-boum. Zum lat. gel-u (Kcilte, Frost)nbsp;ferner wie zum mhd. kal-t nebst küel-e ihühl) und zum aisl.nbsp;kal-a (frieren) haben wir den Wurzeltypus alg im lat. alg-ornbsp;[Kalte, Frost), sodaB sich die beiden lateinischen Wortgebildenbsp;gel-idus {Icalt, eishalf) und alg-idus (Jcalt, eislcaU) fast vollkommennbsp;decken wie das lat. alg-eo (frieren) mit dem aisl. Jcal-a (frieren).nbsp;Dafi das lat. avig-ulus {Eelce, WinJcel) niclits andres ist als dasnbsp;griech. ycóv-og mit ywv-ia {EcJce, Whikel), springt uns nun so-fort in die Augen, und geradezu fühlbar wird die Ahnlichkeitnbsp;dieser Wurzeltypen in den parallelen Bildungen griech. rgL-ytav-ov (Dreiech) und lat. tri-ang-ulum (Dreiech). Dieselbe Wurzelnbsp;ist es vielleicht auch, die im griech. yóv-v (Knie), lat. gen-Mnbsp;(^Knie), got. kni-z^ (Knie) vorliegt, und so finden wir einen neuennbsp;Typus dazu in dem griech. lyv-'óg, -va (Knielcehle). Es war das-selbe, wenn der Grieche sein ré).-og (Ende), nX-svralog (dernbsp;letzte) aussprach und der Eömer sein vlt-inms (der letzte), undnbsp;wir geben genau dasselbe Wort wieder, wenn wir das lat. nösnbsp;mit unserm uns, nos-ter mit uns-er übersetzen.

In den parallelen griechischen Wortgebilden orsQ-OTtrj (Blitz, Glans) und èarq-a^cg (Blits, Glans) haben wir mehr odernbsp;weniger deutlich wohl immer das Gleiche durchgefühlt, sodaBnbsp;wir uns hier nicht sonderlich überrascht finden werden. Abernbsp;wie steht es in dieser Hinsicht mit dem griech. vrjo-og (Insel):nbsp;lat. im-ula(Insel) und vollends mit dem lat. amn-ts (Fhifi): man-arenbsp;(fiiefen)? — Und doch liegt dasselbe einfache Verhaltnis dernbsp;Formen vor. Immer wieder sehn wir aus allen Erscheinungennbsp;das Wesen hervorbrechen: wie im Deutschen Fluf^ zu fliefiennbsp;und im Lateinischen fiuv-ius (Flufi) nebst flu-men (Flufl) zunbsp;flu-ere (fliefien) gehort, so amn-is zu man-are, zwei Formen der-selben Wurzel, denen wir als dritte noch die des griech. vag,-unbsp;(Fluff Quell, Nafi) hinzufügen können, und vor dem Verhaltnis vfjo-og: ins-ula müssen alle Etymologien weichen, die mannbsp;bisher in mehr oder weniger glücklicher Weise für jedes Wortnbsp;einzeln versucht hat; daB die Wurzel, die wir hier in den beidennbsp;Formen nas (nes) und ens (ins) erscheinen sehn, nichts andresnbsp;als 'die Erhebung’ bezeichnen kann, wird man vielleicht schon

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Kapitel III.

hier durchfiihlen. Wie wir ferner oben schon dieselbe Wurzel in den beiden Gestalten vesp-er und svap-nas und eine andrenbsp;als spec-io und Oicérc-rouai kennen gelernt baben, so sehn wirnbsp;auch die Wurzel des griechischen Verbums acpdy-uo {schlachten,nbsp;toten) in den beiden gleicbbedeutenden Substantiven ölt;pay-LÖ-gnbsp;{Schlacht-, Opfermesser) und lt;pdlt;Sy-avov nebst (paay-av-id-gnbsp;{Aïesser, Dolch) in verschiedner Lagerung nebeneinander, undnbsp;ebenso entsprechen sich die beiden gleicbbedeutenden mbd. Verbennbsp;refs-m = ahd. xamp;ia-jan und s^raf-e??, die beide ursprünglicbnbsp;mebr noch das'Strafen mit Worten als mit der Tat bezeicbnetennbsp;und so den Bedeutungsinhalt 'mrechtweisen, tadeln, scheltennbsp;batten (nhd. 8trafpredigt\)] das erste Wort erscheint dazu auchnbsp;noch in der Form resp-m, und nicht selten finden wir die Wörternbsp;in engster Verbindung nebeneinander, so z. B. ''herespen undenbsp;gestrdfen' bei Bertbold von Eegensburg (Predigten 111). Ganznbsp;beredte Zeugen sind für uns -weiter das griech. êi.lt;p-óg (tveifienbsp;FlecJcen in der Remt), lat. alb-us (wei/3); griech. (paX-óg nebstnbsp;lt;pdX-iog {weifi, glanzend) und lit. bal-ti {bleich werden), dasnbsp;griech. (iriQ-óg [Lende, SchenlceT): lat. ann-Ms [Bug, Schenkel),

das griech. ö^yr^-og nebst ÖQywnog und das lat. hor-tos, die


nicht nur ‘ Garten bedeuten, sondern ganz mit dem mbd. gar-te eins sind, und das griech. ycoQ-éco (gehn): eQX-opcu (gehn,nbsp;kommen). So tritt uns ein und dieselbe Wurzel mit dem Be-deutungsinbalt quot;Gefapquot; in ihren verschiednen Gestalten entgegen

als griech. jtéX-ig [Becken), jtéX-ix-g [Becken, Schüssel), jiéV.-u


[Milcheimer, Gelte) u. a., als as. ful [Qefafgt;), als griech. Xoci-dó-g [Napf, Tiegel, Schüssel), als griech. öXn-rj (lederne Oh flasche) usw. Auch das griech. adx[x)-og [Sack) mit dax-ógnbsp;(lederner Schlauch, Sack) und das lat. cm-alis (Wasserrinne) mitnbsp;ina-lle [Ahzugsgraben) sprechen deutlich ihre Sprache, und alsnbsp;besonders bemerkenswert kann uns hier das Verhaltnis unsersnbsp;deutschen Wortes Nufl (mhd. nuz) zu dem gleicbbedeutendennbsp;lat. nux erscheinen: jeder fühlt den Zusammenhang unmittelbar,nbsp;ohne sich aber dessen bewuBt zu sein, daB er sich in der Auffassungnbsp;dieses Zusammenhangs durch sekundare,auBere ümstande tauschennbsp;laBt (mhd. nuz: lat. nuc-s\), wahrend das wahre Verhaltnis nurnbsp;durch die Metathesis verstandlich wird als lat. nuc-s; ags. hnu-t#.

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Differenziening der Wurzel durch die versehiedne Lagerung usw. 29

aisl. hno-^, ahcl. hnu-^-. Das Germanische weist also gegenüber dem lat. nuc-s den Wiirzeltypus enu auf und stimmt hierin übereinnbsp;mit dem Altirischen, wo das Wort als cnü {Nüp) erscheint.

Die durclidringende Beobachtun'g der historisch vorliegenden Tatsachen hat uns also zu der prinzipiellen Erkenntnis geführt,nbsp;daC jede Wurzel in der verschiedensten Lagerung ihrer Bestand-teile erscheinen kann, und so mogen wir nun unsre Blicke aufnbsp;dem Gebiete der Sprache richten, vvohin wir wollen, überall muBnbsp;uns dieselbe Erscheinung mit immer neuer Bestatigungskraft ent-.nbsp;gegentreten. Schon nach kurzer Wanderung auf altindischemnbsp;Sprachgebiete stellen wir die Tatsache fest, dab dort neben kar-tó,vnbsp;(Scinger, Dichter) dieselbe Wurzel als ark-ds {Lied) erscheint,nbsp;wobei wir auch sofort an das lat. car-men {Lied) erinnert werden. Neben dem ai. kart-tor, krnt-dnti (sic drehen den Faden,nbsp;spinnen-, der Nasal ist in der letzten Wurzelform sekundar,nbsp;wie z. B. im lat' jung-o gegenüber jug-um!) treffen wir fernernbsp;das ai. tark-w'' {Spindel), dem sicb das griecb. d-T^ctx-rognbsp;{Spindel) an die Seite stellt, und neben dem ai. vds-Ms {gut) be-gegnet uns in derselben Bedeutung ein suv, z. B. snvapatya =nbsp;gute Nachhommenschaft habend. Weiter finden wir die Wurzel,nbsp;die uns aus dem lat. na“c-iscor {erreichen, erlangen) wohlbe-kannt ist, im Altindischen nicht nur in der Form namp;^-ati {er er-reicht, erlangt), sondern auch als SLcn-öti {er erreicht, erlangt), und ebenso ist es ein und dieselbe Wurzel, dienbsp;uns entgegentritt im ai. amp;9.lt;^-as-ydti {er erweist Ehre) und alsnbsp;ai. 9ad- {sich auszeichnen), dieselbe Wurzel namlich, die im lat.nbsp;Aeo-us {Zierde, Ruhm, Ehre) vorliegt wie im griech. jt-üd-oc,'nbsp;{Ruhm, Ehre), im griech. óóvi-ia gt; {Ruhm, Ansehn, Ehre)nbsp;und in -/.e-Kad-gévos {ausgezeichnef). Ganz besondern Eindrucknbsp;aber muB es auf uns machen, wenn wir uns vom altindischennbsp;Sprachgebiete her dem Albanesischen zuwenden und nun aufnbsp;einmal sehn, wie dieselbe Wurzel, die uns dort eben noch alsnbsp;ai. prav-«të {er eilt) begegnet ist, hier, in einer ganz andern idg.nbsp;Einzelsprache, als alb. vrap {schneller Oang, Lauf) erscheint,nbsp;und auBer diesem Typus, der ebenso wie im Substantiv auchnbsp;im Adverbium vrap-o {schnell) und im Verbum vrap-d« {eilen,nbsp;lauf en) auftritt, lemen wir hier dieselbe Wurzel noch dazu in

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Kapitel III.

einer dritten Erscheinungsform kennen, als alb. pavr-d-jje^-i (schnell). So ist es auch dieselbe Wurzel, die uns im ai. bhó,n-ati (er spricht) begegnet und im griecb.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(Stimmè), und

dasselbe Wort, das wir aus'dem Lateiniscben als vër-^Is {tvahr) und aus dem Germaniscben als mhd. war {wahr) kennen, findennbsp;wir im PreuBischen wieder als arw-is {wahr). Aus dem Lateiniscben kennen wir ferner sol-^^w in der Bedeutung 'Erdboden,nbsp;Fufiboderi, und so müssen wir sogleicli dieselbe Wurzel wieder-, erkennen, wenn wir im Litauischen auf asl-d (Estrich) stoBen,nbsp;wie wir im lit. gel-d (Sclimerz) unmittelbar das griecli. «Ay-ognbsp;(Schmerg) wiederselm; das griecb. öéjt-ag {Becher) finden wirnbsp;wieder im lit. pud-as {Gefdji, Topf) wie im aisl. fat = mhd.nbsp;vaz [Gefdfi, Schrein, Kasten, Fa/S usw.), und das so ganznbsp;allein stekende griecb. ^aQ-ïvog iein Fisch) findet nun seinenbsp;Entsprechung im aksl. ryb-a {Fisch). Ganz unmittelbar erkennennbsp;v¥ir ferner das lat. man-eo {bleiben, erwarten) im arm. mna-w)nbsp;{ich bleibe, erwarte) wie im av. nia^-naya (warte, Imper.) wiedernbsp;und ebenso unser got. nam-d {Nam-e) im air. ainm {Name) wienbsp;im preuB. emn-a {Name), und wenn wir die ganze Wortgruppenbsp;mit der Bedeutung ‘wehMagen vor Augen haben, wie sie er-scheint als ai. xoA-iti und rud-afi (er wehhlagt, weint), lit. raud-ènbsp;{WehMagé) und raud-mi {ich wehhlagë) und aksl. ryd-a/‘a {ichnbsp;tvehklage), ags. réot-aw = ahd. xioz-an {Magen, weinen), so kannnbsp;es doch nicht ausbleiben, daB sich alsbald auch das griech. ö-évq-ogai {tvehhlagen, weinen) mit ö-óvQ-góg {das WehUagen,nbsp;Weinen) dazugesellt. Mit handgreiflicher Deutlichkeit zeigt sichnbsp;uns die ümlagerung der Formen auch, wenn wir in der Bedeutung quot;EseV ein und dasselbe Wort antreffen als aksl. mag-aru, buig. mag-are, rum. meg-ar, dagegen als macedorum. gam-ar, ebenso als ngriech. yofr-dpt und im Albanesischen sowohl alsnbsp;ms,g-jar wie als gom-ar. Die Wurzel des griech. véx-vg (dernbsp;Tote) wie des lat. ïiee-s{2od, Ermordung) ferner, die wir obennbsp;schon in Formen wie griech. xdv-uo (toten), xov-g (Mord) u. a.nbsp;wiedererkannt haben, finden wir in andrer Form auch wiedernbsp;im abret. dnio-ou (Tod); das lit. sel-efi (schleichen) spiegelt sichnbsp;wieder im preuB. lis-e (er hriecht), das Iit. marg-as (bunt) im air.nbsp;gorm (blau), und das mhd. kram (Kaufmannsware) mit kram-er

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Difforciiziorung der Wnrzel durch die vorschiedne Lagerung usw. 31

{Kaufmann) ist — mit unverscliobnem h\ — niclits andres als das lat. merc-s {Ware) mit merc-ator {Kaufmann). Ferner haltenbsp;man das ahd. ir-lesk-aw (er-lösch-e)t) mit dem aisl. slokk-t^a {aus-lösch-en) zusammen und das aisl. slak-r = ahd. slaoh (schlaff)nbsp;mit dem aisl. losk-r {weich, schlaff) wie mit dem mir. laak {schlaff),nbsp;verschiedne Formen ein und derselben Wurzel, von der wir nochnbsp;heute im Neuhochdeutschen lasch und schal (besonders md. undnbsp;nd., = matt, kraftlos) nebeneinander haben. Eine Wurzel innbsp;verschiednen Erscheinungsformen tritt uns auch entgegen imnbsp;griech. geiq-ó {Seil, Schnur), im griech. 'é^G-ig {Band, Schuur,nbsp;Fleehte, Verknüpfung, Beihe) und im lat. cow-ser-ere {verbinden)nbsp;mit ser-ies {Reihe, Ketté)', zum aksl. lës-w (Wald) = nsl. lês gesellen sich als Angehörige derselben Wurzel das griech. aXö-ognbsp;{Wald, Hain) nicht minder als das griech. Xdö-Log {waldïg,nbsp;buschig) mit XaG-iév (\fald), und so ist es für uns auch niclitsnbsp;Verschiednes mehr, ob wir vor uns haben das griech. hidXy-r]nbsp;{Purpurschnecké), das griech. ydXx-rj (Purpurschneeke) undnbsp;XaXa-tö-g (e. Eidechsenart) oder das griech. •nóyX-og {Schnecke)nbsp;mit seinen Weiterbildungen xoyX-iö-g und xoyX-iag = lat. cocl-eanbsp;{Schnecke). Was bisher auch noch so vereinzelt dastand, wienbsp;z. B. das lat. fue-MS {Brutbiene, Drohné), findet nun seine Zu-sammenhange, wo uns unser Gesetz zeigt, dab dieses Wort ganznbsp;zusammenfallt mit dem griech. K7i(p-i]v {Drohne) — zu ihnennbsp;werden wir vielleicht auch noch das griech. a(pf^y.-g {Wespe)nbsp;stellen dürfen, sobald wir über die Natur des anlautenden s voll-kommne GewiCheit haben, wobei ahnliche Erscheinungen wienbsp;das lat. ficl-es {Darmsaite): griech. acf iö-ï] {Darmsaite) zu be-achten sind —, das lat. pert-ïca {langer Stock oder Stange)nbsp;ferner tritt in Verbindung mit dem griech. rqajt-rjx-g {Balken,nbsp;Pfahl, Pfosten), und die GesetzmaBigkeit der ganzen Erschei-nung müssen wir aufs neue tief empfinden, wenn wir sehn, wienbsp;dem bisher von aller Verbindung abgeschlossenen griech. jtQC)x-gnbsp;{Tropfen) gegenüber an einer ganz andern Stelle des idg. Spracb-gebiets der umgelagerte Typus derselben Wurzel als aksl. krop-anbsp;(Tropfen) erscheint.

So, sehn wir, ist die Wurzel von vornherein jeder Abwand-lung in der Stellung ihrer Teile fahig, und in das Licht dieses

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Kapitel III.

Gesetzes gerückt gewinnen nnn auch die ganz an der Ober-flache liegenden, allbekannten Falie für uns nenen Eeiz, wie z. B. griech. ^ak-m (werfen)-. ^é-^Xri-uai (Perf.),nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(Wurf)',

jter-avvviA.1, (ausbreiten): 7ts-jtta-fiaL (Perf.); iti-str-tu (fallen)-. 7cé-üiria-xa (Perf.), Jitw-fia (Fall) n. v. a.; öJtak-iov nebennbsp;xpdk-iov (Kinnlcette, Fessel); lat. ter-o (reiben): tri-vi (Perf.) undnbsp;tvï-tum (Sup.) und ebenso lat. ter-m (je drei): iv\-ni (je drei),nbsp;lat. pal-ari (umherstreifen): griech. nXa-vr] (das Umherirren)nbsp;init jtXa-v-cio,ucii (umherirren) usw. Erinnert sei ferner an dienbsp;überaus haufigen Erscheinungen von der Art, wie im Griechischennbsp;xQat-og (Kraft, Starlce) und xóQt-og, iciQx-og (Ring, ZirTcel) =nbsp;lat. circ-ztó und K^i-a-og oder -xaQÓ-ia (Herz) und •xQaö-la neben-einander stehn, wobei z. B. die Formen des letzten Wortpaaresnbsp;ihre Entsprechungen haben im got. hairt-ö (Herz) und im air.nbsp;crid-e (Herz), wie sich ebenso im Mhd. neben berc (Berg) einnbsp;bröuc (Hügel) findet, oder wie das got. frum-a (der erste) imnbsp;Altsachsischen als form-o, das got. ha,-dailjan im Mhd. und Nhd.nbsp;als wer-teilen, unser milch im Irischen als mlich-t erscheint, wienbsp;ferner dem griech. ó[i(p-aXóg (Nabel) und dem lat. -aaib-ilteusnbsp;(Nabel) das ahd. nab-o(o (Nahel) und das preuB. nab-is (Nabel)nbsp;entspricht und ebenso unserm nag-e? das air. ing-en, wie im Air.nbsp;ë-ora (Feind = Un-freund; vgl. lat. am-ïcus u. in-im-Jcus)nbsp;neben car-i# (Freund) steht, wie dem lit. é,T-]clas (Pflug) gegen-über sich im Eussischen ié,-lo (Pflug) findet, wie wir ein undnbsp;dieselbe Wurzel schon lange als gen, gnë und gno kennen imnbsp;griech. yt-yntó-axw = lat. co-gnö-sco (erlcennen), im got. kannnbsp;(ich kenne, weifi) = nhd. kenn-ezi, im got. kun-c(-s (bekannt) =nbsp;nhd. kund, im ahd. kna-en (kennen) u. m. a., und wie dem lat.nbsp;gen-t-s (Oeschlecht, Stamm) das lat. (g)na-(-io (Volksstamm) mitnbsp;dem got. knó-/-s (Oeschlecht, Stamm) genau entspricht usw.nbsp;Ganz klar und doch wegen der vokalischen Differenzierungnbsp;wohl nur wenig gefühlt zeigt sich uns so auch das Nebenein-ander von griech. otfiq (Feuer) — mhd. flur und TTi-g-jtQri-ginbsp;(brennen), ein Formenverhaltnis, dem sich das von lat. ger-mennbsp;(Keim, Sprofd): gx%-men (Gras) an die Seite stellt, und offen liegtnbsp;die Metathesis auch vor uns in den Fallen wie griech. y.ecpak-aqy-ia (Kopfschmerz) : 7rod-«yp-« (Fufdweh) u. v. a.

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Differenzierung der Wurzel durch die verschiedne Lagerung usw. 33

Wie wir an einigen Beispielen schon gesehn haben, ist der ursprüngliche Zusammenhang zwischen Formen derselbennbsp;Wurzel oft durcb sekundare Spracherscheinungen mehr odernbsp;weniger verdunkelt worden, die man wieder aufheben muB, umnbsp;die Beziehungen auch auBerlich klar zu erkennen. Hierhinnbsp;rechnet unter andern das sekundare Verklingen eines s und v,nbsp;das besonders in der griecbiscben Sprache eine groBe Eollenbsp;spielt. So geboren offenbar das lat. spur-cMs (schmutzïg) undnbsp;das griecb. (ö)pt3jt-og {Schmutz) organisch zusammen, wie dasnbsp;griecb. Aeï;(ö')-w {steinigen), dessen s in Xsvff-vóg (gesteinigt) undnbsp;in vielen andern Formen erbalten ist, und Xa{a)-ag {Stein) sicbnbsp;mit dem lat. sil-ec-s (Kieselstein) vereinigen, aucb das lat. posterior (spater) wird man so in dem griecb. {G)ójt-kó-TeQog {jün^rnbsp;spater) wiedererkennen dürfen, und wenn man das mhd. sinnbsp;{Sinn, Empfindung, Verstand usw.) mit dem lat. sen-t-io (em-pfinden, wahrnehmen, denken usw.) und sen-sMs {Empfindung,nbsp;Sinn, Verstand usw.) neben das griecb. vó-og {Sinn, Verstand, Oe-danke usw.) und vo-éco {sehen, bemerken, denken, verstehn usw.)nbsp;balt, so wird die Überzeugung nicbt ausbleiben können, daBnbsp;sicb die griecbiscben Formen als vólt;J-og und voO-éu), wie sienbsp;ursprünglicb gelautet baben, ganz mit den deutscben und latei-niscben Formen decken. Ebenso treten nach Wiederherstellungnbsp;des ursprünglicben r-Lautes deutlicb zusammen das griecb.nbsp;ka/-co {wollen) mit dem lat. vol-o {wollen) und ein andres griecb.nbsp;XaF-io {sehen) mit dem lat. vul-tos {Gesieht). Verklingen beidenbsp;Laute, s und v, in derselben Wurzel zugleich, so ist das ursprüngliche Bild natürlich ganz entstellt, wie wir an Beispielennbsp;im folgenden sehen werden.

So drangt sicb uns ferner auch der Zusammenhang zwischen dem griecb. d-awrw {iegraben) und dem lat. fodio {graben) mitnbsp;Gewalt auf, und nach Abzug der sekundaren Entstellungen innbsp;beiden Formen liegt er denn auch als d-atp-no : fod--io in allernbsp;Deutlichkeit vor uns: in der griecbiscben Wortform ist das epnbsp;der Wurzel durch Anpassung an den sekundaren Teil des Wortesnbsp;zu 7t geworden und in der lateinischen die dentale Aspiratanbsp;regelrecht zur Media, genau wie das lat. med-ius {mitten) demnbsp;ai. mddh-yas {mitten) oder das lat. fld-o {vertrauen) dem griecb.

Meyer, Die Schopfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;3

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Kapitel III.

jteiê^-cü mit Tté-jcoiS-a {vertrauen) entspricht. Bleibt das cp der Wurzel in den griechischen Form en erhalten, so mub bekannt-lich nacb dem urgriecbiseben Hauchdissimilationsgesetze das ê-zu T werden, und in dieser Gestalt haben wir die Wurzel u. a.nbsp;in 'vacp-'i] nebst zdcp-og {Grab,Begrahnis) und in rdg)-Qo-g{Graben),nbsp;das sich in unserm BewuBtsein nun also ganz mit dem lat. foamp;-sa gt; fossa {Graben) deckt. Ganz dieselbe Wurzel tritt uns imnbsp;lit. bed-M [ich grabe) entgegen, wobei man mit der sekundarennbsp;Lautentwicklung zu rechnen bat, dab im Litauischen allgemeinnbsp;die labialen und die dentalen Aspiraten (uridg. bh und dh) zunbsp;den Medien b und d geworden sind. Wie wir eben schon ge-sehn haben, wird die Wurzel ganz besonders im Auslaut, wo sienbsp;mit den sekundaren Sprachbestandteilen in Berührung tritt, be-einflubt, indem sicb hier ein Ausgleicb, eine Anpassung voll-zieht, die sicb in allen Formen der Assimilation bis zu völligernbsp;Verschmelzung bewegen kann. So kommen wir z. B. zu dernbsp;Erkenntnis, dab das griecb. xóagog {Schmuck, Zierde, Ehre,nbsp;Lob usw.) auf KÓó-gog zurückgebn mub, da es erst so seinenbsp;Wurzel rein entbüllt, die keine andre ist als die von lat. Aec-us,nbsp;griecb. öóx-ia und xvö-og usw., von allen den wesensgleichennbsp;Wortgebilden, die wir oben (S. 29) schon aufgeführt haben; undnbsp;dab das lat. spissus {dicht zusammengedrdngf) aus spit-sws ent-standen sein mub, lehrt uns sein organisch er Zusammenhangnbsp;mit dem lat. sttp-are {dicht msammendrdngen), der so rechtnbsp;fühlbar wird, wenn einem etwa zwei so gleichartige Stellen wienbsp;s^nssis indigna theatris (scil. scripta) Hor. ep. 1, 19, 41 und artonbsp;stipata theatro (scil. Roma) Hor. ep. 2,1, 60 im Gedachtnis zu-sammentreten. Gerade diese sekundaren Veranderungen sind esnbsp;ja, die uns die reine Erkenntnis der Wurzel zunachst oft sehrnbsp;ersch weren, aber, wie wir boffen durf en, auch nur — zunachst.

Mit der Erkenntnis unsers Sprachgesetzes haben wir schon eine etymologische Ernte eingebracht, wie wir es früher kauinnbsp;zu boffen gewagt batten, und wir haben gesehn, dab uns unsernbsp;Glaube an ein inneres Band zwischen Form und Inhalt in dernbsp;Sprache nicht betrogen bat: die Form der Wurzel sehn wirnbsp;wechseln, wahrend ihr Wesensinhalt derselbe bleibt. Diesenbsp;Wahrheit tritt nun allüberall aus den Gebilden der Sprache mit

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Differenzierung der Wurzel durch die verschiedne Lagerung usw. 35

unwiderstehlicher Kraft hervor. Das griech. o'Samp;-aQ [Euter) fiüdet sich so ganz von selbst mit dem griech. ¦d'd-cj (saugen)

zusammen, ein Wortpaar, das in unsrer eignen Sprache seine


vollkommne Entsprechung hat als ahd. üt-ar (Eut-er): ahd. ta-e% {saugen)-^ unsre neuhochdeutschen Wörter Twg-end und gutnbsp;legen vor uns das Bekenntnis ah, daB sie Kinder ein er Mutternbsp;sind, die auch das air. dag {gut) geboren hat, und nach diesernbsp;Enthüllung mutet es uns seltsam an, wenn uns nun ein Blieknbsp;in ein gotisch es Wörterbuch zeigt, wie dort schon lange als Be-deutungswiedergabe hinter gód-s quot;gut, tüch-t-ig' — got. Ang-annbsp;= nhd. taug-m! — und hinter gód-ei ’Güt-e, Tug-end' ganznbsp;eng nebeneinander stehn, wie wir ja auch immer wieder 'gut'nbsp;und ‘taug-licE usw. eins für das andre gebrauchen. Mit der-selben Gewifiheit ferner, wie wir von den beiden gleichmaBigennbsp;Bildungen lat. dö-t-s (Mitgift) und lat. cö-t-s {Wetzstein) die erstenbsp;in ihren organischen Zusammenhang mit dem lat. dd-re {geben)nbsp;stellen, stellen wir cö-t-s zum lat. ac-uo {scharfen, wetzen), demnbsp;sich das griech. dx-óvt] (Wetzstein) unmittelbar verbindet, undnbsp;ebenso steht auch im Lateinischen neben Ao-utus {scharf, scharf-sinnig) das ihm ganz entsprechende ca-te (sc/iar/smm^,5fesc/ieit).nbsp;DaB das lat. cat-ulus {das Junge) nichts andres ist als das griech.nbsp;réx-vov {das Kind, das Junge) und mit diesem zum griech.nbsp;rex-eïv {erzeugen) gehort, leuchtet ohne weiteres ein, undnbsp;wir werden auch kaum das Wesen verfehlen, wenn wir das lat.

pes-ti-s nebst seiner Weiterbildung j^ea-ti-lentia {Eest) mit dem

griech. G'^jt-ogai {faulen) und mit dem lat. püs {Eiter) zusam-menstellen. Die Zusammengehörigkeit von lat. pet-ere und opt-are, die beide das quot;Erstreben eines Gegenstandes bezeichnen und so auch zu der Bedeutung quot;bitten, wünschen u. a. kommen,nbsp;spricht für sich selbst und ebenso der effenbare Zusammenhangnbsp;zwischen dem lat. pot-ior {vorzüglicher, besser) und opt-iwws

{der beste) auf der einen mit dem got. bat-m (bess-er) und


bat-ist-s {der beste) auf der andern Seite, wobei das t in den gotischen Form en unverschoben geblieben ist. Das lat. sil-eonbsp;{still sein, schweigen) ferner und das ihm ganz entsprechendenbsp;got. ana-sïL-an {still sein, schweigen) finden sich leicht mit ihremnbsp;Verwandten, dem mhd. lis-e {leis-e, still) zusammen; in sehr in-

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Kapitel III.

teressanter Weise stellen sich zu dem lat. cap-io {greifen, (assen, fangen) die deutschen Erscheinungsformen derselben Wurzel alsnbsp;got. fah-a% = fanh-an (nhd. fang-en, fah-en) und als pack-e?2,nbsp;die verschobne und die unverschobne Form also nebeneinander,nbsp;und das lat. il-lic-io {anlocJcen, anreizen) mit il-ïéc-ebra {Lockung,nbsp;Anreïzung) und unser lock-e«, sie verraten uns nun, dab sienbsp;nicbts andres sind als das griech. xaX-éco (rufen), sodafi unsnbsp;jetzt aucli klar das Verstandnis für unser froh-lock-en aufgebt,nbsp;das nicbts als den ‘frohen Ausruf’ bezeichnet, wabrend lock-ennbsp;die Bedeutungsrichtung von'an-, herbeirufen' eingeschlagen bat,nbsp;die sicb z. B. in der mhd. Konstruktion des Wortes mit demnbsp;Dativ quot;einem locken = einem rufen, gurufen nocb mebr imnbsp;Hintergrunde halt. In vollkommenster Deutlichkeit stebt dazunbsp;im Griechischen selbst neben xaX-éoj {rufen) ein Xax-aUonbsp;{rufen), neben xéX-aöog {Gerausch, Larm, Geschrei) mit allennbsp;seinen Ableitungen und neben xoX-cgóg {Larm) mit xoX-igdionbsp;(schreien, larmen) ein Xdx-og {Larm), ferner Xax-eödgt;v {Stimme),nbsp;Xa%-éio (bellen, heulen-, tonen, sprechen) u. m. a., dazu tretennbsp;als Angebörige derselben Wurzel ferner das griech. xéX-ogainbsp;und xeX-s-óü) {rufen, zurufen, hei/ien, befehlen usvv.), griech.nbsp;xXé-io {besingen) und xX-ï]-öév {das Nennen, Rufen, Gerüchtvamp;'w.),nbsp;auberdem unser mhd. heU-e» (= nhd. hall-en, ertönen) mit demnbsp;Adjektivum hel {heil, tonend, laut) und dem Substantivum halnbsp;{Schall) sowie unser mhd. hiul-en = nhd. heul-m und aus demnbsp;Lateinischen endlich noch lac-esso {lockend reizen, herausfordern),nbsp;sodab sich für uns die lateinische Verbindung jproelio lac-esserenbsp;{zum Kampfe reizen) nunmehr ganz mit der griechischen gtr/jgnbsp;UQo-xaX-EïaAai deckt. Geradebei dieser Wurzel zeigt sich, wie wirnbsp;sehn, die Wirkung unsers Gesetzes in besonders auffalliger Weise,nbsp;und sie ist es denn auch mit gewesen, die meine Aufmerksam-keit zuerst auf sich gezogen hat — als eine der ersten, deut-lichen Spuren dieser Erscheinung, die wir nun durch das ganzenbsp;unermebliche Gebiet der indogermanischen Sprachen verfolgennbsp;in der Gewibbeit, dab wir sie überall antreffen müssen. Wienbsp;sicb das bestatigt, zeigt sich uns auf Schritt und Tritt, so z. B.nbsp;auch bei der Wurzel des lat. rcs, des lit. ras-d wie des aksl.

ros-a, die alle drei ‘der Tau bedeuten

Dab diese Wurzel nichts

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DifferenzieruDg der Wm-zel duroh die verschiedne Lagerung usw. 37

andres bedeuten kann als ‘fHefien, das bestatigt uns schon das ihnen entsprechende ai. ras-ö ^ Nap, FlüssigTceit’, uad die absolute Gewibbeit erbalten wir nun durcb das ai. sar-ató 'er fliepf,nbsp;das wir als anders gelagerten Wurzeltypus in aller Deutlichkeitnbsp;daneben stehn sebn, wie neben ihm in derselben Bedeutung auchnbsp;ein ars-ati steht. Es ist dieselbe Wurzel, die in dem av. asr-wnbsp;= neupers. ars mit der Bedeutung ' Trané erscheint, eine Be-deutungsrichtung, die auch das lat. rös oft genug eingeschlagennbsp;hat in Wendungen wie ros lacrimarum, stillare ex amicis ocu-lis rorem u. a., dieselbe Wurzel auch, die zu uns aus unsermnbsp;mhd. ris-e^ {Tau, feiner Regen) wie aus dem nhd. xies-eln spricht.nbsp;Eine andre, weitverzweigte Wurzel aber mit dem Bedeutungsin-halte';^ie/3ew habenwir im ai. srav-ató {erflieflt), griech. (ö'jpé(/j-wnbsp;(ftiefien)-. man braucht nun dazu nur die Tatsache anzufiihren,nbsp;dab im Altindischen vars-ds 'der Regen und im Griechischennbsp;(f)ÉQ(S-'rj quot;der Tav! heibt (mit sekundarem Vokal im Anlaut erscheint das Wort als hom. è\F)éga-g, kret. a-[F)eqG-a), so mubnbsp;diese natürliche Übereinstimmung als ein Zeugnis von höchsternbsp;Bedeutung für das Walten unsers Gesetzes empfunden werden. Imnbsp;Altindischen finden wir ferner rak-a als Bezeichnung einer quot;Göttinnbsp;der Fortpflanzung’, es ist ganz dieselbe Wurzel, die im ai. kar-(machen, wirken) wie im lat. cre-nre {erschaffen, hervorbringen,nbsp;er zeugen) u. a. vorliegt, und ein und dieselbe Wurzel ist es auch,nbsp;die uns, nur in verschiedner Lagerung ihrer Teile, entgegentrittnbsp;im ai. dhan-S (Getreide) und im ai. andh-as {Kraut) wie imnbsp;griech. av-d--og {Blüte, Blumé). Wollen wir weiter wissen, wasnbsp;die Wurzel des lat. cas-a {Sütte, Hauschen) bedeutet, so gibtnbsp;uns Aufklarung das ihm wesensgleiclie griech. (Ttjx-óg, das nochnbsp;ganz allgemein 'jeden eingeschlossenen Ort, also Stall, Nest,nbsp;Wohnung, einen eingezaunten Garten, Kapelle, Zelle, Grab-statte usw.' bedeuten kann, und die Frage nach der Herkunftnbsp;des bisher so ganz vereinsamten griech. atqóK-a (gleich, plötzlich)nbsp;hort nunmehr auf, für uns eine Frage zu sein, wo wir im griech.nbsp;xaQjt-dl-igog (reifiend, schnell) seine Wurzel deutlich wieder-erkennen. Das lat. nlc-iscor {strafen, rachen) wird eins mit demnbsp;griech. xoX-d'Cto {strafen, züchtigen), die Fragen über das got.nbsp;lêk-eis {Arzt) mit lêk-mon (keilen) beantwortet uns in natür-

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Kapitel III.

liclister Weise das aksl. nbsp;nbsp;nbsp;{keilen), dem das got. hail-s {ge-

sund, heil) entspricht, sodaB wir hier im Gotischen die ver-schobne und die unverschobne Form derselben Wurzel wieder rmmittelbar nebeneinander antreffen, nnd was der Name Alp-esnbsp;{die Alp-en) bedeutet, von dem der Vergilkommentator Serviusnbsp;zu Georg. 3, 474 anmerkt 'Gallorum lingua alti montes Alpesnbsp;vocantur (!), das sagt nns das schon oben genannte griech.nbsp;Xéjt-ag {Fels, Berg) im Verein mit dem ahd. fel-is (Fel-s). Dernbsp;allgemeine Begriffsinhalt der Wurzel des lat. rot-a = mbd. ratnbsp;{Ead) gibt sich schon zu erkennen in dem lat. Adjektivum rot-undus {rund), seine deutliche Bestatigung aber erbalt er nun-mehr durch das lat. tèi-ët-s {rund) und noch mehr durch dasnbsp;griech. tóq-vog {Bundung, Krümmung; DrekwerTczeug); das lat.nbsp;Aom-inus {Herr, Herrscher,Gebieter) wird in seiner Wurzel aufge-klart durch das griech. iiéö-o) (herrschen, regieren), dessen Par-tizipium als géó-cov ganz 'I[err,Gebieter u. a.^ bedeutet, in unsermnbsp;nhd. enk-e? = mhd. en-ink-el werden wir nichts andres zu sehnnbsp;haben als einen Typus derselben Wurzel, die uns auch in unsermnbsp;kin-(i entgegentritt, im griech. yov-rj {Nachkommenschaft) u. v. a.,nbsp;und wenn uns bisher unser mhd. hrót {Brot) ganzlich unfafiharnbsp;gewesen ist, so kommen wir nun zu der Erkenntnis, daB es nichtsnbsp;andres ist als das griech. xQotp-g {Nahrung). So eint sich dasnbsp;organisch Zusammengehörige wieder mit Naturnotwendigkeit innbsp;seinem gemeinsamen ürsprunge, der Wurzel, in so verschiednennbsp;Formen diese auch auBerlich auftreten mag, und so antwortennbsp;sich die Gestalten von allen Enden her über das ganze weitenbsp;indogermanische Sprachgebiet:

lit. dafg-is {Sckwert): lat. glad-ms {Schiuert)

lett. grim-i {untergekn): lat. merg-o {untertauchen, untergéhri)

aksl. grub-M {Berg), preuB. garb-is {Berg), russ. gorb-tc {Hügel)

: nhd. berg

got. gah-ei {Beichtum) mit gaib-ig-s {reich): aksl. hog-atu {reich) got. biug-an {hi eg-en, heug-en): lett. gub-t {sich krümmen,nbsp;heugen)

aksl. gub-ele {Biegung) aksl. gjb-uku (hiegsam)

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Differenzierung der Wurzel durch die verschiedne Lagerung usw. 39

nsl. gi'b {Biegung)

nsl. gu^)-a {Falté)

Ut. myl-eti {liéten)-, osset, lim-aw {Freund)

Ut. löb-ts {Besitg, Reichtum): griech. öX^-og {Reichtum, GlücJc)

altruss. les-o {See): lat. sal-wm {Meer, See)

aksl. gas-M {Gans): arm. sag {Gans)

lett. mal-s {Lehm), Ut. mêl-as {Gips): ahd. leim (Lehm)

Ut. nam-as {Haus, Wohnung) mit nam-ë {zu Hause): apers.

man-iya {Haus), pehl. man {Haus) air. rïm {Zahl) und ahd. rïm {Zahl): npers. mer {Zahl)nbsp;alb. tur-lt; {Rüssel): aksl. xvX-u {Rüssel), rum. rit {Rüssel)

Ut. lap-as {Blatt): serb. pol-u {Blatt), alb. pol’-e {Blatt) usw. usw.

Wir dürfen annelimen, dab unsre Ausführungen geuügen werden, das Gesetz der Metathesis als sprachbildende Kraft vonnbsp;souveraner Bedeutung überzeugend nachgewiesen zu haben.nbsp;Auf seine Natur werden wir in Kap. 19 noch naher zu sprechennbsp;kommen. Wie wir ira vorigen Kapitel die eine Wurzel in vo-kalischen Abwandlungen mannigfaltig haben auseinandertretennbsp;sehn, so wissen wir nun, dab sie sich zugleich unter der Wirkungnbsp;des Metathesisgesetzes in erstaunlichem Mabe vervielfaltigt zunbsp;einem Formenreichtum, der über die Gesamtheit der Sprachennbsp;ausgegossen ist, sodab uns hier dieser, dort jener Typus ent-gegentritt, je nachdem es die Entwicklung der besondern Sprach-genossenschaften gefügt hat. Ein wirkliches Gesetz aber mubnbsp;ewig sein und darf die Grenzen von Zeit und Raum nicht kennen,nbsp;und so steht es denn auch in der Tat mit dem unsrigen: wienbsp;innerhalb der Wurzel immer wieder von neuem eine Andemngnbsp;in der Lagerung ihrer Teile eintreten konnte, so sehn wir auchnbsp;nach Antritt der formalen Wortbestandteile (Suffixe) sich alsbaldnbsp;in manchen Fallen einen metathetischen Ausgleich zwischen ihnennbsp;und der Wurzel vollziehn. Ganz deutlich sind hier die Falienbsp;von vokalischer Metathesis, wo z. B. ein ursprüngliches griech.nbsp;7tvr-itt {Lat) sich zugleich auch in die Form mt-va umsetztnbsp;und ebenso dasselbe Wort im Griech. als gw-ilog {verstümmelt)nbsp;— lat. mut-ilus und als gir-vlog oder das lat. stip-ula {Halm,nbsp;Stopp-eï) im volkstümlichen Latein auch als stup-ila erscheint.nbsp;Bevor uns allerdings die Wurzel nicht unumstöblich feststeht,

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Kapitel III.

mussen wir es dem Einzelfalle gegenüber noch dahingestellt sein lassen, oh sich die Metathesis innerhalb der Wurzel oder zwi-schen ihr und dem Suffix vollzogen bat. Diesen Standpunktnbsp;mussen wir z. B. einnehmen gegenüber dem Nebeneinander vonnbsp;griech. anXsK-óio [denBeischlaf ausüben) und o?r£;{.?.-ów,undauchnbsp;dasVerhaltnis zwischen dem lat. forcep-s {Zange, Feuermnge) undnbsp;forpec-s muB so noch unentschieden geiassen werden. Dagegennbsp;werden wir eine solche sekundare Metathesis erkennen dürfen,nbsp;wenn uns im Griechischen neben dem von uQiamp;góg [Zahl) ab-geleiteten Verbum apt'O'p-ecu {mhlen) auch die Form aiiiamp;Q-éconbsp;begegnet, und in ganz besonders interessanter Weise können wirnbsp;diesen Vorgang an einem französischen Beispiele beobachten;nbsp;das lat. scintillare {funkéln) entwickelte sich regelrecht zu seinernbsp;französischen Form scintiller, das ihm zugrunde liegende Sub-stantivum scintilla {Funlcé) aber — das Wort ist seinen formatennbsp;Bestandteilen nach Verkleinerungsform zu einem ursprünglichennbsp;sein-ta, einer Bildung wie lat. plan-ta (Pflanzé) u. a., und seinernbsp;Wurzel nach gleich unserm got. sJcein-an {scJieinen, lemhten) —nbsp;ging, sei es vor, sei es nach dem Eintritt des Vorschlags-e,nbsp;wahrscheinlich erst nachher, aus der Form escinte^^e über in dienbsp;Form estince^^e, das dann weiter zu étincelle wurde und aus sichnbsp;heraus wieder das Verbum étinceler bildete, sodaC wir jetzt imnbsp;Französischen einerseits scintiller {funheln) und anderseits étincelle {Funhe) nebst étinceler {funheln) haben. Jedenfalls sehnnbsp;wir, dafi der ProzeB dieser sekundaren Metathesis unbekümmertnbsp;urn den Aufbau des ganzen Wortes mit einer Art physischernbsp;Notwendigkeit vor sich geht. So ist es der Sprache ganz gleich-gültig, aus welchen Elementen sich z. B. das griechische Wortnbsp;ÖQvgaydóg{Getöse,Larm) aufgebaut hat, sondern, nachdem sichnbsp;die Teile einmal zu einem in sich abgeschlossenen Gebilde ver-einigt haben, kann sich die Metathesis je nach den für sie mafi-gebenden Bedingungen innerhalb jedes beliebigen Lautkomplexesnbsp;vollziehn, d. h. in unserm Falie kann sich z. B. die Silbe gaynbsp;in yga umsetzen und das Wort damit auch in der Form óqv-Ypaöóg erscheinen, wie es tatsachlich der Fall ist. So erklartnbsp;sich uns auch das Verhaltnis zweier völlig gleichbedeutendennbsp;Wörter, deren Zusammenhang sich uns immer wieder aufzu-

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Differenzierung der Wurzel durch die verschiednc Lagerung' usw. 41

drangen gesucht bat, das lat. lïber {Bast, and dann das daraus gemachte Papier und so: Buch, Schrift, Brief u. a.) und dasnbsp;griech. (iLfilog, die beide auch als luber und (iv§log erscheiiien:nbsp;gegeniiber dem lat. lïb-er {Bast, Buch) bat das Griechische vonnbsp;vornberein den umgekehrt gelagerten Wurzeltypus gehabt, dernbsp;dann mit dem spater angetretenen Suffix an der Verbindungs-stelle einen ganz nabeliegenden Austausch eingegangen ist, sodaBnbsp;das griechische Wort ursprünglich ^tX-fio-g gelautet und sichnbsp;hieraus erst nacbtraglicb zu (ii^Xog umgebildet bat. Ebensonbsp;scbeint auch das griech. nénXog mit dem lat. j)aTla zusammen-zubangen: lat. pall-a {langes, faltenreiches Frauengeivand,nbsp;Mantel) und pall-mm {Mantel, Deehé): griech. jtéX-Tto-g gt; rcé-ütXog (langes, faltenreiches Frauengeivand-, Überhang, DecTce-,nbsp;Mantel). Einen uns ganz besonders interessierenden Fall einernbsp;derartigen sekundaren Lautversetzung haben wir in dem Namennbsp;'Vogesen vor uns. Wie scbon der Vergleicb unter den ver-schiednen Formen dieses Namens zeigt, ist die Wurzel des Wortesnbsp;vos: so gaben die Romer den Namen des Gebirges als Vos-e^wsnbsp;wieder, so bieB es bei unsern Vorfabren allgemein und heiBt esnbsp;bei uns oft noch beute Wats-gen-wald u. a., so kennen es dienbsp;Franzosen nicht anders als Vos-^es. Die pbysischen Bedingungennbsp;für eine sekundare ümlagerung waren hier aber effenbar so gunstig,nbsp;daB sich innerhalb des Wortkörpers dieLautgruppe seg sehr bald innbsp;ges umsetzte und neben Vosëgus sich auch die Form Vogtaus ein-stellte, die bei uns dann schlieBlich die Oberhand gewinnen sollte.

Doch einerlei, ob innerhalb der Wurzel oder zwischen ihr und den formalen Wortbestandteilen oder auch innerhalb diesernbsp;selbst, immer und überall sehn wir das Gesetz der Metathesisnbsp;seine ewige Wirksamkeit ausüben. Wie es sich in den Anfangennbsp;alles Sprachlebens bei der Gestaltung des ürstoffes als schöpfe-risches Prinzip von grundlegendster Bedeutung erwiesen hat, sonbsp;wirkt es seitdem unablassig im Leben der Sprache bis auf dennbsp;heutigen Tag fort, freilich nicht mehr in der grandiosen Weisenbsp;wie 'am ersten Tag’, sondern in stiller, unscheinbarer Art, hiernbsp;und da umgestaltend, aber der Geist, der das Ganze überschaut,nbsp;weiB: es ist die alte ürkraft, die von Anbeginn da war. Mitnbsp;einem Ausblick auf diese sekundare Wirksamkeit unsers Ge-

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Kapitel III.

seizes wollen wir unsre Betrachtungen beschlieBen. Im Grie-chischen finden wir das Kompositum vso-firjv-ia {Neumond) bei den Kretern in höchst interessanter Weise umgesetzt zu vspio-VT^ia, für tacpQos {Graben) und dlcpQog (Streitwagen) e'rscheinennbsp;auch die Formen zQdcpog und óqicpog^ wie KatqoTtzov für y.ur-OTtrqov {Spiegel) und Q^egtcloxoL für QsanQcozoi, und wienbsp;wir im Ags. /zx statt fisc {Fisch) und wanan statt wascannbsp;{waschen) u. a. antreffen, so finden wir bier lt;Sxilt;fog und ^Ifognbsp;(Schwert), Oxévog und |eVog {Gastfreund), Oatalig und ipaXtgnbsp;{Schere) u. m. a. nebeneinander. Kqóracpog {Schldfe) ferner undnbsp;IdaxXavtiog (AsJculap = Oott der Heilkunde) erscheinen auchnbsp;als xóqtacpog und 'AaxalTtióg^ góXi^og {Blei) begegnet üns auchnbsp;in der Form ^óligog, und so geht es von der altesten Zeit herabnbsp;bis in die jüngste Zeit des Neugriechischen, wo wir das altenbsp;TtixQog (bitter) als nqixóg wiederfinden, wo wir ein ad’amp;qio auchnbsp;umgesetzt finden in •O-pdoto, ein p'«/3(5t innbsp;nbsp;nbsp;nbsp;u. v. a. Und

wie wir bei dem griech. HcpQoöfzg sowohl die Umbildung als Hepoqëïtrj wie als ’Aepgorlóri beobachten, so sehn wir auch aufnbsp;lateinischem Sprachgebiete das Wortgebilde re-liqu-iae {tfber-bleibsel) in leiiquiae wie in requiliae umgesetzt, woven die erstenbsp;Umlagerung ein Gegenstück hat in der Umbildung von religionbsp;(Gewissenhaftigkeit, Religion usw.) zu leri^io, und der Laut-komplex forcipes erscheint nicht nur als /'orpices, sondern auchnbsp;noch weiter als porfices. Nach dem Zeugnisse des römischennbsp;Grammatikers Festus wurde statt des bekannten sine (ohne) auchnbsp;nesi gesagt, eine Erscheinung, die uns jetzt nicht mehr über-raschen kann, als wenn wir sehn, wie in der spatern Zeit desnbsp;Lateinischen turunda für rutunda erscheint, superlioium fürnbsp;supercilium {Augenbraue), tewpister für tantisper {so lange\nbsp;faVLiva für favilla {noch glühende Asche), displioina für disci-plina {Unterricht, Lehre, Zucht), und wie wir im Lateinischennbsp;erocodïlus {Krokodil) zu cocoirillus, tradd (ich ubergebe) zu ta-drö, cloaca {unterirdischer Kanal) zu coacla werden sehn, sonbsp;finden wir das alte theatrum (Schauspielhaus) im Italienischennbsp;wieder als tveato, ebenso capra (Ziege) als crapa, das alte ar-gumentum (Beweisgrund) als port, agiumento, das lat. gloriosusnbsp;(ra/zmuoK) imItalienischenneben^?onoso dialektisch auch als ^frol-

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Differenzierung' der Wurzel durch die verschiedne Lagerung usw. 43

ioso, und die lateinische Akkusativform paludem {Sumpf) hat sich schon im volkstümlichen Latein umgesetzt zu padulem, so-daC uns heute das italienische Wort als ^^adule entgegentritt,nbsp;eine Form, deren feste Einbürgerung und schlieBliche Alleinlierr-schaft durch die Anlehnung an die Wörtergruppe mit dem suf-fixalen Ausgang -ule wie ped-ule, fav-ule u. a. sehr begunstigtnbsp;worden ist. So finden wir ferner das lat. latrocinium {Bau-berei) im Italienischen wieder als ladroneccio, die lat. periculumnbsp;{Oefahr) und miraculum (Wunder) als span. peligro und mi-lagro, das lat. interpretem (Akk., Erldcirer) als ital. interpetie,nbsp;das lat. fabrica (WerJcstdtte) als andalus. fmbiJca, das lat. tolo-nëum (Zoll) als franz. tonLieu, das auf ein tonoleum zurückweist,nbsp;und im Spanischen sehn wir ein jasar sich auch umsetzen innbsp;sajar, im Portugiesischen ein anelto in alento, wie das franz.nbsp;guirlande (Laubgewinde) im Spanischen und Portugiesischennbsp;als guirnalda, in der letzten Sprache dazu auch noch als gri-nalda erscheint. Auch die ganz leichten und darum von unsnbsp;hisher oft so gleichgültig hingenommenen Falie von sekundarernbsp;Lautversetzung gev/innen nun für uns ein tieferes Interesse, wennnbsp;uns z. B. das lat. singultus {das Schluchzen) als franz. sanglot,nbsp;das lat. pró {für) als franz. pour wiederentgegentritt, oder wennnbsp;wir das franz. pamp;rfum {Wohlgeruch) im Italienischen als pro-fumo antreffen. In andern, ebenso klaren Fallen haben wir da-gegen dem Vorgange der Lautumsetzung schon von jeher weitnbsp;gröhere Beachtung gescheukt, so wenn wir das lat. generumnbsp;(Akk., Schwiegersohn) im Spanischen zu yetno und das lat. ti-tulum (Akk., Aufschrift, Titel) zu span. tilde geworden sahennbsp;gegenüber ihrer Entwicklung zu franz. gen-d-re und titre, Amnbsp;interessantesten sind für uns natürlich immer die Mundarten,nbsp;WO sich die Entwicklung der Sprache noch in rein natürlichernbsp;Weise vollzieht, und in ihnen treten denn auch die Metathesis-erscheinungen in reichstem Malie auf. Wahrend der gebildetenbsp;Italiener immer nur telegrafo {Fernschreiber \) sagen wird, be-kommen wir im Dialekt das Wort auch in der Gestalt telefragonbsp;zu horen, wie parola {Wort) dort auch als j9ffilora erscheint usw.,nbsp;wobei wir sogleich an manche Erscheinungen in unsern eignennbsp;Mundarten erinnert werden, so u. a. an die Tatsache, dali die dia-

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Kapitel III.

lektische Form für unser Bachstehe (nd. wackestert) nicht nur als beinsterts, sondern mit sekundarer Lautumsetzung auch als atein-'bertse (so z. B. im Schmalkaldischen) auftritt. Genau dasselbenbsp;aber, was wir hier vor sich gehn sehn, zeigt sich uns überall,nbsp;so im Altindiscben, wo wir z. B. neben Jcarënus (Elefant) einnbsp;kanëius, gegeniiber arüla {brünstiger Elefant) ein «la ra vor-finden, so im Neuindischen, wo wir bud [sinhe^i) auch in dubnbsp;umgesetzt sehn, und so begegnet uns auf jenem Sprachgebietenbsp;ein ursprüngliches dev-ata (Feuer), das eines ürsprungs ist mitnbsp;dem griech. êd(/)-tü) (brennen), mit dem ai. dav-ds [Brand)nbsp;u. V. a., daneben auch als detava. Auch auf dem baltisch-slawi-schen Sprachgebiete tritt uns die Erscheinung in zahlreichennbsp;Beispielen entgegen, so erscheint das serb. vas [all^ jeder) — aksl.nbsp;ves-e= nsl. ves, vsa, vse und lit. vis-as — in neuer Umbildungnbsp;auch als sav (sva), das sorb, drest (Wasserpfeffer) als poln., russ.nbsp;rdest, so steht dem osorb. post (Fasten), das in seiner Form demnbsp;aksl. post-o {Fasten) und dem got. fast-aw = nhd. fast-en ent-spricht, das nsorb. spot {Fasten) gegeniiber und ebenso das lit.nbsp;kep-M {ich baeJce) dem aksl. pek-a {ich backe), so lautet fernernbsp;im Gegensatz zum aksl. mog-yla {Erdhaufen) dasselbe Wort imnbsp;Neuslowenischen, Serbischen und Kroatischen gom-ila, wie imnbsp;Albanesischen beide Formen als gam-ule und mag-M(e dichtnbsp;nebeneinander stehn; so steht dem russ. mag-azin {Magazin)nbsp;dasselbe Wort im Neuslowenischen als gom-a^m gegeniiber, undnbsp;wahrend wir in der Bedeutung' Oehirn' im Altkirchenslawischennbsp;mozg-u und ebenso imPreuBischenmuzg-ewo finden, treffen wir imnbsp;Litauischeu dafür die Form smsig-enés, dasselbe Wort, das imnbsp;Avestischen als mazg-a und im Neupersischen als magz erscheint.nbsp;Mit einer sekundaren ümlagerung haben wir es natürlich auchnbsp;zu tun, wenn wir zwei Formen so übereinstimmend nebeneinander finden wie im Albanesischen veV-endze und Vev-mdzenbsp;(Wolldecke) oder l'ag-dp und gal’-dp {ein Familienname), wahrendnbsp;wir z. B. einem Falie wie dem Nebeneinander von Ut. dafz-asnbsp;{Oarten) = lett. darz-s (Oarten) und lit. zafd-is (Bofigarten)nbsp;gegeniiber mit unserm Urteil schon vorsichtiger sein müssen.nbsp;Wohin wir sehn, überall treffen wir die ewige Wirksamkeit unsersnbsp;Gesetzes. Dab die Lautumsetzung besonders leicht bei der Auf-

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Differenzieruiig der Wurzol durch die verschiedne Lagerung usw. 45

nahme von Fremdwörtern eintritt, die für die aufnehmende Sprache noch ganz flüssiger Sprachstoff sind, ist so natürlich, daB wirnbsp;nur darauf hinzuweisen brauchen, and jeder kann hier die in-teressantesten Beobachtungen machen, wie sich die einzelnennbsp;Sprachgenossenschaften den neuen Stoff in ihrer Weise zu mund-gerechtem Gebrauch umbilden. So niramt das Sorbische unsernbsp;deutsches ‘'Klammer auf als klamra, bildet es aber sehr baldnbsp;um zu kramla, so formt sich der Romer das griecb. zQciTte'Ci-TTjQ (Geldwechsler) aus trapezlta um zu tarpesslta, und umge-kehrt erscheint die römische MaBbezeichnung sextarius (= dernbsp;sechste Teileines congius) im Griecbischen als ^éöxrjg oder ^sariov,nbsp;genau so wie das franz. sergent {Sergeant) im Munde des deut-schen Volkes die Form Scheraant angenommen bat. Die vielennbsp;Falie von sekundarer Metathesis auf germanischem, besondersnbsp;die auf deutschem Spracbgebiete sind zu einem groBen Teile sonbsp;bekannt, daB wir nur kurz an Einiges davon zu erinnern brauchen. Eins der bekanntesten Beispiele ist hier unserdasnbsp;dem Lateinischen als Lehnwort entnommen ist und in Überein-stimmung mit dem lat. ac-ëtum {ac-eo = sauer seinl) im Go-tischen als akeit und ebenso im Altsachsischen als ekid, imnbsp;Mittelniederdeutsclien dagegen als ettik und im Althochdeut-schen als ezzih erscheint, womit die heutige Form des Wortesnbsp;gegehen ist, wahrend uns im schweizerischen «chis dazu wieder dernbsp;andre Typus begegnet. Dem got. wair-i?ós {die Lippen) gegen-über tritt uns ferner im Angelsachsischen die Form welevas ent-gegen, und im Ahd. treffen wir ein und dasselbe Wort zugleicbnbsp;als elira und als erila an, sodaB wir noch heute über die Doppel-formen Eller und Erie verfügen. Das aisl. a\-ad {Nahrung), dasnbsp;eines Ursprungs ist mit dem lat. al-ere {nahren), finden wir auchnbsp;in adal umgesetzt, wie dem aisl. kit-Za = mhd. ^itz-eln gegen-über dasselbe Wort im Engliscben als mengl. tïk-elen = nengl.nbsp;to tick-Ze erscheint, und wenn wir das altbochdeutscheKompositumnbsp;naba-gër (Bohrer) vor uns haben, so werden wir leicbt nach-füblen, was wirklich eingetreten ist, daB sich namlich in dernbsp;mittlern Lautgruppe eine Umsetzung vollziehn und dasWort auchnbsp;die Form nagahêr annehmen kann, zwei Gestalten, in denen esnbsp;dann auch noch im Mhd. als nebegêr und negeber u. a. neben-

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Kapitel III.

einander erscheint. Eine zweifaclie Umsetzung beobachten wir in dem ags. cirps-ia% gegenüber dem lat. crisp-are {schwingm),nbsp;unser nhd. Amsel finden wir im Ahd. neben amsala auch innbsp;der Form amAsld, und es ist uns eine ganz gelaufige Tatsache,nbsp;dab scbon im Mhd. für dasselbe Insekt die Bezeichnnngen wesp-enbsp;und weps-e (webs-e) oder wefs-e (abd. wafs-a) nebeneinandernbsp;auftreten, zwei hier in direkter Abhangigkeit verbundne Formen,nbsp;die wir getrennt sehn im lat. vesp-a auf der einen und im lit.nbsp;vaps-è auf der andern Seite. Unser nhd. ‘Nadef ferner, dessennbsp;Zusammenhang mit dem ahd. nd-jan = nhd. nae-hen auf dernbsp;Hand liegt, lautet in seiner historischen Entwicklung im Goti-schen nê-pla, im Ahd. nd-dala und im Mhd. na-dele (so auchnbsp;engl. nee-dle usw.), die weitaus gelaufigere Form aber ist imnbsp;Mhd. walde, die im Ndl. als waalde sogar zu vollkommner Herr-schaft durchgedrungen ist: wir sehn hier also dieselbe Lautum-setzung vollzogen, wie wir sie oben im span. tilde — titulumnbsp;beobachtet haben. Und so treten uns nun gerade bei den vi-brierenden Lauten l und r die Metathesiserscheinungen überallnbsp;in Fülle entgegen: schon im Ahd. sehn wir Krist (Christus) auchnbsp;als Kirst erscheinen, und nebeneinander stehn mhd. brinn-ennbsp;[brenn-en) und birn-en = ags. beom-an, bresten und berst-en,nbsp;dritte und dirte, vürhten und vvvJiten — ags. forhtian und fioh-tian u. V. a., die wir im Dialekt noch heute z. B. als nd. [réchten, dörtig (== dreifiig) usw. antreffen, wie uns hier ja auch dienbsp;Form ék drsif für ich durf u. a. etwas ganz Bekanntes ist. Sonbsp;haben wir ferner im Aisl. dasselbe Wort als ars (Arsch; =nbsp;griech. ogQ-og lt; ÖQO-og) und rass nebeneinander, und hrossnbsp;(Bofl) hat dort sein hors neben sich, die Form, die das Ags.nbsp;durchweg gebraucht, wahrend im Mhd. wieder ros und ors gleichnbsp;haufig gebraucht werden; es ist dieselbe ümwandlung, in dernbsp;wir unsern Roland im Italienischen als Orlando wiederfinden, unsernbsp;frisch im Ags. als fersc, das ahd. forz-an [furz-en) im Aisl. alsnbsp;frot-a oder unser dorch im Englischen als through. Nebennbsp;donerstac oder donrestac wurde im Mhd. auch die Form domstee gebraucht, die in mitteldeutschen Gegenden noch heute le-bendig ist; in umgekehrter Weise entwickelte sich das alte hürnnbsp;ouge {Hornauge) zu dem jetzigen unverstandnen Hühnorauge.

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Differenzierung der Wurzel dureh die verschiedne Lagerung usw. 47

Wie unser IMlt-en ferner sein bo\lc-en zur Seite hat, so stelit im Ags. hreht neben heiM (glanzend), ein Verhaltnis der Form en,nbsp;das uns noch heute entgegentritt in dem Nebeneinander der zahl-reichen Eigennamen mit -ber(h)t und -breekt, wie z. B. Wall-hrecht: Her-ber{h)t oder Ber(h)t-höld, und allgemein bekannt ist,nbsp;wie neben unserm brunn-ew dasselbe Wort als born steht (got.nbsp;brunn-a, ags. hurn-a usw.), wobei man noch besonders an Orts-namen wie /Sc/iöwbrunn, ffeilhrojm, Paderhom denken mag.nbsp;Aus dem Bereiche der Eigennamen sei hier schlieBlich nochnbsp;kurz erwahnt, wie im Deutschen neben den Personennamennbsp;Ulrichs die sekundare Form Uvlichs getreten ist, wie sich dernbsp;Name Ignatius auBer zu Natz u. a. auch zu Nagafe entwickeltnbsp;hat, einer Form, die nur durch Metathesis möglich gewordennbsp;ist, wie das alte Vlbo (Hafenstadt an der WestJcüste von Brut-tium in Italien) heute Bivöwa lautet, wie uns unser Waldemarnbsp;auch in der Form TFladimir begegnet u. v. a., und so erinnernnbsp;wir uns auch daran, daB es derselbe Stadtename ist, den wir innbsp;Serbien als Belgvamp;d und bei uns in Pommern als Belgard an-treffen, dem sich Starg^-rA u. a. anschlieBen, und indenNeckarnbsp;sehn wir zwei Flüsse miinden, deren gemeinsamer Name nurnbsp;durch eine kleine Lautumsetzung leicht differenziert ist, die Remsnbsp;und die Erms.

So sehn wir unser Gesetz von der Zeit an, wo sich der ürstoff zuerst unter ihm geformt hat, fort und fort im Lebennbsp;der Sprache weiter wirken. Dabei kommen wir natürlichnbsp;manchen Erscheinungen gegenüber in die Lage, nicht mit voll-kommner Sicherheit sagen zu können, ob wir sie als primarenbsp;oder als sekundare Wirkung unsers Gesetzes aufzufassen haben,nbsp;d. h. ob die betreffenden Wurzelformen selbstandig nebeneinandernbsp;stehn, oder ob die eine sich nachtraglich aus der andern entwickelt hat, sodaB sich dann die historische Frage erhebt, welchenbsp;Form die ursprünglichere ist. Im allgemeinen müssen wir hiernbsp;hen Standpunkt einnehmen, daB wir nur da zwischen zweinbsp;Formen ein Abhangigkeitsverhaltnis erkennen dürfen, wo deut-liche Gründe der historischen Entwicklung ein solches erweisen,nbsp;wie wir es eben an vielen Beispielen gesehn haben, oder wonbsp;es durch andre, besonders durch innere Gründe relativ wahr-

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Kapitel III.

scheinlich gemacht wird. Wenn wir z. B. im Griechischen die Wurzel tek quot;erzeugen innerhalb des Verbums in allen Zeilennbsp;in dieser Form (Fnt. 'réx-aofiai, Aor. è'-tex-ov, Perf. té-Toy.-a),nbsp;nur im Prasens dagegen als ri-xr-co antreffen^ so sind wir be-recbtigt, bierin eine sekundare Lautumsetzung aus einem ur-sprünglicben vï-tx-io zu sebn, die sicb aus dem Grunde der be-quemern Lautgruppierung mil derselben Notwendigkeit vollzogennbsp;bat, wie sicb der Name unsers Moltke im Munde des Volkesnbsp;umsetzt zu Molkte. Dab dabei die Anlebnung an die zablreicbennbsp;Prasentien auf -tw der Einbürgerung der neuen Wortform nurnbsp;günstig sein konnte, liegt auf der Hand. Sekundare Lautumsetzung liegt natürlicb aucb vor, wenn wir sebn, wie aufnbsp;einzelnen Spracbgebieten ganze Wortgruppen im Gegeusatz zunbsp;andern Spracben in andrer Lagerung der Laute erscbeinen, wienbsp;z. B. im Armeniscben, wo die Lautverbindungen hr, tr, Ter usw.nbsp;gegenüber den andern idg. Spracben in umgekebrter Folge alsnbsp;rh, ft, rk usw. erscbeinen, oder auf romanisebem Spraebgebiete,nbsp;wenn wir in Anjou durebgebends statt re im Wortkörper dienbsp;Verbindung er antreffen u. a. Überall, wo solcbe Anbaltspunktenbsp;für eine direkte Verbindung z wiseb en versebieden gelagertennbsp;Wurzelformen niebt verbanden sind, bat man sie als selbstandignbsp;nebeneinander stebend anzusebn, womit wir zugleieb bemerktnbsp;haben wollen, dab man bei einigen unter den als sekundar an-geführten Fallen die Möglichkeit einer primaren Auffassung offennbsp;lassen mub und umgekehrt.

Doch ob im Einzelfalle eine primare oder eine sekundare Wirksamkeit unsers Gesetzes vorliegt, für seine Beurteilung aunbsp;sicb ist dies gleichgtiltig. Wir sebn, dab wir es mit einem wirk-lichen, ewigen Gesetze zu tun haben, das in dem ganzen Eeicbenbsp;der Sprache gewirkt bat, wirkt und weiter wirken wird, undnbsp;in wie hohem Grade wir für die Vollziehung der Metathesisnbsp;veranlagt sein müssen, das können uns schlieblich jeden Tagnbsp;aufs neue die überaus haufigen Falie von Versprechen diesernbsp;Art zeigen, die wir namentlich bei Kindem und überhaupt beimnbsp;naiven Menschen beobachten. Aber aucb der Erwachsene unter-liegt noch immer dem Zuge dieses Gesetzes, und nur von demnbsp;Grade seiner Sprachsebulung und des damit verbundnen be-

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Differenzierung der Wiirzel durch die verschiedne Lagerung usw. 49

wuCten Willensaktes hangt es ab, ob er dem Zuge zu widerstehn vermag. Erfahrt es nicht sogar der Gebildete immer wieder annbsp;sich, wie er sich unter Umstanden ordentliche Mühe geben muB,nbsp;sich z. B. bei den beiden Wörtern conseivieren und conveisieren,nbsp;in denen die mittlern Lautgruppen zufallig im Verhaltnis dernbsp;Metathesis zueinander stehn, nicht zu versprechen! Oft gebennbsp;wir auch bewuBt in scherzhafter Weise der Wirkung des Ge-setzes nach, besonders wenn das neue Kesultat einen ent-sprechenden Sinn ergibt — man denke an ümbildungen wienbsp;Freischütz zu Schreifritz u. dgl. —, und das scherzhafte eo pisonbsp;der Studentensprache, eine ümsetzung, zu der der Antrieb effenbar in dem sehr starken Hiatus von eo ipso [durch sich selhst)nbsp;gegeben ist, kann von jetzt an auch von einer ernsten Seite be-trachtet werden.

Es ist ein weiter Weg, der uns geführt hat von tim-or: met-us bis herab zu der eben erwahnten scherzhaften Neubildung,nbsp;und doch ist es dieselbe ewige Schöpfungskraft, die wir hiernbsp;wie dort wirken sehn. Wir wissen, welche Geisteskraft unsnbsp;diesen Weg geführt hat, auf dem nun auch das einzelne seinenbsp;'allgemeine Weihe’ erhalt, wissen es, daB es nicht auBere Kennt-nisse gewesen sind, und waren sie auch noch so umfassendnbsp;gewesen, sondern daB es 'der Einklang war, der aus dem Innernnbsp;dringt’, der Drang nach dem ürquell alles Werdens, und hierhinnbsp;richten wir auch jetzt am Schlusse dieser Betrachtungen wiedernbsp;unsern Bliek, um tiefer und tiefer die Erkenntnis zu fassen, wienbsp;die Natur von vornherein in dem Schöpfungsprozesse der Sprachenbsp;ihren Drstoff, die Wurzelgebilde, durch das einfache Mittel dernbsp;verschiednen Lagerung ihrer Bestandteile zur Mannigfaltigkeitnbsp;geformt und damit eine Bedingung für die reichste Entwicklungnbsp;von Anfang an in sie hineingelegt hat. Wie oft mag sie dienbsp;Wurzel schon immer aufs neue in ihren Bestandteilen verschiedennbsp;gelagert haben — und in diesem Sinne kann keins der auf unsnbsp;gekommnen Gebilde primar genannt werden — bis zu der Zeit,nbsp;WO für ihre Formen die historische Überlieferung beginnt!

leyer, Die Schöpfung der Sprache.

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50 nbsp;nbsp;nbsp;Kapitel IV.

Kapitel IV.

DifferenzierungderWurzel durchden generellen Wechsel zwischen Liquiden und Nasalen.

Nachdem das vorige Kapitel die Zeitfolge in der Entdeckung der Gesetze unterbrochen bat, knüpfe ich hier wieder an dienbsp;Ansfühmngen des zweiten Kapitels an. Nicht viel spater, alsnbsp;mich die vokalische Differenzierung der Wurzel über das bloBenbsp;Wissen hinaus zu beschaftigen anfing, wnrde meine Aufmerk-samkeit in gleicher Weise mit wachsender Kraft von einer auber-lich allbekannten Erscheinung angezogen; es war dies der jedemnbsp;Sprachkenner gelaufige Wechsel zwischen den sog. liquidennbsp;Lauten l und r. Zunachst sah auch ich in diesem Wechselnbsp;nichts andres als die nackte Tatsache, dab diese beiden Lautenbsp;unter gewissen sekundaren Bedingungen ineinander übergehnnbsp;können. Die Achtnng vor der Bedeutung dieser Erscheinung mubnbsp;bei uns aber in dem Mabe wachsen, als wir uns im Eeiche dernbsp;Sprache umsehn: überall, wohin unsre Blicke reichen, tritt sienbsp;uns ohne irgendwelche raumliche oder zeitliche Beschrankungnbsp;entgegen. Als ganz bedeutsam komrat dazu nocb die Beob-achtung, dab jeder dieser beiden Laute nicht selten auch durchnbsp;einen der nasaleu Laute m und n vertreten wird, und auch diesnbsp;wieder hier wie dort. Wir brauchen nur zu erinnern an dienbsp;dorischen Erscheinungen '^vamp;ov {ich ham), q^iwarog (der liebste),nbsp;(JévTiatog {der beste) gegenüber den allgemein üblichen fild-ov,nbsp;q'LXratog, ^skriarog, an die italienischen veleno (Gift), Palermo,nbsp;melanconia, die sekundar entstanden sind aus veneno = lat.nbsp;venenum, lat. Panormus = griech. ndv-oQiJ,og, melancholia,nbsp;ferner an die deutschen Kümmël und Knoblauch, wobei wir dienbsp;primare und die sekundare Form als ahd. chumin (= lat. eu-mlnum) und chumil und ebenso als mhd. Mobe-louch und haobe-louch noch nebeneinander vorfinden, oder wie gegenüber demnbsp;lat. nïdus (Nest) lt; nizdus und unserm Nest dasselbe Wort imnbsp;Litauischen als ligdas {Nest) erscheint. Und dab auch m und nnbsp;unter sich wechseln können, lehren uns Beispiele wie das frz.

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DiffereHzierung der Wurzel durch den generellen AVechsel usw. 51

mppe (Tischtuch) in seiner Entwicklung aus dem lat. mappa {Tuch, Serviette) oder das mhd. pflume in seinem Verhaltnisnbsp;zum lat. prünum {Pflaume), von denen das letzte sogar zwei-fachen Lautwandel aufweist, wahrend uns im Mhd. und dia-lektisch auch noch im Nhd. daneben auch noch die Form pfrümenbsp;(prüme) hegegnet. Bei allen diesen Erscheinungen aber werdennbsp;wir über die rein sekundare Auffassung schwerlich hinaus-kommen, wenn wir in ihnen auch bei ihrer groBen Zahl undnbsp;Verbreitung in besondrer Weise etwas von einer lautgesetzlichennbsp;Notwendigkeit, also von wirklicher GesetzmaBigkeit ahnen können.nbsp;Erst von dem Aiigenblicke an, wo uns der Drang nacb Erkennt-nis des Wesens der Spracbe das Auge unverwandt auf dienbsp;Wurzel richten heifit, kann sich unsre Auffassung über den Laut-wechsel vertiefen, und es muB unsre Gedanken nachhaltig be-scbaftigen, wenn wir, wie bei der vokalischen Abwandlung dernbsp;Wurzel z. B. au dem Verhaltnis mhd. han-.huon, so hier annbsp;einem Beispiele wie lat. pluv-ia [Regen): pru(v)4tta [Reïf) erkennen, wie die Differenzierung der Laute in den Dienst einernbsp;auBern ünterscheidung wesensverwandter Begriffe getreten ist.nbsp;Das weist schon bedeutungsvoll über das rein sekundare Geschebnnbsp;hinaus, und nicht lange mehr, so muB uns bei der Richtungnbsp;aller Krafte auf dasselbe Ziel bin dieser Lautwechsel als durch-gehende Erscbeinung primarer Natur, d. h. als Gesetz entgegen-treten, und was sich in den obigen Beispielen nur wiederboltnbsp;bat, das bat sich auch bei der ürschöpfung der Spracbe geltendnbsp;gemacht: injeder Wurzel, die einen liquiden oder einennbsp;nasalen Laut als konsonantischen Bestandteil ent-halt, kann von vornherein ein beliebiger, generellernbsp;Wechsel zwischen den Lauten 2, r, m, n eintreten.nbsp;Die Wurzel gen z. B. kann danach also auch die völlig gleich-wertigen Erscbeinungsformen gel, ger und gem annebmen,nbsp;eine Erkenntnis, die eine neue, weite Aussicht eröffnet,nbsp;zumal in ihrer Verbindung mit den beiden andern Sprach-gesetzen.

Den Reigen der Beispiele, die das Gesetz zur Anschauung bringen sollen, moge unser deutsches ^scheinen eröffnen, dessennbsp;Wurzel wir insamtlichen vier Erscbeinungsformen nebeneinander

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Kapitel IV.

vertreten find en als got. skein-aw (schein-en, leuchten), als got. skeim-a (Leuchter) = mhd. schim-e {Qlanz, Strahï) und nhd.nbsp;schimm-ern, als nlid. schill-ern und als got. skeir-s {hlar^ deut-lich, glanzend). Ebenso hat das lat. cZe-, of- fen-cf-o (aamp;-, drauf-schlagen, anstofien) seine Erscheinungsformen fer und fel nebennbsp;sich im lat. itx-lre (schlagen, stoken, treffen, toten) und imnbsp;lat. re-fell-ere {ahschlagen, zurückweisen, widerlegen), denennbsp;sich das aisl. ber-ia (schlagen) und das griech. (póv-og {Mord)nbsp;anreihen, und im Griechischen begegnet uns ein und dasselbenbsp;Wort mit der Bedeutung ^Grund, Grundlage unterschiedslos alsnbsp;¦d-éfi-sS-kov, ¦d'él-vgvov und dév-aq. Im vorigen Kapitel habennbsp;wir das ai. kar-M^ {Sanger, Dichter) in seiner Verbindung mitnbsp;dem ai. ark-ds {Lied) wie mit dem lat. oar-men {Lied, Gedicht)nbsp;kennen gelernt: es ist dieselbe Wurzel, die uns auch entgegen-tritt im lat. can-ere {singen, überhaupt Tone von sich geben), imnbsp;air. can-iwi fich singé) und im lat. Cam-ewa {Muse des Gesanges)^),nbsp;sodaB wir im Lateinischen die Wurzel als car, can und cam innbsp;aller Deutlichkeit nebeneinander haben. Im vorigen Kapitelnbsp;haben wir ferner die Wurzel des griech. xaDéw {rufen) in zahl-reichen Wortgebilden kennen gelernt: mit der andern Liquidanbsp;oder mit einem der beiden nasalen Laute erscheint nun dieselbenbsp;Wurzel im griech. x'Jjp-Ujc-g {Ausrufer, JLerold) mit y.rjq-vTtwnbsp;{ausrufen, verhündigen), in •naQ-y.aQ-uo {ertönen, wiedertönen),nbsp;in xav-ttX'^ {Gerausch, Ton, Klang) mit y.av-d'Co} {Gerauschnbsp;machen, tonen), in xóv-a^og {Schall, Gerausch), in xóii-uo-gnbsp;{Schalt, Gerausch), in (irix-dogai {mecJcern, hlölcen) wie in (lï'x-dogai (brüllen] dumpf tonen) und in óyx-dogaL {brullen),nbsp;ferner in den lateinischen Gebilden prae-cö{ii) {Ausrufer, Herold)nbsp;und arc-mo (herbeirufen), das also dem lat. lac-esso {hervor-rufen) ganz parallel geht, im ahd., mbd. har-ew {rufen), im aksl.nbsp;rek-d {sagen) u. a. Ja wir kommen nun hier zu der Erkenntnis,nbsp;daB diese Wurzel von der eben genannten Wurzel ‘singen' garnbsp;nicht verschieden ist, sondern daB es sich in all den mannig-

') Wenn es sich bestatigen sollte, dall das lat. Camena wirklich auf Casmena zurückgeht, so würde dor Wurzeltypu's cas vorliegen und dasnbsp;Wort erst in Kap. IX aufzuführen sein.

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Differenzierung der Wurzel durch den generellen Wechsel usw. 53

faltigen Wortgebilden nur um eine Wurzel handelt mit dem all-gemeinen Bedeutungsinhalte 'einen Laut von sicli geben . In ebenso deutlicher Weise tritt innerhalb einer andem Wurzel unsernbsp;Lautwechsel hervor aus dem lat. in-, ac-cen-ci-o {anzünden, innbsp;Brand steeleen), lat. cam-mws = griech. itag,4vog {Ofen, Kantin,nbsp;Esse), lat. cul-ma {Küche), lat. cal-or (TFame, Ritze), griech.nbsp;x^X-sog (hrennend), ai. ^nai-ayaü (versengen), lit. kur-ia = lett.nbsp;kur-it (heizen), av. raêk-a {Esse), und so zeigt uns auch ein undnbsp;dieselbe Wurzel ihre verschiednen Formen in den griechischennbsp;Wörtern xoX-covóg, -évrj {Hügel), xoX-ocpóv {Oipfel, Spitze), koq-v(fi) {Gipfel), xaQ-gvov {Qipfel), öya-og {Hügel, Erhabenheif),nbsp;in den lateinischen cul-men {Gipfel), cum-ulus {Gipfel), eoll-isnbsp;{Hügel, Anhöhe), ex-céÜ.-o (hervorragen), arc-s {Anhöhe, Burg),nbsp;wie im frz. cim-e {Gipfel), ferner im got. hall-zts {Fels), imnbsp;engl. hill {Hügel) u. v. a. Wie der Grieche ferner seinnbsp;Log {Sanne) mitnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Mond), der Romer sein sol {Sanne)

und der Litauer sein saul-é {Sanne), so bat der Germane sein mhd. sunn-e = got. sunn-a, -ö, und ganz von selbst melden sichnbsp;nun als Angehörige derselben Wurzelfamilie das griech. aéX-agnbsp;{Licht, Glanz), das aksl. sin-i {heil, licht), das lat. sBï-ënus {heiter,nbsp;heil) und — das griech. {ö)ijix-éQa {Tag). Immer aufs neuenbsp;sehn wir, wie sich das Wesensgleiche auch in seinem Ausdrucknbsp;in der Sprache organisch zusammenfindet: Sonne und Tag, wienbsp;ürsache und Wirkung, wie Vater und Kind aufs engste ver-knüpft, sodab die dichterische Anschauung sie wieder unmittel-bar einander gleichsetzen kann. Und in einen solchen natur-notwendigen Zusammenhang tritt für uns nun auch unser 'quot;Meer,nbsp;das übereinstimmend als got. vaamp;x-ei, lat. mar-e, aksl. mox-je, air.nbsp;muir erscheint: es ist nichts andres als die schon im vorigennbsp;Kapitel aufgeführten Wortgebilde lat. man-ttre {fiiefen) mit amn-isnbsp;{Fluf}) und griech. vdii-a {Flufi, Quell, Naf), ein Typus derselben Wurzel, die in andern Gestalten auch vorliegt im griech.nbsp;liVQ-to {fliefen, triefen), in vdQ-óg {fliefend), in N7jQ-si}g {Meer-gott) und in Xlii-vr] {See, Teich, Sumpf; Meer). So selbstver-standlich der Begriff ‘Fluff zu 'fiieperi gehort, so selbstver-standlich muB auch der Begriff ‘Meer dazugehören, diese groBenbsp;‘Fluf, die alles FlieBende in sich aufnimmt. Und wenn wir

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Kapitel IV.

uns verwundert fragen, wie uns dieser selbstverstandliclie, ein-fache Zusammenhang zwischen dem lat. mar-e und man-are so lange hat verborgen bleiben können, dann miissen wir anchnbsp;nicht weniger überrascht sein, wenn wir nun das lat. cum-lnumnbsp;(Kümm-el) neben das griech. rd^-og, -ov {Kümmel), das lat.nbsp;cul-ec-s (Mücke) neben das griech. xcór-w/c-g {Mücicé) und beidenbsp;fern er neben das aksl. kom-aro {StechmücJcé) nsl., buig., serb.nbsp;Jcom-ar oder das griech. xóQ-ig (Wanze) neben das ihm ebensonbsp;ganz entsprechende lat. cim-ec-s {Wanze) halten. So hat auchnbsp;das griech. oéQ(p-og (kleines Insekt, Mücke) sein cgt;iXlt;p-r} {Schabe',nbsp;Büehermotte) neben sich, und neben vën-a (Ader) steht ini La-teinischen ein var-ic-s {Krampfader). Mit dem lat. tum-eonbsp;{schwellen, aufgeschwollen sein, strotzen) nebst txixn-idus (schwel-lend) verbindet sich das griech. rijX-og {Schwiele), und der Ge-danke an die eigne Muttersprache ruft hierbei sofort das Ver-haltnisvonmhd. swer-w {schwer-en, schtvellen), mhd.swer {ScMver-e,nbsp;Oe-schwür): mhd. swell-en {schwell-en), mhd. swil (Schiviel-e), got.nbsp;w/’-svall-ews (Aufschwellung) hervor. So deutlich wie in diesemnbsp;Nebeneinander von‘sc/iwer-ew’und ‘schwell-en\ Yon quot; Oe-schwürnbsp;und ' Ge-schivul-sf in unsrer eignen Sprache gibt sich der Laut-wechsel auch kund in dem Verhaltnis von griech. (pév-av-gnbsp;{Betrüger) zu (pf^X-og (betrügerisch) oder von lat. aamp;s-tem-wsnbsp;(enthaltsam, mafhg) zu ahs-tin-eo {sich enthalten), und dienbsp;zwingendste Beweiskraft muh für ihn enthalten sein in so gleich-förmig nebeneinander stellenden Beispielen wie got, ga-tèm-ibanbsp;{schicMich, ge-ziem-end) undnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{schicklich, passend), wie

griech. dxvX-ax-g und oxt^-vo-g, die hé-Aoquot;das junge Tier be-deuten, wie griech. XaX-éio {schwatzen) und XfjQ-og {Geschwdtz), wie lat. sim-MS {p)lattndsig) = griech. aig-óg und sll-m {platt-ndsig) oder wie im mhd. slium-e {schleunig, eilig) und in demnbsp;ihm ganz entsprechenden sliun-e nebst sliun-ec, die im Ahd. nichtnbsp;nur als slium-o, sondern auch als snium-o und slün-ic nebeneinander stehn, und die wir noch heute im Bayrischen als schleum-en und schleun-en oder sc/ikMW-e» antreffen, verschiedne Forniennbsp;derselben Wurzel, die auch im mhd. snel {schnell, eilig) vorliegt,nbsp;sodafi wir noch heute mit unsern ‘schnelV und quot;schleunig' imnbsp;Grunde ein und dasselbe Wort gebrauchen. Alte Bekannte, deren

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Differenzierung dor Wurzel durch den generellen Wechsel usw. 55

Verwandtschaft wir immer mehr oder weniger deutlich gefühlt haben, treten jetzt als Reprasentanten eines grundlegenden Sprach-gesetzes in unser BewuBtsein und gewinnen neuen Reiz für uns,nbsp;so das lat. mur-Ms (Maüer) und moen-ia {Stadtmauer) mit mün-ïre {ummauern), ebenso das lat. ver-eor [schenen, verehren) undnbsp;ven-eror [schenen, verehren), so ferner unser summ-eii und surr-en, das got, fón (Feuerj mit dem Genetiv fun-iws und das mbd.nbsp;flur [Feuer), das engl. dark (dunhel, trube) mit unserm dunk-e?nbsp;= mbd. tunk-e? (dunhel, trube), neben dem wir aucb im Mittel-bocbdeutscben selbst ein uer-terk-ew (verdunheln) antreffen. üm-gekebrt sind wir an zwei Wörtern, die sicb auBerlicb und inner-licb fast ganz decken, bisher ziemlicb abnungslos vortibergegangen,nbsp;icb meine das griecb. frtj (nicht) und das lat. në (nicht), die imnbsp;Altindiscben als ma und na sogar dicbt beieinander stebn, wienbsp;aucb das Verbaltnis des preuB. nus-o^^ (unser), des aksl. nas-wnbsp;(unser), des nbd. uns-er usw. zum lit. müs-A (unser) nie ge-nügend beacbtet worden ist, und docb liegt ibr Zusammenbangnbsp;nicbt weniger offen vor uns als etwa der zwiscben dem lat.nbsp;hTim-ilis (niedrig) und dem unverscbobnen got. haun-s (niedrig)-,nbsp;und so vereinigt sicb mit den Wortgebilden, die wir für den Be-griff quot;nacht' in allen andern Einzelspracben übereinstimmendnbsp;antreffen als ai. nag-zids, aksl. nag-w, lit. niig-as, got. naq-ajamp;-s =nbsp;mbd. nack-et, air. noch-t, lat. nüdus lt; nogvedos, nun endlicbnbsp;aucb das bisber abseits stebende griecb. yvii-vóg (nacht) undnbsp;mit ibm aucb das aksl. gol-u (nacht). Das griecb. jcd^^-ognbsp;(Muschel) ferner und xóy%-og, -t] (Muschel), das griecb. iptA-d?nbsp;(hahl, entblöpt) und das mit ibm ganz gleicbbedeutende xptjv-ög,nbsp;weiter das griecb. jtoQ-svofica (gehn, reisen) mit dem got. far-an (gehn, reisen, fahr-en) auf der einen und das lat. pal-arinbsp;(herumstreifen) auf der andern Seite, ebenso das lat. mor-anbsp;(Vermg) und das griecb. giv-g (Zaudern), das abd. scar-anbsp;(Schar, Abteilung) und das as. skol-a (Schar), und das mbd.nbsp;mun-t und mül, d. b. also unsre nbd. Mun-d und Maul, sienbsp;alle erweisen sicb je als ein und dasselbe, durcb den Laut-wecbsel differenzierte Wort. Von dem griecb.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(Seil,

Schnur) dürften wir genau genommen nicbt mebr sagen 'es beiBt Seil’, sondern 'es ist es’ = mbd. seil und sil (Seil, Riemen),

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56

Kapitel IV.

wie es auch ganz eins ist mit dem as. sim-o {Band, Stride, Seil) und mit dem griecli.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Riemen, Seil) nebst {aYqx-

ov-Lci {Brunnenseü), sodaB wir die Wurzel ser quot;binden , die wir im vorigen Kapitel in verscliiednen Formen kennen gelernt haben,nbsp;hier auch in den Gestalten sel und sem vorfinden, und ebensonbsp;haben wir vollstandig einander gleiehzusetzen das griech. axéX-og {SchenTcel) mit unserm schen-^e/ nebst dem mhd. schin-^enbsp;{Sdienhel), denen sich in umgelagerter Gestalt auch das lat.nbsp;cros {SchenJeel, Schienhein) anschlieilt, ferner das griech. nvélt;p-agnbsp;{Dunleeïheit, Ddmmerung) mit dem lat. oxe^-usmlum {Ddmme-rung), das für uns noch heute im frz. crépuscule {Ddmmerung) lebendig ist, dann das lat. fil-wm {Faden) mit fun-is {Seil,nbsp;Tau, Stride) und int-ula {Binde, Band), das griech. [ivq-ioinbsp;{zdintausend) mit dem lat. mill-e, vod-ia (tausend), das griech.nbsp;(lU-rog {Bötel, Mennig) mit dem lat. miorium {Menn-ig), dasnbsp;lat. aul-a oder oll-a {Topf) mit dem mhd. am-e {Ohm), und wienbsp;das griech. aaÜQ-a {Eidechse) für uns eins wird mit aaX-ag-dvöga {giftige Eidechse), so findet sich nun auch der aiyi-‘KOQ-s'óg {Ziegenhirt) mit seinem Kollegen (tov-nók-og {Rinder-hirt) von selbst zusammen. Ein und dieselbe Wurzel mit dernbsp;Bedeutung 'ein andrer haben wir ferner schon unzahligemalenbsp;als al und an nebeheinander gebraucht, ohne daB uns die Ver-bindung wirklich zum BewuBtsein gekommen ist, als lat. al-iusnbsp;und al-fer, griech. a'k-iog auf der einen und als got. a.ï^•par —nbsp;mhd., nhd. amp;n-der, lit. an-tra-s nebst preuB. an-tar-s, ai. an-^anbsp;auf der andern Seite, die sich genau so entsprechen wie dasnbsp;griech. ^aX-aveïov {Bad) und das aksl. ban^/a {Bad), und sonbsp;gibt es zahllose Wortgebilde, die wir nur nebeneinander zu stellennbsp;brauchen, damit sie zu einem einhelligen Zeugnis für die Gesetz-müBigkeit des sprachschöpferischen Vorgangs werden, den wirnbsp;in dem auf uns gekommnen Stoffe wahrnehmen. Man beobachtenbsp;z. B. Verbindungen wie griech. jtsQ-Lareqd {Taube): nék-ecanbsp;(Taube) und lat. pal-umbes {Taube)', griech. goq-iaaco {be-fledeen): goX-vvto {befledcen) nnd ax. mal-inas {schmutgig), dazunbsp;auch noch das neugriech. XeQ-óvto (beschmutzen) und das alb.nbsp;1’er-ds (beschmutzen); griech. péQ-igva {Sorge) •. fisk-érrj {Sorge),nbsp;griech. xoQ-óvr] {Krdhe): xoX-oióg {Dohle), lat. terr-a {Erde,

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Differenzierung der Wurzel durch den geiierellen Wechsel usw. 57

Land): nbsp;nbsp;nbsp;{Erde, Land), griech. (livê-og {Kot des Leihes):

lat. merd-a {Kot des Leihes), griech. oxaXX-io {scharren, he-hacken): mhd. scherr-eTO {scharren, graden) = nhd. scharr-m, lat. ien-ebrae {Dimkelheit): ai. tam-as und tdm-isra {Dunkelheit),nbsp;aksl. tem-a {Finsternis), lit. tém-i(i {dunkei werden), russ. tmanbsp;{Dunkei), ahd. dem-ar = nhd. Ddmm-er, -erung, air. tem-eZnbsp;{Finsternis) usw., dazu ferner npers. tar {finster), osset,nbsp;ifinster) und alb. ter-e {Finsternis), und man vergegenwartigenbsp;sich, wie in der Bedeutung ‘verkaufeK im Griechischen nebennbsp;5t6p-d(M {-vdco, -vrj-gi') und wi-jtQa-axio ein jttaX-éco, neben ëg-:rtoQ-og {Kaufmann) ein èg-jtoX-dio (kaufen) steht, als ver-schiedne Formen derselben Wurzel, die uns auch im griech.nbsp;stqi-agab {kaufen) und im mhd. veil-e {kduflich) begegnet. Dienbsp;Wurzel des griech. ó-övq-ogai, {wehklagen) ferner, die wir imnbsp;vorigen Kapitel im lit. raud-mj {ieh wehklagé) u. v. a. habennbsp;wiedersehn lemen, finden wir nun auch im griech. ö-ötiv-rjnbsp;{Schmerz, Traurigkeit) wieder, wie sich uns im Lateinischennbsp;forn-ac-s {Ofen) und furn-ws {Backofen) mit form-ws {warm) verbinden, und das lat. vul-tws {Gesicht) erweist sich als eine Er-scheinungsform derselben Wurzel, die in andrer Gestalt aus demnbsp;griech. {F)öq-dto{sehen) und ausunserm mhd. war-w {sehen, wahr-nehmen) zu uns spricht. So treten uns die Wurzelgebilde mitnbsp;den im Wechsel stellenden Lauten überall entgegen, oft genugnbsp;in geradezu schematischer Deutlichkeit wie z. B. in den griechischen Wörtern dijv (lange): óriq-óg {langedauernd): doX-r/ógnbsp;{lang, langedauernd), und ganz besonders eindrucksvoll muB esnbsp;auf uns wirken, wenn wir alle vier Wurzeltypen so deutlichnbsp;nebeneinander stehn sehn wie im griech. KaX-agog {Bohr, Halm)nbsp;= lat. c^-amus und evl-mus — mhd. hal-w: griech. xévv-anbsp;{Bohr) = lat. cann-a; griech. xdfi-ax-g {Bohr, Stangé): lat.nbsp;car-ec-s {Biedgras), oder w'enn wir zu den griechischen Wort-gebilden xsiQ-la {Binde, Verhand), xriq-ia {Binde), xaX-tognbsp;{Tau, Seil, Strick), xdg-lXog {Tau, Ankertau), xóg-dog {Band,nbsp;Schleife) und xióg-vA-g {Bundel) den vierten Wurzeltypus plötz-hch im lat. nec-Go {zusammenhinden, verknüpfen) entdecken undnbsp;damit zugleich für den Bedeutungsinhalt der Wurzel die voll-kommenste Bestatigung erhalten.

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Kapitel IV.

Es warea bisher überwiegend griechische, lateinische und germanische Beispiele, an denen wir den Lautwechsel aufgewiesennbsp;baben. Aber wieder gilt es natürlicli, was wir im vorigen Kapitel von dem Gesetze der Metathesis aussagen konnten: wohinnbsp;wir nun unsre Blicke richten mogen, auf dem ganzen Gebiete dernbsp;indogermanischen Sprachen müssen wir das an einem Punktenbsp;aus dem Wesen der Sprache erkannte Gesetz dieses Lautwechselsnbsp;bestatigt finden. ünd wenn uns sonst wohl auf den uns fernernbsp;liegenden Sprachgebieten zunachst ein Gefühl der Fremde über-kommen würde, so muB dieses jetzt von vornherein bedeutendnbsp;zurücktreten, denn oft genug erleben wir es, dab wir in dennbsp;Sprachgestalten, die uns dort begegnen, auf den ersten Blieknbsp;alte, liebe Bekannte aus der Heimat, aus dem Deutschen, Grie-chischen und Lateinischen wiedererkennen. Horen wir z. B.,nbsp;wie auf dem irischen Sprachgebiete das air. mar-im ‘ieh hleibénbsp;heifit, so wissen wir nun doch sofort, dab das ganz das lat.nbsp;man-eo (ich hleihé) ist, mit derselben Abwandlung der Form,nbsp;wie wir sie in dem Verhaltnis von lat. car-men {Lied) zu ean-erenbsp;{singen) oder von lat. mar-e {Meer) zu man-are (fliefien) soebennbsp;auf vertrautestem Gebiete haben kennen lemen, und mit einernbsp;ahnlichen unmittelbaren Sicherheit wird uns in dem lit. art-anbsp;{Segelstange) das lat. ant-emwa (Segelstange) wiederklingen. Sonbsp;ergeht es uns ferner mit dem ai. dar-«s {Ehefrau), in dem wirnbsp;sogleich das griech. öag-ag {Ehefrau) wiedererkennen, so mitnbsp;dem arm. siun {Saule) ^ in dem wir auf weit entlegnem Gebiete unser heimisches Saul-e (= got. saul-s, mhd. sul — siul-e)nbsp;wiederfinden, ganz wie wir im neupers. tf-stun {Saule) — dasnbsp;anlautende u ist ein sekundarer Vorschlag (Prothese) — dienbsp;griechischen Gebilde arViX-g {Saule) und (JtvX-og {Saule) wieder-antreffen, die andrerseits ja auch ganz eins sind mit den in dernbsp;Bedeutung quot;PfahV auftretenden Wörtern griech. öT:avQ-óg, aisl.nbsp;staux-r, ahd. stiur-a^ und wie vertraut mub uns gleich im erstennbsp;Augenblicke das alb. glu {Knie) sowohl wie das altir. glü-w {Knie)nbsp;anmuten, da wir in ihnen ohne weiteres das griech. yóv-v, dasnbsp;lat. gen-M und unser Knie (got. kni-w) wiedersehn. Form en derselben Wurzel, die wir u. a. auch im griech. Auy-dw (biegen)nbsp;wie im lit. Ixig-nas (biegsam) vor uns haben! Dab im Lateini-

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Differenzierung der Wurzel durch den generellen Wechscl usw. 59

schen mon-^-s quot;der Berg heiI5t, und daK dieselbe Wurzel als men im lat. ë-min-eo (hervorragen) vorliegt, ist uns eine vonnbsp;Kindesbeinen an gelaufige Tatsache, und so muB die Freude dernbsp;Überraschung doppelt groB für uns sein, wenn wir nun mit dernbsp;Kenntnis unsers Gesetzes zu diesen alten Bekannten neue hinzu-gewinnen im alb. mal {Berg) mit mal-e {Spitse, Gipfelj und imnbsp;aksl.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(hervorragen) ] und in derselben Weise sehn wir

das lat. pon-Gs {Brüche) vor uns wiederauftreten im av. per-etu {Brücice), im npers. pul {Brüche) und in den kurdischen Wortgebilden per, pir, pur-c? und pH, die aucb alle quot;Brüchenbsp;bedeuten. So finden wir weiter das griecb.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Mddehen,

Jungfrau) im Altindischen als kan-i?/« {Madchen, Jungfrau) = iran. kain-e {Mddehen) wieder, zwei Form en derselben Wurzel,nbsp;von der im Griechisclien xóQ-og {Spröfling, Knabe, Jüngling,nbsp;Sohn) — man denke an Jióa-xovQ-oi quot;Söhne des Zeus' —nbsp;und xé?.-toQ {Sohn) nebeneinander stehn, aus dem aksl. vër-anbsp;{Qlaube) tritt uns alsbald unser got. vên-s = mhd. wan (FJr-wartung, Hoffnung, Qlaube) hervor wie aus dem lett. sul-isnbsp;{Schritt) das got. sin-yamp;-s = mhd. sin-t {Gang, Weg, Fahrt)nbsp;mit dem lat. sëm-ito {Fufsteig, Pfad) und mit dem griecb. véfa)-ogca {gehn, hommen) nebst vóa-rog (Weg, Gang, Beise)] dasnbsp;aisl. laun {Geheimnis) deckt sich für uns auf den ersten Blieknbsp;mit dem got. rün-a {Geheimnis) = nhd. raun-en wie mit dem

air. run {Geheimnis), und wenn wir im Altirischen sowobl wie

im Altboclideutschen rïm in der Bedeutungquot;ZahV vorfinden, so wissen wir, dal5 es nichts andres ist als das lat. num-ems {Zahï);nbsp;im lit. sraig-é {Schneche) erkennen wir unmittelbar unser mhd.nbsp;sneck-e (snegg-e) wieder wie im lit. spain-é {Schaumstreifen)nbsp;das lat. spüm-a {Schaum), und dieselbe Wurzel, die uns aus demnbsp;Griechischen und Lateinischen nur in der Form gen bekannt ist,nbsp;lemen wir hier im Litauischen auch als gem kennen, namlichnbsp;als lit. gem-M {ich werde geboren), pó-gim-is {Natur): griech.nbsp;ysv-Éaü-ai. {geboren werden, entstehn), lat. {g)'aa,-t-ura {Natur).nbsp;In dem air. Xox-and {Donner) = cymr. tar-a» ferner sehn wirnbsp;sofort das lat. ión-itrus {Bonner) und unser ahd. don-«r {Bonn-er)nbsp;wieder wie im air. tul-ac/i {Hügel) das lat. tvvn-ulus {Hügel)nbsp;und damit auch das mir. tomm {Hügel) selbst, und ebenso

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Kapitel IV.

deutlich, wie uns aus dem lett. tur-e^ {halten, haten) das lat. ten-eo (halten, haten) hervortritt, verbindet sich uns das aksl.nbsp;rit -u mit dem ganz gleichbedeutenden lat. nat-es (HintertacJcen,nbsp;Oesafi). Auf Falie, die so an der Oberflache liegen wie dasnbsp;arm. astl [Stern, Gestirn) gegenüber dem griecb. aar^-ov [Ge-stirn) und unserm got. stair-nó [Stern), sei mit diesem einennbsp;Beispiel nur kurz hingewiesen. Nicht so unmittelbar wie beinbsp;den bisher angefnbrten Erscheinungen wird unsre Erkenntnisnbsp;sein, wenn mit dem Lautwechsel noch Metathesis verbanden ist,nbsp;aber dafür ist auch dann die Freude der Überraschung urn sonbsp;gröBer, wenn uns z. B. aus dem ai. tir-am [Ufer) mit einem-mal das vertraute lat. lit-m [Ufer, Gestade) hervortritt, wennnbsp;sich das ai. kars-Ss [Furche) mit kars-a^i [er pflügt) nicht nurnbsp;als das ahd. soar-o [Pflug-schar), sondern auch als das lat.nbsp;sule-Ms [Furche) und das ags. sulh (Pflug) enthüllt, wenn wirnbsp;in dem avestischen Superlativ tanc-isto [der Tcrdftigste) plötzlichnbsp;den bekannten griechisclien Superlativ xQui-iaros [der Jcrciftigste)nbsp;wiedererkennen, wenn sich uns das lett. lom-a [Teil), das russ.nbsp;lom [BruchstücJc) und das air. lin [Teil) mit dem griech. géQ-og [Teil) und so auch mit dem griech. [léX-og [Glied) und mitnbsp;dem lat. mamp;vn-brum [Glied) verbinden, wenn uns aus dem lit.nbsp;laik-as [Zeit) ganz unvermutet das bekannte griech. xaiQ-ógnbsp;[Zeit) anblickt, wenn uns das air. gel (wei/SJ in seiner Verwandt-schaft mit dem griech. aQy-óg [wei(ï) erscheint, oder wenn unsnbsp;die Wurzel des lat. merc-ator (Kaufmann), die wir im vorigennbsp;Kapitel schon im mhd. kram-er [Kaufmann) wiedergefundennbsp;haben, nun mit einemmal auch im ai. krin-awii [ich Tcaufe),nbsp;im aruss. kren-w^i [ich haufe) und im air. cren-iw [ich Tcaufe)nbsp;wieder entgegentritt, wie sich ebenso auch das lat. marc-eo [matt,nbsp;Icraftlos sein) im air. crin-aim [hinschwinden, zerfallen) wider-spiegelt. Wenn uns ferner aus den Verhaltnissen griech.nbsp;[Geschof, WurfspiefT): fdl-uo [werfen) und lat. jac-ulum [Wurf-spief): jac-io [werfen) die GewiBheit aufgegangen ist, dab auchnbsp;die Wurzel des lat. Xël-um [Geschofd, Wurfwaffe) nichts andresnbsp;enthalten kann als den Begriff quot;werfen, und dab uns dies andrenbsp;Formen der Wurzel irgendwo mit Sicherheit bestatigen müssen,nbsp;welche Genugtuung dürfen wir dann empfinden, wenn wir nun

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Differenzierung der Wurzel dnrch den generellen Wechsel usw. 61

dem aksl. met-crfi 'quot;werferi begegnen, und welche Gewalir für die Richtigkeit unsrer Anschauang über die Wurzel desnbsp;griech. v^6-og {Insel) wie des lat. im-ula (Insel) muB esnbsp;uns geben, wenn wir nun das lit. sal-a {Insel) dazuhaltennbsp;können! Daneben finden sich wieder in samtliclien Einzel-sprachen Beispiele von so sinnfalliger Deutlichkeit, dab es einenbsp;lautere Predigt für unsern Lautwechsel nicht geben kann.nbsp;Ganz bekannt ist die mit besondrer Haufigkeit im Altindischennbsp;auftretende Erscheinung, dab uns ein und dieselbe Wortform zu-gleich mit der einen wie mit der andern der beiden Liquidennbsp;begegnet, dab wir also z. B. die Wurzel des lat. rump-o (brechen)nbsp;Oder die des lat. luc-eo (leuchten) dort als rup- und lup- (brechen^nbsp;reipen) wie als luc- und ruc- {leuchten) nebeneinander antreffen:nbsp;so finden wir neben dem ai. roc-nfë [er leuchtet) ein lóc-anasnbsp;(erleuchtend), neben dem ai. samp;r-ati {er fliept) dieselbe Wurzel alsnbsp;sal im ai. sal-ilds (fliepend), wie sie uns z. B. auch im lat.nbsp;sal-um {Meer, See) und im griech. {o)dk~g {Meer) entgegentritt,nbsp;und ein und dasselbe Wort erscheint dort vor nns als léh-minbsp;{ich lecTc-e) und leh-mi, als sthur-as {grob, dich) und sthül-as,nbsp;als glv-ati {er verschlingt) und gil-afi, als mróc-afi und mlóc-afinbsp;{untergehn), als crath- und 9lath- {schlaff werden), als jvar-afinbsp;(heip sein, fiebern) und jval-afi (hrennen, flammen), als hval-ati und hvdr-afë {auf Abwege geraten, irre gehn) usw. usw.nbsp;Dab überhaupt das Arische, d. h. das Altindische mit demnbsp;Iranischen im Gegensatz zu allen übrigen indogermanischennbsp;Sprachen die Liquida r vor l mit einer fast durchgehendennbsp;Regelmabigkeit bevorzugt, ist eine der bekanntesten Tatsachennbsp;der Sprachgeschichte. Doch für uns erscheinen diese Tatsachennbsp;nicht mehr in ihrem besondern engen Rahmen, sondern erwei-tert zu dem von uns aufgedeckten Gesetz, und so finden wirnbsp;neben den Liquiden ebensogut auch die Formen mit den Nasalen m und n stehn. Dasselbe Wort finden wir im Altindischen als sva.x-ati {er tont, rauscht, erhlingt) und als svan-afinbsp;(er tont, rauscht, erhlingt) mit svan-ds {rauschend) nebeneinander,nbsp;zwei Formen einer Wurzel, die uns auch aus dem lat. s(v)on-Msnbsp;{Laut, Ton, Schall) mit 8(v) on-are {tonen) und aus dem ags.nbsp;8win {Musih, Oesang) bekannt ist; im Albanesischen treffen

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Kapitel IV.

wir bir {8ohn) und bil-e (Tochter) nebeneinander, wogegen das Lateinische in seinen fsl-ms (Sohn) und fil-ia (Tochter) fürnbsp;beide Bezeichnungen denselben Wurzeltypus aufweist, ebensonbsp;treffen wir dort mam-e (Mutter) und nan-e (Mutter) nebeneinander, ein Verhaltnis, dem das von ai. nan-a- (Mutter) zumnbsp;npers. mam-« (Mutter) genau entspricht; dem lit. baim-e (Furcht)nbsp;gegenüber begegnet uns dasselbe Wort im Lettischen als bail-enbsp;(Furcht), im Litauischen selbst wird ein und dasselbe Wort zu-gleich als mezg-w (ich stricJce) und als rezg-?'/ (ich stricJce) ge-braucht, und neben dem aksl. vlas-t^ (Haar) steht dasselbe Wortnbsp;im PreuBischen als wans-o (Bart). DaB die gestaltenreichenbsp;griecbische Sprache derartig nebeneinander stekende Formennbsp;in besonderm MaBe bewahrt und gepflegt bat, davon muBnbsp;schon eine kurze Durclimusterung ihres Wortschatzes über-zeugen: nebeneinander finden wir hier z. B. xavv-óg undnbsp;navQ-óg, beide in der Bedeutung von y.axóg (schlecht, bösé),nbsp;yav-og (Glanz, Heiterlceit) und yaX-sqóg (heiter), jtóQr.-ognbsp;(Fischernetz) und jtXéic-og (Flechtwerk), wozu man auch nochnbsp;das lat. plag-a (Netz) halte, ferner jtaQÖ-axóg (nafi, feucht)nbsp;und jtXaö-ïj (Nasse) mit jrkaö-oQÓg (nafl), xQay-stv (schreien)nbsp;und KXay-ËQÓg (schreiend),nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(der junge Trieh, Zweig)

und y.Qaö-r} (Ast, Zweig), zaQjt-dhgog (reiftend, schnell) mit xQaiüt-vóg (reikend, schnell) auf der einen und xa?.3t-ï]nbsp;(Trab) auf der andern Seite, eine Wurzel, die in unsrer eignennbsp;Sprache vorliegt im got. hlaup-a« = nhd. lauf-en und in um-gelagerter Gestalt im ahd. flioh-an = nhd. flieh-en usw. usw.nbsp;In der kargern lateinischen Sprache^ wie sie dem nüchternen,nbsp;praktischen Sinne des Bomers enfepricht, finden wir derartigesnbsp;nur verhaltnismaBig wenig, wie z. B. das lat. mug-M^ari (tmi-deln) neben m\g-ari (Possen treiben, tandeln), wie das lat.nbsp;carc-er (Gefdngnis, Plur. die Schranken) = griech. KdQK-ctQovnbsp;(Gefangnis) mit ca,nc-elli (die Schranken, das Gitter) oder wienbsp;das lat. manc-MS (gebrechlich, kraftlos, schwach) neben marc-eonbsp;(kraftlos sein) u. a. DaB wir bei diesen Erscheinungen nichtnbsp;auf den Gedanken kommen dürfen, als müBten die Formennbsp;in direkter Abhangigkeit voneinander stehn, sodaB die einenbsp;aus der andern entstanden ware, das lehren uns in eindring-

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Differenzierung der Wurzel durch den gonerelleu Wechsel usw. 63

lichster Weise die zahlreichen andern Falie, wo dasselbe Wort in der einen Sprache diese, in der andern jene Wurzelform auf-weist. So bat das Altindisclie in seinem kark-n/as {Krebs)nbsp;zwar dieselbe Wurzelform wie das Griechisclie in seinem xcepx-Lvos {Krebs), im Lateinischen aber finden wir in vollstandigernbsp;Selbstandigkeit ibnen gegenüber das Wort als canc-er {Krebs)nbsp;vor; so steht ferner dem lat. camp;ea-um {Schmutz, Kot) das aksl.nbsp;kal -u {Schmutz) wie das griech. xrjX-lg {Schmutg, Fleck) jedesnbsp;für sich genau so selbstandig gegenüber, wie im Lateinischennbsp;neben caen-um dieselbe Wurzel als m^ic-ula {Fleck) steht; sonbsp;finden wir dem lat. verm-is {Wurm) und unserm Wurm (got.nbsp;vaürm-s) gegenüber im Griechischen das Wort als {f)£Xn.-ivamp;-gnbsp;{Wurm) vor, und dem griech. néQ-a {Kopf) gegenüber be-gegnet uns dasselbe Wort im Mittelpersischen als kam-dr {Kopf)nbsp;und im Altirischen als cenn {Kopf). So erscheint über dasnbsp;ganze indogermanische Sprachgebiet hin dieselbe Wurzel baldnbsp;in dieser, bald in jener Form, und ist der Bliek erst für dienbsp;Erkenntnis der Wurzelformen genügend geübt und gescharft, sonbsp;werden ihm alle Gestalten, wo und wie sie auftreten, ohnenbsp;Unterschied bald ihr Wesen effenbaren müssen. Er wird dannnbsp;in dem mir. gem-ef {Fessel) alsbald das lat. lig-are (binden)nbsp;wiedererkennen wie in dem ai. bal-am {Kraft, Starke) das lat.nbsp;xFa-ur {Kraft, Starke) oder im aksl. plak-uifi {weinen, klagen)nbsp;das ai. krp-aiê {er jammert) mit dem.lat. crep-o {Gerauschnbsp;niachen); das av. ran-a {Schenkel) — npers. ran (Oberschenkel)nbsp;enthüllt ihm seine Gleichheit mit dem griech. grjQ-óg {Schenkel)nbsp;und genau ebenso das av. ran-a {Kampf) mit dem griech. iidq-va-gccL {kampfen)] aus dem lit. gal-ia {ich kann) wird ihm baldnbsp;das got. mag {ich kann, ver-mag) wie das aksl. mog-a {ich kann)nbsp;hervortreten, das lit. klüp-fi {stolpern, in die Knie fallen) undnbsp;klup-ofi (knien) wird sich ihm mit dem griech. ndfijt-ro) (krüm-men, beugen, bes. die Knie beugen) wie mit dem lit. kamp-asnbsp;{Winkel, Ecke) verbinden, in dem aksl. rab-w {Knecht) ~ serb.,nbsp;tschech., poln., russ. rob {Knecht) wird er nicht nur das got. arb-aip-s {Arb-eit), sondern auch das lat. lab-or {Arbeit) wiederselien,nbsp;aus dem aksl. wex-eti {sieden) wie aus dem lit. piis-viT-is {halbnbsp;gar) wird ihm alsbald das got. vnl-an {sieden) == nhd. auf-

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Kapitel IV.

wall-e5z hervortreten, und so wird er iiberall die organisch zu-sammengehörigen Gebilde, die oft genug sogar in derseiben Einzelsprache in auBerlich ganz verscbiednen Gestalten neben-einander stebn, zu verbinden lemen und z. B. mit intuitivernbsp;Sicherheit erkennen, daB das griech. ÓQdaao/iai lt;C ÖQdfj-ionainbsp;(greifen, fassen) ganz eins ist mit dem griech. ^avd-avto (fassen,nbsp;greifen) und so auch mit dem lat. pre-Yxeni-o (fassen, greifen)nbsp;wie mit dem got. /ra-hinp-aw (gefangen nehmen).

Mit der Erkenntnis dieses neuen Sprachgesetzes enthüllen sich uns also wiederum Zusammenhange, an die wir bisher nichtnbsp;gedacht haben, so offen sie zum Teil vor uns liegen. Wer istnbsp;sich z. B. der Verwandtschaft des griech. xav-ovv (Korb-, Oe-fafi, Schüssel) mit dem griech. xaX-ad-oQ-(Korl; Fafi, Becher)nbsp;bewuBt geworden oder hat es empfunden, daB das lat. ser-wsnbsp;(spat) nichts andres ist als das got. sain-/aw (sich verspciten,nbsp;zauclern) und als das mhd. süm-m = nhd saum-ew, eine Wurzel,nbsp;von der im Mittelhochdeutschen gegenüber dem einfachen sein-enbsp;(trage, langsam) das Kompositum sowohl als lanc-sein-e wie alsnbsp;lanc-s6\ia-e (langsam) erscheint! Katten wir nicht schon langenbsp;stutzig werden müssen, wenn wir in ein und derseiben Bedeutungnbsp;im Lateinischen ein ten-er (zart, fein, weich) und im Griechischennbsp;ein xéQ-fjv (zart, fein, weich) — ai. iamp;x-una (zart, jung) stebnnbsp;sahn, wahrend wir bisher nur das erste Wort zu vereinigen ge-wuBt haben mit dem lat. ten-wis (dünn, fein, zart), aksl. tin-ihu (dünn), lit. ten-uas (dünn), air. tan-a (dünn) und mhd.nbsp;dünn-e (dünn)\ Auch das griech. a-[iév-uov (hesser) batte unsnbsp;schon daran erinnern können, daB es ganz eins ist mit seinernbsp;lateinischen Schwester mel-ior (hesser), zumal da auch im Griechischen selbst die letzte Wurzelform in dem Vokativ amp; géX-snbsp;(mein Outer, Bester, Liêtier) daneben steht. Wohl haben wirnbsp;in unsrer eignen Sprache die beidennbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Wunscfi und'WiZfe’

schon oft genug in synonymer Verbindung angewandt, aber daB sie im Grunde völlig gleich sind, könnten wir bisher höchstensnbsp;geahnt haben: got. viil-ja = mhd. will-e: ahd. wun-sc. Es istnbsp;dieselbe weitverbreitete Wurzel, die im lat. vol-o (ich will) wienbsp;im lat. vën-ia (Eimvilligung, Willfdhrigheit, Erlauhnis) erscheint,nbsp;im aksl. vol-iti (ivollen), im ai. var-as (Wunsch) wie im ai. van-

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ati {er begehrt) u. v. a. So sind auch unsre deutschen Verben staun-m und starr-m wie stiernichts als verschiednenbsp;Formen derselben Wurzel, was sich in Verbindungen wie 'innbsp;staunendem Schweigen auf etwas starren immer aufs neuenbsp;kundgibt. Was die Wurzel des griecb. yijQ {Igel) bedentet, sagtnbsp;uns seine offenbare Verwandtschaft mit dem griecb. ysl-vQnbsp;(Schildkröte), mit dem es sicb in dem Begriffe 'kriecben zu-sammenfindet, und dieselbe Wurzel ist es aucb, die im griecb.

{Meerlcrabbe) und in andrer Gestalt im griecb. yag-aikécov (eine Eidechsenart) erscheint. So begegnet sich auch innerhalb einer andern Wurzel 'kriechen das lat. lac-erta {Ei-dechse, = frz. léz-ard) nicht nur mit dem lat. cöl-über {Schlange,nbsp;Natter), sondern auch mit dem aksl. und russ. rak-w = nsl.,nbsp;buig., Serb- rak und mit dem preuB. rak-is, die ein andresnbsp;kriecbendes Tier, namlich den'Krebs’ bezeichnen und im griecb.nbsp;Tiaq-lQ und -a^Hg (Meerkrebs) ihr scbönes Gegenbild haben. Dasnbsp;griecb. xiQu-og (Ring) wie das ai. cakr-ds (Kreis, Rad) wirdnbsp;eins mit dem griecb. n'óxX-og {Kreis,Ring), das lat. aei-ia {Tonne,nbsp;Eap) mit dem lat. sin-um {Gefafi), das griecb. xog-éio {besorgen,nbsp;p/legen) mit dem lat. cür-are {sorgen, besorgen, pflegen), das lat.nbsp;vert-ere (wenden, drehen) mit unserm wend-ew, und der Griecbenbsp;gebraucbt in seinem gsiö-aco (lacheln) nicbt nur dasselbe Wortnbsp;wie der Lette in seinem sraaid-ft (lacheln), sondern auch wie dernbsp;Romer in seinem rïd-eo (lachen). DaB 'flieBen^ und 'schwimmennbsp;ein Begriff ist, leuchtet ohne weiteres ein, und so ist es deunnbsp;auch ein und dieselbe Wurzel, die wir erscheinen sehn im griecb.nbsp;{ö)^é{F)-io {flieflen), im griecb.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(schwimmen) und im mhd.

swimm-eïj (schwimm-en), dieselbe Wurzel, die wir auch im Alt-indischen als aia.v-ati (er fliefit) und als snau-ii {er entlci/St Flüssig-keit) nebeneinander vorfinden. Auch das scheinbar ganz Ver-einzelte reiht sich jetzt in Zusammenhange ein, wie z. B. unser ungestüm. Da wir das Wort heute nur noch in der Verneinung,nbsp;als Negativum gebraucben, so müssen wir uns zunachst erstnbsp;wieder daran erinnern, daB das noch lange über die mittelhoch-deutsche Zeit hinaus gebrauchliche Positivum natürlich'ruhig^ be-deutet, dann aber tritt es sofort in seinen Zusammenhang mitnbsp;still: mhd. stüem-e {sanft, still, ruhig): mhd. still-e (still, ruhig),

Meyer, Die Schöpfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;5

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Kapitel IV.

lm Griechischen stand für uns bisher das Prateritura yÉv-ro (er fajite, nahm) auBerbalb aller Zusammenhange; mit unserm Laut-gesetze kommen wir zu der Erkenntnis, daC es eins ist mit demnbsp;griech. ayQ-cc [Fang, Jagd). Das griech. [Felsen), das innbsp;seiner Vereinzelung bisher ganz sonderbaren Erklarungen ausge-setzt war, zeigt durch seinen Zusammenhang mit dem griech.nbsp;^ovv-óg [Hügel, Anhöhe), was seine Wurzel in Wirklichkeit be-deutet und bedeuten muB. Was ferner die Wurzel des griech.nbsp;¦d-dX-atra [Meer) bedeuten muB, sagt uns unsre natürliche An-schauung mit unmittelbarer GewiBheit, eine Anschauung, die innbsp;der oben aufgezeigten Verbindung zwischen dem lat. mar-e [Meer)nbsp;und dem lat. mdnare [fliefien) ihre deutliche Bestatigung er-halten hat^ für das griechische Wort aber erhalten wir sie durchnbsp;seine Zusammenstellung mit dem ai. dhar-d, das ‘hervorquellendenbsp;Flüssigkeit, Strom, Oufi, Tropfen bedeutet und den Begriffnbsp;‘flieften klar zur Erkenntnis bringt. lm vorigen Kapitel habennbsp;wir uns davon überzeugt, daB das griech. Xêst-ag [Fels, Berg)nbsp;eins ist mit dem ahd. fel-is [Fels) u. a., jetzt sehn wir ein, daBnbsp;sich auch das lat. rüp-es [Fels) als ein andrer Typus derselbennbsp;Wurzel dazugesellt; so vereinigt sich ferner das griech. öovX-ognbsp;[Shlavé) mit dem griech. dfrtó-g [Sklave), das griech. XvJt-rjnbsp;[Betrübnis) mit dem unverschobnen got. ga-ni^-nan [hetrübtnbsp;werden, trauern), und zu den beiden im vorigen Kapitel ver-einigten Wortgebilden mhd. Mr-^ [Hirsch) und mhd. rêch [Beh)nbsp;finden sich jetzt als Angehörige derselben Wurzel das griecb.nbsp;xefi-dö-g (Hirsch, Beh), das griech. aX^-rj [Elentier) — lat. alc-es [Elentier) =mhd. elch [Elentier) und das mhd. hin-^^e [Hirsch-kuh, Hindin) hinzu, sodaB also in der überaus haufigen mittel-bochdeutschen Verbindung quot;hirze unde hinden dieselbe Wurzelnbsp;dicht nebeneinander in zwei verschiednenFormen auftritt, wahrendnbsp;in dem Verhaltnis Beh : Bicke beidemal dieselbe Wurzelform vor-liegt. Überall, sehn wir, vollzieht sich für uns mit der neuennbsp;Erkenntnis ein neuer organischer ZusammenschluB der Erschei-nungen, in dem sich eine der Natur entsprechende, gesetzmüBigenbsp;Verbindung zwischen Wortform und Wortinhalt offenbart. Beinbsp;Aristoteles finden wir den Ausspruch tó yaq nav itoXv ri (Poe-tik 1461a 20) 'das Ganze ist ein bestimmter Grad von Vielheit’;

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die innere Wahrheit dieses Gedankens findet auch in der Spracbe ibre überraschende Bestatigung, wenn wir das lat. mül-to {viel,nbsp;zahlreich) und das got. man-a^-s {viel) = nbd. mann-ig wienbsp;das aksl. raxm-ogu {viel) zusammenbalten mit dem lat. omn-isnbsp;{all, ganz, jeder), versebiedne Ersebeinungsformen einer Wurzel,nbsp;die uns wiederum in andrer Gestalt begegnet im grieeb. g,dX-anbsp;{sehr), im grieeb. gvq-Log {vielfaltig, unzahlig), im lat. nïm-isnbsp;{zu viel, zu sehr) u. a., und dieselben Verbaltnisse finden wirnbsp;aucb innerbalb einer andern Wurzel vor, wo wir neben demnbsp;grieeb. jioX-vg {viel) wie dem got. fil-M = nbd. viel, dem lat.nbsp;plü-s {mehr) und dem ai. pur-ws {viel) das grieeb. jtdv-v {sehr)nbsp;u. a. stebn sebn. Wie wir oben das grieeb. grj {nicht) sieb zu demnbsp;lat. në {nicht) baben finden sebn, genau so einfacb findet siebnbsp;das lat. mLamp;A-idus {nafl, feucht) mit dem got. né,t-jan {benetzen)nbsp;wie mit dem mbd. naz = nbd. nafi zusammen als Vertreternbsp;einer Wurzel, die in andrer Gestalt aucb im grieeb. ixqö-oD {benetzen) neben {ivö-alvoi {benetzen) ersebeint, und wie für unsnbsp;nun die bei Homer so oft wiederkebrenden synonymen Ausdrückenbsp;ix'^é-ect {Beschlüsse, Ratschldge, Listen) und ÓTqv-sa {Batschlüsse,nbsp;Anschldge, Rdnlce) ganz eins werden als Formen ein und der-selben Wurzel, die abgesebn vom grieeb. (x^ö-ogai [sinnen, er-denken) und vom lat. med-ifan {nachdenJeen, ersinnen) aucb imnbsp;grieeb. óóX-og = lat. dol-Ms {List) ersebeint, so tritt aucb dasnbsp;lat. nov-acula {Schermesser) nunmebr mit dem lat. vom-ernbsp;{Pfiugschar) eng zusammen, womit alle die mebr oder wenigernbsp;baltbaren Erklarungsversuebe für abgeschnitten geiten dürfen,nbsp;denen jedes der beiden Wörter in seiner Vereinzelung bisber aus-gesetzt war. Das grieeb. d-yéq-uo {sammeln) ferner erweist siebnbsp;als dasselbe Wort wie das grieeb. Xéy-to {sammeln) = lat. leg-onbsp;{sammeln); das lat. rëg-s {König) mit dem got. reik-s {Herrscher),nbsp;sie sind eines Ursprungs mit dem abd. kun-in^ {Kön-ig); mit demnbsp;mbd. wan-sf {Bauch, Wansf) vereinigt sieb in ganz natürlicbemnbsp;Bunde das lat. alv-ws {Bauch)-, das lat. cël-er {schnell) findet siebnbsp;mit dem grieeb. èy-nov-éco {eilig sein) und mit dem grieeb. nod-dQK-rjs {schnellfü/iig) zusammen, und wie unser 'Sebar (mbd.nbsp;schar 'Abteilungquot;) mit 'scheren (mbd. scher-n = absebneiden)nbsp;zusammengebört, so das grieeb. téX-og {Schar) und das lat.

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Kapitel IV.

tur-ma {Schar, Ahteilung) mit dem griech. téii-va {schneiden). Oben haben wir sich die Begriffe'Tag’ und ‘heil’ in ihren Aus-drücken ganz natürlich zusammenfinden sehn: ebenso natürlichnbsp;geboren auch‘Nacht’ und‘dunkei, schwarz’ zusammen, sodaB sichnbsp;nns ihre Verbindung auch in der Sprache mit Notwendigkeitnbsp;zeigen muB: lat. noc-t-s, griech. vïix-r-g, got. nah-^-s, ai. nak-tis,nbsp;lit.nak-fès: griech.xeA-otrdg (schwarz, finster), ai. kal-ns {schwarz),nbsp;serb. kar-a (schwarz; man denke au den Karageorg der ser-bischen Geschichte!), lat. cal-I^o {DunJcel, Nebel, Finsternis). Dienbsp;standigeVerbindung vvr.rl fielaivr] {in schwarzer, dunJcler Nacht),nbsp;wie sie nns besonders aus Homer so gelaufig ist, ebenso wienbsp;das entsprechende atra oder nigra node des Romers oder unsernbsp;'in finstrer Mitternacht’ ist also für das Wesen der Sache nichtnbsp;weniger bezeichnend als unsre Bezeichnungen ‘am hellen Tage,nbsp;taghell’ usw. Dem griech. v'Éx-r-g {Nacht) aber verbindet sichnbsp;unmittelbar auch das griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Dunhel, Finsternis), dem in

derselben Bedeutung ein Xvy-Tj znr Seite steht, und wenn wir ihr gegenseitiges Verhaltnis vorlaufig auch noch auf sich beruhennbsp;lassen, die Verbindung mit dem lat. nig-er {schwarz, dunhel) kannnbsp;ebenfalls nicht zurückgewiesen werden. Besonders lehrreich sindnbsp;für uns ferner die Verwandtschaftsbezeichnungen. von denen wirnbsp;nur das lat. gën-er {Schwiegersohn), das griech. yag-^-Qo-gnbsp;{Schwiegersohn, Schwager) und das griech. yaX-tog {Schwdgerin)nbsp;sowie das griech. yag-éco {heiraten) usw. zusammenzustellennbsp;brauchen, urn die Differenzierung der Formen deutlich zur An-schauung zu bringen, und die Empfindung für die Wurzel wirdnbsp;gerade hier so lebendig, daB wir sie sofort auch in dem unver-schobnen got. mêg-s {Schwiegersohn) und in dem lit. laig-ènasnbsp;{Schwager) wiedererkennen. lm vorigen Kapitel traten für unsnbsp;das griech. ré?-og {Ende) und das lat. ult-im^s {der letzté) zusammen, mit der Kenntnis des neuen Gesetzes sind wir in dennbsp;Stand gesetzt, ihnen das lat. ta,a-dem {endlich, zuletzt-, vgl. lat.nbsp;prï-dem = ‘vorlangst’ u. a.) und das got. and-eis = mhd. end-enbsp;hinzuzufügen, und ebenso verbindet sich mit dem lat. gel-wnbsp;{Katte, Frost) und mit dem lat. alg-or (Katte, Frost) usw. nunnbsp;als ein andrer Typus derselben Wurzel auch das lat. rig-ornbsp;{Katte). Wei ter batten wir im vorigen Kapitel einerseits die

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Verbindung des griech. -d-aX-uo {wachsen, hlühen) mit dem got. liud-a% (wac/isew) nacligewiesen und andrerseits die Verbindungnbsp;des ai. dhan-S (Getreidé) mit dem ai. andh-as {Kraut) wie mitnbsp;dem griech. av-d-og {Blüte, Blumé); auf der jetzigen Stufe unsrernbsp;Erkenntnis lemen wir einsehn, daB es sich in beiden Fallen umnbsp;ein und dieselbe Wurzel handelt, die dort mit l und hier mit nnbsp;auftritt, wie sie ferner mit m erscheint im griech. ¦d’dii-vo-gnbsp;{Gestrdueh, Busch, Zwelg) und mit r als rudh- {wachsen) imnbsp;Altindischen. Das griech. ^dX-mrqov {ein Kraut), das griech.nbsp;ihai-X-óg {Zwelg, Spröfiling), das mhd. mmer-lat-e {einjdhrigernbsp;Sch'ópilng) und viele andre Wortgebilde, sie verdanken alle diesernbsp;einen Wurzel ihr Dasein. So bekennen auch die im vorigennbsp;Kapitel angeführten lateinischen Wörter ger-men {Keim, Sprop)nbsp;und gra-mew {Gras, Gewachs) deutlich ihre Einheit mit dem lat.nbsp;alg-a {Meergras), mit dem got. kein-an {Jcelm-en, wachsen) wienbsp;mit dem mhd. kim-e {Keim), lauter Vertreter einer Wurzel, dienbsp;offenbar eins ist mit der des lat. gi-ga-o {erzeugen, hervorhrmgen)nbsp;usw., und das griech. Aéy-w {sagen, sprechen) findet seine Gegen-bilder nicht nur in Wörtern wie mhd. kall-en {sprechen, schwatzen),nbsp;sondern auch im griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Stlmme, Laut, Ton) mit yr]Q-

vco {reden), im lat. garr-ire {schivatzen) wie im lat. gann-ire {schreien, helfern), im griech. yé-ymv-a {rufen, reden) u. m. a.nbsp;Die Wurzel des griech. dly-og {Schmerz, Leiden, Kummer)nbsp;ferner, die wir im vorigen Kapitel schon im lit. gel-ü {Schmerz)nbsp;wiedergefunden haben, erkennen wir nun, abgesehn von dennbsp;Erscheinungen wie griech. yiscpal-a^y-La {Kopfschmerz) und noddy q-a {Fupweh), auch im lat. gëm-o {stöhnen, seufzen) wie imnbsp;griech. p,vy-uo {stöhnen, seufzen) wieder, im lat. Ittg-eo {trauern)nbsp;nicht minder wie in den unverschobnen gotischen Wörtern gaur-snbsp;{traurig, betrübt) und gaun-ön {trauern), zwei Wurzelformen,nbsp;deren Parallelismus in den Substantiven gaur-ipa {Schmerz, Be-trubnis) uftd gaun-ópa {Klage, Trauer) noch besonders hervor-tritt, und in verschobner Form tritt sie uns entgegen in dem ahd.nbsp;kar-a =nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Schmerz, Trauer Klage) und damit noch

heute in unserm Kar-freitag. So schlieBt sich überall die auBere Vielheit der Erscheinungen zu einer innern Einheit zusammen,nbsp;und das Ganze hat immer die Kraft, die noch abseits stehenden

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Kapitel IV.

Teile mit innerer Notwendigkeit an sich zu zieken. Eine Familie ist es auch, die wir vor uns haken in dem griecli. ).ür-c(y-gnbsp;[Tropfen), im lat. lat-ec-s {Flüssiglceit, Nap) wie im lat. löi-iumnbsp;(Urin), im griech. vot-lö-g (Nap) mit voT-egog {nap, feucht),nbsp;im ai. rit-is {Strom) u. a. Im lat. rët-e [Netz) ferner linden wirnbsp;ganz unser got. nat-i = mhd. netz-e wie das lit. tin-hlas {Netz;nbsp;vgl. lit. ar-Jclas 'Pflug’ u. a.) wieder, und was ihreWurzel be-deutet, kann uns ihr Zusammenhang mit dem lat. tën-Ms {Schnur,nbsp;Stride), mit dem aksl. ten-e^^^ {Stride) und mit dem griech. èqx-dvïj {Stride, Seil, Tau) zeigen, denen sich als Angehörige der-selben Wurzel das griech. raiv-ta {Band, Binde) = rsv-ta, dasnbsp;griech. reX-agóv {Binde), das griech. fiir-og {Faden) wie (ih-Qcc {Band, Binde; Oürtel) u. v. a. anreihen. So mannigfaltignbsp;die auBern Erscheinungsformen sind, so unverkennbar ist der ge-meinsame Ursprung, wenn wir das griech. öyn-og {Bug, Winleel,nbsp;Edee) nehst dyx-ivog {gelcrümmt) oder das griech. dyn-évnbsp;{Ellenhogen) nehst dy-A-vlog {geJcrümmt) sowie das griech. dyn-vqa (AnTeer, Faken) oder das lat. unc-ws {Faken) zusammen-halten mit dem griech. xvXX-óg (krumm), mit dem griech.nbsp;iovóg {gekrümmt), mit dem lat. ca,m-urus {einwarts gekrümmt),nbsp;mit dem aksl.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Ellenhogen) usw. usw., und wenn wir

uns diese Bewegungsfreiheit der Wurzel gegenwartig halten, dann werden wir auch in dem lat. arc-awws (geheim, heimlich) sofortnbsp;dieselbe Wurzel wiedererkennen, die uns aus dem griech. xaX-V7CTto {verhullen), aus dem lat. cêl-are {verheimlichen, verhehlen),nbsp;aus dem mhd. hel-w {verhehlen), aus dem air. cel-im {verhehlen)nbsp;u. a. wohlbekannt ist. So gibt sich uns auch bald ein Zusammenhang wie der zwischen dem griech. KOiX-io) {ahhalten, hindern)nbsp;und dem lat. arc-eo {ahhalten) wie dem arm. arg-e? {Findernis)nbsp;oder auch wie der zwischen dem griech. eq-tox-g (Liehe) undnbsp;dem lat. am-or {Liehe) nicht viel schwerer zu erkennen als Ver-bindungen wie griech. enciiX-r} {Tor): lat. por-to {Tor), griech.nbsp;lXaq,-vg {Bock, Mantel): griech. iXalv-u {Bock, Oherkleid) mitnbsp;yXav-iö-g {Oherkleid), griech. yqtXX-g {das Grunzen): lat. gronn-itus {das Grunzen) oder wie nhd. brumm-en: brüll-en, und so leichtnbsp;wir das griech. póv-aaog {Auerochs) nicht nur mit dem nebennbsp;ihm stekenden poX-ivAog {Auerochs), sondern auch mit dem lat.

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bël -ua {das ungeschlachte Tier) verbinden, so unmittelbar tritt für uns auch die Verbindung zntage zwischen den griecbischennbsp;Wortgebilden Jtiv-og {Schmutz), :rt7j^-ög {Schmutz, Kot), crtéX-sS-ognbsp;{Menschenhot) iind dem got. fan-i (Kot). Das lat. pann-ws {Tuch,nbsp;Laxjpen) ferner wissen wir nun nicht allein raehr mit dem got.nbsp;fan-a {Zeug, Tuch), sondern auch mit dem lat. pall-a {Oberge-wand) nebst pall-mm {Mantel) und mit dem mhd. lapp-e {Lappen) zu verbinden, und wie uns die mittelhochdeutschen Wörternbsp;karc (klug) und kluoc {fein, Ttlug) eins werden, so auch das got.nbsp;brik-a?ï {hrech-en) mit dem mhd. klieb-ew {spatten, hlaub-en).nbsp;Der Grieche gebrauchte mit seinem ¦KOQ-vvrj {Kolbe, Keule) das-selbe Wort wie wir mit unserm mhd. kiul-e == nhd. Keul-e,nbsp;und in der Bedeutung 'tiefer Schlaf stand dem Griechen dieselbenbsp;Wurzel in dreifacher Gestalt zur Verfügung als zcofi-a, wQ-ognbsp;und vamp;x-aQ. lm vorigen Kapitel S. 37 haben wir die Wurzelnbsp;des lat. ros {Tau, Flüssiglceit) über das ganze indogermanischenbsp;Sprachgebiet hin kennen gelernt; dieselbe Wurzel tritt uns jetztnbsp;mit der andern Liquida im lett. las-e {Tropfen) und im lit. las-itnbsp;{tröpfeln) entgegen, wie sie uns oben auch schon im ai. sal-iMsnbsp;(fliefiend) u. a. begegnet ist. Im vorigen Kapitel haben wirnbsp;ferner gesehn, wie sich mit dem lat. cal-ie-s {Ketch, Becher) undnbsp;mit dem lit lak-as {irdener Krug) eine ganze Eeihe von Wörternnbsp;mit der gemeinsamen Bedeutung'GefaB’ zusammenschloB; jetztnbsp;erkennen wir, dab wir ihnen das lat. nro-eus {Krug), das lat.nbsp;arc-a {Kasten, Kiste), das lit. ryk-as {Gefafi), das russ. rak-anbsp;{Kasten), das preuB. ark-aw {Kasten) u. v. a. hinzufügen können,nbsp;ebenso wie wir in dem griech. •xaQ-va {Nufibaum, Nuf)) dasnbsp;lat. nuc-s {Nupbaum, Nufi) und im griech. A'x.q-iè-g {Heuschrecice)nbsp;ganz das lat. loe-usta {Heuschrecice) wiedererkennen, und sonbsp;schlieBen sich in unserm BewuBtsein zu einer bef reienden Einheitnbsp;zusammen das griech. cpaq-og {Kleid, Leinwand] Segel) mit demnbsp;griech. XaZtp-og {Geivand, zertumptes Kleid; Segel), das griech.nbsp;amp;o7.-óg {Schmutz, Kot) mit dem griech. öv-O-og {Kot, Mist),nbsp;das griech. Xaig-óg {Kehte, Gurget) mit dem griech. XóQ-vyy-gnbsp;{Schlund, Kehte), das griech. aqa-rjv {mdnntich) gt; aqq-iqv mitnbsp;dem lat. mas {mannlich) nebst m9t,sgt;-eulus {mdnnlieh), das lat.nbsp;tin-ea {Motte) mit dem got. maj-a (Mad-e) und mit unserm nhd.

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Kapitel IV.

Mott-e usw. usw. Über die leiclite Bedeutungsdifferenzierung hinweg erkennen wir auch unmittelbar ein und dasselbe Wortnbsp;im lat. stül-cf {Tropfen) und im lat. stir-ia {gefrorener Tropfen),nbsp;im lat. mord-eo {beifien) und im lat. mand-o (Muen, beipen), imnbsp;griech. jiav-Tig {Wahrsager, Prophet) und im griech. gdQ-rvgnbsp;{Zeuge) — es ist die Wurzel des griech. (xtjv-vw {anzeigen) —,nbsp;im griech. (pléy-io (brennen) und im griech. (pQvy-co (dorren,nbsp;rosten, braten) = lat. frig-o (rosten), und es muB nns nun zunbsp;lebendigem BewuBtsein werden, daC wir Typen ein und derselbennbsp;Wurzel gebrauchen, wenn wir heute unser Groll oder Grimmnbsp;oder Gram aussprechen. Im vorigen Kapitel haben wir schonnbsp;eine Wurzel '’keilen kennen gelernt, wie sie vorliegt im got.nbsp;lêk-eis (Arzt), im got. hail-s (gesund, heil) und im aksl. cél-itinbsp;(keilen), denen wir das ai. kal-t/as (gesund) und das preuB. kail-üstishan (Gesundheif) noch hinzufügen können: ist sie uns ver-traut genug geworden, so werden wir sie auf den ersten Blieknbsp;im griech. uQK-og (Heilmittel) wiedererkennen. So muC sichnbsp;überall das Einzelne zum Ganzen linden, und die den Stoff be-herrschende Kraft unsrer Gesetze empfinden wir immer aufs neue,nbsp;wenn sich für uns mit ihrer Erkenntnis der natürliche Zusammen-schluB der Erscheinungen vollzieht, nach dem unser innerstesnbsp;Empfinden schon so lange verlangt hat, wenn uns also z. B. die Er-klarung des griech. agut-vy.-g (Stirnband, Binde, Fessel) odernbsp;des griech. agn-qo-v (Zugseil) zugleich zu einer Erklarung desnbsp;griech. ndv-vaaa (Stirnbindé) wie des griech. 7.éjt-aè-vov (Riemen) wird, wenn wir in dem ai. gol-am (hugelfórmiger Wasser-Tcrug) nicht nur das griech. yavX-óg (jedes runde Gefetp: Eimer,nbsp;Krug, Topf), sondern auch das griech. Xdy-gvog (Flasche) ==nbsp;lat. lag-oena und das griech. ayy-og mit dyy-slov (Gefdp, Be-hdlter) wiedersehn, oder wenn wir durch alle auBere Verschieden-heit hindurchsehend erkennen, daB es ein und dieselbe Wurzelnbsp;ist, die uns ansieht aus dem lett. lap-a (Kienfackel), aus demnbsp;preuB. lop-is (Flamme), aus dem russ. pyl-«t (Flamme), aus demnbsp;lit. pel-ênê (Feuerherd) mit pel-enal (Asche), aus dem preuB.nbsp;pann-o (Feuer), aus dem griech. jidv-óg (Fackel, Leuchte) undnbsp;aus dem griech. ijtv-óg (Ofen. Herd, Küehe; Laterne), die Wurzelnbsp;mit dem Bedeutungsinhalte 'brennen namlich, die wir aus dem

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griech. jiv^ (Feuer) wie aus unserm mhd. fiur = nhd. Feuer gut genug kennen. Alle Sprachgebilde mussen uns auf einenbsp;solcbe natürlicbe Weise ihr innerstes Wesen enthüllen, was unsnbsp;auch 'der gute Mond' noch einmal zeigen mag, der sich vonnbsp;bösen Etymologen schon so manches hat getallen lassen müssen.nbsp;Das innere, unmittelbare Empfinden sagt es uns doch mit über-zeugender GewiBheit, daB sein uralter Name nichts andres be-deuten kann als sein Wesen, so wie es uns Erdenbewolmern er-scheint, und das ist das eines leuchtenden Körpers, eines Licbtes,nbsp;was das griecb. asl--qvri {Mond) in seinem Zusammenbangnbsp;mit dem griecb. asl-aco (fewc/ifen) jedem, der nach auBern Be-weisen verlangt, deutlich bestatigen kann. Wir aber waren auchnbsp;obne dies der absoluten Wahrheit gewiB, daB die Wurzel desnbsp;griecb. [nqv {Mond) wie des got. mên-a (ilfowd) usw. nichts andresnbsp;bedeuten kann als 'leuchten, scheinen, und die Erkenntnis desnbsp;gesetzmaBigen Lautwechsels hat nun das Hindernis binwegge-raumt, das dieses Wort bisber so von allen Zusammenhangennbsp;abscbloB: es ist ganz eins mit dem griecb. ^laQ-naQ-og {glanzend,nbsp;schimmernd), gag-gag-na {schimmern, funlteln).

Welche Aufschlüsse uns die neu entdeckten Gesetze auch für das Verstandnis der Eigennamen zu geben vermogen, dasnbsp;sei durch einige Beispiele angedeutet. leb denke hierbei wenigernbsp;an so ganz zutage liegende Verbindungen, wie wir sie z. B.nbsp;bei vielen römischen Geschlechtsnamen wahrnehmen, zwischennbsp;lun-ms undnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;zwischen Maev-ms und Naev-ms oder

zwischen Memm-ms, Mumm-ms und Remm-izts usw., sondern an eine Beziehung, wie sie in den griechischen Namen quot;Oq(p-evsnbsp;und ’Anlt;p-Uov vorliegt. Die Trager beider Namen werden vonnbsp;der Sage als die Saitenspieler und Sanger ymt' è^oirjv gefeiertnbsp;(vgl. Horaz, ep. 2, 3, 391—396), und diese Appellativbezeicbnungnbsp;ist es auch jedenfalls, die in ihren Namen enthalten ist undnbsp;durch den Hinweis^auf die Wurzel des griecb. óg(p-i] {Slimme,nbsp;Rede) ihre auBere Bestatigung erhalt; auch der ^y]g-iog dernbsp;Odyssee, der Sanger auf Ithaka, stimmt wie im Wesen so imnbsp;Namen mit jenen beiden auffallend überein, wie sich ja in dennbsp;altesten Eigennamen der appellative Ursprung der ganzen Gat-tung noch am deutlichsten zeigen muB. Wenn wir ferner bei

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74

Kapitel IV.

Vergil und Ovid von einem Könige Cel-eus {KsX-eóg) horen, der, zu Elensis herrschend, als Verehrer der Ceres und Be-gründer des Ackerbaus genannt wird, so werden wir in seinemnbsp;Namen offenbar nichts andres als den der Cëi-es, der Göttinnbsp;des Ackerbaus selbst, wiedersehn dürfen, zwei verschiednenbsp;Formen der Wurzel, die im lat. cre-o [erschaffen, hervorhringen)nbsp;wie im lat. cre-sco {wachsen) ihre Bedeutung klar zeigt, undnbsp;die wir im vorigen Kapitel schon im ai. rak-5 {Göttin dernbsp;Fortpftanzung) wiedererkannt haben, und dazu stimmt es, dabnbsp;ebenso Ceres als Göttin der Fruchtbarkeit überhaupt auch fürnbsp;die 'Göttin der Ehe’ galt. Und wenden wir uns von der Sagenbsp;zur Geschichte, so finden wir im Bereiche der Völkernamen alsnbsp;Bezeichnung des indogermanischen Volkes, das am wmitestennbsp;nach Westen vorgedrungen ist, in Gallien den Namen Celt-ne,nbsp;wahrend uns in Spanien neben dem Celt-iamp;er auch der Cant-aber und in Britannien die Bewohner von Cant-i^m, dem heu-tigen Kent, entgegentreten: kein Zweifel, dab wir es mit einnbsp;und demselben Namen zu tun haben. Hieran aber knüpft sichnbsp;sofort eine andre Betrachtung. Jedermann kennt das deut-liche Zeugnis Casars, wonach die Kelten von den Römern alsnbsp;Galli bezeichnet wurden: qui ipsorum lingua Celtae, nostra Gallinbsp;appellantur (B. g. I, 1 j. Ebenso wissen wir, dab die quot;’EllgvEgnbsp;nur von den Römern Graeci genannt wurden, und dab nur dienbsp;Römer unsre Vorfahren mit dem Gesamtnamen Germani bezeichnet haben. Das mub zum Kombinieren geradezu reizen,nbsp;und nach unsern Spracbgesetzen dürfen wir auch tatsachlichnbsp;jetzt in den drei Namen ein und dieselbe Wurzel erkennen,nbsp;deren genauere aubere Feststellung noch abgewartet werdennbsp;mub, die aber, wie es scheint, nichts andres als den Begriffnbsp;'verbunden, benachbart’ enthalten kann, wie wir ja auch dasnbsp;lateinische Adjektivum ger m-anus in der Bedeutung'geschwister-lich verbunden’ kennen. Noch zwei andre Völkernamen tretennbsp;für uns jetzt so zusammen. Der Name des ehemaligen Herzog-tums Berg im nordwestlichen Teile unsers Vaterlandes ist unsnbsp;noch heute aus manchen Bezeichnungen bekannt genug. Dabnbsp;dieser Name nichts mit der Bodenerhebung Berg = lat. monsnbsp;zu tun haben kann, wird jedem nach einigem Nachdenken klar

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Differenzierung der Wurzel durch den generellen Wechsel iisw. 75 werden niüssen. Sollte er aber nicht liöclist wahrscheinlichnbsp;identisch sein niit dem Namen, den das in unmittelbarer Nahenbsp;wohnende Volk der Belg-ier (lat. Belg-ae) tragt? Auch dernbsp;Name unsrer Stadt Deil-mold, dessen Erklarung als Thiot-mallinbsp;= Volks-gerichtsstatte eine absolute Sicherheit für sich nichtnbsp;beanspruclien darf, kann mit den Ortsnamenbildungen wie Dort-,nbsp;Witt-mund u. a. in eine Eeihe geboren. Noch ein andres Bei-spiel aus andrer Sphare: das römische Totenfest der Lëmürianbsp;erhielt infolge der Wirkung unsers Lautgesetzes auch die Be-zeichnung Memuria, sodafi damit die Möglichkeit einer sagenhaften Verbindung mit dem Namen Eemus gegeben war; dienbsp;Erkenntnis des gesetzmabigen Lautwandels aber ist es auchnbsp;hier, die das wahre Verhaltnis aufdeckt.

Mit derselben GesetzmaBigkeit, mit der der Lautwechsel die Gestaltung der Wurzelu beherrscht, macht er sich natürlichnbsp;auch in den sekundaren Wortbestandteilen geltend. Die Wurzelnbsp;fac {machen) z. B. bildet mit Hilfe eines sekundaren Lautkom-plexes das lateinische Substantivum /ac-ultas {Fahigkeit, Mög-licMeit)-, enthalt die Wurzel selbst aber eine Liquida oder einenbsp;Nasalis, so erscheint das sekundare Element in entsprechendernbsp;Weise differenziert, wie z. B. im lat. vo^-untas {Wille, Wunsch).nbsp;Ebenso steht den deutschen Bildungen mhd. apf-oltev {Apfel-haim), wecAolter {Wadiolder), /MeZ-alter {Sagehuttenstrauch)nbsp;usw. die Bildung hol-natev (Holunder) gegenüber, und ganznbsp;besonders haufig macht sich diese Wechselwirkung bei dernbsp;lateinischen Endung -alis geltend, die überall, wo die Wurzelnbsp;ein l enthalt, als -aris erscheint; so heiBt es aequ-aJiia (gleich,nbsp;gleichmafiig), vên-alis {verJcauflieh, feil), natur-^lia {natürlich)nbsp;usw., aber milit-^via (kriegefisch), famili-aiia {zum Hauswesennbsp;gehorig) usw., ein Gegensatz, der in den beiden eng verbund-nen Adjektiyen singul-aiia {eimeln) und plur-tüis (mehrfach)nbsp;besonders deutlieh hervortritt. Ein ahnliches Widerspiel zeigtnbsp;sich auch in den griechischen Wörtern (fcav-óki^q und fpel-óvrjg, die beide ein ‘dickes Oberkleid’ bezeichnen; und in dennbsp;zu öé-og {Furcht) gehörigen griechischen Adjektiven öe-ivógnbsp;{furcht-har) und ds-iXóq {furcht-sam) sehn wir die Lautdifferen-zierung im Dienste einer innern, namlich hier des Verhaltnisses

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Kapitel IV.

vom Aktivum zum Passivum stehn. Diese psychische Ver-wendung ist natürlich ganz sekundarer Natur, die Formen selbst sind mit physischer Notwendigkeit da, wie wir sie etwa ver-treten finden im lat. as-inus (Esel) und im got. as-ilus {Esel).

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V-U,

Überall, sehn wir, durchzieht so der Lautwechsel unend-lich variierend den gesamten Sprachstoff, und von der ürzeit an bis auf den heutigen Tag hat gerade dieses Lautgesetz nichtnbsp;aufgehört, in besonderm Malie als ein den Stoff immer neunbsp;formendes und belebendes Element zu wirken. Daher die vielennbsp;Doppelf ormen, die wir immer wieder in allen Einzelsprachennbsp;antreffen. So haben wir vor allem in der triebkraftigen griechi-schen Sprache unterschiedslos nebeneinander jvvsvficov {Lunge)nbsp;und TtXevgiov, ptV {ihn) und rtr, gsTagchkiog {eitel, unnütz) undnbsp;geragéviog, ga^iiagtov {Mütterchen) und gavvdqiov, lt;pavXognbsp;{schlecht, gering) und cpavqog, jSccQLvog {ein Fisch) und ^aX.ïvog,nbsp;^oq-^oq-ijLio (Icollern, Tcnurren im Bauche) und ^og,-^vX-t.dUo,nbsp;xov-'d'oX-vyéa} {murmeln, brummen)\indTov-'d-oQ-vyéco usw.usw.;nbsp;so haben wir ferner im Mittelhochdeutschen nebeneinander sar-.würTte {Anfertiger von Rüstungen) und sal-würlce, samenennbsp;{versammeln) und samelen, werlt {Welt) und wernt, Miuwelnbsp;{Knauel) und kniuwel, linie (linies) und lixle, schiun-e undnbsp;schiuï-e, die wir auch noch heute als Scheune und Scheuernbsp;nebeneinander gebrauchen wie Binne und BiWe u. m. a.; so be-gegnen uns im Aksl. nebeneinander stil-aii und stir-eti {aus-hreiten) — lat. ster-no {aushreiten), im Lit. sogar néndré,nbsp;méndrê und Xéndré {Schilf, Bohr), ferner Mnh-saü {gebücM sein)nbsp;und xinle-saü {gelcrümmt dastehn), im Poln. ninog und minognbsp;{Neunauge) u. a. Oft sind diese Doppelformen auch insofernnbsp;getrennt, als sie sich dialektisch innerhalb eines gröfiern Sprach-gebiets verteilt haben; so bat im Griecbischen der attischenbsp;Dialekt sein XLtqov gegenüber dem allgemeinern vlxqov {Natron),nbsp;der kretisebe sein aiX-éco gegenüber alQ-éco {nehmen), so er-scheint das deutsche anders im Niederlandischen als elders undnbsp;das deutsche Kind im Englischen als child-, innerhalb desnbsp;deutseben Sprachgebiets sagt man allgemein Kixche, in einigennbsp;Gegenden aber, wie besonders im Alemannischen Kilche, undnbsp;der im Felde aufgetürmte Strohbaufen wird hier Fix\ne und

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Differeiizierung der Wurzel durch den generellen Wechsel usw. 77

dort Fimme genannt. Klicker und Knicker, Schlittschuh imd Schrittamp;chuh u. dgl. wird schon jeder liaufig genng beobachtetnbsp;haben. Auch die sekundareu Sprachelemente finden wir innbsp;einer solchen doppelten Erscheinungsform vor: vezzel (FesseT)nbsp;und vezzei, panter und panteX u. dgl. begegnet nns im Mhd.nbsp;unzahligemale — auch heute brauchen wir ja noch, mitnbsp;gleichzeitigem Lautwechsel innerhalb der Wurzel, Parde\-tiernbsp;(poet.) nebenPaiïfer-iier, womit man das Verhaltnis von dem nhd.nbsp;Mittel-meer zu Mittev-nacht u. a. vergleiche —, und besondersnbsp;haufig zeigt sich die doppelte Gestalt dieses Suffixes bei dennbsp;Eigennamen, meist mit der Verteilung, dab das Oberdeutscbenbsp;die Form -el, das Niederdeutsche die Form -er bevorzugt, sonbsp;haben wir Scheff-e\ und Seheff-%v, 8chleg-A und Schleg-er,nbsp;Bang-er und Bang-el, Bick-er und Bick-e\, 8and-er undnbsp;Sand-e\ usw. Mit einer kleinen Bedeutungsdifferenzierung ver-bunden begegnen uns die beiden Formen in Schenk-d undnbsp;Schink-en, in Knoch-en und Knöch-d, denen sich Differenzie-rungen wie wand-ern und tvand-dn u. a. anreiben.

Schon bei den meisten der eben genannten Erscheinungen müssen wir zu der Auffassung kommen, dab der Lautwechselnbsp;nicht primar, sondern sekundar ist, und diese sekundaren Falie,nbsp;in denen die beiden differenzierten Formen zueinander im Verhaltnis der direkten Abhangigkeit (Deszendenz) stehn, sodab ge-nauer nicht mehr ein Lautwechsel, sondern ein Lautwandel vor-liegt, sind so zahlreich und zugleich so deutlich vertreten, dabnbsp;sie die Aufmerksamkeit eines für das Sprachleben interessiertennbsp;Menschen mit Notwendigkeit auf sich ziehen müssen. Sie gabennbsp;deshalb auch den Ausgangspunkt für die Erörterungen diesesnbsp;Kapitels ah, und den dort schon genannten Beispielen fügennbsp;wir hier zum Schlub aus der geradezu unerschöpflichen Mengenbsp;der sekundaren Erscheinungen noch einige hinzu, die als Re-prasentanten der ewigen Wirksamkeit unsers Lautgesetzes dienennbsp;mogen. Wie bei dem Gesetze der Metathesis, so betonen wirnbsp;aber auch hier, dab wir nur da eine sekundare Erscheinungnbsp;erkennen dürfen, wo ganz bestimmte Gründe uns dazu nötigen,nbsp;wahrend wir sonst die differenzierten Formen selbstandig neben-einander zu stellen haben. Mit welcher Leichtigkeit besonders

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78

Kapitel IV.

die beiden Liquiden ineinander übergehn, zumal wenn ein direktes Dissimilationsbediirfnis vorliegt, lehrt uns die historischenbsp;Entwicklung aller Sprachen auf Schritt und Tritt. lm Griechi-schen sehn wir Kéq^ieqos {Hund der UnterweÜ) zu KéQ^sXog,nbsp;Trilexlog zu T'^XexQog und S-rjQfjT'i^Q {Jager) zu dTj).i]TrjQnbsp;werden, für xaQaxt'^Q {Geprdge, CharaMer) erscheint aucb dienbsp;Form xaXa-xrpQ, und die Wörter, die wir aus dem Altgriechi-schen als tzqóqu (Schiffsvorderteil) und dQiarsQÓg {links) kennen,nbsp;finden wir im Mittel- und Neugriecbischen wieder als nXÓQrjnbsp;und aXiarsQÓg-, das altgriech. rolgav {wagen) begegnet uns innbsp;der spatern Zeit als ro^gav wie döshpóg {Bruder) als dde^f/oog,nbsp;und das bekannte dlXrjlovg {einander) finden wir im Neu-griechiscben als dvvplovg wieder Ebenso sehn wir sich imnbsp;Lateinischen cerebrum {Gehirn) zu celebrum, prurio {Jucken)nbsp;zu plurio, lorarii {Zuchtmeister der Sklaven, lt; lorum ^Riemen,nbsp;Peitsche) zu tolarii umgestalten, wie dem griech. IsLq-iov {Lilie)nbsp;gegenüber im Lateinischen das Wort als M-ium erscheint,nbsp;und die Bezeichnung des “^Feldmesserinstruments’, die der Kömernbsp;der griechischen Sprache entlebnt bat, sehn wir bei ihm ausnbsp;yvmga umgestaltet zu groma {gromatici — Feldmesser). Nep-tis {Enkelin) begegnet uns im Volkslatein als leptis, meretrixnbsp;{Buhldirne) sowohl als méletrix wie als menetrix, und dasnbsp;lat. cultellus {Messer) sehn wir nicht nur die Entwicklung zunbsp;cuntellus durchmachen — so im Volkslatein, wie uns hier aucbnbsp;multum {viel) als muntu entgegentritt —, sondern auch die Entwicklung zum ital. covtello. So entwickelt sich ferner peregrinusnbsp;{Fremdling) über das pelegrinus des Volkslateins zum ital.nbsp;pellegrino, dem wir unser deutsches Pilgrim oder Pilger sogleichnbsp;anschliefien können; luscinia {Nachtigall) entwickelt sich innbsp;seiner Verkleinerungsform zum ital. wssignuolo wie zum frz.nbsp;rossignol, sirus {Getreidegrube) umgekehrt zum ital. silo, undnbsp;die Stadt, die wir heute unter dem Namen Bologna kennen,nbsp;hieB früher Bonönia. Das lat. calculus (Berechnung) ist insnbsp;Französische übergegangen als calcul, das wir dann aber hiernbsp;auch umgestaltet finden zu cavcul, wie umgekehrt das lat.nbsp;marmor im Spanischen als marmol erscheint, entsprechendnbsp;unserm mhd. marmel nebst marmel-siein, und ein besonders in-

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Differenziemng der Wurzel durcli den generellen Wechsel usw. 79

teressantes Beispiel dieser sekundaren ümgestaltung haben wir in dem frz. niveau {Wassenvage; wagerechte Flache) mit seinemnbsp;Verbum niveler {mit der Wasserwage ahmessen; gleichmachen),nbsp;das aus dem lat. Itbra (Wage) entstanden ist, wie der Romernbsp;zum Nivellieren eben seine libra gebrauchte — daber sein Aus-druck ad lihram, quot;nach der Wage, in gleicher Höhe’ —, undnbsp;wie der beutige Landmesser dementsprecbend iiocb immer vonnbsp;seiner 'Libelle' spricbt. Am freisten zeigt sicb natürlicb dienbsp;Wirksamkeit unsers Gesetzes wieder in den Muudarten, und hier,nbsp;WO wir noch mehr ein wirkliches Sprachleben antreffen, könnennbsp;wir auch eine Ahnung davon bekommen, wie sicb der Stoff innbsp;der Urzeit gebildet und umgebildet bat. So finden wir imnbsp;Italienischen dialektiscb numero {Zahl) umgestaltet zu l^mero,nbsp;nome {Name) zu lome wie nominare {nennen) zu luminarinbsp;und economia {Sparsamkeit) zu cohmia, und aus den deutschennbsp;Mundarten, die ebenfalls einen unerschöpflicben Reichtum vonnbsp;Beispielen enthalten, sei nur die thüringische ümbildung vonnbsp;Lorheeren zu quot;Sorbehi genannt oder die mittelfrankische ümbildung von Kreide (lt; Creta!) zu Meid, das in speziell kölni-schem Gewande als knicJc, kniggewiess (kreideweip) erscheint,nbsp;und bekannt ist ja auch, wie in der Mundart das Wort 'man’nbsp;sehr haufig als ‘mar erscheint, z. B. in der Pfalz 'mar sacht’nbsp;= 'man sagt’. An die allgemeinern Falie wie die ümgestal-tung von Barbier zu BaYbier u. a. braucht nur kurz erinnertnbsp;zu werden. Ob diese mundartlichen Formen von der Schrift-sprache aufgenommen werden oder nicht, ist natürlicb für dienbsp;Sache gleichgültig. Ob nah, ob fern, überall treffen wir dienbsp;Spuren der immerwahrenden Wirksamkeit unsers Gesetzes, seinbsp;es, daB wir unser 'Bekrui’ im Kleinrussischen als nekrut vor-finden, daB uns unser 'Marter’ (ahA. martara) im Neusloweni-schen als mxintra entgegentritt, daB wir dasselbe Wort, das unsnbsp;im Russischen und Polniscben als gnid-a {Nifi) begegnet innbsp;Übereinstimmung mit dem ahd. hnit-a — mhd. niz, im Litaui-schen als glinda wiederantreffen, sei es, daB wir hier im Litaui-schen selbst als Bezeichnung des 'Kamels’ veibliüdas wienbsp;velbliüdas (= got. ulbandus) nebeneinander finden, oder daBnbsp;wir beobachten, wie innerhalb des Albanesischen im südlichen

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80

Kapitel IV.

Teile, im toskischen Dialekte, im Gegensatz zum nördlichen Teile, dem gegischen Dialekte, ein ursprüngliches zwisclien-vokalisclies n mit RegelmaBigkeit in r übergegangen ist, sodaBnbsp;z. B. unser quot;Wein (lat. vmum) im Gegischen vene, dagegen imnbsp;Toskischen veve lautet. Auch unsre eigne Muttersprache weistnbsp;die Spuren des Gesetzes zu allen Zeiten und an allen Orten auf.nbsp;Man sehe sich z. B. nur im Mittelhochdeutschen urn, so werdennbsp;einem Erscheinungen wie schintvezzel für sehiltvezzel {Bandnbsp;zum ümhangen des Schildes), hoiliz für horniz (Hornissé) u. a.nbsp;zahlreich entgegentreten, von demNebeneinander wie atem (Atem)nbsp;und aten, varm {Farnhraut) und vam, pilgertm {Pilger) undnbsp;pilgeHü usw. ganz zu schweigen. Gerade im Auslaut sehn wirnbsp;sich den Übergang zwischen m und n bald nach der einen,nbsp;bald nach der andern Seite mit besondrer Leichtigkeit vollziehen:nbsp;wahrend im Griechischen jedes auslautende m zu n gewordennbsp;ist — vgl. z. B. das griecb. öQqov (Geschenh) gegenüber demnbsp;Tat. donum {GeschenJc) usw. —, sehn wir im Deutschen auf dernbsp;einen Seite das mhd. vadem zum nhd. Paden werden und aufnbsp;der andern Seite das mhd. turn zum nhd. Turm, das mhd. hdnnbsp;{Schimmel) zum nhd. Kam usw. DaB bei der Aufnahme vonnbsp;Fremdwörtern, einem noch ganz neuen Sprachstoff, das Gesetznbsp;wieder zu freister Wirksamkeit kommt, ist ganz natürlich; sonbsp;sahn wir schon das lat. peregrinus {Fremdling) im Deutschennbsp;zu Pilgrim werden, so wird ferner das lat. mör-um {Maulbeere)nbsp;aus dem mhd. mür-ber bald zu mfd-ber und damit zum nhd.nbsp;Maul-heere, wobei noch bemerkt sei, daB dasselbe Wort im Alba-nesischen als man {Mauïbeerbaum) erscheint, und so nimmt dasnbsp;lat. fundamentum {Grund, Grundlagé) im Mhd. ganz regelrechtnbsp;die Gestalt fudemunt {fulmunt, fulment) an, dem gegenüber würnbsp;auch noch die Form fundament als wirkliches Fremdwort bei-behalten sehn. So erhielt ferner der Name Lievlant im Mhd.nbsp;die Form 'Klfiant, und dieselbe ümbildung aus derselben, durchnbsp;die beiden l gegebnen Veranlassung beobacbten wir bei einemnbsp;andern deutschen Eigennamen, namlich hei dem aus dem altennbsp;quot;Liut-walt' entstandnen heutigen Familiennamen Lippold oder,nbsp;wie er auch in seiner Genetivform auftritt, Lippoldes. Da dernbsp;Wortkörper in enger Verbindung zwei Z-Laute enthalt, so ist

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Differenzierung der Wurzel durch den generellen Wechsel usw. 81

jederzeit die Bedingung für einen Lautwandel gegeben, und es kann für uns nur noch die Überraschung der tatsachlichen Be-statigung haben, wenn uns nun wirklich ein Trager des Namensnbsp;'Sippold begegnet. Interessant zeigt sich unser Lautwechsel auchnbsp;in den haufigen Namenbildungen mit Hans, das oft genug innbsp;Hals übergeht und dann leicht die Vorstellung von dein Körper-teil Hals hervorrufen kann. Jedermann kennt die zu Eigennamen gewordnen Büdungen wie Junghans, Althans usw., ausnbsp;denen sich je nach den vorliegenden Bedingungen die Formennbsp;auf -hals entwickeln können, wie wir denn auch einen Schmidt-hans und einen Schmidüvamp;ls usw. und auch die einfachen Namennbsp;Hans und Hals nebeneinander haben, wahrend sicb in einernbsp;Bildung wie Feinhans das Bedürfnis der Dissimilation der beidennbsp;n wobl immer so stark geltend machen wird, dab sich der Über-gang in jfhwihals mit EegelmaBigkeit Yollzieht. Dieselbe Ent-stehungsweise kommt auch unter den Möglichkeiten für die Er-klarung unsers Wortes (reikhals in Betracht, das in Sehmalhansnbsp;u. dgl. seine Gegenbilder haben würde, und dem dann infolgenbsp;der Ersetzung von -hals durch das synonyme Kragen (mhd.nbsp;hrage = Schlund, Hals, Halshragen) ein Oeizkragen zur Seitenbsp;getreten ist, in derselben Weise, wie das aus hürnouge entstandnenbsp;Hühnerauge die Bildung Krahenauge veranlaBt hat. Dab sichnbsp;auch in den Suffixen sehr haufig eine sekuudare ümwandlungnbsp;im Sinne unsers Lautgesetzes vollzogen hat, ist eine so bekanntenbsp;Tatsache, dab wir nur mit wenig Beispielen daran zu erinnernnbsp;brauchen. So ist das lat. ordinem {Reïhe, Ordnung) im Fran-zösischen zu ordie {Ordnung, Befehl) geworden wie im Spani-schen das lat. hominem {Mensch) zu homhve; die lateinischennbsp;Wörter titulus {Aufschrift, Titel), capitulum {Hauptstüch, Ka-pitel), epistula {Brief), apostolus {Ahgesandter) usw. haben sichnbsp;zu den französischen Gestalten titre, chapitve, épitre, apótre ent-wickelt, und der Name der Stadt London lautet, woran wir unsnbsp;hier auch erinnern können, in französiscliem Munde Londres.

Lehrreich für die Beurteilung dieses gesetzmabigen Laut-wechsels kann sich auch hier die Beobachtung der Kindersprache

gestalten.

WO

wir ihn sich vollziehen sehn nach dem relativen

Verhaltnis der gröbern oder geringern Lautschwierigkeit. So ist

Meyer, Die Schöpfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;6

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Kapitel V.

mir aus eigner Beobacbtung gegenwartig-, wie ein Kind, dem der Laut l noch zn groBe Schwierigkeiten bereitete, ihn überall,nbsp;auch bei deutlicbstem, wiederholten! Vorsprechen, konsequent algnbsp;n wiedergab: Onhel gab es wieder als Onhen, Laub als Nawè,

/ann icK sagte es statt ‘da fall ich’, und wenn ich nnter Hinweis auf das SalzgefaB nacb dem Namen fragte, so be-hauptete es in seiner Spraclie ganz folgericlitig, es ware —nbsp;Sand.

So hat uns auch die Erörterung dieses auBerordentlich be-dentsamen Lautgesetzes durch alle Weiten des Eeiches der Sprache von den üranfangen an bis auf diese auBerlich scherzhafte, innbsp;ihrem Wesen aber sehr ernst zu nehmende Wortform aus Kindermond herabgeführt, nnd neues Staunen füllt unsre Seele bei dernbsp;Betrachtung dieses einfachen Mittels, mit dem die Natur in ihremnbsp;ewigen Gestaltungsdrange so auBerordentliche Wirkungen ge-radezu mühelos erreicht.

Kapitel V.

Differenzierung der Wurzel durch den gene-rellen Wechsel der Spiranten tp, ^ (bh,gh,db).

Nachdem die von dem BewuBtsein der Einheit erfüllte Forschung einraal gelernt batte, die verstreuten gleichartigennbsp;Lauterscheinnngen zu binden und dann bis zur Erkenntnis ihrernbsp;primaren GesetzmaBigkeit aufzusteigen, konnte die Entdeckungnbsp;eines andern Lautgesetzes, das dem im vorigen Kapitel erörtertennbsp;vollkommen parallel ist, nicht allzu lange mehr ausbleiben.nbsp;Auch die Falie, die einen effenbaren Wechsel zwischen den Spiranten cf,x,amp; zeigen, muBten nun die Aufmerksamkeit mehrnbsp;und mehr auf sich ziehen. Zwar treten sie nicht in der auf-falligen Haufigkeit auf wie bei den Liquiden und nachst ihnennbsp;bei den Nasalen, aber wir sehn sie doch auch über das ganzenbsp;Gebiet der Sprache verbreitet, und das muB uns nachdenklichnbsp;machen. Auch hier ist es wieder vor allen die triebkraftigenbsp;griechische Sprache, die die Erscheinung zunachst am günstigsten

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Differenziemng der Wurzel durch den generellen Wechsel usw. 83

aufweist. Fiir die gleichbedeutenden Verben ïJ'Zdw (quetschen, drüclcen) nnd ¦dU§to treffen wir im jonischen und im aolischennbsp;Dialekt die Formen (plda und (pU[ico, statt (Tier) sagt dernbsp;Aolier (piiQ, und dab wir bieraus nicht etwa mit irrtümlichernbsp;Verallgemeinerung schlieBen dürfen, der Aolier bevorzuge überhaupt das Cf gegenüber dem d-, das lehrt uns ein andres Beispiel,nbsp;WO der umgekehrte Fall vorliegt: statt der allgemeinen Formnbsp;axv(p-og (Becherj gebraucht der aolische Dialekt arv-d-og. Ebensonbsp;nimmt {hoiv-rj (Gastmahl) im Lakonischen die Form lt;poLvrj an,nbsp;für lt;fij)dov (Blatt) verzeichnet Ilesych auch die Form ¦d-vXlovnbsp;wie für éla(pQÓg (schnell) die Form èlwQ-QÓQ^ fürnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(der

Götter)-and'9-vovrsg{opfernd) weist eineinschrift dieFormen (pecav und (pijovTsg auf, und wer den Theokrit gelesen liat, weiB, da6nbsp;auf dorischem Spracbgebiete 'die Vogel' nicht wie sonst OQvi-d'sg,nbsp;sondern ÓQviy_sg heihen, eine Form, die uns u. a. auch bei Pindarnbsp;oft begegnet. In deutlicher Weise tritt uns die Erscheinung auchnbsp;im Lateinischen entgegen, wo wir das griech. ff-epp-dg (warm)nbsp;als form-Ms (warm) und das griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(Tür, Tor) wie unser

mhd. tür als fór-es (Tür) wiederfinden, und hierbei erinnern wir uns auch gleich daran, daD das lat. for-is (au^en, aujierhalb)

innerhalb des Französischen im Laufe der Zeit aus fors in hors (aufierhalb) übergegangen ist. Und wie hier in zeitlicher Folgenbsp;dasselbe Wort erst als fors und dann als hors erscheint, so sehnnbsp;wir innerhalb des Lateinischen fe?;ris (Fieber) zugleich auch alsnbsp;heöris erscheinen und treffen so nebeneinander an faba (Bohne)nbsp;und haba, tilum (Faden) und Ynlum, ianum (Tempel) und ha-nulum, harena (Sand) und iasena (sabin.), herba (Kraut) undnbsp;iorbea, horreum (Scheune) und farreum, ferner haedus (Ziegen-bocTc) und faedus, hostia (Opfertier) und fostia, hordeum (Gerste)nbsp;und iordeum., ho^ws (Kohl) und folus u. y. a. DaB sich diesernbsp;Wechsel gerade in den Dialekten mit so besondrer Haufigkeitnbsp;zeigt, nimmt uns für seine natürliche GesetzmaBigkeit nur noch

mehr ein, da wir eben wissen, daB hier noch das wirkliche


Sprachleben in seiner ursprünglichern, ungehemmten Weise zum Ausdruck kommt. Dasselbe aber, was wir hier in den antikennbsp;Sprachen beobachten, zeigt sich uns auch noch heute in unsrernbsp;eignen Sprache, wo neben stiften ein stichten (nd.), neben liften

6*

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84

Kapitel V.

{emporheben) ein lichten (nd.), neben santt ein sacht (nd.), nebeii atter Qiinter) ein achfer, neben schlucht ein schluft stelit usw.nbsp;Ferner erinnern wir uns daran, dab unser ilieh-en im Gotischennbsp;pliuh-an lautet, und daB unserm heutigen Ofen wie dem altnord.nbsp;ofn gegenüber das Gotische die Form auhn-s [Ofen) aufweist,nbsp;und der Germanist weiB, daB auch sonst auf dem germaniscliennbsp;Sprachgebiete Erscheinungen eines Wechsels zwischen f, h undnbsp;p mehrfach auftreten, daB z. B. das got.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(Versamnilung,

Gericht) im Althocbdeutschen und im Altsachsischen als mahl gt; mahal erscheint u. m. a., und um auch das romanische Sprach-gebiet nochmals zu betreten, so finden wir dort das mhd. lanlcenbsp;(Seite), das auf ein ahd. hlanch-a zurückgeht, als flanc {Seite,nbsp;Flanlcé) wieder. In dieser Lauterscheinung muB etwas allgemeinnbsp;GesetzmaBiges liegen, das wird uns immer wahrscheinlicher;nbsp;aber noch fehlt uns die absolute GewiBheit. Nur von der Durch-forschung der Wurzeln, wo wir auf psychischem, d. h. un-trüglichem Grunde ruhen, können wir sie erwarten, und hiernbsp;erhalten wir sie denn auch in der Tat, wir haben es wirk-lich mit einem primaren Gesetze zu tun, das Ton Anfangnbsp;an gewirkt hat; wie zwischen den Liquiden und Nasalen, sonbsp;besteht auch unter den Spiranten cp, ^ (bh, gh, dh)nbsp;ein genereller Wechsel, sodaB in jeder Wurzel, die einennbsp;dieser drei Laute enthalt, auch jeder der beiden andern dafürnbsp;eintreten kann. Die Wurzel ge(p z.B. kann demnach ohne ünter-schied auch als gey und als geamp; erscheinen.

In keinem Beispiel kann uns dieser Lautwechsel wohl zu-nachst mit gröBerer psychischer Beweiskraft entgegentreten ais in den griechischen Ausdrücken für 'wetzen’ und 'Wetzsteinnbsp;(Wetzerï), zwei Begriffen, deren innerer Zusammenhang sich unsnbsp;schon in der lateinischen Sprache in natürlicher Weise auchnbsp;formell erwiesen hat als ac-uo {tvetzen): co-t-s (Wetzstein). Mitnbsp;Naturnotwendigkeit dürfen wir dasselbe Verhaltnis in irgendnbsp;einer Weise auch für die griechische Sprache fordern, und wennnbsp;es sich uns hier dann wirklich alsnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{scharfen, wetzen):

(fép-gog (Wetzstein) zeigt — d-rjy-avov steht in der Bedeutung ‘Wetzstein unmittelbar daneben —, so haben wir in ihm dienbsp;absolute GewiBheit über unser Gesetz, nach der wir verlangt

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Differenzierang der Wurzel durch den generelleii Wechsel usw. 85

haben, und von nun an kann es sicb nur nocli um eine immer neue Bestatigung des Lautwechsels bandeln, die uns denn auchnbsp;in zahlreichen Beispielen geboten wird. Ganz deutlicb erkennennbsp;wir ihn in den griechiscben Wörtern tQV(f-og und tQvx-og, dienbsp;beide 'das Ahgebrochne, das StücTc bezeichnen, ebenso in demnbsp;Nebeneinander von griecb. ipó(p-og nnd ipé-d-og, die beide 'Scholl,nbsp;Klang, GerauscK bedeuten, und wenn man das griecb. iofj-iovnbsp;(Hüfté) neben das griecb. óö(p-vg {Hüfté) balt, so wird mannbsp;iiber ibre Verbindung nicbt lange im Zweifel sein können. Dienbsp;griecbiscben Adjektiva vead'-rig und vo}x-e/i-t]g ferner, denen ibrenbsp;Substantiva als vóD-eia und v{a%-éX-eia entsprecben, bedeutennbsp;beide 'langsam, trage, faut und bekunden damit deutlicb ibrenbsp;Gleicbbeit innerhalb der Grenzen unsers Lautwecbsels, und innbsp;abnlicber Weise ist dies der Fall bei den lateiniscben Wörternnbsp;host-is {Feind) und in-tQsX-us {feindselig) — das in- ist Ver-

starkungsprafix! —, deren Identitat sicb in der friiher nocb


lebendigen Form fost-is {Feind) nocb unmittelbarer zu erkennen gibt, sowie bei lat. hal-are (hauchen): lat. fla-re (blasen, wehen).

deren Zusammenhang aus einer Verbindung wie extremum hali-


tmn efflare 'den letzten Hauch aushauchen nocb besonders deutlicb zu uns spricbt. Ganz dieselbe Wurzel liegt aucb innbsp;unserm leb-e» = got lib-an vor, das der Natur entsprecbendnbsp;nichts andres bedeutet als ' atmen, und wieder in andrer Gestaltnbsp;begegnet sie uns in dem ai. dham-ati (er blast) wie im lit. dum-tinbsp;{wehen). Wir sebn also bier dieselbe Wurzel mit alien dreinbsp;Spiranten erscbeinen, und ebenso gesellt sicb fiir uns nun zunbsp;den scbon oben genannten griecb. {heQ^i-óg {warm) und lat. form-us {warm) das ai. gharm-ds {Glut, Warme) mit dem apers.nbsp;garm-a {warm) und dem preuB. gorm-e {Hitze). Gerade im Alt-indiscben treten uns Beispiele fiir unsern Lautwecbsel von sonbsp;bandgreiflicber Deutlicbkeit entgegen, daB ibre Wirkung nicbt aus-bleiben kann, so, wenn wir z.B. sowohl das ai. ghas wie das ai. bhasnbsp;in der Bedeutung 'essen, verzehren antreffen, oder wenn wir einnbsp;und dieselbe Wurzel als vegh (fahren) und vedh {fuhren) nebeneinander stehn sebn. Wer diese Beispiele sogleicb in prinzipiellernbsp;Vertiefung aufzufassen vermag, dem mufi daraus der Wecbselnbsp;hh: gh:dh = cp:x'- 9- als absolute Tatsacbe bervorgebn. So

it


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8G

Kapitel V.

steht ferner das ai. megh-ds {Wolke) neben dem ai. nabh-as {N'ebel, Wolhe], ein Wortpaar, dem irn Griechischen ö-iiiy-lrjnbsp;{Nebel, Wollce): vêlt;f-og iWolke, Nebel) genau entspricht, and einnbsp;und dieselbe Wnrzel begegnet uns im Altindischen unterschieds-los nebeneinander als h^r-ita und bhar-ite (gelb, grün), als harnbsp;und bhar {halten)^ als hars und bhars {sich emporstrauben), alsnbsp;ban und bhan {schlagen, toten), als bram und bbram (brummen)nbsp;usw., und dasselbe Wort finden wir zugleicb als löh-itós {rot)nbsp;und als rudh-irds {rot), wie wir im Altindischen überhaupt mehr-fach auch in sekundarer Entwicklung sich ein dh und bh durchnbsp;ein h ablösen sehn. Dieselbe Wurzel aber, die wir hier als ai.nbsp;hram und bhram erscheinen sehn, liegt auch vor im griech.nbsp;XQafi-fCco (wiehern) wie im griech. xQóg,-aöog (dasKnirschen), imnbsp;lat. frem-o {dumpfes Gerdusch machen, brummen usw.) wie imnbsp;lat. fren-d-o {mit den Zalmen knirschen), in unsern nhd. brumm-eranbsp;(= mhd. brimm-e%) und brüll-e^w, und mit der dentalen Spiransnbsp;haben wir sie im got. drun-jMS {Schall, Stimme) — nhd. dröhn-en. Man muB namlich beachten, dah diese Spiranten auf germa-nischem Sprachgebiete durch sekundare Entwicklung in Mediennbsp;übergegangen sind, sodah sich hier das ursprüngliche Verhaltnisnbsp;als Wechsel zwischen b, d und g widerspiegelt, und so findennbsp;wir deun hier die ebengenannte Wurzel auBer mit b und dnbsp;auch mit g vertreten, z. B. im mhd. gral (Schrei), dem das nhd.nbsp;gTöl-en (schreien) entspricht. Auch auf andern Sprachgebietennbsp;hat sich, wie wir aus einigen Beispielen schon gesehn haben,nbsp;die Entwicklung der Spirans zur Media vollzogen — nur fürnbsp;die gutturale Spirans müssen hier Einschrankungen gemachtnbsp;werden —, so im Iranischen, im Armenischen, im Albanesischen,nbsp;im Altirischen und im Baltisch-Slawischen, und unter gewissennbsp;Bedingungen ist der Ubergang auch im Lateinischen eingetreten,nbsp;WO wir z. B. u. a. anlautende %r-, yl- als gr-, gl- wiederfinden,nbsp;sodaB dem griech. xd^-ig (Anmut, Gunst, Dank) das gleichbe-deutende lat. gra-t-ia entspricht. Berücksichtigt man das, sonbsp;wird einem der Wechsel der Spiranten mit schlagender Kraftnbsp;entgegentreten aus dem Verhaltnis 'lat. giéaa-ium (Schofi): got.nbsp;barm-s {Schofd).' Üherall findet sich so das Zusammengehörigenbsp;organisch zueinander, das ai. bhum-is (Erde) erweist sich uns

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Differeiizierung der Wurzel durch den generollen Wechsel usw. 87

als eines Ursprungs mit dem lat. hum-ws {Erde) wie mit deni griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{auf der Erde), und im Griecliisclien finden wir

ein und dieselbe Wurzel niclit uur als y).cnfi-io {av.shöhlen) und yX'ólt;p-co (aushöhlen) nebeneinander, sondern aucb als yXd(p-vnbsp;iHühlé) und yvvê-og {Höhle), die sicli alinlich zueinander ver-lialten wie innerhalb einer andern Wurzel das griech. ya^(p-aLnbsp;(Kinnhaclcen) zum griech. yvd-9-og (Xinnbacken). Neben demnbsp;bekannten xQiamp; ii {Gerste) mit seiner epischen Form xQï{'d-)nbsp;treffen wir dasselbe Wort im Griecliisclien als xdyi^-vg {Gerste)nbsp;wieder, und wie dem griech. altp-slv {verdienen, erwerhen) nebstnbsp;d?.(p-7] iGewinn) das lit. alg-a {Lohn) gegenübersteht, genau sonbsp;dem lat. fuquot;d-o (giefien) das got. giut-an==nhd. giefl-en, und ebensonbsp;begegnet uns ein und dasselbe Wort im Lateinischen als frig-onbsp;{bilden, gestalten) und imGotischen als deig-aw (bilden, gestalten).nbsp;Dem lat. fraquot;g-o (brechen) ferner wie dem got. brik-cro (brech-en)nbsp;gegenüber bietet uns das Griechische die Wurzel in der Formnbsp;d-^dy-iio {zerbrechen) gt; d-Quaaie m\t d-q ay-góg {das Brechen),nbsp;eine Form, die wir auch vielleicht in dem neben .?er-brech-mnbsp;gleichbedeutend stellenden nilid. ^er-trech-ew wiedererkennennbsp;dürfen; in der Bedeutung 'gehn, kommen verbindet sich dasnbsp;griech. 'é^y-ogai nebst ycoQ-éa mit dem griech. èX’d-etv wie mitnbsp;dem alb. eié-a {ich kam) und mit dem ai. andh {gehn) — innbsp;andrer Gestalt tritt dieselbe Wurzel auch im griech. ïyv-og {Fu/Gnbsp;stapfe. Spur) auf —, neben y_i(av {Schnee) baben wir im Grie-chischen vt(p-co {schneien) mit vup-dö-g {Schnee, SchneeflocTcen),nbsp;das lat. fall-ere {verborgen hleïben, entgehn) bat sein Gegenbildnbsp;im griech. Xa-dsïv {verborgen sein), und an das bekannte Ver-haltnis des griech. è-Xe'h'd-eQog (frei) zum lat. lib-er (/rei) braucht

erinnert zu werden. Unser quot;rot' = got. raud-s, das wir oben

nur

schon im Altindischen als rudh-irds wie als löh-itós wiederge-fuuden baben, tritt uns im Lateinischen auf der einen Seite als xaX-ilus {rötlich) und auf der andern als rfib-er (rot) und xuï-usnbsp;{rothaarig) entgegen, und unser ‘ Gaïlé = ahd. gall-a erscheintnbsp;im Griechischen ebenso als yo}.-ri {Galle), im Lateinischen abernbsp;als fel {Galle). Zu den Wurzelformen, die wir oben als ai. bannbsp;und bhan {schlagen, toten) kennen gelernt baben, tritt der drittenbsp;Typus im griecb. {hév-ioj {schlagen) hinzu, das also auch ganz

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Kapitel V.

eins ist mit den im vorigen Kapitel aufgeführten lat. of-, de-ien-d-o {drauf-, abschlagen), lat. fer-ire {schlagen, treffen, toten), lat. re-fell-ere {abschlagen, mrücJcweisen) und griech. (póv-ognbsp;{Mord), und dieselbe Wurzel ist es aucli, die wir im griecli.nbsp;gai-g {Schlacht) und im aisl. gtlnn-r (Schlacht) ersclieinen sebn,nbsp;zwei Ausdrlicken, die also ganz dem ai. bhdr-as {Schlacht, Kampf)nbsp;zur Seite treten. Im Kapitel III erkannten wir, wie das griecli.nbsp;§ttd--Tigt;s {tief) und das got. diup-s {tief) ein und dasselbe Wortnbsp;sind, und hier geht uns nun der noch offner vor uns liegendenbsp;Zusammenhang zwischen dem griech. fiad-'-óg {tief) und demnbsp;griech. ^a(p-zto {untertauchen) auf, mit dem sich so auch dasnbsp;air. bad-im {ich tauche unter, ertranhe) verbindet, sodab wir nunnbsp;von dem griech. ^aTcrio kaum noch sagen mogen, daB es quot;taufen’nbsp;heifie, wahrend es sich für unsre Erkenntnis ganz mit ihin, alsonbsp;mit dem got. AaMp-Jan {tauehen, taufen) deckt.

Wir sehn, es ist uns in der Tat gelungen, wieder ein neues grundlegendes Gesetz zu enthüllen, und wieder erkennen wir mitnbsp;seiner Hülfe die überraschendsten Zusammenhange, die, einmalnbsp;offenbart, doch auch wieder so ganz selbstverstiindlich erscheinen.nbsp;Dab die Begriffe 'Witwè und ‘Waisé in ihrem Wesen einsnbsp;sind, wird für jeden, der einigermaben von aubern Bestimmungennbsp;abzusehen versteht, klar sein; dab darum auch dieselbe Wurzelnbsp;zu ihrer Bezeichnung dient, davon wird er sich in den grie-chischen Ausdrückennbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{beraubt, verwaist, verwitwet) mit

xgg-a {Witwe) und ÖQcp-avóg (verwaist, beraubt) überzeugen können, von denen der letzte Wurzeltypus auBerdem im lat. orb-wsnbsp;{verwaist, beraubt), im arm. orb (Waise) und in andrer Lage-rung auch im lett. bar-is {Waise) vorliegt. Genau aher wienbsp;diese beiden Wörter ihrer Form nach zueinander stehn, so ver-halten sich innerhalb einer andern Wurzel das lat. ber-ëd-s {dernbsp;Erbe) und das got. arb-ya {der Erbe) mit dem air. orb-e (dasnbsp;Erbe). Dab ferner die griechischen Ausdrücke 'éy-tg {Otter) undnbsp;ö(p-ig (Schlange) wie ihrem Wesen so auch ihrer Form nachnbsp;zusammengehören, zeigt sich jetzt sogar dem flüchtigen Blickenbsp;— dem ersten Wort entspricht das ai. ah-is {Schlange, Drache) —,nbsp;und auch das ahd. ott-ar {Ott-er) mit dem lit. lid-ra (Otter)nbsp;wird man, entgegen der hergebrachten Zusammenstellung mit dem

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DifferenzieruDg der Wurzel durcli den generellen Weclisel usw. 80

griech. vdqa (Wasserschlangé), vielleicht hierlier stellen müssen. Und wieder führt uns das Verhaltnis dieser Wörter zu einemnbsp;ahnliclien, das sich uns auftut zwischen dem griecli.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{sagen)

nebst dem lat. fa-ri [sagen, sprechen) und dem griech. {Schall, Laut, Rede). Das lat. fum-MS [Bauch, Dampf, Duft)nbsp;wird für uns eins mit dem ai. dhum-ds (Eauch) und mit dem aksl.nbsp;amp;ym-u {Bauch) sowohl wie mit dem got. daun-s [Dun-st, Oeruch)nbsp;= mhd. toum {Dunst, Duft) — es handelt sich hierhei jedenfallsnbsp;urn dieselhe Wurzel, die wir ohen im lat. fla-re (blasen, wehen)nbsp;usw. hahen kennen lemen —, das lat. fraud-s {Betrug, Über-vorteilung, Tauschung) deckt sich ganz mit dem ai. drögh-asnbsp;{arglistige Schddigung), mit dem apers. drang-a {Lüge) und mitnbsp;unserm mhd. trüg-e {Be-trug), das griech. sv-d-év-sia {reichernbsp;Verrat, Wohlstand) schlieBt sich zusammen mit (póv-og {Masse)nbsp;wie mit a-(pev-og oder a-cfv-og [reicher Verrat) nehst dcpv-eiógnbsp;{reich, wohlhabend), und die lateinisclien Wörter amp;-um {Faden)nbsp;und fün-is {Seil, Tau, Stride) verbinden sich mit den griechischennbsp;amp;d)g.-t.yy-g {Seil, Band, Schnur, Schlinge) und aQ'th-góg {Bund,nbsp;Verhindung) ebenso wie das lat. fim-its {Mist, Kot) mit dennbsp;griechischen Wörtern ¦d-ok-óg {Schmutz, Kot) und ó'vd'-og {Mist,nbsp;Kot). Die Wurzel des griech. Ggxxl-iogai {straucheln, ausgleiten)nbsp;finden wir nicht nur im ai. skh.al-atë (er strauchelt), sondernnbsp;auch im griech. ó-Xiath-drio {ausgleiten) wieder, und wenn wirnbsp;im Altirischen in der Bedeutung ‘raufi sowohl ein garb wie einnbsp;garg vorfinden, so werden wir auch hier wohl den Wechsel zweiernbsp;ursprünglichen Spiranten erkennen durf en. Mit allen drei Spirantennbsp;nebeneinander finden wir ein und dieselhe Wurzel vertreten imnbsp;griech. d-dk-agog {jeder verborgne Ortr, H'óhle, Schlupfwinhel),nbsp;im griech. tpoil-éio {sich in einer H'óhle verbergen; im Hinter-halt liegen), und im griech. lóypog {Hinterhalt, Höhle), im griech.nbsp;yrt'iQ-aglg {Höhle, Schlupfwinlcél) wie im griech. [ivy-dg {innerster,nbsp;verborgner Ort, verborgner Winhel, Höhle), eine Wurzel, inner-halb deren sich das griech. lt;pail-sóg {Lager der ivilden Tiere)nbsp;mit dem ahd. luog {Lager der wilden Tiere) noch hesondersnbsp;deutlich zusammenschlieBt. Mit dem Bedeutungsinhalt 'hoch'nbsp;stehn ferner als Typen einer Wurzel im Griechischen nebeneinander (fÓQ-ayy-g {Fels, Anhöhe), Xó(p-og {Hügel), óepQ-ög {An-

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Kapitel V.

h'óhe, Hügel) — aus unsrer Sprache sei dazu das mhd. bór {Er-hebung, Empörung) genannt — und ÓQ^-óg (aufrecht gerade\ dem wir das altir. und ags. dun (Hügel) anreihen können, undnbsp;so ist es auch ganz dasselbe, ob wir vor uns haben das griech.nbsp;TQsyi-tü (laufen, eilen) oder, wie es ursprünglicli gelautet bat,nbsp;^Qéx-to (ygl. Fut. ^Qé'^ogai) mit dem ibm ganz entsprecbendennbsp;got. prag-yan (laufen) oder das mhd. drab-e» (laufen, trab-en)nbsp;oder das mhd. drat-e (schnell, eilig). DaB die Wurzel des griech.nbsp;ê-dX-atTcc (Meer) nichts andres als ' (liepen bedeutet, hat sichnbsp;uns schon im vorigen Kapitel durch seine Verbindung mit demnbsp;ai. dhar-a (Elüssiglceit, Strom, Tropfen) auch auBerlich bestatigt,nbsp;und mit der Erkenntnis unsers neuen Lautgesetzes wird es unsnbsp;klar, daB es dieselbe Wurzel ist, die wir haben im griech. lt;p?.i-tonbsp;(fiiepen lassen, überfliepen), im griech. vélt;p-to (benetzen), im lat.nbsp;fon-t-s (Quelle) u. m. a.; das griech. d'i)Q-u (Tür, Tor) fernernbsp;wie unser mhd. tür vereinigt sich nicht nur mit dem oben an-geführten lat. for-es (Tür), sondern auch mit dem lat. ièa.-estranbsp;(Eenster, Öffnung), und wem ihr gemeinsames Wesen damit nochnbsp;nicht unmittelbar klar geworden ist, dem kann es dieselbe Wurzel imnbsp;lat. toi-amen (Lock, Óffnung) zeigen, dem das griech. (paQ-tonbsp;(trennen, spuiten) und das griech. Y_HQ-dd-g (Hip, Spalt) deut-lich zur Seite treten; und wenn uns jetzt das griech. dy^X-vgnbsp;(Finsternis, Nebel) begegnet, so erkennen wir darin bald einennbsp;mehrfach differenzierten Typus derselben Wurzel wieder, die unsnbsp;auch im griech. vélt;p-og (Wolhe, Nebel, Dunkel) entgegentritt.nbsp;In den vorigen Kapitein haben wir die Wurzel Sal mit demnbsp;Bedeutungsinhalt ‘wachsen, blühen’ schon mehrfach kennennbsp;lemen, so im griech. ¦d'dX-uo (blühen, wachsen), im got. liud-awnbsp;(wachsen), im ai. dhin-ö (Qetreide) und in all den andern aufnbsp;S. 69 aufgeführten Wortgebilden; uns treibt es nun, an ihr dienbsp;Untrüglichkeit unsers Lautgesetzes schon einmal deduzierend zunbsp;erproben, indem wir fordern, daB es dann auch Formen diesernbsp;Wurzel mit (f und / geben muB, und da werden wir uns vornbsp;allem dessen bewuBt, daB sie uns in solchen Gestalten schonnbsp;langst begegnet ist im griech. (pél-iov (Blatt, Laub-, Blume,nbsp;Pflanze), im lat. ï(A-ium (Blatt) und im mhd. loub (Laub, Blatt)nbsp;== got. laub-s (Blatt). Dazu gesellen sich nun aber zahlreiche

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Differeiizierung der Wurzel durch den generellen Wechsel nsw. 91

verwandte Erscheinungen wie ii. a. das griecli. lt;fdQ {Dinhel) mit dem lat. far {Spelt) und mit dem alb. bar {Kraut), das griecli.nbsp;alip-L {Gerste) mit dem gleicbbedeutenden alb. elp {elb-i), das lat.nbsp;amp;l-ic-s {FamJcraut), ferner das griecli. yj^-óg {Gras), das griecli.nbsp;lóy-fj-rj {Strauch, Busch) und, wenn sie niclit zu der Wurzel desnbsp;lat. frons {Laub) geboren, auch das lat. flö-s {Blüte, Blume),nbsp;das got. blo-ma {Blu-me) mit dem mhd. bluo-^ {Blü-te), das griech.nbsp;yló~a {Keim, Saat, Gras, Laub) u. v. a. So verscliieden sienbsp;also auch, zumal eins direkt am andern gemessen, ausselien mogen,nbsp;es handelt sich in all diesen Sprachgebilden um Individuen einnbsp;und derselben Gattung. Auf dem Gebiete der Eigennamen abernbsp;gesellt sich für uns nunmehr zu den S. 73 vereinigten ’OQ(p-tvg, quot;AfKp-uüv und ^rpi-iog in ganz ungesucbter Weise auchnbsp;der Name eines andern quot;alten tlirakisclien Sangersquot;, von dessennbsp;Schicksal uns die Sage zu erzahlen weiB, der Name amp;d[i.-vQtg,nbsp;und das — muB uns recht bedeutsam erscheinen, besonders w'ennnbsp;wir es zu würdigen wissen, wie überhaupt die attesten Erinne-rungen der Griechen als sagenhafter Niederschlag ihrer vor-historischen Vergangenheit gerade nach Thrakien weisen, nachstnbsp;dem nach Thessalien (Halen Jolkos — Argonautenzug!) undnbsp;wieder spater nach Böotien (Hafen Aulis — Trojanischer Krieg!).nbsp;DaB sich unser Lautwechsel endlich auch in der Gestaltungnbsp;der sekundaren Sprachbestandteile geltend macht, mag uns einnbsp;Formenverhaltnis wie griech. rók-atpog {Ohrfeige) : réfi-uyognbsp;{abgehauenes Stuck): ipdg-ccd-og (Sand) zeigen.

Zum SchluB auch hier ein Ausblick auf die sekundaren Falie, in den en wir das unablassige Weiterwirken unsers Gesetzesnbsp;deutlich wahrnehmen, so zunachst, um an das eben Behandeltenbsp;gleich w'iederanzuknüpfen, bei einigen Eigennamen. Die Stadt,nbsp;die wir mit den Eömern als Carth-a^o zu bezeichnen gewohntnbsp;sind, liieB bei den Griechen KaQy-rjóév, zwei Formen, die sichernbsp;im direkten Alihilngigkeitsverhaltnis zueinander stehn; das altenbsp;(Jfj^ai. ferner, der Name der bekannten Hauptstadt von Böotien,nbsp;lautet heute im Neugriechischen Fibae, genau mit derselben Uiii-bildung, wie wir das alte d-éX-to {wollen) im Neugriechischennbsp;dialektisch als (péX-co wiederfinden, und allbekannt sind dienbsp;russischen Namensformen 'Eedor und Fedora für Theodor und

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92

Kapitel V.

Theodora. lm Armenischen finden wir für ein ursprüngliches p im Anlaut ein Ji wieder, eine Entwicklung, die nur zu verstehnnbsp;ist durch die Mittelstufe eines aus p entstandnen /', sodaB wir beinbsp;den armenischen Formen wie hing (fünf)., hur (Feuer)., herinbsp;(fern) u. a. ganz an unsre Formen mit labialer Spirans zunbsp;denken haben, und diesen Übergang, den wir auch in den imnbsp;Eingang des Kapitels aufgeführten lateinischen Wörtern habennbsp;kennen lemen, treffen wir mit einer besondern RegelmaUigkeitnbsp;innerhalb des Romanischen im Spanischen wieder. Wie wirnbsp;oben innerhalb des Französischen ein urspriingliches fors sichnbsp;zu hors (seit dem 16. Jahrh.) haben entwickeln sehn, so habennbsp;wir gegenüber

Fernando,

hilo,

honda,

higado,

hortere,

hinojo usw.

span.

ital. 'Fernando (Ferdinand) ....

ital. Ulo., frz. til (Faden).....

lat. tunda (Schleuder) = ital. iiunda ital. iegato, port. tigado (Léber) .nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;.

ital. follare, frz. iouler (ivalhen) . nbsp;nbsp;nbsp;.

ital. tinocchio, frz. tenouil (Fenchel) .

So treffen wir ferner das frz. hache (Hache, Beil) im Portu-giesischen als taeha und \iacha nebeneinander au, und das frz. refuser (abschlagen, verweigern) begegnet uns im Spanischen alsnbsp;reYmsar. Ganz offen liegt der sekundare Wechsel ferner in dennbsp;germanischen Wörtern vor, die wir im Anfang dieses Kapitelsnbsp;aufgeführt haben, und denen wir hier vor allem noch das Ver-haltnis von nhd. Neff-e\ Nich-te hinzufügen wollen; die letztenbsp;dieser Formen geht auf das ursprünglichere ahd. nif-f = mhd.

niftel zurück, das also noch ganz auf einer Stufe mit dem ahd. nef-o (Neffe, Verwandter) == mhd. nev-e stand. Da im Gotischennbsp;das Wortnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(Vetter) lautet und dementsprechend im Alt-

nordischen nid-r, so haben wir dasselbe Wort mit samtlichen drei Spiranten vor uns; wie der Vergleich mit dem lat. nep-ot-snbsp;(Enkel, Neffe) = ai. nap-Sif (Enkel) usw. aber zeigt, ist davonnbsp;auf dem germanischen Spraehgebiet als ursprünglich nur dienbsp;labiale Spirans anzusehen, sodaC im got. nip-jis wie im nhd.nbsp;Nich-te, dem sich das air. neVh-t (Nichte) an die Seite stellt,nbsp;eine sekundare Wirkung unsers Lautgesetzes vorliegen muB. Sonbsp;kann also auch eine erst sekundar entstandne Spirans ihrerseits

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Differenzierung der Wurzel dureh den generellen Wechsel usw. 93

wieder in jede ilirer beiden Genossinnen übergehn, und dab sich von zwei zusammentreffenden Spiranten die eine leicht die andrenbsp;Töllig assimiliert, wie wir es z. B. in der Entwicklung des mhd.nbsp;MGh.-vart (hochfahrendes Wesen, übermut) zum nhd. Hot-fartnbsp;sehn, ergibt sich aus ihrer gleicliartigen Natur von selbst. Iranbsp;Germanischen finden wir den Übergang von f ïu h {ft gt; ht)nbsp;besonders auf dem niederdeutschen Sprachgebiete vollzogen, wonbsp;z. B. das Wort Luit (got. luftus) auch als Lucht und das zunbsp;quot;grab-eri gehorige Substantiv Graft auch als Gracht erscheint,nbsp;Formen, wie sie iniHollandischen ziir allgemeinen Regel gewordennbsp;sind. So konnte also auch das zu 'géb-eri gebildete Substantivnbsp;mhd. gift {die Qahe), das uns im Neuhochdeutschen vor allemnbsp;noch in Mit-gift gelaufig ist, jederzeit übergehn in gicht, undnbsp;in dieser Form hat sich das Wort auch tatsachlich in der Sprachenbsp;der Eisen- und Kohlenarbeiter erhalten: 'die Gichf bedeutet dortnbsp;die auf einmal im Hochofen aufgegebne Men ge Erz, Kolden usw.nbsp;Denselben übergang beobachten wir auch im ümbrischen, wonbsp;wir z. B. das lat. smptum {Geschriebnes) oder scriptor {Schriftsteller) als screhto und screihtor wiederfinden, sodaB sich unsnbsp;also liberal! die Spuren der ewigen Wirksamkeit unsers Gesetzesnbsp;zeigen. Auch an Erscheinungen wie das bayr. fuchzeJin =nbsp;fünfzehn sei erinnert. Besonders leicht vollzieht sich der Laut-wandel augenscheinlich auch im Auslaut eines Wortes^ wie esnbsp;in den oben verzeichneten Beispielen der Anlaut war. Mehrerenbsp;englische Beispiele können uns das am besten zeigen, und zwarnbsp;gestaltet sich hier die Sache noch besonders interessant dadurch,nbsp;dab der Englander bei seiner konservativen Beharrlichkeit innbsp;der Schrift den ursprünglichen Laut meist festhalt, wahrend dienbsp;wirkliche Aussprache langst gewechselt hat: so heiBt uwer'genugnbsp;im Englischen enough, das aber im Auslaut mit / gesprochennbsp;wird, unser 'lach-en erscheint dort in der Schrift als laugh, innbsp;der Aussprache aber als laf, und ebenso gibt der Englander unsernbsp;'rauh' in der Aussprache mit auslautendem f wieder, wahrendnbsp;er dem frühern Zustand entsprechend rough schreibt. Dernbsp;Auslaut ist also für einen spirantischen Wechsel effenbar besonders gunstig, und damit hangt es denn auch zusammen, dabnbsp;zwei in einem derartigen Wechsel stellende Wörter sehr gut

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Kapitel V.

miteinander reimen können, ohne daB der Eeiiii irgendwie als unrein empfunden wird. Wer nicht durch das Lauthild darannbsp;erinnert oder sonstwie besonders darauf aufmerksam gemaclitnbsp;wird, wird kaum etwas von dem ünterschiede der gesproclmennbsp;Spiranten empfinden — besonders bei der Kreuzung der Reinie —nbsp;in der Stelle des Faust (2. Teil V, 1):

1st es doch die alte Stelle,

Jene Sütte, die mich barg {gespr. barch.!),

Als die sturmerregte Welle Mich an jene Dünen wart

Und im Rahmen dieser Betracbbingen findet nun aucb eine Er-scheinung ihre einfacbe natiirlicbe Erklarung, die bisber völlig dunkei war, ich meine die Entstebung unsrer Zahlwörter elfnbsp;und zwölf. Mit Erklarungen der gotischen Formen ain-lif {elf)nbsp;und twa-lif {zwölf) wie'eins, zwei — über zebn! — übrigbleibendnbsp;(überschieBend)’, wobei man das got. af-lif-nan 'übrigbleiben’nbsp;berangezogen bat, branch en wir uns nicht langer auseinander-zusetzen; sie siiid in sicb haltlos. Was wir vermissen, das istnbsp;gerade der unbedingt notwendige Begriff 'zebn’, und wir müssennbsp;mit einer dementsprecbenden Sicherbeit fordern, daB er in demnbsp;-lif enthalten ist, daB also dieses lif ganz dem griecb. déa-anbsp;{zehn), dem lat. dec-em {zehn) usw. entspricht, und das — istnbsp;aucb wirklicb der Fall. Zuniichst muB das d, und zwar nochnbsp;vor der germaniscben Lautverscbiebung, in l nbergegangen sein,nbsp;ein Übergang, den wir öfters im Leben der Sprache beobacbten,nbsp;und den wir im Kap. XIV in seiner tiefern GesetzmiiBigkeit nochnbsp;kennen lemen werden, sodaB die beiden Wörter nacli der germaniscben Lautverscbiebung als ain-lih und twa-lih erscbienen,nbsp;und nun ging dazn die anslautende Spirans h genan wie in dennbsp;oben angefübrten Wörtern über in f. So kommt die innere Naturnbsp;der Sacbe, die wir sonst überall unmittelbar erkennen, aucb hiernbsp;zu ihrem Eecbte, und wir sebn ein, daB die gotischen Gebildenbsp;ain-lif und twa-lif vollstiindig den lateinisclien un-dec-im undnbsp;duo-dec-im wie den griechiscben ëv-ös'/.-a unddó-dêz-ft entsprecben,nbsp;und daB also unsre in ihrer jetzigen Gestalt so ganz abweichendennbsp;und uns völlig fremd anmutenden Zahlwörter elf und zwölf innbsp;natürlicher Übereinstimmung mit drei-zehn, vier-zehn usw. nichts

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Differenzieruiig der Wurzel durch den generellen Wechsel usw. 95

andres sind als ein-zehn und zwei-zehn, Formen, wie sie das im Kinde wirkende naive Gefühl auch noch wirklicli bilden wird.nbsp;Die beiden Begriffenbsp;nbsp;nbsp;nbsp;ziveï usw. und 'zehn müssen eben

unter allen ümstanden da sein, mogen sie sicb wie gewöhnlich in der bisher beobacbteten Verbindung geben, wie u. a. auch imnbsp;neupers. duvaz-dah {zwölf), oder in der umgekebrten, wie wirnbsp;sie z. B. im umbr. de sen-duf (zwölf) sehn, mogen wir also — innbsp;den Formen unsrer eignen Sprache wiedergegeben — drei-zehn

oder zehn-drei sagen (vgl. hundert - drei usw!). Denselben

Übergang von d in l übrigens, der sicb in den gotiscben Formen ain-ïif und twa-lif zeigt, finden wir in einer überraschendennbsp;AVeise im Litauiscben bestiitigt wieder, wo in der ganzen Zablen-reihe 11—19 das urspriinglicbe dek (zehn) als lïk erscheint:nbsp;ï;ewd-llk-a. (elf), dwy-\\)s.-a (zwölf), tyr-^k-a (dreizehn), keturió-\ik-anbsp;(vierzehn) usw. Doch für uns kann das nur den A¥ert einernbsp;dankbaren Bestatigung haben, die AValirheit liegt in der Sachenbsp;selbst. AbschlieBen wollen wir diese Betrachtung der sicb immernbsp;wiederbolenden sekundliren AFirksamkeit unsers Gesetzes auchnbsp;hier mit einem Hinweis auf die Tatsache, daB auch unter dennbsp;als primar angeführten Beispielen in einigen Fallen mit einemnbsp;sekundaren AFandel gerechnet werden muB. Vor allem gilt diesnbsp;für das Lateinische, das gegenüber den cp, %, S- {bh, gh, dh) dernbsp;andern indogermaniscben Sprachen in einer sehr auffalligennbsp;Haufigkeit nur die labiale Spirans f aufweist, sodaB man viel-facb ein lateinisches f auf ein ursprünglicbes dh oder gh zurüok-führt. AVir müssen jedoch auch hier bervorheben, daB wir nurnbsp;da ein direktes Abbangigkeitsverhaltnis unter den Formen sehennbsp;dürfen, wo eine wirkliche, vor allem sicb aus der historiscbennbsp;Entwicklung ergebende Nötigung dazu vorliegt, und daB wirnbsp;sie sonst als gleichwertig nebeneinander stekende Erscbeinungs-formen derselben AFurzel zu betrachten baben.

AVieder haben wir so die Spur eines groBen, ewigen Gesetzes auf- und absteigend durch das unermeBlicbe Gebiet des Sprachlebens verfolgt und vor allem gesebn, wie auch der AVechselnbsp;dieser Spiranten in der Hand der scböpferischen Natur ein Mittelnbsp;wird, ein und denselben Sprachstoff in der uns scbon bekanntennbsp;AVeise zu reiclister Entwicklung zu entfalten.

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Kapitel VI.

Kapitel VI.

Genereller Wechsel der Liquiden und Nasale mit dem v-Laute.

Die in den beiden letzten Kapitein erörterten Gesetze sollten aber bald noch eine bedentsame Erweitemng erfahren. Mit dernbsp;stetig wachsenden Kenntnis der Wurzeln und des an sie ge-bundnen Bedentungswertes steilte es sicli namlicb bald heraus,nbsp;daB die Li'quiden und Nasale sowohl wie die Spirantennbsp;if, 9- in einem gesetzmaBigen Wechsel mit dem v-Laute stehn. Zunachst die Liquiden und Nasale. Wenn wirnbsp;sehn, wie dem griech. xtv-óg (leer) und dem ai. rék-Ms (leer)nbsp;mit rik-tós (leer) in derselben Bedeutung das lat. vslc-uus (leer)nbsp;gegenübersteht und sicb so aucli das lat. vac-are (leer sein,nbsp;ohne etwas sein, etwas entbehren) ganz natiirlich mit dem lat.nbsp;car-ere (ohne etwas sein, etwas entbehren) verbindet, wenn wirnbsp;nns ferner daran erinnern, wie dem griech. xoT^-og (hohl) undnbsp;unserm mhd. hol (hohl) gegenüber die lateinische Sprache das-selbe Wort als cav-ws (hohl) aiifweist, und wenn uns dazu einnbsp;und dasselbe Wort mit dem Bedeutungsinbalt ‘süfi' im Altin-dischen als svad-zzs, im Griechischen als (of)'iiö-vg, im Lateini-schen als 8va(d)-vis, im Altsachsischen als swöt-i — man erinnerenbsp;sich hierbei des engl. sweet- = ahd. swuoz-i gt; mhd. süez-e, im Sla-wischen aber als aksl. 8lad-M^;t(, und als lit. sald-ws begegnet,nbsp;dann mufi sich uns in der ganzen Eichtung unsrer Forschungnbsp;die Frage aufdrangen, ob wir in diesen Einzelerscheinungennbsp;nicht die prinzipielle Tatsache eines allgemeinen Wechsels dernbsp;Idquiden und Nasale mit dem u-Laute zu sehen haben. Gehnnbsp;wir diesen Spuren weiter nach, so stellen wir bald fest, daBnbsp;dieselbe Wurzel, die wir als lat. cal-or (Wcirme, Hitze, Glut),nbsp;griech. nTjl-ów (verbrennen), griech. w^-ivog (Ofen) = lat.nbsp;cam-mMs (Ofen) kennen, im griech. naf-im gt; y.ako (brennen.nbsp;Fut. xav-ato!) nebst xav-jj-a (Brand, Hitze) mit v erscheint, undnbsp;im Gotischen sehn wir neben ga-nnit-jan (schmüJien, Idstern),nbsp;das ganz dem griech. 6' vHÖ~og (Schimpf, Schmach, Schande)

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Genereller Wechsel der Liquiden imd Nasale mit dem v-Laute 97

entspricht, in derselben Bedeutung ein ic^-veit (Schmach) mit idveit-jan {schmdhen) stehn, Formen derselben Wurzel, dernbsp;auch das griecb. öêvv-og (Beschimpfung, Schande) nnd dasnbsp;griech. Xoió-oq-éto {schelten^ schimpfen, schmahen) angehören.nbsp;Das griech. xXdf-ico (weinen) ferner mit x?Mi)-ga (dasWeinen),nbsp;dem sich das ahd. hriuw-a = mhd. riuw-e (Betrühnis, ScJimerz,nbsp;Leid) iind das lit. werk-i?'/ [weinen) verbinden, treffen wir imnbsp;Albanesiscben wieder an als kl'an [weinen), nnd wahrend wirnbsp;in der Bedeutungim Litauischen die Form kirm-is, -èlenbsp;finden und ebenso im Albanesiscben kirm-^;, im Altindiscbennbsp;Jcim-is, im Altiriscben crnim, begegnet uns im Altkirchensla-wiscben das Wort sowobl als cerm-ï wie als cerv-;. Über dasnbsp;ganze Debiet der idg. Spracben bin tritt uns also die Erscheinungnbsp;entgegen, sodaB wir in unsrer Auffassung nur immer aufs neuenbsp;bestarkt werden mussen, und sie wird für uns endlich zur Ge-wiBheit an einem so schlagenden Beispiele wie dem got. slêp-annbsp;[schlaf-en), das nun auf einmal von ganz unvermuteter Seitenbsp;her in seinen effenbaren organischen Zusammenhang mit demnbsp;ai. svap-nas iSchlaf) = griech. [öf)'ëjt-vog [Schlaf) = lat.nbsp;s(v)op-or [Schlaf) mit somnus [Schlaf) usw. gestellt wird. Ge-rade dieses Beispiel, wo uns die abweichende Liqnida schon sonbsp;oft vergebens beschaftigt bat, nicht ohne eine gewisse Mifistim-mung, wenn wir dabei der andern auch im Germanischen mitnbsp;V auftretenden Formen wie des ags. swef-a» [schlafen), desnbsp;aisl. avef-w [Schlaf) oder des mhd. ent-svreh-en [einschlafern,nbsp;eins-chlafen) gedenken muBten, gerade dieses Beispiel ist so cha-rakteristisch, daB es leicht der Ausgangspunkt für unsre Beob-achtung hatte werden können; um so sicherer schlieBt es abernbsp;jetzt, wo wir uns ilim auf diese Weise genabert haben, unsrenbsp;Überzeugung von der primaren GesetzmaBigkeit der Laut-erscheinung ab.

Die Liqniden und Nasale stehn also tatsachlich in einem generellen Wechsel mit dem n-Laute, sodaB dieselbe Wurzelnbsp;nicht nur als gel, ger, gem, gen, sondern auch als gev erscheinennbsp;kann, und wenn dem so ist, dann mussen nun wieder dienbsp;Falie in ungeahnter Zahl und Weise für nns ans Licht treten.nbsp;Kaum faBbar will es uns jetzt erscheinen, wie wir bisher an dem

Meyer, Die Schöpfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;7

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Kapitel VI.

griecb. vtx-7] {Sieg) mit vix-dco {stegen) liaben vorübergebn können, ohne zu merken, dab es doch ganz eins ist mitnbsp;dem lat. vi^c-o (^stegen) oder vic-i (ich habe gesiegt), und erstnbsp;jetzt sehen wir, was in vollster Deutlichkeit vor unsern Augennbsp;lag, dab namlich dasselbe lateinische Verbum zugleich als lib-rare {schwingen) und als vib-rare {schwingen) erscheint. Dasnbsp;griecb. ^óF-c; gt; ^ovg (Rind, Ochse, Kuh) wie das ihm ent-sprechende lat. bov-s gt; bos (Ochse^ Bind, Kuh) finden ihrenbsp;offenbaren Verwandten in den scbon im Kapitel IV ge-nannten griecb. ^óv-aaog {Auerochs), griecb. ^oX-ivd-og (Auer-ochs) und lat. bël-Ma {grofies, ungeschlachtes Tier); in dem got.nbsp;sniw-un {eilen) erkennen wir jetzt auf den ersten Bliek unsernbsp;mhd. snel {schnell, eilig) wieder mit all den andern Verwandten

¦o {schnell, eilig), mhd.

sninm

wie got. 9nium-ƒa?^ {eilen), ahd.

sliun-ec ischleun-ig, schnell), air. solm-a {schnell), alb. snl’m {Eile) usw., und unser mbd. naz {nafi) mit dem lat. mamp;di-idus {nafi)nbsp;tritt in überraschend einfacher Weise in seinen selbstverstand-lichen Zusammenhang mit dem mhd. wazz-er {Wasser) — got.nbsp;nat-jan (benetzen): got. wat-ó (IFasser)! —, ja im Englischennbsp;erscheint es direkt selbst als wet {na(i) und ebenso im Altnor-dischen als vat-r {nafi), wie hier auch die Form tvis-#-r {taurig) innbsp;ibrem völligen Gleichklang mit dem lat. tris-^i-s {traurig) unsernnbsp;Lautwechsel deutlich zeigt. Das lat. sal-wm {Meer, See), einnbsp;Typus der groBen Wuvzel ser quot;fliefien, tritt mit dem got. saiw-snbsp;{See) zusammen; mit dem got. rim-is [Euhe), dem sich das npers.nbsp;ram {Buhe) und das ai. ram-a^ë {er ruht) unmittelbar anschlieBen,nbsp;vereinigt sich auch das abd. nlow-a (Ruh-e) nebst raw-a (Ruhe),nbsp;und das got. Aiw-an {sterben) wie A^n-pus {Tod) erweisen sichnbsp;nunmehr als völlig identiscb mit den griechischen Wörtern ^av-siv {sterben) und -d'dv-atog {Tod). Das lat. av-Ms {Grofivater)nbsp;ferner mit dv-ia (Groflmutter) und das got. aw-3 (Gro/Smutter) habennbsp;ihr deutliches Gegenbild in dem mhd. an-e {Grofivater m., Grofi-mutter f.) = nhd. Ahn, ür-ahn-e usw., und der allgemeine Be-griff der Wurzel tritt klar hervor in dem lat. an-^s {alte Frau).nbsp;Wieder dürfen wir sagen: wer nur dieses eine Beispiel sofortnbsp;in prinzipieller Vertiefung aufzufassen vermag, dem muB sichnbsp;daraus das Dasein unsers Gesetzes mit zwingender Notwendig-

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Genereller Wechsel dor Liquiden und Nasale mit dem v-Laute. 99

keit ergeben. Und wie die eben genannten Wortgebilde in ihren Formen zueinander stehn, so sehen wir auch innerhalb einer ahn-lichen Wurzel mit dem Begriffsinhalt quot;hauchen, ivehen nebennbsp;an die Form va stehn, namlich im ahd. wsi-iu {ich wehe) wienbsp;im ai. vi.-ti {er weJit) u. a. gegenüber allen den Wörtern wienbsp;got. us-d^n-an {aushauchen), ai. an-üi (er atmet) nebst dem ai. an-ilas {Wind)j air. an-d^ {Atem), griech. av-sfiog {Wind). Imnbsp;Mittelhoclideutschen begegnet uns ferner neben rnof-ew (ruf-en,nbsp;schreien) ein ihm ganz entsprechendes wuof-en {laut rufen,nbsp;heulen, wehMagen), ein Wortpaar, das im Gotischen als hrop-jan {rufen, schreien) und hv6p-a« {sich rühmen) nebeneinandernbsp;steht; wie im Mittelboclideutschen ferner wech-o(fer {Wacholder)nbsp;und lech-olter nebeneinander stehn, so bat unser nhd. Ras-ennbsp;sein WsLS-en (vgl. Wasenmeisterl) mit Wies-e zur Seite — mhd.nbsp;ras-e : was-e, wïs-e (die mittelniederdeutsclie Form wras-e lassennbsp;wir zunachst beiseite) —, und unzaliligemal haben wir unsernnbsp;Lautwechsel, ohne uns dessen bewuBt zu sein, vollzogen, namlich jedesmal, wenn wir unser deutsches mit = got. mip {mit)

griech. fter-d {mit) durch das engl. with {mit) wiedergaben.


Zu dem Verhaltnis mit: with aber haben wir das beste Seitenstück in einer andern Wurzel, wenn wir unser nlid.ifitt-e =got. mid-janbsp;{mitten) mit allen ihm direkt entsprechenden Wortgebilden wie demnbsp;lat. mëd-ms usw. neben das lit. wid-tónis {der mittelste) und dasnbsp;lett. -wiAA-usiMitté) halten. Da im allgemeinenimGriechischen dernbsp;r-Laut unmittelbar nirgends erhalten ist, so ergibtes sich methodischnbsp;schon von selbst, dali wir an dieser Stelle, wo es sich um dienbsp;anschauliche Begründung unsers Gesetzes handelt, mit griechi-schen Beispielen im ganzen mehr zurückhalten; aber manchenbsp;Falie sind doch so klar, daB mit der Wiederherstellung des ur-sprünglichen u-Lautes der natürliche Zusammenhang in die Augennbsp;springt, wie z. B. bei dem Verhaltnis des griech. zt(/)-wr {Saule}nbsp;zum lat. co\-umna {Saule) oder bei dem griech. ai{f)-oj7crinbsp;{Schweigen, Stille) in seinem Verhaltnis zum lat. sil-eo {stillnbsp;sein, schweigen), denen sich das got. wis {MeeresstiUe) deutlichnbsp;anreiht, und eine derartig auffallende Tatsache, daB neben demnbsp;griech. Isi^-w {tröpfeln, ausgiefien) auch die Form «t/3-w auf-tritt, daB also — mit irrtiimlicher AuBerlichkeit gesagt — IsL^io

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Kapitel VI.

sein anlautendes l verlieren kann. eine solche Tatsache wird doch nur verstandlich durcli die Wirksamkeit unsers Gesetzes,nbsp;nach demnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;und fsi^-co nebeneinander erscheinen können.

lm Inlaut vor Konsonanten nimmt der u-Laut vokaliscbe Gestalt an, wie wir es oben schon in y.uv-iza u. a. geseben baben: auch das griech. lt;pav-aig {Licht, Olanz) bat sich effenbar innbsp;dieser Weise entwickelt und gehort so mit dem lesbiseben (paF-ognbsp;{Licht), das den ursprünglicben v-Laut noch bewabrt bat, zunbsp;den griechisebenWortgebilden (pav-uo {scheinen, leuchtm), (pav-rjnbsp;(Fackelschein), (pav-óg {leuchtend, heil) usw.

Auf dem ganzen Gebiete der indogermanischen Sprachen bezeugt sieb uns nun wieder die gesetzmaBige Tatsache diesesnbsp;Lautwechsels in immer neuen Ersebeinungen, die oft genug dienbsp;überrasebendste Wirkung baben. So finden wir im Altindisebennbsp;neben krat-vas {Kraft), das ganz dem griech. x^ax-og {Stdrke,nbsp;Liiraft, Macht) entspricht, dieselbe Wurzel auch als ai. tvé,k-sasnbsp;(Tatkraft) vor, das lat. eras {morgeit) seben wir dort in der Formnbsp;evas {morgen) und das got. drius-rm {fallen) als ai. dhvas-atinbsp;(er fallt herah) erscheinen, und dasselbe Wort mit der Bedeutungnbsp;^ein, allein, das uns auf der einen Seite entgegentritt als got.nbsp;ain-s, lat. Vlil-us, air. oen, griech. oiv-f {die Eins auf dem Würfel),nbsp;baben wir auf der andern Seite als apers. aiv-a = av. aev-a undnbsp;als griech. oi{F)-og, genau so wie dem ai. nar {Mann), demnbsp;alb. ner {Mann) und dem griech. d-vriQ {Mann) dasselbe Wortnbsp;gegenübersteht als lat. vir {Mann), got. wair {Mann), ai. vir-dsnbsp;und av. vir-o {Mann, Held), lit. vyr-os {Ma^tti), air. fer {2La7tn).nbsp;So vereinigt sich auch das arm. nor {neu), bei dem man bishernbsp;für die Vermittlung mit den entsprechenden Wortgebilden dernbsp;andern Sprachen auf die Annabme einer Erweiterung dureb einnbsp;r-Suffix (= griech. veF-aqóg ^jung, neu) angewiesen war, un-niittelbar mit dem lat. nov-^s, griech. vé(F)-og, ai. nav-as, aksl.nbsp;nov-M usw. Die Wurzel des griech. ëqag-eïv {laufen) findennbsp;wir im Altindiseben als drani-a(i und Axamp;v-ati 'laufen nebeneinander und ebenso die Wurzel des griech. {Fé{F)-io (laufen)nbsp;als ai. dhav-ati und ai. dhan-aili 'rennen, laufen , wie innerhalbnbsp;der Wurzel 'hrennen, die wir im IV. Kapitel als jvar und jvalnbsp;baben kennen lemen, das ai. jurv-ati {versengen) neben dem ai.

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Genereller Wechsel der Liqiiiden uiid Nasale mit dem v-Laute. 101

jurn-i (Glut) stelit, und die Wurzel ' fHefien, die uns bisher mit den Liquiden entgegengetreten ist im griech. ¦d’dk-a'rta {Meer)nbsp;und im ai. dhar-a (Strom), zeigt sich uns mit v im ai. dha,v-atinbsp;{fliepen, stromen). In dem ai. ^a,v-ana (Feuer) ferner gibt sichnbsp;uns die Wurzel des griech. jtvQ (Feuer) wie des got. fón (Feuer)nbsp;wieder zu erkennen wie im ai. piv-an (feist) und im griech.nbsp;jti(f)-iov (fett, feist) die des griech. mu-eArjg (fett) und' des griech.nbsp;hjt-aQóg (fett); das lit. vaik-a,s (Knahè) deckt sich ganz mit dem

(Sohn) wie mit dem griech. xóQ-og (Knabe), und be-

air. maic

gegnet uns das aksl. dev-ica (Mddchen), so wissen wir, dall es nichts andres ist als das griech. öa[i-alig (Madchen). In voll-kommenster Deutlichkeit linden wir im Litauischen als Typennbsp;einer Wurzel nebeneinander kov-d (Kampf) und kar-as (Krieg),nbsp;und innerhalb dieser Wurzel mit dem allgemeinen Bedeutungs-inhalt quot;schlagen, aus der die beiden litauischen Wörter geborennbsp;sind wie unser 'Schlach-t aus ^schlag-en', entsprechen sich genaunbsp;so das aksl. kov-ati (schmieden) mit dem poln. Tcoiv-al (Schmied),nbsp;das lit. kau-ti (schlagen, schmieden, lcdm2ofen) und das ahd.nbsp;houw-a^^ (h a u -en) einerseits und das lit. kal-ti (schlagen, schmieden, hdmmern) — aksl. kla-#i (schlachten), das ahd. ham-arnbsp;(Hamm-er, Schldgel) u. v. a. andrerseits. Wie ferner das lit.nbsp;gleim-as (Schleim) = nsl. glên (Schleim) neben dem lit. glïv-asnbsp;(Schleim) = lett. gliw-e (Schleim) und das lit. plén-è (Netzhaut,nbsp;Maut auf der Milch) neben dem lett. plëw-e (dunnes Hdut-chen), so steht das lit. klev-as (Ahorn) neben dem aksl. klen-iznbsp;(Ahorn), das lit. kalv-is (Schmied) neben dem ai. karm-Sranbsp;(Schmied) und das lit. Idid-as (der Bürge) neben dem lat. vad-snbsp;(der Bürge)-, und es ist genau dieselbe Wurzel, die wir vornbsp;uns haben im griech. xcóp-ij (Dorf), im preuB. caym-is (Dorf),nbsp;im got. haim-s (Dorf) und auf der andern Seite im lat. vic-wsnbsp;(Dorf). Das lat. ard-eo (brennen) ferner erweist sich für unsnbsp;als eines ürsprungs mit dem ai. dav-ds (Brand) wie mit dennbsp;griechischen Wörtern 6d(F)-uo (in Brand stecken), 6d(f)-ognbsp;(Feuerbrand, Fackel) usw., denen wiederum ein öaX-óg (Feuer-brand, Fackel) nebst ëal-EQÓg (brennend, heip) deutlich zurnbsp;Seite steht, und die Wurzel, die uns entgegentritt im lat. rot-anbsp;(Rad), lit. rat-as (Rad), lit. rit-w (rollen), ahd. rad (Ract) und

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Kapitel VI.

im griech. dvt-vy-g (jede Bundung, u. a. auch die Wagenrdder bezeichnend), dieselbe Wurzel tritt in andrer Gestalt aucb imnbsp;griecb. {Fjïr-vg [Bundung, BadJcreis) auf, das sicb in seinemnbsp;Bedeutungskreise fast ganz mit avi-vy-g deckt, mit dem es z. B.nbsp;‘jeden runden Körper\ so u. a. den ‘Band des Schilds' undnbsp;damit auch den ‘Schild’ selbst bezeicbnet. Das lit. véid-as [An-gesicht), dessen Wurzel uns aus dem lat. vid-eo [sehen) = aksl.nbsp;vid-eti [sehen) mit dem lat. vlsus [das Sehen, der Anhlich) gt;nbsp;frz. vis-age [Gesicht) bekannt genug ist, weist uns auf seinennbsp;geistigen und jedenfalls auch körperlichen Verwandten, das av.nbsp;daëm-a [Gesicht) = npers. d^m [Gesicht) bin, das seinerseitsnbsp;sofort wieder auf das lit. dair-aw [umherblicJcen) zurückverweist,nbsp;das lit. mêd-is [Baurn) erinnert an das air. fld [Baum) — imnbsp;Altirischen bat sicb bekanntlich das anlantende v zu f ent-wickelt — und an das ahd. wit-w [Holz), und wenn wir sehen,nbsp;dab im Altirischen die Lantvereinigung gnim den Bedeutnngs-inhalt ‘die Tat’ bat, so werden wir darin dnrch alle auBere Ver-schiedenheit bald die Wnrzel des griecb. [F)sqy-ov [Tat, TFer^)nbsp;nnd unsers nhd. Werk (got. ivaürJc-jan = wirJc-en) erkennennbsp;müssen, wie wir im air. nem [Gift) das lat. vèn-énum [Gift)nbsp;wiederselien. Unmittelbar in die Augen springt die Verbindungnbsp;wieder, wenn wir das av. ax-aiti [Geiz) neben das lat. av-aritianbsp;[Geiz, Habsucht), das av. daëv-a [Damon) neben das griecb.nbsp;(faig-wv [Geist, Damon) balten, oder wenn wir znm griecb.nbsp;TioiQ-avog [Herrscher) wie zum griecb. KVQ-Log [Herr, Herrscher),nbsp;znm aksl. kun-ë^i [Fürst) und zum lit. kar-öims [König) — dienbsp;Stadt Königsberg heiBt bei den Litanern Karaliduczius — das av.nbsp;kav-i [König, Fürst) stellen, und nicht minder dentlich offenbartnbsp;sicb der Lautwechsel in dem npers. dam-Sd [Schwiegersohn,nbsp;Brdutigam) gegenliber dem lit. dëv-erls [Schwager) und in demnbsp;Verbaltnis des npers. nam [Nam-e) zum kurdischen naw [Name),nbsp;hier aber wohl in sekundarer Weise. Im vorigen Kapitel habennbsp;wir vegh [fahren) nnd vedh [führen) als verscbiedne Erschei-nungsformen derselben Wurzel kennen gelernt; nun tritt uns einenbsp;Wurzel reidb mit demselben Bedeutungsinbalt entgegen imnbsp;air. riad [das Fahren, Beiten) mit dem gall, rêd-a (Wagen)nbsp;und im ahd. ni-an [sich fortbewegen, fahren, reit-en), in

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der wir natürlich nur eine neue Erscheinungsform zu den Formen vegh und vedh zu erkennen haben. Man beachtenbsp;dabei, wie unser ‘reiten im Alt- und auch im Mittelhoch-deutsclien noch jede Art der Fortbewegung bezeichnen kann,nbsp;ahnlich wie unser ‘fahren, wie also die Begriffseinengung ganznbsp;sekundarer Natur ist, wofür man auch noch besonders das engl.nbsp;rid-e vergleichen mag, das noch heute zugleich quot;reiten undnbsp;quot;fahren bedeutet. Das lat, veh-or [fahren, reiten) entsprichtnbsp;also nicht nur unserm be-weg-en, sondern ist auch eins mitnbsp;unserm reit-en, wie das gall, rëd-a {Wagen) eins ist mit unsermnbsp;Wag-en und mit dem griech. {f)óx-og (Wagen, Fuhrwerh).nbsp;Zur Bezeichnung desselben Kriechtieres ferner, das wir mitnbsp;Wies-el = ahd. -wis-ula bezeichnen, finden wir auf slawischemnbsp;Sprachgebiete die Wurzelformen mos und las vor, namlich imnbsp;preub. mos-irco und im aksl. las-ic«, wovon die letzte Form dannnbsp;auch im Eussischen, Serbischen, Tschechischen und Polnischennbsp;erscheint, und umgekehrt heibt ein andres kriechendes Tier beinbsp;uns mhd. lamp;s (Laus) und im Slawischen aksl. vus-i (Laus) ~nbsp;nsl. ves, vus. Das mhd. kiuw-ew (— nhd. Icau-en) findennbsp;wir im Armenischen als Gxm-em (icli Jcaue) wieder, und es istnbsp;dieselbe Wurzel, die wir mit den Liquiden und Nasalen er-scheinen sehen im aksl. lêt-o (Jahr), im lit. mèt-as {Zeit, Jahr),nbsp;im alb. mot (Jahr), im av. rat-M (Zeit), im air. tan (Zeit), imnbsp;got. apn (Jahr) mit at-apn-i (Jahr) und andrerseits mit v imnbsp;griech. {F)ër-og (Jahr) wie im alb. vjet (Jahr), genau so wienbsp;sich auch das lat. vet-ws (alt) und das aksl. vet-uchu (alt) mitnbsp;dem aksl. mat-om (alt) = serb. mat-or, mit dem lat. smt-iquusnbsp;(alt) und mit dem got. alj)-eis (alt) nebst alj)-s (Alter, Zeit)nbsp;decken. Im serb. vid-ati (keilen) werden wir alsbald das lat.nbsp;mëd-eor (keilen) wiedererkennen wie im aksl. eêv-i, -ica (Rökre)nbsp;das lat. can-afe (Rökre, Rinne), und wenn uns nun das tschech.nbsp;kvap-itó (eilen) oder das poln. kvap-«o (eilfertig) begegnet, sonbsp;mussen wir darin sofort nur eine neue Erscheinungsform der-selben Wurzel erkennen, die uns aus dem griech. xaQjt-dXigognbsp;(schnelT) und aus all den andern mit ihm schon vereinigtennbsp;Wortgebilden ganz vertraut geworden ist, wie wir auch im lat.nbsp;voc-o (rufen) mit con-vic-ium (Gesckrei), im alb. vik-as (schreien)

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Kapitel VI.

und im serb. vik-ató (schreien, rufen) nichts als einen neuen Typus der weitverzweigten Wurzel des griech. •na7.-éio (rufen)nbsp;vor uns sehen. Im IV. Kapitel haben wir in den beiden latei-nischen Wörtern v8ni-er (Pfiugschar) und noM-acula (Scher-messer) doch dieselbe Wurzel mit dem Bedeutungsinhaltnbsp;‘schneiden kennen gelernt; stellen wir hierneben die beidennbsp;Wörter, die im Litauischen und im Lettischen die Pfiugscharnbsp;bezeichnen, so haben wir in den Verhaltnissen lit. noi-ègasnbsp;(Pfiugschar)-. lat. nö-v-acula (Sehermesser) und lett. lem-esisnbsp;(Pfiugschar): lat. vSm-er (Pfiugschar) Beispiele für unsern Laut-wechsel, so trefflich, wie wir sie uns nur wünschen können.nbsp;Das lat. ves-Iea (Blasé) ferner finden wir im Albanesischennbsp;wieder als mes-iie (Blasé), das lat. fav-MS (Sonigwabe) als alb.nbsp;fel’-e (Honigwabe), wozu man die italienischen Formen fia\e undnbsp;fia^o halte, das griech. -nQsii-dvvvgt, (aufhdngen) als alb. karv-aris (aufhangen), und das lat. lanr-^s (Lorbeerbaum) begegnetnbsp;uns im Albanesischen nicht nur als Par (Lorbeer), sondern auchnbsp;in der Form l’uv-arl (Lorbeerhain), in der die Wurzel auBerdemnbsp;im Serb, lov-or (Lorbeer) erscheint. Wie wir oben im lat. color (Hitzé) und im griech. y.av-g,a (Hitzé) dieselbe Wurzelnbsp;erkannt haben, genau dieselbe Wahrnehmung mach en wir beinbsp;dem griech. xdv-uo (toten) und dem lett. kau-f (toten), wonbsp;sich uns dieselbe Wurzel als han und als Icav nebeneinandernbsp;zeigt, und mit derselben sinnfalligen Deutlichkeit tritt das Ver-haltnis der Wurzeltypen hervor in dem Nebeneinander von demnbsp;lat. juv-enis (jung) und dem aksl. iJung) und ebenso vonnbsp;dem lat. iviv-encus (junger Stier) und dem aksl. jun-ici (jungernbsp;Stier). Uberall finden sich so, wenn wir nur recht zusehen, dienbsp;Formen leicht zusammen; oft stehn sie sogar, wie wir auchnbsp;schon gesehen haben,dicht beieinander, so im Russischen ner-etunbsp;(eine Art Netz), das daneben auch als mer-ete erscheint, undnbsp;nev-odu (eine Art Nets), so im Litauischen kaln-as (Erhebung,nbsp;Berg) und kalw-a (Anhöhe), wobei auf die Seite des ersten dasnbsp;as. holm (Hügel) und das got. hlain-.s (Sügel) und auf die Seitenbsp;des letzten das lat. cliv-ws (Hügel, Anhöhe) tritt. GröBer abernbsp;ist natürlich unsre überraschung und damit unsre Freude, wennnbsp;sich die verschiednen Vertreter der einzelnen Wurzeln von ganz

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Genereller Wechsel der Liquiden und Nasaie mit dem v-Laute. 105 entgegengesetzten Seiten her wie selbstverstandlich zusammen-finden, wenn sich das lat. tën-w-is (dünn) = lit. ten-'yas usw.nbsp;mit dem lett. tiw-s (dünn) vereinigt, wenn das lat. virg-o {Jungfrau, Mddchen) seine Aufklarung durch das lit. merg-a {Mdd-chen) erhalt, wenn sich für uns mit einmal das lit. mazg-öti {waschen) wie das lett. mazg-at {waschen) innerlich und auBer-lich ganz mit unserm ahd. wasc-aw {wasch-en) deckt, und wennnbsp;sich vollends gar in ganz derselben einfachen Weise vor unsnbsp;die natürliche Verbindung vollzieht zwischen den slawischennbsp;Ausdrücken für ‘Stadt, d. h. zwischen dem aksl. mest-o, demnbsp;preuB. meat-au und dem lit. piiest-o einerseits und dem unsnbsp;ganz gelaufigen griech. {F)aOx-v (Stadf) andrerseits, dessen an-lautendes w im allgemeinen verklungen, in der arkadischen wienbsp;in der lokrischen Mundart des Griechischen aber erhalten ist,nbsp;ganz zu geschweigen von dem ai. vast-w {Statte, Hofstatte,nbsp;Ham).

So bedeutet die Auffindung des neuen Gesetzes wiederum einen neuen, groBen Gewinn für unsre etymologische Erkenntnis,nbsp;die sich auf Schritt und Tritt in der sie allein befriedigendennbsp;gesetzmaBigen Weise bereichert sieht. Nichts Verschiednes istnbsp;es für uns nun inehr, ob wir das griech. è-yéq-uo {weeJcen)nbsp;oder das lat. vig-il {wach) wie das got. wak-a?2 (wach-en), obnbsp;wir das griech. Yó{F)-og {Klage, Gewinsel, Trauer) oder dasnbsp;lat. gëm-o {seufzen) vor uns haben, denen sich auch das lat.nbsp;vag-io {schreien, wimmern) anreiht, ob uns das griech. vón-rjnbsp;{Schaffell, Vlies) oder das griech. xc5(/)-«g {Schaffell, Vlies)nbsp;begegnet, ob uns das ai. sav-am {Wasser), das umbr. sav-itunbsp;{Regen) und das griech. {ö)'ë{F)-co {regnen) oder ob uns das ai.nbsp;aai-ati {er flieft), das lat. ros {Tau) u. a. entgegentreten, obnbsp;wir das got. weih-s {heilig) oder das mhd. heil-ec {heilig), alsonbsp;unser nhd. weïh-en oder heil-ig-en aussprechen, ob der Eömernbsp;sein vitt-a {Binde, Band) oder der Grieche seinnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Binde,

Band) wie sein taiv-la {Binde, Band) gebraucht, ob der Romer denselben Begriff mit vit-ure {meiden, ausiveichen) oder wir mitnbsp;unserm mhd. mid-m {fernhleiben, meid-en) wiedergeben usw.usw.nbsp;So sehen wir auch in dem lat. ferv-eo {sieden, glühen) nicht nurnbsp;unser hrau-en — mhd. briuw-m, sondern auch unser brenn-en —

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Kapitel VI.

got. brinn-aw wieder {Brau-erei = Brenn-erei!), sodaB sich auch das lat. f ebr-is (Fieber, lt; fevr-is) und damit unser 'Fieber' ganznbsp;mit dem got. brinn-ó {Fieber) deckt, and das so ganz alleinnbsp;stellende mhd. wall-m {waïl-en, wandern) verbindet sich fürnbsp;nns nnn mit dem bisher anch ganz vereinsamten griech. fioA-sZv igehn, kommen). DaB ferner das lat. av-is (Vogel) nnd nnsernbsp;mhd. ar (Adler, Aar) Erscheinnngsformen einer Wurzel sind,nbsp;wird nns nnmittelbare Erkenntnis, nnd wir werden anch kanmnbsp;fehlgehn, wenn wir die lateinischen Wörter fël-ic-s (vom Olücknbsp;begünstigt) nnd fav-eo (begunstigen) znsammenstellen; erscheinennbsp;doch beide n. a. in der bekannten Formel 'Quod bonum, fau-stum, felix fortunatumque sitt in ihrer natürlichen organischennbsp;Verbindnng. Was innerlich znsammengehört, findet sich vonnbsp;selbst anch immer wieder znsammen: das lat. sër-ms (ernst)nbsp;nnd das lat. itv-êrus (ernst, streng) sind ja Vertreter der-selben Wnrzel, nnd es entspricht deshalb ganz ihrer innernnbsp;Natnr, wenn wir sie an einer Stelle wie Horaz, ep. 2, 3, 107nbsp;in bezeichnendster Weise nnmittelbar nebeneinander treffen:nbsp;severum seria dictu (scil. decent). lm IV. Kapitel haben wirnbsp;das lat. aër-ia (lonne, Fafi) nnd das lat. sin-wm (Qefdfi) alsnbsp;verschiedne Typen einer Wnrzel kennen gelernt, derselben Wurzel,nbsp;der offenbar auch das lat. vas (Oefdfi) angehört, und wie wirnbsp;hier durch alle auBere Bestimmungen zu dem wesentlichen Be-griffe 'Gefcip' durchdringen, so auch in dem Verhaltnis des lat.nbsp;VRg-ina (Scheide) zum griech. yoQ-vróg (Köcher), und daB dienbsp;Begriffe quot;lachen und quot;sich f reuen eins sind, diese Wahrheitnbsp;tritt deutlich hervor in dem Znsammenhange des griech. ys).-rao (lachen) mit dem griech. yd(f)-uo (sich freuen) = lat. gav-isus (sich freuend). Aus dem Bereiche der Eigennamen sei er-wahnt, wie dasselbe Gebirge, das bei dem bekannten griechischennbsp;Geographen Strabo Kégg-svov ógog genannt wird, bei Casarnbsp;mons Cev-enna heiBt (daneben auch Ceb-enna), woraus sich dienbsp;heutige Namensform der'Sevennen entwickelt hat, und erinnernnbsp;wollen wir auch daran, wie man sich das umbr. Yuvgis nichtnbsp;anders zu deuten weiB denn als eine Entsprechung für das lat.nbsp;Jjucius, genau so wie dem lat. lap-is (Stein) ein umbr. vap-ernbsp;gegenübersteht. Auch in Ortsnamen finden wir unsern Laut-

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Genereller Weohsel der Liquiden mid Nasale mit dem v-Laute. 107

wechsel oft in interessanter Weise vertreten. wenn wir sich z. B. den Namenbildungen wie (?ör-litz, Lieg-raiz, Hor-miiz solchenbsp;mit -witz in Plag-viitz, Blase-witz nsw. anreihen sehen, odernbsp;wenn wir in Süddeutschland gegenüber den liaufigen Stadte-namen auf -wangen wie Furt-ivangen, Böhr-wangen, Dürr-wangen und Ell-wangen ein Er-langen antreffen.

Audi dieser Wedisel der Liquiden und Nasale mit dem wLaute bat seit der Urzeit nie aufgehört, sidi geltend zu madien,nbsp;sodaB wir überall den Spuren der sekundaren Wirksamkeitnbsp;unsers Gesetzes begegnen. So ist z. B. das lat. pro-mvlg-arenbsp;{öffentlich belcannt machen) ganz effenbar aus dem von ilimnbsp;verdrangten, hier und da aber noch (oder wieder) auftretendennbsp;pro-vulg-are entstanden, dem das einfache vulg-are {allgemein be-Icannt machen, veröffentlichen) als eine Ableitung von vulg-usquot;dienbsp;grope Menge, das Publikum in vollster Lebenskraft und Deut-lichkeit gegenübersteht. Ebenso hat sich ein ursprüngliches vnbsp;zu m entwickelt in dem nlid. man (nur) lt; rahd. wan (nur,nbsp;auper) und in der bekannten dialektischen Form mir für wir,nbsp;wie auch im Altnordischen (besonders im Altnorwegischen) dienbsp;Form en mér statt vér {wir) und mit statt vit {wir zivei) haufignbsp;auftreten, Ein direktes Abhangigkeitsverhaltnis, bei dem sichnbsp;die eine Form aus der andern entwickelt hat, liegt natürlichnbsp;auch vor, wenn wir Form en nebeneinander f in den wie innerhalbnbsp;des Albanesischen das toskische men-o'A {aufhalten, zögern) =nbsp;lat. mor-ffln {zögern) und das gegische ven-oj {aufhalten, verslaten) oder wie im Altkirchenslawischen ciiv-enu und evim-enunbsp;{rot), wie aksl. pri-sYen-ati und pri-smen-ati {welken), aksl.nbsp;skvozê und skrozê {durch) — dann verfeilt als russ. skvozê undnbsp;weiBruss. skxo'z —, ferner nsl. vamp und lamp {Bauch), nsl.nbsp;vêverica und lêverica {Eichhörnchen) — im Niedersorbischennbsp;erscheint dasselbe Wort als nevjerica —, wie lit. mét-UM {hinnbsp;und her werfen) und wèt-au {worfeln), und ebenso haben wirnbsp;es jedenfalls auch mit sekundarer Entwicklung zu tun, wennnbsp;uns das lat. vesper {Abend), das wir im Mittelhochdeutschen alsnbsp;vesper wiederfinden, im WeiBrussischen als nespor {Vesperzeit)nbsp;und im Litauischen als misparas begegnet, oder auch, wennnbsp;wir das griech. 7CQéqa {Schiffsvorderteil) = lat. pröra wie im

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Kapitel VI.

Neugriecbischen zu jcléqa, so im Serbisclien zu prova umge-staltet wiederfinden, wobei wir das Dissimilationsbedürfnis in den beiden r-Lauten deutlicb genug erkennen. Das reicbstenbsp;Material bieten nnsrer Beobaclitung auch bier wieder die Mund-arten, wo wir — man tiie z. B. einen Bliek in das Bayrischenbsp;Wörterbucb von Andreas Scbmeller — statt -waclceln nacJceln,nbsp;statt Mamel Memel (und Merheï), statt Gevrürme Gelürmenbsp;finden; statt Donnerwetter boren wir in der Mundart auchnbsp;Donnerletter, und dasselbe Wort, das wir oben als 'B.asen undnbsp;Wasen haben kennen lemen, begegnet uns mundartlich¦ auchnbsp;als Masen — man vergleiche dazu das Verbaltnis Masehnbsp;(\Viese): Wiseb (— Wies-e) —, wie uns umgekehrt das italieniscbenbsp;mammana im Neapolitanischen umgewandelt wieder begegnetnbsp;als vammana-, und so muB es auch unser Interesse noch be-sonders in Anspruch nehmen, wenn wir bei Hesycb statt êeöfoi-y.ég {sich fürchtend) die I'orm ósÖQoixóg und statt Tfé (dich)nbsp;die Form tqé verzeiebnet finden. Ja welches Licht mit dernbsp;Feststellung unsers Lautgesetzes zuweilen auf ganz unverstandnenbsp;und darum den verschiedensten Deutungen ausgesetzte Sprach-ausdrücke fallen kann, moge uns zum SchluB unsre Redensartnbsp;'Schwein haben zeigen. Wenn uns die Tatsacbe entgegentritt,nbsp;daB in manchen Mundarten in ganz demselben Sinne von ‘ Glüclcnbsp;haben quot;Seblein haben' gesagt wird, ein Wort, das im mhd.nbsp;sliun-en 'eilen, vorwartshommen, von statten gehn seinen Anhalt findet, dann wird man wobl hierin die ursprüngliche Formnbsp;der Redensart erkennen dürfen, die nach dem Übergange vonnbsp;l in w in den Bereich des mhd. swin quot;Schivein geraten ist undnbsp;so zum Symbol des ' Glüeksschweins oder auch der ‘ GlücJcssaunbsp;geführt bat wie Hühnerauge zum Krahenauge u. a. Gerade innbsp;diesen Ersebeinungen der Mundart aber können wir wieder dienbsp;natürliche Wirksamkeit unsers Lautgesetzes am besten beurteilennbsp;lemen, da sie uns die Gleichartigkeit des •r'-Lautes mit den Li-quiden und Nasalen am unmittelbarsten zeigen, und dabei wirdnbsp;man sich dann auch vielleiebt der Falie von Versprechen undnbsp;Verhoren erinnern, die einem selbst schon begegnet sind, wonbsp;wir z. B. in einem unbewachten Augenblicke statt SoJoxatesnbsp;SoJevates gesagt, oder wo wir aus einem von andern gesprochnen

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Genereller Wechsel der Spiranten lt;p, O’ mit dem v-Laute. 109

'Marburg ein Marburg herausgehört haben u. a., und was sonst bedeutungslos ware, hort aiif es zu sein, sobald wir die Spurnbsp;eines ewigen Gesetzes darm erkennen.

Kapitel VIL

Genereller Wechsel der Spiranten tp, x, amp; mit dem v-Laute.

Aber nicht nur die Liquiden und Nasale, auch die Spiranten 'f gt; Xi ^ finden wir in gesetzmaBigem Wechsel mit dem v-Laute.nbsp;Wer sich der Wurzel recht bewuBt geworden ist, der kann dienbsp;Beweiskraft, die für diesen Lautwechsel allein in dem Verhalt-nis des lat. brev-is (kurz) zum griech. ^Qa'/_-'óg (kurs) enthaltennbsp;ist, so tief empfinden, daB er in diesem einen Fall schon dienbsp;ganze Erscheinung sieht. Doch — gehn wir ihr Schritt fürnbsp;Schritt nach. Wie wir hier dieselbe Wurzel auf der einen Seitenbsp;mit V, auf der andern mit / erscheinen sehen, ebenso findennbsp;wir eine andre Wurzel im Lateinischen als herb-a {Gras, Kra.ut)nbsp;und als verb-ëwae {Gras, Kraut) nebeneinander; dem griech.nbsp;tqélt;p-iü (ernahren) gegenüber begegnet uns auf slawischemnbsp;Sprachgebiete dieselbe Wurzel in der Form des aksl. trov-unbsp;{ernahren), und auch dasselbe Wort, das wir im Altindisohennbsp;als gharm-ffls {Warme), im Griechischen als Hgoft-dg (warm) undnbsp;im Lateinischen als form-tts {warm) haben kennen lemen, findennbsp;wir im Germanischen als warm (got. warm-jan = nhd.nbsp;ivcirm-en) vor. Mit dem griech. êTtL-Xad'-éaamp;cu {vergessen) ver-bindet sich uns ferner das ihm ganz entsprechende lat. ob-liv-iscor {vergessen), und dem griech. (piX-og {Freund) gegenübernbsp;bietet uns das Althochdeutsche dasselbe Wort als win-i {Freund).nbsp;So ist es offenbar auch eine Wurzel, die uns entgegentritt im griech.nbsp;¦d-éX-co (wollen) und im lat. vel-fe {wollen) wie im got. vtW-jannbsp;{w oil-en), und das lat. vamp;W-is {Tal) entspricht ebenso nicht nurnbsp;in der Bedeutung, sondern auch in der Form ganz dem got.

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Kapitel VIL

dal {Tal^ Schlucht, Grube), dein sich das griech. (pdQ-ayy-g {Schlucht, Tal) als ein andrer Typus derselben Wurzel an-schlieI5t.

Mit der Feststellung dieses neuen Lautwechsels liaben wir nun auch die natürliche Erklarung für die- Art des Zusaminen-hangs zwischen zwei sich sonst vollstandig deckenden Wortge-bilden wie dem lat. fraquot;g-o (brechen) und dem got. 'brik-awnbsp;{brech-en) auf der einen und dem griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{brechen,

reiden) mit dem ndl. wrak (Wrack, Bruehstück) auf der andern Seite, Wortgebilden, die für uns damit nunmehr zu einem dernbsp;deutlichsten Zeugnisse für unser Gesetz werden. In ganz derselben, wenn auch nicht so unmittelbaren Weise verbindet sichnbsp;auch das lat. flag-itmm (Schandtat) mit dem griech. (/jcpy-ornbsp;(Werk, Taf) und unsermWerk (got. waürk-/aw = nhd. wirk-en,nbsp;machen, tun); was dabei für das lateinische Wort die besondrenbsp;Bedeutung ‘schlechte Taf angeht, so vergleiche man damit dasnbsp;lat. fac-inus, das jede ‘ bedeutende, auffallende Taf sowohl nachnbsp;der guten wie nach der schlechten Seite bezeichnet und so auchnbsp;haufig mit flagitium verbanden erscheinf als 'flagitia atquenbsp;facinora u. a. Und wie wir im vorigen Kapitel den einfachennbsp;Zusammenhang zwischennbsp;nbsp;nbsp;nbsp;und {F)ei^lt;o erkennen konnten,

so hier den zwischen {hoX-óg {Schmutz) und der im Attischen dafür erscheinenden Form {FjóX-óg. Als fid und vid habennbsp;wir ferner dieselbe Wurzel nebeneinander im lat. fiquot;d-o {spuiten),nbsp;dem das ai. hhii-ydtë (er wird gespalten) entspricht, und imnbsp;lat. di-vid-o {spatten, teilen, trennen), dem man das lat. bl-f\A-us {in zwei Teile gespalten, geteilt) noch besonders vergleichennbsp;mag; und das lat. 'veii-lgium {Fufistapfe, -spur, -tritt, Fcihrté),nbsp;eine Bildung wie fast-tgium {Giebel), nav-ïgium {Fahrzeug,nbsp;Schiff) u. a., offenbart sich uns als einer Herknnft mit demnbsp;griech. areiy-io {gehn, schreiten), dem got. steig-azi {steig-en,nbsp;gehn, vgl. Steg, Burger-steig u. a. = got. staig-anbsp;'Steig, Pfad'}, dem aksl. etig-na {ich komme) usw. Dasnbsp;griech. Xsia {Beute) ist, worauf der natürliche Zusammenhangnbsp;mit {F)èX-stv {nehmen, fangen, ergreifen, erobern) und {F)èX-iaxogciL (pefangen, eingenommen, ergriffm werden) hinweist,nbsp;offenbar aus XsF-ia entstanden, eine Wurzel, die wir auf den

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Genereller Wechsel der Spiranten (f, nbsp;nbsp;nbsp;.quot;t niit dem v-Laute. 111nbsp;ersten Bliek im aksl. 1ov-m {Jagd, Fang) und dann aach baldnbsp;im lat. vm-dtio [Jagd) wiedererkennen, und wenn wir nun da-neben in derselben Bedeutung das griech. Mlt;p-vQov {Beuté) an-treffen, dem das ai. labh-öië (er fafit, beJcommt) zur Seite tritt,nbsp;so haben wir damit wieder ein deutliches Zeugnis für unsernnbsp;dieselbe Wurzel in verscliiedner Riebtung differenzierenden Laut-wechsel. Ebenso finden wir auch im Griechischen dieselbenbsp;Wurzel als d-ay^-vg gt; ray-vg (schnell, Kompar. -f^-daGtovl) undnbsp;als ¦d-éif)-oj {laufen, eilen, Fut. ^ev-aogaiï) oder -Q-oifhognbsp;(schnell) vertreten, und das grieeb. amp;Qiy-g (Haar) spiegelt sichnbsp;uns wider im aksl. griv-a (Mdhne). Im Gotischen ferner trittnbsp;uns ein deis (weise, Mug) neben einem weis (weis-e, Mug) ent-gegen, jenes in filu-deis-ei {List), dieses in hindar-weis-ei (List)nbsp;u. m. a., eine Wurzel, der auch das griech. ao(p-óg (weise,nbsp;Mug) angehört, und es ist dieselbe Wurzel, die uns auf dernbsp;einen Seite als griech. yXcay-ig (Spitze, Winhel) begegnet undnbsp;auf der andern als lit. ving-is [Bogen, Krümmung), als mhd.nbsp;wink-e? (WinJc-el) mit wink-m [sich von einer Seite. zur andernnbsp;neigen) = nhd. wanh-en, als lat. verg-o [sich neigen) mit valg-us [schief), als ai. varj [drehen) mit vrj-'i'wds [krumm), einenbsp;Wurzel, die wir jedenfalls auch im lat. flecto lt; fleg-f-o (beugen,nbsp;hrümmen, drehen) wiedersehen dürfen. So finden sich auch innbsp;diesem Lautwechsel die verschiednen Erscheinungsformen dernbsp;Wurzel von nah und von fern wieder zusammen, und hat sichnbsp;unser Auge für die V^ollziehung dieser Verbindung erst genügendnbsp;geübt an den deutlich vor ihm liegenden Fallen, dann wird es

bald auch befahigt sein, die verdecktern Beziehungen ohne


gröBere Mübe zu erkennen, und so leicht wir die Verbindung zwischen dem lit. lów-a (Bett) und dem griech. Xéy-og (Bett),nbsp;zwischen dem ai. ghon-« [Nase) und dem av. vaèn-« [Nase) =nbsp;pehl. ven-'lk usw. sehn, nicht viel schwerer werden wir baldnbsp;auch in dem aksl. vrèm-c [Zeit) die Wurzel des griech. yQóv-ognbsp;[Zeit) wiedererkennen.

Wie sich auch dieses Lautgesetz immer wieder und überall in der Entwicklung der Sprache in sekundarer Weise als Laut-wandel offenbart, das sehen wir z. B. im Niedersorbischen, wennnbsp;wir dort dasselbe Wort zugleich als hogen und als vogeh [Feuer)

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Kapitel VII.

treffen, das können wir bei dem englischen Artikel the beobacliten. der in vielen Teilen Englands in der Ausspraclie als we wieder-gegeben wird, und vor allem muB sich der Übergang zwischennbsp;V und /“, den Lauten desselben Artikulationsgebietes, immer wiedernbsp;mit Leiclitigkeit vollziehen. Sie sind ja im Grunde derselbe Laut,nbsp;nur dab v stimmhaft ist, d. h. mit Schwingung der Stimmbandernbsp;gebildet wird, wabrend bei dem stimmlosen f die Luft frei durclinbsp;die Stimmritze strömt, obne die Stimmbander in Schwingungnbsp;zu versetzen. Es entspricht dem Prinzip des geringern Kraft-aufwaudes, wenn wir diesen Wechsel zwischen v und f imnbsp;Leben der Sprache überwiegend als Übergang von stimmhafternbsp;zu stimmloser Aussprache, also von u zu ƒ wahrnehmen. Imnbsp;Griechischen begegnet uns das Zahlwort dor. FiY.cnL {zwanzig, ==nbsp;jon., att. EiYOGi) in der pamphylischen Mundart alsnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;das

lat. vïc-ew {den Wechsel^ die Wiederkehr) finden wir im Ita-lienischen als uece, im Französischen aber zu fois {das Mal) umgestaltet wieder, und in der umfassenden Weise eines all-gemein gesetzmabigen Vorgangs tritt uns die Erscheinung imnbsp;Altirischen entgegen, wo jedes anlautende v zu f geworden ist:nbsp;das lat. vir treffen wir dort als fer {Mann) wieder, das lat.nbsp;vër-us wie unser vrahr als iir {wahr), das lat. vln-um als iinnbsp;(Wein), unser got. quot;wid-uwö (Wit-ive) als ied-b, unser ^Wiss-ennbsp;als üss {das Wissen)^ das lat. mginti als fiche {zwanzig), dasnbsp;sich so dem pamphylischen cpt/MTi, an die Seite stellt, usw.nbsp;Mit diesen Beispielen mag die Erörterung der zwischen demnbsp;u-Laut und den Spiranten cf,x,amp; bestellenden Wechselbezie-hungen ihr Ende finden. Sollte sich jemand darüber wundern,nbsp;weshalb dieses Kapitel an Zahl der Beispiele hinter den andernnbsp;zurücksteht, so muB er sich vor allem an die schon im V. Kapitel angeführte Tatsache erinnern, dab sich die Laute cp, %, -d-fast überall zu den Medien h, g, d entwickelt ha,ben, wahrendnbsp;sie für uns nur im Altindischen und im Griechischen direktnbsp;erkennbar geblieben sind. Aus diesem aubern Grunde ist dienbsp;Zahl der für uns erkennbaren Falie unsers Lautwechsels ein-geschrankt, doch werden uns im folgenden und besonders schonnbsp;gleich im nachsten Kapitel neue Beispiele genug begegnen, dienbsp;uns immer aufs neue zeigen, wie in jeder Wurzel an der

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Genereller Weclisel dei- Liquiden und Nasale mit den Spiranten nbsp;nbsp;nbsp;113

Stelle der Spiranten cp, amp; aucli der t;-Laut auftreten, wie also, um unser Beispiel fortzuführen, ein und dieselbe Wurzelnbsp;unterschiedslos zugleich alsnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;ge^, geamp; und als gev er-

scheinen kann.

Kapitel VIII.

Genereller Weclisel der Liquiden und ïfasale mit den Spiranten x,

Wir haben bislier gesehn, dab einerseits die Liquiden und Nasale unter sich, andrerseits die Spiranten cp, ^ unter sichnbsp;und dann wieder jede dieser beiden Lautgruppen für sich mitnbsp;dem ?;-Lautin gesetzmaBigem Wechsel stehn. Lassen wir uns nunnbsp;bei unserm Forschen durch rein logische Gründe leiten und be-stimmen, so liegt jetzt nichts nalier, als dab wir nach dem innbsp;seiner mathematischen Fassung lautenden Grundsatze 'Sind zweinbsp;Gröben einer dritten gleich, so sind sie auch untereinander gleich’nbsp;mit Notw’endigkeit auch den Wechsel von Liquiden und Nasalennbsp;mit den Spiranten r/), %, d- folgern. Es mag ein Charakteristi-kum für die durchaus induktive Art meines Forschens sein, dabnbsp;ich diesem deduzierenden Gedanken den entschiedensten undnbsp;hartnackigsten Widerstand entgegengesetzt habe, und es bat trotznbsp;einiger auffallend klarer Zeugnisse erst noch langer Zeit bedurft,nbsp;bis ich mich durch die wachsende Menge der Erscheinungennbsp;und noch mehr durch die besondre psychische Beweiskraftnbsp;mancher unter ihnen innerlich für besiegt erklaren und in nun-mehriger Übereinstimmung mit der Logik die Tatsachliehkeitnbsp;des Wechsels anerkennen mubte. An dem Widerstande aber,nbsp;den der Forscher oft genug seinem schlieblichen Ergebnis ent-gegensetzt, kann er wie kein andrer dessen innere Kraft undnbsp;Wahrheit am besten messen. Lange Zeit hielt ich also an dernbsp;Meinung fest, dab ein u-Laut entweder mit den Liquiden undnbsp;Nasalen oder mit den Spiranten cp, %, nicht aber mit beidennbsp;zugleich wechseln könnte, da dies auch den Wechsel zwischennbsp;den beiden Grappen selbst bedeutet batte, dem gegenüber ich

Meye^i, Die Schopfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;8

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114

Kapitel VUL

mich eben ablehnend verhielt. So seltsam diese Stellungnahme hinterher erscheinen mag, so verstandlich wird sie dem Forschernbsp;selbst und kaan sie jedem werden, der sicb in seine Lage zunbsp;versetzen vermag. AuBer durch die ganze induktive Art seinesnbsp;Forscbens, die nur auf festem Grimde rubend aus der Massenbsp;des Stoffes aufsteigen und so sicb zur Höbe binaufarbeitennbsp;will, auBer durch diese Grundstimmung erklart sicb eine der-artige selbstgewollte Beschrankung vor allem durch das Bestreben,nbsp;die einzelnen Faden, die man bloBgelegt und in ihrem klarennbsp;Einzellaufe verfolgt bat, möglicbst lange in dieser klaren Weisenbsp;zu erhalten und sicb in der Sichtung der Erscbeinungen nichtnbsp;die Zügel aus der Hand reiBen zu lassen. Aber der Forschernbsp;wachst eben, ohne daB er es merkt, mit seinem Stoffe, und wennnbsp;er, der mit der ganzen Kraft seiner Seele aus dem Wirrsal dernbsp;Erscbeinungen nach Klarheit strebt, vorn auf seinem Wege diesenbsp;Klarheit nur da zu sehen vermag, wo sie sicb in ihrer einfachstennbsp;Form gibt, so lernt er weiterschreitend die vorher in klarernbsp;Isolierung laufenden Faden aucb da noch leicht verfolgen, wonbsp;sie sicb kreuzen und verbinden, und wo das ungeübte Auge nurnbsp;ein verwirrendes Durcbeinander wahrnebmen würde. So aucbnbsp;hier: der Ring schlieBt sicb vor unsern Augen, die Verbindungs-linie zwischen den Liquiden und Nasalen einerseits und dennbsp;Spiranten (/gt;, %, amp; andrerseits mussen wir tatsachlich auszieben,nbsp;sodaB damit samtliche acht Laute miteinander in generellemnbsp;Wechsel stehn.

Nun die Belege. Zwei Beispiele waren es vor allen andern, die sicb immer wieder und wieder meldeten und sicb auf dienbsp;Dauer nicht abweisen lassen wollten, das griech. iivQ^-rjx-gnbsp;(Ameisé) in seinem Verhaltnis zum lat. form-ïca {Ameisé) undnbsp;ebenso das lat. fauo-s {Schlund, Kehle) = ai. bhrk-a gegenübernbsp;dem griech. Xavx-avicc {Schlund, Kehle). Die gegenseitige Ver-bindung des einen wie des andern Wortpaares, nach der auBernnbsp;physischen wie nach der innern psychischen Seite, liegt doch zunbsp;offen da, als daB man sicb ihrer Erkenntnis entziehen könnte,nbsp;und alle Versuche, die Verbindung für beide Falie in andrernbsp;Weise berzustellen als in der, wie sie sicb wirklich kundgibt,nbsp;mussen auf baltlose Konstruktionen hinauslaufen, ein Verfahren,

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Genereller Wechsel der Liquiden nnd Nasale mit dea Spiranten y, x, 115

das uns von vornherein ferner liegt als alles andre. Audi der Vergleidi des griech. 'ftX-iu (tausend) mit dem lat. mïl-mnbsp;(tausend) könnte für uns hier seine groBe Bedeutung liaben,nbsp;wenn wir über die Entstehung und Entwicklung beider Wörternbsp;schon gröBere GewiBheit batten (man fübrt das erste auf Grund ^nbsp;des ai. sa-hdsr-am quot; eintausend' und auf Grund seiner lesbisch ennbsp;Form yél)ML — ion. yEilioi^ dor. yri'kioi auf ein uridg. gheslo-zurück). Die angeführten Beispiele miissen uns jedenfalls nach-denklich madien, und indent sie uns dazu zwingen, die Er-scbeinung nicht mehr aus den Augen zu lassen, wird unsrenbsp;Aufmerksamkeit bald auf eine Eeihe von Fallen gelenkt, wonbsp;uns in deutlichster Weise ein und dasselbe Wort zugleich mitnbsp;einer Liquida oder einem Nasal und mit einer der drei Spirantennbsp;d, tl d- entgegentritt: das griech. kóQ-vyy-g (Schlund, Kehle-,nbsp;Kehlhopf) erscheint zugleich als lt;paq-vyy-g, für a-pLéty-io {melJc-= lat. mulg-eo) finden wir auch die Form d-'9'éXy-clt;}, öcpdQ-ayog {Gerausch) steht neben GgaQ-ayog, i^)óX-og [Rufi, Rauch)nbsp;lautet ebenso auch rpó^-og, und ‘verstümmelt, ahgestumpft' lieiBtnbsp;zugleich xóX-ovQog und xód'-ovQog. DaB wir damit allerdingsnbsp;zu dem Glauben an die durchgehende GesetzmaBigkeit der Er-scheinung kommen mussen, braucht kaum noch gesagt zu werden.nbsp;Aber wie immer, so warten wir auch hier noch auf einen Fall,nbsp;WO sich uns an einer schon absoiut feststehenden Wurzel dernbsp;Lautwechsel mit einer so deutlichen und uns so subjektiv über-waltigenden Sicherbeit zeigt, daB uns damit die Erscheinung alsnbsp;primares Sprachgesetz absoiut feststeht. Diese Wirkung abernbsp;kann uur ausgehn von einem Worte, das uns bisher schon langenbsp;und tief beschaftigt hat, das wir wohl nach seinem Bedeutungs-inhalte zu verstehn vermochten, sodaB wir alle vorgebrachtennbsp;Etymologien danach bewerten konnten, dessen an sich klarenbsp;Wurzel uns aber bisher noch ganz vereinzelt stand und uasnbsp;deshalb immer von neuem zu ihrer Entzifferung gereizt hat.nbsp;Alles dies traf für micb aber u. v. a. bei dem lat. Sic-üs [Feuer-stdtte^ Herd) zu, das ich bisher nur mit dem lat. £ac-s {Fachel)nbsp;unter der gemeinsamen Wurzelbedeutung Rrennen hatte ver-einigen können, und sobald mir dieses Wort nun mit seinemnbsp;Beg'leiter innerbalb der Richtung des in Frage stekenden Laut-

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Kapitel VIII.

wechsels wiederum vor Augen kam, ging es niir mit einem Schlage auf, daB es nichts andres ist als das griecli. kó^-ïvoqnbsp;{Ofen, Kamin) = lat. cam- mus, nichts andres als ein Typusnbsp;derselben weitreichenden Wurzel Icel ‘irennen\ die wir schonnbsp;so vielfach haben kennen lemen, iind an diesem einen Beispielenbsp;wurde mir der zunachst so stark angezweifelte Lautwechsel innbsp;entscbeidender Weise absolute GevviBheit.

Und fortan kann sich wieder nur noch Bestatigung an Be-statigung reihen. Die beiden griechischen Ausdriicke für ’Brusf, ötfi’d-oq und OtÉQ-vov, deren Zusammenhang uns schon so oftnbsp;vergebens beschaftigt hat, finden sich nun hier an erster Stellenbsp;ein und mit ihnen das ai. stan-a {Brust], und ebenso verbindennbsp;sich nun auch in natürlichster Weise das lat. rën {Niere) undnbsp;unser ahd. nier-o {Nier-e) mit dem griech. ve(p-q6-q {Niere)nbsp;und dem pranestinischen nef-r-ö«es {Nieren). Gerade eine Um-schau auf dem Gebiete der formenreichen griechischen Sprachenbsp;zeigt uns unser Gesetz nunmehr fast auf Schritt und Tritt. Sonbsp;reihen sich den oben angeführten sinnfalligen Beispielen zahl-reiche andre an wie ipcii(i-ÓQ {Broclcen, Bissen) neben \p(jid-uenbsp;und 'ipaif'-ijQi.ov ^Broclcen, wie die gleichbedeutenden lt;srol-dd-snbsp;und aroy_-aö-g (Hügel für Stellnetze), und wohl am eindrucks-vollsten bietet sich uns dabei die auch unser nhd. scharr-ew =nbsp;mhd. seherr-en fkratzen, schalen, graben) wie unser nhd.nbsp;Schach-f = mhd. schah-t {Schacht, Orube) bildende Wurzel fürnbsp;‘graben, hacken dar, die wir als ar.al und ay.acp in zahl-reichen, oft ganz parallel gestalteten Wortgebilden vertretennbsp;finden, namlich anal-ua {scharren, behacken) neben Oy.alt;p-retnbsp;{graben) gt; axd^crco, oaal-sla {das Behacken, Oraben) nebennbsp;csyacp-sia {das Behacken, Oraben), axal-evg {der Graber) nebennbsp;OKatp-eijg {der Graber) usw., wie wir ebenso auch OyaX-ignbsp;{Napf) und axaip- Lg{Napf) nebeneinander finden oder öy.aip-Lovnbsp;und oyóll-vg, zwei Wörter, die beide eine bestimmte Art desnbsp;Haarscherens bezeichnen — man vergleiche unser nhd. scheren = mhd. scher-w —, eine Tonsur namlich, hei der auf demnbsp;Scheitel ein Schopf stehn blieb. Unser ‘Röhr-e, Rohf ferner,nbsp;also das got. raus, finden wir im Griechischen vertreten alsnbsp;ovQ-iyy-g (R'óhre), atoX.-fv {Röhre, Kanal), ÓQó-vÖQa {Was.ser-

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0-enereller Weehsel der Liquideii und Nasale mit den Spiranten (p, %, amp;. 117

röhré) und als — aüp-av (Eöhre)-, zu den im IV. Kapitel ver-einigten griechisclien Wörtern nbsp;nbsp;nbsp;(lange), ór^v {lange) und

6ol-i%óg (lang, lange dauernd) gesellt sicli das ihnen ganz ent-sprechende d’Tj'ö-d, -dxic; (lange) mit ög-d -vvm {zögern), wie sich mit nav-ovv {Korb), •aóv-iatQov (Korb), jcdA-a^og {Korb) alsnbsp;andrer Typus derselben Wurzel nócf-ivog {Korb) verbindet, undnbsp;dab sich in gdQ-va-gai {streiten, hmnpfen) ganz das bekannterenbsp;lid%-ogai] {streiten, Mmpfen) widerspiegelt, leuchtet auf dennbsp;ersten Bliek ein. B^épi-co (brausen, brullen usw.) und ^Qvyr^-anbsp;(brullen) oder in noch sinnfalligerer Entsprechung die Aorist-formen ë-^qaii-e und ë-^Qay-s (jedes, besonders ein dumpfesnbsp;Gerausch bezeiebnend wie Vasse^M., krachen, dr'óhnen, rauschen,nbsp;brullen usw.) stelm als deutliche Zeugen unsers Lautwechselsnbsp;nebeneinander; gegenübernbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Horn, Krümmung) mit xo^-

lovóg {gekrümmf) und y.v)J.-ós (krumm) tritt dieselbe Wurzel mit einer Spirans auf in xvg)-óg (krumm) nebst yvtp-og {Krümmung), und die Wurzel mit dem Bedeutungsinhalt ‘Gefdfl’, dienbsp;uns im lat. eal-ic-s {Kelch, Becher; Schüssel, Topf) wie im lit. lak-asnbsp;{Krug) und in so vielen andern Wortgebilden (vgl. S. 25 u. 71)nbsp;schon begegnet ist, lemen wir nun auch in einer andern Gestaltnbsp;im griech. mó-d-cov (Krug) kennen. So findet ferner aucb dasnbsp;grieeb. öa^tp-dveo {schlafen) seine ganz natürlicbe Verbindungnbsp;mit dem lat. dorm-io {schlafen); das griech. d-yaH-og {gut) mitnbsp;dem got. gód-s {gut) und dem air. dag {gut) linden wir im Li-tauischen wieder als gêr-us {gut) wie das griech. tpiX-éco (lieben)nbsp;als lit. myl-ei^i {lieben), und das lat. mëd-eor (keilen), das wirnbsp;schon im serb. vid-a^i {keilen) wiedererkannt haben, tritt uns innbsp;andrer Form auch aus dem lit. gyA-au (heïlen) hervor. Vonnbsp;der Verbindung zwischen dem lat. form-lca {Ameise) und demnbsp;griech. g-ógg-gx-g {Ameise) sind wir oben ausgegangen: genaunbsp;so stehn zueinander das lat. form-ïdo {Furcht, Grausen; Schreck-bild) und das griech. goQg~cb {Schreckbild) nebst góQg-ogognbsp;{Furcht), und genau dasselbe Lautverhaltnis f: m sehn wir innbsp;sekundarer Weise vor uns, wenn sich uns das air. nem {Himmel)nbsp;im Kymrischen und Cornischen als nef zeigt. Die Wurzel desnbsp;ai. dhöm-ds {Rauch) wie des lat. fom-M.9 {Rauch, Dampf) begegnet uns in ganz ahnlicher Gestalt wieder im griech. ¦d’vp-og

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Kapitel VIII.

{iJampf, Rauch) gt; rvcp-oc; (vgl. nbsp;nbsp;nbsp;Fut. -h-vipco ‘Rauch

machen’), und das griech. péX-i mit dem lat. mei, dem arm. mel-r, dem air. mil und dem got. mil-ij6, sie erweisen sicii alsnbsp;dasselbe Wort wie das ai. madh-w uud das lit. med-ws, Wörter,nbsp;die alle ‘Honig bedeuten, und denen sicb das griech. géx^-vnbsp;wie das ahd. met-o (Met) und das air. mid in der Bedeutungnbsp;‘Honigtranh, herauschendes Getrcink' unmittelbar anschlieBen.nbsp;Dem griech. öiv-iov (Sieb) ferner selin wir im Eahmen unsersnbsp;Gesetzes das ahd. sib {Sieb) genau entsprecben, und im Grie-chiscben finden wir sogar beide Wurzelarten als adX-ax-s {Berg-mannssieb) und Or^d-io {durchsieben) nebeneinander; dem griech.nbsp;osiQ-d {Seil, Schnur) und dem mhd. seil (Seil) steht ebenso ihrenbsp;Wurzel im mhd. seit (Strick, Schlinge) mit einer Spirans gegen-über, wie auch die Wurzel des griech. ai^h-co (brennen) und desnbsp;mhd. eit-e« (brennen) ihre Entsprechung im ags. damp;l-an {brennen)nbsp;hat, und in der gemeinsamen Bedeutung'FrMc/itMke’ gebrauchennbsp;wir Schal-e — ahd. scal-a und 8chot-e = mhd. schêt-e nochnbsp;taglich nebeneinander. Dieselbe Wurzel, die uns entgegentrittnbsp;als lat. mon-eo {erinnern), als griech. gi-givipOY.cj {erinnern) undnbsp;als mhd. er-man-eïi {erinnern^ er-mahn-en) = got. ^a-mun-ö?znbsp;{sich erinnern), begegnet uns im Gotischen auch als ^a-maud-jan {erinnern), sodaB sie hier zugleich mit Nasal und Spiransnbsp;vertreten ist, und wenn wir sehn, wie uns dieselbe Wurzelnbsp;mit dem Bedeutungsinhalt ‘schaden' entgegentritt im Latei-nischen als n'c-eo {schaden), im Altirischen als coll {Schaden,nbsp;Verlust, Verderben), dem sich das lat. cail-amitas {Beschadigung,nbsp;Unglück) und das lat. per-nic-ies (Verderben) an die Seite stellen,nbsp;im Gotischen als hol-d« {schaden), im Griechischen aber alsnbsp;TiOxh-ó {Schaden), dann gewinnen wir aus diesen Tatsacbennbsp;immer neue GewiBheit darüber, daB — wir auf keinem Irr-wege sind.

So bedeutet die Feststellung des neuen Lautwechsels zugleich wieder die Erkenntnis neuer Zusammenhange, mit denen sichnbsp;die Vielheit der Erscheinungen immer mehr zu einer Einheitnbsp;zusammenschlieBt. Wie befreiend empfinden wir es z. B., daBnbsp;sich jetzt das griech. xevO-co {verbergen, verhehlen) und dasnbsp;ags. hyi-an (verbergen) mit dem lat. cël-«re {verheimlichen.

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Genereller Wechsel der Liquiden und Nasale mit den Spiranten rp, i9-. 119

verbergen), mit dem griech. nbsp;nbsp;nbsp;{verhullen) und dem mhd.

hel-% == nhd. ver-hehl-en u. v. a. als Erscheinungsformen ein und derselben Wurzel in unserm BewuBtsein decken, und daBnbsp;uns ebenso das griech. ^coQ-óg {dumm, töricht) wie das ai.nbsp;mSr-us {dumm) nicht nur 't'órichf heiCt, sondern ganz mit demnbsp;mbd. tór-e {Tor, Narr) nebst tdr-e/ït zusammenfallt! lm VI. Ka-pitel haben wir das mbd. briuw-m (brau-en) wie das lat.nbsp;ferv-eo {sieden, glühen) mit dem got. brinn-rm {brenn-en) ver-einigt, jetzt sehn wir ein, daB wir ihnen auch unser mbd. brat-ewnbsp;{brat-en) als einen andern Typus derselben Wurzel hinzufügennbsp;kunnen, und das griech. yeX-dio {lachen) nebst yav-og {Heiter-keit) usw. geht nicht nur seine Verbindung mit dem griech.nbsp;'/a{J^)-uü {sich freuen) ein, sondern ebenso auch mit dem griech.

{sich freuen): heides Beispiele, in denen sich der allge-meine Lautwechsel in vollkommner Deutlichkeit kundgibt, in dem Nebeneinander von brenn-en, brau-en, brat-en also für unsnbsp;sogar noch taglich fühlbar. So treffen wir auch die Wurzelnbsp;mit dem Begriffsinhalt ‘hauchen, wehen’, die wir bisher in dennbsp;For men an und va haben kennen lemen, als a amp; an in unsermnbsp;mhd. at-m {At-em), das also ganz eins ist mit all den aufnbsp;S. 99 genannten Wörtern wie air. an-5l {Atem), got. us-a,m-annbsp;{ausatmen) usw., eins auch mit all den andern Vertretern derselben Wurzel, von denen hier noch genannt sein mogen dienbsp;griechischen Wortgebilde ai’d'-rjq {Luft, Hauch, Ather), oiQ-ognbsp;{gunstigerWindquot;), aÜQ-ct {Hauch, Luft, Wind) = lat. aur-anbsp;(die wekende Luft, der Lufthauch), a{f)-'^q {Luft) — lat. aer,nbsp;und das ags. ov-op {Atem)-, und ebenso vereinigt sich auch inner-halb einer andern Wurzel mit den griechischen Ausdrücken ö(p-ignbsp;{Schlangé) und 'éy-Lg {Otter) das organisch damit zusammenge-hörige mhd. è.1 {Aal). Ja — zu welchem ZusammenschluB der Er-scheinungen wir mit der Erkenntnis der unmittelbaren Verbindungnbsp;des lat. form-ïca mit dem griech. gvqg-rjx-g gekommen sind,nbsp;das kann uns eben diese Wurzel am besten zeigen, die uns innbsp;den mannigfaltigsten Gestalten entgegentritt: zu dem lat. form-ïca {Ameise) und dem griech. g^'óQg.-rjy-g {Ameise) gesellt sichnbsp;das ai. vamr-ds {Ameise) mit valm-ïA;as {Ameisenhaufe), fernernbsp;das aksl. miSiV-ija {Ameise) und mit derselben Wurzelform das

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Kapitel VUL

av. ma“'r-i {Ameisé) und das air. moirb (Ameisë), dazu auBerdem auch noch die von Hesych überlieferten griechischen Form ennbsp;(}óQiJ,-ax-g nebst ^üq^-ay-g (Ameise), deren effenbar auf vnbsp;zurückgeht, und öqq-ix-g (Ameise); und dieselbe Wurzel mitnbsp;dem Bedeutungsinhalt quot;Tcriechen ist es auch, die uns in andernnbsp;Gestalten entgegentritt im griech. lt;pqvv-i] {Kröte), im lat. verm-isnbsp;(JVurm), im got. waiirm-s {Schlange) = ahd. wurm {Schlangenbsp;und Wurm, vgl. mhd. lint-wurm)., im griech. (f)è'?.q-i.vd-gnbsp;(TFMrm,besondersi2e5'eOT-und Eingeweideivurm), im griech. (pB-siqnbsp;(Laus) u. V. a. Überall sehn wir so die zerstreuten und für uns oftnbsp;so ganz allein stehenden Gebilde nach und nach wieder in ihre organische Verbindung treten. Mit dem Gesetze der Metathesis wurdenbsp;es uns klar, daB das griech. tqÉlt;f-co (erndhren) und unser mhd.nbsp;hrót {Nahrung, Brot) eins sind, im vorigen Kapitel fand sichnbsp;das aksl. trov-^ (ernahren) dazu, und nun erkennen wir, daBnbsp;auch das lat. nnti-io (ernahren) nichts andres als eine Erschei-nungsform derselben Wurzel ist, sodaB sich also u. a. auchnbsp;das griech. rqog-óg (Arnme) ganz mit dem lat. nutr-ic-s (Amme)nbsp;deckt. Wie aber unser hrót zu rqécp-co gehort, so findet dasnbsp;lat. pan-is (Brot) mit dem gleichbedeutenden messapischen jtav-óg seine Wurzel in dem got. foA-Jan (ernahren) = mhd. vüeten = nhd. futt-ern wieder, ein Beispiel, das uns wieder unsernnbsp;Lautwechsel (n : amp;) bestatigt. So erweist sich uns ferner auchnbsp;das griech. siid-og {Fa/3) als ein Typus derselben Wurzel, dienbsp;wir schon im griech. jtsAA-j; (Oefa/3), jté^-ig (Bechen) usw.nbsp;kennen gelernt haben, das griech. ódip-vg (Lorheerhauni) ver-bindet sich mit dem lit. mèd-is (Baum), das lat. fat-ï^o (er-müden) wird ganz eins mit unsern nhd. matt und müd-e, undnbsp;die Wurzel des griech. (pay-elv (essen) tritt uns nunmehr auchnbsp;aus dem griech. yqa-io (essen, nagen) wie aus dem air. gel-imnbsp;(ieh verzehre, fresse) hervor, den en sich das mhd. kiuw-ennbsp;(kau-en) und das arm. cam-em (ich kaue) anschlieBen. Dienbsp;Wurzeln des lat. fiquot;d-o (spalten) und des lat. di-vid-o (teilen,nbsp;spatten) haben wir im vorigen Kapitel als wesensgleich erkannt,nbsp;mit unsrer neuen Erkenntnis sehn wir ein, daB es auch dieselbenbsp;Wurzel ist, die uns als der in so vielen Wortgebilden der idg.nbsp;Sprachen in der Bedeutung'spaffen, zerrei[3en, bersten, teilen u.a.’

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Genereller Wechsel der Liqniden imd Nasale mit den Spiranten f, %, amp;. 121

begegnet, wie z. B. im got. fe-tair-aw {zerreifien) mit ga-iAiix-a (Bifi), im aksl. Aël-iti {teilen) und im lit. ard-ati {trennen)-^ und sonbsp;dürfen wir aiich eine andre Wurzel mit dem Bedeutungsinhalt‘ ab-sondern, trennen in ihrer Einheit erkennen in den Wortgebilden,nbsp;die uns z. B. als ahd. scar-a {Abteilung, Schar) und als got.nbsp;skaid-aw {scheid-en, trennen) oder als lit. ai-skaid-a (Ahteilung)nbsp;entgegentreten, eine Wurzel, in der sich auch nun das schonnbsp;oben genannte mhd. seher-n (scher-en) eint mit dem‘ got.nbsp;skab-an {scheren), mit dem lit. skab-ws {schneidend), mit demnbsp;lat. scab-ere {hratzen, schaben) u. a. Wie aber innerhalb dernbsp;eben genannten Wnrzel die Wörter Acher-eri und 'schah-ennbsp;noch beute für uns als deutliches Zeugnis unsers Lautwechselsnbsp;nebeneinander stebn, so steht auch innerhalb einer andern unsernbsp;nhd. traur-i^ neben trüb-e, denn es ist ganz eins, ob wir vornbsp;uns haben das mhd. trür-ec (traurig) wie das engl. drearnbsp;{traurig) oder das got. Atob-jan {trüb-en) oder auch das got.nbsp;trig-ö {Trauer). Das griech. xayi-aCo) oder, wie es mit einge-fügtem Nasal haufiger lautet, z«y;^-c£Cw {laut lachen, auslachen,nbsp;spotten) mit dem lat. ciSh-innus {schallendes Oelaehter), sienbsp;sind nichts andres als das griech. (iamp;x-os {Hohn, Spott) odernbsp;das ahd. hon-jan {verdchtlich machen schmahen), das griech.nbsp;liTjQ-óg (Schenkel) tritt mit dem lat. {ém-iir (Schenkel) zusammen,nbsp;und so ist es auch ein und dieselbe Wurzel mit dem Bedeutungs-inlialt 'kriecheri, die uns anblickt aus dem griech.nbsp;(Purpurschnecké) auf der eiuen und aus dem lit. kirm-èZe (Wurm)nbsp;auf der andern Seite. Dab das lat. vulnus (Wunde) mit unsermnbsp;‘Wunde zusammengehört, wird jeder unmittelbar fühlen, wobeinbsp;man nur darin schwanken kann, ob wir die Wurzel der beidennbsp;Wörter nach dem dritten oder nach dem vierten Laut abzu-trennen haben; ist das letzte der Fall, wofür auBer andermnbsp;auch das Verhaltnis zum mhd. narw-e (Narb-e) sprechen kann,nbsp;so offenbart sich in dem Verhaltnis des lat. vuln-t^s (Wunde)nbsp;zum mhd. wund-e = got. wund-s (wund, verwundet) mit demnbsp;got. wund-w/roi (Wunde) deutlich unser neu festgestelltes Laut-gesetz, und mit derselben Sicherheit erkennen wir nun auch,nbsp;dali sich das lat. merg-ei-s (Garbe) nicht nur in seiner Bedeutung,nbsp;sondern auch in seiner Wurzel ganz mit unserm ahd. garb-a

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Kapitel VIII.

(Garh-e) wie mit dem ai. grabh-d (Garbé) deckt, eine Wurzel, die nichts andres bedeuten kann als binden’ {Garb-e = Bund).nbsp;So decken sich ferner das griech. {pQov-éto {denhen) nebstnbsp;lt;pqov-T-tê-g {Sorge; NachdenJcen, GedanJce) mit dem got. maürn-an (sorgen), das griech. d-Qi-d-gog {ZahT) mit dem air. rimnbsp;(Zahl) wie mit dem ahd. rim {Reihenfolge, ZahT) und dannnbsp;auch mit dem lat. num-erws {ZahT), das griech. g^v-ig (Groll,nbsp;Zorn) mit dem got. m6d-s {Mut, Zorn) wie mit dem griech.nbsp;¦d'vg.-óg {Mut, Zorn), das mhd. lob-ew {lob-en, preisen) mit demnbsp;air. mol-ctd {Lob, Preis), und das griech. {)^eiy-og gt; tsly-ognbsp;{Mauer, Schutzivehr) = osk. feih-tiss {die Mciuern) — ai. deh-ïnbsp;{Aufioarf, Wall) deckt sich nicht nur mit unserm Beich (= frz.nbsp;digu-e'Damm, DeicK), sondern auch mit unserm Bamm = mhd.nbsp;tam {Bamm, Beich), ja diese Wörter decken sich natürlichnbsp;ferner auch, da statt der Spirans beidemal, im An- wie im Aus-laut eine Liquida oder ein Nasal stehn kann, mit dem ihnennbsp;ganz gleichwertigen lat. mur-ws {Maue^'-, Erdwall, Bamm) =nbsp;mhd. mür-e {Mauer), in dem wir t ie freilich, da alle Laute ge-wechselt haben, nicht unmittelbar wiedererkennen würden, eben-sowenig wie wir in dem griech. vévv-u {Tante), vévv-og {Onhel)nbsp;und in dem griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;gt; vrjd-ig {Tante) oder im lit. dèd-e

{OnJceT) unmittelbar dieselbe Wurzel wiedersehn. So tun sich vor uns überall die überraschendsten Zusammenhange auf, über-raschend, wenn sie aus der Verborgenheit für uns ans Lichtnbsp;getreten sind, aber auch überraschend, wenn sie in aller Deut-lichkeit vor uns gelegen haben und jetzt erst von uns verstandennbsp;werden können. Man balte nur das lett. mat-s {Haar) nebennbsp;das griech. yalt-rj {Haar) oder vergleiche die beiden Wörter,nbsp;die im Mittelhochdeutschen als schilt — got. sJcild-us {Schild)nbsp;und als schirm {Sehirm, Schild) nebeneinander stehn. Und wienbsp;sich uns in dem letzten Wortpaar die Abweichung des Auslautsnbsp;als Wechsel zwischen d- und m aufklart, ebenso wird uns innbsp;einem andern Falie der Anlaut verstandlich. Lange haben wirnbsp;namlich schon im Mittelhochdeutschen die bayriscbe Form tencnbsp;(linie) neben dem allgemeinen line oder lenc (link) gekannt,nbsp;ohne aber zu unserm VerdruB die Abweichung des Anlautesnbsp;erklaren zu können: jetzt ergibt sie sich uns in der einfachsten

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Genereller Wechsel der Liquiden iind Nasale mit den Spiranten y, 0^. nbsp;nbsp;nbsp;123

Weise als Wechsel zvvischen ^ und l. Auch das ahd. hnig-cm {ne\g-ey%) mit dem got. hneiv-aw {sicli neigen), sie verbindennbsp;sicb nun unmittelbar mit dem griech. kXïv-uo (neigen, lehnen),nbsp;sodaB unser ‘neig-en und ‘lehn-en (= ahd. hlin-éM und hlein-Jan), so sonderbar es auch bei dem jetzigen Aussehn der Wort-formen klingen mag, tatsachlich dasselbe Wort siud. Besondersnbsp;lebhaft wird unsre Freude immer sein, wenn sich mit der fort-schreitenden Erkeuntnis eine Wurzel, die für uns auf unsermnbsp;bisherigen Wege schon bedeutungsvoll geworden ist, in über-raschender Weise von einer ganz neuen Seite zeigt: eine Wurzelnbsp;mit dem Bedeutungsinhalt ‘scharf haben wir uuter ganz besonders interessanten Umstanden kennen gelernt in den griechi-schen Wörternnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{schdrfen, wetzen) und ipdy-qog {Wetz-

stem), und dieselbe Wurzel erkennen wir nun, wo uns der all-gemeine Wechsel der Spiranten f, x, ^ niit den Liquiden und Nasalen Tatsache geworden ist, auf einmal auch wieder imnbsp;griech. yév-v {Scharfe, Schneide des Beils, das Beil), das natür-lich nichts zu tun hat mit dem ihm auBerlich völlig gleichennbsp;Worte yév-v 'Kinn\ und im lit. gail-ws (scharf).

BeschlieBen wollen wir diese Betrachtungen, indem wir uns noch einmal, wie oben an der Wurzel ferm ‘Icriechen’, an dreinbsp;Wurzeln den mit dem neuen Gesetze errungnen Standpunktnbsp;unsrer Erkenntnis vergegenwartigen. Im V. Kapitel verbandennbsp;sich uns das ai. vegh (fahren) und das ai. vedli (führen), woven das erste seine Entsprechung in unserm nhd. be-weg-e«nbsp;(got. wig-aw und ¦wag-jan) hat; im VI. Kapitel, wo wir ein-sahen, daB an der Stelle des v auch eine Liquida oder Nasalisnbsp;erscheinen kann, gesellten sich das air. riad [das Fahren, Reilen)nbsp;und das ahd. vit-an {sich fortbewegen, fahren, reilen) dazu, undnbsp;jetzt, wo wir wissen, daB an Stelle der Spirans gh oder dhnbsp;auch eine Liquida oder Nasalis stehn kann, erkennen wir dasnbsp;ai. vegh auch im lat. mov-eo {bewegen) wieder, das sich alsonbsp;mit unserm be-weg-en nicht nur innerlich, sondern auch auBerlich als andrer Typus derselben Wurzel vollkommen deckt.nbsp;Innerhalb einer andern Wurzel sehn wir ferner, daB das got.nbsp;diw-an {sterben) auf der einen Seite mit dem griech. -d-av-etvnbsp;{sterben), auf der andern aber ebenso wie dieses selbst mit dem

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Kapitel VÜI.

got. nav-s gt; nam (der Tote) oder nav-is (tot) zusammenfallt, und dieselbe Wurzel begegnet uns in wieder andern Erschei-nungsformen im mhd. wal (die Leichen der ErscJilagnen aufnbsp;dem Schlachtfelde und das Schlachtfeld selbst), das uns nochnbsp;erhalten ist in Wal-statig Wal-halla u. a., im lit. lav-dwasnbsp;(Leiche), im lat. Lèm-ures (Geister der Yerstorbnen) und wiedernbsp;ganz anders im lat. möv-ior (sterben), sodaB wir von dem griech.nbsp;S-dv-aroQ sowolil wie von dem lat. mor-t-s eigentlich nicht mehrnbsp;sagen diirften, daB sie 'Tod' bedeuten, sondern daB sie es sindnbsp;(got. dau-pus). An letzter Stelle endlicb mag eine uns nichtnbsp;mehr unbekannte Wurzel 'graben' zeigen, wohin wir in unsrernbsp;Erkenntnis gelangt sind. Genau dieselbe Wurzel ist es nam-lich, die wir in Kap. Ill als griech. -d-afp-tio gt; d-dnrw (be-graben) oder griech. amp;dlt;p-Qog gt; rdcp-Qog (der Graben) und alsnbsp;lat. foS-io gt; fdd-io (graben) mit dem lat. fod-sa gt; fossa (dernbsp;Graben^ die Grube) haben kennen lemen, die uns dann innbsp;Kap. VII als griech. (póQ-ayy-g (Schlucht, Tal), als got. dal (Tal,nbsp;Schlucht, Grube) und als lat. vall-is (Tal) begegnet ist, die unsnbsp;ferner in wieder andern Gestalten entgegentritt im aksl. rov-Mnbsp;(der Graben, die Grube), im lat. fóv-ea (die Grube), im lat. alvers (Flufbett), in unsern nhd. Fluf-'beitt und Garten-loeet —nbsp;man erinnere sich daran, daB auch das lat. fossa in der Be-deutung 'Flufibett’ gebraucht wird, z. B. fossa Eheni —, imnbsp;mhd. tob-e^ (Waldtal, Schlucht), das wir nicht selten in seinernbsp;ganz natürlichen Verbindung mit dem mhd. tal antreffen (z. B.nbsp;die wilden tobel, diu tiefen tal Heldenbuch 2,155), u. v. a.nbsp;Dieselbe Wurzel kann also — das ist das Ergebnis unsrer innbsp;den Kapitein IV—VIII dargestellten üntersuchungen — in kon-sonantischer Differenzierung ohne ünterschied zugleich als gel,nbsp;ger, gem, gen, gev, ge^j, ge/, geH erscheinen.

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Teilnahme des s-Laiitos au deni generellen Lautwechsel. 125 Kapitel IX.

Teilnahme des s-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

Nachdem wir uns aber einmal trotz der energischsten, an-dauernden Gegenvvehr endlicb doch zu dem im vorigen Kaïjitel ausgeführten Schritte habea verstehn müssen, ist das Eis ge-brochen, und es taucht nun, wo wir gesebn habea, dab Liquiden,nbsp;Nasale, Spiranten und v-Laut unterschiedslos miteinander wech-seln können, unmittelbar die E’rage auf, ob dann nicht die beidennbsp;noch übrig'bleibenden Laute spirantischer Natur, der s- und dernbsp;,/-Laut, ebenfalls an diesein generellen Lautwechsel teilnehnien,nbsp;eiiie Frage, die von Tornherein die gröBte Aussicht hat, in posi-tivem Sinne beantwortet zu werden. Denn damit, dafi sich dienbsp;bisher behandelten Laute vor unsern Augen zu einem Eingenbsp;zusammengeschlossen habeu, sind wir zu der Überzeugung vonnbsp;ihrer innern Einheit gezwungen worden, die aber in nichtsnbsp;anderin als in der ihnen allen gemeinsamen spirantischen Naturnbsp;beruhen kann, und da ware es sogar sehr sonderbar, wenn dernbsp;s- und der j-Laut abseits stehn sollten. Zum erstennial ist esnbsp;also eine rein lautphysiologische Erwagung, die uns neue Wegenbsp;weisen will; sehn wir zu, ob sie stichhalt, zunachst bei demnbsp;überaus wichtigen s-Laute. Ein ümstand, der hier unsre Hoff-nung uur bestarken kann, ist die Tatsache, dab s zu einigennbsp;der acht Laute, die für uns nunmehr ein geschlossenes Ganzenbsp;geworden sind, in naher und wichtiger Beziehung steht, vornbsp;allem zu r; gerade der unter gewissen Bedingungen stattfindendenbsp;Übergang eines ursprünglichen s in r ist eine Erscheinuiig vonnbsp;soldier Ausdehnung und Bedeutung, daB sie in der Pragungnbsp;der besondern Bezeichnung ^Wiotazismus ihren Ausdruck ge-funden hat. Uns ist dieser Ehotazismus besonders bekannt ausnbsp;dem Lateinischen, wo er sich vor allem bei dem intervokalischennbsp;s mit einer an RegelmaBigkeit grenzenden Haufigkeit vollzieht,nbsp;z. B. ur-o {brennen, verbrennen) : us-si, ger-o {tragen) : ges-tum,nbsp;es-se (sein) : mna-ve {lieben) usw. und Doppelformen wie quaer-onbsp;{suchen, fragen) und quaes-o {suchen, fragen^ hitten) u. a. Aber

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Kapitel IX.

auch auf germanischem Sprachboden treffen wir ihn liaufig an; so wird z. B. das got. raus [Rohr) zum ahd. rór, so erscheintnbsp;unser Eis-en (mhd. is-ew) im_Englischen als \r-on, Wortformen wienbsp;ver-lier-m und Fer-lus-f, frier-en und Fros-f, {er) was und (sie)nbsp;war-ew (Bo dir geschenM ein Blümlein toas’ï) baben wir nocbnbsp;beute nebeneinander, und will man einen Laien die Gesetz-mabigkeit derartiger Vorgange abnen lassen, so bietet sicb einemnbsp;als eins der besten Beispiele das Verbaltnis des nbd. hier zunbsp;hies-ig dar. Audi die vollsfandige Anpassung eines s an ver-sdiiedne jener acbt Laute kann uns in dieser Richtung alsnbsp;bedeutungsvoll erscheinen, z. B. lat. uel-se {wollen) gt; uelle, lat.nbsp;/er-se {tragen, hringen) gt; ferre, got. airz-jan {irre machen) gt;nbsp;mhd. irr-en usw., und die parabelen Schicksale, die s mit vnbsp;und j im Griechischen erlitten bat, können uns ebenfalls innbsp;unsern Gedanken an ihre innere Verbindung bestarken. Ganznbsp;besondern Eindruck aber mufi es auf uns für unsre Fragenbsp;machen, wenn wir dazu im Griechischen den s-Laut dialektiscbnbsp;mit einer gewissen Eegelmaliigkeit als Vertretung von R an-treffen, wenn wir z. B. die griechischen Wörter d-dl-aaaa {Meer),nbsp;¦9-eTv {laufen), {Tier), {heog {Gott), -d-rjgcbv {Haufe), Bélsivnbsp;{wollen) usw. im Dorischen, besonders Lakonischen, zum Teilnbsp;aucb im Aoliscben als ödl-aaaa, öeTv, Grjq, Gióc, Oggóv, aéXswnbsp;usw. wiederfinden. Die Spuren also, die wir Ton unserm Aus-gangspunkt aus angetroffen baben, können uns nur zu rüstigemnbsp;Fortschreiten auf dem eingeschlagnen Wege ermuntern.

Freilich ist es von ihnen bis zur Feststellung der Tatsache, dab der s-Laut in primarem Wechsel mit den übrigen Lautennbsp;steht, noch ein weiter Schritt, und die endgültige Entscheidungnbsp;dieser Frage kann sicb für uns wiederum nur aus der Durch-forschung der Wurzeln ergeben. Wie sicb nun im einzelnennbsp;die neue Erkenntnis in mir zu immer gröBerer Klarheit, endlichnbsp;zur GewiBheit durchrang, will ich bier übergebn, zumal danbsp;dieser subjektive Weg der Erkenntnis, der für mich selbst innbsp;der Feststellung des Lautwecbsels ungemein wiclitig war, diesenbsp;Bedeutung für den Leser nicht baben kann, der allein nacbnbsp;beweiskraftigen aufiern Tatsachen verlangt. Nur so viel sei ge-sagt: nachdem ich die Erscbeinung unablassig im Auge be-

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Teilnahme des s-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

lialten und midi fast daran gewöhnt hatte, da ihr nichts zu widersprechen sdiien, niit ihr als einer nahezu festgestelltennbsp;Tatsaclie zu redinen, da wurde die endgültige Entscheidung,nbsp;auf die sich allmalilich alles zuspitzte, von zwei Seiten herbei-geführt, wobei man beaditen moge, daB unser Forschen zu-nacbst auf Griechisch, Lateinisdi und Germaniscb besdiranktnbsp;war. Einmal traf ich unter den FluB- und den Bergnamen, derennbsp;Wurzeln ser und sen sind, mehrfach die Wurzel in der Form sesnbsp;an, wie z. B. ‘dieSös-e (ein Nebenfiuji der RhumeLeine—, dernbsp;ihr aus dem Har ze zuTcommt) und ^der Sois-amp;er^quot; {in der Rhön),nbsp;WO der Wechsel also ganz offen zutage liegt, sodaB ein Aus-weichen geradezu unmöglich ist, und den Ausschlag gab dannnbsp;endlich in charakteristisdier Weise wieder die Wurzel, die fürnbsp;uns schon mehrmals so bedeutungsvoll geworden ist, die Wurzelnbsp;dsy ‘scharf. Gestützt auf das parallele Verhaltnis, wie wir esnbsp;innerhalb der Wurzel ac 'scharf zwiscben dem lat. ^o-u-tusnbsp;‘geschdrft, scharf und dem lat. ca,-tus'gewitzigt, gescheif sebn,nbsp;muBte ich diese Wurzel, die uns aus den griechischen ^^'örternnbsp;\)-i]y-co {wetzen), (fdy-gog (Wetzstein) und yév-v {Scharfe,nbsp;Schneidé) schon ganz vertraut geworden ist, unmittelbar aucbnbsp;in dem inir bisher so ratselbaften lat. sag-ac-s {scharfsinnig)nbsp;wiedererkennen, dem das lat. sB,g-itta {Pfeilj in ganz konkreternbsp;Deutliehkeit noch dazu an der Seite stand. In diesem einennbsp;Beispiele batten sich mir also wie in einem Brennpunkt allenbsp;die in Frage stellenden Erscheinungen vereinigt, und mit ihmnbsp;war die endgültige Entscheidung herbeigeführt: wie von vorn-herein anzunehmen war, nimmt aucb der s-Laut tatsach-lich an dem generellen Wechsel teil. Die Wurzel aber,nbsp;an der wir die entscheidende Beobachtung gemacbt haben, ziebtnbsp;sich fast wie ein Leitmotiv durcb unsre Forscbungen hindurch;nbsp;zuerst ganzlich unbekannt, wurde sie für uns von höchster Be-deutung für die Erkenntnis des Spirantenwechsels, dann begeg-neten wir ihr wieder bei der folgenreicben Entdeckung desnbsp;zwiscben Liquiden und Nasalen einerseits und Spiranten andrer-seits bestehenden Lautwecbsels, und zum drittenmal bat sienbsp;uns nunmehr eine neue Erkenntnis zur abschlieBenden GewiB-heit gebracht.

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Kapitel IX.

Jetzt aber traten die Falie, wo der Lautwechsel vorlag, aucb in überraschender Fülle ans Licht, und wieder teilweisenbsp;in so handgreiflicher Deutlichkeit, dab wir uns wundern müBten,nbsp;bistier achtlos daran vorübergegangen zu sein, wüBten wir nicht,nbsp;dab erst der gesetzmabige Gedanke sie über die Bedeutungslosig-keit des auch noch so klaren Einzelfalles hinausgehoben und zunbsp;klarem Zusammenhange verblinden hat. Mit einemmal erkennen wir so in deni lat. a\a.-ister {linies) und in dem ahd. win-istar (linies), das als mhd. winster die unbestrittene Vorherr-schaft vor linie hat, ganz dasselbe Wort wieder und können esnbsp;hier nur schwer verstehn, wie bei der ganz parallelen Bildungnbsp;der beiden Wörter die Frage ihres effenbaren Zusammenhangsnbsp;in uns me über die Sphare des dunkeln, unbewubten Empfindensnbsp;hinaus plastische Gestalt angenommen hat. Zugleich erkennennbsp;wir damit, dab es dieselbe Wiirzel ist, die im Altindischen alsnbsp;samp;v-yd-s (linies) und als vSm-ns (linies) erscheint, ein Formenpaar,nbsp;das sich dem eben genannten gut vergleichen labt, und wiederumnbsp;in andrer Gestalt begegnet uns dieselbe Wurzel in dem av. vair-yastdra (linies), im lat. iaev-ws (linies) und in den ihni ent-sprechenden griech. lai(r)-6g (linies) und aksl. lëv-u (linies).nbsp;Wie sich aber sin-ister und win-istar zueinander verhalten, sonbsp;auch das lat. salt-MS (Waldgebirge) und das mhd. walt ( fFa^ri),nbsp;und dieselben Wurzelformen, die wir oben in sekundarem Laut-wandel als d-AX-aaaa und aal-aaoa kennen gelernt haben, be-gegnen uns in selbstandigem Lautwechsel im griech. amp;aX-uGaanbsp;(Meer) und im lat. sal-wm (Meer) wie im griech. (ö)aX-g (Meer).

der Lautwechsel ferner vor

liegt

uns im

Ganz handgreiflich

Griechischen, wo wir ein und dasselbe Wort in der Bedeutung 'Mahne, langes Haar’ als (pó^-rj und aó(i-iq nebeneinauder finden,nbsp;wo neben dem unserm ahd. ars (Arsch) und dem arm. or(s) (dernbsp;Hintere) entsprechenden ÖQO-og gt; öqq-og (der Hintere, Steifi)nbsp;ein aqy^-óg (der Hintere, After) steht, und wo uns dienbsp;gleiche Wurzel nicht nur als (léeX-vaaco (fiesten), alsnbsp;(flesten) und ^öóX-og (Gestanle), sondern auch als /ïdéiö)-!!!nbsp;(fiesten. Fut. fidéa-io\) entgegentritt. Als Bezeichnung des Nacht-gestirns ist uns das griech. piju (Mond, Monat) oder [m'iv-i]nbsp;(Mond) wie das got. mên-a (Mon-d, mhd. man-e) mit mên-dp-s

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Teilnahme des s-Lautes an dem generellen Laiitwechsel

Mon-at) wohlbekannt, denen wir noch das lit. mén-?° {Mond) wie das lett. mën-es {Mond) anreihen können, und wenn uns nunnbsp;dasselbe Wort im Altindischen als mas {Mond, Monat) iind imnbsp;Altkirchenslawischen als mês-^d{Monat) — buig. mês-ec {Monat)nbsp;begegnet, so bezeugt sich uns damit unser Lautweclisel wiedernbsp;in aller Deutlichkeit; und wahrend wir lungekehrt in den Be-zeichnungen des Tagesgestirns bisher nur ein aniautendes snbsp;kennen gelernt haben, finden wir im Altindischen wie im Ar-menischen dafür aucli ein r, sodaB wir neben dem got. sunn-önbsp;{Sonne) usw. ein ai. rav-is {Sonné) und mit sekundarem Vor-schlagsvokal ein arm. a-rev {Sonne) haben, womit man noch dasnbsp;ai. vas ‘leuchten, z. B. in der Form a-vd-a-ran {sie leuchteten), zu-sammenhalten moge. Gerade im Altindischen stoBen wir aufnbsp;mehrere Falie, wo sich die Lauterscheinung in sinnfiilligsternbsp;Klarheit offenbart; so treffen wir in der Bedeutung ‘gewinnennbsp;dieselbe Wurzel als san und van nebeneinander an, namlich ai.nbsp;vé,ïi-ati 'er gewinnf und ai. san-öfi 'er gewinnf, so erscheinennbsp;nebeneinander die altindischen Wörter laa-ati {hrüllen) und rav-ati {hrüllen), ferner ai. vas-afê {kleiden) und ai. vkv-ati (bedecken,nbsp;einküllen), denen sich das av. vagh {sich kleiden, anziehen) wienbsp;das got. vamp;a-jan {kleiden) anschlieBen, so begegnen wir nebennbsp;dem ai. mia-ati {Augen aufschlagen) einem ai. mll-ató {Augennbsp;schliejien), neben dem ai. bhan-aii {sprechen) einem ai. bhas-afenbsp;{sprechen), und neben dem ai. vam-ds {wert, Heb, gut] steht dasnbsp;ai. vas-M? {gut), heides Erscheinungsformen derselben weitver-zweigten Wurzel, die uns auBerdein begegnet im ai. van-ati {ernbsp;gewinnt Heb, hat gern) mit dem gleichbedeutenden vi-v^a-ati,nbsp;im got. wail-a = nhd. wohl, im arm. lav [besser), im altlat.nbsp;man-^ts {gut) und im lat. mel-ior (besser) wie im griech. d-gév-icov (besser), im got. sêl-s {gut) und im aksl. sul-ey (besser), imnbsp;air. ferr (besser) usw. usw. Auch im Avestischen tritt uns unsernbsp;Lautwechsel handgreiflich entgegen, wenn wir z. B. eine Wurzelnbsp;mit der Bedeutung 'gehn, kommen' in den Gestalten ar. jamnbsp;und jas erscheinen sehn, wenn wir neben dem av. dvar {laufen)nbsp;ein av. dvas (laufen) als Erscheinungsformen derselben Wurzelnbsp;antreffen, der mit vielen andern Wörtern auch das griech. óqag,-Ëïv {laufen) angehört, oder wenn neben dem av. kas-w {klein)

Meyer, Die Schöpfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;9

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Kapitel IX.

ein av. kam-na (klein) auftritt. Dem griech. dfidgt;-g (Sklave) ferner wie dem griech. öbvk-og (Sklave) gegenüber, die natürlichnbsp;eines ürsprungs sind mit dem griech. dafi-dco (begwingen) undnbsp;dem lat. dom-are (begivingen), finden wir im Altindischen einnbsp;das-ds (Sklave), und die Wurzel an ’hauchen, die wir schon innbsp;so verschiednen Formen kennen gelernt haben, lemen wir nunnbsp;auch als as kennen im ai. as-u (Lehen, Lehen der Seele), dasnbsp;also ganz dem lat. an-ima (Leben, Seele) entspricht. So stehtnbsp;ferner neben dem ai. ném-a (halb), dem npers. nêm (Hdlfte, halb)nbsp;(und dem kurd. niw Hdlfte) ein lat. sëm-i (halb), neben demnbsp;griech. Kóg-ri (Haar), dem lat. com-a (Haar) wie dem mhd.nbsp;har {Haar) in derselben Bedeutung das aksl. kos-a (Haar) nebstnbsp;kos-mzz (Haar), das lit. kas-d (Haarflechté) wie das lat. caes-aries (Haar), und dem griech. y.aX-Ld (Hütte, Wohnung) ent-spricbt nach Bedeutung wie Form das lat. cas-a (Hütte) wienbsp;das mhd. hüs (Haus). Das lat. ver (Frühling) und das aisl. varnbsp;(Frühling), das ai. vaa-antds (Frühling) mit dem aksl. ves-nanbsp;(Frühling) und dem lit. vas-ard (Sommer), dem sich das ai.nbsp;sam-a (Halbjahr, Jahreszeit, Jahr), unser mhd. sum-er (Somm-er)nbsp;und das air. sam (Sommer) zur Seite stellen, endlich auch dasnbsp;griech. ëciq (Frühling) lt; Féo-aq, sie alle sind Kinder einernbsp;Mutter, geboren ein und derselben Wurzel an. Das ai. vas-atinbsp;(er verweilt, ivohnt) ferner heiBt nicht nur ‘er wohn-t’, sondernnbsp;ist es, = mhd. won-en (verweilen, wohnen), d. h. es ist mit ihmnbsp;ein Typus ein und derselben Wurzel, die weiter auch vorliegtnbsp;im av. vagh (wohnen, verweilen), im av. vaes-msn (Haus), imnbsp;griech. vaö-uo (wohnen) gt; vaUo mit vdG-rgg (Bewohner), imnbsp;got. wis-an = ahd. mea-an (verweilen, bleiben, sein), im got. sal-ipwa = mhd. sel-icfe (Wohnung, Herberge) wie im mhd. salnbsp;(Haus, Wohnung), ebenso im lat. vill-ci (Landhaus), im av. ramnbsp;(verweilen, wohnen), im lit. narn-as (Wohnung) und endlich imnbsp;lat. man-eo (bleiben), wobei man sich für die Bedeutungs-umgrenzung daran erinnern mag, daB das lat. man-sio (das Ver-bleiben, der Aufenthalt) im frz. maison (Haus) wieder ganz beinbsp;der Bezeichnung 'Wohnung' angekommen ist, wie auch imnbsp;Mittelhochdeutschen ‘da^ wes-e«’ die Bedeutung'A.M/'e?2f/tateorf,nbsp;Wohnori bat, und andrerseits kann uns die Erinnerung an

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Teilnahme des s-Lautes an dem generelleii Lantwechsel.

unser nLd. 'leiwohnen wieder ganz auf die Allgemeinheit des Wurzelbegriffs hinweisen. Wie deutlich zeigt sich unser Laut-weclisel ferner, wenn uns dieselbe Wurzel 'gehn' zugleich alsnbsp;sed und ved begegnet, dieses iin lat. vad-o [gehn\ jenes im ai.nbsp;ö-sad Qierangehn), im aksl.kd-t^ (gegangen) und im griech. (ff)öd-ognbsp;(Weg) — auch das air. set 'Weg gehort dazu —, wenn wir dasnbsp;griech. aaiQ-co Qcehren) oder Gsq-lo {schleppen^ fegen) nebstnbsp;oüq-ov {Kehricht) vergleichen mit dem ihnen entsprechendennbsp;lat. verr-o {fegen), oder wenn sich nun zu unsern deutschennbsp;Verben brüll-en und brumm-en auch braus-ew, zu summ-en undnbsp;surr-en auch saus-ew hinzugesellt! Und wir sind vollends vonnbsp;der Kraft des Gesetzes eingenommen, wenn lang gefühlte undnbsp;immer vergebens umstrittene Schwierigkeiten plötzlich in ihmnbsp;ihre natürliche Aufklarung erlialten, wie es in foigenden beidennbsp;Fallen geschieht DaB das griech. tQsp-io {zittern) nebst rqopL-éanbsp;(zittern), das lat. trem-o {zittern) und das lit. trim-;/ [zittern) mitnbsp;dem griech. tqé{6)-co {zittern) zusammenhangen müssen, empfindetnbsp;jeder leicht, um so schwieriger war aber die Frage nach demnbsp;ude?, die sich nun in einfachster Weise als Wechsel zwischen mnbsp;und s lost. Denn wir wissen, daB dem letzten Worte genau wienbsp;dem ai. tras-ati {erzittern) die Wurzel in der Form rpsa zu-grunde liegt, indem nur im Prasens und im Perf. Akt. der s-Lautnbsp;sekundar verklungen ist, wahrend sie als rpsa herrortritt imnbsp;Futurum rpsa-aco und im Aorist ë-rpsa-aa und in dem Sub-stantiv xq^G-uvr-g {der zitternde Feigling). Auch die griechischennbsp;Verben 'iéio und ^atvco, die beide quot;Frafeen, schaben bedeutcn,nbsp;muBten bisher gerade bei ihrer sonstigen Gleichheit wegen desnbsp;unerklarbaren Restes für den aufmerksamen Forscher ein pei-nigendes non liquet bilden, das sich für ihn jetzt in um so gröBerenbsp;Freude verwandeln wird, wo er die beiden als §é({5')-co (Fut.nbsp;i'eu-ffw!) undnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;in schönster Harmonie vereinigt sieht. So

lost die fortschreitende Erkenntnis die Ratsel der vorhergehenden Stufe von selbst.

uns^ immer

Aber auch ganz neue, ungeahnte Verbindungen tun sich vor uns auf, und zahlreiche Wortgebilde treten als Zeugen des neunbsp;aufgedeckten Lautwechsels aus ihrem bisherigen Dunkei hervor,nbsp;wieder die ewig gleiche und höchste Freude des

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Kapitel IX.

Menschen bereitend, die Harmonie gesetzmaBiger Znsammenliange zu erkennen und zu fühlen, Welclie Befriedigung miiB er dar-

über empfinden,

nun m

drei so ganz verschieden gestalteten

Gebilden wie dem griech. è^jc-lö-g {Hoffnung), dem lat. spë-s (Hoffhung) und dem aksl. puv-ati {koffen) oder in Gestalten wienbsp;dem lat. asp-er {rauh) und dem lit. rup-ws {rauh), wie demnbsp;mpers. tan {Körper, Leib) und dem av. ast-M {Körper, Leïb)nbsp;je ein und dasselbe Wort erkennen zu können, und wie gehn vornbsp;seinem Auge die Einzelsprachen unter in dem Meere der Sprach-einheit, wenn vor ibm das griech. Giq^t-co (faulen) mit dem lat.nbsp;pes-t-i-s {Seuche, Pest), das griech. jtvd-Lo {faulen) nebst nvt)--eöcbv {Faulnis) wie ajjn-eöóv {Faulnis), das lat. pïit-eo {faul,nbsp;modrig sein) mit püt-idus {faul), das lat. püs {Eiter) nebst demnbsp;griech. ütv{o)-ov {Eiter), das lit. pul-iai {Eiter), das lit. püd-attnbsp;{faulen machen), das lit. püw-M wie pün-w quot;faulen und endlichnbsp;das deutsche faul = got. ful-s, wenn sie allesamt eins werden!nbsp;Ganz besondre Genugtuung muB es aber dem ernsten Forschernbsp;immer bereiten, wenn er eine innere Wahrheit, die er schonnbsp;lange als solche gefühlt hat, mit wachsender Erkenntnis endlichnbsp;auch auBerlich bestatigt sieht. So erging es mir mit dem lat.nbsp;söc-iws {Oenosse, Gefdhrte, Bundesgeniosse). Von den Etymo-logien dieses Wortes konnte mich keine befriedigeip da sie allenbsp;auBerlich gemacht und erdacht waren. Fragte ich aber dasnbsp;Wesen des Wortes, so konnte die Wurzel nur den Begriff quot;verbinden, vereinigen’ enthalten, und ich durfte es als willkommenstenbsp;Bestatigung hinnehmen, daB soc-ius in seiner ursprünglichen,nbsp;adjektivischen Form, die hinter der des Substantivs allmahlichnbsp;zuriickgetreten ist, auch ‘gemeinsam, verbunden bedeutet undnbsp;dementsprechend das Verbum soc-iare quot;verbinden, vereinigen'quot;,nbsp;von hier aus begann ich dann auch wieder den Begriff desnbsp;Verbindens mquot;Bundesgenossê defer zu erfassen. Sobald nunnbsp;nach der Entdeckung des neuen Gesetzes das lat. soc-ms wiedernbsp;vor meine Augen kam, erkannte ich mit intuitiver Unmittelbar-keit in ihm das griech. Koiv-óg {gemein, gemeinschaftlich) undnbsp;das lat. cöm-et-s {Begleiter, Oefdhrté) wieder, die mit ihm wesens-gleich sind und darum auch oft mit ihm synonym gebrauchtnbsp;werden, und bald steilte sich auch das dem lat. soc-ius in der

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Bedeutuüg ganz entsprecliende air. cèl-e (Genossé) ein. Sie geboren alle zu der groben Wurzel ‘verhindert, die uns in ganz konkreter Erscheinung auf S. 57 im lat. nec-i-o (knüpfen, hinden),nbsp;im griecb.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(Bindé) u. v. a. entgegengetreten ist. ünd

wie es immer eine Wurzel mit dem Bedeutungsinhalt ‘verbinden sein muB, die den Verwandtschaftsnamen zugrunde liegt, sonbsp;sprang nun mit einmal dieselbe Wurzel auch aus dem grieeh.nbsp;Kóa-Ls hervor, das in bezeichnender Weise nocb zugleichnbsp;‘Bruder und ‘Sekwester bedeuten kann, ebenso aus dem ahd.nbsp;hiw-o (Gatte) gt; mhd. hhv-e u. a. Da sicli aber diese ganzeunbsp;Gedanken innerlich aus sich heraus entwickelt baben, so sindnbsp;sie absolut wabr, und so finden wir denn auch bei einer andernnbsp;Wurzel dem, die ebenfalls 'verbinden heiBt, ganz die parabelennbsp;Erscheinungen: zu den konkreten Gestalten lat. re-dim-erenbsp;{hinden), lat. rüd-ens (Schiffstau), av. iev-em {Band, Fessel)nbsp;baben wir die geistigen griecb. dafi-aQ {Gattin) und griecb.nbsp;éa{F)-ri() {Schwager) — mit ödg-aQ halte man das engl. mat-enbsp;{Gefakrte, Gatte, Gattin) zusammen —, und mit derselben Laut-differenzierung, die das lat. soc-ius innerhalb seiner Wurzel dar-stellt, finden wir bier sein Analogon plötzlicb als lat. söi-alisnbsp;{gesellschaftlich, Gefakrte) wieder. Zu derselben Wurzel gehortnbsp;auch das lat. foed-ws {Bündnis, Bund), das uns damit innerlichnbsp;als dasselbe erscheint wie sein natürliches Synonymon soe-ietasnbsp;{Bündnis, Gesellsckaft), wie auch das lat. com-it-ari (begleiten)nbsp;als Angehöriger jener Wurzel innerhalb der andern sein Gegen-bild findet in dem lit. lyd-è'fi {begleiten). Auch innerhalb dernbsp;Wurzel dem also bezeugt uns der Typus des lat. sod~alis wiedernbsp;deutlich unsern Lautwechsel. Mit diesem Gesetz aber geht unsnbsp;ferner auch die Erkenntnis auf, daB wir in der Verbindungnbsp;Wit-wen und Wais-en immer, ohne es zu wissen, im Grundenbsp;ein und dasselbe Wort gebraucht haben, indem dieselbe Wurzelnbsp;einerseits als mhd. weis-e und andrerseits als ai. vidh-dï^anbsp;{Wittve), als got. wid-uwó usw. erscheint, und ebenso nehmennbsp;wir nun mit Überraschung wahr, wie die enge Wesensverwandt-schaft zwischen Ease und Kaninchen in natürlicher Selbstver-standlichkeit auch in der Sprache ihren Ausdruck findet, indemnbsp;sich das ahd. has-o {Has-e) wie das ags. har-a {Hase) ganz mit

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Kapitel IX.

dem mild. kan-iw (Kanin-chen) wie mit dem griech. xóv-i-yJ.og und dem lat. cun-iculus deckt. Am Schlusse des vorigen Ka-pitels haben wir als einen Typus der groBen Wurzel ‘sterhennbsp;das lat. Lèm-ures angeführt, einen Ausdruck, womit der Romernbsp;‘die Geister der Verstorbneri bezeichnete; ganz dasselbe abernbsp;drückte er aus mit LSs-es, das sich zu Ldr-es entwickelte, mitnbsp;lar-üfle und mit man-es, in denen wir also jetzt ein und dieselbenbsp;Wurzel erkennen, die Wurzel des lat. mör-ior {sterhen) selbst. ündnbsp;wie wir sich hier das einzelne zum Ganzen finden sehn, so erscheintnbsp;nun auch ein uns bisher so ratselhaft anmutendes Wort wie unsernbsp;Hure — got. hór-s (Eheirecher, Hurer) mit einmal in den gröBtennbsp;Znsammenhangen, denn wir finden es wieder nicht nur im Grie-chischen als Xaix-dö-g {Hurer, Hure) und XTqx-aCb) [huren), alsnbsp;xaöa-cc und xaö-aX^rj ‘Hure, sondern auch auf slawischemnbsp;Sprachboden als aksl. kur-wa, als lit. kur-ua , als lett. mauk-anbsp;und als polabisches seuk-o, die alle ‘Hure bedeuten.

tiberall vollzieht sich so mit dem neuen Gesetz ein neuer ZusammenschluB der nur auBerlich getrennten, innerlich abernbsp;zusammengehörigen Erscheinungen. In dem lat. tin-ea [Motte)nbsp;erkennen wir jetzt ebenso leicht das griech. Orix-g [Motte) wiedernbsp;wie im lat. lap-is [Stein) und im griech. stéXX-a [Stein) dasnbsp;ai. '^^%-ana [Stein) oder wie im lat. pën-is [mannliches Olied)nbsp;das gleichbedeutende ai. sép-a, denen sich das ai. pas-as [mann-liehes Qlied), das griech. :xé[ö)-og [mannliches Glied) und dasnbsp;gleichbedeutende mhd. vis-eZ (nd. pes-eQ als Erscheinungsformennbsp;derselben Wurzel anschlieBen. Zu dem lat. form-ido und demnbsp;griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;ferner, die beide die ‘grausige Furcht bezeich-

nen, gesellt sich nun auch das lat. hors-eo [vor Furcht schauern) gt; horr-eo nebst horr-or [das Grausen) und ebenso die mhd.nbsp;grüs-m, grüw-e»i und griul-ew, denen die nhd. graus-en, grau-ennbsp;und graul-en entsprechen, und es sind Typen ein und derselbennbsp;Wurzel mit dem Bedeutungsinhalt ‘hriechen, die wir finden imnbsp;lat. rëp-o [hriechen) wie im lett. xèig-Ju [hriechen), im lat. vipera [Schlange, Viper), im lat. nëp-a [Shorpion, Krebs), im lit.nbsp;pel-l [Maus), im griech. Asjt-ód-g [Napfschneche) und — imnbsp;griech. aiqjt-g [Schlange, Eidechse). Innerhalb einer andernnbsp;Wurzel ‘hriechen aber vereinigen sich als deutliche Zeugen

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Teilnahme des s-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

unsers Lautwechsels die Typen serp und verp miteinander, von denen der erste vertreten ist im lat. serp-o {Jcriechen, scMeichen),nbsp;im griech. (ó)£Qn-tü {Jcriechen^ schleichen) und im ai. sarp-aifinbsp;(hiechen), wahrend der zweite in dem gleiclibedeutenden lit.nbsp;virp-ii erscheint, und einen dritten Typus haben wir dazu nochnbsp;im lit. répl-oy^ {hriechen). Das lat. sauc-iïzs {verwundet, be-sonders im Kriege) hat man bisher auf Grund des aufiern An-klangs mit dem g’ot. siuh-s (kranh) = mhd. siech zusammen-gestellt, was innerlich nicht vollkommen befriedigen kann: dernbsp;innern Wahrheit geschieht ein gröBeres Genüge, wenn wir sauc-ius mit dem lit. syk-is {Hieh) wie mit dem aksl. sêk-^ (hauen)nbsp;zusammenstellen und so einen Vertreter der groBen Wurzelnbsp;quot;schlagen darin sehn, die u. v. a. im lat. per-cell-o {schlagen,nbsp;erschüttern), im lat. in-eol-umis {unverletzt), im lit. kov-anbsp;(Kampf) wie im lit. kal-ti (schlagen) und in all den andern aufnbsp;S. 101 angefiihrten Wörtern erscheint, wahrend das got. siuk-snbsp;UcranTc) im lit. lig-a (Kranlcheit) und im air. gal-ar (Kranlcheit)nbsp;seine Wurzel wiederfindet. Das lat. mis-er [elend, unglücklich)nbsp;mit mis-er-eor (sich erbarmen) erkennen wir jetzt wieder imnbsp;aksl. mil-M (bemitleidenswert) und auch im got. arm-s {elend,nbsp;arm) mit arm-an (bemitleiden, sich er-b-arm-en), wie das selbst-verstandlich einer ganz andern Wurzel angehörige got. arm-snbsp;quot;der Arm' seine Entsprechung hat in dem griech. pijp-dg (Sehen-icel, Lende) und im aksl. mys-icu (Arm); und wenn uns nunnbsp;im Altirischen gris in der Bedeutung quot;Feuer begegnet, so erkennen wir darin alsbald das griech. yQvv-óg (Feuerbrand,nbsp;FacJcel) wieder, zwei sich ziemlich nahe stehende Typen dernbsp;groBen Wurzel 'brennen^ leuchten, die im griech. lt;pi.éy-oinbsp;(brennen, leuchten), im mhd. glim-ew (leuchten, glanzen) = nhd.nbsp;glimm-en, im aisl. glam-r (Mond) und in zahllosen andern Wort-gebilden aller indogermanischen Sprachen erscheint. Ein undnbsp;dieselbe Wurzel tritt uns ferner offenbar entgegen aus folgendennbsp;AVörtern, die alle quot;hrumm' heiBen, wobei wir wieder den s-Lautnbsp;im Wechsel mit den andern spirantischen Lauten sehn: griech-ö'KoX-ióg (krumm, schief) und griech. Xo^-óg (schief, schrdg,nbsp;krumm), griech. axaX-coga (Krümmung) und griech. oxai[L)-copa (Krümmung), griech. 6xsXX-óg (krummbeinig), griech.

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Kapitel IX.

¦xdqO-iog {schief, schnig), lat. cxLrv-ios (krumni, gekrüynmt', aksl. kriv-M (krumm) und lit. kraiv-as oder kreiv-as {schiefj, lit. kliv-asnbsp;(krummbeinig), griech. (pokx-óg {schiefbeinig), mhd. krum-amp; =nbsp;iilid. krumm, aksl. slak-w {krumm), griecli. (f)Qoix-óg (krumm,nbsp;mit krumm,en Füpen) u. a. lm ai. las-at'i {begehren) fernernbsp;mit la-la,s-as {heipes Verlangen tragend, begierig), im griech.nbsp;lL-?.d{a)-iogut {begehren} wie im got. Iwa-tus {Lus-t, Verlangen)nbsp;erkennen wir jetzt sofort das ai. liikh-t/ati {Verlangen enipfinden),nbsp;das ai. Yén-ati (verlangen), das lat. vel-te {willens sein, begehren)nbsp;und das griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{wollen, wünschen), und im got. hats

{Fackel) sehn wir sogleich einen Typus der Wurzel kei quot;brennen wieder^ sodaB es für uns mit dem an. liyrr {Feuer), mit demnbsp;lat. fac-s {Fackel) usvv. zusammenfallt, und in derselben Wurzelnbsp;erscheint uns unser Lautwechsel, wenn wir das av. saöc-a {Brand,nbsp;Feuer) wie das av. sue {brennen, flammen) und das ai. ksa-yatinbsp;(brennen) mit dem griech. xd{f)-iCLi {anzünden, brennen) usw.nbsp;zusammenhalten. Deutlieh redet ferner unser Gesetz zu uns innbsp;dem Nebeneinander von dem ai. vis-^m {Gift), dem griech. rio~ógnbsp;gt; ióg {Gift), dem lat. v\i-us {Gift) und dem lat. 'lén-enum {Gift),nbsp;von dem aksl. cas-w {Stunde, Zeit) nebst dem preuB. kis-mujznbsp;{Zeit, Weile) und dem griech. naiQ-óg {Zeit, Gelegenheit) wienbsp;dem aksl. vëk-^i {Zeit) und dem lit. laik-as {Zeit), von dem griech.nbsp;yavo-óg {gekrümmt) und andrerseits dem griech. yvQ-óg {rund,nbsp;krumm, gebogen) wie dem griech. y{av-og {Krümmung, Winkel,nbsp;Ecke) u. a., von dem got. laus-yan (los machen, lös-ew) und demnbsp;ai. lün-is {Losreifiung) wie dem got. lün-s (L'ósungsmittel, Löse-geld). Wie im Lateinischen nar-es {Nüstern, Nase) neben nas-wsnbsp;{Nas-e) steht, so fiuden wir dort ferner nebeneinander ca,eT-uleusnbsp;{dunkelblau) und caes-ius (blaulichgrau), wozu sicli aus demnbsp;Griechischen xv{/)-dv£og {dunkelblau) gesellt, furc-a {zweizackigenbsp;Gabel) und fusc-iwa (dreizackige Gabel), pum-ite (Zwerg) undnbsp;pÜB-illus {klein, winzig), qual-MS {geflochtner Korb) und quSs-iïlus {Spimikörbchen), sud-is {kleiner, spitzer Ffahl, auch alsnbsp;Waffé) und röd-is {Stab, Rapier), so steht ferner das engl.nbsp;soot {RuP) dem mhd. ruoz {Rup) gegenüber, so steht im Mittel-hochdeutschen mös neben muor == nhd. das Moos : das Moornbsp;und im En'glischen dusk neben dark, die innerlich und auBer-

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Teilnahme des s-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

lich eins sind mit unserm dnnk-e?, und es vereinigt sicli das mhd. gris mit dem mhd. grdw = nhd. greis : gr au, das lat. masnbsp;{mannlich) mit unserm mhd. man [Mann, Men-sch), das lat.

(Feig-é) mit dem griech. óvti-ov (Feige), das lat. flg-o {heften) mit dem lit. seg-w {heften), das lat. cul-ec-s {Müche) mitnbsp;dem preuB. cuss-is {MücJcé), das lat. tris4i-s {traurig) mit demnbsp;mhd. trflr-ec {traur-ig) wie mit dem got. trig-d {Trauer). Dasnbsp;ai. plös-ati {er hrennt, versengt) ferner wie das alb. prusnbsp;{hrennende Kohlen, Glut), sie werden eins mit dem lat. prun-anbsp;{glühende Kohlè) sowohl wie mit dem griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(brennen,

in

glühen), das air. clun-im {horen) deckt sich mit dem lit. klaus-yü {horen) wie mit dem ahd. hlos-êw {horen, horehen), und das griech. öv-og {Esel) brauchen wir nicht mehr auf dem Wegenbsp;der Konstruktion zu vermitteln mit dem lat. as-iwMs {Esel), demnbsp;aksl. os-ilu {Esel) usw., genau so wenig wie das griech. aav-ovv {Korh) und das aksl. Is.on-ohu {Korb) mit dem aksl. kos-inbsp;{Korb). Wie sich das lat. sïl-ec-s {Stein) im griech. Xiamp;-ognbsp;{Stein), so spiegelt sich das mhd. wis-e {Wies-e) ira serb. liv-adanbsp;{Wiese) wider und mit ihm zugleich im griech. ksig-óv {Wiese),nbsp;das lit. kós-as {Dohle) vereinigt sich unmittelbar mit dem dichtnbsp;neben ihm stehenden lit. ków-as {Dohle) wie mit dem von ihmnbsp;weit getrennten griech. KoX-oLÓg {Dohle), und ein und dieselbenbsp;Wurzel sehn wir vor uns im lett. sêr-s {Schiuefel) — Ut. sièr-anbsp;{Schwefel) wie im lett. sèw-elis {Schwefel) und andrerseits imnbsp;griech. 'd-éf-iov gt; itstov {Schwefel). So steht ferner das preuB.nbsp;sees-e [Amsel) neben dem preuB. sin-eco (ilfeise) und dem lett.nbsp;sil-e {Meise), das lit. wag-ia {stehlen) neben dem lett. sag-^ {stehlen),nbsp;das lett. warg4 (kranh sein) neben dem lett. sirg-^ {IcranTc werden),nbsp;und wie dem lat. flig-o {schlagen) nebst Mg-ellum {Geifel,nbsp;Peitsche) das got. slah-an und damit unser nhd. schlag-en ent-spricht, so entspriclit das lat. frig-ws {Kdlte) dem griech. Qïy-ognbsp;{Kcilte) sowohl wie dem lett. strèg-efe {Eiszapfen) — das t istnbsp;sekundar eingetreten — und dem nslow. srê'quot; {Frost, Eis). Das-selbe Verhaltnis aber, das wir zwischen diesen letzten Formennbsp;erkennen, besteht auch zwischen zwei weit verbreiteten Wurzelnnbsp;mit dem Bedeutungsinhalt Afliepen, die für uns also nun

zusammenfallen: srev ’Afliepen’ und frev ‘fliefen sind

eine

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Kapitel IX.

nichts andres als verschiedne Erscheinungsformen ein imd der-selben Wurzel. Die letzte Form finden wir u. a. vertreten im lat. fluv-ms (Flu/i), im griecti. lt;fQé{fj-aQ {Brunnen), im got.nbsp;brunn-a [Quell, Brunn-en) und mit v im lit. varv-m {trdufeln,nbsp;triefen), jene im ai. srav-fts {Flufi, Ausfiufi), im ai. srav-afi (ernbsp;im lit. srav-m {sielcernd fliefien), im lit. srav-a {dasnbsp;Fliefien, der Blutflufi) und im lit. srov-è (Strömung), im lit.nbsp;pa-siuY-o {er fiofi), im lit. srav-mi^ {icJi lasse -jiiepen) und innbsp;vollstandiger ümlagerung im lit. vers-we (Quellé), im griech.

{fliefien, Fut. Qev-aogcct,\) mit OQsFfia {Flufi), im griech. OQÓf-og {das Fliefien, der Flufi) wie innbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{das Fliefien,

die Flut), die bei dem sekundaren Verklingen von a und / im Griechischen als ^é-co, gev-fia, ^ó-og, Qo-d erscheinen, im air.nbsp;sruaim [Strom) und im ahd. stroum {Strom ¦, mit sekundarem ^!),nbsp;ferner im griech. {lt;j)vé{F)-co {schwimmen. Fut. vev-aogcal), imnbsp;mhd. swimm-en — man vergleiche Ausdrücke wie iFöer-sc/w’emm-ung u. a. —, im ai. sna,v-isyati {er macht triefen) oder snau-tó (ernbsp;enüdfit Flüssiglceit) usw. usw.

So einen sich auf dieser Strife unsrer Erkenntnis alle die gleichhedeutenden Wurzeln, die wir bisher noch streng ausein-andergehalten haben und halten muBten. Wir haben eine Wurzelnbsp;sen quot;de^theri festgestellt und ebenso in derselben Bedeutung einenbsp;Wurzel men, jene u. a. vertreten in unserm mhd. sin {Sinn, Ge-danke), im lat. sea-t-entia {Meinung, Oedanke), diese im griech.nbsp;fxév-og [Gesinnung, Mut), im lat. men-f-s {Verstand, Sinn), innbsp;unserm nhd. mein-ew u. v. a. Jetzt erkennen wir, daB diesenbsp;beiden Wurzeln in eine zusammenfallen, daB also unser Sinnnbsp;auch formell ganz dem lat. men-t-s entspricht. Auch die griechischen Wörter Gatp-t^g und xara-ipav-yg, die beide ' deutlich,nbsp;sichtbar bedeuten, werden nun vor unserm geistigen Auge voll-kommen eins, und so ergibt sich als absolute Wahrheit, was wirnbsp;bisher nicht im entferntesten geglaubt batten, daB Wurzeln vonnbsp;der Form ser, fer, mer oder ver usw. nichts voneinander Ver-schiednes darstellen, sondern daB sie differenzierte Typen ein undnbsp;derselben Wurzel sind. Wie verschwinden hier vor dem Augenbsp;des Geistes alle die Grenzen, die erst eine Folge der sekundarennbsp;Entwicklung der Sprache sind, welche Einheit in der Vielheit

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Teiluahme des s-Lautes aii dem generellen Lautwechsel,

tritt uns hier entgegen! Sonn-e und Mon-t?, um dieses Beispiel noch besonders herauszuheben, wir sebn, sie sind im Grundenbsp;ein und dasselbe Wort, d. b. verscbiedne Typen derselben Wurzel,nbsp;mit derselben einfacben Differenzierung, wie wir sie eben innbsp;deni Verhaltnis sin : men-t-s festgestellt haben. Es sei noch kurznbsp;darauf bingewiesen, dab uns aucb in den sekundaren Sprachbe-standteilen der Lautwechsel begegnet, teilweise sogar in unmittel-barster Deutlichkeit. So ist es eins der cbarakteristiscben Merk-male des dorischen Dialektes, dab in ihm die Endung der erstennbsp;Person Plur. nicht wie im loniscb-irttischen [isv lautet ((pé^o-/j.ev'wir tragen’}, sondern -gsg ((péqo-gEg), das ganz dem latei-nischen, nur noch vokalisch differenzierten -mus (feri-mus) wienbsp;dem ai. -mas entspricbt (ai. i-mas = griech. ï-gsv quot;wir geJinquot;),nbsp;und in paralleler Weise erscbeint aucb das griechiscbe Suffixnbsp;-amp;BV, das die Kichtung ‘tvoker?' bezeichnet, im Lateinischen alsnbsp;-tus, sodafi sich also das Verhaltnis ergibt: griech. (péqo-gevnbsp;{wir tragen): lat. feri-mus {wir tragen) = griech. oigavo-d-evnbsp;{vom Himmel her)-, lat. coeli-tus {vom Himmel her).

Dab aucb dieses neue Lautgesetz in dem Leben der Sprache nie aufgehört bat sich geltend zu machen, ist natürlich, und zwarnbsp;sind es vor allem zwei Eicbtungen, in denen es sich als se-kundarer Lautwandel mit besondrer Leicbtigkeit und Haufigkeitnbsp;immer aufs neue wiederbolt, einmal der Übergang eines ur-sprünglicben s in r und dann der Übergang eines s in einennbsp;der drei spirantischen Laute (/?, %, amp; und hier wieder besondersnbsp;in X bezw. h. Wenn z. B. das got. kas (Gefafi) mit Jcas-Janbsp;(Töpfer) iiii Alt- und im Mittelhochdeutscben als kar, ebenso imnbsp;Altnordiscben als ker und im Daniscben als kar erscbeint, sonbsp;liegt hier ohne Zweifel eine sekundare Entwicklung vor, wie wirnbsp;sie z. B. in der umfassendsten Weise im Altnordiscben sebn, wonbsp;u. a. das auslautende Nominativ-s durchgehends zu r gewordennbsp;ist, sodab also die gotisch en Wörter dag-s (Tag), fish-s {Fiseh),nbsp;gast-s {Gast) usw. dort als dag-i, fisJc-r, gest-v usw. erscheinen,nbsp;und so könnten wir die im Anfang dieses Kapitels angeführtennbsp;Beispiele eines solchen 'Rhotazismus' leicht beliebig vermehren.nbsp;Fast ebenso baufig ist der andre Übergang, der sich uns aucbnbsp;immer wieder und in allen Sprachen zeigt. Wie sich im Grie-

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Kapitel IX.

chischen fast durchgehends ein anlautendes s zum Hauchlaut h entwickelt liat — an die Hunderte voii Beispielen wollen wirnbsp;nur kurz erinnern durcli einen Hinweis auf das Verhaltnis desnbsp;lat. sal (Salz) zum griech. aX-g [Salz) und ebenso des lat. serp-onbsp;(kriechen) znm griech. sQjt-to Qcriechen) —, ebenso erscheintnbsp;im Avestiscben im Anlaut immer ein li statt des ursprünglichennbsp;s, wie es das eng verwandte Altindiscbe aufweist. Folgendenbsp;Gegenüberstellnng mag die Erscbeinung kurz zeigen:nbsp;ai. sav-yd-s {links) = av. hav-ja,nbsp;ai. mrv-a {unversehrt)nbsp;lat. aalv-us „nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;= av. haurv-a,

ai. sd.nti {sie sind) nbsp;nbsp;nbsp;— av. henti,

ai. saptan (sieben) nbsp;nbsp;nbsp;— av. 'haptan,

ai. si-std-mi {ich stelle) = av. hi-std~mi,

ai. svar (Sonne) lat. aequ-i (folgen)

lat. aed-eo (sitz-en)

griech. ï-ary-yi,

= av. 'hvar-e,

av. ho5c,

griech. eTt-eaS-ai,

= av. laad usw.

Genau denselben Vorgang aber beobachten wir im Armenischen, WO z. B. das ai. adn-as {alt) = lat. sen-ex {Greis) als hin {alt)nbsp;erscbeint, oder wo wir mit nachtraglichem Schwund auch diesesnbsp;Hauchlautes das lat. sal {Salz) als al (Salz), das lat. septemnbsp;{sieben) als evtn {sieben) wiedertreffen; die Erscbeinung zeigtnbsp;sich uns ferner in groBem ümfang im Albanesischen, wo wirnbsp;statt des anlantenden s der andern Sprachen ein h oder mitnbsp;stimmhafter Aussprache ein g erscheinen sehn, wo wir also z. B.nbsp;ganz in Übereinstimmung mit dem griech. é'Az-w (zieken) einnbsp;hel’k’ (zieken) finden, oder wo uns das lat. serp-ens (Schlange)nbsp;als garp-er (Schlange), das ai. sarp-i? (Butter) als galp-e (Butter-),nbsp;das lat. sorb-eo (schlUrfen) als gerp (schlürfen) begegnet usw., undnbsp;endlich sehn wir denselben Lautwandel im Slawischen wieder,nbsp;WO uns unter bestimmten Bedingungen gegenüber dem s dernbsp;andern Spracben ein ch entgegentritt. So lantet dasselbe Wort,nbsp;das uns in Übereinstimmung mit allen andern Sprachen im Litau-ischen als aus4s (Ohr) begegnet, im Altkirchenslawischen uch-o,nbsp;und ebenso steht dem lit. safs-as (trocken) das aksl. such-M gegen-

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Teilnahme des s-Lautes an dem geneiellen Lautwoohsel.

über, dem lit. mus-af {Schimmel) das aksl. much-w, dem preuB. jus-e (Fleischbrühe) wie dem lat. jus (Brühe) das aksl. juch-anbsp;(Brühe, Suppe), dem lit. mus-e wie dem preuB. mus-o 'Fliegenbsp;das aksl. much-a, und im Altkircbenslawisclien selbst stebt nebennbsp;dem Partizipium sid-M {gegangen) das Substantivura chod-ilt;.nbsp;(Gang) usw. In vier Einzelsprachen zeigt sich tins also diesernbsp;sekundare Wandel eines ursprünglicben s in (h) in der groBennbsp;Weise eines Gesetzes, und auch sonst begegnen wir ihm auf demnbsp;ganzen indogermanischen Spracligebiet immer wieder; so ist imnbsp;Griechischen sowohl wie innerbalb des Keltischen im Galiscb-Britannischen ein s zwisclien Vokalen zu h geworden und damtnbsp;in diesem Hauchlaut ganz geschwunden, so ist im Britannischennbsp;das anlautende s zu h geworden, z. B. nkymr. hynt, mbret.nbsp;hentnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;= got. sinp-s quot;Gang, Weg' usw. Dieser Übergang

von s in h muB also lautphysiologiscb ganz besonders nahe liegen, und gegen ilm treten denn aucb die Bezieltungen zwiscliennbsp;s und cp wie amp; ganz zurück. Hiervon seien vor allem einigenbsp;Erscheinungen aus dem Altirischen genannt, wo wir das lat.nbsp;irenum {Zügel) als srian, das lat. ienestra iFenster) als aenister,nbsp;das lat. tustis iStah) als sust, das lat. flagellum (Peitsché) =nbsp;ahd. flegil als sraigell usw. wiederfinden, und wo uns dasselbenbsp;Wort zugleich als aiur und fwr quot;Sekwester, zugleicli als sollusnbsp;und follusquot;klar entgegentritt usw. usw., und was das Verhaltnisnbsp;von s zu angeht, so brauclien wir nur an die im Anfang desnbsp;Kapitels angefiibrten Beispiele aus dem Griechischen zu erinnern,nbsp;wie d-dlaaou {Meer) im Dorischen als GdXaaaa erscheint usw.,nbsp;an das paphische öéc; = {i-ég quot;setzê u. a.

Wir sehn also auch hier, wie unser neues Gesetz als sekun-darer Lautwandel ewig fortwirkt, und so mogen die Ausfüh-rungen dieses Kapitels noch einmal zusammengedrangt werden in die Betrachtung eines einzigen Falies, in dem wir das Gesetznbsp;in primarer wie in sekundarer Wirksamkeit beobachten können,nbsp;und in dem wir zugleich die Erklarung für einen der teuerstennbsp;Namen erhalten, die wir kennen. Wer ist, was bedeutet Homer,nbsp;dev quot;'OggQog des Künstlervolkes der Griechen? Geben wir demnbsp;Namen statt des sekundaren Hauchlautes den ursprünglichennbsp;s-Laut wieder, so trilt er als -óg-g^og für uns nun niit einem-

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Kapitel X

mal in die Reihe der 'Oqtp-evc, ^Aq,(p-uov, ^iqn-oog^ Odu-vQiQj der altesten 'Dichter und Sanger der Griechen, und gerade ernbsp;bezeiebnet den Siinger xar’ éSoxrjv’, den 'ó n:oit]z'i]g\ in demnbsp;das griechische Volk Person geworden ist.

Kapitel X.

Teilnalime des j-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

Dab mit dem Ergebnis des vorigen Kapitels auch für den i-Laut die Frage nach der Teilnalime an dem Lautwechsel prin-zipiell entschieden ist, bedarf keiner weitern Ausfülirung, undnbsp;wir können bier desbalb direkt auf nnser Ziel losgehn. Es kannnbsp;sich nur darum handein, die passenden, unraittelbar einleuch-tenden Beispiele aiifzufinden, durch die der gesetzmabige Laut-wmchsel am besten Teranschauliclit wird. Wieder waren esnbsp;einige FluB- und Bergnamen, die mir dieses j in seinem Wecbselnbsp;mit den andern Lauten zuerst in klarster Weise zeigten; dennnbsp;wem die Wurzeln dieser beiden Gattungen als ser 'fliefien undnbsp;sen 'sich erhehen vertraut geworden sind, der wird sie auchnbsp;bald wiedererkennen in einera FluBnaraen wie Joss-a {in Hessen)nbsp;oder Jnr-a {ein Nehenflufi der Memel) oder in einem Bergnamen wie Jür-a, zumal wenn er sich früher vergebens um dienbsp;Entzifferung dieser Wortgebilde bemüht bat, und wenn oben-drein ganz parallele Bildungen wie z. B. der FluBname Loss-anbsp;{ein Nebenflufi der ünstrut) ihn noch besonders aufmerksamnbsp;machen. Als das sinnfalligste Beispiel im allgemeinen Sinnenbsp;aber darf wohl das lat. jfib-n {Mahne) in seinem Verhaltnis zunbsp;den ira vorigen Kapitel genannten griecb. (pó^-rj und nó^-rjnbsp;‘Mcihne’ angesehn werden: unraittelbarer als in dem Xeben-einander dieser drei Erscheinungsformen derselben Wurzel kannnbsp;sicb überhaupt wohl kein Lautwechsel zeigen. Sehr eindring-lich weist auf ihn auch das got. jus {ihr) mit dem lit. jus {ihr)nbsp;gegenüber dem gleichbedeutenden lat. vos {ihr) = ai. vas hin.

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Teilnahme des j-Lautes au dem generellen Lautwecbsel. 143

air

und einen besondern Eindrnck muB es auf uns machen, wenn wir die Wurzel gem 'verbinden, die uns scbon seit langer Zeitnbsp;vertraut ist, nun aucli in einem mit j differenzierten Typus aufsnbsp;neue entdecken, wenn sicb zum lat. lig-are (binden, anbinden,nbsp;verbinden), zum griech. iify-vv-gi {mischen, verbinden) usvv.nbsp;nun auch das lat. ju^g-ere [verbinden, vereinigen) nebst dem lat.nbsp;jüg-um (Joch), dem ai. yug-dm (Joch) und dem got. juk [Joch)nbsp;u. a. gesellen, und wenn wir gar noch mit diesen Substantiven,nbsp;vor allem mit dem got. juk das gleichfalls in seinem g ver-schobne arm. luc [Joch) zusammenhalten. Und wie juh zunbsp;lue, genau so stehn innerhalb einer andern Wurzel das lat.nbsp;jac-io [werfen) und das nsl. Inc-iti, -ati (werfen) zueinander,nbsp;denen sich als ein andrer Typus derselben Wurzel noch dasnbsp;cuir-m (werfen) anschlieCt. Dieselbe Wurzel ferner, die

wir im Lateinischen als Tèr [Frühling] vor uns sehn, tritt uns mit einem j im Anlaut entgegen im tschech. jar [Frühling),nbsp;dem sich unser got. jër, d. h. das mhd. jdr oder das nbd. Jahrnbsp;und das av. yar-a [Jahr) unmittelbar an die Seite stellen, wahrendnbsp;wir es beim griech. ójQ-a [Jahreszeit, Zeit) = lat. hör-a [Stunde,nbsp;Zeit, Jahreszeit) wie bei ëg-og (Jahr) dahingestellt sein lassennbsp;müssen, ob im Anlaut ein v oder j gestanden bat. Die Wurzel,nbsp;die uns schon im vorigen Kapitel in so mannigfachen Gestaltennbsp;bekannt geworden ist (S. 130), haben wir also hiermit in einernbsp;neuen Erscheinungsforin kennen gelernt. Ebenso tritt uns dieselbe Wurzel dem 'hinden, die wir im vorigen Kapitel in sonbsp;vielen Formen haben erscheinen sehn, so u. a. im lat. foed-wsnbsp;[Bündnis, Bund), jetzt in einer neuen Gestalt entgegen im arm.nbsp;yauamp; (Verbindung), wie wir im arm. yam [Verzögerung) als-bald das lat. mor-a (Verzögerung) wiedererkennen. In dem ahd.nbsp;jam-ar (traurig) ferner wie in dem mhd. jam-er [Herzeleid) sehnnbsp;wir nun dieselbe Wurzel wieder, die uns im lat. maes-tws [traurig) mit maer-eo [trauern) begegnet, und wenn wir in ein undnbsp;derselben Bedeutung'Leber nebeneinander sehn das lat. jec-w,nbsp;das ai. yak-rt, das griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;das lit. jek-iios und auf der

andern Seite das arm. leard und das ahd. leb-ara = nhd. Leb-er, so drangt sich uns trotz der vorlaufig noch unaufge-klarten Abweichung ira Wurzelauslaut immer wieder der Ge-

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Kapitel X.

danke auf , dafi wir es mit ein und derselben Wurzel zu tun haben, die dort mithier mit l erscheint. Audi für diesennbsp;neuen Lautwechsel weisen gerade die slawischen Sprachennbsp;wieder recht sprechende Zeugen auf, so z. B., wenn das mitnbsp;dem Substantivum dël-o {Werlc) zusammenstehende altkirchen-slawisclie Verbum Ael-ati itun) auch als dêj-ati {tun) erscheint,nbsp;denen sich als Abwandlungen derselben Wurzel das air. dén-imnbsp;{machen, tun), das lit. dar-ai {^nachen, tun), das griech. ÖQei- conbsp;{tatig sein, handeln) wie das got. tau-jun mit dem Prateritumnbsp;tamp;vi-ida'tun zugesellen, oder wenn uns das nsl. jerb-us (AToVS-chen) auch als verb-as (Köriehen), das lit. jiir-es {Meer, See)nbsp;auch in der Gestalt des lit. mar-es iSaff', See) entgegentritt, wo-bei uns die lefzte Wurzel mit dem Allgemeinbegriff 'flieflennbsp;unsern Lautwechsel noch einmal ebenso deutlich zeigt in demnbsp;ganz parallelen Verhaltnis vom lat. jus {Brühe, Suppe) zumnbsp;lett. war-s {Suppe). Wie laut wird ferner unser Gesetz ver-kündigt durch das Nebeneinander des lit. jèg-i« {vermöge^i) undnbsp;des lit. gal-tó {Mnnen, vermogen) und ebenso des aksl. jec-atinbsp;(seujzen) und des alb. rek-dw {dchzen), das im gegischen Dia-lekt auch als nsk-o}' und ank-oy lt; snhón erscheint! Das ai.nbsp;ay-as (Metall, Eisen) offenbart uns jetzt auf den ersten Blieknbsp;seine enge Verwandtschaft mit dem got. ais {Erz), mit demnbsp;lat, aes {Erz) und mit dem mhd. ia-en {Eis-en), wie sich das ai.nbsp;say-as {speite Zeit, Ende) mit dem lat. sêr-MS {spat) usw. ver-bindet, und das aisl. iok-oZZ {Eiszapfen) érweist sich als ein An-gehöriger derselben Wurzel, die uns aus dem aisl. kal-a (_§re-fvieren), dem lat. gamp;\-u {Kdlte) u. v. a. schon lange bekanntnbsp;ist, wobei man für den besondern Bedeutungsinhalt ‘Eiszaffërinbsp;innerhalb der Wurzel des lat. frïg-us {Kdlte) und des nsl. srêznbsp;{Frost, Eis) das im vorigen Kapitel angeführte ganz parallelenbsp;lett. strëg-ele quot;Eiszapfen vergleichen moge.

Alte Fragen, um die wir uns bisher immer vergebens be-mülit haben, zumal da j ein verhaltnismaBig seltner und auch oft schwer zu fassender Laut ist, finden mit dem neuen Ge-setze ineist ihre überraschend einfache Beantwortung. Wie habennbsp;wir uns z. B. bemüht, die allgemeine Verbindung zwischen dennbsp;gleicli bedeutenden lateinischen Wörtern jügulum, güla, guttur und

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Teilnahme des j-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

dem mild. héle {KeJile) herzustellen, die doch effenbar verhanden sein muB, aber -- wenn wir nicht haltloseKonstruktionen zu Hilfenbsp;zogen, wollte es nie gelingen; und jetzt, we das erste diesernbsp;Wörter mit dem neuen Gesetz seine Wurzel plötzlich in un-mittelbarster Weise enthüllt, ist alles mit einemmal klar: lat.nbsp;]\ig-ulum {Kehle) : lat. gOl-a {Schlund^ Kehle) : mhd. kel-enbsp;{Kehl-e) : lat. gutt-izr {Gurgel, Kehle). ünd diese Wurzelnbsp;enthalten nun bald in der einen, bald in der andern Ferm auchnbsp;die folgenden Wörter aus allen idg. Sprachen, die samtlichnbsp;'Kehle bedeuten: das alb. gus-e, das serb. gus-a, das buig.nbsp;gus-M und das buig. gul-a, das npers. gul-w, das ai. gal-a wie dasnbsp;av. sa,r-ah, -anh, und endlicb vvohl auch das griech. a-(pay-t]nbsp;{Kehle), dessen anlautendes ff sekundar sein kann wie im griech.nbsp;a-cpld-7] (Darmsaite) gegenüber dem gleichbedeutenden lat. fid-es.nbsp;Noch mehr vielleicht bat uns bisher eine andre Wortgruppe be-schaftigt, deren Zusammenbange und Widersprüche uns immernbsp;aufs neue zur Lösung gereizt und immer aufs neue unbefriedigtnbsp;entlassen haben; ich meine die bekannte Gruppe von Wortge-bilden mit dem Bedeutungsinhalt 'jung'. Und jetzt — in welchernbsp;einfachen Weise ergibt sich die so lange ersehnte Harmonie vonnbsp;selbst: griech. véF-og (jung, neu): lat. juv-ewis (jung\ ai. yüv-an (jung), got. jun-da (Jugend), got. jugg-s (jung), ahd. yag-undnbsp;(Ju g-end) usw.! So erleben wir auf dieser neuen Stufe unsrernbsp;Erkenntnis wieder die alte P'reude, zu sehen, wie das einzelnenbsp;sich zum Ganzen findet und das organisch Zusammengehörigenbsp;sich von selbst eint. Das lat. joc-ws (Scherz) wie das lit. jük-asnbsp;(Scherz), die so ganz vereinzelt dastanden, sehn wir sich zu na-türlichem Bunde zusammenschliefien mit dem lat. famp;c-ëtus (uitzig),nbsp;das selbst seinem unvermeidlichen Schicksal, mit dem lat. fac-erenbsp;(machen, tun) zusammengeworfen zu werden, nunmebr entrissennbsp;wird, und als drittes Glied gesellt sich alsbald auch das lat. eSv-illa (nechender Scherz) hinzu, und wenn uns nun bei lateimscbennbsp;Scbriftstellern die haufigen Verbindungen wie ioei et facetiaenbsp;oder facetum genus iocandi u. a, vor Augen kommen, sonbsp;wissen wir, dab diese Verbindung nicht zufallig ist. So findennbsp;wir überall einyin durchgehendem Lautwechsel mit allen übrigennbsp;bisher behandelten Lauten, und mit einem charakteristischen

Meyer, Die Schöpfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;10

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Kapitel XI.

Beispiele, das diese Erscheinung in ihrer Gesetzmafiigkeit nochmals besonders klar aufweist, mogen diese Betrachtungen ihren Ab-schluB finden. Das lat. fam-ës [Hunger), dessen Wurzel, wienbsp;wir alsbald sehn, in ihrer ursprünglicbsten, allgemeinen Bedeutungnbsp;den Begriff 'feer enthalt, deckt sich vollkommen niit den grie-chischen Wörtern viqlt;f-co [nüchtern sein, fasten) und aicf-Sigatnbsp;[leer werden), mit unserm nüli-Gem und mit dem lit. bad-Knbsp;[Hunger leiden), in dem wir die beiden Spiranten 90 und amp; erkennen dürfen. Tritt an die Stelle der Spirans eine Liquidanbsp;oder Nasalis, so erscheint dieselbe Wurzel in dem Typus lemnbsp;u. a.: so haben wir sie im griech. Xtg-óg [Hunger), im osk. lim-wnbsp;[Hunger) und im mbd. Iser-e (leer). Nun kann aber auch dernbsp;Fall eintreten, daB an beiden konsonantischen Stellen der Wurzelnbsp;ein j erscheint, sodaB sie die Form j ej annimmt, und so habennbsp;wir sie denn auch tatsachlich im lat. jej-unus ‘nüchtern, hungrig,nbsp;für dessen sekundaren Teil man lateinische Wortbildungen wienbsp;opport-unus [gunstig) u. a. vergleiche.

So bat sich also die lautphysiologische Erwagung, die sich uns als Folge des im VIII. Kapitel vollzognen Lautzusammen-schlusses aufgedrangt hat, glanzend bestatigt, und den dort ge-nannten acht Erscheinungsformen der Wurzel haben wir zweinbsp;neue, ges und gej, binzuzufügen, d. h. in jeder Wurzel könnennbsp;alle Konsonanten spirantischer Natur beliebig miteinandernbsp;wechseln.

Kapitel XI.

Teilnahme des k-Lautes an dem generelleii Lautweclisel.

An der Stelle, bis zu der wir jetzt gelangt sind, hat meine Forschung einen langen Halt gemacht, über mehrere Jahre. Ichnbsp;glaubte am Ende zn sein und das Ergebnis ziehen zu können.nbsp;Denn an eine weitere konsonantische Abwandlung der Wurzelnbsp;konnte ich schlecht glauben, da doch irgendwo die Grenze desnbsp;konsonantischen Lautwechsels sein muBte, und die glaubte ich

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Teiluahme des k-Lautes an dem generellen Lautwechsel. 147

eben zwischen den spirantischen und den VerschluBlauten fest-gestellt zu baben. Wohl sah icli aucli diese in einzelnen Fallen unter sich und auch mit den spirantischen Lauten wechseln,nbsp;betrachtete dies aber nur als bestimmte Einzelerscheinungen, dienbsp;in der sekundaren Entwicklung ihre Begründung finden undnbsp;sich so schon zur Zeit aufklaren müBten. Es wird nützlich sein,nbsp;dab auch der Leser diesen ProzeB, d. h, also zunachst diesennbsp;langen Halt wenigstens etwas mitmacht, und so wollen wir unsnbsp;kurz das Ergebnis unsrer Forschungen ansehen, wie es an diesernbsp;vermeintlichen Grenze ausgesehn batte, und wie es mir ebennbsp;tatsachlich eine lange Zeit erschienen ist. Jede Wurzel unterlagnbsp;danacb der Wirkung dreier groBer Gesetze, wodurch sie einennbsp;überrasclienden Formenreichtum aus sich entwickelte: der vo-kalischen Abwandlung, der Abwandlung durch die verscbiednenbsp;Lagerung ihrer Teile und der konsonantischen Abwandlung durchnbsp;den Wechsel aller spirantischen, d. h. aller NichtverschluBlaute.nbsp;Wahrend die Abwandlung durch die Vokale ebenso wie dienbsp;durch die verschiedne Lagerung der Teile unbeschrankt war,nbsp;sah ich in der konsonantischen Abwandlung eine scharfe Grenze.nbsp;Nur die spirantischen Laute scbienen mir die Fahigkeit zu haben,nbsp;beliebig miteinander zu wechseln, und diese Ansicht muBte sichnbsp;urn so starker festsetzen, als sich eben die lautpbysiologischenbsp;Erwagung für die letzten beiden, für s und j, glanzend bestatigtnbsp;batte, Den Grund des generellen Wechsels konnte und muBtenbsp;ich also nur in der allen diesen zehn Lauten gemeinsamen spirantischen Natur sehen, durch die sie innerlich für meine Auf-fassung gleich waren, und so verhalt es sich ja auch in der Tat.nbsp;Die spirantischen Laute sind beweglicher Natur, die bewegendenbsp;Kraft ist eben der bei ihrer Bildung stetig ausströmende Ateni,nbsp;unter dessen Einflusse sich die Übergange leicht und unmerk-lich vollziehen können; die VerschluBlaute dagegen, die ihre voll-standig festgelegte Artikulationsstelle haben und durch einenbsp;plötzliche, explosionsartige Lösung des Verschlusses mittelst desnbsp;aufgehaltnen und nun nachdrangenden Atems entstehn, sindnbsp;ihnen gegenüber festerer, starrerer Natur, sodaB man bei ihnennbsp;im Falie eines Wechsels nicht von einem Übergang, sondernnbsp;mehr von einer gewaltsamen Verrückung sprecheu kann, die mir

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Kapitel XL

nur unter gaiiz besondern Bedingungen erfolgen zu können scliien. Alles war mir also an der Wnrzel beweglich mit Ausnalmienbsp;der VerschhxBlaute, die das einzig Feste zu sein scliienen. ündnbsp;so unterschied ich dieWurzeln nach der Art ihrer konsonantiscliennbsp;Laute und damit ihrer gröCern oder geringern Abwandlungs-oder Dehnungsfahigkeit in drei Klassen, namlich in Wurzeln,nbsp;die nur VerschluBlaute enthalten, in Wurzeln mit VerschluB- undnbsp;spirantischen Lauten und in solcbe mit nur spirantisclien Lauten.nbsp;Xotwendigkeit und Freilieit sali ich in schönster Weise mitein-ander verbunden, und gerade die in der Mitte stellenden Wurzelnnbsp;schienen mir diesen Bund auBerlich am schönsten wiederzugeben:nbsp;das Prinzip der Freiheit verkörpert in dem spirantischen, dasnbsp;derNotwendigkeit in dem VerschluBlaut, wahrend auf der höchstennbsp;Stufe, also in Wurzeln mit nur spirantischen Lauten, diese beidennbsp;Prinzipien ineinander übergingen nnd auBerlich nicht mehr zunbsp;nnterscheiden waren, d. h. es konnte in ihnen jeder spirantischenbsp;Laut erscheinen, aber anch nnr ein soldier nnd kein Ver-schluBlant.

So wollte ich die Ergebnisse nieiner Forschungen schon aus der Fland geben, da traten für mich mehr nnd mehr Falie ansnbsp;Licht, WO ein i-Laut in ganz offenbarem Wechsel mit den spirantischen Lauten stand, eine Entdeckung, die mir — subjektivnbsp;genommen — zunachst durchans keine besondre Freude machte,nbsp;da sie mir eine seit langer Zeit lieb gewordne Vorstellnng gründ-lich zerstören zu wollen drohte. Jedoch es half kein Wehrennbsp;mehr. Schon langer batten sich mir ja einige solche Falie ge-zeigt, ich schob sie als Einzelerscheinnngen beiseite, ohne sienbsp;jedoch aus den Augen zn lassen; aber was damals noch anging,nbsp;war jetzt der Menge wie der Art der Zengnisse gegenüber nichtnbsp;mehr möglich, es galt, sich mit der Wahrheit abzufinden. Einnbsp;VerschluBlaut sollte mit den Spiranten wechseln? — das wolltenbsp;mir nicht in den Sinn. Warum war es gerade ein fc-Lant?nbsp;Diese Frage versprach mich zn einer Erklarung führen zu wollen,nbsp;bei der ich mich nicht nur beruhigen konnte, sondern die sogarnbsp;das bisherige Ergebnis glanzend zu bestatigen schien. Ich er-innerte mich daran, daB die historische Sprachwissenschaft inner-halb des Indogermanischen zwei streng voneinander gesonderte

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Teilnahme des k-Lautes an dem gcnerellen Lautwechsel.

/^-Reillen uiitersclieidet, die, ursprünglicli getrennt, spater zum Teil zusammengefallen sind. Freilicli muBte man eingestehn,nbsp;dafi noch manche Widersprüche vorhanden waren, und daB sonbsp;in dieser überaus wichtigen A;-Frage das letzte Wort noch nichtnbsp;gesprochen war. Wie, wenn jetzt von einer ganz unerwartetennbsp;Seite her nenes Licht auf diese Frage fallen sollte, wenn wirnbsp;zu einer ünterscheidung zwischen einem VerschluBlaut h undnbsp;einem spirantischen Tc gelangen sollten? Und da eben diesenbsp;ünterscheidung hei den i-Lauten ihre groBe Rolle spielt, so warnbsp;für inich hierin die Erklarung gegeben: nur der ursprünglichenbsp;spirantische i-Laut — mochte er auch sekundar zum VerschluBlaut geworden sein — konnte mit den bisher behandelten zehn spirantischen Lauten wecliseln, und wo sich ein soldier Wechselnbsp;zeigte, muBte der Zc-Laut dann eben kraft dieses Zeugnisses ur-sprünglich spirantisch sein. Iliermit muBte ich in dem Glaubennbsp;an das bisherige Ergebnis, das eine Zeit lang erschüttert zunbsp;werden schien, nun erst recht bestarkt werden: nur die spirantischen Laute können miteinander wecliseln, die VerschluBlautenbsp;sind davon grundsatzlich ausgeschlossen. Ob allerdings mit dennbsp;entdeckten Gesetzen unsre Erkenntnisse schon erschöpft seien,nbsp;oder ob noch andre ihrer Auffindung harrten, unter denen sichnbsp;der Sprachstoff noch über das bis jetzt festgestellte MaB hinausnbsp;differenziert habe, das muBte ich der Zukunft anheimstellen innbsp;der ruhigen GewiBlieit, daB, wenn noch welche vorhanden seien,nbsp;sie bei dem weitern Eindringen in den Stoff schon zii ihrer Zeitnbsp;mit derselben Notwendigkeit hervortreten würden, deren wir bishernbsp;innegeworden sind.

Diese Zeit ist aber nun inzwischen schon gekommen. Ob willkommen oder nicht, bei fortschreitender Erkenntnis derWurzelnbsp;zeigten sich ganz deutlich Falie, wo effenbare VerschluBlautenbsp;mit den Spiranten wechselten; für midi waren es zunachst nament-lich einige Beispiele mit d und p, an denen sich mir das völlignbsp;Neue offenbarte. Einige Woehen banger und zugleich froher Un-gewiBlieit folgten, in denen die bisherige Vorstellung mehr undnbsp;mehr erschüttert wurde. War dieGrenze auch wirklich innerlich sonbsp;begründet? Standen nicht einige der VerschluBlaute einigen dernbsp;Spiranten fast ebenso nahe, ja zum Teil noch naher als diese

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Kapitel XI.

unter sicli? Zeigt iins nicht die ganze Sprachentvvicklung, wie eng z. B. t und s verwandt sind, wie nahe d und l in ihrernbsp;Artikulation beieinander liegen? Und wahrend diese Erwagiingennbsp;noch hin und her schwankten, da wuchs die Zahl und die Artnbsp;der neuen Beispiele, zu denen die alten, früher immer wiedernbsp;beiseite geschobnen alsbald als Bundesgenossen hinzutraten, sonbsp;übermachtig an, dab jedes Besinnen und Strauben geradezunbsp;hinweggefegt werden muBte. Einerlei, wohin die Bewegungnbsp;führte, kein Widerstand hielt die Tatsache auf, dab auch allenbsp;Verschlublaute an dem Wechsel teilnehmen, dab also genau wienbsp;die Vokale, so auch alle Konsonanten in der Wurzel beliebignbsp;miteinander wechseln können. Damit fiel natürlich auch dienbsp;ganze angstliche ünterscheidung der ^;-Laute, die innerlich dochnbsp;manchen Zweifel lieb, in sich zusammen, damit erwies sich vornbsp;allem weiter die ganze oben geschilderte ünterscheidung dernbsp;Wurzeln als unhaltbar, damit fanden alle Widersprüche, die beinbsp;der bisherigen Anschauung für die innere Erkenntnis der Sprachenbsp;noch blieben, ganz von selbst ihre natürliche Aufklarung innbsp;einem ganz einfachen Ergebnis. Wie nunmehr dieses Endergeb-nis lautet, dariiber werden wir uns im Kapitel XVII Eechen-schaft geben. Zunachst ist es unsre Aufgabe, die neue Wahr-beit, dab auch die Verschlublaute und damit alle Konsonantennbsp;ohne Ausnahme an dem allgemeinen Wechsel teilnehmen, an dennbsp;Tatsachen zu zeigen. So ist für uns der i-Laut die Brücke ge-wesen, die uns vom Alten zum Neuen geführt hat, und wie esnbsp;so oft geht, die Wahrheit, die wir selbst durch die Kraft unsersnbsp;Geistes aus den Tatsachen hervorgerufen und stetig genahrtnbsp;haben, ist zum Schlusse zu solcher Kraft angewachsen, dab sienbsp;nunmehr uns, die Forschenden, tragt und uns sogar als Wider-strebende mit sich fortreibt. Wenn wir uns jetzt aber in dennbsp;folgenden Ausführungen bei der Betrachtung der Tatsachen ver-wundert fragen sollten, wie es möglich gewesen ist, dab diesernbsp;Wechsel für die Verschlublaute erst so spat ans Licht tritt, dannnbsp;finden wir die Antwort eben in der Betrachtung des ünterschiedesnbsp;zwischen spirantischen Lauten und Verschlublauten, die uns sonbsp;lange festgehalten hat. Denn in einer Hinsicht bleibt dienbsp;Greuze doch bestehn: die spirantischen Laute, unter ihnen wieder

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Teilnahme dos k-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

besonders die Liquiden und die Nasale, wecbseln vermöge ihrer Natur lei ebt er und baufiger miteinander als die VerschluBlaute,nbsp;was auch in der ganzen Sprachentwicklung immer wieder her-vortritt. Darum nehmen sie zunachst die ganze Aufmerksamkeitnbsp;des P’orschers allein in Anspruch, und so ist es kein Zufall, dabnbsp;wir erst jetzt und np^ch so langem Widerstreben den Verschlub-lauten gerecht werden. Abermals stehn wir so wie im VUL Ka-pitel auf unserm Wege an einem Markstein, aber dieser über-trifft den ersten noch weit an Bedeutung, da er uns auf dasnbsp;absolute Ende der ganzen von Kapitel IV anhebenden Bewegungnbsp;hinweist, auf den allgemeinen Wechsel aller Konsonanten, durchnbsp;den die Wurzel in ganz erstaunlicher Weise abgewandelt wird.nbsp;Zunachst nun der ^-Laut.

Das Beispiel, das mir die Frage über die Teilnahme des A;-Lautes an dem generellen Lautwechsel zuerst vor die Augennbsp;gerückt hat, war das lat. spëc-ws {H'óhle) in seinem Verhaltnisnbsp;zu denübrigenVertretern dieser Wurzel im Lateinischen sowohiwienbsp;im Griechischen, also zu den mit ihm gleichbedeutenden griech.nbsp;OjtfiX-vy'y-g und öst-qA-ator, zum lat. spel-t^wca und spel-aewmnbsp;wie zu dem griech. 6né{o)-oc;, dessen Wurzel klar hervortritt imnbsp;Dativ Plural, allen gelaufig aus der bekannten homerischennbsp;Wendung iv aitsöal ylacpvQoïoL. Für die erste Betrachtung einnbsp;unlösbares Ratsel! Aber wenn wir mit unsern Gedanken oft undnbsp;lange genug dabei verwedt haben, dann haben wir die Beob-achtung nicht umsonst gemacht: ein zweiter Fall, wo wir beinbsp;einem im übrigen ganz effenbaren Zusammenhang auch auf dernbsp;einen Seite einen spirantischen Laut, auf der andern ein Tc sehn,nbsp;gewinnt durch den ersten an Verstandnis, ich meine das mitnbsp;Berücksichtigung der Metathesis sofort klar hervortretende Verhaltnis des griech. 'Fpft-ijg zum lat. Merc-wrms, die sich alsonbsp;nicht allein nach ihrer Eolle, sondern auch, wie wir jetzt sehn,nbsp;nach ihrem Namen genau decken. Aber weiter. Als wir imnbsp;VIII. Kapitel das griech. Xavu-avia {Kehle, Schlund) mit demnbsp;lat. fauc-s {Kehle, Schlund) verbanden und gleich darauf dienbsp;mit ihnen ganz gleichbedeutenden griech. XéQ-vyy-g und lt;paQ-vyy-g erwahnten, mnbte sich bei dem aufmerksamen Beobachternbsp;der Gedanke einstellen, ob nicht in allen vier Wörtem dieselbe.

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Kapitel XI.

Wurzel vorliege, die sich uns zum fünftenmal auch im griecli. Xain-óg [Kehle) zeigt; nur wieder der storende ^:-Laut! Aber danbsp;tritt uns auf einnial ein Fall entgegen, der uns stutzig macht,nbsp;im griechischen Wörterverzeichnis lesen wir; zoew jon. = voéionbsp;{denhen, sinnen, merTcen), so gleichgiiltig und nebenbei erwalmt,nbsp;als ware die Frage, die uns peinigt, langst gelost! Und nunnbsp;kommt uns ein besondrer Fall ins Gedacbtnis, wo aucb auf dernbsp;einen Seite ein ]c, auf der andern ein n steht: das lat. vslc-uusnbsp;{leer, mangelnd) und das lat. van-z^s (leer) geboren offenbar zu-sammen. Der, für den nur diese beiden Wörter dastelm,nbsp;würde vielleicht bald mit der Erklarung fertig sein und sagen,nbsp;wie es so oft getan ist, vanus sei aus vac-nus entstanden, undnbsp;sich dabei beruhigen. Sobald man ilin aber auf das got. van-snbsp;(mangelnd, fehlend) hinweist, das doch auch ein Vertreter der-selben Wurzel ist, wird er gestehn müssen, am Ende zu seinnbsp;und dann auch kein Eecht zu haben, im lat. van-us gegenübernbsp;dem lat. vac-uus eine weniger selbstandige Wurzelform zu sehennbsp;als im got. van-s. Verfolgen wir aber wie bisher aucb diesenbsp;Spur mit gelassener Ruhe, dann müssen wir neben das lat.nbsp;mand-o (kauen, heijien, essen) das lit. kand-w (heipen) stellen,nbsp;dann enthüllt sich uns der Zusammenhang zwischen dem sonbsp;abseits stehenden ai. ëk-a {eins, z. B. êha-dagan = elf) und dennbsp;uns so ganz vertrauten andern Bezeichnungen der Einzahl wienbsp;dem got. ain-s, dem av. aêv-a usw., und dann werden wir auchnbsp;eine Wurzel erkennen müssen, sei es, daB uns das griech. aXd--ocnbsp;{Heilung, Heilmittel) anblickt oder das griech. aq'ii-og {Heil-mittel) wie das buig. cêr {Armei). Wie aber uQx-og und a?.A-ognbsp;nebeneinander stehn, ahnlich finden wir neben dem griech. Xóqx-og {Korb) ein griech. XdQv-ay.-g {Kiste, Kasteel, Sarg, Urne,nbsp;überhaupt BeMlter), und ganz dasselbe Verhaltnis zeigt sich unsnbsp;auch im Lateinischen zwischen urc-ews {Krug) und urn-a {Krug,nbsp;Topf, Urne). Im Altindischen ferner treffen wir nebeneinandernbsp;ein krp {Gestalt) und ein varp-as {Gestalt), und so kann es unsnbsp;auch nicht langer verschlossen bleiben, daB es sich in dem griech.nbsp;Y.aqn-dXig,og {schnell) einerseits und in dem ai. prav-afë {er eilt)nbsp;wie in dem alb. vrap {schneller Gang, Lauf) andrerseits um einnbsp;und dieselbe Wurzel handeln muB, von der wir schon so zahl-

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Teilnahme des k-Lautes aii dem generellen Lautwechsel. 153

reiche Vertreter keBnen gelernt haben. üni so tiefer sind Avir von der Zusammengehörigkeit dieser Wortgebilde überzeugt, als wirnbsp;das ganz entsprechende Verbaltnis zwischen dem griecb. xQiójt-lov {Sicliel, Sense) und dem griecb. aQüt-7] {Sichel) wie dem aksl.nbsp;srup-M {Sichel) feststellen; in der einen Form haben wir diesenbsp;AVurzel auBerdem im lit. kerp-tó {schneiden, scheren) mit dt-karp-a-i {Schnitzel) und karp-a«i {fortgesetzt mit der Schere schneiden, scheren), im ai. kalp-anam {das Schneiden) nebst dem ai.nbsp;'k^l^-ahas {Barbier), in der andern Form im lat.sarp-o {schneiteln),nbsp;im alb. pres {schneiden) wie im lett, plaw-w {ich mdhte, Inf.nbsp;plau4 'mcihen). ünd nicht weniger deutlich als diese Paarenbsp;stebt ein andres im Griecbischen da, namlicb das griecb.

{eine Art von Schuhen, Halbstiefeln) und die gleicbbedeutenden aQ7t-Lg und agn-tg; auf die Seite von xqiqTt-Lg treten auBerdemnbsp;das griecb. KQovjt-ala {Holzschuhe), das grieGh.'gt;iXdjt-ai{Stelzen;nbsp;Holzschuhe), das lit. kiirp-é = preuB. kurp-e {Sehuh), das tscbech.nbsp;karp-ee {Bastsehuh) und das lat. camp;r^-isculum {eine Art Schuh-werlc). So haben wir also die merkwürdigsten Falie vor uns,nbsp;die uns alle in dieselbe Ricbtung weisen, wo sie allein ihre Er-klarung finden können. DaB uns jetzt derselbe Wechsel aucbnbsp;in den sekundaren Sprachbestandteilen etwas bedeutsamer er-scheint, wollen wir nur kurz streifen, so wenn wir im Griecbischennbsp;neben 7toleg.-iró g {kriegerisch, zuni Kriege gehorig) einnbsp;Lvóg {wahrhaftig) sehn, neben 7caQÖ-ay.óg {feucht, nafi) einnbsp;Ttlad-aqóg {feucht, naft), neben cpdgg-ciy.ov {Heilmittel, Gift)nbsp;ein öqy-avov {Werkzeug) wie neben dem Aorist è'-d-rj-y.a {ichnbsp;setzte) ein è'-ar-g-aa {ich steilte). Aber von ganz besondrer Be-deutung wird für uns jetzt folgende Erwagung. Bei dem mitnbsp;dem vorigen Kapitel abschliefienden Stande unsrer Forscbungennbsp;waren alle die verschiednen Wurzeln mit zwei ^-Lauten uner-klart geblieben, da wir nur eine einzige batten anerkennennbsp;können, was aber mit den Tatsachen im Widersprucb stebt.nbsp;Hier muBte ja eine Lösung eintreten, die sich aucb sofort er-gibt, wenn wir das lat. cïe-ur {zahm) neben das griecb. 7cgX-atvo) {zahmen, hesdnftigen) stellen, das lat. cie-üta {Schierling)nbsp;neben das griecb. x(bv-eiov {Schierling), das griecb. xax-ógnbsp;{schlecht, übel, geringfügig usw.) neben die gleicbbedeutenden

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Kapitel XI.

griech. xavQ-óg und amw-óg, ebenso das griecli. nbsp;nbsp;nbsp;(heulen,

schreien, jammern, weinen) und das lit. kauk-iw (heulen) neben das mhd. hiul-e (heul-en) wie neben das griech. KaX-ew (rufen)nbsp;usw., und so muB es uns aucb klar werden, daB es eine einzigenbsp;Wurzel ist, die in dem lat. cal-w^e?^ {Gipfel, Kuppe) und ini lat.nbsp;ca,c-ümen {Oipfel, Kuppe) wie im ai. kak-M/tds (hoch) usw. er-scheint. Wir sehn somit deutlich ein und dieselbe Wurzer/ioc/ï’nbsp;als mer (z. B. im lat. mon-t-s ^Bergquot;), als ker und als kek er-scheinen. Hier gibt es also in der Erkenntnis kein Halten mehr,nbsp;alles strebt zu demselben einen Ziele bin, und für micb wurdenbsp;sie zur endgültigen, unuinstöBlicben GewiBheit schlieBlicb an dernbsp;Wurzel ' ^:nec/iewbei der wir schon im VIII. Kapitel langernbsp;verwedt baben. Wenn man siebt, wie eine Wurzel ’’Jcriechen’nbsp;auf der einen Seite nur mit spirantiscben Lauten als verm undnbsp;dgl. erscheint, wie dann daneben eine ganz gleicbbedeutendenbsp;Wurzel als kerm und nicht nur so, sondern aucb als kerk auf-tritt, dann muB es einem in der ganzen Eichtung unsrer Forschungnbsp;zur durchschlagenden GewiBheit werden, daB es sich hier umnbsp;ein und dieselbe Wurzel handelt, und gewaltsamer als in einemnbsp;Verhaltnis wie verm : Icerm : herlc kann sich uns die Wahrheit,nbsp;daB der i-Laut an dem generellen Wechsel teilnimmt, nicht auf-drangen. Dieses Nebeneinander aber zeigt sich uns in dem lat.nbsp;verm-is (Wurm), dem lit. kirm-isnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;und dem griech. xa^x-

ivog (Krebs) nebst dem ai. kark-ates (Krebs) und dem lat. canc-cj-(Krebs). Die erste Typenart finden wir ferner noch vertreten im got. waAnn-s (Schlangé) = ahd. wurm (Schlange, Wurm),nbsp;im griech. (F)ËX[i-ivd--g (Wurm, Regen-, besonders Eingeweide-wurm), im lat. form-ïca (Ameise), im griech. piiQp-rj/.-g (Ameise)nbsp;wie im lett. zerm-e (Wurm) und im russ. slim-ai (SchnecTcé).nbsp;Weitere Vertreter des Typus herm treffen wir fast auf samtlichennbsp;Sprachgebieten an, so das ai. krm-is (Wurm), das air. cruimnbsp;(IF^m), das alb. krim-p (Wurm), das im gegischen Dialektenbsp;noch ohne dieses sekundare p als krüm erscheint, das npers. kirmnbsp;(Wurm), das pehl. karm (Wurm), das kurd. kurum (Wurm),nbsp;das osset, k'ilm (Schlangé), das mhd. harm (eine Wieselart,nbsp;Hermelin), das uns in der Verkleinerungsform mhd. herm-el-tnnbsp;(mhd. auch hermehvisell) gelaufiger ist, das lit. szerm-w (Wiesel)r

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Teilnahme des k-Laiites an dem genorellen Lautwechsel.

das griecli. xXsiin-vg {Schildkröté), die griecli. nbsp;nbsp;nbsp;und y^aXK-rj

(Purpurschnecke), das griecli. yjuXa-ië-g {eine Eidechsenart), das griecli. xóyX-og (SchnecJce), das griecli. xéQamp;-Mg (BaumJcdfer),nbsp;ebenso das griech. ax(hX-px-g {Wurm) und das ilim ganz nalie-stehende lit. slêk-as = preuö. slaix [Regenwurm). Der drittenbsp;Typus derselben Wurzel 'Jcriechen, herh, tritt uns noch entgegennbsp;im ai. kark-ö^as (eiw Schlangendcimon) und im ai. cark-ötdsnbsp;[eine Schlangenart).

Und wieder erleben wir es, daB nun, wo die Walirlieit offen-bart ist, ilir mit eineinmal immer neue Zeugen in überrascliender Menge und Deutliclikeit erstehn, oft so deutlicli, daB sie unsre Em-pfindungen seltsam berüliren mussen. Wie muB es uns jetzt z. B. an-muten, wenn wir neben das aksl. hyv-olu [Buffel) das aksl. hy'k.-unbsp;[Stier) halten und damit einen neuen Vertreter der Wurzel kennennbsp;lemen, die im griech. ^ia-iov [Ochse), im lat. bov-s [Ochse) usw.nbsp;vorliegt! Und ebenso offen lag immer der enge Zusammenhangnbsp;da zwischen dem arm. bok [(barfufi) und andrerseits dem aksl.nbsp;bos-ti und dem litbas-us ‘harfufi' wie dem mlid. bar [nacht,hlop).nbsp;Ilinterher mochten wir fast wieder staunen, daB unsern Bliekennbsp;immer so nahe Beziehungen entgangen sind, wie sie uns jetztnbsp;sofort zwischen dem lett. triik-it [erschrechen, zusammenfahren)nbsp;und dem griech. xqéii-io [erzittern) in die Augen springen odernbsp;zwischen dem air. bóe [Kufi) und dem lat. bas-mm [Kup),nbsp;zwischen dem lett.tuk-f [schweïlen) und dem lat. tum-eo [schwellen),nbsp;zwischen dem lett. kam-esis [Schulter) und dem aksl. ram-onbsp;[Schulter), zwischen dem lat. jus [Suppe, Brühe) und dem lit.nbsp;juk-d [Blutsuppe) und ebenso zwischen dem lat. cs,t-ena [Kett-e,nbsp;Fessel) und dem preuB. rat-insis [Kette). Deutlicli spricht unsernbsp;Gesetz ferner zu uns aus dem Nebeneinander von dem griech.nbsp;[lêüx-og (Spott, Eohn) und dem griech. pwfx-og [Tadel, Spott,nbsp;Hohn), von dem griech. pvx-og [dumm, alhern) und dem griech.nbsp;pöjQ-og [dumm, alhern, törichf) nebst dem ai. mOr-ds [dumm),nbsp;und daB das lat. lac-erare [zerreipen, zerfleischen) und das gleich-bedeutende lat. lan-iare auch der Form nach eins sind, darannbsp;zweifeln wir jetzt ebenso wenig wie an der engen Zusammen-gehörigkeit von den lat. rauc-^ts [rauh tonend, heiser) und rav-tsnbsp;[Heiserheit). Das ai. kark-aras [hart) bat sein klares Spiegel-

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Kapitel XI.

bild im got. hard-ws (hart), das lat. snc-us (Saft) schlieBt sicb mit dem lit. sul-a (abflieflender Baumsaft) wie mit dem lit. syv-asnbsp;(Saff) zusammen, und das griech. aavx-óg [trocTcen, dürr) ver-bindet sicb nach Wesen und Form fast in selbstverstandlichernbsp;Weise mit dem lit. aa,m-as (trochen) wie mit dem griech. aavo-aQÓg {trochen, sprode). Ebenso kann unserm Bliek nicht mehrnbsp;die nabe Verwandtschaft zwiseben dem lat. liic-ws (iZain, Wald)nbsp;und dem aksl. \ca-u (Wedd) entgehn, und liber weit getrenntenbsp;Spracligebiete liinweg sclilagen wir jetzt eine verbindende Briickenbsp;zwiseben dem lit. tek-ilt; {laufen), dem aksl. tok-w [Lauf], demnbsp;ai. tak-ti (er eilt) einerseits und dem lat.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{im Trab),

dem alb.tuf-em {laufen) wie dem ai.tar-as {SchnelligTceit) andrer-seits. Das aksl. kuk-w {Haupthaar) erkennen wir unmittelbar im lat. com-a {Haar, Haupthaar) wieder, ebenso das aksl. kok-otu {Hahn) nebst dem ai. kukk-wte {Hahn) im got. han-a {Ha hn)nbsp;wie im aksl. kur-w {Hahn^, und besonders deutlicb fiihlen wirnbsp;die Wirksamkeit unsers Gesetzes in dem Nebeneinander desnbsp;grieeb.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{schmehen) und des aksl. taj-ati {schmeUen) wie

des ags. thaw-an = nhd. tau-en. Das griech. otoix-ilog {hunt) mit dem got. filu-iaSh-s = ahd. fêh {hunt) finden wir imnbsp;nsl. pis-an (bunt) und im serb. pul-i (bunt) wieder, und ganznbsp;sinnfallig liegt unser Lautwechsel vor uns da, wenn wir zusammen-halten das lat. bac-a {Beere) mit dem got. bas-i {Beer-e), die lat.nbsp;cel-er {schnell) und cel-oc-s {ein schnellsegelndes Sehiff, eine Jacht)nbsp;mit dem lat. vel-oc-s {schnell), das lat. a,e-idus {sauer, beigend) mitnbsp;dem lat. am-arns (bitter), das got. haurd-s {Tilr) mit dem aksl.nbsp;vrat-a {Tor, Tür), ebenso das got. haird-a {Herd-e) mit dem got.nbsp;vrij)-as {Herde) usw. usw. Nun enthiillt uns auf einmal auch dasnbsp;lat. proc-eres {dieVornehmen) sein innerstes Wesen, indem es wienbsp;der Bedeutung so auch der Form nach mit dem lat. prim-ores {dienbsp;Vornehmen), dem griech. jtQóp-og {der erste, vorderste), demnbsp;got. frnm-a {der erste), dem ai. purv-as {der vordere), dem aksl.nbsp;priv-M {der erste) u. a. seine natiirliche Verbindung eingeht, undnbsp;nun begriiben wir auch willkommne Zeugen fiir unser Gesetznbsp;in solchen Paaren wie dem lat. s-pio-ulum {Spitze; Stachel, Spief,nbsp;Pfeil) und dem lat. spin-a {Dorn, Stachel), dem griech. {Fjèx-cbv {freiwillig) und dem lat. vel-Ze 'woll-en, dem lat. voc-are

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Teilnahme des k-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

{rufen) und dem tschech. vol-aii {rufen), dem lat. dec-ws {Zierde, Schmuch) und dem ahd. zêr-i, ziar-i {zier-lich, schmuch, prachtig), dem lat. claud-o {schliefien) und dem ahd. slioz-a?^ (schliefi-en)nbsp;= as. slut-iZ (Schlüss-el). Das ai. varc-as [Schmutz) ferner wienbsp;das in umgelagerter Gestalt erscheinende mhd. hor(w) (Kot) sindnbsp;genau das mhd. sal(w) (Schmutz), wie für uns nnn auch dasnbsp;lat. carc-er (Oefdngnis, Ker ie-er) und andrerseits die griech.nbsp;sQx-og (Einschlup, Gehege-, Kafig) und d^x-avg (Einschlufi,nbsp;Zaun; Gefangnis) verschiedne Erscheinungsformen derselbennbsp;Wurzel sind, und in dem griech. 3rQa(f)-vg (sanft, gelinde, zahm)nbsp;erkennen wir jetzt unmittelhar das lat. plac-idws (sanft, friedlich)nbsp;wieder, womit sich für uns nun auch das griech. JtQa(E)-vvwnbsp;(hesanftigen) ganz mit dem lat. plac-o (besanftigen) deckt. Undnbsp;ganzin derselbenWeise offenbart auch das lat. ^xoo-ella (Sturni-wind), das nebenbei bemerkt dasselbe Kleid, d. b. denselbennbsp;sekundaren Bestandteil bat wie seine griechischen Verwandtennbsp;a(F)-ehhcc (Sturm) und ^^(Fj-Eklu (Sturmwind), sein innerstesnbsp;Wesen, indem es mit dem griech. ztvé(F)lt;o {ilasen, wehen,nbsp;hauchen, atmen] duf ten) nebst ztvsv-ga (Wind, Luft] Hauch,nbsp;Atem) zusammentritt, und dieselbe Wurzel in andrer Form treffennbsp;wir wieder im lit. kvép-fi (hauchen) nebst kvap-as (Hauch,nbsp;Duft, Dunst) an. Ganz hiervon zu trennen sind zunachst dasnbsp;griech. y.aot-vco (hauchen) wie xajt-vóg (Bauch, Dampf, Dunst)nbsp;und das lat. vap-or (Dampf, Eauch, Dunst), die im Lichte unsersnbsp;Lautgesetzes unter sich nunmehr leicht ihre Verbindung eingehn.nbsp;Das griech. ztQÓ)x-g (Tropfen, Tautropfen, Tau) spiegelt sichnbsp;jetzt heil und klar in dem lat. pluv-ia (Regen) wie im ai. prus-vü (Iropfen, Beif) wider. Es handelt sich in diesen Wörternnbsp;mit dem Begriffsinhalt'if^MSsipifceiF um die groBe Wurzelnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;en’,

die wir kennen aus dem griech. ztXé(f)-ci} (schiffen, schwimmen), aus dem aksl.plov-a (schiffen), aus dem ai.plav-afë (er schwimmt),nbsp;aus dem lit. plaük-fi (schwimmen) und aus dem griech. zti-iig.-ggnbsp;(Flut), und wir kennen sie andrerseits aus dem aksl. krop-unbsp;(Tropfen), aus dem ai. krp-lte (TFasser), aus dem griech. y,léjt-agnbsp;(Nasse, Feuchtigiceit), aus dem lit. szlap-ias (naf) u. v. a. Einenbsp;andre Wurzel ^ftiefen haben wir bisher als srev und frevnbsp;kennen gelernt, jetzt lemen wir dieselbe Wurzel auch in der Ge-

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Kapitel XII.

stalt Icrev kennen im aksl. kruv-i (Blut) nebst dem lit. krüv-inas (blutig), im lat. crii(v)-or {Blut), im griech. nbsp;nbsp;nbsp;(Quelle,

Brunnen), auch im lat. crem-or (dicteer Safi, Sehleim) usw., und so tritt sie auch aus vielen FluBnamen hervor, dem Clan-is (Flufinbsp;in Etrurien), der Crem-era (Flufi in Etrurien) und der in um-gelagerter Gestalt erscheinenden Macr-ö (Flu3 zwischen Ligu-rien und Etrurien, heute Magra) wie der March; und wie unsnbsp;im Anfang des Kapitels das Verhaltnis Merc-urius: BQg-fjg ent-gegengetreten ist, so lemen wir jetzt innerhalb dieser Wurzelnbsp;zu den eben genannten Typen einen andern im quot;Eqg.-og (Flufinbsp;in Phrygien) kennen. So sehn wir in jeder Wurzel den A:-Lautnbsp;in freiem Spiel mit all den andern Konsonanten wechseln.

Kapitel XII.

Teilnahme des p-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

Wie Te so nimmt auch p an dem gesetzmaBigen Wechsel mit den übrigen Konsonanten teil. Wenn wir sehn, wie demnbsp;lat. merc-ari (Teaufen) in derselben Bedeutung das lit. perk-»nbsp;(Teaufen) gegenübersteht, wie sich das lat. trem-o (zittern) un-mittelbar mit dem lat. trep-i(?MS (zitternd, unruhig hewegt) ver-bindet, wie uns dasselbeWort tx\x‘Sehleim im Lateinischen alsnbsp;crem-or, in der lettischen Sprache als krêp-«Ia entgegentritt, wienbsp;ebenso das lat. tarm-e#-s (Holzwurm) als lett. tarp-s (Wurm) er-scheint, so wird sich uns schon angesichts dieser wenigen Bei-spiele die Frage aufdrangen, ob wir darin nicht einen allge-meinen, gesetzmaBigen Wechsel des ^^-Lautes mit den übrigennbsp;Konsonanten zu sehen haben. Sobald wir diese Spuren weiternbsp;verfolgen, sehn wir für unser neuesGesetz sich Bestatigung au Be-statigung reihen, so wenn wir das aksl. perk-w (ZiegenbocTei) undnbsp;das latMrc-us(Ziegenboch)zusammeBlialteD, und wenn wirfinden,nbsp;daB dieselbe Wurzel, die wir im lat. corp-ws (Leib,Körper) vor uns

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Teilnahme des p-Lautes an dem generelleii Lautweclisel.

haben, aucli im preuD. kêrin-e?2s {Leïb, Körper), im aksl. crêv-M {Leïb^ Körper) und in den griech. Y.Qé{F)-as und öuqx-s erscheint,nbsp;die ebenfalls beide ‘Fleisch, Leih, Körper bedeuten. Die un-mittelbare Zusanimengehörigkeit des griech. öqan-sLv {laufen)nbsp;und des griech. ó^ajt-érrjg {der Entlaufende) springt sofort innbsp;die Augen, genau so wie der enge Zusammenhang zwischennbsp;dem lat.8tup-eo {staunen,stutzen) und dem mhd.stun-ew (staun-en),nbsp;zwischen dem got. slêp-an (schlaf-en) und dem nhd. schlumm-ern. Immer und immer wieder hatte unser Auge auf dem lat.nbsp;prop-erare (eilen) geruht, worin uns prop unzweideutigals Wurzelnbsp;heraustrat, aber nie wollte es uns gelingen, sie mit andernnbsp;Wurzeln in organischen Zusammenhang zu bringen. Mit einem-mal fallt nun auf diese AVurzelform helles Licht von ihrer alt-indischen Verwandten prav-afë (er eilt) her, mit der sie sichnbsp;ganz als Kind einer Mutter erweist, wie andrerseits auch mit demnbsp;griech. 'naqn-dhixog (schnell). Als ein weiteres deutliches Zeug-nis für unser Gesetz müssen wir das lat. pert-ïca (Stange) innbsp;seiner offenbaren Beziehung zum lit. kart-is (Stange) betrachten,nbsp;denen sich als ein andrer Typus derselben MMrzel das griech.nbsp;Y.ovt-ós (Stange) anschliefit, und dieselbe GewiBheit des Laut-wechsels empfinden wir, wenn wir im griech. xqéjt-a (wenden,nbsp;drehen) in umgelagerter Form das lat. vert-o (wenden, drehen)nbsp;wiedererkennen. Ganz deutlich sehn wir den Wechsel fernernbsp;im griech. (F)£Qy-ov (WerJc, Taf) und im griech. jtqay-gcc (Taf),nbsp;die bei gleicher Bedeutung Abwandlungen derselben Wurzelnbsp;sind, und ahnlich steht es mit dem griech. (J^ii^-r] (Mannhar-keit) und dem lat. püb-es (mannbar), über deren Verbindung wirnbsp;jetzt nicht mehr im Zweifel sein können, und die Gleichheit dernbsp;Wurzel tritt uns mit ünmittelbarkeit auch entgegen im griech.nbsp;sth-pf-Tj (Schlag, Hieh) wie im lat. plag-u (Schlag, Hieh) undnbsp;auf der andern Seite im lat. flïg-o (schlagen) und im lat. fiag-eïlum (Schldgel, GeijSel). Unser wüst = ahd. wuost-i, das whim Lateinischen als vast-ws (wüst, öde, leer) wiederfinden, erscheint auf litauischem Sprachgebiet in der Form püst-as (wüst,nbsp;öde, leer), einer Form, die uns in der geographischen Bezeich-nnng der Pufiten altvertraut ist, sodaB 'Puf)ten und 'Wüsten’nbsp;nicht nur denselben Begriff, sondern auch das gleiche Wort dar-

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Kapitel XII.

stellen: Wesen und Form decken sich aircli hier aufs beste. lm Lichte des neuen Gesetzes treten nun auch in unmittelbarennbsp;organischen Zusammenhang das griech. Y.véip-uq {Finsternis,nbsp;Dammrung) nnd das lat. oie^-usculum {Finsternis, Dammrung)nbsp;wie das griech. jtéqx-og (schwardich, dunlcel), und ebenso decktnbsp;sich das lat. sap-ieus (weise) mit dem griech. ao(p-óg {weisé),nbsp;das lit. vdrp-a {Ahre) mit dem griech. xa.Qp-r] {Ahre) und mitnbsp;dem aksl. klas-w {Ahre). Nun enthüllt sich uns auch die Wurzelnbsp;des lat. falc-s {Sichel, Sense), das nichts andres ist als das griech.nbsp;xQiait-iov (Sichel, Sense), und ebenso das bisher so ganz ver-einsamte lat. pag-ws (Gau), dessen wurzelverwandten Bruder wirnbsp;jetzt leicht im got. gaw-i = nhd. Gau wiedererkennen.

So offenbaren sich mit der Auffindung dieses neuen Gesetzes abermals die überraschendsten Zusammenhange, die zu-gleich für unsre etymologische Erkenntnis eine wesentliche Be-reicherung bedeuten. DaO die Begriffe quot;Regen' und ‘Flufi' in ihrem Wesen eins sind, wissen wir langst; daB somit auch die-selbe Wurzel zu ihrer Bezeichnung verwandt wird, davon könnennbsp;wir uns aufs neue in den lateinischen Ausdrücken pluv-iu (Regen)nbsp;und flnv-ws (Flufi) überzeugen. Schlagen wir in einem grie-chischen Wörterbuche das Wort uayog auf, so finden wir esnbsp;mit den verschiedensten Bedeutungen verzeichnet, es kann heiBennbsp;quot;Eis, Hügel, Meer', ünser Bliek, der auf das Wesen der Dingenbsp;gerichtet ist und so überall den innern Zusammenhang zwischennbsp;Laut und Bedeutung aufdecken will, wird sofort mit der grund-verschiednen Bedeutung der Wurzel auch ihre verschiedne Her-kunft erkennen und im griech. ütay-og 'Eis, Frost' die engstenbsp;Wurzelverwandtschaft mit dem lat. rig-or (eisige Kalte) und mitnbsp;den gleichbedeutenden lat. gel-u und alg-or sehen. Im griech.nbsp;^t«y-oe ‘SügeV dagegen, das uns allen aus dem Eigennamennbsp;quot;AgsLog ndyog (Areopag) wohlbekannt ist, sowie im griech.nbsp;jtriY-ng (Felsen) handelt es sich um dieselbe Wurzel, die unsnbsp;im aksl. gor-a (Berg) begegnet, einem Worte, das auch demnbsp;der slawischen Sprachen ünkundigen aus dem Gebirgszuge dernbsp;Lysa Gora bekannt ist; und im griech. stdy-og 'Meer' endlichnbsp;wie im griech. jtïjy-h (Quelle) haben wir abermals eine ganznbsp;andre Wurzel vor uns, namlich die des lat. lig-are (bewassern,

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Teilnahme des p-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

henetzen), genau so wie das griech. jtdy-r] {Schlinge, FallstricJc) organisch mit dem lat. lig-are {hinden) zusammengehört. Jetztnbsp;tritt ferner das lat.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Stein) in unmittelbare Verbindung

mit dem griech. Xiê-og {Stein), wie auch das lat. ea;-perg-iscor (erwachen), das so ganz abseits stand, nun seinen natürlichennbsp;Bundeingehtmitdemlit.8érg-iM,(5ewacfte'n) nebst sarg-as {Wachter).nbsp;Das lat. «m-put-are {ringsum ahsehneiden) ferner erweist sichnbsp;für uns als eines ürsprungs mit dem griech. tég-va {schneiden),nbsp;nnd es ist ein und dieselbe Wurzel, die wir haben im lat. tum-conbsp;{schwellen) wie im lit. put-ró {schwellen). DaB das lat. cap-w^ {Haupt,nbsp;Kopf) und das griech. xccq-a {Haupt, Kopjf) im Grunde das-selbe Wort sind, das sehn wir jetzt sofort, wie sich uns mit der-selbenDeutlichkeit auch das griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;ff ff w {Jclatschen, schlagen)

und das griech. jtar-daaw (Matschen, schlagen) als Angehörige einer Wurzel ergeben. Im lat. cap-i?^%s, das sowohl ‘Haupt’-wie Harthaar bedeuten und schon darum nichts mit caputnbsp;{Haupt) zu tun haben kann, erkennen wir nunmehr den natürlichen Verwandten des griech. xógrj {Haar) wieder, und dienbsp;Gleichheit der Wurzel springt mit noch gröBerer Unmittelbarkeitnbsp;im griech. jtot-agóg {Flufi) und im griech. vor-ïg {das NafJ,nbsp;die FeuchtigJceit) in die Augen. Die Griechen wie unsre Vor-fahren bezeichneten denselben Eaubvogel auch mit dem gleichennbsp;Namen, mochten jene ihn yürt-g {Oeier) und diese ihn gir =nbsp;nhd. Geier nennen. Aber auch im lat. pöp-wte {Papp-él)nbsp;und im lat. pin-us {Fichte, Kiefer) haben wir jetzt Abwand-lungen einer Wurzel mit dem ursprünglichen Allgemeinbegriffnbsp;” Baum zu sehen; erst hinterher traten die auf physischem Wegenbsp;differenzierten Formen in den Dienst der Bedeutungsdifferen-zierung, ahnlich wie unser Wort Tanne == mhd. tan noch innbsp;mittelhochdeutscher Zeit verschiedne Individuen der einen Gattungnbsp;^Baunï, so vor allem die Fiche bezeichnen konnte. Wir dürfennbsp;ferner jetzt auch nicht mehr sagen, das lat. port-are heiBe quot;tragen,nbsp;sondern es ist in umgelagerter Form unser trag-en = got. drag-an, wir haben nunmehr ein Recht, das lat. curv-ws {geJcrümmt)nbsp;unmittelbar mit dem griech. xctfxrt-üAog {geJcrümmt) zu verbindennbsp;wie das griech. {héqg-rj {Hitze, Warme) mit dem griech. {ht^jt-og{Hitze, Warme), und wir haben mit demselben Begriff wiederum

Meyer, Die Schöpfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;11

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Kapitel XII, XIII.

dieselbe Wurzel vor uns, wenn uns das griecli. tójt-og (Ort) auf armenischem Sprachgebiet in der Gestalt tel-i oder etï [Ort)nbsp;begegnet.

Mit der Erkenntnis dieses neuen Lautwechsels deckt sich auch der überraschende und doch wieder so selbstverstandlichenbsp;Zusammenhang auf zwischen dem lat. paup-er (arm) und deinnbsp;griech. jtêv-rjg (arm), denen sich noch andre Typen derselbennbsp;Wurzel im lat. pauc-ws, im lat. paul-tts und im griech. jtavQ-ognbsp;zugesellen, die samtlich 'quot;hlein, wenig, gering' hedeuten. Die-selhe Wurzel ferner, die uns im griech. axvüt-d'Cco (prügeln) =nbsp;nhd. staup-eii entgegentritt, finden wir wieder im lat. cast-l^o (züch-tigen) wie im griech. gdox-i^ (Geifiel, Feitsche), und wir erkennen nun auf den ersten Bliek dieselhe Herkunft des griech.nbsp;êöjt-ig (Schild), des griech. 6d'x-og (Schild) und des lat. anc-Ifenbsp;(Schild), ehenso des griech. ).'ên-og und des lat. lup-^s, die beidenbsp;den ‘Wolf bezeichnen. Im lit. lap-as (Blatt) ferner wie imnbsp;serb. pol-a (Blatt) spiegelt sich uns das lat. iol-ium (Blatt) wider,nbsp;und im lit. kul-as (Ffahl) die mit ihm gleichhedeutenden latei-nischen Wörter pal-ws und vall-Ms. Die Gleichheit der Wurzelnbsp;zeigt sich uns auch, wenn wir in der litauischen Sprache neben-einander erscheinen sehn tver-m (fassen, einfassen) und telp-wnbsp;(als Inhalt fassen), und ebenso, wenn uns auf der einen Seitenbsp;das lit. pulk-as (Haufen) nebst dem poln. pulk und auf dernbsp;andern das lit.krOv-a (Haufen) wie das griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(Haufen)

entgegentreten. Das schon früher erwahnte lit. ving-is (Krüm-mung, Bogen) vereinigt sich mit dem griech. yQVJt-óg (gekrümmt, gebogen), wie die lett. plik-s (kahl) und pluk-# (hahl werden) einesnbsp;Ursprungs sind mit dem lat. calv-ws (kahl), mit dem ahd. kalw-ër (kahl) und dem av. kaurv-a (kahl), und das lit. pus (haïb) wienbsp;das poln. pol (haïb) — vgl. z. B. lit. püs-seserè (Halbschwester)nbsp;= poln. pol-siostra —, sie können nicht die Züge einer Herkunftnbsp;mit dem lat. sëm-i (halb) und dem griech. iqg.-Lavg (halb) ver-decken. Der Romer hezeichnete dasselhe Geflügel auch fastnbsp;mit demselhen Namen, mochte er es nun ipal-umbes (Taube) —nbsp;griech. jtéX-eia (Taube) oder col-umba (Taube) nennen, und dienbsp;formenreiche griechische Sprache gehrauchte zur Bezeichnungnbsp;der schwarzen Farbe im Grunde immer wieder dasselbe Wort.

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Teilnahme des t-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

wenn sie sagte jtéX-siog {sehwarz)^ xsX-cuvóg (schwarz) oder ^lél-ag {schwarz). So vollziehn sich im Lichte unsrer neuen Erkenntnisnbsp;überall, wenn wir einmal den bisher behandelten Stoff durch-mustern, die mannigfachsten Verbindungen da, wo wir bishernbsp;noch haben trennen müssen. Auf S. 25 haben wir eine Wurzelnbsp;Icel ‘Oefali' und auf S. 28 eine Wurzel pel quot;Qefafi' in zahl-reichen Sprachgebilden kennen gelernt, die für uns nunmehr allenbsp;zusammenfallen, und am Scblusse des vorigen Kapitels habennbsp;wir zunachst eine Wurzel plev 'quot;fliefieri und unmittelbar daraufnbsp;eine gleichbedeutende Wurzel in den Formen srev, frev, Tcrevnbsp;behandelt: auf der jetzigen Stufe unsrer Erkenntnis sehn wir^nbsp;dab es sich in allen den dort genannten Wörtern um ein undnbsp;dieselbe Wurzel handelt; dab also z. B. das griech. ztkéf-conbsp;{schiff'en, schwimmen) und das griech. oqér-io (fliefien) genaunbsp;wie die schon oben genannten lat. pluv-ia und fiuv-ius Kindernbsp;einer Mutter sind.

Kapitel XIII.

Teilnahme des t-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

Xachdem sich uns aber einmal fiir h und p die Teilnahme an dem allgemeinen Konsonantenwechsel erwiesen hat, ist dernbsp;folgende Schritt auf dieser Bahn bald getan, und wir könnennbsp;nicht daran zweifeln, dab dann auch die dritte Schwestertenuisnbsp;t an diesem Lautwechsel teilnimmt. In der Tat, auch für diesesnbsp;neue Gesetz traten für midi ein Beispiel nacli dem andern alsnbsp;beredte Zeugen auf, deren Sprache auf die Dauer nicht unge-hört bleiben konnte. Geradezu sinnfallig tritt uns der Lautwechselnbsp;entgegen, wenn wir im Griechischen denselben Baum durchnbsp;jiir-vg (Fichte) und Jtsüx-i] (Fichte, Kiefer) bezeichnet finden,nbsp;denen sich als Abwandlungen derselben Wurzel das lat. pïn-Msnbsp;(Fichte, Kiefer) und das griech. jtix-Lu gt; rtioau (Fichte, Kiefer)nbsp;unmittelbar an die Seite stellen, und mit derselben Deutlichkeitnbsp;offenbart es sich uns, dab wir ein und dieselbe Wurzel vor uns

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Kapitel XIII.

haben ini griech. ütXar-'óg {flatty flach, breit) und im griech. jTtXax-s (Tafel, Platte, Fldche) wie im griech. stXax-eQÓc (platt,nbsp;flach, breit), im lett. plak4 (flach iverfien), im lit. plók-s^'c^^iö.snbsp;(flach, platt), feriier im lat. plan-ws (flcfch, eben) mit plan-Mw undnbsp;plau-ities 'Fldche, Ebnê, im lit. pl5n-as (flach) u. m. a., genaunbsp;so wie aucli in unsern nhd. platt und flach. Dieselbe Wurzelnbsp;mit dem Begriff 'platt’ erscheint aufierdem im mhd. flad-enbsp;(Kuchen), das noch heute in manchen Gegenden Deutschlandsnbsp;als Osterfiaden u. a. gebrauchlich ist, und andrerseits im griech.nbsp;jtla'ü-ovg (Kuchen), im lat. plae-eiite (Kuchen) und im griech.nbsp;nXa%y-civov (Kuchenbrett), und wieder anders tritt sie im lat.nbsp;pans-a {Breit-, Plattfufi) auf. In ahnlicher Weise springt auchnbsp;sofort der enge Zusammenhang zwischen dem mhd. vald-e (Falt-e)nbsp;und dem lat. plic-a (Falte) in die Augen (vgl. das lat. eom-plic-arenbsp;'zusammenfalten ), und zwar um so mehr, wenn man so völlignbsp;parallele Bildungen wie das got. ain-falp-s (einfach, einfdltig)nbsp;und das lat. sim-plee-s (einfach) zusammenhalt. Lassen wirnbsp;unsre Blicke über das litauische Sprachgebiet scliweifen, so erkennen wir alsbald das griech. rQéjr-co (wenden, kehren, drehen]nbsp;im lit. kreip-iw (zvenden, kehren) wieder, das sich als neues Gliednbsp;organisch in einen Ring mit dem lat. vert-o (ivenden, kehren)nbsp;und dem got. winp-azi (wend-en, kehren) einfügt; und batten wirnbsp;noch leise Zweifel an dem gesetzmabigen Bestehii unsers Laut-wechsels gehegt, sie müBten zunichte werden vorderbezwingendennbsp;Tatsache, dab wir das bekannte lat. pret-mm (Kaufpreis) im Li-tauischen als prek-id (Kaufpreis) antreffen. Gerade diesesnbsp;Beispiel ist im Zusammenhang unsrer Forschungen besondersnbsp;lehrreich, sodaB es sich verlohnt, einen Augenblick dabei zu ver-weilen. Wir erinnern uns daran, wie im Anfang des vorigennbsp;Kapitels ebenfalls derVergleich der lateinischen und der litauischennbsp;Sprache ein gewichtiges Zeugnis für den gesetzmafiigen Wechselnbsp;von p mit den übrigen Konsonanten ergeben bat in der effenbaren Verwandtschaft des lat. merc-ari (kaufen) mit dem lit.nbsp;perk-d (kaufen), in denen wir jetzt auch die nachsten Ver-wandten von pret-ium undjpreA:-id erkennen. Das lat. ret-iwmnbsp;(Kaufpreis) und das lat. merc-ari (kaufen) sind also im Grundenbsp;ein und dasselbe Wort, eine Erkenntnis, die uns die lateinische

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Teilnahme des t-Lautes an dem generellen Lautwechsel. 165

Sprache für sich auf rein induktivem Wege nie batte geben können, die uns vielmehr einzig und allein durcli das Auffindennbsp;der litauischen Zwischenglieder preA--tó {Kauf'preis)miè.perli-iinbsp;(kaufen) möglich geworden ist; denn erst diese beiden Form ennbsp;bilden für unser Verstandnis die Brücke, den Zusammenhangnbsp;zwischen den beiden lateinischen Wörtern auch auBerlicb klarnbsp;einzuseben: 'prek oder perk, merkl-Der innern Wabr-beitkann es natürlicb keinen Abbruch tuu, wenn solche Zwiscben-glieder einmal zufallig fehlen sollten, sie erleiehtern nur unsernbsp;auBeres Erkennen! Wie offen haben diese Tatsachen bisher vornbsp;uns gelegen, und wie wenig haben wir sie verstanden! Aber:

Was ist das Scbwerste von allem? Was dir das Leiobteste dünket:

Mit den Augen zu sebn, was vor den Augen dir liegt. So kann uns Goethe trosten. — DaB ebenso das griech. xqót-akov {Klapper) mit dem griech. xQor-éio {klappern usw.)nbsp;derselben Wurzel angehört wie die lateinischen Wörter crep-undia {Klapper) und crep-are {klappern, rasseln usw.), undnbsp;daB das griech. ta{J^-év {Pfau) sein deutliches Spiegelbildnbsp;im lat. pav-o {Pfau) wie im mhd. pfaw-e {Pfau) hat, dasnbsp;sind so klare Erkenntnisse, daB wir uns hinterher wundernnbsp;mussen, sie nicht schon früher gleichsam wie reife, für jedermannnbsp;offen dahangende Früchte gepflückt zu haben. Und nicht andersnbsp;steht es mit dem lat. tarm-ef-s {Holzwurm), das sich ganz mitnbsp;dem lat. verm-is {Wurm) und mit dem griech. {f)Qóii-ox-g {Holzwurm) deckt, wie andrerseits auch das derselben Wurzel ange-hörige lett. tarp-g {Wurm) mit dem lat. serp-o {kriechen). Auchnbsp;diese Beispiele sind für die Erkenntnis, wie mannigfach undnbsp;doch wieder wie stufenweise die Sprache ihre Schöpfungsge-bilde zu entwickeln gewuBt hat, höchst lehrreich. In ebensonbsp;klarer Weise tritt auch innerhalb einer andern Wurzel unsernbsp;Lautwechsel hervor aus dem aksl. piet-« {flechten), das wir innbsp;veranderter Gestalt im griech. tÜQjt-rj {Flechtwerk) und im lat.nbsp;crat-eg {Flechtwerk) wiedertreffen, einerseits und dem griech.nbsp;jrZéx-cü {flechten) nebst jchéx-og {Flechtwerk) andrerseits. So istnbsp;es ahch ferner je ein und dieselbe Wurzel, die uns begegnet imnbsp;ai. tvar-afë (er eilt) und im ai. prav-atë (er eïlt), im lat. sat-ig

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Kapitel XIII.

[genug] und im griech. (ö)ö7-tg igenug), im griecli. gat-rjv {ver-geblich) und im griech. gdjt-g {vergeblich, ohne Orund), wozu sich als ein andrer Typus noch das lat. tem-ere {ohne Grund,nbsp;unbesonnen) gesellt.

Aus allen den genannten Beispielen leuchtet uns die Wahr-heit unsers neuen Gesetzes unmittelbar entgegen, und mit seiner Erkenntnis fangen nun wieder Sprachgestalten zu reden an, dienbsp;uns so lange stumm angeblickt haben. Da offenbart sein Wesennbsp;endlich das lat. pat-eo {offenstehn, offenbar sein), das sich ganznbsp;mit dem lat. pal-aw {öff'entlich, offenbar) deckt, und beide er-weisen sicb in ihrer Wurzel auch als eins mit dem griech. stil-gnbsp;{Tor), wie ja das Tor seinem Wesen nach nichts andres seinnbsp;kann als quot;Öffnungf Wie sich im Lateinischen silv-a {Wald)nbsp;und salt-MS (Wald) vereinigen, ebenso tritt das bisher so ganznbsp;vereinzelt dastehende lat. fret-wm {Meer, Meer enge) in den engstennbsp;Zusammenhang mit dem lat. fluv-ms {Fluf) als neue Abwandlungnbsp;derselben Wurzel 'fliefen, die wir wiederum in andrer Gestaltnbsp;im lat. sent-ma {Schiffsjauehé) und im griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Hars,

== Ausfluf !j vorfinden gegenüber dem wohlbekannten griech. {o)Qé{f)-o) {fliefen). Das griech. Gnór-og {Finsternis) wird imnbsp;Lichte unsers Gesetzes eins mit dem lat. ob-scüi-us {dunhel,nbsp;finster) wie mit dem griech. (SKi{f)-é {Schatten), im lat. lant-erna {Laterne, Lampe) sehn wir sofort das griech. lagjt-ionbsp;(leuchten) und Xagjt-dê-g {Leuchte, Fackél) wieder, und genaunbsp;so klar wie diese beiden Wörter innerhalb ihrer Wurzel stehnnbsp;in einer andern zueinander das lat. vent-M.s {Wind] und dasnbsp;griech. jtvé{F)-cü (wehen), nur dab die beiden Typen anders ge-lagert sind und man für die unmittelbare Erkenntnis den einennbsp;nach dem andern umlagern muB als vent: vemp oder als tnev:nbsp;pnev. Auch das griech. rti-jtt-to {fallen), dessen Wurzel rternbsp;hier in der schwachsten vokalischen Gestalt erscheint, schliebtnbsp;jetzt seinen natürlichen Bund mit dem lit. pïü-M (fallen) undnbsp;verrat sich damit als Kind derselben Mutter, der auch unsernbsp;nhd. fall-e% = ahd. fall-aw entsprossen ist. Einden wir imnbsp;griechischen Wörterbuche das Wort red rog mit den Bedeutungennbsp;quot;Tritt, Ff adquot; und quot; Schmutz' verzeichnet, so wissen wir,* vonnbsp;der Überzeugung durchdrungen, dab Vernunft allen Erscheinungen

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Teihiahme des t-Lautes an dem generellen Lautwechsel. 167

der Natur, also auch den Erscheinungen der Sprache innewohnt, sofort zwei grundverscliiedne Wurzeln in deni schembar einennbsp;Worte zu unterscheiden und erkennen nunmebr im griech.nbsp;:rtdr-og ‘ Schmutz eine Abwandlung derselben Wurzel, die wirnbsp;scbon im IV. Kapitel in den mit ibni gleicbbedeutenden griecbiscbennbsp;Wörtern Jtiv-og, Jtri^.-óg, jtéX-samp;og wie im got. fan-i {Kot,nbsp;Schmutz) kennen gelernt haben, Wurzelformen, die im Auslautnbsp;abnlicb auseinandergebn wie im Anlaut jtdt-og und das lat.nbsp;lut-Mm {Kot, Schmutz). Das griecb. xqdy-og {ZiegenbocJc, BocJcs-gestanh) erweist sicb als eines ürsprungs mit dem griecb.

YQdo-og, das zwar nur nocb in der übertragnen Bedeutung

' Bochsgestanlc gebraucbt wird, ursprünglicb aber den quot; Ziegen-hocF selbst bezeicbnet bat, genau wie die lateiniscben Wörter hircus und caper beide zugleicb ‘ZiegenbocJc und ‘BocJcsgestanBnbsp;bedeuten; und das griecb. (fiót-g {Mann, Mensch), das uns be-sonders aus ïïomer vertraut ist, linden wir auf albanesiscbemnbsp;Spracbgebiet in der Form bur {Mann) wieder, die sicb andrer-seits wieder mit dem lat, vir {Mann) und dem griecb. d-vi\Qnbsp;{Mann, Mensch) verbindet. Halten wir ferner das griecb. jcot-vlrj {Höhlung) wie das griecb. xvt-og (Höhlung) mit dem griecb.nbsp;iioTk-og {hohï) und dem lat. camp;v-um {Höhlung) zusammen, sonbsp;sind wir von der engen Verwandtscbaft dieser Formen auf dennbsp;ersten Bliek überzeugt, und mit derselben ünmittelbarkeit em-pfinden wir dieZusammengehörigkeit des lat. mut-are {verdndern,nbsp;vertauschen, wechseln) wie des griech. gdlt-og (Vergeltung,nbsp;DanJe) mit dem lit. mam-as {Tausch) nebst main-aw {tausehen),nbsp;mit dem aksl. mén-a {Wechsel, Verandrung) wie andrerseits auchnbsp;mit dem lit. kait-aw {fortgesetzt ivechseln). Gerade der Vergleichnbsp;der klassischen Sprachen mit der höchst durebsiebtigen litauischennbsp;Sprache erweist sicb, wie wir scbon oft gesehn haben, für die

•riech.

Erkenntnis unsrer Gesetze als aufierst fruchtbar. Das ^

dsa-jtór-rjg {Herr, Oebieter) z. B., dessen Wurzel im lat. pot-ior {sich zum Herrn einer Sache machen, sich bemachtigen), in dennbsp;ai. pat-is {Herr) und pat-ni {Herrin), ferner im lit. pat-s {Herr,nbsp;Gatte), besonders in der Zusammensetzung wies^-pat-s {höchsternbsp;Oebieter, Herr) ersebeint, finden wir andrerseits auf litauischemnbsp;Spracbgebiet als pön-as {Herr) wieder, dem das gleichbedeutende

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168

Kapitel XIII.

polnische pan {Herr) zur Seite stelit, und im Altindisclien habeii wir dazu auch noch die Form pus {Mann). Ganz ahnlich ver-halt es sich mit dem griech. jtéx-op.ai (fiiegen), dem ai. pat-atónbsp;(er fliegf), dem aksl. püt-ica (Vogel) wie dem alid. fed-aranbsp;(Fed-er) auf der einen Seite und den derselben Wurzel ange-börenden lett. pük-a (Feder), lit. pik-as (Flaumfeder), lit. paük-sztas (Vogel) und aksl. per-o {Feder) auf der andern Seite, einnbsp;Verbaltnis, das sich genau ebenso in dem aksl.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{fliegen), dem

poln. lot (Flug), dem griech. jtot-rj (Flug) und andrerseits dem lit. lek-ïM {fliegen) widerspiegelt. Fast selbstverstandlich muilnbsp;es uns jetzt erscheinen, auf dem Wege unsrer Forschung nebennbsp;dem lit. mét-us {Zeit, Jahr) ein got. mêl {Zeit), neben dem lit.nbsp;mót-è {Weib, Ehefrau) ein lat. mul-ier (TFeiö, Ehefrau)^ nebennbsp;dem lett. glöt-e {Schleim) ein lit. glëm-as {Schleim), neben demnbsp;lat. pur-z*s {rein) ein lat. put-Ms {rein) nebst put-are {reinigen,nbsp;putz-en), neben dem lat. put-iZms {Kncihlein) ein lat. püs-ionbsp;{Knahlein), ein lett. puik-a {Knabe, Jüngling) wie ein lit.nbsp;waïk-as {Knabe) vorzufinden. Sehn wir ferner das lat. pant-ee-s (Wanst, Gedarme) und das derselben Wurzel angehörigenbsp;lat. vent-er {Bauch) auf neuslowenischem Sprachgebiet alsnbsp;vamp und lamp {Bauch), im Gotischen als wamb-a {Bauch,nbsp;Wanst) und im Litauischen endlich als pitw-as {Bauch) wieder,nbsp;so finden wir in alle diese Gestalten mit deutlicher Schrift unsernbsp;Gesetz eingescbrieben, dessen Walten sich noch fühlbarer offen-bart in dem Nebeneinaiider von dem lat. prat-z^m {Wiese) undnbsp;dem lett. plaw-a (Wiesei), von dem lat. früg-s {Feld- und Baum-früchte) und dem griech. xQ-by-rj {Baum- und Feldfrüchte) undnbsp;ebenso von den lateinischen Wörtern hirt-u-s, hixi-ütus und hisp-idus, die alle drei 'struppig, rauli bedeuten und mit dem griech.nbsp;xqay-ijg (rauh) einer Herkunft sind. So ist es auch ein undnbsp;dieselbe Wurzel, die wir mit dem Bedeutungsinhalt 'binden imnbsp;aksl. sët-i {Stride) == lit. sèt-as, im ai. sei-us {bindend, fesselnd)nbsp;wie im ahid. sed {Stride, Schlinge) einerseits und im griech.nbsp;osiQ-a {Seil, Schnur), im ahd. sell {Seiï) andrerseits antreffen,nbsp;und fallt unser Bliek jetzt auf das lit. tül-as {mancher) wie aufnbsp;das preuB. tül-aw {viel), so können uns diese Formen nicht einennbsp;Augenblick mehr die enge Verwandtschaft verbergen, die zwischen

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Teilnahme des t-Lautes aii dem generellen Lautweolisel.

ihnen und den uns wohlbekannten andern Ausdrücken desselben Begriffs bestebt, namlicb dem griecb. jtoX-iig (viel), dem ai.nbsp;pnr-ï^s {viel), dem lat. plü-s (mehr) und ferner dem lat. mul-tenbsp;{viel), dem got. man-a^-s (uieQ = nbd. man-cher usw.

Wotiin wir also im weiten Reiche der indogermaniscben Spracben blieken, überall tritt uns das neue Gesetz in seinernbsp;schöpferischen Kraft entgegen, zugleich die überraschendstennbsp;und doch wieder so selbstverstandlichen Zusammenhange offen-barend. Wenn wir jetzt das griecb. jttéQ-vy-g, -óv {Feder,nbsp;Flügel) und. das griecb. jttil-ov {Flaumfeder, Flügel) mit demnbsp;lat. plüm-a {Feder, Flaumfeder) und mit dem abd. fliog-a?^nbsp;{flieg-en) vergleieben, so vermogen uns die auBerlicb so ver-schieden aussehenden Formen über ihre innere Zusammengehörig-keit nicht hinwegzutauseben, und unsern lebenden Grundsatz,nbsp;daB Lautkörper und Bedeutung durch ein inneres Band festnbsp;verknüpft sein müssen, finden wir so immer wieder aufs neuenbsp;bestatigt, mogen wir nun das got. gul|) {Gold) sieb im griecb.nbsp;IQvö-óg {Gold) widerspiegeln sehn oder das got. gilp-a {Sichel)nbsp;im lat. falc-s {Sichel) oder das griecb. jtéXr-rj im griecb. maqg-rinbsp;wie im lat. parm-a und andrerseits im lat. clïp-ms, Wörter, dienbsp;allesamt den ‘leichten, Meinen, gewöbnlich runden Schild’ innbsp;der Sprache der Alten bezeichneten. Der Wirksamkeit unsersnbsp;Gesetzes werden wir uns ferner unmittelbar bewuBt, wenn wirnbsp;das griecb. TijA-ia {Sieb) neben das lat. oJSl-um {Seihsieb, Durch-schlag) oder auch neben das griecb. lt;JaX-cM-g {Bergmannssieb)nbsp;halten, oder wenn uns das derselben Wurzel angehörige lett.nbsp;sit-s {Sieb) als griecb. aiv-iov {Sieb), als griecb. (TijR-w {durch-sieben) und als mbd. sib {Sieb) entgegentritt, und als deutlichernbsp;Vertreter desselben Lautwechsels reibt sieb ihnen das aksl. trov-a

c

{erndhren) mit dem griecb. -d-Qaep-o) gt; rqécp-w {ernahren) an. Horen wir weiter das alte griecb. ütQan-iösg {Verstand, Ge-danlcen) aus litauischem Munde noch heute als pröt-«s (Verstand) an unser Ohr klingen, so heiBen wir auch dieses Paarnbsp;als gewichtigen Zeugen fiir das gesetzmaBige Bestehn uusersnbsp;Lautwechsels Avillkommeii, der uns zum SchluB noch einmal in sonbsp;eindrucksTollen Beispielen zum BewuBtseiu kommen mag wie demnbsp;lat. msit-utmus {morgenlich, früh) und dem lat. man-e {morgens).

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Kapitel XIV.

einVerbaltiiis, dassich uns noch hente im Französischen als mat-in: de-main zeigt, wie dem aksl. kot-ora (Kampf) und dem lit. kov-dnbsp;{Kcmi2)f), wie dem lat. teg-o {dech-en) und dem lett. seg4 {decJcen\nbsp;wie dem lat. a6s-terg-eo {abwischen, abtrocJcnen) und dem grieeh. d-[léQY-cD (abwischen) mit ó-nóQY-vvju (abwischen, abtrochnen), wienbsp;dem grieeh. rflr-og (Mangel) und yrix-og (Mangel), und dieser allge-meine Wechsel zwischen h, p,t ist es endlich auch, der es uns ver-standlich macht, wie nebeneinander solche Wortpaare bestehnnbsp;können wie das grieeh. Gjrovd-g (Eile, Eifer, Fleifi) und das lat.nbsp;stnd-iMui (Eifer, Fleifl), wie das lat. spöm-a (Schaum) und dasnbsp;mhd. scüm (Schaum), wie das grieeh. 6jtal-av.-g (Maulwurf) undnbsp;das grieeh. axdl-on-g (Maulwurf), wie das lat. host-is (Frenid-ling, Feind) und das lat.hosp-es (Fremdling, Gastfreund), wie dasnbsp;grieeh. oav^-ov und das lat. spol-mm 'die 'dem Feinde abge-nommne Beute , wie die ai. skambh und stambh quot;stützen,nbsp;oder wie das mhd. star, das grieeh.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;das böhm. skor-ec

und das lit. spak-as, die alle den Vogel Star bezeichnen, usw. usw.

Kapitel XIV.

Teilnahme des d-Lautes an dem generellen Lautweelisel.

Einzig und allein von der Idee beherrscht, daB die unge-henre Vielheit der Wurzelformen in einer innern Einheit not-wendig gebunden ist, sind wir in der Erkeuntnis der Sprachge-staltung Schritt für Schritt vorwarts gekommen, und so gelangen wir nun schlieDlich auch zur I’eststellung der Tatsache, daB,nbsp;wie die stimmlosen Explosivlaute l, p, t, so auch die ihnen ent-sprechenden stimmhaften Laute g, b, d an dem allgemeinen Kon-sonantenwechsel teilnehmen.

An der Media d sollte mir dieser Wechsel am ersten zur GewiBheit werden, und zwar innerhalb der Wurzel 'kriechen,nbsp;die uns schon im VIII. und dann besonders im XI. Kapitel

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Teilnalime des d-Laxites an dem generellen Lautwechsel.

beschaftigt bat

nicbt umsonst, wie wir sehn. Wir batten dort im lit. kirm-is (Wurm), ini lit. szerm-M {Wiesel) wie ira mbd.nbsp;harm (\¥iesel], im lit. slë'k-as {Regenwurm), im griecb. kuqx-lvosnbsp;{Krebs) usw. Abwandlungen ein und derselben Wurzel mit demnbsp;Allgemeinbegriff ‘hiechen erkannt und zugleich gesehn, wienbsp;die verschiednen Wurzelformen zur Bezeicbnung der verschiednennbsp;Kriechtiere verwandt worden sind — wenn uns nun dasselbenbsp;Verlialtnis innerlialb einer Wurzel herd 'hriechen entgegentritt,nbsp;namlicli im griecb. xsQd-ó (Wiesel), im griecb. koqö-vIos {Wasser-eidechse), im griecb. éQax-iov {Draeli-e, Schlange), einer Par-tizipialbildung, die uns als ö^dx-o vr-g nebenbei an das ihm ganznbsp;entsprecbende lat. serp-ent-s {Schlange, Drache) erinnern kann,nbsp;und dazu im griecb. öQT2-og {Regenwurm), so ist uns in diesernbsp;Tatsache, daB eine Wurzel 'h?'iechen einerseits als herh,nbsp;herm usw. und andrerseits als herd, derh usw. erscheint, dienbsp;entscbiedne GewiBheit gegeben, dab wir hier ein orga-nisclies Wurzelganze vor uns haben. Mit dieser einzigennbsp;innern, organisch en Erkenntnis, die wichtiger ist als allenbsp;Einzeltatsachen, sind wir unsers neuen Lautwechsels gewiBnbsp;geworden, und es fallt nun umgekehrt von ihr Licht auf allenbsp;die Einzelerscheinungen, die uns bisher so oft als ratselhaftenbsp;Fragen beschaftigt haben. Jetzt wissen wir es eben in dernbsp;Tat, dab das griecb. xlflQ-og {Los) und das got. hlaut-s (Los)nbsp;ein und dasselbe Wort sind, dab es sich ebenso um ein undnbsp;dieselbe Wurzel handelt, wenn uns das lat. claud-ws {lahm,nbsp;hinhend) wie das got. halt-s {lahm) entgegentritt, oder wenn unsnbsp;die altindischen Wörter sram-ds {lahm) und slav-awa {lahm) undnbsp;das aksl. chtom-u (lahm) begegnen, und wir brauchen nicht mehrnbsp;in Sorge zu sein wegen derPrage, die uns so lange gequaltnbsp;hat, wie sich niimlich das lat. claud-o (sehliefien) einerseits mitnbsp;dem ahd.slioz-an {schlieji-en) und andrerseits mit dem neben ilimnbsp;stellenden lat. clav-is {Schlüssel, SchloR) vereinigt. Genau abernbsp;wie claud-us zu slav-ana und claud-o zu clüv-is, so stehii imnbsp;Lateinischen ziieinander gaud-iwui {Freude) und gamp;v-ïsus {sichnbsp;freuend), zwei Erscheinungsformen der bekannten Wurzel, die unsnbsp;schon im griech. yijamp;-og {Freude) und in vielen andern AVörternnbsp;begegnet ist, sodab sich also u. a. aucli das griech. y7]-d--éw {sich

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Kapitel XIV.

freuen) mit dem lat. gaud-eo (sich freuen) vollkommen deckt; und ebenso wie sich die bisherigen Widersprüclie in der zwiscbennbsp;claud-o, slioz-an und clav-is bestellenden Verbindung in natür-licher Weise gelost haben, so lost sich für uns nun auch dasnbsp;Ratsel, wie sich das got. gmt-an (giefS-en) auf der einen Seitenbsp;mit dem lat. fuquot;d-o (gieflen) und auf der andern doch auchnbsp;wieder mit dem griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(gieflen) nebst %sv-ga {Gufl) ver-

einigen kann. Ja jetzt nehmen wir erst wieder wie so oft mit Uberraschung wahr, wie die deutlichsten Beispiele vor uns da-gestanden haben, ohne von uns beachtet, geschweige denn verstanden worden zu sein, so wenn wir neben dem griech. xMiayconbsp;(brechen, zerbrechen) ein xkaé-agóg {zerbrochen, zerhrechlich)nbsp;haben, dem andrerseits wieder ein (fldó-iio gt; cpMta {zerreipen,nbsp;2)1 atz-enAor. s-cpkaó-ov'^ zur Seite steht mit einem dem ags.nbsp;bréot-an wie dem aisl. briót-« (brechen) entsprechenden Wurzel-typus, oder wenn uns genau in parallel er Weise das griech.nbsp;öjtaö-óv {Zerreipung,Kra^npf) mit artaö-ov-itio (reipen, zerren)nbsp;und OTtaö- Ltco (abreipen) neben dem bekanntern griech. ojtd(ö)-tü (zieken; zerren, reipen) wie ojtdo-ga (Zuckung, Spannung,nbsp;Krami)f) begegnet, das wir andrerseits im mhd. spann-m (spann-en)nbsp;wiedersehn; und ebenso erkennen wir nun im griech. lt;pQaö-r]nbsp;(Verstand, Klugkeit) wie in cpga. ö-iogai gt; cpqdtogai (denken,nbsp;sinnen) unmittelbar das griech. g)QOv-éco (denken, verstehn)nbsp;wieder. Sehr viel beschaftigt hat uns dagegen bisher das griech.nbsp;ÓQóa-os (Tau, Feuchtigkeit), ohne daU es uns aber hat gelingennbsp;wollen, es in seiner Verbindung mit andern Wörtern zu be-greifen, und jetzt — wie selbstverstandlich vereinigt es sich mitnbsp;dem neben ihm erscheinenden griech. (fpsQa-g (Tau) oder mitnbsp;dem ai. var|-dsnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;! Und genau ebenso steht es mit andern

Wortpaaren, die nun die besten Zeugen für unsern neuen Laut-wechsel werden, wenn wir jetzt eben im griech. dvóip-og (Dunkel-heit, Finsternis) unmittelbar das griech. xvé(f-ag (Finsternis, Ddmmrung) wiedersehen können, im griech. óqén-avov (Sicliel)nbsp;das griech. xQMituov (Sichel) und im griech. dQéjt-co (pfiüchen)nbsp;das lat. carp-o (pflücken). In den vorhergehenden Kapiteinnbsp;haben wir das griech. d^api-stv (laufen) mit dem griech. d^azt-éTTjg (der Entlaufende) verbanden und das lat. prop-erare (eilen)

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Teilnahme des d-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

mit dem ai. prav-«fë (er eilt) wie mit dem gïieoh. Ka^üt-élifioQ {schnelï) u.a.: jetzt sehn wir ein, daB es sich in allen diesen Wörternnbsp;um ein und dieselbe Wurzel handelt, daB sich also prop- erare mitnbsp;¦AaqTc-dlLi-ioc. und mit öqa Tt-é-cqg ebenso deckt, wie dieses wiedernbsp;mit öqa/j.-eZv; und wer diese Verbindungen innerlich durchschautnbsp;hat, der wird sie schlieBlich anch ohne die vermittelnden Binde-glieder erkennen, wenn er das griech. xQé(i-afiat (hangen) nebennbsp;das lat. pend-eo {hangen) stellt (indem er sich z. B. den Typus hremnbsp;in öqcig-sZv und den Typus pend in öqaTt-ÉTrjg zur Anschauungnbsp;bringt). Wie sich aber das griech. ëQajc-érrjg znm lat. prop-erarenbsp;verhalt, ebenso verhalten sich im Griechischen zueinandernbsp;{Beh, Gazelle) und jiQcx-g (Beh), die beide auch in der Formnbsp;doQz-dd-g und TtQo-/.-dê-g auftreten, und genau ebenso stehnnbsp;ferner innerhalb ihrer Wurzel zueinander die lateinischen Wörternbsp;ed-o {essen) und eq-ulae {Mahl, Speisen), von denen das erstenbsp;mit dem got. it-an und damit mit unserm nhd. ess-en eins ist.nbsp;Auf den ersten Bliek erkennen wir jetzt im lit. ‘kïxm-yjü {schlafen)nbsp;das lat. dorm-io {schlafen)^ und mit Berücksichtignng der Metathesis sehn wir dieses auch alsbald wieder in dem Namen desnbsp;griechischen Schlaf- und Traumgottes MoQxp-evg, der nichts zunbsp;tun hat mit gogcf-g ’Gestalf. Das griech. xijd-og {Sorge, Be-sorgnis) ferner nebst y.yö-eia {Besorgung, Pflege) verhindet sichnbsp;unmittelbar mit dem lat. cur-u {Sorge, Besorgung, Pflege', Be-sorgnis), zwei Wörter, die vokalisch zueinander stehn wie dasnbsp;griech. {F)fi^-rj und das lat. pub-es, wie das griech. xyep-yvnbsp;(Drohne) und das lat. füc-us {Brohne) u. a., und mit zwingendernbsp;Beweiskraft tritt uns unser Lautwechsel auch entgegen, wennnbsp;wir neben dem griech. ö-övQ-ogcu oder, wie es auch noch ohnenbsp;den sekundaren Vorschlagsvokal heiBt, neben övQ-ogai {weinen.nbsp;Magen, trauern) ein griech. ptq-ogai {weinen. Magen) finden,nbsp;oder wenn uns neben dem griech. xtrié-óv {Kamm) ein griech.nbsp;xrëv-g gt; xTsig (Kamm) wie ein lat. peet-ew {Kamm) entgegen-tritt, womit wir zugleich wieder ein schlagendes Beispiel fiir dennbsp;gesetzmaBigen Wechsel von p mit den andern Konsonantennbsp;haben. Wie wir ferner im griech. x(vö-v (TrinMeeher) dasnbsp;griech. xdXzt-r] {Krug, Becher, Urne) wiedersehn und mit ihmnbsp;auch das ai. karp-aras (Sehalë) wie das griech. xqeoaa-óg

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Kapitel XIV.

(Wassereimer, Krug), so erkennen wir im griecli. ösvd-üJ.co {sehen, einen SeitenblicJc tun, sich umsehen) die Wurzel desnbsp;griech. öéQx-ogai, {sehen, hlicTcen) wieder, wobei wir noch annbsp;das aus Homer so bekannte v7tó-ÖQa{x) ië-év [schief, von dernbsp;Seite ansehend] mit finsterm, zornigem Blicke) erinnern wollen;nbsp;und es ist ein und dieselbe Wurzel, die uns auf der einen Seitenbsp;mit d entgegentritt im griech. yJAd-og [Reis, Zweig), im ahd.nbsp;holz (Holz), im griech. öÓQf gt; ëÓQv {Holz und alles ausnbsp;Holz Gemachte), im aksl. drev-w (Holz, Baum), im lit. derv-anbsp;(Kienholz) u. a. und andrerseits mit m im preuB. malk-o {Holz),nbsp;sodaB sich also unser 'Holz' (nd. holt), so sonderbar es auf dennbsp;ersten Bliek scheinen will, ganz mit dein preuB. malk-o decktnbsp;{malk : kaldl). Deutlich zeigt sich unser Wechsel auch in demnbsp;Nebeneinander des griech. xoQö-ijlï] (Keule) und des lat. clav-anbsp;(Keule), deren Wurzel jedenfalls mit der der eben genanntennbsp;Wörter identiscb ist. Und wie wir sich das organisch Zusammen-gehörige immer ganz von selbst haben zusammenfinden sehn,nbsp;so sehn wir nun auch, wie sich innerhalb der Wurzel sel 'glanzennbsp;mit dem griech. asX-rjvg {Mond), mit dem griech. OeiQ-iog {Hunds-stern) u. a. das lat. sid-ws {Gestirn, Stern) vereinigt, und mitnbsp;demselben Begriff erkennen wir auch dieselbe Wurzel wieder,nbsp;die auf der einen Seite mit d auftritt im lat. haed-^ts {Ziegen-hock) wie im got. gait-s {Geip, Ziege) und im ahd. zig-a {Zieg-e)nbsp;und auf der andern mit m im griech. ygg-aiqa {Ziege), wobeinbsp;sich wegen der vokalischen Übereinstimmung die letzten beidennbsp;Typen, ëiy und yiu, besonders nahe stehn. Ein und dieselbenbsp;Wurzel in verschiednen Gestalten zeigt sich uns im griech. agaxf-lyy-g {Schwiele, Beule, Brausché) und im. ahd. swil {Schwiel-egt;,nbsp;eine Wurzel mit dem Wechsel von d und k tritt uns entgegennbsp;in den beiden griechischen Wörtern pkaö-aQóg {locker, schlaff',nbsp;trage) und pXdx-g {schlaff, trage, nachlassig), und ein und dieselbe Wurzel, die uns schon lange aus den beiden griechischennbsp;Adjektiven tpiZóg und tpijn-óg 'kahl, enthlöpt' bekannt ist, lemennbsp;wir mit unserm neuen Lautwechsel nun auch in einer neuennbsp;Form kennen, namlich als griech. tpsd-vó-g {spdrlich, kahl), dessennbsp;Einheit mit den andern beiden Wörtern wir nicht besser em-pfinden können, als wenn wir sie in so parallelen Bildungen

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Teilnahme des d-Lautes an dein generellen Lautwechsol.

wie ipeövo - y.dQtjvog (kaJilköpfig) und xpiko - xÓQffrjg (kahlköpfig) nebeneinander seliii.

Wir sehn also d in jeder Wurzel mit allen andern Kon-sonanten wechseln, darunter natürlicli auch mit t und den Lauten seines eignen Artikulationsgebietes, und so enthüllen siclinbsp;uns nun überall wieder die mannigfachsten Verbindungen innbsp;einfachster Weise. Neben dem lat. aur-is (Ohr) zeigt sich unsnbsp;ein lat. aud-io {Kóren), wie im Lateinischen neben aud-eo {miinbsp;Begierde und Lust an etwas gehn, vgl. si audes 'wenn dunbsp;Lust dam fühlsf; wagen) ein av-eo {begierig wonach verlangen)nbsp;steht, das lat. meA-ulla {Mark) vereinigt sicli mit dem griecli.nbsp;lJLv{L)-£Xóg {Mark), das lat. mend-ac-s (lügnerisch) mit dem lat.nbsp;ment-ior (lügen) wie das lat. re-nid-eo {glanzen) mit dem lat.nbsp;nït-eo {glanzen), und das lat. mad-eo wie das griech. gLvó-caonbsp;'7iafl, feucM sein' und [j,aö-dw izerfliefSen), sie verbinden siclinbsp;mit dem lat. man-are {(liepen) sowolii wie mit dem griecli.nbsp;vot-éco (nap, feucht sein), und je nach dem man das dazuge-liörige got. nat-s == nhd. nap an dem einen oder an dem andernnbsp;Typus mifit, muB man von sog. regelmaBiger oder unregel-malMger Lautverscliiebung reden, eine Bemerkung, die für dienbsp;Beurteilung der ganzen germanisclien Lautverscliiebung geitennbsp;mag. Noch deutliclier haben wir dieselbe Wurzel mit d und tnbsp;nebeneinander im lat. mod-Ms (MaP), im lat. mod-lMS (Scheffel),nbsp;im griecli. faéó-igvog (Scheffel) usw. auf der einen und im lat.nbsp;met-ior (messen), im lit. m^X-nju (messen), im av. mit-i (Maf)nbsp;u. V. a. auf der andern Seite, und wieder gilt das eben über dienbsp;Lautverscliiebung Gesagte, wenn man das got. mit-au = nhd.nbsp;mess-en wie das ahd. maz = nhd. Maf damit vergleicht. Da-mit aber nicht der leiseste Gedanke aufkommt, als bestünde hiernbsp;zwischen d und t eine besondre Abhangigkeit, wollen wir sofortnbsp;dieselbe Wurzel in andern Formen daneben stellen, so das griech.nbsp;(idQ-ig (ein Maf), das aksl. mêr-a (Maf), das lett. mêr-wtnbsp;(messen) usw. Ebenso steht im Lateinischen neben men-s (Verstand, Sinn, Gedanke) ein med-ifari (nachdenken), denen sichnbsp;wieder andre Typen derselben Wurzel mit gleichmaBiger Selb-standigkeit anreihen im 'preuB. mir-it (denken dichten), im arm.nbsp;mit (Sinn, Gedanken), im griech. iiïjt-ig (Klugheit, Einsicht)

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Kapitel XIV.

mit firjv-Laco [im Sinne hahen, ersinnen), im griecli. (irjd-ofiai (sinnen, erdenhen) u. v. a. Das lat. dens-us {dicht) ferner ver-einigt sich mit dem griech. raQO-vg (dicht), wie sich diesemnbsp;wieder das lit. tank-ws (dicht) anreiht, und das lat. taet-er (Ehelnbsp;verursachend, abscheulich) verbindet sicb über das lat. ited-iumnbsp;(Ekel, Widerwille) aucb mit dem lat. toed-us (Ahscheu erregend,nbsp;scheufilich). So stehn überall bald in gröBerer, bald in geringerernbsp;Deutlichkeit die verschiednen Erscheinungsformen der einzelnennbsp;Wurzeln vor uns da, oft sogar so sinnfallig, daB sie sicb unsnbsp;in ihrer Gleichheit geradezu aufdrangen, wie das griech. ^svö-ognbsp;(ein Frauenhleid) und das griech. (iait-r] (ein Hirten- odernbsp;Bauernkleid), wovon das letzte im got. paid-a = ahd. pfeitnbsp;(Rock, Unterkleid) seine genaue Entsprechung hat, wie fernernbsp;das griech. ip8vd-og (Lüge, Betrug) und das ihm ganz ent-sprechende griech. tpdth-og, denen sich das griech. xpaïv-vttognbsp;(falsch, trügerisch) anreiht, und es kann kaum etwas Deut-licheres geben als im Griechiscben das Nebeneinander von iped-vQóg und tfuih-v^óg, die beide ‘flüsternd’ bedeuten, von tp«d-aQÓg (mürhe, morsch) und -^atp-aQla (Trockenheit, Mürhigkeit),nbsp;von ötpaö-dtco (strotzen) und 6lt;paQ-ayéto (strotzen), von mö-dcffjnbsp;(Fuchs) und xiv-adog (Fuchs) und xatp-ÓQ'i] (Fuchs), als ebensonbsp;im Lateinischen das Nebeneinander von soc-ms (Genosse, Ge-fdhrte) und sod-atis (Genosse, Gefahrte), von caud-ec-s (Stamm)nbsp;und caul-is (Stengel, Stiel), wabrend es schon eines langern Nach-sinnens bedarf, je ein und dieselbe Wurzel zu erkennen im griech.nbsp;xoQÖ-ivéogac (schwindlig sein) und im lat. veit-ïgoiSchwindel), imnbsp;lat. vid-eo (sèhen) oder im griech. (f)id-etv (sehen) wie im griech.nbsp;(J^)ÓQ-dto (sehen) und ebenso im griecb. öm-siv (werfen) wie imnbsp;lat. jac-io (werfen), im griech. ctéé-rj (Fessel) wie im griech. ^ést-aövov (Riemen) und im lat. cö'p-ula (Band, Strick, Riemen), imnbsp;lat. dap-s (Mahl, Speise) wie im griech. stax-éogai (essen) und imnbsp;got. mat-s (Speise) usw. usw. Halten wir uns gegenwartig, daBnbsp;im Gotischen ein ursprüngliches d als t erscheinen muB, so trittnbsp;uns hier dagegen unser Lautwechsel wieder ganz sinnfallig ent-gegen, wenn wir ^a-sweit-an in der Bedeutung quot;schmier-en vor-finden, und vollends gar, wenn wir vait-jan (walzen) und valv-Jan (walzen) unmittelbar nebeneinander antreffen, womit uns

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Teilnahme des d-Lautes an dem generellen Lautweohsel.

also auch das lat. volv-o liinfort nicht bloB mehr ivalz-en heiBt, sondern ist. Welche Bereicherung unsre etymologische Erkennt-

nis aufs neue erfahren hat, darauf brauchen wir kaum noch


besonders hinzuweisen. Uberall vollzieht sich mit dem neuen Gesetz ein neuer ZusammenschluB der Erscheinungen, und wiedernbsp;fangen Wortgestalten, die bisher stumm waren, mit einemmalnbsp;zu reden an, ihr innerstes Wesen mit einer Selbstverstandlicbkeitnbsp;offenbarend, wie sie der Natur angemessen ist. So war unsnbsp;z. B. das lat. ped-is (Laus) trotz aller Bemühungen um seinenbsp;Entzifferung auBerlich immer noch ein Eatsel geblieben; inner-lich allerdings, das muBten wir uns mit Bestimmtheit sagen,nbsp;konnte es nichts andres sein als eine Erscbeinungsform einernbsp;Wurzel mit dem Bedeutungsinhalt quot;Jcriechen, und diese innerenbsp;Wahrheit bestatigt sich nun in deutlichster Weise, wo es sich innbsp;die Wurzel einreiht, die uns u. a. im lit. pel-e {Mans), im lat.nbsp;rëp-o ^ (kriechen) u. v. a. entgegentritt, ja jetzt nehmen wir erstnbsp;mit Überraschung wahr, daB uns ja das Altindische in seinemnbsp;pal-as {Laus) das beste Seitenstück zum lat. ped-is bietet, undnbsp;daB sich in diesen Wurzelformen mit ihren bestimmten Bezeich-nungen eine ahnliche Beziehung widerspiegelt wie in dem Ver-haltnis von Laus zu Maus (mhd. lüs: mus). Das griech. ödxQ-vnbsp;{Trane) ferner, das sich ja mit Notwendigkeit einer Wurzelnbsp;Afliepen einfügen muBte, schlieBt sich jetzt in der Tat organischnbsp;mit dem lat. ctMyyor {Blut), dem griech. xqriv-rj {Quelle) usw.nbsp;zusamfnen, und ebenso auch unser mhd. harz {Harz), in demnbsp;der umgelagerte Typus von ödxQ-v vorliegt als hard', halt mannbsp;das mhd. harn {Harn) daneben, so hat man den Wechsel vonnbsp;d mit n in anschaulichster Weise vor sich: ihre generelle Be-deutung ist ebamp;nquot; Flüssigkeit, Ausflup', wie man ja von einemnbsp;‘ Weinen des Baumes spricht, und wie auch der Grieche seinnbsp;ödxQ-v von Gummi, Harz, Saft usw. gebrauchte.

Auch dieses Lautgesetz hat den geschaffnen Sprachstoff zu allen Zeiten und an allen Orten immer wieder umgestaltet,nbsp;so wenn auf lateinischem Sprachgebiet aus dem auch über-lieferten altlateinischen dacruma ein lacrima {Trané), aus demnbsp;altlateinischen dingua ein lingua {Zunge) usw. geworden ist,nbsp;von denen dann jedesmal die sekundar entwickelte Form mit l

Meyer. Die Schöpftint? der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;12

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Kapitel XV.

die Herrschaft erlangt hat, oder wenn nebeneinander Formen wie impedimentum [Hindernis) und impelimentum, praesi-dium [Sehutz) und praesiMum u. a. gesprochen wurden, wahrendnbsp;umgekehrt fiir Capitolium auch Capitodium erscheint, genaunbsp;wie man im Deutschen statt heteiWgen öfter beteidigen sprechennbsp;hort. Mit derselben Leichtigkeit konnte d auch in r iibergehn,nbsp;zumal wenn ein direktes Dissimilationsbedurfnis vorlag, wie imnbsp;lat. meridies [Mittag), das sich aus medidies [medius quot;mittennbsp;und diesquot; Tag') entwickelt hat. Auch in dem sekundaren Über-gang von n zu d erkennen wir jetzt die ewige Wirksamkeitnbsp;unsers Gesetzes, wenn uns iöxquot;Wolke^ NeheT auf der einennbsp;Seite ein ai. ndbh-as, ein griech. vé(p-og, ein lat. neb-ula, einnbsp;ahd. neh-ul wie ein aksl. neb-o [Himmel) und auf der andernnbsp;Seite ein lit. deh-esis [Wolke) begegnen, oder wenn die Bezeich-nung der Neunzahl in alien idg. Sprachen mit n anlautet, da-gegen nur im Altkirchenslawischen, Litauischen und Lettischennbsp;mit d (also auch im PreuBischen mit n\) : ai. ^dva, griech.nbsp;évvéa, lat. novem, got. niun, preuB. newlnts [der neunte), da-gegen lit. devyni, lett. dewini, aksl. dev^ii. So könnten wirnbsp;das ewige, stille Fortwirken unsers Gesetzes vor allem auchnbsp;wieder in dem Leben der Mundarten an unzahligen Fallen auf-weisen; denn wenn uns nun, um nur ein Beispiel fiir die vielennbsp;herauszugreifen, bei Fritz Eeuter ein Luxwig statt Ludwig be-gegnet, so sehn wir in dieser Erscheinung keine bedeutungslosenbsp;Einzelheit mehr, sondern die Ziige eines groBen, ewigen Gesetzes.

Kapitel XV.

Tellnalime des g-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

Falie, wo der ^'-Laut ineinem effenbaren Wechsel mit andern konsonantischen Lauten steht, batten sich uns schon lange gezeigt,nbsp;als wir noch ganz vorn auf unserm Wege standen. Wie sichnbsp;uns das Verhaltnis des lat. sat-is [genug) zum griech. [a)dl-i,g

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Teilnahme des g-Lautes an dom generellen Lautwechsel.

igenug) immer wieder als ein zu seiner Lösnng anstachelndes Riitsel darbieten muBte, so nocb weit mehr das ganz sinnfallignbsp;vor uns stehende Nebeneinander von dem griech. nóy-ig (niitnbsp;Mühe, Icaum) und dem griech. [lóX-ig {mit Mühe, kaum). Dennnbsp;wabrend uns in jenem Falie der Ausweg blieb, in dem lateinischennbsp;t ein ursprüngliches d- sehen zu können (vgl. XaSstv: lat-eo!),nbsp;war uns hier jede Möglichkeit zu ausweichenden Erklarungennbsp;versperrt; wir muBten den eigentümlichen Fall als vorlaufig

durchaus ratselhaft beiseite schieben, in der sichern Zuversicbt

jedoch, daB er sich zu seiner Zeit schon aufklaren müsse. So klar dieses Beispiel góy-ig : gól-ig nun aber auch ist, es battenbsp;doch nie den Ausgangspunkt für unsre Forschung abgeben, ge-schweige denn die Kraft haben können, uns zur Erkenntnis desnbsp;in diesem Kapitel zu behandelnden Lautwechsels zu führen.nbsp;Das muBte von einer ganz andern Seite kommen, wobei solchenbsp;Einzelbeiten sogar völlig vergessen waren, namlich wieder nurnbsp;aus der organischen Erkenntnis eines einheitlichen Wurzelganzennbsp;heraus, und dies geschah für mich in folgender Weise. lmnbsp;vorigen Kapitel haben wir als Typen einer Wurzel kennen ge-lernt das griech. y.Xd{a)-co {brechen, zerbrechen), das griech.nbsp;yJMÖ-aQÓg (zerbrochen, zerbrechlich) und das griech. cplaö~uonbsp;(zerreifjen, platzen) nebst dem ags. bréot-an {brechen): dieselbenbsp;Wurzel also in den Formen klas, klad und flad. Hier meldetnbsp;sich aber nun mit derselben unabweislicben Sicherheit, wie sichnbsp;diese drei Formen zueinander gefunden haben, als ein vierter,nbsp;jene Eeihe fortsetzender Typus die Form frag, wie wir sienbsp;haben im lat. fi:aquot;g-o (brechen, zerbrechen), im got. brik-a%nbsp;(brech-en) u. a., und hier wird uns nun — wieder in der unsnbsp;tragenden ganzen Richtung unsrer Forschung! — die Tatsachenbsp;unbedingte GewiBheit, daB auch g mit allen bisher behandeltennbsp;Konsonanten in generellem Wechsel steht. Und wenn dem sonbsp;ist, dann werden wir nun wieder g im Wechsel mit jedem dernbsp;andern Laute in unzahligen Beispielen nachweisen müssen undnbsp;— können. Da uns unser Ausgangsbeispiel gerade auf dennbsp;Fall g : d geführt bat, so mogen die Falie dieser Art, zurnal danbsp;wir auch eben gerade von d herkommen, den Reigen der Bei-spiele dieses Kapitels eröffnen. Hier stellt sich vor allem sofort

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Kapitel XV.

ein Fall ein, der uns schon viel zu schaffen gemacht hat, für den nun aber die Stunde seiner einfachen, natürlichen Erklarungnbsp;gekommen ist, ich meine das Verhaltnis des griech. yXvx-vgnbsp;(süfl) zum lat. dulc-is {süfj). Wie einfach: zwei verschiednenbsp;Erscheinungsformen derselben Wurzel, jene vom Griechen, diesenbsp;vom Romer fortgepflanzt, jede für sich aber genau so selbstandig,nbsp;wie es die andern Form en dieser Wurzel sind, namlich das aksl.nbsp;slad-w/fctt {süfl), eine Form, die dem 'dulc' sehr nahe steht, dasnbsp;lat. sva(d)-t;is (süfl), das griech. {6f)'Pjö-ijg {süfl), kurz alle dienbsp;Wörter, die wir im Anfang des VL Kapitels aufgeführt haben.nbsp;ünd wie einfach, wie selbstverstandlich verbinden sich uns nunnbsp;in derselben Weise zwei Wörter, die jedes für sich uns bishernbsp;so ganz unfaBbar waren, das griech. stvy-iq {der Steifi, dernbsp;Hintere) und das lat. pod-ee-s {der Steifi, der Hintere)\ ündnbsp;genau ebenso vereinigt sich weiter das griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(Quelle)

in der natürlichsten Weise mit dem griech. jtid-ax-g (Quelle), denen sich das apers. vait-ag (Quelle), das griech. jtéX-ayognbsp;(Meer), der griechische Flufiname Utiv-eióg und zahllose andrenbsp;Sprachgestalten anreihen; und innerhalb einer andern Wurzelnbsp;sehn wir dasselbe Verhaltnis g : d wieder vor uns erscheinen alsnbsp;griech. Jtdy-'t] (ScMinge, FallstricTc): griech. jtéd-r] (Fessel). Imnbsp;engsten Verwandtschaftsverhaltnis stehn ferner ebenso nachnbsp;Form und Wesen das lat. plaquot;g-o (schlagen, hesonders mit Ge-rciusch) und das lat. plaud-o (Matschend schlagen) mit ap-plaud-onbsp;(anJclatschen) und ex-plod-o (ausMatschen), zwei Erscheinungsformen derselben Wurzel, die wir mit Ic antreffen im lit. plak-Anbsp;{schlagen, peitschen) wie im lit. plek-m (prügeln); und demselbennbsp;Verhaltnis begegnen wir innerhalb einer andern Wurzel, nurnbsp;daB auBerdem noch ein Wechsel zwischen Liquida und Nasalnbsp;so wie Metathesis vorliegen, in demNebeneinander von dem griech.nbsp;ypujr-dg (geJcrümmt, gebogen) und dem lat. pand-ws {gekrümmt,nbsp;gebogen), wobei uns nur die verschiedne Lagerung der Wurzel-formen an der unmittelbaren Anschauung hindert, wahrend wirnbsp;diese z. B. sofort wieder haben in dem Nebeneinander von demnbsp;griech. rpcoy-w (nagen, essen, fressen) und dem griech. xévd-wnbsp;(benagen, naschen), denen sich das griech. y^mv-og (angefressen)nbsp;anschlieBt. Vermag man eben tiefer zu sehen, dann stehn einem

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Teilnahme des g-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

das griech. öa[i-aQ {Gattin) und das griech. yafi-er?) {Gattin) oder das griech. yav)--ós {jedes runde Gefdfi: Eimer, Gelte,nbsp;Krug, Topf) und das lat. dol-m?m {Fafi) nicht deutlicher neben-einander als das griech. aly-og [Schmerz] und das lat. dol-ornbsp;{Schmerz) mitsamt ihren Verben dly-éco und dol-eo 'schmerzen,nbsp;Schmerz empfinden. So sehn wir in jeder Wurzel den Formennbsp;mit d solche mit g gegenüberstehn, und zum SchluB dieser Bei-spielreihe mogen hier gleich zwei sekuiidare Beispiele angeführtnbsp;werden, wo also der Lautwechsel als Lautwandel erscheint.nbsp;Mit dem Wurzeltypus des griech. {F)ëgy-ov und unsers Werhnbsp;erscheint im Griechischen das entsprechende Verbum in allennbsp;Zeiten regelmaBig als ègy^ z. B. Fut. egy-aco, Aor. egy-aa usw.,nbsp;nur im Prasens heiBt es nicht 'é^y-co, sondern gpd-w {tun,nbsp;machen^ wirJcen), womit wir die Berechtigung haben, hier einenbsp;sekundare Entwicklung eines ursprünglichen sgy-u zu egê-to zunbsp;erkennen, und — ein eigentümliches Zusammentreffen — den-selben Vorgang an derselben Wurzel können wir auf einemnbsp;ganz andern Boden und in ganz andrer Zeit nochmals beobachten.nbsp;Es ist bekannt, daB das griech. ogy-arov {Werhzeug, Instrument)nbsp;in etwas umgebildeter Form unser Org-el ist (man beachte dennbsp;Wandel von n zu (!), und ebenso das frz. org-ue, wahrend esnbsp;als wirkliches Fremdwort Organ, frz. organe lautet (so u. a.nbsp;auch als Sprechwerhzeug^I Wer nun aber seinen Fritz Keuternbsp;kennt, weiB, daB jenes Instrument in seinem niederdeutschennbsp;Dialekt nicht Org-eZ heiBt, sondern Örd-eZ.

Wie mit d, so steht g mit allen andern Konsonanten in ge-setzmaBigem Wechsel. Als stag und stal haben wir dieselbe Wurzel in geradezu verblüffender Deutlichkeit nebeneinander innbsp;den griechischen Wörtern Gray-sróg {Tropfen), aray-no gt; o-rd^wnbsp;{tröpfeln, triefen) undnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{tröpfeln, triefen) nebst atdX-

ayga {Tropfen) wie (SraX-i'Qio {weinen) u. a. Es ist dieselbe Wurzel, die uns auch entgegentritt im griech. oxiX-g {Tropfen),nbsp;im lat. still-a {Tropfen) nebst stir-ia {der gefrorne, hangendenbsp;Tropfen, Eiszapfen) und ferner im Altindischen nebeneinandernbsp;als stav-a {Iropfen), als stup-d {Tropfen), als stiik-a {Tropfen)nbsp;wie als stök-ds {Tropfen), dem das ai. scot-aZi {er trdufelt) zurnbsp;Seite steht, und dieses wieder führt uns unmittelbar hinüber

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Kapitel XV.

zum lat. seat-eo (Iiervorsprudeln) und scat-e6ra {hervorsprudelndes Wasser, Quellwasser). In der Form stag liegt die Wurzelnbsp;auBerdem noch vor im lat. ata.g-num (Jedes Oeivdsser-. See,nbsp;Teich, Pfuhl usw.). So haben wir also in allen den verschiednennbsp;Individuen die Angehörigen einer groBen Familie vor uns, dienbsp;samtlich verwandte Züge aufweisen, und wir sehn, daB ardy-uonbsp;und atal-dttD, ohne von uns bemerkt worden zu sein, immernbsp;fast in derselben Deutlicbkeit nebeneinander gestanden habennbsp;wie góy-ig und gól-ig. Dem eben genannten Paar entsprechennbsp;ganz innerbalb einer andern Wurzel das griecb. ariy-ico gt; arïCwnbsp;istech-en) mit axiy-ga {Stick, PunJct) und das lat. stil-Ms {spitzernbsp;Gegenstand, besonders spitzer Griffel zum Schreiben), und bierzunbsp;gesellt sich sofort das mit stilus oft synonym gebraucbte lat.nbsp;süm-ulus (Stach-eï). In der Form stig sehn wir die Wurzelnbsp;auBerdem noch im lat. in-aMing-uo {anreizen, antreiben), wovonnbsp;in-stine-tus {Antrieb, unser 'InstinTci') abgeleitet ist, ebenso imnbsp;lat. dis-sting-uo =‘ ab-steeh-en, hervor-stech-en , ferner im lat.nbsp;in-aüg-are {an-, aufreizen), das ganz unserm 'an-atach-eln’ ent-spricht wie aucb dem lat. in-atim-ulare {anreizen). Sinnfallignbsp;tritt uns unser Lautwecbsel ferner entgegen in dem Nebeneinander von dem griecb. aiy-dw {schweigen) und dem lat. sil-eonbsp;{sckweigen), und ebenso verraten die Züge einer Herkunft Wörternbsp;wie das lat. vig-eo und das lat. val-eo, die beide 'm vollernbsp;Lebenskraft stehn bedeuten, wie das griecb. jtiby-wv {Bart)nbsp;und das lat. pil-MS {Haar) nebst dem lat. ca.^-illus {Haupthaar,nbsp;Barthaar) u. v. a. Mit zwingender Beweiskraft tritt uns unsernbsp;Gesetz ferner als Wechsel von g und s entgegen im lat. leg-onbsp;{lesen, sammeln) und im mhd. les-m {les-en, sammeln), sodaBnbsp;wir uns binterher wundern, diese nahe Beziebung nicht mitnbsp;einem glücklichen Bliek sebon früher erkannt zu haben. Wohlnbsp;mag uns einmal für einen Augenblick ein unbestimmtes Gefühlnbsp;des Zusammenhangs gekommen sein, wenn wir als Knaben aus-wendig gelernt haben ‘leg-oles-en, aber darüber hinausnbsp;ist es nicht gekommen, ebensowenig wie bei dem Paar lat.nbsp;frig-MS {Frost, Ealte) und got. Mus = ahd. fros-f {Fros-t, Kalte),nbsp;wobei man über das f des germanischen Wortes hinsichtlichnbsp;der Lautverschiebung denken mag, wie man will. Nicht minder

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Teilnahme des g-Lautes au dem generellen Lautwechsel. 183

klar liegt jetzt auch der Zusammenhang zwischen dem griech. (fay-elv {essen) wie dem ai. bhak-tóm {Speise, Nahrung) und demnbsp;ai. amp;d-bhas-ti (er ifit, Jcaut, verzehrt) wie dem lat. stLg-ïna {Futter,nbsp;Fressen, Speise) zutage, und ebenso effenbaren sicb als verschiednenbsp;Erscheinungsformen je ein und derselben Wurzel das lat. turg-eo {geschwoUen sein) und das lat. tons-illae {die Mandein amnbsp;Halse) wie das lit. tvin-fi {anschwellen), das lat. terg-nm {Uüclcen)nbsp;und das lat. dors-Mjn {Rüehen). Auch in dem Wechsel ven gnbsp;mit p erkennen wir die schöpferische Kraft unsers Gesetzes mitnbsp;besondrer Deutlichkeit, wenn wir das lat. lug-eo {trauern) nebstnbsp;dem griech. Xvy-QÓ-s {traurig) mit dem griech. XHn-rj {Leid,nbsp;Trauer) zusammenhalten, wenn wir neben dem griech. Xay-cbgnbsp;{Hase) ein aol. Xéjt-oQig {Hase) wie ein lat. lep-ns {Hase) er-scheinen sehn und ebenso neben dem griech. Xay-óv {die Weichen)nbsp;ein griech. Xajt-é^a {die Weichen), oder wenn uns das lat. gal-eanbsp;{Helm) auf griechischem Sprachgebiet als jtrjA-ijz-g {Helm)nbsp;begegnet. Das lat. verg-o ferner deckt sich innerlich und auBer-lich, bis eben auf den Wechsel ren g und p, mit dem griech.nbsp;{r)Q£jt-a), ihre gemeinsame Bedeutung ist ‘sich wohin neigen,nbsp;eine Sichtung wohin haben' (vgl. divergieren, Divergenz), undnbsp;wahrscheinlich haben wir es hier mit keiner andern Wurzel zunbsp;tun als mit der des lat. vert-o, unsers wend-en usw. Auchnbsp;der enge Zusammenhang zwischen dem griech. aiy-LX-m-gnbsp;{hoch, schroff, steil) und dem griech. ain-vg {hoch, steil) nebstnbsp;aijt-og {H'óhe, Oipfel) kann uns nicht entgehn, und dazu gesellen sich nun für uns als Typen derselben Wurzel das griech.nbsp;öq-og {Berg, Anhöhe) und Bergnamen wie Oït-rj {Ot-a innbsp;Thessalien), {Berg in Phrygien und auf Kreta) u. a.nbsp;Als Wechsel ven g und t springt uns unser Gesetz ferner in dienbsp;Augen, wenn wir nebeneinander halten das griech. xQvy-óvnbsp;{Turteltauhe) und das lat. turt-w {Turt-el-tauhe), und in einemnbsp;Nebeneinander wie ven dem lat. frug-es {Feld- nnd Baumfrüchte),nbsp;dem lat. frnt-ec-s {Strauch) und dem griech. tQ'óy-rj {Baum- undnbsp;Feldfrüchte) kennen wir den Gang unsers Gesetzes sogar zweimal wahrnehmen als g :t und als g: f. lm Lichte dieses Gesetzes, nach dem innerhalb derselben Wurzel g auch mit vnbsp;wechseln muB, tritt das lat. vult-wr {Geier), das, nebenbei gesagt,

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184 Kap. XV. Teilnahme des g-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

dasselbe sekundare Element bat wie das eben genannte lat. turt-ur, mit dem griecb. Td^)y-og [Oeier) zusammen, wobei dernbsp;eine Typus zum andern nur im umgekehrten Verhaltnis er-scheink und mit demselben Lautwechsel vollzieht sich auch dienbsp;Verbindung zwischen dem lat. sacri-leg-ium {Tempelraub) undnbsp;dem griech. ksf-ia gt; lela (Mauh, Beute), eine Wurzel, in dernbsp;sich ebenso auch das auGerlich so ganz vereinsamte griech.nbsp;yév-to {er nahm, fafite, ergriff) mit dem griech. {F)bX-slvnbsp;{nehmen, fassen, ergreifen) zusammenfindet. Ein und dieselhenbsp;Wurzel haben wir ferner als griech. (pMy-(a {brennen, glanzen)nbsp;und als lat. ferv-eo {sieclen, brennen) neheneinander, wobei aufnbsp;die Seite des ersten noch Erscheinungen wie das griech. cpQvy-conbsp;{brennen, braten, rosten), das lat. frig-o {rosten), das lat. fiag-ronbsp;(brennen) u. a. treten und auf die Seite des letzten das got.nbsp;brinn-an (brenn-en), das mhd. brdt-en u. v. a., und dasselbenbsp;einfache Verhaltnis, das sich hier unsrer Erkenntnis unmittelbarnbsp;aufdrangt, tritt für uns mit Berücksichtigung der Metathesis ausnbsp;seiner Verdeckung hervor im lat. giamp;c-ulus {Dohlé) gegenübernbsp;den andern Vertretern dieser Wurzel im Lateinischen, gegenübernbsp;corv-Ms {Robe) und corn-rc-s {Krahe), wobei wir an die parallelenbsp;Dreiheit im Griechischen denken können, an xóg-ax-g quot;Rabe,nbsp;xoQ-óvg 'Kralié und y,oX-oióg‘Dohlé. Die letzten beiden Falienbsp;konnten zugleich schon als Beispiele für g -.n geiten. Da wirnbsp;solche für den Wechsel g:l schon oben aufgeführt haben, so mogennbsp;aus dem Bereich der Liquiden und Nasale nur noch kurz folgendenbsp;angeführt werden: das griech. jtXdy-og {Seite, Flanhe) nebennbsp;dem griech. nXbVQ-d {Seite) — dazu auch das got. halb-a =nbsp;mhd. halb-e {Seite) —, das lat. mamp;g-nus {grofi) in seinem Verhaltnis zum air. mar {grofi) wie jedenfalls auch zum lat. mul-fwsnbsp;{viel, grofi), ferner das lat. greg-s (Herde-, Schar, Menge, Haufe)nbsp;wie das griech. ydqy-aga (Haufe, Mengé) gegenüber dem ai.nbsp;gram-as {Schar, Haufe, Heer, Dorf), das griech. ‘xX.ay-sgógnbsp;{schreiend) gegenüber dem lat. clam-or {Geschrei) und das lat.nbsp;tog-a neben dem lat. tun-ica und dem griech. yix-év, die allenbsp;drei eine Wurzel mit der Bedeutuug‘Wteid' enthalten, sei es, daCnbsp;das Oberkleid gemeint ist wie bei toga oder das Unterkleid wienbsp;bei den andern beiden. Natürlich steht g auch mit den Lauten

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Kap. XVI. Teilnahme des b-Lautes an dcm generellen Lautwechsel. 186 seines eignen Artikulationsgebietes im Wechsel, wie es uns ebennbsp;scbon das Verhaltnis tog-a : xlt-óv gezeigt hat, und wie wir esnbsp;weiter in unzahligen Fallen sehen können, so u. a. in dem Verhaltnis des griech. d-yodr-og (flache Hand) zum ai. hast-asnbsp;{Hand) und zu unserm Hand — got. hand-ws. In höchst deut-licher und interessanter Weise können wir endlich unsern Lautwechsel wahrnehmen, wenn wir folgende drei griechischennbsp;Wörter zusammenhalten: lt;poQ^-óg {geflochtner Korh), [lóQy-ognbsp;[Wagenlcorb), yt3^y-a^og (geflochtner Korb). Und genau wie wirnbsp;hier den ersten Typus über den zweiten im dritten wieder-erkennen, ebenso enthüllt sich uns, wenn auch ohne die ünter-stützung eines vermittelnden Bindegliedes, mit einem zweimaligennbsp;Wechsel des g alsbald die Verwandtschaft des griech. yo^y-dgnbsp;{fürchterlich aussehend, flnster blicJcend, wild, grimmig, trotzig,nbsp;schrecMich) mit dem völlig gleichbedeutenden lat. torv-m, undnbsp;diesem stehn wieder im Lateinischen als ganz gleichbedeutendnbsp;zur Seite truc-s mit ixvic-ulentus und a-troc-s, wobei die sekun-dare Natur des a im letzten Worte in ahnlichen Erscheinungennbsp;der lateinischen Sprache auch ihre auBere Stütze erhalt.

Kapitel XVI.

Teilnahme des h-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

Nachdem wir so weit gelangt sind, wird es jedem ohne weiteres klar sein, daB der amp;-Laut allein von dem allgemeinennbsp;Wechsel der konsonantischen Laute nicht ausgeschlossen seinnbsp;kann, daB er vielmehr ebenso die Wurzel in ihren Erscheinungs-formen abwandelt wie alle andern Laute. Ehe wir diese fürnbsp;uns jetzt schon a priori feststehende Wahrheit an den Tatsachennbsp;aufweisen, müssen wir mit Rücksicht auf die bisherigen sprach-wissenschaftlichen Anschauungen einige Bemerkungen über dienbsp;Natur dieses Lautes vorausschicken. Er nimmt namlich mit jnbsp;allen andern Lauten gegenüber insofern eine besonders bemerkens-

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Kapitel XVI.

werte Stellung ein, als sie beide im Verhaltnis zu diesen be-deutend seltner auftreten. Wie sich das erklart, müssen wir vor-laufig auf sich beruhen lassen. Die auBere Tatsache steht fest, und jeder wird sich davon leicht, wenn er das anlautende hnbsp;(oder j] als Probe auch für das h im In- und Auslaut geiten lassennbsp;will, durch einen Bliek in irgendein Wörterbuch der indoger-manischen Sprachen überzeugen können. Im griechischen, imnbsp;lateinischen Wörterbuch z. B. wird er unter h verhaltnismaBignbsp;nur wenig Wörter verzeichnet linden, und noch auffalliger trittnbsp;ihm die Tatsache auf germanischem Gebiet entgegen, wenn ernbsp;z. B. im gotischen Wörterbuch die mit p anlautenden Wörternbsp;sucht, mit p, deun dieses ist das ursprüngliche b nach vollzognernbsp;Lautverschiebung: mit Abzug der Eigennamen und der effenbarennbsp;Fremdwörter wird er dort keine zehn Wörter vorfinden, wie janbsp;dann auch die entsprechenden mit pf anlautenden Wörter desnbsp;Alt- und Mittelhochdeutschen zum gröBten Teil Fremdwörternbsp;sind. Man hat nun, gerade mit aus dieser Erscheinung auf germanischem Sprachgebiete, den SchluB gezogen, daB b im Indo-germanischen ein seltner Laut gewesen sein muB, und man hatnbsp;dann auch die Zahl der im Griechischen und im Lateinischennbsp;auftretenden amp;-Laute noch bedeutend beschrankt, indem man sehrnbsp;viele, man könnte fast sagen, die meisten griechischen und lateinischen ö-Laute als die sekundaren Vertreter ursprünglichnbsp;andrer Laute nachzuweisen versacht hat. Ja dieses Streben istnbsp;so weit gegangen, daB man sogar da, wo die Gründe nicht mehrnbsp;ausreichten, die Echtheil eines amp;-Lautes angezweifelt, kurz dennbsp;Bestand ursprünglicher ö-Laute auf das auBerste beschrankt hat.nbsp;So hat man, auf den Vergleich mit den andern indogermanischennbsp;Sprachzweigen gestützt, sehr viele der griechischen Sprachenbsp;auf ursprüngliche sog. Velarlaute (gu) zurückgeführt, nicht wenignbsp;griechische und lateinische b erklart man als nachtragliche Ent-wicklungen aus den andern Lauten desselben Artikulationsgebietes,nbsp;d.h. aus m, v, fnndp, manche lateinische b sieht man als Vertreternbsp;ursprünglicher du an (z. B. duellum gt; bellum ^Krieg‘), wiedernbsp;andre lateinische b, die man sich nach den geitenden An-schauungen nicht erklaren kann, verweist man in das Oskisch-Umbrische, aus dem sie in das Lateinische herübergenommen seien,

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Teilnalime des b-Lautes an dem generellen Lautwechsei.

und


kann


es nicht verwundern, wenn der eine oder andre


so


Forscher sogar bis zu der Bebauptung vorgescbritten ist, in echt


lateinischen Wörtern sei b überhaupt kein ursprünglicher Anlaut. Wo bier die Grenze des Eichtigen und Nichtricbtigen lauft, wird


die Zukunft lebren: nur das Eindringen in die Erkenntnis der


Wurzel wird die feste Entscheidung bringen können. Vergegen-wartigt man sich dazu die Tatsache, dab sich in den meisten indogermaniscben Spracben die Spiranten gh, dh, hh zu Mediennbsp;verscboben haben, sodaB ein groBer Teil der uns jetzt dort ent-gegentretenden ö-Laute auch ursprünglicbe bh gewesen seinnbsp;können, so wird man unsre miBliche Lage bei der Darstellungnbsp;dieses Kapitels zu würdigen wissen, eben in der Beantwortung


der stetigen Frage: wo liegt ein ursprünglicher amp;-Laut vor? üm


überhaupt zu einem Ergebnis zu kommen, müssen wir uns diese Frage praktisch so beantworten: überall da, wo nicht ganznbsp;zwingende Gründe für eine andre Auffassung vorliegen odernbsp;eintreten. Gerade bei diesem Kapitel dürfen wir uns also nichtnbsp;sclieuen, auf die Gefabr bin, im Einzelfalle fehlzugehn, frischnbsp;zuzugreifen in der Hoffnung, daB wir im ganzen das Richtigenbsp;treffen werden.

Beginnen können wir unsre Ausführungen nicht besser als gerade mit dem Beispiele, das eben in der angegebnen Richtung


seine Gescbicbte bat. Die Tatsache, um die es sich handelt, ist


lat. brev-is und das griech.

die, daB auf der einen Seite das ^qct'jr^-vg mit dem Bedeutungsinhalt quot;Icurz stehn und auf dernbsp;andern das got. ga-msAx^-jan in der Bedeutung 'Tiürzen . DaBnbsp;hier ein und dieselbe Wurzel vorliegt, und damit ein Zusammen-hang bestehn muB, die Erkenntnis muBte sich bald genug auf-drangen; aberwie dieVerbindung herstellen? Als die einzigeMög-lichkeit ergab sich die Annahme, daB das lat. brev-is sekundar ausnbsp;mrev-is entstanden sei, wobei man sich nur leider eingestehn muBte,nbsp;daB dies der einzige Fall eines solchen Übergangs in der ganzennbsp;lateinischen Sprache ware, und dann das Auffallige, denselbenÜber-gang in demselbenWorteauch für das griech. ^gay-vg voraussetzen zunbsp;müssen! Das muBte doch bei aller innern Wahrscheinlichkeit desnbsp;Zusammenhangs bedenklich mach en und zu resignierenderZurück-haltung zwingen. Für uns aber lost sich der scheinbare Wider-

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Kapitel XVI.

spruch nunmehr ganz von selbst; wir haben hier das beste Beispiel nicht eines Lautwandels, sondern eines selbstandigen Lautwechselsnbsp;vor uns, wie wir ihn nun in unzahligen andern Fallen beob-achten können. So tritt er uns gleicb deutlicb entgegen in demnbsp;Nebeneinander von dem griech. a-nei^-co {tvechseln, vertauschen,nbsp;vergelten, erwidern) nebst dem Substantiv a-noi^-i] {Wechsel,nbsp;Tausch, Vergeltung, Dank) und dem griech. nolx-og (Vergeltung,nbsp;Dank), dem lat. mat-are {verdndern, wechseln, vertauschen) usw.,nbsp;ferner von dem lat. cah-allus wie dem griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;die

beide' ein schlechteres Beit-, Pack-, Dienstpferd' bezeichnen, und dem aksl. kon-M [Pferd) wie dem poln. kon {Pferd), dem lit.nbsp;kum-as {schlechtes Pferd), dem lit. kum-èZe (Stute), dem lett.nbsp;kêw-e {Stute), dem preuB. cam-Tïet {Pferd), dem preuB. caic-awnbsp;{Pferd) wie dem lett. kaik-ans {Schindmahre), dem corn, coss-ecnbsp;{Stute) u. a., wobei wir daran erinnern wollen, daB das lat. cah-allus noch heute im frz. chev-al {Pferd) weiterlebt, sodaB sichnbsp;also alle die verschiednen Ausdrücke der slawischen Sprachennbsp;mit der französischen Bezeichnung vollkommen decken. Nichtnbsp;minder deutliche Vertreter unsers Lautwechsels sind das griech.nbsp;^aX-avstov {Bad) — lat. bal-wewm {Bad) und das lat. lav-aj-enbsp;(waschen,haden) nebst lav-acrum {Bad), ebenso das griech.

{fassen, nehmen, ergreifen) und das ganz gleichbedeutende griech. {f)èk-Eïv, ferner das griech. (poï^-og{leuchtend,glanzend, klar), dasnbsp;ja als stehendes Beiwort des Sonnengottes Apollo allbekannt ist,nbsp;nebst dem lat. jub-ar {der leuchtende und strahlende Glanz, he-sonders der Himmelskörper, und so der leuchtende JSimmels-körper selbst) und die griechischen Wörter (pató-igog {strahlend)nbsp;und (paiö-QÓ-g {glanzend, klar, heiter), (pdv-ico (leuchten), (paX-oQÓg {heil, glanzend), lt;pa{F)-é-d-(Dv (leuchtend), das besonders alsnbsp;Beiwort der Sonne erscheint, u. v. a. Das griech. ^Xavt-rjnbsp;{Pantoffel) hat sein klares Spiegelbild im griech. KdXx-t,og {dernbsp;Schuh der Bomer), und das lat. cib-ws {Speise, Nahrung, Putter)nbsp;erkennen wir unmittelbar im griech. jcdA-or {Speise, Putter)nbsp;wieder, und wenn wir jetzt das lat. bon- ws {gut) wie ben-e {gut)nbsp;und iiamp;n-ignus {gütig) und das griech. ^éX-xeqog {besser) mitnbsp;dem lat. mel-ior {besser) und dem griech. d-(iév-uov gt; dfistvoivnbsp;(besser) zusammenhalten, so sind wir nicht lange mehr dariiber

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Teilnahme des b-Lautes au dein genereilen Lautwechsel.

im Zweifel, daB wir in allen den genannten Beispielen verschiedne Erscheinungsformen einer Wurzel vor uns haben, die in andrernbsp;Form auch im lit. lab-as (gut) vorliegt. Wie klar zeigt sichnbsp;ferner unser Lantwechsel in dem Nebeneinander von dem lat.nbsp;glob-tzs [der Tcugelrunde Körper, die hugelförmige Masse,nbsp;Klumpen) und dem lat. glom-MS (Knauel), von dem griech.

(Schmach, SchandflecJc) und dem griech. Xvii-rj {Schmach, Schandflech), von dem ai. bul-^s' (HinterbacJcen) wie dem lit.nbsp;bul-is (HinterbacJcen) und dem lat. cü1-ms (der Hinteré)] Dasnbsp;lat. fab-er {der Verfertiger, d. h. Handwerker, KünsÜer usw.)nbsp;nebst fab-r-ica {Werkstatte) geht seine natürliche Verbindungnbsp;mit dem lat. fac-io {machen, verfertigen) ein, wie das griech.nbsp;rdQ^-og {Schrecken) genau das ai. trds-ati {er erzittert) usw.nbsp;ist. Vor allem aber werden wir wie schon oft, so auch hiernbsp;unsers neuen Gesetzes innerhalb ganz klarer, groBer Wurzelzu-sammenhange gewiB, wobei jeder Gedanke anEinzelerscheinungennbsp;schwinden muB, wenn wir z. B. ein und dieselbe Wurzel mitnbsp;dem allgemeinen Bedeutungsinhalt'öefa/lquot; bald als griech. lé^-rjt-g {Kessel, Waschbecken, Urne), bald als griech. Ha-ógnbsp;{Schüssel, Teller, Becken), als griech. Xojt-dó-g (Napf, Tiegel,nbsp;Sehüssel) u. a. erscheinen sehn, oder wenn sie uns in andrernbsp;Form einerseits als griech. ap^-ix-g {Becher) und andrerseits alsnbsp;griech. p,éX-7] {Becher) wie aeX-é^r] {Trinkbecher, Wa^sereimer,nbsp;Opferschale) begegnet, oder wenn endlich immer wieder dieselbenbsp;Wurzel in den nach Form wie Bedeutung leicht und doch sonbsp;mannigfaltig abgestuften Gestalten auftritt wie im griech. ^(.x-ognbsp;{irdnes Oefdfi zu Wdn, Wasser usw.), im griech. xi^-corógnbsp;{Kiste, Schrank), wie in xi^- und xü^-taig {Tasche, Schnapp-sack), in xv^-ag (Sarg) u. a. und auf der andern Seite im lat.nbsp;loc-ulus {Sarg) und loc-uli {Kastchen, Kapsel, Büchse), im lat.nbsp;arc-a {Kasten, Kiste, Lade, Truhe, Sarg) u. v. a. Ein ganznbsp;sinnfalliges Zeugnis für unsern Lautwechsel ist ferner das Nebeneinander von dem griech. Otsi^-io {treten, nachgehn, aufspüren)nbsp;mit Ori^-og {der betretne Weg, Fuji-steig', Spur, Fcihrte) undnbsp;dem griech. oteiy^-oj {schreiten, gehn, wandern) usw., und wiedernbsp;treffen wir dieselbe Wurzel in andrer Gestalt an im griech.nbsp;TQi'iS-og {gebahnter TFe^, Fufisteig-, Gang, Lauf) einerseits und

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190 Kap. XVI. Teilnahme des b-Lautes an dem generellen Lautwechsel.

andrerseits im lat. tram-es (Weg, Pfad, Gang, Lauj), im griech. d-TQajt-óg {Pfad, Fufsteig), im got. trnd-an {tret-en) wie imnbsp;griech. xQajt-écü {Trauben treten, heltern) u. v. a. Eine deut-liche Spraclie redet ferner ein Beispiel wie das lat. im-hêc-illusnbsp;(kraftlos, schwach) gegenüber dem aksl. vëk-M {Kraft) — mannbsp;vergleiche dazu eine Bildung wie das lai. in-firmus 'schwach'—,nbsp;oder ein Beispiel wie das lat. cdto-itum {Mlhogen, Elle) gegen-über dem nsl. kom-o?ec {EUbogen), ebenso dem aksl. lak-wfinbsp;{Ellbogen), dem preub. alk-Mnis {Ellbogen), dem griech. dyx-tór»nbsp;{EUbogen) u. a., und die zwingendste Beweiskraft für das ge-setzmaBige Zurechtbestehn unsers Lautwechsels muB für uns ein

Fall entbalten, wie wir ibn vor uns haben in dem Verhaltnis des griech. ^Qaö-vg {langsam, trage, spat] schwerfaüig, stumpf-sinnig) zum lat. tard-ws {langsam, mit genau denselben Aus-führungen des Begriffes). Die beiden Wörter decken sich alsonbsp;innerlich und auBerlich bis auf den Wechsel zwischen b und tnbsp;vollkommen; die auBerliche Übereinstimmung wird noch etwasnbsp;verstarkt, wenn wir an die Nebenform ^ccQÖ-iarog denken, undnbsp;den Eindruck von der innerlichen Übereinstimmung der Wörternbsp;kann man durch nichts mehr verstarken als durch einen Blieknbsp;in ein griechisches wie in ein lateinisches Wörterbuch: man findetnbsp;da von den beiden einfachen Wörtern an bis in alle Ableitungennbsp;und Zusg,mmensetzungen einen Parallelismus, der seine Wirkungnbsp;nicht verfehlen kann, so z. B. ein lat. tard-are und ein griech.nbsp;(iQaë-vvstv ' verlang samen, verz'ógern, aufhalten, hemmen, einnbsp;lat. tard-itas und ein griech. figad-vTrjg 'LangsamJeeif, ein lat.nbsp;tardi-pes und ein griech. ^qaëv-rtovg 'langsamen Fufes usw.

Überall sehn wir also alle Konsonanten in einem allgemeinen Wechsel miteinander stehn, einem Wechsel, der sich natürlichnbsp;auch da nicht verleugnet, wo der Konsonant in einer vom allgemeinen abweichenden Gestalt auftritt, wie z. B. beim 'C dernbsp;griechischen oder beim qu der lateinischen Sprache, und mitnbsp;einigen solcher Beispiele mogen die ganzen Erörterungen dernbsp;konsonantischen Verhaltnisse der Wurzel ihren AbschluB finden.nbsp;Man halte nur das griech. ^viQ-óg {rein, unvermischt, lanter')nbsp;neben das lat. mer-us {rein, unvermischt, lanter) oder das griech.nbsp;S'ijT-scv {suchen) neben das griech. par-luo {suchen), und man

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Kap. XVII. Die physische Seite der Sprachschöpfung.

überzeuge sicb davon, wie sich das lat. aqu-i?a {Adler) in seiner Wurzel mit dem mlid. ar [Adler, Ar) deckt, wie das lat. aqu-iZonbsp;(Nordwind) eins ist mit dem griecli. av-sfiog [Wind), mit dem got.nbsp;us-2ssL-an [aushauchen) usw., wie das lat. aqu-i^ws [schwarz,nbsp;dunkei) in eine Familie gehort mit dem lat. op-ams [schattig,nbsp;dunkei, finster), mit dem lat. at-er [schwarz, dunkei) und mitnbsp;dem ai. as-itos [schwarz) usw. usw. Überall dieselben Er-scheinungen ohne irgendwelche auBere Einschrankungen durchnbsp;Eaum und Zeit!

Kapitel XVII.

Die physische Seite der Spraehschöpfuug.

Wir sind auf der Höhe. In langsamem, aber stetigem und sicherm Anstiege sind wir zu dem Ziele gelangt, das unser Geistnbsp;langst als eine notwendige Forderung seines Wesens vorausge-sehn batte. Jetzt können wir freie ümscbau halten und zu-sammenfassend feststellen, was sich uns auf unserm ganzen Wegenbsp;mit notwendiger GewiBheit für die Erkenntnis des Wesens undnbsp;Lebens der Sprachwurzel ergeben bat. Wie die ganze Natur innbsp;allen ihren Gestaltungen nach dem sie beherrschenden Gesetzenbsp;des Gegensatzes von einem Dualismus durchzogen wird, wienbsp;insbesondre wir selbst aus Körper und Geist bestehn, so auclinbsp;das Urelement unster Sprache; es hat seine physische und seinenbsp;psychische Seite, die natürlich zu einer untrennbaren Einheit innbsp;ihm verbanden sind. Je klarer und gewisser wir uns über diesenbsp;Verbindung sind, mit um so gröBerm Eechte und zugleich gröGermnbsp;Vorteil können wir in der Reflexion diese beiden Seiten von-einander trennen, und so betrachten wir die Sprachschöpfung innbsp;diesem Kapitel nach ihrer physischen, im folgenden nach ihrernbsp;psychisch en'Seite: hier der Laut, dort die Bedeutung.

Das Urelement der Sprache also, in dem wie in der Zelle das ganze Leben vorgebildet euthalten ist, ist die Wurzel. Wasnbsp;versteld man nun unter der Sprachwurzel? Bisher haben wirnbsp;uns diese Frage mehr nach auBern Anhaltspunkten und in in-direkter Weise beantwortet, iiidem wir die Wurzel eines Wortes

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Kapitel XVII.

in dem Bestandteil sahen, der nach Abzug aller sekundaren, formalen, wechselnden Bestandteile als notwendiges, dauerndesnbsp;Element übrig blieb. Nunmehr kommt es jedoch auf eine be-stimmte, positive Fassung des Begriffes der Wurzel an, undnbsp;da lehrt uns unser ganzer bisheriger Weg als ihre wichtigste,nbsp;bestimmende Eigenschaft die, dab die Wurzel notwendig ein-silbig ist, wie es ihrem Wesen als dem einfachsten, ursprüng-lichsten Element der Sprache entspricht. Jede Silbe muB abernbsp;ihrer Natur nach notwendigerweise einen Vokal enthalten, zunbsp;dem sowohl als Anlaut wie als Auslaut ein oder mehrere Kon-sonanten hinzutreten können. Die einfachste Form der Wurzelnbsp;ist also ein bloBer Vokal, z. B. i quot;gehn im lat. i-re wie im griech.nbsp;i-évai, oder a quot;sagen im lat. a-io wie im griech. iq-gL Die Zahlnbsp;der Konsonanten der Wurzel kann sich zwischeu eins und sechsnbsp;bewegen; Silben, also auch Wurzeln mit mehr als sechs Konsonanten werden sich kaum irgendwo finden, wir sind damit annbsp;der Grenze des physisch Möglichen angelangt. Schon der Fall,nbsp;den wir als auBersten angenommen haben, daB dem Silbenvokalnbsp;drei Konsonanten vorausgehn nnd drei folgen, wird sehr seltennbsp;sein, wahrend in der allgemeinen Praxis die Wurzeln mit fünfnbsp;Konsonanten den Ilöhepunkt darstellen, Wurzeln von der Formnbsp;etwa, wie wir sie im lat. splend-or {Olanz), in unserm Strangnbsp;u. a. sehn. Sollen wir also nun die Wurzel nach ihrem Wesennbsp;bestimmen, so haben wir zu sagen: unter der Wurzel alsnbsp;dem ürelement der Sprache versteht man jede mög-liche einsilbige Lautverbindung. Praktisch hat die Sprachenbsp;unter den Wurzeln vor allem die drei- und die vierlautigennbsp;(z. B. j)et, derlc) als die Mittellage mit den geschlossensten undnbsp;kraftigsten Form en gepflegt, wahrend ihr die Extreme, die einfachsten wie die kompliziertesten Formen augenscheinlich wenigernbsp;zugesagt haben.

Das war der Urstoff, der der Natur zu Gebote stand, und aus diesem verhaltnismaBig sehr geringen Stoffe ist nun das ge-waltige Sprachganze geworden, das wir als die indogermanischenbsp;Sprachfamilie zu bezeichnen pflegen — und auf welchem Wege?nbsp;Auf dem einfachsten. Sobald dieser Stoff in dem Munde seinesnbsp;Tragers Bewegung und Leben erhielt, zeigte sich alsbald, welche

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Die physische Seite der Sprachschöpfung.

erstaunliche Bildsamkeit er in sick trug: mit Scliöpferkraft traten die Gesetze, die ihm innewohnten tamquam in suis veris co-dicibus inscriptae, in ihrer Wirksamkeit zutage und wandeltennbsp;diesen einfachen Stoff zu einer so auBerordentlichen Mannig-faltigkeit ab, daB der Reichtum der immer neu entstehenden Gebilde katim zu bergen war. Welcbe Gesetze dies sind, wissen wir;nbsp;wir baben sie ja dem Stoffe selbst in langem, bartem Kampfenbsp;abgerungen. Sie sind in der Natur der Wurzel geradezii innbsp;selbstverstandlicber Weise entbalten. Denn wenn von den Wörternnbsp;der Spracbe nicbt jedes für sicb sein besondres Einzeldasein,nbsp;seine besondre selbstandige Entstebung, sondern, wie uns dienbsp;Tatsacben bald belebrt baben, mit vielen andern einen gemein-samen Ursprung bat, dann ist dies nur so möglicb, daB diesesnbsp;Eine sicb selbst vervielfaltigt bat. Die Bestandteile dieses Einennbsp;sind aber in unserm Fall immer einige von den mit den menscb-licben Sprecbwerkzeugen gegebnen Lauten, und so ist aucb dienbsp;Vervielfaltigung nacb Art und Umfang in ganz natiirlicber Weisenbsp;damit gegeben, daB diese wenigen Laute die ganze Eeibenbsp;aller überhaupt vorbandnen Laute in ibrer Entwick-lungdurcblaufen. In jeder W urzel können alle V okale und allenbsp;Konsonanten miteinander wechseln, und ebenso kann die Stellungnbsp;dieser Laute zueinander beliebig wechseln, es herrscht also in ihrnbsp;die gröBte Freiheit, die möglicb ist. Und wo ist die Notwendig-keit, die dieser Freiheit gegenübersteht, die sie bindet, und die unsnbsp;sagt, daB wir es mit keiner Willkür, sondern in jedem Falie mitnbsp;ganz bestimmten, von alien andern unterschiednen Sprachgebildennbsp;zu tun baben? Das ist eben der Ursprung: in dem ganzennbsp;Differenzierungsprozesse der Wurzeln handelt esnbsp;sicb immer um dieselbe Bewegung, aber mit immernbsp;verscbiednem Ausgangspunkt. Jede Wurzelnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;men,

und wie sie alle heiBen, durchlauft in ibrer Entwicklung die ganze Eeibe der worhandnen Sprachlaute, dabei ihnen vollkommnenbsp;Freiheit in ihrer Stellung zueinander gewahrend, sodaB bei dennbsp;einzelnen Wurzeln immer wieder dieselben Gebilde entstehn,nbsp;und docb handelt es sicb immer um andre, innerlicb streng von-einander geschiedne, ganz verschiednen Familien angehörendenbsp;Spracbwesen, die mit andern wohl dieselbe Art der Entwicklung

Meyor, Die Schöpfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;18

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Kapitel XVII.

Tind Entfaltung haben, aber auf einen ganz andern, jedesmal nur ibnen eigentümlicben Ursprung zurückgehn.

In jederWurzel können wir also eineununterbrochneEntwick-lungsreihe verfolgen, deren Glieder nnter sicb unmittelbar und mittelbar in der mannigfacbsten Weise zusammenbangen. Wirnbsp;haben ein kunstvolles Gewebe'der ewigen Weberin Natur vor nns,nbsp;in dem 'die Faden sicb begegnend flieben' und die mannigfacbstennbsp;Verbindungen nach allen Seiten bin geschlagen sind, sodab jedesnbsp;einzelne Glied organisch mit allen andern zusammenhangt.nbsp;Direkt erkennbar ist dieser Zusammenbang für nns immer nurnbsp;nnter den sicb zunachst berührenden Gliedern, und wir vermogennbsp;von dem Vorgang der Differenzierung nur so eine unmittelbarenbsp;Anschauung zu gewinnen, dab wir die Entwicklung an einernbsp;Stelle gleichsam festhalten und so das Widerpiel zwischen gleich-bleibenden und wandelbaren Kraften, zwischen Dauer undnbsp;Wechsel sinnlicb erfassen. Lassen wir z. B. in der Wurzel 'petnbsp;sowohl den anlautenden wie den auslantenden Konsonanten undnbsp;obendrein gar noch den dazwischen stehenden Vokal die ganzenbsp;Reibe der Laute durchlaufen, wie es in Wirklichkeit gewesennbsp;ist, so vermogen wir mit unsrer anschauenden Erkenntnis nichtnbsp;zu folgen; lassen wir sicb dagegen nur den einen der beidennbsp;Konsonanten entwickeln und balten den andern fest, so habennbsp;wir sofort die unmittelbare Anschauung für die Verwandtschaftnbsp;der Glieder, sowohl in der Reibe pet, peh, per, pen, pev, ped usw.nbsp;wie in der Reibe pet, het, ret, net, vet, det usw. Unmittelbarenbsp;Anschauung für die Zusammengehörigkeit der Wurzelformennbsp;haben wir z. B., wenn wir unsre neubochdeutschen Wörternbsp;brenn-e^ï, brat-m, htoA-eln, brau-en, brüh-e« zusammenstellen,nbsp;oder wenn wir in der nns so vertraut gewordnen Wurzel'hriechennbsp;folgende Erscbeinungsformen vereinigen: lat. verm-is (Wurm),nbsp;lit. kirm-is (Wurm), lett. zerm-e (Wurm), lat. tarm-ef-s {Solzwurm),nbsp;griech. pvQp-7]x-g (Ameise), lat. form-ica {Ameise), ai. hnrm-ütasnbsp;{Schildhröte) u. a. In dem ersten Falie haben wir also dennbsp;Wurzelanlaut festgehalten und den auslantenden Konsonantennbsp;seine Entwicklungsreihe durchlaufen lassen und in dem zweitennbsp;umgekehrt; in beiden Fallen haben wir unmittelbare, zwingende,nbsp;anschauende Erkenntnis, die sicb jedem aufdrangen mub, und

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Die physisehe Seite der Sprachschopfung.

wir sehn dabei, daB der Wechsel der Vokale die unmittelbare Anschauung wenig oder gar nicht hindert. Stellen wir nun dasnbsp;lett. tarp-s (Wv/rm) dazu, so haben wir eine direkte Anschauungnbsp;fiir die Verbindung nur, wenn wir es neben tarm-e^-s halten,nbsp;wahrend es von alien andern weit abzustehn scheint, und wienbsp;tarp-s nacb der einen Seite mit tarm-et-s, so gehort es nach dernbsp;andern mit dem griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{Wurm, Holzwurm), mit dem

lat. serp-o (kriechen) usw. in eine Reihe, und so könnten wir in derselben Wurzel unzahlige andre Reihen verfolgen, indem wirnbsp;z. B. an das lit. kirm-is {Wurm] das griech. xsqö-ó {Wiesel),nbsp;das griech. xaQu-ivog {Krebs) u. a. anschliefien, Reihen, dienbsp;iiberall, von dem einen oder dem andern Punkt aus ineinandernbsp;iibergreifen, sodaB eine einseitige Trennung überhaupt unmöglichnbsp;ist. In jeder Wurzelfamilie haben wir eben ein vielversclilungnesnbsp;Gewebe vor uns, in dem sich eins aus dem andern ergeben hat,nbsp;in dem sich Masche an Masche reiht nach alien Seiten bin, einnbsp;'Meisterstück', wie es nur die Natur schaffen kann. Wir mitnbsp;der begrenzten Fahigkeit unsrer Auffassung vermogen uns innbsp;diesem reichgegliederten Gewebe nur Schritt fur Schritt zurecht-zufinden, indem wir immer nur einen Faden nach dem andernnbsp;verfolgen und mit Hilfe der vermittelnden Bindeglieder auch dennbsp;Zusammenhang zwischen den auBerlich einander ferner stehendennbsp;Gebilden erkennen. So würden wir z. B. innerhalb der ebennbsp;betrachteten Wurzelfamilie den Zusammenhang nicht direkt erkennen können, der zwischen den beiden lateinischen Wörternnbsp;serp-o {kriechen) und tarm-et-s {Holzwurm) tatsachlich besteht;nbsp;sobald man uns aber zwischen beide das lett. tarp-s (Wurm)nbsp;stellt, ist uns die Sache klar, genau so wie uns der Zusammenhang des lat. merc-an (kaufen) mit dem lat. pret-mwi {Kaufpreis)nbsp;auBerlich verstandlich geworden ist durch das dazwischen ge-schobne lit. perk-w {kaufen) mit prek-iè {Kaufpreis). ünd sonbsp;wie hier steht es überall. Wer würde es uns, ohne den mühe-vollen Weg unsers Forschens und Erkennens mitgegangen zunbsp;sein, glauben, daB das lat. see-o (schneiden) und das griech. ré^-vconbsp;{schneiden) ganz eins sind? ünd doch ist es so, und jeder muBnbsp;es sofort bekennen, sobald wir iluu die Verbindung stufenweisenbsp;zeigen über das Bindeglied sem oder tec: wer in einer Zusammen-

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Kapitel XVII.

stellung wie sec : sem ; tem oder wie sec ; tec : tem keinen einheitlichen Gang sieht, für den kann es eben keine Erkenntnisnbsp;geben. Noch sebwieriger für die auBere Auffassung ist einnbsp;Zusammenbang wie der zwischen dem lat. tac-eo (schweigm,nbsp;still sein) und dem lat. sil-eo (schweigen, still sein), in denen wirnbsp;nun von unserm auf induktivem Wege errungnen Standpunktnbsp;aus mit deduktiver Sicberbeit ein und dieselbe Wurzel erkennennbsp;mussen. Wer unsern Weg nicht arbeitend und denkend mitge-macht bat, von dem würden wir vergebens fordern, es einzusehen.nbsp;Alles ist ja in den beiden Wörtern anders, alles bat gewecbselt,nbsp;beide Konsonanten und der von ihnen eingeschloBne Vokal.nbsp;Stellen wir aber zwischen beide WÖrter Gebilde wie das lit.nbsp;tyk-stó (still werden) nebst tyh-as (still, ruhig), wie das lit. tyl-iwnbsp;[schweigen) und tïl-w (still werden) oder andrerseits auch das alb,nbsp;suk (schweigen) und halten wir obendrein noch das ai. tus (sichnbsp;beruhigen) mit tüs-nïm (still) dazu, dann müssen wir von jedemnbsp;die unbedingte Einsicht in den Zusammenbang fordern, wennnbsp;anders er die Fahigkeit hat, zu begreifen, daB, wenn in einer

Reihe a — l) = c — d=.......z ist, dann auch a = z ist,

soweit beide auch auBerlich auseinanderstehn. Und wie hier, so steht es überall, in jeder Wurzel. Man stelle sich z. B. einmalnbsp;die verschiednen Typen der Wurzel 'laufen zusammen, wie wirnbsp;sie nach allen Seiten hin kennen gelernt haben als half, harp, prop,nbsp;proh, prav, vrap, drap, dram, drav, dvar, dvas, tvar usw. usw.,nbsp;dann wird man in der Einheit des Wesens die Mannigfaltigkeitnbsp;der Form en begreifen lemen und es verstehn, was einem aufnbsp;den ersten Bliek unfaBbar scheinen will, daB es ganz eins ist,nbsp;ob der Grieche einst sein rpeX'® (laufen, eilen) aussprach, dernbsp;Romer sein prop-ero (eilen) und der Goto sein sniw-an (eilen),nbsp;oder ob wir heute unser lauf-en aussprechen, wobei man aller-dings noch über die sekundare Entwicklung aus dem got.nbsp;hlaup-aw Bescheid wissen muB.

Das also ist der ProzeB der Sprachschöpfung, wie er sich nach der physischen Seite in der Urzeit vollzogen hat. Wirnbsp;haben die Natur bei ihrer gestaltenden Arbeit belauscht, und mitnbsp;Bewundrung erkennen wir, worin das Geheimnis ihrer schöpfe'nbsp;rischen Tatigkeit beruht, das Geheimnis, aus dem Nichts etwas

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Die physische Seite der Sprachschöpfung.

zu schaffen, d. h. aus dem geringsten Stoff die gröBten und mannigfaltigsten Gebilde hervorzubringen, mit den geringstennbsp;Mitteln die gröfiten Wirkungen zu erzielen: sie variiert einnbsp;und denselben Stoff in unendlicher Weise. So schafft sienbsp;aus der Einheit die Vielheit und tauscht uns in der Art einesnbsp;Kiinstlers, den sie ja als ihren Liebling unter den Menschen amnbsp;nachsten zu sich herangezogen hat, auf eine wunderbare Weise.nbsp;Wo wir die gröBte auBere Verschiedenheit wahrnehmen undnbsp;immer neue, andre Gebilde zu seben glauben, da herrscbt imnbsp;Grunde die vollkommenste Einheit: sie zeigt uns immer denselbennbsp;Stoff von seinen verschiednen Seiten, in immer wechselnder Formnbsp;und hat selbst ihre schalkhafte Freude an dem Gelingen ibresnbsp;neckischen Truges. Aber ebenso ist auch das Gegenteil dernbsp;Fall: wo wir auBerlich ganz gleiche Gebilde sehn, haben wir esnbsp;im Grunde mit ganz verschiedenartigen zu tun. AuBere Ver-scbiedenheit deckt sich also nicht mit innerer Verschiedenheitnbsp;und auBere Gleicbbeit nicht mit innerer Gleichheit, Dies letztenbsp;gilt es noch vor allem festzuhalten, weil die Nichtbeachtungnbsp;gerade dieser Tatsache natiirlich immer das gröBte ü^nheil an-gerichtet hat und anrichten muB. Es können Dinge ganz gleichnbsp;sein und doch nicht dieselben, da sie ganz verschiednen TJrsprungnbsp;haben, und wer sie trotzdem vermengt, handelt TtaQd trjv cpiaiv^nbsp;gegen die Natur, gegen ihre Entstehung. Dies ist die Lösungnbsp;fiir die sonst so befremdliche und abstoBende Tatsache, daB einnbsp;Wort oft die verschiedensten, schlechterdings unvereinbaren Be-griffe bezeichnen kann: es liegt dann nicht dasselbe, nicht einnbsp;Wort vor, sondern verschiedne in auBerlich gleicher Gestalt.

Aber ist denn das so nicht doch wieder zuletzt das gröBte Wirrsal? Für den, der mit uns die Natur verstanden hat, ganznbsp;gewiB nicht. Das ist gerade bezeichnend für Natur und alles,nbsp;was Leben heiBt, daB es sich nicht kalt und öde schematisierennbsp;laBt, sondern die gröBten Gegensatze organisch in sich vereinigt.nbsp;Die Natur ist einheitlich — aus diesem zu BewuBtsein ge-wordnen Gedanken ist ja unser ganzes Forschen geboren —,nbsp;aber wehe dem, der im orgauischen Leben Einheit als Einförmig-keit auffaBt und für das ihr entsprechende Korrelat der Vielheit kein Verstandnis hat!

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Kapitel XVIII.

^,Kein Lebendiges ist ein Eins,

Immer ists ein Viel esquot;'quot;,

lehrt uns mit ernstem Nachdruck der Sehergeist des Dichters. Die Natur ist ferner wie alles GroBe und Wahre einfach, un-endlich einfach, aber niemand könnte sie in ihrem tiefsten Wesennbsp;gröblicher miCverstehn und verletzen, als wer diese Einfachheitnbsp;in armlicher Auffassung ohne das Korrelat reichster, vielver-schlungenster Mannigfaltigkeit denken würde. Menschen-werk ist Stückwerk, aber alles, was die Natur schafft.

Das hat sie nicht zusammengebettelt,

Sie hats von Ewigheit angezettelt.

Die Natur wirkt allezeit in Gegensatzen, wie es uns der Dichter in seinem wundervollen 'Fragment über die Natur im tiefstennbsp;Innern fühlen laBt, und dieses ihr intimstes Wesen wird wohlnbsp;kaum einen klassischern Ausdruck finden können als in deinnbsp;Worte desselben Dichters, unter dessen Auspizien wir diese ganzenbsp;Arbeit gestellt haben: „Die Natur ist einfacher, als man be-greifen, und zugleich verschrankter, als man sagennbsp;kann.“

Die letzten Betrachtungen aber über die auBerlich gleicben und innerlich verschiednen Erscheinungsformen der Wurzelnnbsp;muBten schon sehr die Gedanken an ihr inneres Leben, an ibrennbsp;Bedeutungsinhalt berühren und leiten so von selbst über zu dennbsp;Erörterungen, die wir dem nachsten Kapitel vorbehalten haben.

Kapitel XVIIL

Die psychische Seite der Sprachschöpfung.

Der Körperbau der Wurzeln in seiner Entstehung sowohl wie in seiner Entwicklung steht klar vor unsern Augen; jetztnbsp;gilt es das Schwierigere, einen Bliek in ihre Seele zu tun. Wienbsp;sieht es darinnen aus?, d. h. was hat sich uns auf unserm ganzennbsp;Wege als Haupterkenntnis für das innere Leben, für den Bedeutungsinhalt der Wurzel ergeben? Es ist kurz folgende Tatsache:

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Die psychische Seite der Sprachsohöpfung.

JedeWurzel istder Trager einesAllgem einbegri ff es, die verschiednen Wurzelformen bezeichnen die ver-schiednen Vertreter dieses Allgemeinbegriffes. Innbsp;dieser Erkenntnis haben wir den Scblüssel zu dem gesamtennbsp;Verstiindnis des geistigen Lebens der Sprache. ‘Was danbsp;Icreucht und fleucht' — in dieser generellen Art bestehtnbsp;die Urbezeichnung der Sprache. Alles, dessen Element die Luftnbsp;ist, dessen hervorstecbende Eigenschaft also in der Fahigkeit undnbsp;der Betatigung des Fliegens besteht, bat seine Bezeichnung vonnbsp;einer Wurzel, deren Bedeutungsinhalt eben diese Eigenschaftnbsp;ausmacht: so ist Flieg-e und Vogel lt; got. fugl-s ein und das-selbe Wort, das ganz generell jedes fliegende Weseii bezeichnennbsp;kann, sodaB wir uns auch nicht zu wundern brauchen, wennnbsp;wir in der mittelhochdeutschen Poesie (Freidank 145, 23) einemnbsp;Verse begegnen wie ‘diu fliege ist, wirt der sumer hei^, dernbsp;hüenste vogel, den ich wei^\ Die Festsetzung der individuellennbsp;Form für das bestimmte Individuum iunerhalb dieser Gattungnbsp;ist eine, wenn man es nicht miBverstehn will, zufallige Sache;nbsp;an sich könnten also diese befiederten Wesen, die wir jetzt mitnbsp;dem allgemeinen Namen Vogel bezeichnen, auch Fliegen lieiBennbsp;und umgekehrt; der geistige Begriffsgehalt wird von diesernbsp;Frage nicht berührt, es ist der ProzeB der Individualisierung,nbsp;der seine eignen Wege geht. In dem Ausdruck das Ge-flüg-elnbsp;(mhd. da^ gevügele) haben wir noch ein schwaches, sekundaresnbsp;Abbild der ursprünglichen generellen Bezeichnung. Wie es abernbsp;eine Wurzel ‘fiiege7i gibt, so gibt es auch eine Wurzel ‘Tcriechen’,nbsp;z. B. sem: alle Kriechtiere haben also von ihr — oder vonnbsp;andern mit ihr gleichbedeutenden Wurzeln, z. B. serp — ihre Be-zeichnungen erhalten, wobei sie allmahlich durch die verschiednennbsp;Wurzelformen individualisiert worden sind. So hat sich dernbsp;Wurzeltypus müs (griech. p,vq, lat. müs, mhd. mhs = nhd. Mans)nbsp;allmahlich Jür das eine, ganz bestimmte Kriechtier festgesetzt,nbsp;wahrend er an sich nicht die geringste individuelle Bestimmungnbsp;enthalt. In willkommenster Weise hat uns von dem ursprünglichen generellen Zustande die lateinische Sprache etwas bewahrt,nbsp;indem müs auBer der Maus auch sonst noch ganz allgemeinnbsp;Ratten, Marder und andre kriechende Wesen bezeichnen kann.

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Kapitel XVIII.

Der Tjpus sor ist innerhalb dieser Eichtung noch ganz besonders auf die Spitzmaus eingeengt worden im lat. sor-ec-s wie imnbsp;griecb. 'ëQ-a-x-g, eine Spezialisierung, die spater in den roma-niscben Sprachen wieder zurückgetreten ist, sodaB das frz. sour-isnbsp;wieder ganz allgemein 'die Maus bedeutet. Das kriechendenbsp;Tier, das wir Mdechse nennen, ist innerhalb unsrer Wurzel alsnbsp;griecb. oavQ-a individualisiert worden, und eine noch weiternbsp;gehende Individualisierung stellt das griechische Wort öaX-afiav-ó'po {giftige Mdechse) dar. Auch unser Lans gehort natürlichnbsp;hierher, und so stellen wir die bedeutungsvolle Tatsache fest, daBnbsp;zwischen Maus und Laus für die sprachliche Auffassung undnbsp;Bezeichnung eine generelle Verbindung besteht, wahrend dienbsp;Individuen im spezifisch naturwissenschaftlichen Sinne weit aus-einanderstehn.

Fliege und Vogel und ebenso die aufgeführten Bezeichnungen für die verschiedenartigsten Kriechtiere, sie überzeugen uns alsonbsp;aufs nachdrücklichste von der ungemein wichtigen Tatsache,nbsp;daB jede spezielle Begriffsbezeichnung der Sprachenbsp;durchaus fremd ist, und dies ist der Grund, weshalb dienbsp;ganze bisherige Etymologie von Haus aus scheitern muBte.nbsp;Die Sprache bezeichnet uur generell; der Trager der Sprache,nbsp;der Mensch, gebraucht den von ibr gescbaffnen Formenreich-tum dazu, mit seiner Hilfe die einzelnen Vertreter der Gattungnbsp;als bestimmte Individuen voneinander abzuheben, oder genauernbsp;gesagt: das sich mit fortschreitender Kultur immer starker geltendnbsp;machende Verstandigungs- und Unterscbeidungsbedürfnis zwingtnbsp;ihn dazu, für das einzelne Individuura auch eine ganz bestimmte,nbsp;individuelle Spracbform zu gebrauchen. Die sachliche und dienbsp;sprachliche Entwicklung laufen also in der Entfaltung dernbsp;Gattung zu Arten und Individuen ganz parallel. Die Entstehungnbsp;der Wortform in physiscber wie psychischer Beziehung ist einnbsp;NaturprozeB, der sich in vollstandiger ünabhangigkeit vomnbsp;Willen des Menschen vollzieht; ihre individuelle Verwendungnbsp;dagegen ist im wesentlichen eine Sache der Konvention, bei dernbsp;also der menschliche Wille die Hauptrolle spielt. Von diesernbsp;Unterscheidung hangt alles für das Verstandnis des Sprachlebensnbsp;ab, und um die Überzeugung von ihrer Richtigkeit von vorn-

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Die psychische Seite der Sprachschöpfung.

herein nachdrücklich zu verstarken, richten wir unsre Blicke gleich hier einmal in die historische Zeit der Sprachentwicklung,nbsp;die ja immer unser selbstverstandlicher Ausgangspunkt, unsrenbsp;Grundlage und die natürliche Kontrolle unsrer Ergebnisse ist:nbsp;die Gesetze, nach denen die Sprache entstanden ist, bestimmennbsp;ganz natüriich auch ihre Entwicklung, und so müssen wir dennbsp;Vorgang der Individualisierung des Generellen immer aufs neuenbsp;im Leben der Sprache antreffen — wie es auch tatsachlich dernbsp;Fall ist. Grab, Grah-en, Grub-e, Graf-toAerGrach-tnbsp;und Gruf-t sind rerschiedne Erscheinungsformen der Wurzelnbsp;gr ah-en, teils primar durch den Ablaut der Wurzel, teils sekun-dar durch das Stammelement differenziert. Die nach physischennbsp;Gesetzen entstandnen Formen stehn vollstandig gleichwertig alsnbsp;gemeinsame Trager des allgemeinen Bedeutungsinhaltes ^grahennbsp;nebeneinander, jede von ihnen kann also ohne Unterschied iedesnbsp;Gegrabne bezeichnen. Da innerhalb dieser generellen Bezeich-nung aber verschiedne Differenzierungen möglich sind, so stelltnbsp;der denkende Mensch die vorhandnen auCerlich differenziertennbsp;Formen in den Dienst einer differenzierten geistigen Vorstellung,nbsp;d. h. er individualisiert geistig die bisher generellen Wortformen,nbsp;sodaB er nun mit dem Gebrauch der einzelnen Wortform auchnbsp;eine ganz bestimmte, individuell abgehobne Vorstellung innerhalb des generellen Begriffes verbindet und bei andern heryor-ruft. Welche Form unter den vorhandnen er im Einzelfall dazunbsp;verwende!, wie er also die Verteilung der Formen auf dienbsp;differenzierten Vorstellungen vornimmt, das ist an sich ganznbsp;gleichgültig und bis zu einem gewissen Grade auch zufallig.nbsp;Was wir jetzt mit Grab bezeichnen, könnte an sich auch eben-sogut mit Graben, Grube usw. bezeichnet werden, genau wienbsp;die Individualisierung der grieehischen Wörter 'tdqgt;-o-g'Grab'nbsp;und rd cp-Qo-g‘Graben auch in umgekehrter Weise hatte vornbsp;sich gehn können. DaB bei dieser Verteilung der Formennbsp;natüriich nicht der reine Zufall gewaltet hat, bedarf für dennbsp;Einsichtigen kaum der Erwahnung, aber von irgendwelchennbsp;zwingenden, innern Gründen kann hierbei schlechterdings nichtnbsp;die Rede sein. Die Hauptsache ist, da6 die differenziertennbsp;Formen dazu benutzt werden, die differenzierte Vorstellung zu be-

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Kapitel XVni.

zeichnen. In dem Ma6e, als diese felilt, fallt auch Bedürfnis und Veranlassung weg, die Vielheit der vorhandnen Formen zunbsp;erhalten. Ja dieses Sprachprinzip der Individualisierung desnbsp;Generellen zeigt sicli uns in noch verstarktem Malie: auch einnbsp;und dieselbe Wortiorm kann der Mensch durch die Zutat seinesnbsp;Geistes fort und fort in der verschiedensten Weise individua-lisieren. Was kann er z. B. nicht alles mit dem einen Wortenbsp;Bogen bezeichnen! Er kann darunter verstelm einen Bogennbsp;der Architektur wie Tor-, Gewölbe-bogen u. a. nicht minder alsnbsp;einen Schiefi-hogen, einen Kreis-iogen, einen Oeigen-bogen, einennbsp;Regen-bogen und zugleich einen Papier-, Brief- und Druelc-bogen, den Ellen-bogen, den Himmels-hogen usw., also Dingenbsp;der verschiedensten Art, die aber durch den Begriff des Biegensnbsp;oder Gebogenseins generell verbunden sind, und über diesen ge-gebnen generellen Begriff kann natürlich auch der Mensch beinbsp;seinem Individualisierungswerke nie hinaus, innerhalb seinernbsp;Grenzen aber — und die sind sehr weit — kann er sich allesnbsp;erlauben. Primare Individualisierungen der Wurzel 'bieg-eEnbsp;haben wir in Bug, Baueh, Buch-t, Buch-el u. a. In dernbsp;Art wie Bogen finden wir unzahlige Wörter nach den verschiedensten Richtungen hin individualisiert, und nichts hindert uns,nbsp;den vorhandnen tiiglich neue Individualisierungen hinzuzufügen.nbsp;Man vergegenwartige sich, was auf diese Weise das Wortnbsp;nicht alles bedeuten kann: Eisenbahn-gug, Luft-mg, Schrift-zug, Mienen- und CharaMer-zug, Zug beim Trinken, in einem.nbsp;Zuge, Schützen-zug, Zug = vorüberziehende Menge von Menschetinbsp;und Tieren, z. B. Schwaïben-zug, Zug des Herzens, Feld-zugnbsp;usw., kurz alles Ziekende und Gezogne', man betrachte ebensonbsp;die Individualisierungen von Gang als das Gehen oder dienbsp;Art des Gehens, als der gegangne (lat. iter) wie der begangnenbsp;Weg (lat. via), Gang als aufgetragnes Gericht, Gang beimnbsp;Fechten usw., fern er Bruch als alles Brechende und Gebrochnenbsp;= das Brechen, die gebrochne Stelle, der Zahlen-bruch, dernbsp;Bruch als Gebrechen, der Bruch als abgebrochner Ziveignbsp;(M''eidmannssprache), der Stein-bruch usw., und Satz = Satznbsp;der menschlichen Rede, Satz junger Tiere und Pflanzen,nbsp;Satz = das Setzen und der Sprung, Boden-satz einer FlüssigTceit,

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Die psychische Seite der Sprachschöpfung.

besoüders Kaff'ee-satz, der Schrift-satz des Druchers usw. usw. Wir selin, es ist überall das einfacbe geistige Mittel der Indiyi-dualisierung des generelleii Begriffes, wodurch der Mensch seinenbsp;differenzierten Vorstellungen in der Sprache zum Ausdrucknbsp;bringk und auf diesem Prinzip beruht ja auch die ganze Ent-stehung der Eigennamen, in der wir fast ihrem ganzennbsp;ümfange nach geradezu eine Wiederholung des Urprozesses dernbsp;Individualisierung der Sprachformen sehen können: aus demnbsp;generellen, appellativen Begriffe ein Schafer, ein Fischer, einnbsp;Mann aus Strafhurg usw. wurde der Schafer, der Fischer,nbsp;der Strafburgier) individualisiert. Ja wir können noch weiternbsp;gebn und behaupten: die ganze sekundare Bedeutungs-entwicklung der Wörter kann sich im wesentlichen nur bewegen zwischen den beiden Polen, die von Anfang an dasnbsp;psychische Leben der Sprache umgrenzt haben, zwischen dennbsp;Prinzipien des Generellen und des Individuellen, und so ist esnbsp;auch in der Tat. Bedeutungserweiterung und -verengerungnbsp;sind doch nichts andres als Bewegungen zwischen generellemnbsp;und individuellem Begriff — wir bezeichnen sie hier in ihremnbsp;sekundaren Auftreten meist als Generalisierung und Spezia-lisierung —, und auch die Bedeutungsübertragung latit sich dennbsp;beiden beherrschenden Begriffen unterordnen.

Kehren wir nunmehr aus der historischen in die vor-historische Zeit zurück. Wie es sich hier vor unsern Augen vollzieht, so ist es auch dort in der Urzeit gewesen: wie Orab,nbsp;Grah-en und Grub-e, nicht anders sind auch die Bezeichnungennbsp;Sonn-e, Mon-tf und Ster-we entstanden. Wir wissen, es ist dienbsp;Wurzel sel quot;glanzen , die allen drei Wörtern in verschiednernbsp;Gestalt zugrunde liegt (iiber den Typus ster vgl. Kap. XIX),nbsp;und alle drei können natürlich nichts andres bedeuten als dennbsp;ganz generellen Begriff Licht. Mit jeder der unzahligen Formen,nbsp;in denen die genannte Wurzel erscheinen kann, konnte ursprüng-lich jedes dieser Lichter am Firmament so gut wie jedes andrenbsp;Licht bezeichnet werden; das wachsendeUnterscheidungsbedürfnisnbsp;mufite die Menschen aber bald von selbst dazu führen, vor allem,nbsp;für das groBe Licht des Tages und ebenso für das der Nachtnbsp;je eine ganz bestimmte Form aus der Zahl der vorhandnen mit

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Kapitel XVIII.

RegelmaBigkeit zu gebrauchen, woduïcli sie für die geistige Auffassung sofort als Individuen kenntlicli gemacht sind. Dasnbsp;grobe Heer der übrigen Himmelslichter erhielt natürlich auchnbsp;seine bestimmte gemeinsame Bezeichnung, die also bei demnbsp;Mangel individueller Unterschiede ganz generell gehalten ist.nbsp;Dab diese Individualisierungen innerhalb verschiedner Spracb-genossenschaften verschieden ausfallen, ist natürlich. Dasnbsp;Himmelslicbt im allgemeinern Sinne linden wir bezeichnet imnbsp;Griecbisclien als d-OréQ-g, im Lateinischen als stell-a, imnbsp;Deutscben als Ster-w usw., und aus der Masse dieser Ge-stir-nenbsp;hebt sich als einzigartiges Individuum heraus das Tagesgestirn,nbsp;für das sich innerhalb der griechischen Einzelsprache als indi-viduelle Form {a)'PlX-iog, innerhalb des Lateinischen sol, innerhalb des Deutschen Sonn-e usw. festgesetzt hat; für das grobenbsp;Gestirn der Nacht sehn wir im Griechischen noch zwei Bezeich-nnngen nebeneinander, GeX--^vï] und von denen aber die erstenbsp;die andre immer mehr zurückdrangt, wahrend im Germanischennbsp;dieser zweite Wurzeltypus die unbestrittne Herrschaft hat. Danbsp;die Bezeichnung Stern zugleich eine Vorstellung genereller undnbsp;individueller Art enthalt oder, wie man gewöhnlich zu sagennbsp;pflegt, im weitern und im engern Sinne gebraucht wird, sonbsp;können uns Bildungen wie das mhd. sunnen-sterre u. a. nichtnbsp;befremden, im Gegenteil, wir sehn darin generelles und indivi-duelles Prinzip in willkommenster Weise vereinigt. Auch unsernbsp;schein-en (got. sTcein-an) ist ein Typus derselben Wurzel selnbsp;‘glanzen (vgl. Kap. XIX), sodab wir in einem Satze wie ‘dienbsp;Sonn-e schein-f von dem Subjekt im Grunde nichts Neues aus-sagen, sondern nur das eine, was sein Wesen ausmacht, d. h.nbsp;also ‘die Sonne istin WirklichkeitlSonne = sie ist da.nbsp;Eine ‘nicht scheinende Sonnê gibt es nur für den reflektierendennbsp;Menschen. Noch ein andrer Lichtschein, den wir zuweilen amnbsp;Himmel wahrnehmen, hat seine individuelle Bezeichnung innerhalb der Wurzel sel erhalten als griech. öxsq-on-iq und èarq-afr-T], derselbe, den mit einer ganz andern Wurzelform dasnbsp;Lateinische als ivlg-ur und das Germanische als mhd. blic-^ gt;nbsp;blitz individualisiert hat.

Sehr anschaulich labt sich die Individualisierung derFormen

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Die psychische Seito der Sprachschöpfung.

an den Verwandtschaftsbezeichnungen beobachten, deren genereller Begriff uns als quot;verwandt, veriunden unmittelbarnbsp;einleuchtet. So hat das deutsche Gatt-e (mlid. gat-e) noch immernbsp;etwas Generelles behalten, sodaB auch das tagliche Unter-scheidungsbedürfnis die sekundare Spaltung in der Qatte und dienbsp;Gattin herbeiführen muBte, so ist ferner auch in dem derselbennbsp;Wurzel (vgl. z.B. daslat. lig-are^verbindenquot;, ju^g-ere^vereinigennbsp;u. a.) angehörenden lat. coM-jug-s die Individualisierung nochnbsp;nicht im strengsten Sinne durchgefiihrt, da es sowohl den mann-lichen wie den weiblichen Teil des Ehebundes bezeichnen kann,nbsp;und deutlich sehn wir die Entwicklung vom Generellen zumnbsp;Individuellen vor uns bei einem Worte wie dem griech. y«(i-l3-QÓg, das noch in ganz allgem einer Weise jeden durch Ver-heiratung Verwandten bezeichnen und so zugleich Schmeger-sohn und Schwiegervater, Schwager und Brautigam bedeuten

kann, im besondern aber mehr und mehr auf die individuelle


Bedeutung 'Schwiegersohn eingeengt wird, wahrend wir das griech. yaX-ag in völlig abgeschloBner Individualisierung alsnbsp;alleinige Bezeichnung der ‘Schwdgerin vorfinden. DaB dennbsp;Formen yag-^-QÓg und ydl-ojg an sich nicht im geringsten etwasnbsp;von den Begriffen des mannlichen und des weiblichen Verwandten anhaftet, versteht sich von selbst, genau so wenig wienbsp;z. B. unsern Bezeichnungen Bruder und Sekwester, und wennnbsp;wir hier den urspriinglichern Begriff wieder durchftihlen wollen,nbsp;so brauchen wir uns nur an die Kollektivbezeichnung da^ ge-swis-ter, wie es im Mittelhochdeutschen hieB, oder die Oe-schwister, wie wir jetzt sagen, zu erinnern, viomit Schwesternnbsp;und Bruder bezeichnet werden.

Auf dem Wege dieses Individualisierungsprozesses finden nun alle die Erscheinungen ihre natürliche Erklarung, die unsnbsp;sonst so oft befremdet haben. 'Wenn wir z. B. das griech.nbsp;öTTiX-rj zugleich in den Bedeutungen Saule und Klippe antreffen,nbsp;so erkennen wir jetzt sofort die generelle Verbindung dieser beidennbsp;Bezeichnungen in dem Begriffe quot;hoek, sick erkeben’ und sehn,nbsp;daB hier die Individualisierung noch nicht bis zum Ende durchgefiihrt ist. Die Praxis freilich gleicht einen solchen Mangelnbsp;an Bestimmtheit in der Weise aus, daB sie das Wort doch über-

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Kapitel XVIII.

wiegend in der einen Bedeutung, in unsenn Fall als Saule anwendet, wogegen die andre als selten erscheinen muB. Ebensonbsp;stelit es mit dem lat. man-ws, das zugleicli Hand und Schar be-deuten kann, hier also im Gegensatz zu dem eben genanntennbsp;Beispiel zwei auf den ersten Bliek so weit anseinanderstehendenbsp;Begriffe, daB man geneigt sein könnte, zwei verschiedne Wurzelnnbsp;anzunehmen, und doch haben wir es tatsachlich nur mit einernbsp;zu tun. Sobald wir namlich das Wort Schar in seinem Verlialtnisnbsp;zu scher-en = trennen, teilen auffassen und zugleieb den Begriffnbsp;Hand aus seiner individuellen Bestiramtheit zu der allgemeinernnbsp;Bezeichnung Olied, Körperteil zurückführen, so haben wir dienbsp;Verbindung der Begriffe hergestellt, die also unter dem höhern Begriff teilen, Teil generell zusammenfallen. Unter keinen Um-standen aber darf man die individuellen Begriffe direkt unternbsp;sich verbinden, das führt und muB führen zu den gröBten Ab-surditaten, die eine ernste Auffassung geradezu beleidigen müssen.nbsp;Man-us also bedeutet nichts als Teil, und zwar in zweifacbernbsp;Riebtung: einmal den ganz bestimmten Körperteil, genau wienbsp;das mit ihm ganz identisclie deutsebe Arm — man halte beidenbsp;z. B. mit dem griech_ fiéQ-og^TeU’ u. a. zusammen —, und dannnbsp;einen Teil, eine Ahteilung von Menschen u. dgl. Die innerenbsp;Wahrheit dieser Individualisierungen des generellen Begriffesnbsp;offenbart sich auch immer wieder in der sekundar eintretendennbsp;rücklaufigen Beweguug, mit der die Individuen als sinnlicherenbsp;Vorstellungen wieder für das Genus des Begriffes eintreten: sonbsp;kann das Wort Arm wieder zu einer sinnlich-konkreten Bezeichnung seiner ursprünglichen allgemeinen Bedeutung Teilnbsp;werden, und wir reden z. B. von den Armen, in die sich einnbsp;Strom teilt u. a. Genau so steht es mit dem Individuum Knie,nbsp;das wieder ganz seinen ursprünglichen generellen Begriffnbsp;Biegung, Krümmung, Winhel bezeichnen kann, indemnbsp;wir z. B. sagen: die Strafte macht dort ein Knie u. a. Niemand kann sein Wesen auf die Dauer verleugnen!

War in den eben erörterten Erscheinungen ein Wurzeltypus noch nicht streng individualisiert worden, so kann andrerseitsnbsp;auch der Fall eintreten, daB ein und derselbe Wurzeltypus innbsp;verschiednen Sprachgemeinschaften verschieden individualisiert

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Die psychische Seite der Spraohschöpi'ung'.

wird, daB also dasselbe Wort hier und dort verschiedne Be-deutungen haben kann, die aber natürlich generell miteinander verbunden sein müssen. So bezeichnet das lat. pull-ws, das mitnbsp;dein lat. par-io {erzeugen, gebaren) zu einer Wurzel gehort, ur-sprünglich jedes Junge, das Junge eines Fferdes und Esels sonbsp;gut wie das eines Vogels^ Frosches usw.: im Lateinischen wurdenbsp;das Wort dann im besondern s\s junges Huhn individualisiertnbsp;— deshalb im Französischen poul-e quot;das Huhn' —, wabrend esnbsp;im deutscben Füll-en oder Fohl-en (got. ful-a) fast zur ausscbliefi-lichen Bezeichnung desjungen Fferdes geworden ist. Die Wurzelnbsp;unsers deutschen Wortes Eich-e (nd. eh-è) ferner kann, wie wirnbsp;aus dem Wesen der Sprache wissen, nicht die geringste indi-viduelle Bestimmung enthalten, und derselbe Wurzeltypus, dennbsp;wir hier zur individuellen Bezeichnung dieses einen, ganz be-stimmten Baumes verwandt finden, kann innerhalb einer andernnbsp;Sprachgemeinschaft natürlich einen andern Baum hezeichnennbsp;und ebcnso auch den Begriff des Baumes schlechthin. Beidesnbsp;ist auch tatsachlich eingetreten: im Islandischen lieiBt eiknbsp;ganz allgemein der Baum, und im Griechischen ist derselbenbsp;ïypus in al'y-eigog als Schwarzpappel individualisiert worden.nbsp;Man hat sich, um an dieses Beispiel sofort ein gleichartigesnbsp;anzuschlieBen, darüber gewundert und zum Teil seltsame Er-klarungsgründe dafür angeführt, daB das jonische lt;p7iy-ógnbsp;in Übereinstimmung mit dem lateinischen fag-ws und dem alt-hochdeutschen huohh-a den eben durch die letzte Form bei nnsnbsp;als Buche benannten Baum bezeichne, wahrend im dorischennbsp;Dialekt dasselbe Wort (pay-óg den Baum bedeute, den der Germane mit dem Worte Fiche bezeichnet. Für uns ist die Sach-lage vollkommen klar, indem eben im Dorischen das Wort, dasnbsp;an und für sich jeden Baum ohne Unterschied hezeichnen kann,nbsp;anders individualisiert worden ist als im Jonischen und in dennbsp;übrigen Sprachgenossenschaften. Einen ganz ahnhchen Wurzel-typus finden wir zur Bezeichnung des Baumes im allgemeinennbsp;Sinne verwandt, namlich im got. bag-m-s gt; mhd. boum: imnbsp;Grunde sind also maer Buche und unaer Baum ganz dasselbe Wort.nbsp;Auf diesera Wege erklart sich in derselben einfachen Weisenbsp;auch die Erscheinung, die so oft der Gegenstand verwunderter

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Kapitel XVIII.

Fragen ist, wie es namlich gekommen sei, daB ganz dasselbe Wort im Lateinischen den Fuchs und im Deutschen den Wolfnbsp;bezeichne, eine Beziehnng, die sich wegen der fast völligennbsp;auBern Ubereinstimmung des lateinischen vulp-es und des gotischennbsp;wulf-s nebst dem niederdeutschen witlp-e geradezu aufdrangt.nbsp;Die Antwort ist natüriich immer wieder dieselbe: das Wortnbsp;kann an sich ursprünglich nichts andres als ganz allgemeinnbsp;das wilde Tier bedeuten, im Lateinischen ist es auf dieses, imnbsp;Germanischen auf jenes wilde Tier individualisiert worden. Imnbsp;Aufsteigen aus dem Besondern zum Allgemeinen lösen sich alsonbsp;alle diese Ratsel der Sprache, und gerade im letzten Falie muBnbsp;uns dieses Aufsteigen noch besonders leicht fallen, da unsrenbsp;Sprache hier den alle Individuen umfassenden generellen Be-griff in der Bezeichnung das Wild bis auf den heutigen Tagnbsp;erhalten hat, wahrend sein Gegenstück mm = alle zahmennbsp;Tiere im Übergange vom Mittel- zum Neuhochdeutschen unter-gegangen ist. Eine ahnliche generelle Begriffsbezeichnung istnbsp;u. a. das Nap und ferner auch Ausdrücke wie Jung und Alt,nbsp;Arm und Reich, Hoch und Niedrig usw.

In dem MaBe, als sich für den Menschen das Bedürfnis der Individualisierung geltend machte oder fehlte, benutzte undnbsp;erhielt er die Vielheit der vorhandnen Wurzelformen oder lieBnbsp;sie unbenutzt und damit untergehn, und es ist verhaltnismaBignbsp;selten, daB er zwei oder gar mehrere Formen ohne den Zwecknbsp;einer individuellen Begriffsunterscheidung dauernd erhalt. Warenbsp;freilich das gesamte auBere wie geistige Leben des Menschennbsp;in der Vorzeit schon so entwickelt, so erweitert und vertieft, sonbsp;verastelt und verzweigt gewesen, wie es seitdem immer mehrnbsp;geworden ist, so würden uns iufolge des weit gröfiern ünter-scheidungsbedürfnisses auch noch weit mehr Wurzeltypen erhalten sein, als es jetzt der Fall ist. Da aber dieser Eeichtumnbsp;der Formen für das Vorstellungsvermögen des naiven Menschennbsp;zu groB war, als daB er von ihm entsprechend batte benutztnbsp;und damit erhalten werden können, und so unwiederbringlichnbsp;verloren gegangen ist, so benutzt der Mensch in der Folge dienbsp;in der sekundaren Entwicklung der Sprache neu entstehendennbsp;Differenzierungen dazu, seinen reichern und feinern Vorstellungen

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Die psychische Seite der Sprachschöpfung.

in den Ausdrucksmitteln der Sprache gerecht zu werden, er macht einen intensivern Gebrauch von den vorhandnen Sprach-formen. Hier ist an erster Stelle die Verwendnng- desnbsp;Stamm elements zur Begriff sdif ferenzierun g zu nennen,nbsp;wobei man sich an Falie erinnere wie die lateinischen Wörternbsp;col-umen ‘Pfeiler und col-umna ‘Saule oder pee-ud-s ‘Stücknbsp;VieK und pec-us ‘das Vieh als Kollehtwhegriff’ u. v. a. Abernbsp;auch jede andre sich ausbildende Formendifferenzierung wirdnbsp;dem Bedürfnis entsprechend alsbald in den Dienst einer Begriffs-individualisierung gestellt. Es vollzog sich z. B. die formellenbsp;Spaltung von Oieh-el und Gipf-el, die Formen wurden eine Zeitnbsp;lang unterschiedslos nebeneinander gebraucht, aber dann begannnbsp;der IndividualisierungsprozeB, dessen Ergebnis wir kennen: dienbsp;Form Gieb-el wurde auf den obersten Teil eines Hauses, dienbsp;Form Oipf-el auf den obersten Teil eines Berges individualisiert.nbsp;So sind alle die Tausende von sekundaren Individualisierungennbsp;entstanden wienbsp;nbsp;nbsp;nbsp;und ^a/iGew, wie der und die See,

wie wand-ern und wand-eln usw.

lm Aufsteigen zum Generellen haben wir also den Weg zum Verstandnis und zur Erklarung samtlicher Individuennbsp;der Sprache, darin besteht die ganze Etymologie. Ein höchstnbsp;einfacher Weg also, und doch — das Gehn auf ihm will ge-lernt, will geübt sein, zumal im Anfang. Es kommt darauf an,nbsp;die umgrenzte Enge des individuellen Begriffes zu verlassen,

sich vollstandig aus ihr hinauszufinden und dafür die Weite


des generellen Begriffes zu gewinnen. Gerade dies aber bedeutet zunachst eine gewaltige Anforderung an das Denk- und Vor-stellungsvermögen des Menschen. Alle besondern, individuellennbsp;Bestimmungen, die eine lange, lange Tradition in das einzelnenbsp;Wortgebilde hineingelegt hat, und die auch der einzelne Menschnbsp;von Jugend auf wie selbstverstandlich damit verbindet, soil ernbsp;wieder wegdenken, sie, die er sich mit der Zeit geradezu kausalnbsp;zu denken gewöhnt hat — das ist zunachst unstreitig keinenbsp;geringe Forderung, gegen die sich der engere Sinn des Menschennbsp;straubt. Und doch muB er sich zu dieser rücklaufigen Ge-dankenbewegung verstebn, da ihn die Erkenntnis der Tatsachennbsp;mit Notwendigkeit dazu zwingt, und je defer diese geht, um

Meyer, Die Schopfan^ der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;14

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Kapitel XVIII.

SO leichter wird es ihm fallen. Was die Geschlechter vor uns im Eahmen des generellen Begriffes an individuellem Vor-stellungsinhalt in das einzelne Wort hineingedacht haben, undnbsp;wovon wir uns als historische Menschen nie 'gewaltsam trennennbsp;können, das mussen wir wieder wegdenken, um — zur Klarheitnbsp;zu gelangen: das Begriffsindividuum mu6 wieder aufgehn innbsp;dem Genus, daraus es geboren ist. Je sinnlicher, konkreternbsp;aber dieser generelle Begriff ist, um so leichter und sicherernbsp;müssen wir von den einzelnen Individuen zu ihm aufsteigennbsp;können. Von den individuellen Begriff en Vogel und Fliege ge-langten wir unmittelbar und leicht zu dem sie beide umfassendennbsp;Begriffe fiiegen. Ein ebenso konkreter genereller Begriff abernbsp;ist fiiefien, aus dem also alle die Individuen geboren sind, dienbsp;wir Afliepen’ sehn; den beiden groBen Gemeinschaften 'was danbsp;Icreucht und jfleucht’ können wir also als dritte 'alles ^ was danbsp;fieupP hinzufügen, und das ist das flieBende Wasser selbst wienbsp;alles, was auf und in ihm flieBt. Die Tiere, die im Wassernbsp;schwimmen oder 'fliepen \, wie man noch im Mittelhochdeutschennbsp;sagen konnte (vgl. Walter von der Vogelweide: ich sach dienbsp;fische flie^en), und die leblosen Gegenstande, die auf seinernbsp;Oberflache dem Auge erscheinen, sie sind in der generellen Spharenbsp;der Sprache ganz gleich, was uns die nahe aufiere Verwandt-schaft ihrer individuellen Bezeichnungen z. B. als Fisch (got. fish-s,nbsp;lat. pisc-is) und Schiff (nd. scepl) noch besonders eindringlichnbsp;zum BewuBtsein führen kann. Bezeichnete doch so auch dasnbsp;Wort flo^ ursprünglich alles, was auf der Oberflache des Wassersnbsp;schwamm, es mochte noch so verschieden sein, und wie ungernnbsp;wird sich der Mensch des Augenblicks, der mit dem Wortenbsp;FlofS nur den heutigen individuellen Begriff zu verbinden festnbsp;gewöhnt ist, aus dieser Bestimmtheit in jene generelle Unbe-stimmtheit verweisen lassen, die für ihn zunachst etwas geradezunbsp;Willkürliches haben muB! Wie der Vogel ein 'fliegendes\ sonbsp;ist das Schiff ein 'fliefendes Individuum : wie jener deshalbnbsp;flügg-e, d. h. erst wirklich zum Vogel wird, so wird dieses flott,nbsp;d. h. erst wieder ein wirkliches Schiff, und so nimmt auch dienbsp;Kollektivbezeichnung der Flott-e das Individuum Schiff in natür-licher Selbstverstandlichkeit wieder in sich auf. Im Generellen

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Die psychische Seite der Sprachschöpfung-.

finden sich auch die auCerlich meist so ganz verschiednen Be-griffe zusammen, die zueinander im Verhaltnis vom Aktivum zuni Passivum, von ürsache und Wirkung u. dgl. stehn, wie Vaternbsp;und Kind (griech. ^jia-rriQ : Jta-iö-g, rox-sijg : réx-vov), wienbsp;Hammer und Amhofi (ahd. ham-ar : griech. ax[i-iov) usw., vonnbsp;denen die letzten beiden Wörter Individualisierungen der Wurzelnbsp;Icel ‘schlagen sind, das Schlagende = der Schlagel und das Oe-schlagne, und kein Wunder darum, da6 sie in ihrer indivi-duellen Anschaulichkeit haufig wieder ganz zur plastischennbsp;Kennzeiclinung des direkten Verhaltnisses zwischen aktiver Tatig-keit und passivem Leiden eintreten, wie z. B. in dem bekanntennbsp;Goethiscben Gedichte, wo die aufgefübrten Gegensatze ihrennbsp;wirkungsvollsten AbscbluB finden mit dem Bilde \du mujSt)nbsp;Amhofi oder Hammer seiri.

So vereinigen sich beim Aiifsteigen in die Sphare des Generellen, wo alle individuellen Besonderheiten abgestreift sind,nbsp;sogar die Individuen, deren Verbindung dem nur nach speziellennbsp;. Merkmalen denkenden Menschen nie in den Sinn kommennbsp;könnte. Aber gerade dieses Generelle, wissen wir, ist das psychische Lebensprinzip der Sprache und darum für alle Fragennbsp;der Etymologie das oberste Gesetz. Vor seinem Tribunal hatnbsp;alles seine absolute Entscheidung zu suchen, es ist der natür-liche Endpunkt für die Sprachforschung. Einen besondern Reiznbsp;gewabrt es nun, im Lichte unsrer Ergebnisse über das physischenbsp;und das psychische Leben der Sprache, sie in der Verbindung ihrernbsp;Individuen zu beobachten. Uberall findet sich das organischnbsp;Zusammengehörige auch von selbst wieder zusammen, und wirnbsp;begegnen namentlich bei Dichtern den sich entsprechendennbsp;Sprachindividuen meist dicht nebeneinander, wobei uns zuweilennbsp;aus dieser dichterischen Verbindung wesensverwandter Individuennbsp;eine tiefe Symbolik hervortritt.

Wir stehn am Ende unsrer Betrachtungen' über das psychische Leben' der Sprache. Die Wurzel in ihrer generellen, die einzelnen Wurzelformen in ihrer individuellen Begriffsbe-zeichnung — das war das Thema von Anfang bis zu Ende.

Wir haben diesen an sich so ungeheuer einfachen Gedanken nach seinen bemerkenswertesten Seiten hin ausgeführt und

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Kapitel XVIII.

können damit unsre Aufgabe als erfüllt anselien. Wir wollen jedoch von dieser Höhe unsrer Erörterungeu, zu der uns unsernbsp;Weg in dem vorigen und in diesem Kapitel hinangeftihrt liat,nbsp;nicht hinabsteigen, ohne uns noch einmal die Summe unsrernbsp;Erkenntnisse in zusammengedrangter Weise an einem plastischennbsp;Beispiel zu vergegenwartigen, und zwar am Schlusse mit dernbsp;gebietenden Sicherheit der — Deduktion. Ich meine die FluB-namen, bei denen das gröBte Individualisierungsbedürfnis fürnbsp;die Sprache, d. h. für den in den Formen der Sprache denkennbsp;den und sich ausdrückenden Menschen vorlag, und die darumnbsp;das beste, das klassische Beispiel für die Veranschaulichungnbsp;unsrer nunmehr errungnen Erkenntnis sind. Von unserm aufnbsp;induktivem Wege gewonnenen Standpunkte deduzieren wir: dennbsp;Bezeichnungen aller Flüsse liegen Wurzeln mit dem generellennbsp;Bedeutungsinhalte 'fliepen zugrunde, die Namen der Flüssenbsp;bedeuten also ibrer Natur nach nichts andres, als was diese sind,nbsp;namlich FluB; und da sich hier ein Individualisierungsbedürfnisnbsp;geltend machte wie in keinem andern Falie, so finden wir auchnbsp;hier den von der Natur gesóliaffnen Formenreichturn dernbsp;Wurzeln im gröBten MaBe praktisch verwandt. Indem wir z. B.nbsp;die Wurzel ser ‘fliefien ^ die in ihren verschiedensten ï'ormennbsp;sehr vielen FluBnamen Europas und Asiens, des Gebietes dernbsp;indogermanischen Völker, zugrunde liegt, herausgreifen, wollennbsp;wir, dem praktischen Bedürfnis der Übersichtlichkeit folgend,nbsp;den ungeheuern, geradezu unerschöpflichen Gestaltenreichtnmnbsp;dieser Wurzel einmal nur nach drei Richtungen überschauennbsp;als 1. ser, 2. /er, 3. mer und uer, und zwar such en wir diesenbsp;Wurzelformen zuerst nochraals in den Wortgebilden auf, dienbsp;uns als Appellativa entgegentreten, indem wir diese gleichsamnbsp;als nochmalige Legitimation an die Spitze jeder Gruppe stellen,nbsp;und begeben uns dann auf das Gebiet der Eigennamen, die allenbsp;ebenfalls ursprünglich Appellativa waren und mit der Zeit imnbsp;strengsten Sinne des Wortes individualisiert worden sind. 1stnbsp;unsre Sache richtig, dann müssen nur hier alle die mannigfaltigennbsp;Typen vertreten finden, in denen nach unsern Gesetzen die Wurzelnbsp;ser erscheinen kann, und das ist natürlich auch wirklich der Fall,nbsp;wie die folgende keineswegs erschöpfende Übersicht zeigen mag;

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Die psychische Seite der Sprachschöpfung.


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1. ser.

ai. sar-^^ (Flufi), lat. aal-um {Meer, See), ai. sav-ara (T-Fasser), got. saiw-s {See, Meer), nhd. xiea-eln, lett. las-enbsp;{Tropfen) usw. usw.

Saar und Saal-e werden es wohl vor allen andern FluBnamen sein, die sofort jedem mit unmittelbarer Deutlichkeit als indivi-dnalisierte Typen des generellen Begriffs entgegentreten undnbsp;laut verkünden, daB sie nichts bedeuten, als was ibre Gegen-stande sind: Flüsse-, und zugleicb klart sicb uns damit in ein-fachster, natürlichster Weise die Tatsache auf, daB zwei odernbsp;gar mehrere Flüssé denselben Namen führen können: die Indi-vidualisierung bat sicb dann in gleicher Weise vollzogen, und


ein Unterscheidungsbedürfnis, das diesen Vorgang beeinfluBt


batte, bat sicb ursprünglicb nicbt geltend gemacbt. So ist es gekommen, daB sowobl der bekannte NebenfluB der Elbe wienbsp;der weniger bekannte NebenfluB des Mains denselben Namennbsp;tragt; den Anwobnern beider Flüsse war und ist ibr FluB dienbsp;Saale^der Fluf). Tritt nachtraglich einünterscbeidungsbedürfnis


ein, so kann diesem natürlich nur von auBen, also auf un-


Genüge verschafft werden.


organischem, künstlichem Wege namlich durcb einen auf Eeflexion beruhenden Zusatz: der ge-lehrte Kenner beider Flüsse unterscheidet sie in die Scichsischenbsp;und die FranMsche Saaie. Der Versuchung, die beiden Individuen ihres gleichen Namens wegen etwa auf auBerm historischennbsp;Wege in direkten Zusammenhang zu bringen, wird hoffentlicbnbsp;niemand mebr erliegen: durcb die Natur, durcb ibr Wesen,nbsp;durcb das Genus des Begriffs sind sie verbunden, und diesernbsp;innern, zwingenden Notwendigkeit gegenüber ist die Gleich-maBigkeit des auBern Ganges der Individualisierung geradezu


als Zufall zu bezeichnen. Aufier diesen beiden Saaien gibt es auch nocb manche andre, so z. B. die Saal-e, die zwischen Ithnbsp;und Hils entspringt und gleich hinter dem Stadtchen Elze innbsp;die Leine mündet, und wie wir im Alpengebiet als NebenfluBnbsp;der Salz-ach eine Saal-ac/i (daran Saal-felden) finden, so innbsp;Livland die Sal-is mit der gleichnamigen Stadt an ihrer Mündungnbsp;in den Rigaer Meerbusen. Zn Saar (daran zwei Saar-burgs, fernernbsp;Saar-alben, Saar-brüchen und Saar-gemünd) und Saal-e (an


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Kapitcl XVIII.

der Sachsischen Saaie Saal-hurg und Saal-feld) aber gesellt sich für uns die schweizerische Saan-e (daran Saan-en) und der groBenbsp;N?benfluB der obern Weichsel, der San, wie der kleine Nebeu-fluB der Save, die Sann, wie die durch die üna ebenfalls innbsp;die Save flieüende San-a, und zu Saar, Saal-e, Saan-e habennbsp;wir den entsprechenden vierten Typus, allerdings in umgekebrternbsp;Lagerung, in der Maas vor uns, der sich sofort die Mos-el an-reibt {Mos-a und Mos-ella) und weiterhin die in Böhmen flieBendenbsp;Mies (daran das Stadteken Mies) u. a. lm nördlichen Deutschland begegnet uns die Wes-er, und tief im Süden, in Kampanien,nbsp;treffen wir ganz denselben FluBnamen als Ves-ens wieder, imnbsp;Osten haben wir die Vis-Za oder Vis-cla gt; Weichsel und amnbsp;Oberrhein die von Hebei besungne Wies-e, das FlüBchen seinernbsp;Heimat, wie in Franken die Wies-en#; im Südosten haben wirnbsp;ferner als NebenfluB der Donau die Sav-e, in Italien die Siev-e,nbsp;einen NebenfluB des Arno, im schweizerischen Kanton Schwyznbsp;flieBt die Seew-ern, in England der Sev-em, und im Westennbsp;Frankreichs sehn wir nahe beieinander zwei kleinere Flüssenbsp;zum Meere eilen, die beide den Namen Sèv-re tragen undnbsp;der Gegend die Bezeichnung als Département Deux-Sèvresnbsp;verschafft haben. In Italien haben wir den Sil-ams, d. h. dennbsp;heutigen Sill-aro, in der Landschaft Troas den durch Homernbsp;so berühmten ^ig-ósig, in Süditalien das FlüBchen Sel-e, das innbsp;den Golf von Salerno mündet, und in Norditalien nicht weit vonnbsp;Venedig den Sil-e, in der Schweiz begegnet uns nahe bei dernbsp;Saan-e die Simm-e (daran Zwei-simmen) und bei Zürich dienbsp;Sihl, in Deutschland als NebenfluB der Nahe die Simm-er (daraunbsp;Simmern), und mit der Saal-e sehn wir an derselben Stelle, beinbsp;Gemünden, die Sinn in den Main flieBen, wahrend der Inn einenbsp;Sill als ZufluB in sich aufnimmt. Als NebenfluB der Mosel undnbsp;ebenso in Karnten haben wir eine Lies-er und ferner innbsp;Niederösterreich eine Lies-iw^, der Saar gegenüber mündetnbsp;in die Mosel die Sauer, die luxemburgisch-französische Sur-enbsp;(vgl. mhd. mür-e gt; nhd. Mauerl), eine andre Sauer flieBt beinbsp;Worth vorbei in den Rhein und wieder eine andre östlich vonnbsp;Lorch in die Wisper. Im alten Thrakien finden wir den FluBnbsp;\éaa-og und im heutigen Thüringen die Ness-e, dazu in Belgien

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Die psychische Seite der Spraohschöpfuiig.

als NebeiiiluB der Maas die Less-e und dreimal in Deutschland die NeiCs-e, die Glatzer Neifie (daran auch die StadtiVei/3e}, die Görlitzernbsp;Neifóe und die Wütende Neifle. In Italien begegnet uns der Ser-io,nbsp;in EuBland als Nebenflub der Donau und des Dnjestr, also zweimal der Ser-ei/i und in Frankreich als NebenfluB der Oise dienbsp;Serr-e. Den Typus ses finden wir vertreten in der am Süd-westabhang des ïïarzes an Osterode vorüberfliebenden Sös-e, innbsp;der schweizerischen Sus-e, die in den Bieler See mündet, undnbsp;in der italienischen Ses-ia, dem Nebenflusse des Po. In Westfalen treffen wir das FlüBchen Els-e, das an Melle und Blindenbsp;vorüberfliebt, und auf einem ganz andern Fleck Erde, im nörd-liclien Italien, begegnet uns ganz derselbe Name wieder alsnbsp;Els-a bei einem Nebenflusse des Arno, und auch sonst treffennbsp;wir denselben FluBnamen Els-e in Deutschland noch mehrfach,nbsp;so u. a. bei einem NebenfluB der Hase wie bei einem Neben-fluB der Hunte. Ihnen gesellt sich zu die Ils-e als Bezeichnungnbsp;zahlreicher FlüBchen in Nieder- und Mitteldeutschland, unternbsp;denen am bekanntesten die auf dem Broeken entspringende,nbsp;sagenumwobne lls-e ist (daran llse-hurg), ferner die Ers-e, einnbsp;NebenfluB der bei Peine in Hannover vorüberflieBenden Fuse,nbsp;und ein ganz charakteristisches Beispiel bietet uns das Quell-gebiet der Oder und derWeichsel: nahe beieinander ontspringennbsp;hier am Nordabhang der Beskiden zwei kleine Flüsse, vonnbsp;denen sich der eine als Sol-a in den Oberlauf der Weichsel,nbsp;der andre als Ols-a in den Oberlauf der Oder ergieBt — dernbsp;Parallelismus ihrer Namen macht bei der fast parallelen Ricb-tung ihres Laufes auf den Beschauer der Karte einen besondersnbsp;wirksamen Eindruck —, und nicht allzuweit davon entferntnbsp;finden wir einen driften, korrespondierenden Typus in dernbsp;Osl-awa, einem Nebenflusse der mahrischen Iglawa. Dazu gesellen sich die Loss-a, ein NebenfluB der Unstrut, wie die Loss-e,nbsp;ein NebenfluB der Fulda bei Kassei, und die Joss-a in Hessennbsp;u. a.; auch der in den Dnjepr flieBende Eofs steht nicht allzu-fern, und mit ihm tritt wieder die schweizerische ReuCs für unsnbsp;zusammen. Wieder einen andern Typus der Wurzel ser habennbsp;wir in dem Namen des Flusses Sieg vor uns (daran Sieg-ennbsp;und Sieg-hurg)^ und da es zufallig derselbe Typus ist, den wir

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Kapitel XVII [.

in iinsem Verben ver-sieg-en und sick-ern antreffen, so kann bier jedem die Bedeutung des FluBnamens 8ieg, eben als Flufi,nbsp;wieder unmittelbar zum BewuBtsein kommen; den umgelagertennbsp;Typus haben wir in der bei Hersfeld in die Fulda flieBendennbsp;Geis. Neben der Sieg aber haben wir die Sied-e (daran Sieden-burg), die nördlich von Biickeburg in die Aue und durch sienbsp;znr Weser flieBt, und die bei Andreasberg im Harz entspringendenbsp;Sieb-er (daran die Ortschaft Sieber), und umgelagert erscheintnbsp;dieser Typus in dem Namen der in der Altmark flieBendennbsp;Bies-e. Auch die Gos-e, das FliiBchen, das der Stadt Gos-larnbsp;den Namen gegeben hat, und manche andre waren hier nochnbsp;zu nennen, doch — lassen wir auch die Typen der zweiten Rich-tung zu ihrem Rechte kommen.

2. fer.

griech. (pXé-u) {fliefien lassen, überfliefjen), griech. vélt;p-oj {benetzen), lat. fon-t-s [Quelle), griech. ¦d-dX-aTta [Meer),nbsp;ai. dhar-S [hervorquellende Fliissigkeit, Strom, Gufi,nbsp;Tropfen), ags. lag-M [Meer), got. lig-n [Reg-en) usw. usw.nbsp;Am unmittelbarsten tritt uns diese Typenrichtung wohl aufnbsp;griechischem Boden in dem FluBnamen MXtp-sióg (ygl. Ilgv-siög) entgegen, der uns auBer von einem arkadisohen Flussenbsp;vor allem wohlbekannt ist von dem Flusse in Elis, an dem dasnbsp;beriihmte Olympia lag: er lautet auch heute als Alf-eo fastnbsp;noch ganz so wie ehedem. Genau denselben Namen tragt aufnbsp;deutschem Sprachgebiet ein NebenfluB der Saar, die Alb-e (annbsp;ihrer Miindung Saar-alben), ebenso zwei FliiBchen Alb, vonnbsp;denen das eine bei St. Blasien voriiberflieBt und oberhalbnbsp;Sackingen, das andre im nördlichen Baden (daran das SchloBnbsp;Herren-alb) in den Rhein miindet, sowie ferner ein NebenfluBnbsp;der Mosel, die Alf; und dies ist auch der Typus, der uns innbsp;unsrer Elb-e entgegentritt. Ja wir sind hier einmal in der will-kommnen Lage, noch besser fast als bei dem eben angefiihrtennbsp;Namen Sieg in seinem Verhaltnis zu ver-sieg-en, die bis zumnbsp;Eigennamen streng individualisierte Wurzelform wieder ganz innbsp;ihrem urspriinglichen appellativen Sinne durchzufiihlen: imnbsp;Schwedischen tritt uns derselbe Typus als elf (wegen des

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Die psychische Seite der Sprachschöpfung.

spirantischen Auslauts vergleiche man nd. wii : obd. wlt;p ' T^ei^’!) in der appellativen Bedeutung Flufi entgegen, und hier treffen

wir die Bezeichnung der Fliisse vielfach geradezu noch auf


appellativem Standpunkt an, sodaB zu der allgemeinen Bezeichnung elf‘Flup' noch eine individualisierende Unterscheidung von auBen in Form eines Zusatzes hinzutreten muB, so Dal Elf, Klarnbsp;Elf, Indals Elf usw., und in ahnlicher Weise schimmert dienbsp;appellative Bedeutung in pfalzischen FluBnamen mit Alb durch.nbsp;Statt der labialen Spirans, wie sie Elb-e zugrunde liegt, kannnbsp;natürlich auch die dentale stehn, sodaB wir auch Eld-e alsnbsp;FluBnamen müBten antreffen können, und in einer Weise, wienbsp;wir sie charakteristischer nicht wünschen können, finden wirnbsp;diese Möglichkeit als Wirklichkeit bestatigt vor: bei Dömitznbsp;mündet in die Elb-e die Eld-e. Beide Fliisse aber haben hin-sichtlich ihrer Namen ihre treffendsten Gegenbilder, der erstenbsp;in der ganz im östlichsten Winkel von Pommern flieBenden Leh-anbsp;(mit See und Stadt Leba) und der letzte in der ganz im Westen innbsp;die Ems mündenden Led-a (nahe bei ihrer Mündung die Stadt Leernbsp;lt; Leder{-lant), wie nd. weer = hd. wiederl), sodaB wir dasVerhalt-nis haben Elb-e:Leb-a= Eld-e: Led-a. Wie der Léb-a im Norden,nbsp;so begegnen wir der Léb-er (ElsaB) wie der Lab-er im Süden,nbsp;wozu wir bemerken wollen, daB auch die Elb-e bei den Tschechennbsp;Lah-e heifit, und mit der Lab-er mündet bei Regensburg in dienbsp;Donau die Naab, die ihrerseits ihr Gegenbild hat in der unter-halb Wien in die Donau mündenden B,aab (daran die Stadtnbsp;Baab). Wie in der Pfalz Alb, so wird in Bayern Naab auchnbsp;noch ganz appellativ als'F’/w/S’ gebraucht (dos is halt a Naablnbsp;u. a.). Zu Eaab haben wir ferner die Rab-u, die unterhalbnbsp;Krakau in die Weichsel mündet, als NebenfluB der Elbe im nörd-lichen Böhmen begegnet uns die Biel-a (daran das Bad Bilin), dienbsp;eine Namensgenossin hat au der in die Glatzer NeiBe mündendennbsp;Biel-a, -e, undinOst-wieWestpreuBen treffen wir mehr als einmal einnbsp;FlüBchen an, dasLieb-e heiBt. Als NebenfluB derWarte ist uns dienbsp;Obr-a bekannt, und mit spirantischem Laut begegnet uns die Erf-f,nbsp;die bei NeuB in den Ehein mündet, wie die bei Miltenberg innbsp;den Main flieBende Erf. Zu Led-a und Eld-e haben wir fernernbsp;die Adl -er, die bei Königgratz in die Elbe mündet, und als


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Kapitel XVni.

NebenfluB der Schwarzen Elster die Röd-er; neben der Wied, deni kleinen Nebenflusse des Rbeins (an der Mündung Neu-ivied),nbsp;begegnet uns als NebenfluB der Saar die Nied, neben der Wied-anbsp;(iniEIarz) und derWeid-a (.1 .NebenfluB der Oder unterhalb Breslaunbsp;und 2. NebenfluB der WeiBen Elster, daran Weida) die Nid-anbsp;als NebenfluB der obern Weichsel, und ganz denselben Namennbsp;treffen wir wieder ira boben Norden sowohl, wo die Nid-a beinbsp;Drontbeim ins Meer flieBt, wie mitten in Deutschland, wo Kidd-anbsp;(daran Nidda) und Nidd-er vom Vogelsberg herab dem Mainnbsp;zueilen. Wie wir ferner die Diem-e( als NebenfluB der W^esernbsp;antreffen, so im Westen bei Mecheln die Dem-er und im Ostennbsp;oberhalb Königsbergs die Deim-e, so die Dahm-e (daran Dahme)nbsp;als NebenfluB der Spree, und neben der Doss-e in der Mark,nbsp;die der Havel zuflieBt, finden wir die DoU-er im ElsaB alsnbsp;NebenfluB der 111, und die Dill, die vom Westerwald herab annbsp;Dillen-hurg vorbei, dem sie den Namen gegeben bat, der Lahnnbsp;zuflieBt. Und um endlich neben den Wurzeltypen mit h und dnbsp;die mit g nicht zu vergessen, weisen wir noch kurz bin auf dienbsp;Ger-a in Thüringen, die an Arnstadt und Erfurt vorbei der Un-strut zuflieBt, wie auf ibr direktes sprachliches Gegenbild, dienbsp;Reg-a in Pommern (daran Regenwalde), die uns ibrerseits sofortnbsp;wieder ganz nach dem Süden hinweist, wo der Reg-m beinbsp;Regensburg in die Donau mündet. Die individuelle Bezeicbnungnbsp;dieses Elusses deckt sich also ganz, im Wurzeltypus sowobl wienbsp;ini sekundaren Teil, mit dem über diese Abteilung gesetztennbsp;Appellativum Beg-en, mit dem sie im generellen, aber beileibenbsp;nicht im individuellen Sinne zusammenzustellen ist.

3. mer und ver.

lat. man-are {fliejien), lat. amn-is {Fluji), lat. mar-e = got. mar-ei ‘Me€r\ griecb. g,vQ-co {flieflen, triefen), griech.nbsp;vag-a {Flufl, Quell, Nafl), griech. vaQ-óg {fliefJendi),nbsp;griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{See, TeicJi, Sumpf-, Meer), an. van (Flufl),

ags. vser (ilfeer) usw. usw.

An erster Stelle sind als Vertreter dieser Typenrichtung zu nennen die Namen zweier der bedeutendsten Ströme unsersnbsp;V^aterlandes, Rhein und Main {Bhën-us — das h ist anorganisch.

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Die psychische Seite der Sprachschöpfuug.

Moen-us), von denen uns der letzte


vgl. mild. Bin — und


in


seinem direkten Anklang an das lat. man-are seine Bedeutuns:


quot;Flufj wieder unmittelbar fühlbar macben kann. Der groBe Rhein aber erinnert uns sofort an den kleinen, in der Marknbsp;flieBenden EMn (' Vom Rhein zum Rhin !), und wenden wir unsnbsp;nacli Italien, so finden wir aucb dort einen Ren-o, der in dernbsp;Nahe von Bologna vorüberflieBt und in das Adriatische Meernbsp;mündet. In Deutschland haben wir ferner die auf demnbsp;üntereichsfeld entspringende Rkum-e und als NebenfluB desnbsp;Rhein-s die Ruhr (nahe bei der Mündung Buhr-orf), der aufnbsp;der linken Seite des Rheins die Roer als NebenfluB der Maasnbsp;entspricht (an der Mündung Boer-mond). Neben dem Main abernbsp;begegnen wir als einem Nebenflusse der Ruhr der Möhn-enbsp;wie der Mohr-a im Mahrischen Gesenke, die von der Oppanbsp;aufgenommen zur obern Oder abflieBt. In Oberitalien flieBt, vonnbsp;Catull und Vergil mit ihrem Namen ebenso ausgesprochen wienbsp;noch heute, an Brescia vorüber dieMell-a, im südlichen Österreichnbsp;die Mur wie in Wiirttemberg als NebenfluB des Neckars dienbsp;Murr und, um auch kleinere FlüBchen zu nennen, im Südostennbsp;von Wesel die Munn-e und zwischen Eichenberg und Gottingennbsp;zur Leine hin die Möll-e. Ganz bekannt ist die Siebenbürgennbsp;und üngarn durohflieBende Mar-os wie die Mem-e( (oder mitnbsp;ihrem russischen Namen der Njem-ew) im Norden. In die Donaunbsp;münden die Grofie Mühl (unterhalb Passau) und die bekannterenbsp;M(f-mühl (oberhalb Regensburg), wie wir gerade diesen FluB-namen überall zahlreich vertreten finden, und um gleich auf einnbsp;ganz andres Gebiet überzuspringen, im alten Sizilien haben wilden FluB MiX-ae, und die Bezeichnung MéX-ag finden wir alsnbsp;Namen eines Flusses m Böotien sowohl wie in Sizilien und innbsp;Mygdonien, und MéX-rjT-g als Name eines jonischen wie MéX-av^og als Name eines sarmatischen Flusses reihen sich ihm undnbsp;der oben genanntenil/e((-a unmittelbar an. Haufig tritt uns fernernbsp;der FluBname Lein-e entgegen, am bekanntesten ist er uns fürnbsp;den an Gottingen und Hannover vorüberflieBenden FluB, abernbsp;auch in die Helme in Thüringen flieBt unterhalb Kelbra einenbsp;Lein-e (daran Lein-ingen), ebenso in die Eine östlich von Harz-gerode, südöstlich von Wittenberg begegnen wir wiederum einer

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Kapitel XVIII.

Lein-e, uad in Württemberg sehn wir in den Kocher sowohl wie in den Neckar einen Lein-SacA münden. Neben der Lein-e abernbsp;haben wir die Lenn-e, die durcli das Sauerland in die Ruhrnbsp;fliebt, und eine andre Lenn-e sebn wir bei Bodenwerder in dienbsp;Weser fliefien, fern er haben wir die Lohn-e als NebenfluB dernbsp;Hunte, die Lnhn-e auf dem Eicbsfeld, und wie wdr in Thüring-ennbsp;die Laur-u und die Orl-a nahe beieinander finden, so am Hord-abhang des Harzes bei Salzdetfurtb die Lamm-e (daran Lam-springë) und die Alm-e. Bekannter als diese ist eine andre Alm-e,nbsp;ein NebenfluB der obern Lippe, und denken wir uns von ihrnbsp;in kübnem Sprunge nach Italien versetzt, dahin, wo auf dernbsp;Südseite von Eom ein kleiner Back in den Tiber fliefit, und fragennbsp;die Bewohner nacb seinem Namen, so horen wir auch aus ita-lienischem Munde: Alm-o. Als NebenfluB der Donau in Bulgariennbsp;haben wir zweimal einen Lom, unterhalb Widin (an seiner Mündungnbsp;Lom) und bei Rustschuk, als NebenfluB der zur Save flieBendennbsp;Drina einen Lim, und in der Schweiz treffen wir bei Zürich dienbsp;Limm-af anwie in Italien denLir-i, den Lir-is der Alten. Als NebenfluB des Tiber in ümbrien begegnet uns ferner der Nar und innbsp;Russisch-Polen als NebenfluB der Warta der Ner, in die Weichselnbsp;unterhalb Warschau mündet derNar-ew, in der Herzegowina flieBtnbsp;zum Adriatischen Meere hin die Nar-e^2te oder Ner-e^wa, undnbsp;der Oberweser sehn wir aus dem Bramwalde her ein FlüBchennbsp;zuflieBen, das den Namen Niem-e tragt. Wie wir aber nebennbsp;der Nied die Wied haben usw., so auch neben dem Nar dennbsp;Var, der bei Nizza ins Meer flieBt, neben der Mohr-a die Wohr-anbsp;(NebenfluB der Ohm), neben der Lenn-e die Wenn-e (NebenfluBnbsp;der Ruhr unterhalb Meschede), und die Wenn-e bat wieder ihrnbsp;Seitenstück in der Werr-e, die oberhalb Minden in die Wesernbsp;flieBt — auch die in die Fnlda mündende Losse nimmt einenbsp;Werr-e auf —, und diese führt uns ihrerseits unmittelbar zurnbsp;Werr-ft wie zur Wer-a, die oberhalb Gemünden in den Mainnbsp;flieBt. Als NebenfluB der Unterweser begegnet uns ferner beinbsp;Bremen die Wümm-e, als NebenfluB der Lahn die Weil (an ihrernbsp;Mündung Weil-hurg, an ihr selbst Weü-münster), deren Namenbsp;uns mit dem Namen der Wied an das FlüBchen Wien erinnert,nbsp;das der Stadt Wien den Namen gegeben bat (die Formen

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Die psychische Seite der Sprachschöpfung.

Vinclobona, Batisbona u. a. sind seitvviirts zu stellen!), und die österreichische Hauptstadt schlagt wieder die Brücke znrnbsp;russischen, die an der New-a liegt. Doch genug endlich dernbsp;Aufzahlung, mit der wir sonst so leicht kein Ende würden findennbsp;können. Die letzten Typen erinnern uns wieder ganz an dienbsp;in der ersten Abteilung aufgeführten Wes-er, Wies-e usw., mitnbsp;denen sie ebensogut zusammengestellt werden können, wie Eïb-enbsp;und Eld-e auch mit Els-e usw., und sie rufen uns nochmalsnbsp;eindringlicb ins Gedachtnis, wie die mannigfaltigen Formen, dienbsp;wir hier aus praktischen Gründen nach drei Richtungen unter-schieden haben, in ihrer Natur gar nicht voneinander getrenntnbsp;werden können.

In dieser Weise finden die ISrameii samtlicher Flüsse des indogermanischen Besiedelungsgebiets ihre natürliche, einfachenbsp;Erklarnng. Überall treten uns dabei unsre Gesetze in soldiernbsp;Selbstverstandlichkeit entgegen, dab wir die Formen fast mitnbsp;mathematischer Sicherheit bestimmen können. So haben wir,nbsp;um auch einige Beispiele von der vierlautigen Wurzel quot;fliefi-ennbsp;anzuführen, neben der Alst-er (bei Hamburg) eine Elst-er (alsnbsp;Nebenflub der Saaie und als Nebenflub der Elbe, künstlichnbsp;unterschieden als Weifle und Schivarze Elster), und weiter einenbsp;Ulst -er (in der Ehön, Nebenflub der Werra), und zu ihnen ge-sellt sich aus dem Osten Deutschlands die Inst-er (an ihrernbsp;Mündung in den Pregel Inster-burg), wie wir ganz im Westen, innbsp;Holland die Amst-e^ finden, die der Stadt Amster-dam den Namennbsp;gegeben hat. Neben derWest-er (auch TFes-er.O ferner (bei Eupen)nbsp;haben wir die bei Lorch in den Rhein mündende Wiep-er wienbsp;die in die Oberrhöne fliebende Visp in der Schweiz, neben dernbsp;Muld-e in Sachsen und der Mold-utt in Böhmen haben wir dienbsp;Fuld-a in Hessen, neben der Bng-ach und der Breg-e, den Quell-flüssen der Donau, im Süden haben wir im Norden den Preg-e(,nbsp;an dem Königsberg liegt, und neben der Wart-e, dem grobennbsp;Nebenflusse der Oder, treffen wir in vollstandiger Umlagerungnbsp;der Laute die Trav-e an, die an Lübeck vorbeifliebt und sichnbsp;bei Trave-münde in die Ostsee ergiebt, und wie sich der Wart-enbsp;die mecklenburgische Warn-ow (bei Warne-münde in die Ostsee)nbsp;anreiht, so der Irav-e das in die Peene mündende Flübchen


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Kapitel XVIII.

Treb-eZ. DaB innere Gründe in der Entstehung dieser Tausende von FluBnamen wallen, wird niemand mehr bezweifeln wollen,nbsp;oder wie will er es anders deuten, wenn man ilim zeigt, wienbsp;oberhalb Kreuznacli in die Nahe ein FlüBchen mündet, das dennbsp;Namen Glan fülirt, und wie ganz weit davon entfernt in Karntennbsp;ein FlüBchen desselben Namens Glan an Klagenfurt vorbei innbsp;die Drau flieBt, und wenn wir ihm dazu noch eine Gran (ober-balb Pest in die Donau) und in Kroatien eine Glin-a zeigen,nbsp;die in die Kulpa und so in die Save flieBt? Und wie wir durclinbsp;alle sekundaren Entstellungen das Wesen festhalten mussen, dasnbsp;mag uns zum SchluB ein besondres Beispiel zeigen. Die Wurzelnbsp;ser 'fiiefien sehn wir in Form en mit g erscheinen in der Gar-umna, d. h. der heutigen Gar-onne in Frankreich, im Gal-aesws,nbsp;d. h. dem heutigen Gal-aso in ünteritalien, im Gel-as in Sizilien,nbsp;im Qiamp;a.-üsus in Illyrien usw., und sie liegt so auch den beidennbsp;FluBnamen Lig-er und Nig-er zugrunde, die sich in dieser ihrernbsp;ursprünglichen Gestalt fast decken, dann aber unter dem Ein-flusse ganz verschiedner sekundarer Entwicklungsbedingungennbsp;weit auseinanderführende Wege eingeschlagen haben, und diesnbsp;ist es, was sie uns besonders interessant macht. Lig-er muBtenbsp;sich als FluBname des romanisch-französischen Sprachgebietsnbsp;nach französischen Ijautgesetzen regelrecht zu Loire entwickeln,nbsp;genau so wie das lat. nig-er [schwarz) zum frz. noir wurde;nbsp;Nig-er dagegen als FluBname des germanischen und speziellnbsp;des oberdeutschen Sprachgebiets entwickelte sich ebenso regelrecht nach deutschen Lautgesetzen zuNeck-ar: die französischenbsp;Loire und der deutsche Neekar, sie sind also, so befremdendnbsp;es bei der jetzigen Gestalt ihrer Namen zunachst klingen muB,nbsp;ursprünglich nahezu ganz dasselbe Wort.

Wir dürfen hoffen, das Wesen des Sprachschöpfungsaktes an den FluBnamen abschlieBend charakterisiert zu haben. Rhein,nbsp;TFes-er, Eïb-e, so verschieden sie auBerlich erscheinen, doch imnbsp;Grimde genau dasselbe Wort, verschiedne Formen ein und der-selbenWurzel und nichts andres bedeutend, als was ihr Wesen aus-macht; Flu(3\ Wie es gekommen ist, daB sich aus der Mengenbsp;der vorhandnen Formen für den einzelnen FluB — wie auchnbsp;für jeden andern Begriff — gerade die ihm jetzt eigentümliche

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Die psychische Seite der Sprachschöpfung.

Spracbform festgesetzt hat, wie sich also der Individualisierungs-prozeB im einzelnen vollzogen hat, das vermogen wir natürlicli nie zu bestimmen, genau so wenig wie wir den Gang der In-dividualisierung etwa von Tür und Tor in seinem jetzigen Ee-sultat begriinden können, und zwar entzieht sich dies vornehmlichnbsp;deshalb unsrer Feststellung, weil hierMenschen von bestimmendemnbsp;Einflub gewesen sind, und in dem Menschen haben wir immernbsp;eine unmeBbare GröBe vor uns. Diesen EinfluB in seiner Wirk-samkeit für den Einzelfall aufzuweisen, sind wir also objektivnbsp;auBerstande, wohl aber können wir uns das Wirken diesernbsp;Krafte im allgemeinen veranschaulichen, und dieses beruht kurznbsp;gesagt in dem durch die Natur begriindeten Übergewicht desnbsp;einen Menschen in seinem ganzen Denken, Fühlen und Wollennbsp;über den andern, der einen Menschengruppe über die andre.nbsp;Wie sich im politischen Leben immer auf diesem Wege dernbsp;Gang aus der zerstreuten Vielheit zur gebnndnen Einheit, zurnbsp;Einigung in geschloBnen, einheitlich regierten Staatsgebildennbsp;mit der Notwendigkeit eines Befriedigung verlangenden Natur-bedürfnisses vollzieht, so auch im Leben der Sprache. Audinbsp;hier kam so in dem Widerstreit der Krafte die Wahrheit zunbsp;ihrem Rechte ohx ayad-óv jtoXvxoiQavlr]' sig xoLqavoq ëOTLO,nbsp;und dem Kraftigen gehort die Welt, das ist das Gesetz und zu-gleich die Moral in der Entfaltung und Entwicklung der mensch-lichen Eigenschaften auf dem Wege stetig fortschreitender Ver-vollkommnung. üm den ProzeB der Individualisierung an einemnbsp;bestimmten Falie allgemein zu veranschaulichen, wollen wir imnbsp;AnschluB an die eben behandelten P'luBnamen ein Beispiel heraus-greifen. Wir stehn sinnender Gedanken voll am üfer des Flussesnbsp;und fragen uns: wie ist es zu erklaren, daB dieser bestimmtenbsp;PluB unter den fast zahllosen Möglichkeiten gerade die Be-zeichnung Wes-er erhalten hat? Ich denke mir den Weg etwanbsp;so: In den üranfangen konnte er mit jeder Form der Wurzelnbsp;'flieflen bezeichnet werden; dieser Zustand, den wir uns nichtnbsp;naiv genug vorstellen können, konnte aber nur kurze Zeit dauern,nbsp;denn vor allem an den Stellen, wo der FluB einen gröBernnbsp;NebenfluB in sich aufnahm, also beispielsweise an der Einmün-dung der heutigen trat alsbald das ünterscheidungsbedürfnis

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Kapitel XVIII.

auf, das eine Einengung der mannigfaltigen Bezeicbnungen er-zwang. Höchst wahrscheinlich ist diese Einengung! in der Weise erfolgt, da6 man den einen FluB nur noch mit Formennbsp;der einen, den andern nur noch mit Formen einer andern Typen-art bezeichnete, daB man sich also zunachst für jeden Fall innbsp;einer bestimmtern einzuschlagenden Eichtung einigte. Dienbsp;Neigung führender Persönlichkeiten — dies ist eben das Impon-derabile des Vorgangs — muB es nun gewesen sein, die zunachstnbsp;die konsonantische Bindung der besondern Form, und zwar erstnbsp;im Anlaut, dann nachfolgend auch im Auslaut herbeigeführt hat.nbsp;Ich denke, daB es also eine Zeit gegeben hat, wo man aus dernbsp;Masse der Formen nur noch die Typen von der Art ven, vor, val,nbsp;ves usw. verwandt hat, unter denen sich dann der letzte Typusnbsp;ves, vos, vas usw. die Herrschaft errang, und zuletzt wird erst dienbsp;vokalische Bindung erfolgt sein als Wes-er. Bei entsprechendernbsp;Lange desFlusses haben sich natürlich an verschiednen Stellen ver-schiedne Wege der Individualisierung angebahnt, sodaB der FluBnbsp;in seinem Oberlauf ursprünglich jedenfalls ganz anders genanntnbsp;wurde als in seinem Unterlauf, aber bei der gerade durch dennbsp;FluBlauf verstiirkten Kontinuitat des Verkehrs muBte sich hiernbsp;in dem Widerstreit der Formen bald ein Ausgleich ergeben, dernbsp;mit der Alleinherrschaft einer Form endigte. Der kraftigerenbsp;Volksstamm bringt mit seinem Vordringen auch seine Sprach-form zur Geltung, und ist diese Bewegung erst in Gang ge-kommen, so hat sie sich auch bald das ganze Gebiet erobert,nbsp;und der FluB wird au seiner Mündung nicht anders genanntnbsp;als an seiner Quelle.

Diese Ausführungen sind selbstverstandlich nur als Versuch einer subjektiven Vorstellung zu betrachten, den andre in andrernbsp;Weise. ausführen mogen, ohne mit einem sichereren BewuBtseinnbsp;darauf zurücksehen zu können, als es das Platonische Wortnbsp;enthalt ïacog fxèv oSv ovttog ë%ei, ïawg öè xal ov. Wir sindnbsp;ja auch nicht imstande, die sich in unsrer Zeit sekundar voll-ziehenden Individualisierungen nach ihrenGründen zubestimmen,nbsp;und unsre Stellung diesen Erscheinungen gegenüber bleibt immernbsp;dieselbe, wie wir sie etwa den meisten Sprichwörtern gegenübernbsp;haben: wir sehn sie, ohne sagen zu können, wo und wie sie im

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Die psychische Seite der Spracliscliöpfung.

einzelnen entstanden sind. Vielleicht haben weitere Bemühungen noch den Erfolg, einige Anhaltspunkte für das Verstandnis diesesnbsp;Vorgangs zu gewinnen, aber ibn in seinem Verlaufe Avirklichnbsp;aufzudecken, diese Hoffnung können wir aus dem oben ange-gebnen Grunde selbstverstandlicli nicht hegen. In der Sache,nbsp;d. h. in dem Sprachstoffe selbst liegen die Gründe jedenfallsnbsp;nicht — das ist für uns das Ausschlaggebende —, sondern innbsp;den Menschen, die sich dieses Stoffes bedienen, in den Alenschennbsp;mit allen den vielverschlungnenWechselwirkungen ihres Verkehrsnbsp;zwischen Individuum und Individuum wie zwischen den mannig-faltig zusammengeschloBnen Gruppen ihres Zusammenlebens.

Es sind mehr als zweitausend Jahre her, da wurde zum erstenmal, soweit unsre überlieferung reicht, von einem der be-deutendsten Geister, die diese Erde je gesehn hat, der Versuchnbsp;unternommen, die Fragen, die uns hier beschaftigt haben, einernbsp;Lösung entgegenzuführen, die uralte Frage des Menschenge-schlecbts nach der Entstehung seiner Sprache. '1st die Sprachenbsp;if vast Oder d-éasi, entstanden, d. h. ist sie geworden oder geniacht?’nbsp;das ist die Frage, die wir Plato in seinem Dialog Cratylus innbsp;philosophischer Weise erörtern sehn, ohne dal5 er allerdings zunbsp;einer endgiltigen Klarheit kommt. ünd wie lautet die Antwort,nbsp;die wir nun auf diese Frage geben können? Mit dem ent-schiedensten ‘(/'liast, denke ich, haben wir zu antworten. Nachnbsp;ihrer physischen wie nach ihrer psychischen Seite ist die Sprachenbsp;als reines Naturprodukt nach uralten, ewigen Gesetzen entstanden, in völliger IJnabhangigkeit von dem Willen und dernbsp;Willkür ihres Tragers, des Menschen, der vielmehr nur die Ge-setze vollzieht, ohne sich dessen bewufit zu sein und erst rechtnbsp;ohne irgendetwas daran andern zu können. Naturgesetze sindnbsp;es, die aüch diesen Stoff durchdringen und beherrschen, undnbsp;Plato mag sie geahnt haben, wenn er gegen das Ende desnbsp;Dialogs, nachdem die vorausgehende lange Erörterung bloB dazunbsp;geführt hat, die Schwierigkeit des Problems nur noch deutlichernbsp;zu zeigen, durch den Mund des Cratylus fast als Resumé desnbsp;Ganzen erklaren laBt: Otjtnt /.isv èyé tóv alrjd-éa'iuTov lóyovnbsp;TCSQÏ Toürwr (scil. nqayjxdviov ymI óvofj,dTtov, Sache und Wort!)nbsp;elvai, amp; ^ü'/.qaTsg, izeiUoi r iv d övv a ij, iv elv a i fj dvS-QO)-

Meyer, .Die Schöpfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;15

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Kapitel XVIII.

•iteiav xijv S-eiJ,Évrjv ta n^Sna 6vó{ia%a zoIq rcQayfiaaiv, ojots dvayxatov elvai aita ÖQ-d-Qg syjLv. Eine übermenschliche,nbsp;d. h. aber eben eine Naturkraft, so meint auch Plato, muB esnbsp;gewesen sein, die das Band zwischen Wort und Begriff in einernbsp;naturnotwendigen Ordnung von Anfang an geschaffen bat.nbsp;Stellen wir also die Frage nach cp-óGig oder ^éaig in der Ent-steliung der Sprache im Sinne Platos, so haben wir die letztenbsp;zugunsten der ersten randweg abzulehnen. Wobl aber könnennbsp;wir jetzt von unserm Standpunkt aus der ^éoLg ihren Antednbsp;an der Gestaltung der Sprache einraumen, indem wir den Indi-vidualisiernngsprozeG, die Verwendung des psychisch belebtennbsp;Sprachstoffs durch den Menschen als eine solche bezeichnennbsp;dürfen. Hier kann von keinen zwingenden innern Gründen inehrnbsp;die Rede sein, hier haben vielmehr in der Tat gwd-iqxri xalnbsp;ófioloyLa den Lauf bestimmt. Nur darf man sich diese kon-ventionelleFestsetznng natürlich keineswegs als bewuBten Willens-akt vorstellen, sondern das Ziel wird in völlig unbewuBter Weisenbsp;erreicht. Aufgabe und Ziel hat auch hier die Natur fest bestimmt durch das allen Menschen gemeinsame Bedürfnis dernbsp;Verstandigung, das sie zur Einigung im individuellen Gebrauchenbsp;des Sprachstoffs zwingt, den einzelnen Weg dazu aber lalJt sienbsp;sie selbst finden vermittelst der Wirksamkeit aller der Krafte,nbsp;die wir in dem Begriffe Sprachgebrauch zusammenfassen,nbsp;des usus dicendi,

Quem penes arbitriumst et ius et norma loquendi.

So waltet also auch in dieser Individualisierung des von Natur generellen Sprachstoffs, so sehr wir sie auch dessen Werdennbsp;gegenüber immer als eine sekundare und auBerliche Frage habennbsp;betonen müssen, doch eine tiefe Notwendigkeit, wenn man nurnbsp;das Ziel ins Auge faBt und die Möglichkeit der dazu führendennbsp;Wege als gleichgiltig übersieht, eine Notwendigkeit psycho-logischer Art.

Notwendigkeit aber und Freiheit, sehn wir beim Überschauen der ganzen Erörterungen dieses Kapitels, sind dienbsp;beiden alles beherrschenden Prinzipien, unter denen sich wie dasnbsp;physische, so auch das psychische Leben der Sprache vollzieht.nbsp;Mit Notwendigkeit gebunden ist das psychische Leben der Sprache

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Die psychische Seite der Sprachschöpfung.


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durch den generellen Wurzelbegriff, innerhalb seiner Grenzen aber — und die sind sehr weit — herrsclit vollkommne Frei-beit, die eine nnerschöpfliche Ausdrucksfahigkeit ermöglicbt.nbsp;Nur durcli die Verbindung dieser beiden Prinzipien ist alles organische Leben zu verstehn, die Möglichkeit ihres Zusammen-bestehns zeigt sich uns eben als die Lösung des Problems, dein


wir von Anfang an


nach


gegangen


sind,


wie in


der buntesten


Vielheit doch eine tiefe gesetzmaBige Einheit walten kann und muB. Und sehn wir nun, wo wir am Ziele stehn, zurück aufnbsp;unsern Weg und die auf ihm gewonnenen Resultate, so müssen wirnbsp;uns bekennen — und wir werden dabei der innern Wahrheitnbsp;der Ergebnisse unsrer Forschungen nur noch mehr gewiB —,nbsp;daB auch schlechterdings gar kein andrer Weg zu denken ist,nbsp;auf dem die als Tatsache vor uns stekende Erscheinung hattenbsp;möglich werden können, die wunderbare Tatsache namlich, daBnbsp;aus einer ganz beschrankten Anzahl von Lauten eine schier un-endliche Menge von Sprachgebilden entstanden ist, von denennbsp;sich keins mit dem andern deckt. Überall haben wir dochnbsp;immer wieder dieselben Lautbestandteile vor uns in mannig-faltigster Gruppierung, wobei die Falie hiiufig genug sein müssen,nbsp;daB auBerlich ganz gleiche Lautbilder vor uns erscheinen, abernbsp;der Schein ist geschwunden, wir haben ins Innere sehn können.nbsp;ünd von nun an werden wir die Gestalten der Sprache trennennbsp;und vereinigen nicht mehr nach dem AuBern, nach dem Schein,nbsp;sondern nach ihrem Innern.

So baut sich auf der physischen Spracheinheit des Lautes, die —freilich in unartikulierter Form —das Tier mitnbsp;dem Menschen teilt, die psychische Spracheinheit dernbsp;Wurzel oder, in individueller Pragung und Fassung gesehn,nbsp;des Wortes auf, und auf dieser wieder die syntaktischenbsp;Spracheinheit des Satzes, dies die Form, in der sich dienbsp;menschliche Eede bewegt. Das Wesen der menschlichen Sprachenbsp;also, urn dessen Erkenntnis es uns zu tun war, liegt in dernbsp;Wurzel, deren auBeres und inneres Leben in ihrer engen Ver-knüpfung die beiden letzten Kapitel darzulegen versucht habennbsp;als die Physiologie und die Psychologie der Sprache.nbsp;An unserm Ziele aber, zu dem uns unser durchweg induktiver


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Kapitel XIX.

Weg als dem allein möglichen geführt hat, erinnern wir uns der Worte eines Mannes, der durcli seine Leistungen Ansprucli daraufnbsp;hat, als ein Kenner der Natur angesehn zu werden, der Worte,nbsp;in denen Helmholtz die Endaufgabe der theoretischen Natur-wissenschaft zusammenfaBt, Worte, die wir uns ganz zu eigennbsp;machen und auch auf unsre Erforschung der Sprache anwendennbsp;können. „Ihr Geschaft“, so fordert der groBe Gelehrte vonnbsp;seiner und damit von aller Wissenschaft (Über die Erhaltung dernbsp;Kraft, Einleitung), „wird vollendet sein, wenn einmal die Zurück-leitung der Erscheinungen auf einfache Krafte vollendet ist,nbsp;und zugleich nachgewiesen werden kann, daB die gegebne dienbsp;einzig mögliche Zurückleitung sei, welche die Erscheinungennbsp;zulassen. Dann ware dieselbe als die notwendige Begriffs-form der Naturauffassung erwiesen, es würde derselben alsdannnbsp;also auch objektive Wahrheit zuzuschreiben sein.quot;

Kapitel XIX.

Der Stoff and seine Beherrschung.

Dieser Sprachstoff aber, dessen Entstehung wir als einen freien Schöpfungsakt der Natur erkannt haben, vollzogen an demnbsp;Menschen und zugleich durch ihn, bewegt sich wie jedes Lebe-wesen vom ersten Augenblicke seiner Daseinsbegründung an innbsp;einer ununterbrochnen Verandrung; auf die Entstehung, die selbstnbsp;schon die erste Entwicklung ist, folgt die unablassige Weiter-bildung, auf die Gestaltung die ewige Umgestaltung. Naclidemnbsp;die Sprache zuerst ganz nackt nur in der Form der einsilbigennbsp;Wurzel gelebt hatte, nahm sie als Mittel einer noch gesteigertennbsp;Ausdrucksfahigkeit die sekundaren Sprachbestandteile an, einnbsp;Kleid, das sie nach Belieben wechseln konnte, und wahrend esnbsp;zunachst überall nur einsilbige Gebilde gab, woran uns nochnbsp;zahlreiche Wortgestalten erinnern können wie z. B. das lat. reg-s

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Der Stoff imd seine Beherrsehmig.

{König), das lat. duc-s {Führer), das lat. fur {Bieb) oder das deutsctie Schmied u. v. a., entstanden allmahlicli melirsilbige Er-weiterungen. Durch alle diese sekundaren Verandrungen undnbsp;Entstellungen, woran Jalirtausende gearbeitet baben, müssen wirnbsp;wieder durcbdringen, wenn sicb uns das Wesen zeigen soil, undnbsp;wenn es uns sonst, wo wir nur die tausendfaltige ümgestaltungnbsp;saben, obne die ürgestaltung zu kennen, schwindeln müBte beinbsp;der dann erdrückenden und sinnverwirrenden Masse des Stoffes,nbsp;baben wir jetzt einen sicbern Wegweiser, mit dem wir des Stoffesnbsp;Herr werden: der Drang zur Wurzel muB den Stoff über-w in den. In sebr vielen Fallen tritt uns die Wurzel freilicb

sogleicb oder docb nacb knrzer Zeit klar aus dem Wortgebilde


bervor, in andern aber wird uns unsre Aufgabe, sie aus dem Sekundaren loszulösen und berauszuschalen, sebr scbwer gemacbt,nbsp;und zwar gilt dies in zweifacber Hinsicbt. Einmal ist zur Er-kenntnis eines Wortgebildes die Frage zu lösen: Wo muB dernbsp;organische Scbnitt zwiscben Sekundarem und Primarem gemacbtnbsp;werden? Und dann, wenn wir dieses Primare, d. b. die Wurzelnbsp;bestimmt baben, erbebt sicb nocb über sie für die Beurteilungnbsp;'der tatsacblicb vorliegenden Lautverbaltnisse die zweite Frage:nbsp;Was ist Sekundares daran? In der Beantwortung dieser beidennbsp;Fragen sind wir für den Einzelfall der Gefabr des Irrtums aus-gesetzt, aber je mebr wir nun in der bestandigen Wechselwirkungnbsp;zwiscben induktivem und deduktivem “^^orgebn vorwartskommennbsp;auf unserm für sicb völlig klaren Wege, um so sicherer muB

unser

Bliek aucb für die Beurteilung der schwierigern Einzel-

falle werden. Audi zwiscben den sekundaren und den primaren Bestandteilen der versebiednen Spraebgebilde bestebt für unsrenbsp;Erkenntnis eine überaus fördernde Wechselwirkung: wenn wirnbsp;in dem einen Falie durch die Sicherbeit über die Wurzel dennbsp;sekundaren Teil des Wortes erkennen, so erhalten wir in einemnbsp;andern aus der GewiBbeit über diesen die Wurzel, und so gewinnen wir aus allen Erkenntnissen über die sekundaren Sprach-bestandteile zugleich aucb bedeutend für die Erkenntnis dernbsp;Wurzeln, worauf es uns ankommt.

Innerlich baben wir den Stoff langst überwunden, aber ge-rade diese innere Erkenntnis treibt uns nun, nicht eher zu ruben,

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Kapitel XIX.

als bis auch aiiBerlich der letzte Eest des iingeheuern Stoffes bezwungen ist, denn, so sagt die innere Stimme mit unerbittlichernbsp;Notvvendigkeit, sind unsre Erkenntnisse wabr und erschöpft, sonbsp;mviB der Stoff olme Eest in ihnen aufgebn. Die praktischennbsp;Schwierigkeiten des Einzelfalls können uns auf dem Wege zunbsp;diesem Ziel wolii aufhalten, aber nicht für immer von ihm zurück-halten. Auch nicht ein einziges Wortgebilde ist, um es mit der Deut-Iichkeit der alltaglichen Ausdrucksweise zu sagen, vom Himmelnbsp;gefallen, jedes ist durch Gesetz da, es hat seine Wurzel und gehortnbsp;durch sie, dienienials vereinzelt dasteht, einem gröBern Ganzen, ein ernbsp;Wurzelfamilie an. Ein groBer Ban des gesamten indoger-manischen Sprachstoffs erhebt sich so vor unsern Augen,nbsp;ein Ban, worin alle die über die Einzelsprachen verstreutennbsp;Wortgebilde wieder nach ihrer nrsprünglichen Zusammengehörig-keit vereinigt werden: jedes einzelne Wort, das in den Wörter-büchern der verschiednen Sprachen in mechanischer Anord-nung steht, erhalt hier durch die Einfügung unter seine Wurzelnbsp;seine organische Stellung und findet sich wieder mit allennbsp;den briiderlichen und schwesterlichen Gestalten zusammen, mitnbsp;denen es einst zusammengewesen war, und verwundert über ihrnbsp;Aussehen werden sie sich hier nicht genug erzahlen können vonnbsp;den mannigfachen Schicksalen, die ein jedes seitdem als seinenbsp;eigne G e s c h i c h t e erfahren hat. Dieser Ban, worin unter jedernbsp;Wurzel auBerlich geschieden ihre Angehörigen aus allen Zwelgennbsp;der indogermanischen Sprachfamilie stehn, steht als gewaltigenbsp;Aufgabe der Zukunft vor uns, und 'der FleiB, den keine Mühenbsp;bleichet’, wird dazu gehören, ihn auf- und auszubauen.

Unsre Arbeit hat sich also zunachst ausschlieBlich in auf-steigender Eichtung zu bewegen, wobei uns alles Sekundare als das ünwesentliche an sich vorlaufig ganz gleichgiltig ist,nbsp;wir dürfen nur ein Ziel kennen, das wir unverrückbar im Augenbsp;behalten müssen: die Wurzel. 1st es uns aber gelungen, allenbsp;Erscheinungen auf ihren Ursprung zurückzuführen, die tausendnbsp;und abertausend Sprachgebilde ohne Ausnahme zu ihrer Quellenbsp;znrückzuleiten, aus der sie in der Urzeit in unerschöpflichemnbsp;Gestaltenreichtum hervorgesprudelt sind, dann werden wir unsnbsp;von diesem Ziel aus auch wieder mit erneuter und doppelter

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Der Stoff und seine Behorrschung.

Freude in nbsteigender Richtung bewegen und eifrig die Ent-wicklung der Spracbe verfolgen, die uns nun um ibrer Entstebung willen erst recht interessieren muB; auch die geringste Einzel-frage ist nun nicht mehr klein, da sie in einen groBen Zusammen-hang geriickt ist. Vor allem werden wir die sekundaren Sprach-bestandteile, Stammelement und Endung, nun um ihrer selbstnbsp;willen zu betrachten und zusammenfkssend zu behandeln haben,nbsp;indem wir sie zuniichst ihrer Gestalt nach ganz fiir sich unter-suchen, dann aber vor allem in ihrem Verhaltnis zu Form undnbsp;Bedeutung der Wurzeln. Mannigfache Beziehungen, wie wirnbsp;sie zum Teil schon angedeutet haben, werden uns da entgegen-treten und uns zeigen, daB sich auch hier die urspriiuglichenbsp;Freiheit allmahlich selbst in festere Bahnen gebunden hat, daBnbsp;sich bestimmte auBere Eegeln ausgebildet haben. Neben dasnbsp;Verzeichnis der Wurzeln wiirde also eine zusammenfassendenbsp;Darstellung der sekundaren Sprachelemente treten, dienbsp;mit jenen ja die Gesamtheit des Sprachstoffs ausmachen, und dienbsp;ewige Umgestaltung oder Neuschöpfung dieses nun einmal ge-gebnen Stoffes zu beobachten und darzustellen, wird die dauerndenbsp;Aufgabe der aufeinander folgenden Geschlechter bleiben. Nach-dem der philosophische Drang in uns befriedigt worden ist,nbsp;werden wir wieder gern zu Historikern und begleiten die Sprachenbsp;mit Andacht und Liebe auf ihrem Lebenswege, wo jede AuBerungnbsp;ihrer Lebenstiitigkeit bis in die feinsten Verzweigungen hineinnbsp;unser Interesse auf sich zieht. Doch den Philosophen in unsnbsp;können wir auch hierbei nicht mehr verleugnen, und so wirdnbsp;auch bei aller historischen Sprachbetrachtung unsre .hochstenbsp;Freude doch immer darin bestehn, zu erkennen, wie bei allemnbsp;Wechsel in der auBern Erscheinungsform die Wurzel ewigenbsp;Dauer hat. Von dem griech. oëg {Ohr'j herab bis zum heutigennbsp;frz. oh-é-ir {gehorchen) erkennen wur einen Entwicklungsgang,nbsp;Oder, um auf dieselbe Betrachtungsweise in andrer Form hinzu-weisen, zu welchen Gedanken fiihrt uns ein Sprachgebilde wienbsp;etwa das lat. naturaliter {natürlich), worin nur noch die beidennbsp;ersten Laute das Wesen des ganzen Wortes enthalten, das vonnbsp;selbst Werdende (Wurzel gen quot;entstehn, werden), wahrend allesnbsp;audre nur Form und Kleid bedeutet! {Qi)nA-t-ur-ali-ter, in dieser

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Kapitel XIX.

Zerlegung ist der ganze Aufbau, die ganze Geschichte des Wortes enthalten. Je mehr wir darum philosophisclie und historischenbsp;Anschauung in uns vereinigen, um so defer wird unsre Erkenntnisnbsp;werden, und um so höher unsre Freude, da wir das ganze Reichnbsp;der Sprache auf- und absteigend gleichmahig beherrschen lemennbsp;und es bei aller Mannigfaltigkeit einheitlich regiert sehn durchnbsp;ewige Krafte, und Einheit und Vielheit, Dauer und Wechsel,nbsp;Schöpfung und Leben der Sprache, sie werden sich für unsnbsp;zusammenschlieBen zu eineni harmonischen Ganzen, das alsnbsp;Ganzes zu uinfassen eben das liefste Bedürfnis und die höchstenbsp;Freude des menschlichen Geistes ist.

Haben wir den Stoff so, aufsteigend bis zu den Wurzeln und wieder absteigend bis zu den heutigen Erscheinungsformennbsp;der Sprachgebilde, bewaltigt, dann kann sich jede Erweiterungnbsp;unsrer Erkenntnis nur noch auf die Wurzel beziehen, und dernbsp;oben beschriebne Aufbau des gesamten indogei manischen Si)rach-stoffs wird uns für diese Wurzelforschung die vortrefflichstenbsp;Grundlage geben. Zunachst werden wir dann feststellen könnennbsp;ob und wieweit es uns gelingt, etwas über die Auswahl dernbsp;verschiednen Wurzelfornien zur individuellen Begriffspragungnbsp;auszumachen, wobei wir auf die Bezeichnung der Dinge, dienbsp;überhaupt nur einmal vorkommen, wie z. B. auf die Bezeichnungnbsp;des Tagesgestirns (griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;lat. aöl, got. sunn-ó usw.!) be-

sonders Obacht geben müssen. Können wir erst alle Individuen der eiuzelnen Wurzeln zusammen übersehen, dann muB es sichnbsp;zeigen, ob wir ans dieser überschauenden Betrachtung wenigstensnbsp;gewisse Richtungslinien für den Gang des Individualisierungspro-zesses im ganzen zu erkennen vermogen. Aus dem Vergleichnbsp;der Individualisiernngsergebnisse aber, aus ihren Übereinstim-mungen und Verschiedenheiten werden wir vielleicht hier und danbsp;Rückschlüsse machen können auf die Beziehungen zwischen dennbsp;indogermanischen Vólkern in ihrer vorhistorischen Vergangenheit.

Eine andre, wichtige Seite unsrer Erforschung der Wurzeln ist die Betrachtung der Wirksamkeit der Gesetze,nbsp;nach denen sie sich differenziert haben. DaB es ewige, unab-hangig von Raum und Zeit wirkende Gesetze sind, steht unsnbsp;fest, aber wir wissen natürlich auch, daB sie nur durch den

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Der Stoff und seine Belierrschuiig.

Menschen und an ihm zur Wirksamkeit kommen, wie ja überhaupt die Kraft nicht auBerhalb des Stoffes, sondern nur in ihm ihr Dasein hat. Wahrend aber der Stoff immer derselbe bleibt,nbsp;andert sich der Mensch als Individuum wie als Volksganzes innbsp;fortschreitender Kulturentwicklung, und es ist ganz natürlich, dabnbsp;damit auch die seine Sprache beherrschenden Gesetze in demnbsp;Grade ihrer Wirksamkeit beeinfluBt, d. h. daB ihnen durch dienbsp;Kultur Schranken gesetzt werden, üm sie aber wieder ganz innbsp;ihrer ungehemmten Tatigkeit als reine Naturgesetze zu begreifen,nbsp;muB man sich den Menschen auch wieder ganz in den ursprüng-lichsten Naturverhaltnissen vorstellen, und wir dürfen getrost be-haupten, daB wenn dieser naive Zustand jemals wiederkehrennbsp;kömite, auch die Wirksamkeit unsrer Gesetze wdeder in derselbennbsp;allumfassenden Weise hervortreten würde, wie wir es für die ür-schöpfung festgestellt haben. Es lassen sich nun aber Verhalt-nisse denken, in denen der Mensch hinsichtlich der Sprache an-nahernd in naivem Zustande ist, und ein Fall davon liegt z. B.nbsp;in der heutigen Art des französischen Anfangsunterrichtes aufnbsp;unsern höhern Schulen vor, wo der Schüler in verhaltnismaBignbsp;naiver Weise die vom Ijehrer vorgesprochnen Lautkomplexe mitnbsp;dem Ohr aufnimmt und darauf wiederzugeben sueht, ohne daBnbsp;er je zuvor das Lautbild gesehn hat, und ohne daB er schonnbsp;irgendeinen Begriff damit verbindet. Er ist also annahernd sonbsp;naiv wie der Mensch der Urzeit, und so mussen wir erwarten, daBnbsp;auch unsre Gesetze hierbei ganz in der alten Art hervortreten,nbsp;und diese Erwartung wird vollauf bestatigt. Mit einer überraschendnbsp;hartnackigen RegelmaBigkeit vollziehn die Kleinen da vor unsnbsp;wieder ganz die Gesetze der Metathesis und des Lautwechsels,nbsp;nach denen sich die ürgestaltung der Sprache vollzogen hat.nbsp;Man kann sich davon überzeugen, daB ihnen nicht nur einzelnenbsp;Schüler, sondern geradezu alle, der eine mehr, der andre wenigernbsp;unterliegen, manche sogar dauernd — und das alles bei demnbsp;deutlichsten Vorsprechen! —, bis sie erst durch immer erneutennbsp;Hinweis auf den sog. Fehler aufmerksam gemacht sind undnbsp;darüber zu reflektieren beginnen, damit aber ist dann der naivenbsp;Zustand geschwunden. Noch mehr gilt dies, wenn der Sprechendenbsp;erst an die geistige Bedeutung und an die grammatische Stellung

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Kapitel XIX.

der verscliiednen Lautkomplexe denkt, Erscheinungen wie z. B. r’ Espagne für 1’ Espagne u. a. werden dann kaum melir möglichnbsp;sein, und das Naive hat vollends aufgehört, sobald das Kultur-produkt der schriftlich fixierten Sprache seine unberechenbarenbsp;Wirkung anf den Menschen auszuüben beginnt. Mit welchemnbsp;andacbtigen Ernste mussen wir jetzt diese echoartige und daruinnbsp;oft scberzhaft wirkende Lautumsetzung im Geiste und Mundenbsp;der Kiemen beobachten, da wir wissen, da6 bier die Natur ihrenbsp;Sprache redet! Dnd wenn der Lehrer bei diesen Vorgangen sehennbsp;inuB, wie die Schuier, die das Spiel der Metathesis schon innbsp;ihrein BewuBtsein gemerkt haben, über ihren noch ganz unternbsp;dem Gesetze stekenden Kameraden lachen, so weiB er, dab sicbnbsp;hier die Kultur über die Natur lustig zu machen sucbt. Für dennbsp;Forscher aber ist nichts uninteressanter und abgelebter als dienbsp;Kultur, ihn zieht es überall daliin, wo sich das Leben überhauptnbsp;und damit auch das der Sprache noch mehr in seiner unbewuBten,nbsp;naiven Form auslebt wie in der ürwüchsigkeit der Mundartennbsp;oder in der Rede des gemeinen Mannes, und was für andre meistnbsp;nur den Wert eines auBerlicben, spabhaften Erlebnisses hat, darausnbsp;erkennt er oft mit innerer Freude, dab er bei seiner stillen Arbeitnbsp;am Studiertiscb auch wirklioh die Wege der Natur nachge-wandelt ist. 1st der Mensch erst fertig, dann ist nichts mehrnbsp;mit ihm zu machen und nichts mehr von ihm zu lemen; wo ernbsp;im Werden ist, da will er studiert und verstanden sein, und danbsp;ist er für die Beobaclitung ein so dankbarer Gegenstand, dab sichnbsp;ihr hier alles erschlieben muB: wer den Keim verstanden hat,nbsp;hat die Pflanze verstanden. Über die Natur unsrer Gesetze, vornbsp;allem über die Begründung des Metathesisgesetzes kann nachnbsp;solchen Beobachtungen kein Zweifel mehr bestehn. M'^ir habennbsp;es mit einer Eeproduktion, einer Wiedererzeugung der Laut-gruppen im buchstablichen Sinne zu tun, indem die Laute, dienbsp;spater in das BewuBtsein gekommen sind, als der frischeste Ein-druck die Vorstellung ganz beherrschen und so bei einer Wieder-gabe ganz natürlich auch zuerst wieder zur Erscheinung kommen,nbsp;und zwar besonders, wenn diese Wiedergabe durch ein zweitesnbsp;Individuum erfolgt, das den Eindruck der Laute von auBennbsp;empfangen hat. Auf das Gefühl wirkt dieser Vorgang je nach

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der Art der konsonantischen Laute verscbieden; bei den spiran-tiscben Lauten, die scbon durcb ibre Natur leicbter ineinander übergebn;, wirkt er in der Art einer Wellenbewegung, wie einenbsp;leicht und sanft zurückflutende Welle, wahrend man bei dennbsp;Explosivlauten mebr den Eindruck des Zuriiclqjrallens von einemnbsp;barten Gegenstande bat. Und nun denke man sicb, soweit mannbsp;das als Kulturraenscb überhaupt noch kann, in eine viele, vielenbsp;Jahrtansende znrückliegende Vergangenheit, eben in die Kind-beit des Menscbengeschlecbts zurück, wo alles naiv und nochnbsp;nichts Reflexion war, wo das sprechende und das horende In-dividuum gleicbmabig Naturkinder waren, wo noch nicht dernbsp;leiseste Gedanke an eine schriftliche Wiedergabe der Spracbge-bilde auf'getaucht war, dann kann man sicb eine schwache Vor-stellung von der ursprünglichen Wirksamkeit unsrer Gesetzenbsp;machen, durcb die der Spracbstoff im Geiste und im Mundenbsp;seiner Trager durcb die Wechselwirkung zwischen den Individuen in Aufnahme und in Wiedergabe der Laute alle die Artennbsp;entwickelte, die er aus sicb hervorzubringen vermochte, alle dienbsp;Formen annahm, in denen er erscheinen konnte.

Vor allem aber wird sicb bei dem übersichtlicben Aufbau des gesamten Sprachstoffs aucb die auliere endgiltige Ent-scheidung über eine noch den Stoff unmittelbar angehende,nbsp;wichtige Frage ergeben mussen, die uns scbon lange im stillennbsp;beschaftigt bat, und zwar, je mebr wir in der Erkenntnis dernbsp;Wurzel fortgeschritten sind, um so starker. Wie wir namlicbnbsp;z. B. zur Feststellung einer zwei-, einer drei- und einer vierlautigennbsp;Wurzel mit dem Begriffsinhalt 'fliefien gelangt sind, so beob-achten wir es aucb bei andern Wurzeln mit einer eigentümlichennbsp;EegelmaBigkeit. Stellt es sicb nun bei dem Aufbau des Stoffesnbsp;heraus, dab dies durchgehends bei allen Wurzeln der Fall ist,nbsp;dann kann kein Zweifel mebr darüber bestebn, dab bier einenbsp;gesetzmabige Verbindung voifiegen mub, dab es sicb also innbsp;jedem Falie nicht um verscbiedne Wurzeln, sondern wieder nur umnbsp;verscbiedne Formen je ein und derselben Wurzel handelt — einnbsp;Gedanke, der uns zugleicb anziehn und abstoben will. Anziebnnbsp;mub er uns als die letzte, liöchste Konsequenz unsers ganzennbsp;Forschungsprinzips, der festen Überzeugung von einem innern

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Kapitel XIX.

Bande zwisclien Lautkörper und geistiger Bedeutung, mit iliin würden wir bis zur höchsten Einheit verdringen, wahrend sonstnbsp;mehrere Wurzeln als Trager desselben Bedentnngsinhalts übrig-blieben. AbstoDen aber muil uns der Gedanke zunacbst in seinernbsp;deduktiven Art, da uns der Stoff selbst noch nicht dazu genötigtnbsp;hat, und da uns so anfangs auch noch jede auBere Erklarung,nbsp;jeder Anhaltspunkt für ein auBeres Verstandnis fehit. Allrnahlichnbsp;aber vollzieht sich hier eine Wandlung. Wir erinnern uns daran,nbsp;daB in der ganzen Entwicklung der Sprache der sekundare Ein-tritt wie Schwund von Lauten, d. h. also das sekundare An-wachsen und Abnehmen des Lautkörpers eine groBe Bolle spielt,nbsp;und bisher haben wir es überall grundsatzlich bestatigt gefunden,nbsp;daB alles, was wir in der Sprache sekundar beobachten, auchnbsp;für ihre ürgestaltung gilt. Aber noch ehe wir uns in solchernbsp;Weise prinzipiell über die Frage klar geworden sind, hat unsnbsp;unsre Beobachtung schon induktiv Falie gezeigt, die uns mitnbsp;Notwendigkeit in die angegebne Richtung weisen, einerlei, obnbsp;wir sie schon innerlich begreifen können oder nicht. Eine kurzenbsp;Nebeneinanderstellung der zusammengehörigen Sprachgestaltennbsp;wird uns das schon bei einer knappen Auswahl am besten zeigennbsp;können:

lat. em-o {nehmen), aksl. im-o == lit. ira-ü (nehmen)

; got. nim-an {nehm-en), griech. ÓQ(pv-óg {fimter, schwarz, dunhelfarhig)

griech. ó/A-eüg (Hebei) griech. ay^Q-i (bis)

griech. (j,óQg)v-og {dunkelfarhig), griech. fiox^-óg (Hebei),nbsp;griech. géy^Q-i (bis),

griech. dk-éio (mahlen) : got. mal-an (mahl-en), griech. aQd-a (Schmutz): lat. merd-a (Kot des Leibes),nbsp;air. ar-M (Niere)nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;: ahd. nior-o (Nier-e),

griech. è'yx-og (Spiep,Lanze): griech. XóYy_-rj (Spieji,Lanz-e),

lat. rig-or (Kdlte, Frost) alb. ar-f (Bar)nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;:

lett. ab-Mfe (Klee) nbsp;nbsp;nbsp;;

ai. acr-M (Trane) nbsp;nbsp;nbsp;:

lit. lap-é (Fuchs), griech.

lat. frig'Ms (Kdlte, Frost), ahd. ber-o (Bar),nbsp;preuB. wob-i^is, lit. dób-i^as 'Klee,nbsp;griech. ddx^-v (Trane),nbsp;a-}.(b:rt-ri'/.-g (Fuchs)nbsp;lat. vulp-es (Fuchs),


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237

Der Stoff und seine Beherrschung.

alid. ub-ir (üh-er), ai. up-dn (ob-en) : lat. sup-er (über, oben),

griech. bjt-e^ {über),

mVlfl atl-

griech. av-ev {ohne), got. in-u, mhd. an-e ‘ ohn-e

griech. y.ójr-Qog {Eber)^ aksl. cap-M {Bie7ie),nbsp;aksl, kost-i (Knochen),

lat. sin-e {ohne),

lat. ap-er {Eber), ahd. eb-w* {Eb-e7~) lat. ap-is (Bietie)nbsp;griech. óat-Éov [Kiioche^i)

dazu auch noch das ai. astb-i, das alb. ast und das lat. os, oss-is Knochen,

lit. art-d {Segelstange) nbsp;nbsp;nbsp;¦¦ lit. kart-is (Stange),

ahd. a-hs-ala (Achs-el), lat. ax-illa {Achselhöhle)

: ai. kaks-as {Achselgrube), lat. teg-o {cleck-en), aisl. pak (Dach) : griech. atty-os {Each),

lit. stóg-as {Dach),

lat. pen-dria (Alaaigel), griech. jcev-ia (Aiquot;mut), griech. cielv-a {Hunger-)nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;: griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(iliaM^e?).

spol-wTO, alle drei bedeuten quot; Beute, Eaub, besonders . die de^n Feinde abge7ioni7nne Rüstung’ und erinnern unsnbsp;an das typische quot;rsvypa avhi]aag’ bei Homer,

griech. Oiy-da {schweigen) griech. (ptby-co [roste^i, Iwaten)nbsp;lat. pin-Ms {Fichte)nbsp;griech. ray-vg {scMiell)nbsp;griech. xavv-og {Los)

got. saul-s {Sdul-e)

lat. sil-eo {schtveige^i) griech. ov).-ovnbsp;ai. asLV-yd-s {linhs)nbsp;lat. hum-iris {^lied^-ig)nbsp;griech. ti2-g, lat. sal ‘ SalFnbsp;griech. lt;paQ-LvAv {ein Gift)

: ahd. swig-ew {schweig-e7i), : griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{rosten),

: gr. 3iQlv-og {Steineiche), : griech. tQsy-co (laufen),nbsp;: got. hlaut-s und griech.

K^.riQ-og ‘Los\

: griech. GtriX-rj und lt;Xtv2-og quot;Saule'’,

: ahd. still-i {still, ruhig), : griech. O7tv2-ov und lat.

: griech. cfxai{F-öglat.

scaev-MS quot;liniesquot;,

: gr. yO-aii-aXóg {^liedi'ig).

: got. salt = nhd. Salz, got. salt-an (salz-en\),

: griech. ^apju-ajcor ((ri/t),


ük.


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238

Kapitel XIX.

griech. nbsp;nbsp;nbsp;(Tadel)

griech. ctvQ-af.LLg {Pyramide) griech. jteiQ-doyai (versuchen)nbsp;ai. amp;a,T-mi (schlafeti)nbsp;lit. kar-itf {hangen)


griech. (ié(i(p-ouaL (tadeln), griech. ^VQy-og {Turm),nbsp;got. frais-cm (versuchen),nbsp;griech. éaQ-d'-dvoj (schlafen),nbsp;alb. karv-arfs {hdnge^i).


lm An-, In- und Aiislaut, überall beobachten wir in gleich-malhger Weise ein Anwachsen des Lautkörpers, dem wir die Gesetzmabigkeit schwer werden abstreiten können, und so er-geben sich uns in jeder Wurzel die raannigfachsten Verbindungen,nbsp;denen gegenüber wir uns nicht verschliehen können. Wer kannnbsp;den Zusammenhang leugnen, wenn man ihm das preuB. mos-Mconbsp;(Wieseï) neben dem lat. must-ë?a {Wiesel) und das griech. Oilt;f-covnbsp;(Röhre) neben dem lat. üst-üla (Böhre) zeigt, das Ut. mêt-as (Zeif)nbsp;neben dem lat. temp-MS {Zeit), das griech. a).6-og {Hain, Wald)nbsp;neben dem lat. salt-?zs (Wald) u. a., wenn man das aksl. rak-wnbsp;(Krebs) wie das griech. xaQ-Cg (SeeJcrebs) dem griech. jtapx-Lvog {Krehs) gegenüberhalt, ebenso das lat. rep-o (kriechen) undnbsp;andrerseits z. B. das griech. öai^Q-a (Eidechse) dem lat. serp-onbsp;(kriechen), und wenn man das got. vilv-an (rauben) vergleichtnbsp;rait dem griech. (f)è).-eïv (nehmen, ergreifen, erobern) sowohlnbsp;wie mit dem griech. Xe{F)-Lcc (Raub, Beuté)\ Und des orga-nisohen Aufbaus, der sich in allen diesen Erscheinungen zeigt,nbsp;können wir nicht besser gewiB werden als durch Zusammen-stellungen wie die folgenden:nbsp;lat. ós (Mund, Mündung), ai. as (Mund) •.

lat. ost-mm (Mündung, Eingang) : gr. gaot-cr/.-g {Mund). das griech. aróga (Mund, Mündung) und das av. stamannbsp;(Maul) reihen sich ihnen an, wie man auch ihre .Wurzelnbsp;abtrennen mag;

lat. ur-ma (Harn, ürin) nbsp;nbsp;nbsp;: ai. sar-oii (ftiefien)

: ai. srav-ati(fHefien), und dazu noch besonders lat. rös (Tau) : griech. öqóa-og und

got. aus-d (Ohrl) apers. gaus-ü (Ohren)

ahd. hlos-ëu (Kóren, horchen)-

(P'éqa-r^ ' Tau ;

: got. haus-/öt2 (h ö r-en!), : lit. klaus-j/^i (horen).

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Der Stoff uiid seine BelieiTScliung,

griecli. X'6-co il'ósen}

got. laus-yan ilüs-en) ¦. lat. solv-o {l'ósen);

griech. öé).-ag {Licht, Olcmz)

griecti. öxé^-07t-s {leuchtend) griech. oxiX^-io {glanzen, strahlen)nbsp;lat. splend-eo {glanzen, strahlen).

Schon aus diesen wenigen Beispielen, die wir allerdings leicht verzehn- und verhundertfachen könnten, muB es jedemnbsp;klar geworden sein, daB hier eine innere Verbindung vorliegt.nbsp;Und ein solches Anwachsen des Lautkörpers zeigt sich uns ja auchnbsp;sekundar immer wieder. Wir wollen nur hinweisen auf die vielennbsp;Falie, WO sich ein r oder l sekundar entwickelt hat, wie wir imnbsp;Griechischen neben §vctc. {ühu) einnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;haben, neben yhvr-c

{Geier) ein y^vn-g {Oreif), neben OTvcp-vÓQ {sauer, herhe) ein axQvcf-vóg, neben -/caT-ciaaco {Matschen, Iclappern) ein ttXut-daaco, wie dem engl. speak {sprechen) unser spvech-en gegen-übersteht, oder wie sich das lat. fund-a {Schleuder) zum frz.nbsp;fxond-e {Schleuder) entwickelt hat — man vergieiche dazu auchnbsp;noch das griech. ocpevè-óvrj {Schleuder)! —, wie ferner das lat.nbsp;rana {Frosch) in seiner Verkleinerungsform ranucula im Fran-zösischen als grenouille {Frosch) erscbeint, wir wollen fernernbsp;hinweisen auf Falie wie die griech. nxól-ig und nxóX-euognbsp;gegenüber den gewöhnlichen Formen -/tól-ig {Stadt) und nól-£fxo? {Krieg), dann erinnern wir an die überaus haufigen Falie,nbsp;WO die Wurzel sekundar erweitert ist durch einen Nasal, wienbsp;im Griechischen Idrc-'i] und kdpn-r] ‘Schleim nebeneinanderstehn,nbsp;wde im Lateinischen neben vic-i {ich habe gesiegt) ein vinc-o {ichnbsp;siege), neben sac-er (heilig) ein sanc-io {heiligen) steht (vgl. sacro-sanctusl) usw. usw., und was wir hier im Inlaut volizogen sehn,nbsp;dasselbe tritt uns im Anlaut entgegen, wenn wnr das griech.nbsp;ógog {Schutter) im Neugriechischen wiederfinden als vwgog,nbsp;wenn uns unser Ast in mandiën Dialekten als Nasf entgegen-tritt, und wenn uns dem got. airp-a {Erd-ei gegenüber als Namenbsp;der germanischen Erdgottheit 'Serth-us begegnet (vgl. Tacitus,nbsp;Germania Kap. 40: Nerthum id est Terr am matrem) usw. usiv.nbsp;Einerlei, ob wir Beispiele wie die eben genannten betrachten,nbsp;oder ob wir das jon. ala neben yala ‘Erde, Land' halten, dasnbsp;ital. ost-e mit unserm Gast vergleichen, ob wdr sehn, wie im

éL.


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Kapitel XIX.

Griechischen und zum Teil aiicli im Altnordischen ein v verklingt, und wie andrerseits im Slawischen v und j im Anlaut sekundarnbsp;hervortreten, überall nehmen wir dieselben Vorgange wahr, einnbsp;ewiges Wachsen und Abnelimen des Lautkörpers.

Man bat diese Erscbeinungen in der sekundaren Sprachent-wicklung meist aus besondern Gründen wie Satzphonetik u. a. erklart; nach unsern Ausführungen wird man sich aber davonnbsp;überzeugen mussen, dab wir es bier mit Vorgangen von allge-meinerer, von prinzipieller Bedeutung zu tun baben, die sichnbsp;eben auch schon bei der Gestaltung des Urstoffs der Spracbenbsp;geltend gemacht baben. Danach würde sich also ein gesetz-mabiges Anwachsen der Wurzel aus ihrer einfachsten bis zu ihrernbsp;gröBten Form ergeben, und das Gewebe, wovon wir im XVII.nbsp;Kapitel gesprochen baben, ware danach bei jeder Wurzel auBer-lich noch reicher gegliedert, noch mannigfacher verschlungen,nbsp;aber innerlich auch damit erst recht einheitlich. Damit aber erkennen wir auch klar, wie sich uns der ganze Stoff ohne Restnbsp;ergeben muB, zugleich sehn wir jedoch auch ein, wie vorsichtignbsp;wir bei der Abtrennung der Wurzel in den einzelnen Sprach-gebilden sein müssen. So enthalt z. B. das lat. aag-ulus (Eeke,nbsp;Winkel) dieselbe Wurzel wie das lit. ving-is {Bogen, Krümmung),nbsp;jenes in einer drei-, dieses in einer vierlautigen Form; haltennbsp;wir nun das got. kniu {Knie) dazu, so dürfen wir es wohlnbsp;nicht, wie wir auf S. 27 getan haben, mit ang-ulus, mit demnbsp;griech. yQv-og (Winkel, Krümmung) usw. auf eine Stufe stellen,nbsp;sondern da wir nach seinem organisch en Auf ban in ihm ehernbsp;eine vierlautige Wurzel seben müssen, wie sie im Genetiv kniw-isnbsp;klar hervortritt (das w der Wurzel ist im Nominativ, wo es imnbsp;Auslaut stand, zu u vokalisiert worden), so müssen wir es viel-mehr mit dem lit. ving-is u. a. zusammenstellen, sodaB also innbsp;unserm Knie ganz dieselbe Wurzel vorliegt wie u. a. in unsermnbsp;Wink-el, nur in vollstandiger ümlagerung der Laute: kniivnbsp;: wink\ Ein und dieselbe Wurzel kann also auch nachnbsp;der Zahl der Laute in den verschiedensten Formennbsp;erscbeinen, und wir dürfen uns deshalb bei der Zerlegungnbsp;der Sprachgebilde durch den Vergleich dieser Formen nicht zunbsp;einer unorganischen Trennung verleden lassen, indem wir da-

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Der Stoff uiid seine Beherrschung’.

bei den Fehler begehn, die eine Wurzelform zum absoluten MaB-stabfür die andre zu machen und so die eine nach der andern gleicbsam zu korrigieren, wahreud die tausend verschiednen Er-scheinungsformen einer Wurzel aneinander nur relativ gemessennbsp;werden können.

Wie sich dieser Aufbau der Formen innerbalb jeder Wurzel im einzelnen vollzogen bat, wollen wir vorlauf'ig noch auf sichnbsp;beruhen lassen. Vielleicht waren die Wege sehr mannigfaltig,nbsp;aber einer spielt darunter wohl jedenfalls eine besondre Rolle,nbsp;namlich das Anwachsen des auslautenden Konso-nanten im Wurzelanlaut. Wir dürfen doch wohl einennbsp;Fingerzeig für das Verstandnis dieses Vervielfaltigungsprozessesnbsp;darin sehen, wenn wir Falie vor uns haben wie das griech.nbsp;^Qa^-svg [ScMedsricMer) gegenüber dem lat. arb-ïter (Schieds-richter), oder wie neben dem lat. im-a^o {Bild) und im-itarinbsp;{nachahmen) das griech. ^iii-éoiAcii {nachalimen) steht, dem sichnbsp;dann wieder das lat.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;{ahnlich) anreiht, Falie, die ganz

ihre sekundare Wiederholung haben in Erscheinungen wie dem niederlandischen tachtig (achtsig) gegenüber dem niederdeutschennbsp;achtig, wie dem frz. tante {Tante) gegenüber dem lat. amitanbsp;{Tante) und dem engl. aunt {Tante) u. a. Nach alledem müssennbsp;wir uns eingestehn, daB der oben ausgeführte Gedanke dernbsp;böchsten Wurzeleinheit, der sich innerlich mit zwingender Kon-sequenz ergeben hat, auch seine auBerliche Bestittigung gefundennbsp;hat, und daB damit unsre Forschung tatsachlich bis zu ihremnbsp;letzten Ziele vorgedrungen ist, bis zur Erkenntnis der innerstennbsp;Verbindung zwischen Lautkörper und Bedeutung, zwischennbsp;Wurzelform und Wurzelinhalt, bis zu der SchluBerkenntnis, dienbsp;wir in die Worte fassen können: (je) eine Wurzel, (je) einenbsp;Bedeutung.

^linter allen diesen Erkenntnissen über das physische und das psychische Leben der Wurzeln, wie wir sie in dem Aufbaunbsp;des gesamten indogermanischen Sprachstoffs im ganzen werdennbsp;überschauen können, erhebt sich dann aber die tiefste Frage:nbsp;Wie verbindet sich mit der einzelnen Wurzel der be-stimmte generelle Begriff? Wie geht — um in unserranbsp;Bilde zu bleiben — in der Wurzel die Verbindung von Leib

Meyer, Die Schöpfung der Sprache. nbsp;nbsp;nbsp;16

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Kapitel XIX.

und Seele vor sich? Trifft dieses Bild zu, daim werden wir uns wolü im Hinblick auf unser eignes Wesen gestehn mussen, dafinbsp;diese Frage für uns in ihrer Tiefe ungelöst bleiben wird, undnbsp;so stehn wir hier vielleicbt tatsaolilich an der Grenze, wo wirnbsp;das Unerforschliche in Demut verehren müssen. Indessen ziemtnbsp;es uns, gleichwobl der Frage inutig ins Auge zu’ sehen und unsnbsp;immer aufs neue Eechenschaft darüber zu geben, wo dienbsp;Scbwierigkeiten liegen, die uns ihre Lösung unmöglich zunbsp;rnaclien imstande sind. Vor allem steht vor ihr noch eine andrenbsp;Frage, deren Lösung augenscheinlich die Bedingung zu dernbsp;ihrigen ist, die Frage nach der ürgestalt der einzelnennbsp;W urz eln, und wir müssen uns gestehn, dab wir darüber leidernbsp;scliwerlich etwas Bestimmtes werden ausmacben können, denn —nbsp;nacli welcben Kriterien sollte dies geschehen? Ob wir z. B.nbsp;der Zahl der übereinstimmenden Falie aus den verscbiednennbsp;Einzelsprachen hierin ausschlaggebenden Wert beimessen dürfen,nbsp;das würde sich erst noch zu erweisen haben, und wir müssennbsp;obendrein mit der Möglichkeit rechnen, dab sich die ürformnbsp;einer Wurzel für uns überhaupt in keinem Sprachindividuumnbsp;mehr erhalten hat, kurz es ist noch nicht abzusehen, wonachnbsp;wir hier urteilen und bestimmen sollen, und es ist wahrschein-licber als das Gegenteil, dab wir nie ein Mittel in die Hand be-kommen werden, mit dem wir diese Frage sich er entscheidennbsp;können. Für unsre bisherigen Erkenntnisse ist dies nicht weiternbsp;von Belang, nur dab wir dabei in die aubere Notlage versetztnbsp;sind, die Wurzel als Genus nicht recht bezeichnen zu können;nbsp;entweder müssen wir die verscbiednen Wurzelfamilien alle mitnbsp;ein und derselben Wurzelform bezeichnen und uns dabei nurnbsp;immer dessen bewubt bleiben, dab wir in jedem Fall etwasnbsp;andres meinen, oder wir müssen eine mehr oder weniger will-kürliche Verteilung vornehmen und uns dabei nur immer diesernbsp;Willkür bewubt bleiben. Miblich ist heides, aus praktisch ennbsp;Gründen wird aber das letzte immerhin noch vorzuziehen sein,nbsp;wie wir denn auch bisber danach gehandelt haben. Sobald wirnbsp;aber den Zusammenhang zwischen Form und Inhalt der Wurzelnbsp;als Genus ergründen wollen, ist wohl die Feststellung diesernbsp;generellen ürform unerlabliche Bedingung.

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Der Stoff und seine Beherrschung.

Aber wenn uns auch hier die Ermittlung der Walirheit sogar noch gelingen sollte, die Lösung jener Hauptfrage hat dadurchnbsp;für sich nichts an ihrer Schwierigkeit verloren. Interessant abernbsp;und bedeutungsvoll für die Beurteilung unsers Denkvermogensnbsp;wird es sein, zunachst einmal überhaupt die Zahl und die Artnbsp;der generellen Begriffe übersehen zu können, die in den Sprach-wurzeln enthalten sind. Vielleicht fallt auch von dort einigesnbsp;Licht in das Dunkei jen er letzten und tiefsten Frage, in der sichnbsp;schlieBlich alles zuspitzt und zusammendrangt. Und sehn wirnbsp;genau zu; was enthalt sie ? Wir können uns nicht darüber tauschen:nbsp;es ist auf höherer Stufe dieselbe Frage, die uns vom erstennbsp;Augenblick an beschaftigt bat, die Frage nach detn zwischennbsp;Wort und Ding, zwischen Laut und Bedeutung bestellenden Ver-haltnis, die eigentliche und liefste Frage aller Sprachwissenschaftnbsp;überhaupt, gegen die alles andre von untergeordneter Bedeutungnbsp;ist. Es wird wohl kaum ein Zufall sein, dah gerade sie amnbsp;Anfang aller Bemühungen um das Verstandnis der Sprache steht,nbsp;aufgeworfen von dem klaren Kindersinn der ersten Philosophen,nbsp;dem der Bliek für das Wesen noch durch nichts getrübt, demnbsp;die glückliche Einheit der Seele noch ungestört bewahrt war.nbsp;Von dem unerschütterlichen Glauben beseelt, daB hier kein blindernbsp;Zufall wallen könne, sind wir der Frage in allen Erscheinungennbsp;nachgegangen und haben sie tatsachlich in dem Verhiiltnis einernbsp;Naturnotwendigkeit aufgelöst, und sehn uns nun am Schlusse —nbsp;demselben Problem, das wir für Wort und Ding gelost haben,nbsp;gegenüber für Wurzel und generellen Begriff. Aber wir wissennbsp;ja, so ist es überall um all unser Wissen und Erkennen bestellt.nbsp;Die Lösung einer Frage bedeutet zugleich eine ganze Reihe vonnbsp;neuen Fragen, und so haben auch wir mit allem unsern Forschennbsp;im Grunde nichts andres getan als unser Problem nur zu-rück verlegt, freilich ein ganz bedeutendes Stuck zurückverlegt,nbsp;dahin, wo uns nicht mehr die bunte Vielheit der Erscheinungennbsp;belaste! und verwirrt, wo sich vielmehr alles wie in einem Brenn-punkt vereinigt. Wir fühlen es, daB hier das unruhige Forschennbsp;unsers Geistes zu seiner Ruhe kommen kann: ist es doch einnbsp;herrlicher Gewinn, das letzte Problem, dessen ünlösbarkeit wirnbsp;zugleich selbst erkennen, noch in voller Klarheit vor uns zu

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Kapitel XIX.

selieii, hinweisend in das nietapbysische Wesen der Dinge überhaupt.

iquot;

Doch vielleicbt koiiunt uus ftir diese letzteii Fragen nocb einmal von andrer Sei'ie niehr HilJV a]« vrir jetzt schuil zu sagennbsp;VPTOiögen, mill mil diesem Ausblicl -lö'iei nnsre, Betrachtuiigennbsp;über die Beberrschurig des Spracb. ¦ . dn Encie findeu Vonnbsp;dem indogerrnaniscben Spracbgebiei au», dessen Ertorschung unsnbsp;zuuacbst nocb allein bescbaftigen luuB, werden wir in Zukunftnbsp;unsern Bliek aucb auf die übrigen Spracb Cainilien dernbsp;Er de richten nnd gespannt fragen: Wie siebt es dort aus? Undnbsp;nusre Frage ist uni so gespannter, als wir nnr eine Antwort er-wurten, deren wir von vornberein siclier sein zn können g-lauben,nbsp;niiinlich dab die Verhaltnisse dort in ibreni Wesen nicht vielnbsp;anders sind als bier. Mag sieb das Ijcben der Spraclie dortnbsp;aucb in ganz andern Forinen abspielen, die gesetzmaBige Zurück-lübrung der Vielbeit der Ersebeinungen auf eine Einbeit wirdnbsp;dort niit derselben Notwendigkeit ihre Geltung baben wie bier,nbsp;und wir können es uns scblecbt vorstellen, dab diese Vielbeitnbsp;aus der Einbeit dort auf einem andern W^ege geboren sein könntenbsp;als dureb den in dem Stoffe selbst mit Naturkraft wirkendennbsp;Differenzierungstrieb. Die Mittel dieses Differenzierungsprozessesnbsp;kömiten dort an sieb ganz anders sein, für das Wesen der Sacbenbsp;ware dies bedeutungslos, indessen — im geheimen regen siebnbsp;bei uns Gedanken, die uns sagen wollen, dab sogar in diesennbsp;Mitteln eine weitgehende Übereinstirnniung herrsebt, und wirnbsp;können ihnen ibre Berechtigung nicht absprechen. Denn wirnbsp;niüssen uns bekennen, dab der Mensch bei aller Verscliiedenbeitnbsp;doch an allen Enden der Welt besonders in physischer Beziehungnbsp;(lerselbe ist, und wir mübten danacli annebmen dürfen, dab aucbnbsp;in seiner Spraclie als physischem Erzeugnis dieselben Gesetzenbsp;wirksam sind, dab uns also aucb in den andern Sprachen dernbsp;Erde die Ersebeinungen der vokalischen wie der konsonantiseben

Abwandlung und der Metathesis in derselben oder wenigstens in almliclier Weise entgegentreten wie in den indogernianiscliennbsp;Sprachen. Die flüchtigen Blicke, die wir bislier dortliin babennbsp;werfen können, sclieinen in der Tat di'' Fdclitigkeit unsrer Ge-danken zii bestiitigeii. Eine besonders grobe Kolle spielt z. B.

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i.45

Der Stoff 'und seine Beherrsolmna:.

aiich (lort der Wechsel zwisciKiu . urid l, der oft i,og’ar garze Sprachgebiete charakterisiert: genau wie zwischen den a.ris(diennbsp;und den europaischen Gliedern des indogemianischen Sprach-stamms sehn wir diesen Wechsel in den malaiischen Spracheii,nbsp;WO z. B. das Mafoor von Neuguiuea regelmaCig l aufweistnbsp;gegenüber r, so heifit unser fünf dort \ima gegenüber malaiischemnbsp;r7m, unser zehn pülu gegenüber füi usw. In der Batta-spracbe auf Sumatra begegnet uns ferner ein und dasselbe Wortnbsp;als hurhit und amp;urbit, und wir werden ganz an unsre Ablauts-erscheinungen erinnert, wenn wir dort z. B. gnmir, ga-mir^ gomirnbsp;oder dejK, dope', dapé oder hiltdng und holtdng nebeneinandernbsp;finden. Vor allem aber bieten sich uns hier aucli ganz deutjichenbsp;Beispiele von Metathesis dar in den je untereinander völlig gleich-bedeutenden Wörtern laba und bala, dere'm und redem, lapTisnbsp;und alpfe', lt;al^ang und fang^ai, und von Vokalmetathesis innbsp;loto neben loto, iirnran neben boriran u. a. Halt man dazu,nbsp;daB auf Samoa unser rufen sowohl \a,vdau wie valdau lieiBt,nbsp;und daB ein und dasselbeWort mauw wie na.mu{Qeruch, Witterung)nbsp;lautet, dann wird man zu der Meinung kommen, daB wir esnbsp;auch bier nicht mit Einzelfallen zu tun haben. Aus dem Chi-lenischen endlich sei noch der allgemeine Wechsel s : r : d ge-nannt, wie er uns entgegentritt in auca : vuca : Auca (Haus),nbsp;in huem : huem : hueamp;a (schlecht), in caru : caau: caAu (grim) u. a.nbsp;Haben wir in diesen Beispielen nur die ersten Spuren von dernbsp;durchgehenden Wirksamkeit der für das Indogermanische fest-gestellten Gesetze vor uns, finden unsre Gedanken und Ahnungennbsp;ihre volle Bestatigung, dann würden allerdings unsre Gesetzenbsp;erst recht einen Sieg des menschlichen Geistes über die unend-liche Masse des Stoffes bedeuten. Denn wir dürfen nicht ver-gessen, daB die indogermanischen Sprachen, deren Stoff alleinnbsp;uns schon schier unermeBlich erscheinen will, etwa nur dennbsp;zwanzigsten Teil der auf der Erde überhaupt gesprochnennbsp;Sprachen ausmachen. Ihr Übergewicht besteht ja allerdings darin,nbsp;daB sie die Sprachen der Kulturvölker sind, die den Erdkreisnbsp;beherrschen, und für die Betrachtung der Sprache nach dernbsp;Kulturseite haben sie darum auch natürlich unbedingt die gröBtenbsp;Bedeutung; sobald aber die Sprache nur als Sprache, nach ihrer

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Kapitel XX.

Naturseite in Betracht kommt, wo es sich also um die Erkenntnis der Entstehung und der Entwicklung der Lautgebilde an sich handelt, da fallt die innere Wertung weg, und so bedeuten für uns dienbsp;indogernaanischen Sprachen nicht mehr als die übrigen auch, undnbsp;so erhebend das BewuBtsein sein wird, ihren Stoff in seiner Entstehung vollstandig zu beherrschen, wir können uns nicht ver-schweigen, daC wir damit erst einen geringen Bruchteil dernbsp;Sprachen überhaupt erkannt haben. Würde es sich da niinnbsp;zeigen, dal5 wir mit den am Indogermanischen gewonnenen Ge-setzen tatsachlich den Erdkreis umspannen — und der Gedankenbsp;hat seine innere Wahrscheinlichkeit —, dann könnten wir unsnbsp;einer Herrschaft über den Stoff im tiefsten Sinne erfreuen, undnbsp;wir könnten dann auch erst wirklich von einer Erkenntnis dernbsp;Schöpfung der Sprache reden.

Doch mogen sich diese Dinge gestalten, wie sie wollen, mogen die Mittel und Wege für die Erkenntnis der übrigennbsp;Sprachen der Erde sogar noch so verschieden sein — nachdemnbsp;wir auf einem Sprachgebiete den Stoff haben beherrschen lemen,nbsp;müssen wir mit Notwendigkeit auf allen Gebieten zu demselbennbsp;Ziele gelangen können, und wenn wir mit dieser innern Erkenntnis in die Zukunft schauen, dann dürfen wir uns schonnbsp;von einem Vorgefühl der Stunde beschleichen lassen, wo wirnbsp;in unsrer Erkenntnis über dem ganzen Sprachstoff der Erdenbsp;stehn und von freier Höhe aus auf seine verschiednen Gebietenbsp;hinabsehend dem letzten, tiefsten Problem nachsinnen, der Ver-bindung von Leib und Seele in der Sprache.

Kapitel XX.

Die Idee und ihre Herrschaft.

„Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache“. So steht es in lapidaren Worten an bekannter Stelle, am Schlussenbsp;aller der Berichte, die über die Grundfragen des Lebens handeln,nbsp;über 'Gott und Welt’, die uns erzahlen von der Schöpfung der

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Dio Idee und ihre Herrschaft.

Welt, von tier Stellung des Menschen in ihr usw. und so zu-letzt auch von der Sprache des Menschengeschleclits, die danach also ursprünglich eins gewesen ist. Aber diese Einlieit solltenbsp;nicht dauern. „Wohlauf, lasset uns hernieder fahren und ihrenbsp;Sprache daselbst verwirren, daB keiner des andern Sprache ver-nehme!“ so droht ihr mit der Zerstreuung der Menschen in allenbsp;Lander alsbald der Untergang. — In welcher wunderbaren Ein-fachheit und zugleich mit welcher dramatischen Lebendigkeitnbsp;ist in diesem Bilde des quot;Turmbaus zu BabeL an einen Augen-blick geheftet gesagt, was als das natiirliche Ergebnis einer jahr-tausendelangen Geschichte der Menschheit wirklich geschehnnbsp;ist! Der ganze Vorgang ist typisch vorweggenommen. In unsnbsp;aber lebt diese verlorne Einheit seitdem als Idee, als ewige Sehn-sucht nach ihr fort, und es ist unserm Geiste eingeboren, dienbsp;Wege zu ihr aus der Vielgestaltigkeit der Dinge, in der wirnbsp;leben, zuriickzufinden. 'Lasset uns ihre Sprache verwirren’ —nbsp;noch einmal schlagt dieses Wort in ahnlicher Weise an unsernbsp;Ohr, auch an einer heiligen Stelle, wo der gröBte Geist unsersnbsp;deutschen Volkes in dem Wirrsal der Erscheinungen das sie ent-ratselnde Gesetz aufdeckt und eine mit der seinigen gleichge-stimmte Seele einfiihrt in die Erkenntnis der Wahrheit, daBiiberallnbsp;in der Natur in der Vielheit der Erscheinungen eine innerenbsp;Einheit waltet:

Dich verwirret, Geliebte, die tausendfdltige Mischung Dieses Blumengewuhls uber dem Garten umher;

Viele Namen hörest du an, und immer verdranget

Mit barbarischem Klang einer den andern im Ohr.

Alle Gestalten sind ahnlich, und keine gleichet der andern; Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz,

Auf ein heiliges Ratsel. 0, könnt’ ich dir, liebliche Freundin, Vberliefern sogleich glilcklich das losende Wort!

Und was nun der Dichter weiter von der 'Metamorphose der Pflanzen’, von ihrer immer wechselnden Gestaltung sagt, dasnbsp;gilt wie das eben Gesagte auch ganz von den Gehilden dernbsp;Sprache, von der Aufforderung an, sie werd end zu betrachten, wie sich alles stufenweise entwickelt, wie dienbsp;Kraft einfach in dem Stoffe geschlafen hat, und wie dem Kindenbsp;gleich auch die Gestalt der ersten Erscheinung einfach bleibt.

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Kapitel XX.

wie dann aber die Entfaltung zu einer fast grenzenlosen Man-nig-faltigkeit anhebt usw. usvv., bis endlich zu dem glück-lichen Ausruf:

Wende nun, o Gelichte, den Bliek zmn hunten Gewimniel,

Das verieirrend nicht niehr sich vor dem Geiste bewegt.

So könnea aucli wir jetzt sagen zu jedem, der mit uns die Ent-stehung und die Entwicklung der Tausende und Abertausende von Spracbgestalten verfolgt bat; unser Geist bat die Ordnungnbsp;erkannt, wo das Auge nur'buntes Gewimmel’ sab, freilicb keinenbsp;starre, sondern eine 'bewegliche Ordnung’, und es gilt nun aucbnbsp;von jedem Gebilde der Spracbe, was der Dicbter von demnbsp;organiscben Wacbstum der Pflanzen sagt:

Jede Pflanze v erkündet dir nun die ew’gen Gesetze,

Jede Blume, sie spricht lanter und lanter mit dir.

Kein einziges Wort der Spracbe kann für uns jetzt nocb stumm bleiben, jedes spricbt zu uns von dem Gesetze, wodurcb es danbsp;ist, und das es in sicb tragt, und die Spracbe aller vereinigt sicbnbsp;zu einem vielstimmigen Obor, in dem nicbts mebr von Ver-wirrung zu spüren ist, aus dem uns vielmebr die vollendetstenbsp;Harmonie entgegenklingt.

Die Prinzipien des Werdens sind in der ganzen Natur die-selben; wer sie auf einem Gebiet in ihrer Tiefe erkannt bat, der bat sie damit in dem ganzen Universum erkannt und be-herrscht — innerlicb! — alle Gebiete. Darum diese Überein-stimmung, ob es sicb urn das Pflanzen- oder urn das Spracbreicbnbsp;handelt, und darum aucb die Gewibbeit, mit der der Dicbternbsp;unmittelbar fortfabren kann;

Aher entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern,

Uberall siehst du sie dann, auch in verandertem Zug.

Uberall — vernehmen wir darum aucb dasselbe Hobelied von Einbeit und Einfacbbeit, und alle groBen Manner wissennbsp;auf den Höben ibrer Gebiete, zu denen sie sicb, oft aus un-scbeinbaren Aufangen, in gewaltigem, meist jabrzebntelangemnbsp;Pingen emporgearbeitet baben, die Summe ibrer Weisbeit nicbtnbsp;besser zusammenzufassen als in diesen Gedanken der Einbeitnbsp;und der Einfacbbeit, der zugleicb die ganze treibende Kraft allernbsp;ibrer Arbeit gewesen ist. Mit am grandiosesten tritt das wobl

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Die Idee und ihre Herrschaft.

bei einem Manne wie Robert Mayer hervor, der mit der Kraft des Genies das Hervorragendste auf dem Gebiete der Naturwissen-schaft geleistet hat, was in der ganzen Neuzeit zu verzeichnen ist,nbsp;der die Einheit der Naturkrafte erkannt hat, dafi Warme,nbsp;Licht, Elektrizitat, chemische Trennung nnd Verbindung usw.nbsp;nichts sind als verschiedne Erscheinungsformen ein und der-selben Wesenheit, nichts als verschiedne Formen von Bewegung,nbsp;dab die gesamte im Weltall vorhandne Energiemenge eine un-veranderliche Gröbe ist, und dab nur ihre Erscheinungsformennbsp;unablassig wechseln. Und welche Einheit nnd Einfachheit be-wundern wir an der gewaltigen Geistestat des Nikolaus Ko-pernikus! Nachdem die Mangel des Ptolemaischen Weltsystems,nbsp;das fast vierzehn Jahrhunderte lang fiir ein unantastbares Evan-gelium gegolten hatte, im Laufe der Zeit immer deutlicher hervor-getreten waren — die Planeten liefen nicht so, wie sie nach dernbsp;Theorie laufen sollten! —, nachdem jede neue liber den Laufnbsp;der Gestirne festgestellte Tatsache, anstatt die friihern Erklarungennbsp;zu bestatigen, zu ihrer eignen Erklarung immer ein neues Epi-zykel verlangt hatte, und das ganze System durch die Unzahlnbsp;dieser auf- und ineinander gefiigten Hilfskreise immer uniiber-sichtlicher und verwickelter geworden war, da mubte der Um-schwung erfolgen: der ganze Bau, der von vornherein auf un-sicherm Boden errichtet und mit immer kiinstlichern Mittein zunbsp;einer schwindelnden Höhe geführt worden war, mubte in sichnbsp;zusammenbrechen. Bezeichnend ist der bekannte Ausspruch, dennbsp;König Alfons X. von Kastilien getan haben soli, als ihm dernbsp;auf sein GeheiB in mehrjahriger Arbeit neu ausgefiihrte, mitnbsp;einem Aufwand höchster auberer Gelehrsamkeit konstruiertenbsp;Aufbau der Planetenbahnen und ihrer Vorausberechnung imnbsp;Jahre 1252 fertig vorgelegt wurde. Die grobe Menge der zunbsp;Hilfe genommnen Epizyklien, wodurch das Ganze bis zumnbsp;aubersten verwickelt, um nicht zu sagen verwirrt worden war,nbsp;erregte das unglaubige Staunen dieses königlichen Beschützersnbsp;und Förderers der astronomischen Wissenschaft so sehr, dab ernbsp;sich nicht enthalten konnte, vor den von ihm zur Ausfiihrungnbsp;des Werkes nach Toledo berufnen Gelehrten aller Landernbsp;zu bekennen, wenn Gott ihn bei der Schöpfung um Rat

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Kapitel XX.

gefragt liatte, so würde er die Sache einfacher einge-richtet haben. Derselbe Gedanke — wie raüBte sich der Scböpfer gefreut baben, so von seinem nacb dem eignen Bildenbsp;gescbaffnen Gescböpfe verstanden worden zu sein! — derselbe Einbeit iind Einfacbbeit fordernde Gedanke gewann etwasnbsp;über zweibundertfünfzig Jabre spater in deni Frauenburger Doin-berrn Nikolaus Kopernikus die Kraft zum Durcbbrucb. Wasnbsp;einzelne erleucbtete Geister scbon vor ibm leise geabnt und innbsp;seiner Möglicbkeit vermutet batten, davon zeigte er nun, dafi esnbsp;so sein müsse, daU die Erde sicb tatsacblicb um die Sonnenbsp;bewege, nicbt umgekebrt. Dreiundzwanzig Jabre seines Lebensnbsp;arbeitete er meist in stillerZurückgezogenbeit an der Durcbbildungnbsp;seiner reformatoriscben Ideen, wodurcb mit dem ganzen bisbernbsp;gültigen System anf einmal aufgeraumt warde, indem an dienbsp;Stelle der Vielbeit und der Verwicklung die Einbeit und die Ein

facbbeit traten, und wir füblen es dem tiefen Forscber nacb,


wie er mit innerlicbster Freude auf sein Lebenswerk sieht — 'De revolutionibus orbium coelestium’ ist der Titel seines Bucbes —nbsp;und den Gedanken der Einbeit kostend in die Worte aus-

bricbt; „Durcb keine Anordnung babe icb eine so be-wundernswürdige Symmetrie des Universums, eine

barmoniscbe Verbindung der Babnen finden

so

können, als da icb die Weltleucbte, die Sonne, die ganze Familie kreisender Gestirne lenkend, in die


Mitte des schonen Naturtempels wie auf einen könig-lichen Thron gesetzt habe.“ Und ibm reiht sich würdig der groBe Verteidiger seiner Lehre, der Begründer der modernennbsp;Physik an, Galileo Galilei, durcb dessen ganze, überaus viel-seitige wissenschaftliche Tatigkeit sich das von ibm selbst aus-gesprocbne Bekenntnis ziebt: alles in der Natur ist einfach.nbsp;Mogen wir uns weiter in die geologische Wissenschaft vertiefennbsp;und uns fragen, wie sicb die Gestaltung unsrer Erde vollzogennbsp;bat, so finden wir bei einem Forscber wie Eduard SueB innbsp;seinem grundlegenden Werke 'Das Antlitz der Erde’ den Grund-satz ausgesprochen, daB man für das tiefere Verstandnis dernbsp;Gebirgsbildung zu einer immer einheitlichern Erkenntnisnbsp;der Erdfaltungen verdringen müsse, oder mogen wir die auf

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Die Idee und ihro Herrschaft.

der Erde lebenden Wesen betrachten, so zeigen uns die For-schungen eines Darwin und seiner Schiller, wie in aller dieser Vielheit der Körperformen eine Einheit herrscht, wie es sich umnbsp;einenWeg organischer Entwicklung voni niedrigsten Lebewesennbsp;bis hinauf zum Menschen handelt, und was insbesondre wiedernbsp;den Menschen fiir sich angeht, so sehn wir den Anthropologennbsp;Johannes Ranke in seinem Buche 'Der Mensch’ mit Ent-schiedenheit fiir die Einbeit der Menschenrassen eintreten.nbsp;Und so ist es eben die höchste Aufgabe aller Wissenschaft überhaupt, die organische Einheit der Welt nachzuweisen,nbsp;die Schöpfung zu verstehn. Die einzelnen Stoffkreise, die Ge-biete der Forschung mogen noch so verschieden sein, überallnbsp;finden wir denselben leitenden Gedanken immer wieder ausge-sprochen, auch auf dem Gebiete wissenschaftlicher Forschung,nbsp;das dem allgemeinern Verstandnis als solches noch gar nichtnbsp;aufgegangen ist, auf dem Gebiete der Kriegswissenschaft, undnbsp;es kann uns darum nicht wundern, wenn wir von Karl voiinbsp;Clausewitz, dem groBen Schuier Scharnhorsts und berühmtennbsp;Reformator der modernen Kriegskunst, in seinem Buche 'Vomnbsp;Krieg' zu horen bekommen „lm Kriege ist alles einfach'‘,nbsp;mit dem bedeutungsvollen Zusatz „aber das Einfache istnbsp;schwer“.

Diese Art wissenschaftlicher Forschung aber ist nicht immer dageWesen. Sie konnte erst eintreten, nachdem sich der Menschnbsp;mehr und mehr seiner selbst als eines in sich einheitlichen undnbsp;einfachen Wesens bewuBt geworden war und sich über die Artnbsp;seiner Geisteskrafte wie über ihr Verhaltnis zu der ihn um-gebenden Welt klar zu werden begonnen hatte. Es kahn kaumnbsp;etwas Bezeichnenderes für alle Erkenntnis und Forschung gebennbsp;als die Worte, in denenKant diese 'Revolution der Denk-art’ in ihrer Wirkung auf die empirische Naturwissenschaft be-spricht. Ihre Bedeutung verlangt es von uns, sie hier unver-kürzt wiederzugeben; „Als Galilei seine Kugeln die schiefenbsp;Flache mit einer von ihm selbst gewahlten Schwere herabrollen,nbsp;oder Torricelli die Luft ein Gewicht, was er sich zum vorausnbsp;dem einer ihm bekannten Wassersaule gleich gedacht hatte,nbsp;tragen lieB, oder in noch spaterer Zeit Stahl Aletalle in Kalk

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Kapitel XX.

imd diesen wiederum in Metall verwandelte, indem er ihnen etwas entzog und wiedergab, so ging allen Naturforschern einnbsp;Licht auf. Sie begriffen, dab die Vernunft nur das einsieht,nbsp;was sie selbst naeh ibrem Entwurfe hervorbringt, dab sie mitnbsp;Prinzipien ihrer ürteile nach bestandigen Gesetzennbsp;vorangehn und die Natur nötigen miisse, auf ihrenbsp;Fragen zu antworten, nicht aber sich von ihr alleinnbsp;gleichsam ani Leitbande gangeln lassen miisse; dennnbsp;sonst hangen zufallige, nach keinem vorher entworfenen Planenbsp;gemachte Beobachtungeii gar nicht ineinem notwendigennbsp;Gesetze zusammen, welches doch die Vernunft suchtund bedarf.nbsp;Die Vernunft mub mit ih ren Prinzipien, nach denen allein über-einkommende Erscheinungen für Gesetze geiten können, in einernbsp;Hand und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte,nbsp;in der andern an die Natur gehn, zwar um von ihr belehrt zunbsp;werden, aber nicht in der Qualitat eines Schillers, dernbsp;sich alles vorsagen labt, was der Lehrer will,nbsp;sondern eines bestallten Kichters, der die Zeugennbsp;nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnennbsp;verlegt. Und so hat sogar Physik die so vorteilhafte Revolutionnbsp;ihrer Denkart lediglich dem Einfalle zu verdanken, demjenigen,nbsp;was die Vernunft selbst in die Natur hineinlegt, gemab dasjenigenbsp;in ihr zu suchen (nicht ihr anzudichten), was sie von diesernbsp;lernen mub, und woven sie fiir sich selhst nichts wissen wiirde.nbsp;Hiedurch ist die Naturwissenschaft allererst in den sichern Gangnbsp;einer Wissenschaft gebracht worden, da sie so viel Jahrhundertenbsp;durch nichts weiter als ein blobes Herumtappen gewesen war.“nbsp;Das sirfd Worte, die nicht genug beherzigt werden können, undnbsp;nur wer es mit Kant begriffen hat, wie quot;der synthetische Satz,nbsp;dab alles versehiedne empirische Bewubtsein innbsp;einem einigen Selbstbe wubtsein verbunden seinnbsp;miisse, der schlechthin erste und synthetische Grundsatz unsersnbsp;Denkens überhaupt ist’, dab, um es mit andern Worten zu sagen,nbsp;quot;der Mensch das Mab aller Dinge ist’, nur der kann es auchnbsp;verstehn, wenn Kant seinen Gedanken über 'das Verhaltnis desnbsp;Verstandes zu Gegenstanden überhaupt und die Möglichkeit,nbsp;diese a priori zu erkennen’, Ausdruck gibt in der scheinbar

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Dio Idee und ihre Herrsohaft.

widersiiinigen Fom; „Die Ordnung und EegehnaBigkeit also an den Erscheinungen^ die wir Natur nennen, bringen wir selbstnbsp;hinein, und wüiden sie auch nicht darin finden können, battennbsp;wir sie nicht uder die Natur unsers Gemüts ursprünglich hinein-gelegk’, oder noch zugespitzter ausgedrückt „der Verstandnbsp;ist selbst die Gesetzgebung für die Natur, selbst dernbsp;Quell der Ges et ze der Natur, und m it h in der for malennbsp;Einheit der Natur“, d. h. 'ohne Verstand würde es überallnbsp;nicht Natur, d. i. synthetische Einheit des Mannigfaltigen dernbsp;Erscheinungen nach Regeln geben , ohne den Verstand, der ebennbsp;seinem Wesen nach ‘jederzeit geschaftig ist, die Erscheinungennbsp;in der Absicht durchzuspahen, um an ihnen irgendeine Regelnbsp;aufzufinden. ünd das kann auch gar nicht anders sein. 'Dennnbsp;diese Natureinheit soil eine notwendige, d. i. a priori gewissenbsp;Einheit der Verknüpfung der Erscheinungen sein. Wie solltennbsp;wir aber wohl a priori eine synthetische Einheit auf die Bahnnbsp;bringen können, waren nicht in den ursprünglichen Erkeuntnis-quellen unsers Gemüts subjektiye Gründe solcher Einheit a priorinbsp;enthalten, und waren diese subjektiven Bedingungennbsp;nicht zugleich objektiv gültig, indem sie die Grimde dernbsp;Möglichkeit sind, überhaupt ein Objekt in der Erfahrung zu erkennen.’

Subjekt und Objekt sind eben nicht die Gegensatze, als die man sie so gewöhniich hinzustellen Hebt, es kommt ganz aufnbsp;das Subjekt, auf den Menschen an, in welcher Fühlung er mitnbsp;dem Objekt geblieben ist, ob und wie weit der Gegensatz auf-gehoben wird, und er wird es, je mehr der Einzelne in seinernbsp;Erkenntnis fortschreitet, je mehr die Wissenschaft als Ganzes sichnbsp;von der Analyse, von der sie ihrem Wesen nach ausgehn muB,nbsp;erhebt zur Synthese und sich damit wieder die Hand reicht mitnbsp;ihrer Schwester, der Kunst. Denn in der höchsten Menschen-art, im Künstler fallen Subjekt und Objekt von vornherein zu-sammen, wie sich in ihm auch der Gegensatz von mannlichemnbsp;und weiblichem Wiesen auf lost. Darum der wunderbare Zaubernbsp;von allem, was durch die Seele eines Künstlers gegangen ist,nbsp;darum der bestrickende Zwang, daB wir die Dinge sehen müssen,nbsp;wie er sie gesehn hat. ünd er sieht den Dingen eben kraft

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Kapitel XX.

seiner Natur ins Herz, ihm enthüllen sie, da er eins ist niit ihnen, unniittelbar ihr innerstes Wesen. Wo der Künstler vonnbsp;vornlierein steht, dahin ninfi sich die Wissenschaft erst hinauf-arbeiten: dann aber sind Wissenschaft und Kunst in ihrem Wesennbsp;eins, was von der einen gilt, das gilt auch von der andern, magnbsp;der Jünger der einen die ihn begeisternde Kraft seine Muse undnbsp;der der andern sie seine Idee nennen. Darum dann auch dienbsp;vollstandige Übereinstiinmung, ob wir wie bisher die Bekennt-nisse der auf den Höhen der Wissenschaft stehenden Manner ver-nehinen, oder ob wir von einem so universal angelegten Manne wienbsp;Hippolyte Taine in seiner 'Philosophie de Fart’ über dasnbsp;Wesen der Kunst die kurzen Worte horen „L’art a pour but denbsp;manifester 1’essence des choses“ und über das Wesen desnbsp;Künstlers im Gegensatz zu den andern Menschen die Wortenbsp;„Ce qui Ie fait artiste, c’est Fhabitude de dégager dans les objetsnbsp;Ie caractère essentiel et les traits saillants; les autresnbsp;hommes ne voient que des portions, il saisit 1’ensemble etnbsp;Pesprit.“ ünd dazu halte man das Bekenntnis eines Künstlersnbsp;selbst, wie wir es z. B. bei Gottfried Keller in seinemnbsp;‘Grünen Heinrich’ finden, und denke bei seinen Worten zugleichnbsp;an unsre Beherrschung des Sprachstoffs, wenn wir in dem Kapitelnbsp;'Arbeit und Beschaulichkeit’ hei ihm lesen: „Denn wie es mirnbsp;scheint, geht alles richtige Bestreben auf Verein-fa chung, Zurückführung undVereinigung des schein-bar Getrennten und Verschiednen auf einen Lebens-grund, und in diesem Bestreben, das Notwendige undEin-fache mit Kraft und Fülle und in seinem ganzen Wesennbsp;darzustellen, ist Kunst; darum unterscheiden sich die Künstler nurnbsp;dadurch von den andern Menschen, dafi sie das Wesentlichenbsp;gleich sehn und es mit Fülle darzustellen wissen, walmendnbsp;die andern dies wieder erkennen müssen und darüber erstaunen,nbsp;und darum sind auch alle die keine Meister, zu deren Verstandnisnbsp;es einer besondern Geschmacksrichtung oder einer künstlichennbsp;Schule bedarf.“ Das ist künstlerische Weltanschauung!

Ob Kunst, ob Wissenschaft, wo sie uns echt entgegentreten, da können wir überall nur immer wieder dieselben Worte vonnbsp;Wahrheit, Wesen,Notwendigkeit, von Einheit und Einfachheit ver-

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Die Idee und ihre Herrscliaft.

nehmen, und nocb höber als bei den bislier Genannten, am höchsten überhaupt klingt dieser Ton bei den Namen Spinozanbsp;ünd Goethe, wo diese Begriffe alle in dem Gedanken dernbsp;Ewigkeit gipfeln, wo die Dinge sub specie aeternitatis ange-schaut werden. Simplex verum est, diese unmittelbarenbsp;Gleichstellung der Begriffe 'einfachquot; und 'wahr’, nach der esnbsp;ganz eins ist, ob man sagt ‘das Einfache ist wahr’ oder ‘dasnbsp;Wahre ist einfach’, sie begegnet uns bei Spinoza mit den Benbsp;griffen der (intima) essentia und der necessitas immer und immernbsp;wieder, mag sie an der einen Stelle in der Form erscheinen 'Namnbsp;si esset simplex (scil. idea), esset clara et distincta, et per con-sequens vera’, oder mag an andrer Stelle gesagt werden ‘Namnbsp;res illa (scil. res simplicissima) non ex parte, sed tota autnbsp;nihil eius innotescere debebit’, oder welche andre Formennbsp;dieser Gedanke auch annehmen mag, es sind immer nur Ab-wandlungen des einen 'Nur was einfach ist, ist wahr.’ ündnbsp;derselbe Gedanke begegnet uns, nach der Wirkung des Einfachennbsp;ausgedrückt, in wieder andrer Wendung bei Goethe als das Be-kenntnis: „Was fruchtbar ist, allein ist wahr.“ Einfachheit undnbsp;Fruchtbarkeit als die Kennzeiclien der Wahrheit! Man ver-senke sicti nur in die Gedankenwelt dieses gröBten unsrer Dichter,nbsp;besonders in die Eeihe von Gedichten, die er unter der Be-zeichnung ‘Gott und Welt’ zusammengefaBt hat, sie alle ent-halten immer wieder nur denselben Gedanken von ‘dem ewignbsp;Einen, das sich vielfach offenbart’. Was ist es denn fürnbsp;eine Kraft in uns, die uns zwingt, mit brennendem Verlangen

Zu erforschen, zu erfahren,

Wie Natur im Schaffen lebf,

und um dieses Preises willen alles zu ertragen und alles andre gering zu achten? — Es ist die Wechselwirkung zwischen demnbsp;Makrokosmos auBer uns und dem Mikrokosmos in uns! Sienbsp;wollen sich Antwort geben, denn ‘im Innern ist ein Universumnbsp;auch.’ Alles Mannigfaltige und Wechselnde der Erscheinungennbsp;findet hier seinen Einklang, und es geht hierin dem Menschennbsp;der Zweck seines Daseins auf: „Zum Erstaunen bin ich da“ —nbsp;das d-avixdtsiv der Alten! Nur wer eine in sich abgeschloBnenbsp;Persönlichkeit ist und an sich in den reinsten Gedanken der

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Kapitel XX.

Vervollkommnung gearbeitet hat, kann dieses 'höchsten Glücks der Erdenkinder’ teilhaftig werden, und ilim scliallt es auch aufnbsp;den Höhen seines Schaffens beseligend entgegen:

Freue dich, höcJistes Geschöpf der Natur, du fühlest dich fahig,

Ihr den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend sich aufschwang. NacJtzudenken.

Er fühlt sich eins mit der ganzen Natur, eins mit dem Scliöpfer selbst, wie es ja nach Leibniz der Endzweck aller Wissenschaftnbsp;ist, „die Frömnaigkeit zu ehren und uns zu Gott zu erheben.“nbsp;Deshalb — steht der von der Idee der Einheit erfüllte Menschnbsp;wie ein Kampfer seinem Stoffe gegenüber, nur um ihretwillennbsp;schlagt er sich mit ihm herum, bis er sich zu fügen beginnt undnbsp;bekennen mul5, überwunden zu sein. Und wer diese Einheit aufnbsp;einem Gebiete tief erkannt und empfunden hat, der sieht sie ebennbsp;überall, in der ganzen Schöpfung, der wertet mit Spinoza dienbsp;verganglichen Güter Reichtum, Ehren und Sinnenlust nicht mehrnbsp;als den Gipfel des Besitzes und Genusses, der gelangt vielmehrnbsp;in den Besitz 'des wahren und höchsten Gutes’, das in nichtsnbsp;anderm bestehn kann als in der

cognitie unionis, quam mens cum tota natura habet, und so lost sich für ihn mit dieser Erkenntnis der letzten, höchstennbsp;Einheit, mit der er ‘die höhere Welt findet’, und die nichtsnbsp;andres ist als amor dei intellectualis, schlieDlich alles auf in dennbsp;ein en Akkord:

Wenn ini Unendlichen dasselhe Sich wiederholend eivig flieftt,

Das tausendfdltige Gewölbe Sich krciftig ineinander schlietH,

Strömt Lebenslus t aus allen Dingen,

Dem kleinsten wie dem gröflten Stern,

Und alles Drdngen, alles Ringen 1st ewige Ruh in Gott dem Herrn.

Dnick von J. B. Hirschïeld in Leipzig.

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