BAND IV.
IN DAS
EIN BEITRAG
ZUR GESCHICHTE UND METHODIK DER VERGLEICHER^DEN SPRACHFORSCHMG
VON
VIEETE, VÖLLia UMGEARBEITE’TE ADELAGE.
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LEIPZIG,
DRUCK IJND verlag VON BREITKOPP amp; KARTEL. 1904.
-ocr page 2-VAN HAMEL
E DONATIONE
PROFESSORIS ORDINARII INnbsp;ACADEMIAnbsp;RHENO-TRAIECTINAnbsp;1923-1946
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BEARBBITET VON
B. DELBEÜOE:, K. POY, H, HÜBSOEMAra, A. LESKIEN,
G. MEYEE, E. SIEVEES, W. STEEITBEEG, E. THUENEYSEN, W. D. WHITNEY, E. WINDISOH.
BAND IV.
EINLEITtTNG IN DAS STUDIUM DEE INDOflERMANISCHEN SPEACHEN, EIN BEITKAG ZUE GESCHICHTE UND METHODIK DEE YEEGLEICHENDENnbsp;SPKACHEOESCHUHG VON B. DELBRÜCK.
VIERTE, VÖLLIG ÜMGEARBEITETE AUFLAGE.
LEIPZIG,
DRÜCK UND VERLAG VON BREITKOPE amp; HARTEL. 1904.
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EINLEITÜNG
IN DAS
DEE
BIN BEITEAG
ZÜR UI.0CHICHTE UND METHODIK DER VERGLEICHENDEN SPRACHFORSCHUNG
VON
B. DELBRÜCK.
LEIPZIamp;,
DRÜCK UND VEELAG VON BREITKOPF amp; HAETEL. 1904.
-ocr page 8-AUe Hechte, inhesondere das der Übersetxung, wrbehalten.
-ocr page 9-Die vierte Auflage meiner Einleitung in das Sprachstudium, welche jetzt unter etwas bescheidnerem Titel erscheint, istnbsp;ein neues Buch, doch sind Tendenz, Darstellungsgebiet undnbsp;Gliederung dieselben geblieben. Wie ich 1880 die Absichtnbsp;batte, den Anfanger in die Geschichte und die Aufgabennbsp;der vergleichenden Sprachforschung einzuführen, so habe ichnbsp;auch jetzt nicht für meine Fachgenossen geschrieben, welchenbsp;natürlich diese Dinge ebensogut oder besser verstehen wie ich,nbsp;sondern ich hahe Lemende und ferner Stehende im Sinn ge-habt, welche sich eine Vorstellung davon machen wollen, wienbsp;es bei den Sprachforschern zugeht. Auf diesen gemeinyer-standlichen Oharakter meiner Darstellung lege ich besonderen Wert. Das Buch möchte gelesen, nicht bloB im einzelnennbsp;Fall nachgeschlagen werden. DaB in einer solchen kurzennbsp;Zusammenfassung sehr haufig ein Gegenstand nicht ausgeführtnbsp;werden, sondern lediglich auf die Bücher hingewiesen werdennbsp;kann, in denen der Leser weitere Belehrung findet, verstektnbsp;sich von selbst. Ich habe mich besonders gern auf Brugmannsnbsp;Kurze vergleichende Grammatik bezogen und würde mich freuen,nbsp;wenn meine Einleitung sich als eine Art von Erganzung diesesnbsp;Werkes bewahren sollte,
Mit dem ursprünglichen Plane, gerade diejenigen Probleme zu behandeln, welche im Jahre 1880 die Gemüter besondersnbsp;beschaftigten, hing die Beschrankung auf Laut- und Formenlehrenbsp;zusammen. Jetzt entstand naturgemaB die Frage, oh ich nichtnbsp;die Syntax hinzuziehen sollte. Ich habe es versucht, es steilte
-ocr page 10-VI
Yorrede.
sich aber bald heraus, daB die Ubersichtlicbkeit der Darstel-lung stark darunter leiden wiirde. So babe ich es denn beim alten gelassen. Auch die Sprachpsycbologie ist nur gelegent-lich gestreift worden. Ich boffe, bei einer neuen Bearbeitungnbsp;meiner Grundfragen der Spracbforschung (StraBburg 1900) michnbsp;ernstlicber damit befassen zu können.'
Was die Gliederung des Werkes in sicb betrifft, so zerfallt auch die neue Darstellung in einen erzahlenden und einen er-orternden Teil. Dabei bat sich der erzahlende gegen frühernbsp;vergröBert, nicht nur weil es jetzt mehr zu berichten gibt als vornbsp;fiinfundzwanzig Jahren, sondern auch weil es mir richtig schien,nbsp;einen Abschnitt über die grainmatischen Lehren der Griechennbsp;hinzuzufügen und die Ansichten Wilhelm von Humboldts aus-fiihrlicher darzustellen. In dem theoretischen Teil habe ichnbsp;mit Absicht gern darauf hingewiesen, wieviel noch zu tunnbsp;iibrig ist; man wird aber, wie ich hoffe, zugleich den Eindrucknbsp;empfangen, daB durch das Zusammenwirken so vieler hervor-ragender Manner (von denen ich einige in ihrem Wesen zunbsp;schildern versucht habe) ein stetiges Fortschreiten erreichtnbsp;worden ist. Multi pertransibunt et augebitur scientia.
Jena, August 1904.
Erstes Kapitel. Das Altertum.
Seite
Dionysios Thrax und Apollonios Dyskolos............ 1
Die Elementarlehre...................... 1—2
Die Akzente......................... 3—4
Die Silbe.......................... 4
Die Bedeteile........................ 5—14
und zwar 1) 6'vop.a 5—8, 2) und 3) p-^p-a und peToy-?] 9—11,
4) und 5) apüpov und dvTojvupïa 11—12 6) npóöeat? 12,7) énip-pïjpa 13, 8) ouvSeopo? 13—14.
Stammbildungs- und Èlexionslekre..............14—17
Syntax...........................18—21
Zweites Kapitel. Von den Kömern bis zur klassischen
Periode.
1) nbsp;nbsp;nbsp;Die Scbolastik und die Renaissance.............22—24
2) nbsp;nbsp;nbsp;Der EinfluG der bebraiscben Grammatik, und zwar a) dieWurzel
(Grazisten, Pbilosopben, Germanisten, darunter Sobottelius,
Eulda, Adelung).....................24—26
Der Begriif des Suffixes.................26—27
Die Personalendungen des Verbums............ 27
3) nbsp;nbsp;nbsp;Herder und Bernhardi: Herder, über den Ursprung der Sprache 28—29
Bernhardis grammatiscbes System...............29—35
Drittes Kapitel. Die klassische Periode der Spracbwissensohaft.
(Das Sanskrit und Eriedricb Schlegel, quot;Wilhelm v. Humboldt, Bopp,
J. Grimm, A. quot;W. Schlegel). AufsohlieGung Indiens durch die
Englander, W. Jones, Colebrooke.............36—37
Friedrich Schl^el, seine Theorie über den Ursprung der Flexion
und seine Klassifikation der Sprachen...........37—41
Wilhelm von Humboldt, allgemeine Oharakteristik.......41—42
Seine historische Ansicht, darunter
a) nbsp;nbsp;nbsp;seine Ansicht über Geschichte und Geschichtsforschungnbsp;überhaupt, die Sprache nicht aus dem Bedürfnis ent-standen,
b) nbsp;nbsp;nbsp;keine teleologische, sondern eine kausale Auffassung, dienbsp;Kausalitat durchbrochen durch Auftreten genialer Individuen,
c) nbsp;nbsp;nbsp;der einzelne und die Gesamtheit ....... 42—44
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Inlialtsverzeiclmis.
Seite
Humboldts pbilosophische Ansicht, Beziehung zu Kant, keine
analysierende Psychologie................ 44:—45
Das Wesen der Sprache im allgemeinen, kein Ergon, sondern
eine Energie....................... 45—46
Die innere und die auCere Sprachfonn............ 46—48
ürsprung der Sprache und Klassifikation der Sprachen, dabei
noch einmal die innere Sprachfonn............ 48—60
Humboldts Ansichten über die Flexion in den indogermanischen
Sprachen.................. 50—52
Das Abschleifen der Flexionen und die zwei Perioden in der
Entwicklung der Sprachen................ 62
Lautlehre.......................... 52—54
SchluBbetrachtung über Humboldt.............. 54—66
Franz Bopp, Allgemeines über sein Leben und seine Werke . . nbsp;nbsp;nbsp;66—67
Das Konjugationssystem von 1816.............. 57—59
Die analytische Vergleichung von 1819 . ........... 69—61
Die vergleichende Grammatik und die endgültige Formulierung seiner Theorie über die Entstehung der Flexion, Absage
an Friedrich Schlegel . . . !.............. 61—64
Bopps Verfahren bei der Vergleichung verwandter Sprachen,
seine naturwissenschaftliche Grundstimmung........ 64—68
Die mechanischen Gesetze.................. 68—69
Die physisohen Gesetze................... 69—71
Seine Methode scheitert bei den malaiisch-polynesischen Sprachen 71—72
Gesammturteil über Bopp.................. 73—74
Rask, Jakob Grimm, Allgemeines, sein Verhaltnis zu Savigny . nbsp;nbsp;nbsp;74—75
Historische Methode.................... 75—76
Deutsche Grammatik und Lautverschiebung . •......... 76—77
A. W. Schlegel, Begründer der Sanskritphilólogie in Deutschland nbsp;nbsp;nbsp;77—78
Verhaltnis zu Bopp..................... 79
Lassens Rezension über Bopps Sanskritgrammatiken...... 79—81
Viertes Kapitel. Von Bopp bis Schleicher und Curtius.
A. F. Pott......................... 82—83
Th. Benfey......................... 83—84
Max Müller......................... 84—85
Die vedischen Studiën und das Sanskritwörterbuch von Böhtlingk
und Roth........................ 85—86
Slavisten und Keltisten................... 86
Strengere Auffassung der Lautgesetze.............. 86—87
A. Schleicher, Allgemeines, sein Kompendium im Vergleich mit
Bopps Grammatik.................... 87—88
Seine Ansicht über Sprache und Flexion........... 88—89
Seine Stellung zu den Lautgesetzen.............. 90—92
Die Ursprache....................... 93
Fünftes Kapitel. Von Schleicher und Curtius bis zur Gegenwart.
Vorbereitung der neuen Anschauungen: H. Steinthal. ..... nbsp;nbsp;nbsp;97—100
W. D. Whitney.......................100—102
R. V. Raumer und die Lautphysiologie............102—103
GröCere Beachtung der lebenden Sprachen (Winteler, Ascoli,
Leskien) ......................... 104
-ocr page 13-Inhaltsverzeiohnis. nbsp;nbsp;nbsp;ix
Seite
Portschritte innerhalb der indogermanischen Sprachwissenschaft
im engeren Sinne: A. Piek................104—105
J. Schmidt.........................105
Die Trager der Eeformhewegung, Osthoff, K. Brugmann u. a. . 105—106 Darstellung der -wichtigsten Portschritte dieser Periode; Die Er-rungenschaften auf dem Gehiete der Lautverschiebung, H.
GraGmann.......................106
Vemers Gesetz.......................106—108
Die Portschritte auf dem Gebiet des Vokalismus: die sog. Spal-
tung des a-Lautes, e und o indogermanisch........108—110
Liquida sonans und Nasalis sonans..............110—112
Vokalsteigerung und Ablautsreihen..............112—113
Die Gutturalreihen.....................113—115
Vorlanfiger AbschluB durch Brugmanns GrundriB.......115
Neuere Bestrebungen: Vergleichende Altertumskunde.....116
Die hauptsachlichsten Zeitschriften..............116—117
Neue Ablautstheorien....................117—119
Sprachvergleiohende Grammatiken des Altindischen, Griechischen,
Italisohen, Germanisohen.................119—121
Sechstes Kapitel. Die Ursprache, die Entstehung der Flexion, die Völkertrennungen.
1. nbsp;nbsp;nbsp;Die Ursprache......................121—127
2. nbsp;nbsp;nbsp;Die Entstehung der Plexion, dabei Besprechung von Ludnrigs
Adaptationstheorie....................127_137
3. nbsp;nbsp;nbsp;Die Völkertrennungen, Dialekt und Sprache.........137—142
SohluBbetrachtung....................143
Siebentes Kapitel. Der Lautwandel.
1. nbsp;nbsp;nbsp;Historisohes über die theoretischen Ansichten........144—149
2. nbsp;nbsp;nbsp;Arten des Lautwandels, springender und allmahlicher, be-
dingter und unbedingter.................149—152
3. nbsp;nbsp;nbsp;Allgemeines: Grenzen der GleiohmaCigkeit.........153
Premdwörter . . . . •.................164
Gründe für die Veranderung der Aussprache; allgemeiner
Art, Klima, geistiger Aufschwung...........155—157
Bequemlichkeit.....................157—158
Nachahmungstheorie. ..................158
Zusammenfassung.................. . . 159—160
Achtes Kapitel. Die Analogiebildungen.
Historisohes........................161—164
Übersicht über das Auftreten von Analogien in den in der Sprache gegebenen natürliohen Verbanden: 1. Etymologischenbsp;Verbande 162. 2. Redeteilverbande, und zwar a) Verbum,nbsp;b) Nomen, c) Pronomen, d) Zahlwort, e) Adverbium, f) Pra-
position und Partikel..................164—168
Allgemeines........................168—171
Rnckblick auf die Entwicklnng der Spr achwissen-
schaft............. ... nbsp;nbsp;nbsp;.......172-175
-ocr page 14-ahd. = althochdeutsch.
ai. = altindisch.
air. = altirisch.
aksl. = altkirohenslaviscli.
alts. = altsaohsisoh.
arm. = armenisoh.
av. = avestiscla.
BB. = Beitrage znr Kunde der indogermanisohen Sprachen, herausgegeben von Bezzenberger und Prellwitz, Gottingen.
Becbtel = Bechtel, Die Hauptprobleme der indogermanisohen Lautlehre seit Schleicher, Gottingen 1892.
Benfey = Benfey, Geschiohte der Spraohwissenschaft, München 1869. Bölte, = Bölte, Antike Tradition in der modernen lateinischen Sohulgram-matik in Berichte des Preien deutschen Hoohstifts, Jahrgang 1891,nbsp;Heft 3.
Brugmann Griech. Gr. = Griechisohe Grammatik von Karl Brugmann, 8. Aufl., München 1900', in Jwan v. Miiller Handbuoh der klassi-schen Altertumswissensohaft. .
Brugmann GrundriB = Karl Brugmann, GrundriB der vergleiohenden Grammatik der indogermanisohen Sprachen, StraBburg Trühner.nbsp;Ourtius Grundz. = Grundzüge der griechischen Etymologie von Georgnbsp;Curtius,' 5. Aufl., Leipzig 1879.
Dionysios = G. Uhlig Dionysii Thracis ars grammatica, Lipsiae 1883. Grammatici graeci = Grammatici graeci recogniti et apparato critico in-struoti, Lipsiae 1883 ff., bearbeitet von Uhlig und Hilgard.
Hirt = Hirt, Der indogermanische Ablaut, StraBburg 1900.
IP. = Indogermanische Porschungen, Zeitschrift für indogermanische Sprache und Altertumskunde, herausgegeben von Brugmann undnbsp;Streitherg, StraBburg.
KVG. = Kurze vei^leiohende Grammatik der indogermanischen Sprachen von Karl Brugmann, StraBburg 1904 (auch als Brugmann Kurzenbsp;Gr. zitiert).
KZ. = Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung, jetzt herausgegeben von B. Kuhn und W. Schulze, Gütersloh (früher Berlin).nbsp;Lefmann = Lefmann, Pranz Bopp, Sein Leben und seine “Wissenschaft,nbsp;Berlin 1895, nebst Nachtrag 1897.
Morphologische Untersuchungen = Morphologische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen von Osthoff undnbsp;Brugmann, Leipzig 1878 ff.
Oertel = Hanns Oertel, Lectures on the study of language, New-York and London 1901.
Schleicher Komp. = A. Schleicher, Kompendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen, Weimar 1861.
K. E. A. Schmidt = Karl Ernst August Schmidt, Beitrage zur Gesohichte der Grammatik des Griechischen und Lateinischen, Halle 1859.nbsp;Steinthal = H. Steinthal, Geschiohte der Sprachwissenschaft hei dennbsp;Griechen und Römern mit besonderer Rüoksicht auf die Logik,nbsp;Zweite Auflage, Berlin 1890.
Thurot = Thurot, Notices et extraits des manuscrits de la hibliothèque impériale XXII, 2 Paris 1868.
Uhlig = G. Uhlig, Dionysii Thracis ars grammatica, Lipsiae 1883.
-ocr page 15-vgl. Staöéaets. aitiaTixT] aeomativus 8. 20. dxaraXXrjXia 18.nbsp;d'xXtxo? 13. dfAETdpoXa (Ypd(A(J.aTa, liquidae) 17. dviatpopa, dvatpoptxos 12. dvTavaxXropiévï] reflexivum 12.nbsp;dvTajNU[Aia pronomen 4. 11.nbsp;dópioToc indefinita 12.nbsp;dópiaxos Aorist 10. 127.nbsp;dTtatxéo) von Verben, welcbe Kasusnbsp;erfordem 20. duapép.tpaTo; infmitivus 9. 10. ditXotiv simplex 7. 9.nbsp;d-oXeiiTo) Wvollstandig sein’ vonnbsp;Teilen eines Kompositums 7.nbsp;dTtoXEXupiévov ahsolutum 6.nbsp;dpamp;po'i artiaulus 4. 12. 168, upoiaa-aufrevov Artikel 12, uTioTaosó|xevovnbsp;Relativpronomen 12.nbsp;dpi8[jnr)xty.d numeralia 6. 167.nbsp;dpiSpioi numeri 5. 7.nbsp;dp)ci] eines Wortes lö.nbsp;o.vilt;sgt;')ri, mutae 2. papeia gravis 4. ^apijTO'iov (f)'^p.a) 17. ¦je-n-x.’q genetivus 8. YEvixov generale 6. YÉvoï 5. 7. 33. 48. 50. YpdfAfAaxa literae 2. 8aaéa aspiratae 2. 103. 104. 142. SeixTiKÓï 12. 8ia9éaei{ genera verbi 9. SicpSoYYo; 2. 8t(uvufj.oY 6. BoTf/d] dativus 8. 20. Suïxó; dmlis 7. 32. 48. 50. èYxXioeis modi 9. 10. 50. èövtxóv gentile 6.nbsp;ëihi] 5. 9.nbsp;êXXeoJm 20. 25. |
èvépYeia aetivum 10. èvesTiuc (xpóvo;) praesens 10. 62.nbsp;évmó? singularis 7.nbsp;èitiöeTOY adjeetivwn 6. 22.nbsp;èntxowoY 7. éTtippïjfAa 4. 13. 168. dSpoiceojc con-gregandi 13, dTiaYopeuoEius prohi-bitiva 13, iTza\xiMX\-/.a. jurativa nega-tiva 13, dpiilpioD BïjXiuTiy.d multi-plicativa 13, dp-V'/jaero? tq dmocpdosrai; negandi 13, pepanuaecu? affi/rman-di 13, eiyaapioü conjeeturae 13,nbsp;èirtTdoetoï intensiva 13, èpcurriCEo):nbsp;interrogativa 13,nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;aïjp.avxiyd optativa 13, D-eriyd 13, 7.oiT(up.oTt7,d jurativa affirmativa 13, p.£oótt)to;nbsp;i3, napapoXTi; similitudinis 13,nbsp;TiapaxEXeóaeaj; hortationis 13, ttoi-ÓTÏ1T04 qualitatislS, TiooÓTïjxojg'Maw-titatis 13, auYyaTaüéaeo); adnu-endi 13, ouYxplseojj eomparativa 13,nbsp;xd^etuï ordinativa 13.nbsp;éTtiaToXTixï) Dativ 8. èTClÓYUIJ.OV 6. èpMT'fjp.axixd interrogativa 12. eudsTa casus rectus 8. eiiyxty-^ optativus 10. 61. 62. 90. 127. Tf][j.icpaiva semivoeales 2. »é!j.o 15. öepiaxiyii; 16. 18. SéaEi positions 4. 8ï]Xu7.óv femininum 7. iSiyóv speciale 6. iStoiï 5. ya9após vom Vokal der verba pura. 17. yaxaXX'TjXóxx)? 18. yaxïjYÓp'rjp.a 9._ yXTQXtxT] voeativus 8. yXtat? declinatio 15. |
134.
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Index der grammatisclien Termini.
172. xotvóv commune 7. xotvui; 5. xTïjTtx-/) possessivus 8. zTïjTf/ióv possessivum 6. 12. Uiii 2. 18. Wortende 16. Xófo; oratio Satz 2. 18. 34. (jiéXXtav (xpóvo;) futurum 10. 62. 127. [j.épY] Toü AÓYou partes orationis 4. 18. 23. 31. jj.éoa mediae 2. 3. pieaÓTYjï medium 10.nbsp;jj.E'raa/ïjpiaTiop.ó? 15.nbsp;p.eTouaioisTixó'i (Adjektivum) 6.nbsp;p.ETox'f) participium 4. 11. 32.nbsp;fióptov particula ö. è[J.(ÓVU[J.OV (ÓV0[AC() 6. 6'vop.a nomen 4. 5. 23. 88. 166. xé-proprium 6. iipooYiYopixóv apei-lativum 5. óvopiaoTix-f] nominativus 8. ó^eïa aeutus 3. Ó^UTOVOV 16. èpft-t) casus rectus 8.nbsp;ópiaTix'f] indicativus 10.nbsp;oiSéxspov neutrum 7.nbsp;oüoia substantia 6. Jiotftïj der Laute 15. Tcdftoï passivum 10. 52. -62. TtotpdYeiv derivare 14. 15. 33. nap'dymyo'i 15, vom Nomen 6, vomnbsp;Verbum 9. Ttapaxsipievos perfectum 10. TTctpaoóvfteTov d£Compositum, vom Nomen 7, vom Verbum 9. Ttapdtaaiï Dauer 11. ¦jiapaxaxixós imperfectum 10. TtapsXvjXuöiu? (-f pó'icCf praeteritum 10.nbsp;TrapSTtójj.E'Ja 5. 7rapttgt;vu(Aov denominativum 6. TiaTpix-i) vom Grenetiv 8. 7taTp(»Nup.r/ó'j 6. TceTioiYjpiévov schallnachahmend 7. TieptexTixóv comprehensivum 6.nbsp;zepiXïjTtTtxóv collectivum 6.nbsp;¦!ieptlt;3TCd)jJ.evtt ({)4i(j.aTa) 17. TrepiSTrroirÉVT) circumflexus 4. 7iXotYi“‘ (iiTrósei;) casus obliqui 8. TxXrjduvTtxói pluralis 7. 7tpóamp;£3t; praepositio 4. 12. 168. TipoaaYopeuTix'f] Vokativ 8. JipooTaxTixï) imperativus 10. |
Tipó? Tl f/oM relativum (Nomen, z. B. 7IC(Tlf)p) 7. itpoaqjMa accentus 4. 30. 34. 106. 107. 117. Ttpósoniov persona 4. TtpiuTV) ftéois 16. «piDTÓTUTrov primitivum 15, vom Nomen 6, vom Verbum 9. jiTiöaiï casus 8. 33. ^ITlOTlXÓi 15. 18. 'pr^i-a verbum 4. 9. 23. 88. 164. vgl. naOapóï, TTspiairtupievo;. fjïjpiaTi/ióv (övopia) 6. oToi)fsTov elementum 2. 30. ouYxpiTtxóv comparativus 6.nbsp;au^UYia eonjugatio 11. 17.nbsp;ouXXdp-f) 2. 4.nbsp;oófjitpmva consonamtes 2.nbsp;aévSeupio; conjunctio 5. 12. 13. 21. 31;nbsp;aJTioXoYixoi 14, diioprjpiaTixoi dubi-tativaeUif SiaCsuxTixoi disjunetivaenbsp;14, 7rapa7tXï]ptt)p.aTtxoi disjunetivaenbsp;14, TiapaauvaiTTixot 14, ayXXoYioti/otnbsp;colleetivae oder rationales 14, aupi-'itXcv.Tiy.oi eopulativae 14, ouNamt-¦/oï 14. O’jvfteai; 18. suvftsTov compositum 34. 134, vom Nomen. 7, vom Verbum 9.nbsp;alvTalts 12. 18. 3’jVTéXeta 11. 3UV(UVUp.0V 6. 3')(^£3si? Richtungen 13. s^dipiaxa 5. 9. TaxTtxd ordinalia 5. xéXo? eines Wortes 15. TÓyo; 3. Toinxd localia 13. bqpd liquidae 2. ÜTiepOeTf/óv superlativus 6. ÓTrepsuviéXixo? plusquamperfecUim 10.nbsp;uTToxopisTixóv diminutivum 6.nbsp;iiTcoTa-ATi-/.-/) conjunctivus 10. 90. YEpiUVUpiOV 6. cp63ei natura 4. ipoiyïjeyTa vacates 2. Xapa-ZTÜp 8. Xpó'^ot 9. 48. 4)tXd tenues 2. 3. O)? Tipó? Tl ïyp') 7. |
xm
Index der grammatischen Termini.
ablativus 8. actio, perfecta und imperfecta 11. augmentum (aamp;^ïjoiï) öo. 62.nbsp;cardinalia 5. causales (conjunctiones) 14. |
declinatio, ordines 17. interjectio 6. 13.nbsp;positivus (gradus) 6.nbsp;rationales '(conjunctiones) 14. |
Ablaut Ö4. 107. 113. 117. Absohleifung 62. 54. Absolute Kasus 22. Affixum 27. Analogie 92. 103. 108. 147. 162. Apposition 34. Assimilation 100. Attraktion 100. Attribut 20. Attributivum 31. Base 136. Condicionales 14. Dentales 3. Desiderativum 62. Euphonische Veranderungen 144. Explosivlaute 145.. Flexion 14. 26. 50. 83. 89. 90. 130. Formans 137. Pormenlebre 33. Frikativlaute 106. 145. Guna 53. Gutturales 3. 113. 140. Instrumentalis 8. Inversion 34. Kasusendungen 61. Kausativa 62. Kongruenz 19. Konstruieren 23. 33. Kopula 23. 179. Labiales 3. Laut 30. 46. 48. Lautverschiebung 76. 106. |
Liquida sonans 110. Lokalis, Lokativus 8. Nasalis sonans 111. Nebensatze 14. 21. 35. Palatales 105. 110. 114. Particula 5. 14. 23. 31. Personalendungen 24. 27. 58. 60, 62. 90. 128. 134. 173. Pluralia tantum 8. Potentialis 58. Pradikat 23. 34. Prafix 26. Bektiou 20. 22. Satz und Urteil 35. Satzgefüge 21. Singularia tantum 8. Spirans 103. Stamm 15. 34. 130. Stammbildungssuffixe 63. 90.nbsp;Stamm'worter 30. Steigerung 58. Subjekt 19. 23. 34. Substantivum 6. 20. 22. Suffix 15. 24. 26. 84 137. 173. Verbum finitum und infinitum 9. 11. Verbum substantivum 24. 32. 51. 57.nbsp;58. 62. 80. Vokalsteigerung 112. Wortbildung 14. Wortstellung 23. 33. Wurzel 15. 16. 24 ff. 39. 52. 59. 86. 135 ff. 173. Wurzelklassen 61. 90. quot;Wurzelworter 25. 30. |
Adelimg 25. 26. 135. Apollonios Dyskolos 1. 10. 12. 15. 16. 17. 19. 20. 21. Aristarchos 1. Aristoteles 1. 8. Ascoli 94. 96. 104. 114. AufrecM 85. 116. Baeher 26. Baudouii). de Courtenay 157. Bechtel 105. 106. 109. 110. 114. Behaghel 120. J. Bekker 1. 18. Benfey 24. 36. 37. 83. 84. 85. 91. 96. 104. Bemhardi 29fif. Bezzenberger 105. 114. 116. Bloomfield 117. Böhtlingk 79. 85. 86. Bölte 17. • Bopp 9. 16. 23 ff. 108. 127 ff. 172 ff. V. Bradke 116. Brandstetter 154. Braune 120. 150. 151. Bréal 66. 116. Bremer 149. 159. de Brosses 24. 25. Brücke 103. 174. Brugmann 3. 101 ff. Buck 120. Bübler 119. Buttmann 82. Carey 37. Colehrooke 36. Collitz 105. 110. 114. Corssen 82. 96. G. Curtius 53 ff. 82 ff. 109 ff. 127.139 ff. Damm 24. Darwin 173. Dionysios Thrax Iff. Dobrowsky 86. Donatus 22. |
Ebel 86. Engler 116. Fiok 91. 104.105. 114. 117. 128.134, Forster 37nbsp;Fortunatov 105. Fulda 25. 26. 52. Geiger 119. Gelbke 162. Goethe 37. 40. 47 Anm. Golling 22. Grater 25. Grassmann 106. J. Grimm 32 ff. 74 ff. 102. Hale 120. Hamilton 37. Haughton 52. 127. Hebn 116. Hegel 87. Herbart 45. 98. 175. Herder 28. 29. 37 ff. Hermann 23. 32. Hirt 117 ff. Hoffmann 119. Hübschmann 8. 117. W. V. Humboldt 28. 29. 36 ff. 59. 65. 74. Jellinek 25. 27. 102. 103. Job 12. Johannson 92. Jones 36. 38. 93. Junius 27. Kant 35. 44. Karadschitsch 86. Kielhorn 119 Kleist 16. Kluge 120. Kopitar 86. Kretschmer 105. 123. A. Kuhn 85. 91. 116. |
XV
Autorenverzeichnis.
E. Kuhn 116. 119. Landgraf 22. Lassen 64. 80. 81. Lazarus 99. Lefmann 54. 55. 59. Leist 116. Leskien 104. 147. 162. 163. Lindsay 120. Ludwig 129 ff. 173. Macaulay 36. MeiUet 116. Merzdorf 104. Gr. Meyer 112. 119. H. Meyer 155. L. nbsp;nbsp;nbsp;Meyer 1. Anm. R. M. Meyer 24. 99 Anm. Miklosicli 86. Misteli 99. Mommsen 142. M. nbsp;nbsp;nbsp;Muller 84. 85. Kohl 120. Noreen 120. Oertel 123. 138. 144. 149. Osthofif 105. 111. 148. Paguino 26. Remmius Palaemon 17. Paul 74.75.100.115.119.148.164.175. Pedersen 106. Philoxenos 16. 17. V. Planta 120. Pott 42. 55. 64 Anm. 71. 77. 82. 83. 86. 90. 91. 104. 135. 162. Prellwitz 116. Priscianus 22. Bask 74. 76. R. V. Raumer 26. 102. 103. Renan 83. Reuchlin 24. 27. Rosen 85. Roth 85. 86. 100. Silvestre de Saoy 56. Sanctius 23. 24. Saussure 105. 117. Savigny 75. Sayce 128. 133. 134. |
Scheid 27. 60. Schelling 35. 40. Scherer 103. 147. 162. Schiller 44. A. W. Schlegel 36. 73 ff. Pr. Schlegel 36 ff. 50 ff. 90.129. 173. Schleicher 65. 67. 68. 82 ff. 106 ff. 123 ff. 139 ff. 173. Schmalz 120 J. nbsp;nbsp;nbsp;Schmidt 91. 92.103.105.114. 116.nbsp;126. 140. 141. 147. K. nbsp;nbsp;nbsp;E. A. Schmidt 3. 5. 6. Schottelius 26. Schrader 116. 142. Schuchardt 140. 149. W. Schulze 116. 120. Sievers 103. 149 ff. 158. Solmsen 106. 106. 120. Sommer 120. Steinthal 1 Anm. 6.12.16.42.97 ff. 176. Stolzl20. Streitberg 89. 94. 116. 120. Slitterlin 4. 121. Thurneysen 116. 120. 160. Thurot 22. 23. Uhlig 1. 4. 14. Valckenaer 27. Laurentius Valla 23. Verner 106 ff. 165 ff. Waokernagel 119. 120. 160. Weber 100. Wechssler 144. Westergaard 85. 86. Westphal 81. 129. Wheeler 160. Whitney 86. 97. 100 ff. Wilkins 37. AVilmanns 120. AVilson 85. Windisoh 95. Windischmann 66. 57. Winteler 104. 154. Wundt 121. 166. 175. Zeuss 86. Zimmer 100. Zupitza 123. |
Zu S. 86. Über R. Roth vgl. meine Gedachtnisrede Zeitschrift der Deutscben morgenlandisohen Gesellschaft 49, 550; Garbe BB. 22, 139 fif.nbsp;Über O. Böhtlingk meinen Artikel in JF. Anzeiger vom Herbst 1904.
-ocr page 21-Die Gegenwart ist in ihren grammatischen Anschauungen noch immer in hohem MaBe abhangig von den Griechen. Esnbsp;empfiehlt sich daher, eine Einführung in die moderne indogerma-nische i) Sprachwissenschaft, wie sie in diesem Buche beabsichtigtnbsp;ist, mit einem Überblick über die grammatischen Lehren der Griechen zu beginnen. Dabei kann es nicht meine Aufgabe sein zunbsp;zeigen, wie die griechischen Lehren sich auf den von den Phi-losophen, namentlicb Aristoteles und den Stoikern, gelegtennbsp;Grundlagen unter den Handen der Philologen endgiiltig gestaltetnbsp;haben, es kommt mir vielmehr nur darauf an, dasjenige Systemnbsp;als ein fertiges vorzuführen, an welches die Folgezeit sich an-geschlossen hat. Dieses System nun findet sich, soweit es dienbsp;Laut- und Formenlehre betrifft, zusammengefaSt in der Technenbsp;des Dionysios Thrax, eines Schillers des Aristarch, welchernbsp;im zweiten Jahrhundert vor Christus lebte, wahrend die wissen-schaftliche Syntax von Apollonios Dyskolos begründet worden ist, ebenfalls einem Alexandriner, der vorübergehend zurnbsp;Zeit des Antoninus Pius in Bom lehrte. Die beiden genanntennbsp;Schriften liegen denn auch meiner Darstellung zugrunde^).
1) nbsp;nbsp;nbsp;über diesen in Deutschland übliohen und daher von mir beibe-haltenen Ausdruck s. L. Meyer Göttinger Kachr. hist.-phil. Klasse 1901,nbsp;S. 448.
2) nbsp;nbsp;nbsp;Vgl. H. Steinthal Geschichte der Sprachwissenschaft bei den
Griechen und Römern mit besonderer Rücksicht auf die Logik, zweite Auf-lage, Berlin 1890; G. ühlig Dionysii Thracis ars grammatica, Lipsiae 1883. Apollonios’ Dyskolos Schrift TOplnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;ist von J. Bekker 1817
herausgegeben. Eine neue Ausgabe sollen die Grammatici Graeci von Schneider und ühlig bringen.
I^elbrück, Einl. i. d. Stud. d. indogem. Spracken. 4. Aufl. nbsp;nbsp;nbsp;1
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Die Alten zerlegten den Satz (Xdyo?, oratio) in seine Teile, diese Teile in Silben, und die Silben in die unzerlegbaren letztennbsp;Elemente. DemgemaB handelt Dionysios, mit dem Einfachstennbsp;beginnend, bintereinander Trspi gtov/zIw, Ttepl ouXXap%, usplnbsp;XÉ^sw?, und wir folgen ihm auf diesem Wege.
Was zunachst die letzten Elenaente (die Elementarlehre, wie unsere alteren Granimatiken sagen) betrifft, so bezeichnennbsp;die griechischen Grammatiker, deren Bliek fast durchaus aufnbsp;die gesebriebene Spraebe geriebtet ist, sie niebt wie wir alsnbsp;Laute, sondern als ypapifiaTa {literae, Buebstaben), deren es vier-undzwanzig gibt, eine Zablung, bei der sie das zur allgemeinennbsp;Norm gewordene atbenisebe Alphabet zugrunde legen. Sienbsp;reebnen also aucb I und mit, und untersebeiden nur beinbsp;einigen Yokalen Lange und Kürze. Die ypdp.[i,aTa zerfallen innbsp;lt;p(uvïjevTa vocales und oup,cpu)va consonantes. Die Vokale sindnbsp;«piovTjsvxa genannt, weil sie an sieb selbst «(ovyj darstellen, wo-bei aber zu bemerken ist, daB die Alten eine unsern Anfor-derungen entspreebende Definition des Begriffes cpmvY] niebt auf-gestellt baben. Eine Abteilung der cptovYjevxa bilden die 8t-«bo'i-yoi. Das femininisebe Besitzkompositum Stcpamp;oYyo?, zu demnbsp;wobl das Substantivum ypacefj zu erganzen ist, benennt seinennbsp;Gegenstand ursprünglicb von der lautHcben Seite ber, wird abernbsp;bei den Grammatikern für jeden Vokalklang gebrauebt, der mitnbsp;zwei Yokalzeicben gesebrieben wird. Dionysios untersebeidetnbsp;ibrer seebs, namlieb ai au si su oi ou, reebnet also weder uinbsp;nocb Yj ip 7]u (DU dazu, was von andern gesebab. Die Kon-sonanten werden bei Dionysios in T^p-icpcuva [semivocales] undnbsp;oLwtDva [mutae] eingeteilt. Zu den ersteren geboren C ? X p.nbsp;V p a, eine Gruppe, in welcber augensebeinlieb aus Yerlegenbeitnbsp;Unzusammengeböriges verbunden ist, so daB es niebt nötig ist,nbsp;naber darauf einzugeben. Es sei nur nocb bemerkt, daB dienbsp;vier Laute X p. v p (in dieser dureb die zufallige Beibenfolgenbsp;im Alphabet gegebenen Ordnung) aucb u^pa liquidae genanntnbsp;werden, womit wobl ihre Ausspraebe- im Gegensatz zu Lautennbsp;wie ’/ T TT besebrieben werden soil. Der aeptova sind neun,nbsp;namliebnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;wobei, wie man siebt, wiederum die
alphabetisebe Reihenfolge so weit gewahrt ist, als es die Ein-teilung in Untergruppen zulieB. Diese Untergruppen aber sind: i}aXa (z xt t), 8aoéa (fi cp /), psaa (p y 6). Dabei bedeutetnbsp;iJ^iXó? 'kabL, d. h. glatt und einfach ohne Zusatz eines Hauchesnbsp;gesprochen, Sauu? quot;^raub, d. b. mit einem Hauch versehen (sonbsp;wie man ein Feil 5aau nennt, das nicht glatt ist, sondern Haare
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hat), mit (isao? aher soil eine zwischen beiden Extremen liegende Anssprache bezeichnet werden. Man kann nicht deutlich genugnbsp;erseben, welcbe Anssprache gemeint ist, es muB aher wohlnbsp;eine solche sein, welcbe der neugriecbischen nahe liegt. Dennnbsp;wenn z. B. [i nicht ungefahr so wie unser w gesprochen ware,nbsp;könnte man doch nicht gut hehaupten, daB es in bezug auf dienbsp;Hauchung eine Mittelstellung zwischen k und cp einnehme. Dienbsp;lateinischen Grammatiker hahen die drei genannten Termininbsp;verschieden übersetzt; in der neuern Grammatik hahen sich imnbsp;AnschluB an sie die Ausdrücke tenuis i), aspirata, media fest-gesetzt. Den Alten ist natürlich nicht entgangen, daB dienbsp;mutae sich wie von selbst nach den Stellen des Sprachorgansnbsp;einteilen, welcbe bei ihrer Hervorbringung besonders heteihgtnbsp;sind, also (um unsere Termini zu gehrauchen) in labiates, den-tales, gutturales (vgl. Karl Ernst August Schmidt Beitrage zurnbsp;Geschichte der Grammatik des Griechischen und Lateinischen,nbsp;Halle 1859, S. 83), aher in das System der Schulgrammatiknbsp;ist diese Gruppierung nicht gedrungen.
Blickt man auf das von den Alten aufgestellte Lautsystem zurück, so muB man gestehen, daB es mangelhaft ist, und zwarnbsp;deshalh, weil die Alten lautphysiologische Beobachtungen, wienbsp;sie bei uns seit etwa einem Menschenalter für die Sprachwissen-schaft verwertet werden, nicht in genügendem MaBe angestelltnbsp;hahen. Wie unter Benutzung dieser Errungenschaften die in-dogermanischen Laute jetzt henannt und eingeteilt werden, laBtnbsp;sich heguem in Brugmanns Kurzer Grammatik S.33ff. ühersehen.
Eine Lautlehre im Sinne der modernen Wissenschaft, welche in den Veranderungen der Laute gesetzmaBige Vorgangenbsp;erhlickt, hahen die Alten nicht aufgestellt, es wird also hier-auf nur bei Gelegenheit der Elexionslehre hinzuweisen seinnbsp;(unten S. 15). Dagegen erscheint es richtig, hier die Akzentenbsp;zu erwahnen, wenn auch Dionysios sie an anderer Stelle, nam-lich bei der Lehre vom Vortrag, behandelt. Dionysios beginntnbsp;den Paragraphen uspl xdvou mit der aus der Musik entnom-menen Definition; xdvo? catlv dicYjj'yjai? cpmv% èvapjxovi'oo, wasnbsp;wir übersetzen: 'ein Ton ist ein Hall harmonischer Stimme’,nbsp;wohei allerdings die technischen Ausdrücke nicht scharf wieder-gegeben sein mogen. Diesenbsp;nbsp;nbsp;nbsp;erscheint in drei Eormen,
namlich xard dvdoxaaiv in Eorm der Erhebung (das ist die è^sTa, der Akut), -/atd ópaXiapdv in Form der Gleichmachung,
1) Wer tennis als Terminus eingeführt kat, ist mir nicht bekannt.
1*
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gleichmaBig (das ist die papsTa, der Gravis), endlich /a-d TTEpwXaoïv in Form der Umknicknng (das ist die TTEpioTnuij.Évrj,nbsp;der Zirkumflex). Bei den femininischen Formen ólsTa usw. istnbsp;TrpoacpSi'a accentm zu erganzen, denn die Akzente sind etwasnbsp;Musikalisches, das zu der bloBen Lesung der Buchstaben bin-zukommt. Manche Grainmatiker befaBten unter irpoafpSi'a auchnbsp;noch die xpdvoi, d. h. die Berücksichtigung der Lange und Kürzenbsp;bei den in dieser Hinsicht nicht charakterisiertenVokalzeichen, dienbsp;¦7rvsup.ava und überhaupt alles, was bei der Lesung auBer dennbsp;Buchstaben zu beachten war, woraus sich unsere Anwendungnbsp;des Wortes Prosodie erklart (vgl. Uhlig unter TipootpSi'a). Wasnbsp;die Namen der einzelnen Akzente betrifft, so bezeichnet è$stanbsp;die scharfe, hohe Stimme, papsta die schwere dumpfe und tiefenbsp;(z. B. die des Kyklopen bei Homer), TTepiaTrcup-svY] eine Erhebung,nbsp;welche an einem bestimmten Punkt abbricht und in eine Ebenenbsp;übergeht. Man sieht aus diesen Bezeichnungen, daB der Unter-schied in Höhe und Tiefe, nicht der in Starke und Schwachenbsp;der wesentliche bei dem griechischen Akzent gewesen sein muB,nbsp;daB dieser also (um die modernen Kunstausdrücke zu gebrauchen)nbsp;wesentlich musikalisch, nicht exspiratorisch war. Die Wichtig-keit dieser Notiz ist uns erst durch die Vergleichung mit dennbsp;Zustanden anderer Sprachen, namentlich des Altindischen undnbsp;Litauischen, klar geworden.
Auf die Lehre von den Elementen folgt bei Dionysios der Abschnitt von der Silbe, Tiepl auXAap%. Das ist ein Gegenstand,nbsp;welcher in den sprachvergleichenden Werken zu fehlen pflegt,nbsp;wahrend in den Arbeiten über Phonetik und in Einzelgramma-tiken davon Notiz genommen wird (vgl. z. B. Sütterlin Dienbsp;deutsche Sprache der Gegenwart S. 32F.). Ich erwahne annbsp;dieser Stelle nur, daB eine Silbe cpuosi lang sein kann, z. B.nbsp;wenn sie einen langen Vokal enthalt, oder biast. (nach Überein-kunft), z. B. wenn sie auf zwei Konsonanten endet, wie es innbsp;aXs geschieht. Die griechischen Termini haben sich in der latei-nischen Übersetzung tmtura und 'positione bis auf die Gegenwartnbsp;erhalten.
Wir kommen nun zu demjenigen Teile der antiken Sprach-wissenschaft, über den die neue am wenigsten hinausgekommen ist, namlich zu der Lehre von den Redeteilen oder bessernbsp;Satzteilen, den XÉ|ei? oder piépTj to5 Xd^ou [partes orationis). Dernbsp;entscheidende Satz lautet: ‘Der Satzteile sind acht, namlichnbsp;3vo[i,a nomen, p^pia verbum, [xeto/y] participium, apbpov articulus,nbsp;dvTtuvujii'a pronomen, updUaoi; praepositio, lTT:ippYj(j,a adverbium,
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ouvSsojjLo? conjunctid. Die Zahl acht ist erst nach langen Über-legungen und Kampfen kanonisch geworden, hat sich dann aber anch bei den Römern erhalten, welche den Artikel weg-lieBen, aber dafür die Interjektion als selbstandigen Satzteil ausnbsp;dem vielumfassenden Adverbium loslösten. Aus demselben Satzteil haben neuere Grammatiker die particula abgesondert, welchesnbsp;Wort (eine Übersetzung von ojxpwv) ursprünglich ungefahr sonbsp;viel wie p-spo? Xdyou bedeutete, dann aber unter allerhandnbsp;Schwankungen schlieBlich auf solche Adverbia eingeschranktnbsp;worden ist, von denen wir annehmen, daB sie nicht aus Kasusnbsp;entstanden sind, wobei aber zuzugeben ist, daB eine ganz festenbsp;Grenze nicht gefunden worden ist (vgl. K. E. A. Schmidt, 219ff.).nbsp;Es soil hier nicht zu der Erage Stellung genommen werden, ohnbsp;die Zahl der von den Alten aufgestellten Redeteile zu kleinnbsp;oder zu groB, ob die Anordnung notwendig oder willkürlich ist,nbsp;und ob eine Einteilung in Gruppen, sozusagen ein natürlichesnbsp;System der Redeteile, ermittelt werden kann; es sollen vielmehrnbsp;nur die einzelnen Definitionen der Alten vorgeführt und mitnbsp;einigen Bemerkungen begleitet werden.
1) das Nomen. Bei dem Svopa wird nach stoischer Weise die eigentliche Definition und die Angabe der Neben-erscheinungen (uapeiuipsva) unterschieden. Die Definition lautet:nbsp;quot;ovo(i.a ist ein Satzteil mit Kasus, welcher ein Ding (owpa)nbsp;oder eine Handlung (upaypa) bezeichnet, z. B. das Ding liDo;nbsp;oder die Handlung Traiosta, und allgemein (zoivtüc) oder persön-lich (iSiu);) gebraucht wird, allgemein z. B. ïir-oc, persönlichnbsp;z. B. 2u)xpdTvl;^ napETccSpeva gibt es fünf, namlich -j-évtj, eïot;,nbsp;JXWa'ca, dpi.amp;jj,ot, uTmasic. Yon diesen bezeichnen “eTSyj undnbsp;a'/rnj^ara die verschiédenen Arten des Nomens und sind alsonbsp;hier sogleich im Zusammenhang mit der Definition zu be-sprechen. Was zunachst den Umfang des Begriffs ovo(i.a betrifft,nbsp;so werden unter den als sïSyj zu betrachtenden ünterabteilungennbsp;auch solche Wörter untergebracht, welche wir zu den Pronomina oder Pronominalia rechnen, wie rt'?,nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;toioüto?, éxd-
TEpo? und szaoroc, auf die wir bei dem Pronomen zurückkommen. Perner gehören auch die Zahlwörter zum Nomen, und zwar so-wohl die dpiamp;pr^Tud numeralia, welche von den Römern cardinalia,nbsp;d. i. die hauptsachlichsten, genannt worden sind, und die TaxTtxdnbsp;ordinalin. Zu dem Wortlaut der Definition ist zu bemerken,nbsp;daB statt xotviu? undnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;keyónsvov auch die Ausdriicke ovopa
zupiov nomen propr'ium, d. h. Name im eigentlichen Sinn, und ovopa Tïpoorjyopixdv nomen appeüativuni vorkommen, ferner daB
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andere statt a(ü[xa und Tcpay[j.a auch zusammenfassend ouota sagten. Sachlich fallt uns anf, daB die Adjektiva, wenn sienbsp;auck unter den siStj als èTri'ösTa genannt werden, unter dienbsp;Definition, wie es scheint, nicht untergebracht werden können.nbsp;Damit hat es folgende Bewandtnis (vgl. Steinthal 2, S. 251 f£.).nbsp;Die Philosoplien und Grammatiker haken den uns so gelaufigennbsp;Unterschied zwischen Ding und Eigenschaft nicht wie wir auf-gestellt, sie würden vielmehr auch von einem Worte wie VeiBquot;nbsp;hehauptet haken, daB es eine ouota hezeichne, und nahmen alsonbsp;wohl an, daB von dem Schicksal, einem andern Nomen zuge-setzt zu Averden (ein stïiamp;stov zu sein), jedes Nomen betroffennbsp;werden könne, so daB es nicht nötig schien, diejenigen Nomina,nbsp;denen dies gewohnheitsmaBig begegnet, zu einer hesonderennbsp;Wortklasse zu erhehen. Den Terminus suhstantivum (aus ouoi'anbsp;substantia gehildet) und demgemaB die Gegenüherstellung vonnbsp;Suhstantivum und Adjektivum, kennt erst das spatere Mittel-alter (vgl. K. E. A. Schmidt S. 246), wenn auch Ansatze dazunbsp;im Altertum verhanden sind. Die siSt) werden in unserer Technenbsp;an zwei Stellen behandelt, zuerst (wie angeführt) nach den yévï]nbsp;mit den a)rrjjxaTa zusammen, dann zum zweitenmal am SchluB desnbsp;Abschnittes vom Nomen. An der ersten Stelle handelt es sichnbsp;um grammatische, an der zweiten wesentlich um logische Ein-teilungen. Vom grammatischen Gesichtspunkt aus werden dienbsp;Nomina in TtptoTÓTUTza primitiva oder prineipalia und Trapdymyanbsp;derivativa geschieden; die Ttapdywya aker zerfallen in siehen Un-terahteilungen, namlich das ovopta TtaTpwvupizo'v;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;possessi-
vum, z. B. 'Extdpsoc; ooyxpiTixdv und uirepTshixov comparativus und superlaüvus (die Bezeichnung positivus ist römischen Ur-sprungs); uTroxopio-ixtiv deminutivum-, dann eine Klasse, zunbsp;Avelcher auch schon die hisher genannten Klassen einen Beitragnbsp;gehen, namlich das Traptóvup-ov denommativum\ endlich das prjp,a-Tixóv, das von einem Verbum ahgeleitete Nomen, z. B. iroirp-qc.
Bei den hegrifflich unterschiedenen Arten werden erwahnt das óp,d)vop,ov, z. B. Aïa?; ouvtuvuptov, z. B. aop und Et®oc;nbsp;ÈTTtóvup-ov, z. B. ’Evoai')'fi(uv; cpEptuvopov, d. h. ein infolge einesnbsp;hestimmten Ereignisses beigele^er Name, z. B. Ttoap-svo'?; ouó-vopov, womit der Eall gemeint ist, daB eine Person zweinbsp;Namen hat, z. B. llapi? und’AAs^avSpo?; èövixo'v gentile] ysvixo'vnbsp;generale, das mehrere Arten umfassende, z. B. tpu-o'v; iSixdvnbsp;speciale, z. B. sAat'a; TCpiAr/TïTtxo'v collectivum, z. B.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Tiapt-
sxTixo'v compr'ehendvum, z. B. Satpvtuv, (jxsTouoiaoTixo'v Stoffadjek-tivum, z. B. irupivo;, spater zugefügt); dTroAsAujiavov ahsolutum.
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was für sich ohne Hinzunahme eines andern Nomens verstanden werden kann, z. B. X^yo?; Ttpo; xi l^ov relativum, z. B. irax'/jp;nbsp;(u? Tïp(^c xt E^ov quMsi relativum, z. B. ^spa und vu^; endlichnbsp;TXE'KoiTip.Evov, d. h. scliallnachahmend, z. B. potCoc. Batten dienbsp;eïSt) im engem Sinne mit dem Gregensatz von primitiven undnbsp;abgeleiteten Wörtern zu tun, so beschaftigen sich die o}(Yjp,axanbsp;mit dem Gegensatz von einfach und zusammengesetzt. Sienbsp;umfassen das duXoüv simplex, aóvamp;exov compositum, irapaoóvÜEXovnbsp;decompositum. Das letztere, da es ja die Ableitung von einemnbsp;Kompositum bedeutet, würde richtiger bei den sïSr) zu beban-deln sein, indem das compositum das 'Kpmxóxouov zu dem decompositum bildet; aber die Alten mogen es bei den o^ijp-axa belassen haben, weil es, wie sie bemerken, viele Bildungen gibt,nbsp;denen man nicht ansehen kann, ob sie ein compositum oder einnbsp;decompositum darstellen, z. B. impietas. Hinsichtlich der Formnbsp;der Bompositionsglieder wird bemerkt, daB sie entweder voll-standig sind, z. B. in XEipi'oocpo;, oder dtroXstTcovxa, z. B. innbsp;SocpoxXrji;. So weit in der Kürze die Lehren der Alten über dienbsp;Arten des Womens. Es stecken in diesen Lehren die Anfangenbsp;dessen, was wir Stammbildungslehre nennen, aber in dernbsp;Tat nur die schwachen Anfange. Bei der Aufzahlung dernbsp;Klassen ist die lautliche Seite stark vernachlassigt, aber auchnbsp;der begriffliche Teil laBt viel zu wünschen übrig, wie denn z. B.nbsp;über das begriffliche Verhaltnis der Glieder eines Kompositumsnbsp;nichts gesagt ist. In beiden Richtungen sind die Inder sehrnbsp;viel weiter gekommen, und ihnen hauptsachlich haben wir esnbsp;zu danken, wenn die Stammbildungslehre in unsern Gramma-tiken sich gegenüber den dürftigen Schemata der Alten verhalt-nismaBig stattlich ausnimmt. — Es folgen nun die drei übrigennbsp;Begleiterscheinungen Genus, Numerus, Kasus. Über dienbsp;ysvYj wird gesagt: yevyj psv ouv EÜai xpi'a' dpoEvixóv, öyjXuxdv,nbsp;ouoExspov. Genauer sollte man sagen: die Nomina sind entwedernbsp;geschlechtig oder ungeschlechtig, im ersteren Falie haben sienbsp;mannliches oder weibliches Geschlecht, im letzteren keines vonnbsp;beiden, neutrum. Einige — so fahrt Dionysios fort — unter-scheiden auch noch das xoivdv und das ettixoivov. Das xoivdvnbsp;commune wird einem Worte zugesprochen, welches sowohl dennbsp;maskulinischen wie den femininischen Artikel haben kann, z. B.nbsp;avbptouoc, èTTixoivov einem Worte, welches nur einen Artikel hat,nbsp;aber zwei Geschlechter bezeichnet, z. B. /eXiBoiv. Der Numerinbsp;sind drei: svtxd; singularis, Suïxó? dualis, TrXyjöuvxtxd? pluralis,nbsp;wozu noch bemerkt wird, es gebe auch singularische Formen
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(xapaxT^ps?) mit pluralischem Sinn, wie S^p.o?, luid pluralische mit singularischem (z. B. ’Aamp;fjvai) oder dualischem (z. B. d|j.cpó-Tspot). Die Ausdrücke singularia und pluralia tantum scheinennbsp;jüngeren Ursprungs zu sein. Bndlich die Kasus. Das Wortnbsp;7tTóttai« bedeutet bei Aristoteles, wabrscbeinlicb in Anlehnung annbsp;den bald so bald so fallenden Würfel, die besondere Gestalt,nbsp;in welcber irgendein Wort, sei es ein Nomen oder ein anderes,nbsp;im gegebenen Fall in einem Satz erscheint; die Beschrankungnbsp;auf die Abwandlungsformen des Nomens, Partizipiums, Artikelsnbsp;und Pronomens gebt auf die Stoiker zuriick. Aus derselbennbsp;Schule stammt auch eine Scheidung des Nominativs als èpamp;Yjnbsp;Oder suamp;sTa {casus rectum) von den andern Kasus als nkd-ciainbsp;[casus obliqui). Bei der Einfiihrung dieser Ausdrücke lag woblnbsp;die Anschauung zugrunde, daB der erste Kasus eine Personnbsp;bezeicbnet, welcbe im Handeln begriffen ist und dabei etwa wienbsp;ein Kampfer aufrecht steht, wabrend durcb die andern Kasusnbsp;Wesen ausgedrückt werden, die sicb mebr oder weniger im Zu-stande des Leidens befinden (vgl. Hübscbmann Zur Kasuslebre,nbsp;Muncben 1875, S. 9). Die von Dionysios anerkannten Benen-nungen der einzelnen Kasus sind: èpÜYj, yevixTj, ootiz^, a.ma.uv.ri,nbsp;Die èpamp;Y], so wird dann weiter mitgeteilt, beiBt aucbnbsp;sijösTa und óvop-aaxix-fj naminativus, die ysvix-rj auch xttjTixt) undnbsp;•reatpix^, die SoxtxTj auch èTioTaXxix^, die xXtjtixy) aucb itpoaa-yopsunx^. Der Ausdruck ysvixTj sollte wahrscbeinbcb besagen,nbsp;daB der Genitiv das ysvo? bezeichne in Satzen wie too Cwou tonbsp;(i,£v sari övrjtdv, to 8^ dbavarov, bedeutet dann also dasselbe wienbsp;unser 'partitiv'’ und batte demnach von den Römem nicbt durcbnbsp;genetivus, sondern durcb generalis wiedergegeben werden sollen;nbsp;aiTiarixTj dürfte von atriaro'v “^das Verursacbte’ (das Objekt) ab-zuleiten sein, so daB accusativus eine falscbe Übersetzung ist.nbsp;Den im Griechischen nicbt vorkommenden Kasus nannten dienbsp;Romer zunacbst sextus, dann ablativus. Die Kasusnamen loca-tivus (besser localis, da es sicb um den Ort, nicbt um das Ver-mieten handelt) und instrumentalis sind modernen Ursprungs.nbsp;Die Alten saben in Formen wie oixoi nicbt einen Kasus, sondern ein Adverbimn. Über die Gründe, wesbalb gerade diesenbsp;und keine andere Reihenfolge der Kasus gewablt ist, laBt sicbnbsp;etwas Ausreichendes nicbt sagen. Es laBt sicb nur vermuten,nbsp;daB der Nominativ (wie es aucb die Inder taten) an die Spitzenbsp;gestellt wurde, weil er das Wort an sicb darzustellen scbien,nbsp;der Vokativ aber an das Ende, weil die Stoiker ibn nicbt alsnbsp;Kasus anerkannten, sondern für eine Satzart erklarten.
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2) und 3) Verbum und Partizipium. Die Definition von p7)|ia lautet; ist ein Satzteil obne Kasus, empfanglicb (sTCiSsxnzTj)nbsp;für Tempora (^povoi), Personen (TtpóowTra), Numeri (dpiamp;pot),nbsp;Tatigkeit und Leiden ausdrückend’. Betrachtet man diese Definition niiher, so fallt alsbald auf, daB zwar angegeben wird,nbsp;was das Verbum bat oder nicht hat, aber nicht, was es ist.nbsp;Die Definition ist in der Hauptsache inhaltslos, denn XsEt?nbsp;kann nicht für eine Wesensbeschreibung geiten. Diese merk-würdige Tatsache erklart sich, wenn man bedenkt, daB dienbsp;Alten bei jedem Versuch, das Verbum positiv zu definiëren,nbsp;in Verlegenheit kommen muBten. Es lag natürlich nahe zunbsp;sagen, das Verbum bedeute eine Handlung, ein Ttpaypia, wah-rend das Nomen ein Ding bedeute. Aber Dionysios konnte dasnbsp;nicht, da er TCpa','p.a schon hei dem Nomen verwendet hatte.nbsp;Ferner hatte man sagen können, das Verbum sei das Aussage-wort, und in der Tat batten das die Stoiker getan, indem sienbsp;angaben, es sei y.a~r,~(6pri[La ar,p,aTvov. Vielleicht hat sich auchnbsp;Dionysios diese AufEassung angeeignet. Tat er das, so kam ernbsp;mit dem Infinitiv in Bedrangnis, den er von dem Verbum nichtnbsp;trennen wollte, und der doch ein xaxTjYÓpTjp-a nicht ausdrückt.nbsp;Es liegt auf der Hand, daB eine Lösung, welche die Schwierig-keiten nur beiseite schiebt, nicht befriedigen kann, und daB alsonbsp;die Folgezeit sich bei der Passung des Dionysios nicht beruhigennbsp;konnte. Wir lehren jetzt, daB das Verbum allerdings einenbsp;Handlung bedeute, daB es aber den Menschen von jeher unbe-nommen war, eine Handlung auch unter der Form eines Dingesnbsp;anzuschauen, woraus sich Wörter wie uaiSeia erklaren; undnbsp;femer haben wir durch Bopp gelernt, daB jeder Infinitiv einnbsp;obliquer Kasus eines Nomens ist, der im Laufe der Zeit all-mahlich zu dem Verbalsystem in innige Beziehung getreten ist,nbsp;der aber, eben weil er ein obliquer Kasus ist, immer nur dienbsp;Erganzung einer Aussage, niemals eine Aussage selbst vorstellennbsp;kann. Wir rechnen deshalb den Infinitiv nebst dem Partizipiumnbsp;zu den Verbalnomina und können nun ohne Schwierigkeitnbsp;dem verbum finitum (wie wir mit einem modernen Ausdrucknbsp;sagen) das xairj^óprijra zuschreiben. Die ¦Kapsufipeva des pr^panbsp;sind: èy/Xtaei;, SiaöéoEi;, eÏSv), oyTjpaTa, apifipoi, TrpóaioTca, XP°“nbsp;voi, ouCuyiav. Die siBy) und oyripaTa, welche wir zuerst behan-deln, decken sich völlig mit den entsprechenden Kategorien beinbsp;dem Nomen. An eïSyj gibt es zwei, das -icpojróTUTrov und dasnbsp;’^«paYwyov, z. B. apow und dpSsóto, an ayfipaxa drei, namhchnbsp;fias atXoöv, das oóvamp;sxov und das Tcapaoóvamp;sxov, wofür dvxiyovfCu),
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Erstes Kapitel.
cpiXiTCTciCü) Beispiele sind. ünter dem nichtssagenden Namen èyxXi-aeic, welcher ungefahr so viel wie xXtasi? ‘Abwandlungen'’ bedeutet, versteht man das, was die Eömer mit dem ebenso ragen modi be-nannt haben. Sie heiBen èpianx:^, TrpoaiaxTixTj, suxnx:^, UTrotaxnx^,nbsp;otTrapépcpaToc. 'Opia-ixTj indicativus bedeutet die Form, mittelsnbsp;welcher man definiert, festsetzt, behauptet. npooraxrixTj istnbsp;imperaUvtis, suxtixyi optativus, ÓTroTaxTixYj subjunctivus oder co?^-junctivus. Die Bezeichnung ist gewahlt, weil nach der Ansichtnbsp;der Alten dieser Modus stets einer Konjunktion untergeordnetnbsp;ist (nur im abhangigen Satze gebraucht wird, wie wir sagennbsp;würden), wozu zu bemerken ist, daB sie, wie Apollonios es tut,nbsp;in einer Wendung wie tpsuYcup-EV eine Abart des Imperativsnbsp;gesehen haben werden, und daB sie p-vj in gij TroirjOTQ? als Konjunktion betrachten. ATrapsgcparo? infinitiis oder infinitivus end-lich bedeutet die Modusform ohne Trapsgodoen; “^Nebenbezeich-nungen\ namlich ohne Bezeichnung von Person und Numerus,nbsp;und, wenn sie den Infinitiv nicht selbst als Modus ansahen (wasnbsp;nicht alle taten), auch ohne Bezeichnung eines Modus. Übernbsp;die SiahÉosi? genera verhip d. h. die Art, wie sich das Subjektnbsp;der Handlung zu der Handlung rerhalt, heiBt es bei Dionysios:nbsp;Siaösoso; slot Tpst?, èvÉpysta, Tidamp;oc, gEaÓTVj?' èvspYSta gèv oiovnbsp;TuTTToj, Tcdamp;o? 8s OIOV TuuTogai, gEodxTj? 8s Ij TTOTs gsv Ivspysiavnbsp;TTOxs 8è Trdamp;o? uapiaxaoa, oiov TrgTrrjya Stécphopa suoiTjadgïjV èypa-(tdgTjV. Über activum und passivum ist nichts zu bemerken,nbsp;dagegen fragt sich, was unter gsod-vjc, gsovj SidOsois, mediumnbsp;zu verstehen sei. Nach den Beispielen möchte man glauben, esnbsp;handle sich um Formen, welche wie Siécpamp;opa aktive Form, abernbsp;passive Bedeutung, wie sTroiTjodgTjV passive Form aber aktive Be-deutung haben. Aber der Wortlaut des Textes sowie die Ausein-andersetzungen des Apollonios führen vielmehr dahin, anzunehmen,nbsp;der Grammatiker habe im Sinne gehabt, daB das Perfektumnbsp;von aktiver Form beide Diathesen haben könne, z. B. TrÉTtATjyanbsp;die aktivische und Siscpöopa die passivische, und ebenso der sog.nbsp;mediale Aorist, z. B. lypaij'otgvjv die aktivische und èXooodgr^vnbsp;die passivische. Wie dies auch sein mag, sicher ist, daB dienbsp;Alten eine besondere Bedeutung des Mediums nicht erkanntnbsp;haben.
Ich komme nun mit Übergehung der dpiamp;got und repdawira (Personen) zu den Tempora. Der Paragraph lautet: j^pdvoi tpsl?,nbsp;èveaxu)?, TrapsXvjXoött)?, géXXoJv. xouxtuv ó irapsXTjXuamp;w? 8ia-tpopd? xéooapac, Ttapaxaxtzo'v, Txapaxet'gsvov, UTxspouvxÉXtxov, do'ptoxov.nbsp;Üm diese Lehre zu verstehen, muB man wissen, daB die Stoiker
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Das Altertum.
an den Tempora zweierlei wahrnahmen, namlich erstens das, was wir die Zeitstufen nennen, Yergangenlieit, Gegenwart, Zu-kunft, und sodann Ttaparaan; ‘Dauer^ und auvTÉlsia ‘Vollendung'’,nbsp;worin der Keim zu dem liegt, was wir Aktionsartep nennen.
Ob ihnen selbst klar geworden war, daB die Aktionsart mit der Zeit nichts zu tun babe, oder ob sie nicht vielmebr Trapataai?nbsp;und auvTsXsia als Unterabteilungen der Zeit ansahen, mag da-hingestellt bleiben. Sicher ist, daB Dionysios der letzterennbsp;Anschauung war, und ferner, daB er dieBegrifEe Dauer und Voll-endung nur zu einem Zwecke benutzte, namlich dazu, die Zeit-vorstellung, die er in den indikativischen Vergangenheitsformennbsp;fand, naher zu spezialisieren. So entstanden für die Vergangen-heit Tier Unterabteilungen; 1) Ttapaxanzt!?, die Dauer in der Ver'nbsp;gangenheit bezeichnend, das sog. imperfectum, 2) 7rapaxsi'p.£vo?,nbsp;d. i. die der Gegenwart nahe liegende Vergangenheit, die (ab-geschlossen) vorliegende Handlung bezeichnend, das sog. perfectumnbsp;praesens, 3) ÖTcepauvrsXizos, eigentlich'über die Vollendung hinaus-gehend^, nach den spateren Grammatikern und Schohasten dienbsp;langst (uaXai) abgelaufene Vergangenheit bezeichnend, das plus-quamperfectum, 4) do'pioTo:, d. h. die nicht naher begrenzte Vergangenheit bezeichnend, womit darauf hingewiesen wird, daB dernbsp;Indikativ des Aorists sowohl das eben Geschehene, als das dernbsp;Vergangenheit im allgemeinen, als endlich, wie das Plusquam-perfektum, das der langst abgelaufenen Vergangenheit Ange-hörige bezeichnen kann. Dabei ist klar, daB das uTrepouviiXtzovnbsp;falsch beschrieben ist, da es ja in der alteren Sprache, nament-lich der homerischen (welche die Grammatiker am meisten anzu-führen pflegen), nichts anderes ist als das Augmenttempus vonnbsp;dem nicht die Vergangenheit, sondern den erreichten Zustandnbsp;bezeichnenden Perfektstamm. Im Lateinischen, wo der Aoristnbsp;als selbstandiges Tempus verschwunden ist, konnten die Be-griffe Dauer und Vollendung besser angewendet werden. Sienbsp;haben dort zu einer Teilung des Verbums in die actio imperfecta und perfecta geführt. Über das letzte TrapsTtdp-svov, dienbsp;auCuyta conjugatio, wird 8. 17 gesprochen werden. Die p-stoxt)nbsp;participium hat ihren Namen davon, daB sie sowohl am Nomennbsp;als am Verbum Anteil hat. Wir behandeln das Partizipiumnbsp;mit dem Infinitiv zusammen entweder bei dem Verbum alsnbsp;verbum infinitum, oder in der nominalen Stammbildungslehre.
4) und 5) apamp;pov und avTo)vup.ta. Von dem aphpov articulus gibt Dionysios keine das Wesen des Satzteils angebende Definition, sondem begnügt sich zu sagen, daB es den Kasus der
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Erstes Kapitel.
Nomina (ty)? xliasw; xóüv èvofi-axtuv) voran- oder nachgestellt werde. Unter dem apDpov TTpoiaaodpiEvov versteht er das, was wir dennbsp;Artikel, unter 6TroTaaaóp,£vov das, was wir Relativpronomen nennen.nbsp;Denn die Alten waren der Meinung, daB 6 rj zó und o; o imnbsp;Grunde dasselbe Wort seien, wahrend uns die Sprachverglei-chung gelehrt hat, daB das erstere dem altindischen sd sé tdd,nbsp;das zweite aber dem ai. yds ya ydd entspricbt. Apolloniosnbsp;gibt als das Wesen des Artikels die dvacpopa an, d. h. die Wieder-holung, Wiedererwahnung von etwas Erwahntem. Die nahe Be-ziebung des Artikels zum Pronomen konnte natürlicb den Altennbsp;nicht entgehen, wie denn Apollonios z. B. sagt, daB der Artikel,nbsp;wenn er unabhangig gebraucht wird (z. B. in ó -(dp bod;nbsp;sTt'i Axawüv), in das Pronomen übergehe (psTaTifeTei), abernbsp;als eine Art des Pronomens, wie wir es tun, haben sie dennbsp;Artikel nicht angesehen. Die dvTOYvujxia pronmnen hat dennbsp;Namen davon, daB sie an SteUe eines Nomens gesetzt wird.nbsp;Dionysios rechnet dahin nur die Personalpronomina, das dernbsp;ersten Person èjm, das der zweiten oó, das der dritten i, nebstnbsp;den dazugehörigen xTïjTixd possessiva, èp.d; usw. Pür das Personal-pronomen der dritten Person kommt der Name dvxavaxXwixsvYjnbsp;vor, was die Kömer durch redproeum oder refractivum über-setzt haben, wir durch refiexivum. Was wir sonst zum Pronomen recbnen, stellt Dionysios zum Nomen (vgl. oben S. 5), sonbsp;die spu)T7)[iaTixd xt? ttoIo? usw., die ddptoxa Soxi? óttoTo? usw., dienbsp;dvacpopixd wie xotouxo?; andere wie aöxd? dSs ooxo; èxsTvo? werdennbsp;weder als Nomina noch als Pronomina erwahnt. Spatere Gram-matiker rechneten sie zu den Pronomina. Aus Apollonios istnbsp;die Einteilung der Pronomina in deiktische und anaphorische zunbsp;erwahnen: 'Die Pronomina der ersten und zweiten Person sindnbsp;osixxixai', von denen der dritten ist quot; ou oi s dvacpopr/.Yj, IxsTvo?nbsp;oSe oSxo? sind sowohl Ssvxxixai als auch dvacpopixai, endlich auxd?nbsp;ist an sich dvacpopix-rj, wird aber in Verbindung mit einer Ssixxixïjnbsp;ebenfalls hinweisend^ (Steinthal 2, 316). Die Romer haben dvacso-pixó? durch relativtcs übersetzt, welches also bei ihnen einen an-dern Sinn hat als bei uns, insofern nach ihrer Terminologie isnbsp;und qui beide als Relativa bezeichnet werden (vgl. L. Job Denbsp;grammaticis vocabulis apud Latinos, Paris 1893, S. 129).
6) Ttpdbsat; praepositio wird von den Alten nirgends ihrem Wesen nach beschrieben, sondern nur nach der Stellung in dernbsp;Zusammensetzung und im Satze (sv xs ouvösasi xs xod ouvxd^si)nbsp;benannt. Zugleich wird aber auch bemerkt, daB es Praposi-tionen gibt, welche diese Stellung verandern können.
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Das Altertum.
7) nbsp;nbsp;nbsp;èTn'ppïifi,a adverbium ist ein nicht flektierbarer (dxXimv)
Satzteil, zara prjp.a-o? Xsydp.sm'^ ^ èTtiXsyop.svov pT^piari. Darunter sind Verbindungen wie èpöui? Isysi; einerseits (worin die Artnbsp;des Sprecbens naber speziabsiert wird) und aYjfAEpovnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;an-
dererseits (worin der Verbalform nur etwas binzugefügt wird) verstanden. DaB das Adverbium aucb zu dem Adjektivum tritt,nbsp;wird nicbt hervorgehoben. Es folgen dann eine Menge vonnbsp;Unterarten des Adverbiums, bei deren Aufstellung im allge-meinen nicbt die Endung, sondern der Wortsinn entscbeidet,nbsp;namlicb roTiiza localia, wobei scbon die drei aj^saei? auftreten,nbsp;welcbe spater in der lokalistiscben Kasustbeorie eine so groBenbsp;Holle gespielt baben: èv vd-tu, st? xduov, s-/. tdicou, z. B. oïy.01nbsp;otzaSs oi'zobsv; j^pdvou STjXiuxixd teniporalia, z. B. vuv, und alsnbsp;Unterart die eine bestimmte Zeit (xaipd?) angebenden, z. B.nbsp;oYjpspov; rotoTrjToi; qualitatis, z. B. tióS XdS ^oTpuSdv (wofür wirnbsp;die unter den sïuppi^pLaTa p-sodTTjto; angefübrten Beispiele er-warten würden); ¦Kooóxryzoc, quantitatis, z. B. TrolXdxi?; dpiöp,o3nbsp;oTjAcuTi'/dt midtiplicativa, z. B. St';; xd^s-mc, ordiiiativa, z. B.nbsp;éirfi', dSpoiaso)? congregandi, communicandi^ z. B. S[ia; ouy-xptaeojc comparativa, z. B. piaAAov; èiriTa^su)? intemiva, z. B. Aiav;nbsp;sixaap-ou conjecturae^ dubitationis^ z. B. loco?; TtapaPoX^? 1) ópoicó-oscü? similitudinis^ z. B. có?; £ux% aTjpavrixd optativa, z. B. eïDe;nbsp;spcüTYjOEcü? interrogativa, z. B. irdbev; napaxsXeuoEc»? hortationis,nbsp;z. B, sla. dye cpÉpE', ouyxaxabÉoEcu? adnitendi, z. B. vai; dpvvjOEcu?
dwocpdoecü? negatidi, z. B. ou; dTiayopEÓoEco? dehortativa oder prohibitiva, z. B. pd;; xaTcopoxtxd jurativa affirmativa'. vdj; diro-gaiX'.vA jurativa negativa: pd; ^s^a.\masu)c, affirmandi, z.'Ë. SyjXoc-dd], Ferner werden als Adverbia gerecbnet die ösxtxd, d. b. dienbsp;etwas als notwendig binstellenden Formen der Verbaladjektivanbsp;auf -T sov wie YapTjTEov ttXeuoteov (wenn sie allein eineAuBerungnbsp;ausmacben, wie TJblig bemerkt). Eine Klasse, die nacb einemnbsp;andern Gesicbtspunkt benannt ist, bilden die Adverbia auf -co?.nbsp;Sie beiBen iTuippdjpaxa psodxTjxoc, was wabrscbeinlicb sagen soil,nbsp;daB sie, da sie die regelmaBige Bildung von Adjektiven vorstellen, gewissermaBen die Mitte zwischen den Adverbien undnbsp;der Flexion der Adjektiva bilden. Endbcb recbnen die Altennbsp;aucb solcbe Wörter zu den Adverbien, welcbe wir mit dennbsp;Römern als Interjektionen bezeicbnen, so das Staunen aus-drückende jlapal, die Schmerz ausdrückenden Ttaxcat loti «psu, dienbsp;Rufe bakcbiscber Begeisterung sdoi sudv.
8) nbsp;nbsp;nbsp;ouvSEopo?. Die Definition des Dionysios bat, wie nicbtnbsp;bezweifelt werden kann, so gelautet: ouvSEopó? soxi XÉ^t? ouvSé-
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ouaa Siavoiav [Asra ra^EU)? xal to t-^? EpfjiTjVEias xsj^tjvö? Tilïjpouaa, 'Konjunktion ist ein Satzteil, welcher den Sinn (der Wörter undnbsp;Satze) verbindet mit Hilfe der Anordnung (der Satze), und dienbsp;Lücke der Rede ausfülltquot;. Die letztere Bestimnaung bezieht sichnbsp;auf die Konjunktionen, welchen man einen deutlichen Sinn nichtnbsp;zuerkennt. Auch die indischen Grammatiker fanden in ihrernbsp;Sprache sogenannte Expletiva. An Arten der Konjunktionennbsp;gibt es folgende: 1) oup-ulEXTizoi' copuJativae, welcbe die in einsnbsp;fortlaufende Rede verbinden; p-sv os té xai dXla ijpsv yjBé tSsnbsp;«Tap auToip (dazu noch versehenthch -JjToi xév dv). 2) SiaCeuzTixoi'nbsp;disjunctivae, welche zwar auch den Ausdruck zusammenbinden,nbsp;aber doch (im wesentlichen) eine Handlung von der andernnbsp;trennen, namlich ij tjtoi tje. 3) ouvaTiTixoi, welche, ohne die Wirk-lichkeit auszudrücken, eine Folge bezeichnen (auf sie hinweisen),nbsp;El sïiTEp siSfj eiÖYjTrsp. Der Ausdruck condicionales, den wir fürnbsp;diese Wörter gebrauchen, scheint sich auch bei den Römernnbsp;nicht zu finden. 4) TiapaauvaTtTixot, welche im Gegensatz zu dennbsp;vorigen Wirklichkeit ausdrücken und zugleich eine Ordnung dernbsp;Satze verlangen: stïei ÉitsiTrsp etciSy] ÉTreiSYiTisp. 5) aiTioXo-cixoi,nbsp;welche bei Angabe einer Ursache gebraucht werden: iva ocppanbsp;duiu? EVExa ouvsxa. 6) aTropvjpaTixoi dubitativae: dpa xava puiv.nbsp;7) auXloyiaTixot, dooi èirt Ta; èiïicpopd; te xal itpocXYjij^Eii; (so UhHg)nbsp;Tiüv diroSEi'^EODv EU oidxEivTai collectivae (oder rationales), welchenbsp;für die SchluBsatze und Assumptionen der Beweise geeignetnbsp;sind: dpa dXXd dXXapvjV ¦zoóio'i ToiydpToi Toiyapouv. 8) TrapaTïXTjpiu-parixoi expletivae, welche des Metrums oder des Schmuckesnbsp;wegen gebraucht werden: ofj pd vu ttou toi Dtjv dp SrjTa usp Ttiónbsp;pY]v dv au vuv ouv xsv ^e'. Apollonios, der übrigens bemerkt, daBnbsp;auch die Wörter der letzten Klasse ihren Sinn hatten, unter-schied weit mehr Abteilungen, die Römer gewöhnlich fünf:nbsp;copulativae, disjunctivae, explettvae, causales, rationales, wobeinbsp;denn die Klasse der causales sehr umfassend war. Wir rechnennbsp;eine erhebliche Zahl zu den Partikeln und nur diejenigen,nbsp;welche im Satzgefüge auftreten, zu den Konjunktionen.
An der Hand der von den Alten aufgestellten Kategorien haben wir dann allmahlich die Lehre von den Kebensatzen ent-wickelt.
An die Lehre von den Wortarten schlieBt sich nach unserer Gewohnheit die Wortbildungs- oder, wie wir sagen, Stamm-bildungslehre und sodann die Flexionslehre. Beide Ge-biete wurden schon bei Dionysios streng voneinander geschieden.nbsp;Das technische Wort der Wortbildungslehre ist irapa^Eiv, das
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Das Altertum.
der Flexionslehre xlfvsiv. Es gehort aber in die Wortbildungs-lebre, wie scbon das Wort uapayeiv zeigt, nicht alles, was wir dazu rechnen, sondern nur die Trapdywya im G-egensatz zu dennbsp;TTptuTÓTUTra, oder, um es mit den Worten des Dionysios zu sagen,nbsp;nicht das, was xaxd tijv TrpcuTrjV hsoiv Xe^^amp;sv ist, sondern rè dep’nbsp;ÉT^pou TTjv ysvsaiv èo)(it]xdlt;;, z. B. yai-fjïo? im Verhaltnis zu y^,nbsp;dpSeuu) gegenüher dpSco, das Possessivum è[ió? gegenüber demnbsp;Genitiv èp-ou. Wie man aus dem letzteren Beispiel sieht, werdennbsp;die 'rcapdytö'j’tt aus bestimmten Pormen der upwTÓTOTta abgeleitet,nbsp;also z. B. 'ExTopioTj; von quot;Exropo?, und wenn es heiBt, daB dernbsp;Name lt;l)iXrjp,u)v von einem Verbum herkommt, so ist damit ge-meint, daB die Form lt;ptXsogt; oder epd-njaw zugrunde hegt. Dernbsp;Vorgang der Ableitung ist so gedacht, daB die Silben, auf welchenbsp;das abgeleitete Wort ausgeht, an die Stelle der Flexionssilbennbsp;des TiptuTdruTtov treten, z. B. löri? in 'ExTopéSTj? an die Stelle vonnbsp;o? in quot;ExTopo?, wobei den Lauten naturgemaB allerlei zustöBt,nbsp;oder, wie der Ausdruck der Alten lautet, sie allerlei itdamp;Y) er-leiden, indem' bei diesem Übergang eines Wortes in das anderenbsp;Laute abfallen, zutreten oder verandert werden. Ebenso gehtnbsp;es bei der xXiai,? zu. ünter xXiot? verstekt man die Abwandlungnbsp;aller TtTumxd (d. h. des ovopa, der p.sTO)(ïi des dpbpov und dernbsp;dv-wvupiia) sowie des Verbums, wie denn auch die Eömer vonnbsp;der decUnatio verhi handeln. Als die Form, aus welcher dienbsp;samtlichen übrigen durch p.sTaa;(Yi[i.aTiap.dc entstanden sind, wirdnbsp;bei dem Nomen der Nominativ singularis, bei dem Verbumnbsp;die erste Person singularis des Indikativs praesentis angesehen.nbsp;Es kommt auch vor, daB eine andere Form des Paradigmas beinbsp;der Ableitung einer Form zugrunde gelegt wird. So wirdnbsp;z. B. die zweite Person -uTiTy; auf TÓ-xTs-ren zurückgeführt, dasnbsp;sein T verloren habe (Steinthal 2, 337). Das ist für die prinzipiellenbsp;Auffassung gleichgültig, welche darin besteht, daB eine Ab-wandlungsform nicht, wie Bopp es tut, aus einem noch un-geformten Stamm, sondern aus einer andern fei'tigen Formnbsp;hergeleitet wird. Die Alten kennen also unsere Anschauung vonnbsp;Suffix, Stamm, Wurzel nicht. Zwar haben sie Wörter, die sichnbsp;mit diesen unsern Termini in Parallele setzen lassen, abernbsp;diese Wörter haben einen andem Sinn. Es kommen haupt-sachlich tsXo?, dp'/y), fiép-a in Betracht. TeXo? ist der Ausgangnbsp;des Wortes im Gegensatz gegen to dp^ov, den Anfang. Sonbsp;lehrt z. B. Apollonios Synt. 95, die beiden hauptsachlichstennbsp;Arten der xXi'avc, welche bei dem Nomen und Verbum nur amnbsp;Wortende zum Vorschein kamen, seien bei dem Pronomen auf
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Erstes Kapitel.
Ende und Anfang verteilt, denn durch das Ende (xip [jlèv xéXsi) bezeichnet das Pronomen die Kasus, durch den Anfang {z^ 8snbsp;ap/ovTi) die Personen. Eatürlich kann rékoi dann auch speziellnbsp;die letzte Silbe bezeichnen, z. B. wenn Dionysios sagt: óEutovovnbsp;ovopa xaXeltai xè èirt xo5 xsXou? ijo'* ölstav 109, 1. Ebensonbsp;wie xsXo? wird auch X^yov oder X^^i? gebraucht. Natürlichnbsp;können auch die Ausgangssilben eines Wortes in der gramma-tischen Darstellung von ihm abgelöst werden, wie wenn vonnbsp;den £1? [xt Xr;yovxa pv^jraxa die Bede ist, oder wenn wir in dernbsp;zé'/yq lesen; xutcoi §è xüiv Tiaxpu)vu[i.c)iü)v dpasvixuiv xpsl?, 6 ei?nbsp;Sifjc, ó si? lov, ó si? aSio?, aber der spatere Gedanke, daB dienbsp;Endsilbe mit dem dp;(ov zusammengesetzt sei, taucht niemalsnbsp;auf. ©spa bedeutet bei Apollonios (bei Dionysios kommt dasnbsp;Wort nicht vor) dasjenige, was durch «pcuxr; ösoi? entstandennbsp;ist, was also als Grundform für Ableitungen dient. So meintnbsp;Apollonios z. B., au und xdp müBten im Gegensatz zu andern,nbsp;welche sie aus einer Zerteilung des ursprünglicheren auxdp er-klaren, als thematisch aufgefafit werden, oder ouxo? sei vonnbsp;dem Artikel abgeleitet und also nicht thematisch, der Genitivnbsp;Ipou sei, da er nicht von èya» abzuleiten ist, nicht xXiamp;sToa,nbsp;sondern öspaxwi^' (vgl. Gramm. Graec. I, 2, 21). Daher erklartnbsp;es sich, wenn das x der Komposita auf -xpdxv)? als thematischnbsp;angesehen wird, denn --/parr;? kommt von xpdxoc, das der Komposita auf -buxTj? aber für xXixixdv, denn -buxT]? stammt vonnbsp;öutu. Der Begriiï der Wurzel erscheint bei den Alten nicht,nbsp;auch nicht bei Philoxenos, von dem man wohl behauptet, daBnbsp;er die Sprache aus einsilbigen Wurzeln abgeleitet habe. Seinenbsp;Theorie, die man bei H. Kleist De Philoxeni grammatici Alexan-drini studiis etymologicis, Greifswald 1865, übersichtlich behandeltnbsp;findet, hat das Eigentümhche, daB er samtliche Formen desnbsp;Verbums und viele (vielleicht alle) Nominalformen aus Grund-formen auf m ableitet, z. B. die Formen von sipt' und ivjpt vonnbsp;einer Grundform w bezw. w, die Formen von xiamp;vjpv von öw usw.nbsp;An solchen Grundformen nahm er eine beschrankte Zahl an,nbsp;namlich auBer (S (u diejenigen, welche entstehen, wenn man dienbsp;einfachen oder mehrfachen Konsonanten des Griechischen, welchenbsp;im Anlaut stehen können, mit fü zu einer Silbe verbindet, alsonbsp;pü), pXw usw. Diese Grundformen erinnern mit ihrem lt;ü an dienbsp;von andern Grammatikern aufgestellten, z. B. xiamp;m, worausnbsp;xi'ÖTjpi abgeleitet wird, sie unterscheiden sich von ihnen durchnbsp;die primitivere Gestalt, die Einsilbigkeit. In dieser BGnsicht sindnbsp;sie allerdings mit den Wurzeln zu vergleichen, wie Bopp sie
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Das Altertum.
aufstellte, aber sie unterscheiden sich von ibnen dadurcb, sie als erste Personen gedacht sind.
Zn der Flexionslehre gehort die Lehre von der Ordnung der Worter in Deklinationen und Konjugationen. Dafi dienbsp;Griechen die Masse der flektierten Nomina in gewisse Gruppennbsp;geordnet hatten, da von ist uns nichts Bestimmtes überliefert,nbsp;man müBte denn ihre Aufzahlung der möglichen Ausgange desnbsp;N ominativs dahin rechnen. Dagegen haben die Romer für die De-klinaton ordines aufgestellt, die nachher einerseits die Griechennbsp;und andererseits wir übernommen haben. Und zwar geht unserenbsp;Einteilung im wesentlichen auf den einfluBreichen Grammatikernbsp;Remmius Palaemon zurück, der ein Zeitgenosse des Philo-sophen Seneca war. Er steilte unter hauptsachlicher Berück-sichtigung der Genetivausgange vier Beugungsklassen auf, einnbsp;Spaterer sonderte die e-Dekhnation, welche Remmius zur drittennbsp;gestellt hatte, als gesonderte fünfte ab (vgl. Bölte S. 256).nbsp;Dagegen haben die Griechen die Verbalformen in gewisse Verbande (ouCuyiat conjugationes) geordnet, die bei uns gegoltennbsp;haben, bis innerhalb der vergleichenden Sprachforschung neuenbsp;aufkamen. Die Griechen betrachteten die Verba auf i» als dienbsp;ursprüngliche Form, die auf jn aber als abgeleitet. Die ersterennbsp;schieden sie nach der Betonung der ersten Person des Prasensnbsp;in pTjfAT^Ta ^apÓTova, d. h. solche, deren w den Gravis hat, undnbsp;TispiomufAsva. Die ^apuiova wiederum werden eingeteilt nachnbsp;dem vor w stehenden Laute, so daB folgende Gruppen ent-stehen: 1) Verba mit p, «p, it (ut), z. B. Xst'^u) zóutu), 2) mit y, znbsp;(zt), z. B. Xsyiü Ti'zTU), 3) mit 8, ö, t, z. B. ^So), 4) mit C oder aa,nbsp;z. B. cppaCfu Qpuoau), 5) mit den vier dpsTapoXa, z. B. udXXu),nbsp;6) die mit einem reinen oj, welches nicht mit einem Konso-nanten verbunden ist [verba jmra), z. B. iTtusuu). Die zweitenbsp;Abteilung sind die verba contracta, welche in drei ünterabtei-lungen zerfallen, entsprechend dem si. tf oder oi der zweitennbsp;und dritten Person. Die Verba auf p.i werden in ihren dreinbsp;ersten Klassen abgeleitet von den contraeta: T{b7]p.v von nöto,nbsp;ToT7jp.i von lOTw, 8t8u)p.i von SiSw, wahrend u7)yvup.i auf dienbsp;verba pura zurückgeht. Auf die Grundformen nhüi usw. warnbsp;schon bei der Brörterung der Theorie des Philoxenos hin-gewiesen (oben S. 16).
Es bedarf kaum der Bemerkung, daB die neuere Grammatik auf dem Gebiete der Stammbildung und Flexion sich auf eigenenbsp;FüBe stellen muB. Die Alten haben in der Wortbildungslehrenbsp;schon darum nichts Erhebliches leisten können, weil sie die
Delbrück, Einl. i. d. Stud. d. iudogerm. Sprachen. 4. Aufl. nbsp;nbsp;nbsp;2
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Erstes Kapitel.
samtlichen primaren Wörter als gegeben und einer weiteren Analyse nicht zuganglich betrachteten, und weil sie auf diesemnbsp;Gebiet so wenig wie auf einem andern daran dachten, Samm-lungen anzulegen. In der Flexionslehre sind sie über einennbsp;Schematismus nicht hinausgekommen. Die Fortschritte, welchenbsp;die vergleichende Sprachforschung in beiden Punkten gemachtnbsp;hat, verdankt sie zu einem groBen Teile der Einwirkung dernbsp;indischen Grammatik.
Zum SchluB habe ich von der Syntax zu reden. Das Wort ouvxaSi? braucht schon Dionysios von der Zusammenstellung dernbsp;Nomina im Satze, im Gegensatz zur oóvamp;sai? der Zusammen-setzung, und sodann in der Definition der AiSs?: Aa'St? sotI ps'po?nbsp;èAaj^ioTov Tou xaxd auvxa^tv kóyoo 'ein Wort ist der kleinste Teilnbsp;des durch die Zusammenfügung entstehenden Satzes’. Aber Treplnbsp;ouvxdSso)? als über einen besonderen Teil der Grammatik hat alsnbsp;erster Apollonios Dyskolos geschrieben. Apolloiüos definiertnbsp;die Syntax nicht etwa als die Lehre vom Satz und seinen Teilen,nbsp;sondern, da der Satz als gegeben betrachtet wird, als die Ver-einigung der Wörter zu der Harmonie des vollstandigen Satzesnbsp;(si; xaxaAATjAdxYjxa xou auxoxsAou; kójou), und da nun die Wortenbsp;unter die Satzteile gruppiert werden, so hat es auch die Syntaxnbsp;mit den [rspTj xou Ad^ou zu tun. Doch behandelt sie sie nur inso-fem, als sie sich zum Satze verbinden, wobei freüich zu bemerkennbsp;ist, daB diese Verbindung sich aus der Natur der Satzteile herleitet,nbsp;und daB unser Grammatiker sich oft gezwungen sieht, auf diesenbsp;des genaueren einzugehen, da sie von seinen Yorgangern nichtnbsp;immer genügend erkannt ist. Die Pedeteile nun haben, wienbsp;wir sahen, bei den Alten eine natürliche Reihenfolge, die auchnbsp;Apollonios anerkennt. An der Spitze stehen die urprüngUcherennbsp;(öepaxixfÓTspa), Nomen und Verbum, dannfolgen diejenigen, derennbsp;mehr dienende Stellung sich daran zeigt, daB sie zum Nomennbsp;oder Verbum hinzugenommen werden (TcapaAap-pdvovxai) oder fürnbsp;dieselben eintreten (dvhuTra-j'ovxai). In der Syntax aber erscheintnbsp;es richtig, daB nicht Nomen und Verbum vorangestellt werden,nbsp;sondern der Artikel und das Pronomen, die in ihrer auf dienbsp;Verbindung mit andern Worten bezüglichen Besonderheitennbsp;vorweggenommen werden, ehe der Verfasser zu der grund-legenden Auseinandersetzung kommt, von welcher auch sie mitnbsp;betroffen werden, der Auseinandersetzung über die Satzbeziehungnbsp;zwischen dem Verbum und dem Nomen im weitesten Sinne (demnbsp;TTxoDxixdv). Sie lautet bei Bekker S. 201 wie folgt; 'Die funda-mentalste ürsache der Unstimmigkeit (dxaxaAAyjAta) ist folgende.
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Das Altertum.
Von den Satzteilen werden einige in Zahlen und Kasus ab-gewandelt, so die Nomina und die andern, welcbe Zabl mit Kasus aufweisen können; andere in Personen und Zahl, so dienbsp;Verba und Personalpronomina; andere in Greschlechter, so dienbsp;vorhin genannten Nomina und die, welcbe sonst noch an sich dienbsp;Unterscheidung des Geschlechtes vollziehen können; einige abernbsp;lassen nichts davon zu, so diejenigen, welcbe nacb einer einzigennbsp;Bildungsform hervorgebracbt werden, wie die Konjunktionen undnbsp;die Prapositionen und beinahe alle Adverbien. Die genanntennbsp;Bedeteile nun, aus den ibnen eigentünüichen Gestalten ab-gewandelt in die notwendigen Keiben von Zablen oder Personennbsp;oder Geschlecbtern, sind infolge der Zusammensetzung desnbsp;Satzes verteilt, um sich mit dem zu verknüpfen, wozu ein jedesnbsp;gezogen werden kann, z. B. der Plural zum Plural, voraus-gesetzt, daB dieselbe Person auftritt (xatd tljv to5 «utou Ttpoau)-TTOO TrapspTïTtuaiv)^ also Ypacpop,sv i^p.sT?, ypatpooatv ot avamp;ptOTrot.nbsp;Denn bei dem Übergange von einer Person zur andeni wirdnbsp;keineswegs derselbe Numerus verlangt, sagt man doch TUTcxouainbsp;-öv avöpwTTov und vuTTvouai roi; dvamp;ptuirou?. Dieselbe Bewandtnisnbsp;bat es mit demjenigen, was in kasueller Beziehung mit binzu-genommen wird (aup.uapalap.pav(ip,£vov), also -^p-uiv auvoiv dxou-opsv, wabrend bei dem Ubergang von einer Person zur andernnbsp;Kasus und Numerus indifferent sind; vjpwv auxö; dxousi, -rjpuivnbsp;auToi dxououaiv ^). Tritt aber Gleicbbeit der Kasus ein, so wirdnbsp;man auch wieder auf dieselbe Person kommen, wegen desnbsp;Parallelismus der Kasus, es sei denn, daB das Dazwiscbentretennbsp;einer Konjunktion die eine Person von der andern trennt, wienbsp;in %u)v xal autóüv dxoöouaw. Ebenso verhalt es sich mit dem Ge-scblecbt: wir werden sagen outoi ot dvSps? oder auch in einemnbsp;obliquen Kasus toutou? xou? dvSpqts, wabrend wiederum bei demnbsp;Übergange von einer Person zur andern Gleicbgültigkeit innbsp;bezug auf Genus und Numerus stattfindet: toutou? yovlj uPpioe.nbsp;Es ist unnötig, das weiter auseinanderzusetzen, denn es ist klar,nbsp;was gemeint ist.’ Hierin ist zunacbst gesagt, daB die grammatische Kichtigkeit in der Kongruenz zwiscben dem Subjekts-nomen und den dazugehörigen Verbalformen bestebt, nur daBnbsp;sich Apollonios nicht so kurz ausdrücken konnte, weil er dennbsp;Begriff Subjekt in der Grammatik nicht kennt, der erst in neuerer
1) tjfjiüiv scheint das TrapaXap.pav0p.evov, aütiöv das auptrapaXappavopevov, welches bei Gleiohheit der Person mit tipiüv kongruiert, bei Verschieden-heit aber indifferent bleibt.
2»
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Erstes Kapitel.
Zeit aus der Logik aufgenommen worden ist. Dann ist auch von nominaler Kongruenz die Rede, aber in Vermischung mitnbsp;der erstgenannten Erscheinung und darum unklar, eine TJnklar-heit, die sich daraus erklart, daB den Alten der Unterschiednbsp;zwischen Substantivum nnd Attribut, der erst in der Scho-lastik ausgearbeitet worden ist, nicht genügend Mar gewordennbsp;war. Endlicb ist der Unterschied zwischen Kongruenz und Rek-,nbsp;tion hervorgehoben. Die erstere findet statt, wenn in demnbsp;Verbum und Nomen dieselbe Person steekt, die zweite, wenn einenbsp;Verschiedenheit der Personen eintritt. (Der Ausdruck Rektionnbsp;stammt, wie wir sehen werden, aus dem Mittelalter). Nachnbsp;dieser Darlegung und den sich dar an anschlieB enden Versuchen,nbsp;wirkliche oder scheinbare Ausnahmen des Kongruenzgesetzesnbsp;zu beseitigen, folgt bei Apollonios die Behandlung der Modinbsp;und Genera des Verbums, die er besser 'definiëren zu könnennbsp;glaubt als seine Vorganger, wobei ihm der Infinitiv die Ge-legenheit gibt, den daneben vorkommenden Akkusativ zu er-örtern. Dann folgt das, was wir Rektion der Verba nennen,nbsp;und zwar mit den folgenden Einleitungsworten (S. 283): 'Dienbsp;vorliegende Darstellung (oiivraEtc) wird für diejenigen genügendnbsp;sein, welche es vorziehen, einfach die Überlieferung der Satze hin-zunehmen; für diejenigen aber, welche die Syntax des Satzesnbsp;ganz genau verfolgen wollen, wird es auch nötig sein zu wissen,nbsp;welche Verba den Genetiv verlangen (ónzaïTsi), und was davonnbsp;die Ursache (to aïnov) ist, und welche den Dativ, wiederumnbsp;mit der Ursache, und dasselbe auch in bezug auf den Akkusativ’.nbsp;Aus den Ausführungen sei erwahnt, daB der Akkusativ stehtnbsp;bei Verben, welche körperliche Handlungen ausdrücken, femernbsp;welche tauschen, wollen, fragen bedeuten usw., so daB im all-gemeinen gesagt werden kann, in den Akkusativ trete dienbsp;leidende Person. Dem gegenüber machen Verbindungen wienbsp;TouTov (popoufjiai. Schwierigkeit, denn es liegt auf der Hand,nbsp;daB in diesem Ealle nicht die im Akkusativ stehende, sondernnbsp;vielmehr die im Verbum enthaltene Person leidend ist. Dennbsp;Ausweg aus der Schwierigkeit findet Apollonios in einer An-nahme, welche der alexandrinischen Anschauung gelaufig war,nbsp;namlich der Annahme der Ellipse: tou-ov cpopou[j.ai ist eigenthehnbsp;Old TOUTOV cpopouirai. Ahnlich wie bei dem Akkusativ verfahrtnbsp;Apollonios bei den übrigen Kasus. Auf das Verbum folgennbsp;die Prapositionen und folgten jedenfalls noch die Adverbien undnbsp;die Konjunktionen, womit dann alle Redeteile behandelt waren,nbsp;da das Nomen und das Partizipium bei Gelegenheit des Verbumsnbsp;zur Besprechung kommen.
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Das Altertum.
Es ist nicht schwer, jetzt an diesem grundlegenden Werke Kritik zu üben. Ihr Brgebnis lieBe sich wie folgt zusanunen-fassen. Apollonios’ Erörterungen über den Artikel, die Pronomina, die Modi haben noch neueren Gelehrten zur Klarungnbsp;ihrer Gedanken verholfen. Anderes bat nur noch Interessenbsp;für die Geschichte, welche sich erinnert, dafi hier die Keimenbsp;für die Unterscbeidung zwischen Kongruenz und Rektion, dienbsp;Kasuslehre u. a. zu finden sind. Am wenigsten ist für dasnbsp;Satzgefüge getan. Doch ist, wie schon oben S. 14 geschab,nbsp;darauf hinzuweisen, daB die Unterarten der Konjunktionen, wienbsp;sie von den Alten aufgestellt worden sind, uns bei der Lebrenbsp;Ton den Nebensatzen als Wegweiser gedient haben.
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1. Die Scholastik und die Renaissance.
Das von den Griechen aufgestellte System der Grammatik ging in seinen wesentlichen Zügen mit allen Anschauungen undnbsp;Kunstausdrücken auf die Romer über und wurde von diesen,nbsp;namentlich durch die Vermittelung von Donatus (4. Jahrh.)nbsp;und Priscianus (6. Jahrh.) auf das Mittelalter ühertragen, wonbsp;es unverandert herrschte, his (etwa vom 12. Jahrh. an) die scholastische Philosophic einzuwirken hegann (vgl. Thurot Noticesnbsp;et extraits, XXII, 2, Paris 1868; meine Vergleichende Syntaxnbsp;1 Einl.; Historische Grammatik der lateinischen Sprache herausg.nbsp;von Landgraf, 3. Band, Einleitung in die Geschichte der lateinischen Syntax von Golling, Leipzig 1903). Das nach innennbsp;gewendete Zeitalter widmete den Lauten wenig Aufmerksamkeit.nbsp;Infolgedessen blieh die Etymologie ehenso willkürlich, wie imnbsp;Altertum, wofür es genügen mag anzuführen, daB lapis als quasinbsp;laedens pedem, fenestra als quasi ferens nos extra, gladius alsnbsp;quasi gulam dividens erklart wird. Dagegen ist die Lehre vonnbsp;den Satzteilen und die Syntax an mehreren Punkten gefördertnbsp;worden. So wurde die scharfe Unterscheidung zwischen sub~nbsp;stantivum und adjecUvum aufgestellt, welche den Alten nochnbsp;abging. In der Syntax fand der Ausdruck regere, den Prisciannbsp;noch kaum gehraucht, Eingang, und es ergah sich das regimennbsp;als besonderer Teil der Syntax neben der constructio. Im Gegen-satz zu den regierten Kasus steilte man die absoluti, die einesnbsp;rector enthehrenden, auf. Wichtiger als diese Einzelheiten ahernbsp;ist die Tatsache, daB die Scholastiker in die Syntax eine spekula-tive Betrachtung einführten, indem sie nicht sowohl von dennbsp;sprachlichen Tatsachen als von gewissen allgemeinen Vorstel-
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Scholastik, Eenaissance.
lungen ausgingen, welche nach ihrer Meinung den Erscheinungen zugrunde liegen. Als Beispiel mag dienen, was Thurot S. 87nbsp;schon aus sehr alter Zeit, namlich aus dem 11. Jahrh., aus dernbsp;Lehre von der Wortstellung beibringt. Dort wird ausgeführt,nbsp;daB in jedem Satz eine substantia und ein actus vorliege. Dienbsp;Ausdrucksweise könne absolut sein, z. B. Johannes legit, odernbsp;transitiv, so daB die Handlang auf einen Leidenden übergeht,nbsp;z. B. JoJiannes legit lihrum. Nun erscheine in jeder Konstruk-tion zuerst der agens, dann sein actus, dann erst der patiens.nbsp;Man erkennt also als die natürliche Wortfolge an: Johannesnbsp;percussit Petrum, und die Beobachtung, daB im Lateinischennbsp;das Verbum am Ende zu steken pflegt, kommt gegen die aprio-ristiscbe Anschauung (zu deren Bildung übrigens jedenfalls dienbsp;romanischen Sprachen mitwirkten) nicht auf.
Ein neues Leben kam in die gesamte Philologie und also auch in die Drammatik, besonders die Syntax, durch die Ben ais-sance, welche den Bliek der Menschen von der Spekulation abnbsp;und auf die Tatsachen des Altertums hinlenkte. Ich erinnerenbsp;vor allem an den Italiener Laurentius Valla, der in seinennbsp;um 1440 erschienenen sechs Büchern elegantiarum linguaenbsp;latinae den Begriff der echten Latinitat einführte und Ciceronbsp;und Quintilian als Muster für Bede und Schrift aufstellte, wah-rend die Scholastiker sich wesentlich an das spate und mittel-alterüche Latein gehalten batten. JSTatürlich aber lieB sich dienbsp;Spekulation nicht verdrangen. Sie trat etwa 150 Jahre spaternbsp;besonders kraftig hervor in dem Spanier Francesco Sanchez denbsp;las Brozas (Sanctius), dem Vater der Elhpsentheorie. Ich willnbsp;hier weder über diesen merkwürdigen Mann naher handeln, nach-dem dies bereits in meiner Vergl. Synt. 1, 15 geschehen ist, nochnbsp;die G-eschichte der Syntax weiter erzahlen, welche sich langenbsp;Zeit zwischen den beiden Gegensatzen, die durch Laurentiusnbsp;Valla und Sanctius bezeichnet sind, hin- und herbewegt. Nurnbsp;auf einen Punkt möchte ich hinweisen, der für Bopps Analysenbsp;einiger Sprachformen von Wichtigkeit geworden ist, namlich aufnbsp;eine von der antiken abweichende Klassifizierung der Bede-teil'e. Sanctius brachte, angeregt durch die Araber, die achtnbsp;von den Griechen angenommenen Redeteile unter die Klassen:nbsp;nomen, verbum, particula. Diese Dreiteilung wurde von Spaterennbsp;übernommen, so von G. Hermann in seiner 1801 erschienenennbsp;berühmten Schrift de emendanda ratione Graecae grammaticae,nbsp;und in Zusammenhang gebracht mit der in der Logik erwach-senen Dreiteilung Subjekt, Kopula, Pradikat. Indem namlich
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Zweites Kapitel.
der sprachliche Satz als ein Abbild des logischen Urteils an-gesehen wurde, ergab sicb die Gleicbsetzung von Verbum und Kopula. Es gab also für diese Anschauung nur ein Verbum,nbsp;das Verbum sein, welches begrifflich in jedem Verbum enthaltennbsp;ist. Es ist wahrscheinlich, das Bopp das s in den Aoristennbsp;und Euturis wie IXoaa und Auatu nicht auf das Verbum substan-tivum zuriickgeführt batte, wenn er nicht in dieser Lehre vonnbsp;den drei Kedeteilen aufgewachsen ware.
2. Der EinfluB der hebraischen Grammatik (Wurzel, Suffix).
Haben wir bisher, abgesehen von einem vereinzelten Eindringen arabischer Anschauung bei Sanctius, lediglich die grie-chische Wissenschaft am Werke gesehen (denn auch die Philo-sophie des Mittelalters geht ja auf eine griechische Quelle zurück), so gelangen wir nun zu einem Punkte, wo die hebraischenbsp;Grammatik einen tiefgreifenden EinfluB ausgeübt bat. Denn dienbsp;hebraische Grammatik, welche den Gelehrten diesseits der Alpennbsp;hauptsachhch durch Reuchlin vermittelt wurde, brachte unsnbsp;den Begriff der Wurzel, womit der des Suffixes unmittelbarnbsp;gegeben war, und die Lehre von der Entstehung der Personal-endungen des Verbums aus Pronominibus.
Was zunachst den Begriff der Wurzel {radix) betriflit, so sind die Lehren der Grazisten, Philosophen und Germanistennbsp;zu scheiden. Die ersteren (die Grazisten) haben, soviel ichnbsp;sehe, zur Klarung des Begriffes nichts beigetragen. Sie stellennbsp;Wurzeln auf, d. h. Urformen, aus denen sie die samtlichennbsp;Eormen eines Verbums ableiten, aber diese unterscheiden sichnbsp;nicht von denen des Philoxenos, da sie ebenso wie diese als erstenbsp;Personen gedacht sind, was ein Bliek auf Bücher, wie das be-kannte Homerlexikon von Damm zeigt (Berlin 1765), in wel-chem für sipt ew als Wurzel angesetzt wird, und entsprechendnbsp;bei den übrigen Verben. Dagegen entwickelte sich bei dernbsp;Sprachphilosophie und den Germanisten allmahlich die spaternbsp;von Bopp übernommene Lehre, daB die Wurzel einsilbig seinbsp;und daB sie die nackte XJrgestalt des Wortes, wie sie vor dernbsp;Entstehung der Flexion vorhanden war, darstelle. Der Ver-treter der Sprachphilosophie, auf den hier angespielt wird, istnbsp;der auf den verschiedensten Gebieten tatige Charles de Brossesnbsp;(1709—1777), über den man die Ausführungen von Benfey Ge-schichte der Sprachwissenschaft, S. 286 ff., und Richard M. Meyer
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Hebraisoher EinfluC, Wurzel und Suffix.
JF. 12, 295 und 13, 129 vergleichen moge. Wenn de Brosses die Wurzeln als gröBtenteils einsilbig erklarte, so geschab es,nbsp;soviel ich sehe, nicht mit Eücksicht auf eine einzelne Sprachenbsp;Oder Sprachfamilie, sondern in dem Bestreken, zu den denkbarnbsp;primitivsten Formen aufzusteigen. Anders war es bei den Germanisten, denen stets das Deutsche vorschwebte. Bei dennbsp;deutschen Grammatikern taucht schon im 16. Jahrh. die Lehrenbsp;auf, daB die Wurzelwörter, d. h. alle nicht abgeleiteten Wörternbsp;des Deutschen, einsilbig seien. Von groBem EinfluB aber wurdenbsp;diese Lehre (wie Jellinek in seinem lehrreichen Aufsatz ''Einnbsp;Kapitel aus der Geschichte der deutschen Grammatik^ in dennbsp;Abhandlungen zur germanischen Philologie, Festgabe fiir Bichardnbsp;Heinzel, Halle 1898, S. 31 ff. gezeigt hat) in dem System desnbsp;Justus Georg Schottelius, dessen deutsche Sprachkunst 1641nbsp;erschien. Jellinek sagt dariiber a. a. O. S. 59: ‘Auf Sch.s Analyse scheint das Vorbild der hebraischen Grammatik von einigemnbsp;EinfluB gewesen zu sein. Diese bezeichnete als radix diejenigenbsp;Wortform, die alle Laute der übrigen, aber keinen mehr enthielt,nbsp;also die 3. Pers. Sg. Pras. Ahnlich ging man bei den einzelnennbsp;Konjugationen von der 3. Sg. aus, weil alle andem Personennbsp;ein Plus an Lauten haben. Von den Vokalen wurde dabeinbsp;abgesehen. Dieser Begriff von Wurzel oder Stamm nahert sichnbsp;einigermaBen dem unsrigen, insofern wir darunter den gleich-bleibenden lautlichen Kern verwandter Wortformen verstehen,nbsp;an den sich die materielle Bedeutung kniipft; er unterscheidetnbsp;sich von dem unsrigen, da von ,der Wurzel verlangt wurde,nbsp;daB sie zugleich eine individuelle Wortform sei. Fiir die alterenbsp;Grammatik ist dieser Punkt von groBer Bedeutung^ Einennbsp;wichtigen Schritt zu moderner Anschauung finden wir bei zweinbsp;merkwürdigen Grammatikern des ausgehenden 18. Jahrh. übernbsp;die hier ein Wort zu sagen ist: Fulda und Adelung. Dennnbsp;diese Gelehrten verstehen (besonders deutlich tritt dies bei Adelung hervor) bereits nach Art der spateren Sprachforschung unternbsp;Wurzel ein Wort der vorflexivischen Urzeit.
Karl Fulda (1724—1788), fiber den Grater Fuldas Leben, Studiën und sein System gemeinschaftlicher Urwurzeln allernbsp;menschlichen Sprachen, Ludwigsburg 1831 zu vergleichen ist, sagtenbsp;in seiner Sammlung und Abstammung germanischerWurzelwörter,nbsp;Halle 1766, S. 49: ‘Zwo Begeln stehen felsenfest: Germanischenbsp;wahre Wurzeln sind durchaus einsilbig, und: wann ein Wortnbsp;mit zween Consonanten anfangt, so ist der erste allemal einnbsp;bloser Vorlaut; hort es aber mit zween Consonanten auf, so ist
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Zweites Kapitel.
der letzte ein bloser Umstand von der Wurzel’. DemgemaB gibt er auf S. 59 desselben Werkes über die Auffindung einernbsp;Wurzel folgende Vorscbrift: 'man nemme einem einzeln Wortnbsp;seine grammatiscben Yerrichtungen, praamp;- und suffixui verbalia,nbsp;nominalia, generis, numeri, casus, personae, temporis', manwerffe,nbsp;wo vornen oder hinden zween Consonanten zusammenstehen, dennbsp;vordersten und hindersten weg. Die Wurzel wird, ohne etwasnbsp;von ihrem Hauptverstand zu verlieren, eine einzelne Silbe werden.’nbsp;Diese einsilbigen Wurzeln nahm Fulda nicht bloB fur das Ger-maniscbe, sondern fiir alle Sprachen an. Es verdient noch bemerkt zu werden, daB im einzelnen der EinfluB des Hebraiscbennbsp;deutlich bervortritt, z. B. in der Bezeichnung gewisser Lautenbsp;als Anfangs- oder Endminister, was der Sacbe nacb auf dienbsp;Unterscheidung der Buchstaben in Wurzelbuchstaben und Zu-satzbuchstaben durch die hebraiscben Grammatiker zurückgehtnbsp;(vgl. Bacher in der Zeitschrift der deutscben morgenlandischennbsp;Gesellschaft 49, 345ff.), der Bezeichnung nacb auf den Ita-liener Pagnino (geb. in Lucca 1471), der die letzteren litte^'oenbsp;ministeriales nannte.
Neben Fulda ist Johann Christoph Adelung (1732—1806) zu nennen, der einfluBreichste Sprachforscher seiner Zeit, hin-sichthch dessen Gesamttatigkeit ich auf die einsichtige und gerechte Darstellung in R. v. Baumers Geschichte der germani-schen Philologie S. 210 ff. verweisen kann. Hier geht uns nurnbsp;an, daB Adelung von Fulda den Begriff der einsilbigen Wurzelnnbsp;übernahm. Aus diesen allein bestanden, wie er sagt, oirsprünghchnbsp;die Sprachen. Damals lag alles ungeordnet durcheinander, indemnbsp;eine Wurzel zugleich Verbum, Substantivum, Adjektivum war.nbsp;Aus den einsilbigen entstanden die mehrsilbigen, und zwar aufnbsp;dem Wege der Zusammensetzung, wie wir sagen würden, der Zu-sammenziehung, wie Adelung sagt. 'Diese (die Zusammenziehung)nbsp;ist der Grund der ganzen Biegung und Ableitung. In den einsyl-bigen Sprachen stellet man die hervorstechendsten Yerhaltnissenbsp;und Hebenbegriffe daneben. Aber bei der Ausbildung ziehetnbsp;man sie mit dem Worte zusammen und bekommt dadurch ge-bogene und abgeleitete Wörter [Mann-es, Lieb-e, les-en, herr-lich).nbsp;Bey der Dunkelheit des Begriffes verliert sich mit dem Tonenbsp;auch der erste Urbegriff sehr bald, und verleitet dadurch spa-tere Sprachforscher, alles das für willkührliche Laute zu halten’nbsp;(Mithridates 1, XYIII, vom Jahre 1806).
Mit derYorstellung einer Wurzel ist zugleich derBegriff des Suffixes gegeben. Ich weiB darüber geschichtlich nicht viel zu
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Fulda und Adelung. Die Personalendungen.
sagen. In den Anschauungskreis der antiken Grrammatik gehort die Anheftung einer Endung nicht hinein, und so wird der Terminusnbsp;wohl auch in diesem Kreise nicht gepragt sein. Die hehraischenbsp;Grammatik lehrt, daB gewisse Silhen hinzugefii^ werden, ahernbsp;ein quot;Wort, von dem suffixum oder affixum die Uhersetzungnbsp;sein könnte, scheint sie nicht zu kennen. Unter den lateinischnbsp;schreibenden hebraischen Grammatikern gebraucht, wde mir vonnbsp;befreundeter Seite mitgeteilt wird, Reuchlin 1506 als erster dennbsp;Ausdruck affixum. Es Uegt nahe anzunehmen, daB er ihn ge-schaffen hat. Junius, 1596, spricht von suffixa sive affixa, undnbsp;seitdem werden diese beiden Ausdriicke in der hebraischennbsp;Grammatik und überall sonst bald gleichbedeutend, bald so gebraucht, daB affixum auf die stammbildenden Endungen ein-geschrankt ist. Genauere Nachweise dariiber ebenso wie iibernbsp;den Gebrauch von praefixum stehen mir nicht zu Gebote.
Die Lehre der hebraischen Grammatik daB die Personalendungen des Verbums angehangte Pronomina seien, scheint zuerst von hollandischen Philologen auf das Griechische iiber-tragen worden zu sein. Sicher ist, daB Bopp von dieser Übertra-gung Kenntnis nahm; denn, wie wir unten sehen werden, beruftnbsp;er sich 1819 auf E. Scheid, der schon sehr befriedigend dieEnt-stehung der Endungen des Verbums aus Pronomina, wenigstensnbsp;soweit es den Pluralis betreffe, gezeigt habe. Bopp spielt dabeinbsp;an auf die Schrift L. C. Valkenarii observationes acad. et Jo.nbsp;Dan. a Lennep praelectiones academicae rec. Everardius Scheidiusnbsp;Trajecti ad Ehenum 1790, 227 ff., worin die wichtigste Stelle sonbsp;lautet: ‘^Memini equidem, quum ante hos octodecim et quodnbsp;excurrit annos contubernio fruerer viri summi, quern honorisnbsp;causa nomino, Joannis Jacobi Schultensii, inter familiares ser-mones, quibus de linguarum indole agebatur, narrare Schulten-sium, virum suavissimum et harum rerum elegantissimum ar-bitrum, Lennepio placuisse, ut, quemadmodum in verbis orien-talium, adformantes quae dicuntur temporis praeteriti proprienbsp;essent syllabae literaeve, a pronominibus antiquis quasi resectae;nbsp;ita et in Graecorum verborum temporibus personisque eademnbsp;fuisset sermonis ratio.quot;
Auch auf dem Gebiet der Nominalflexion hat es nicht an Vorlaufern Bopps gefehlt, (vgl. Jellinek JF. 14, 42). Es war alsonbsp;das Prinzip der Zusammensetzung bei der Erklarung indoger-manischer Flexionsformen schon vor Bopp vorhanden, wahrendnbsp;es allerdings bei der Anwendung dieses Prinzips im einzelnennbsp;sehr wild zuging.
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Zweitea Kapitel.
3. Herder, Bernhardi.
Der übergang zu der klassischen Periode mag an zwei Mannern veranschauliclit werden, von denen der eine die viel-seitigsten allgemeinen Anregungen gab, der andere als der un-mittelbare Vorlaufer Wilhelm von Humboldts angesehen werdennbsp;kann. Was zunachst den ersten derselben. Herder, betrifft,nbsp;so kann bier nicht zur Anschauung gebracht werden, wie ernbsp;durch das von ihm aufgestellte Humanitatsideal, die Betonungnbsp;des Volksliedes, die Würdigung der Poesie als der Natursprachenbsp;des menschlichen Geschlechtes, die philosophische Behandlungnbsp;der Greschichte auf unsere gesamte höhere Bildung und damitnbsp;auch auf die Philologie und Sprachwissenschaft eingewirkt hat.nbsp;An dieser Stelle handelt es sich nur um die einfluBreiche, 1772nbsp;erschienene Preisschrift über den Ursprung der Sprache.nbsp;Herder bekampft darin ebensosehr die Annahme eines göttlichennbsp;als die eines tierischen Ursprungs der Sprache. Denn wenn esnbsp;auch in der Sprache noch Reste der tierischen Naturtöne gibt,nbsp;so muB doch behauptet werden, daB der Mensch zur Sprachenbsp;nur durch die ihm beiwohnende Besonnenheit, nur durchnbsp;die Vernunft gelangte. Diese Vemunft darf man nicht alsnbsp;ein abgesondertes Yermögen ansehen. Es ist viehmehr die ganzenbsp;Einrichtung aller menschlichen Krafte, die ganze Haushaltungnbsp;seiner sinnlichen und erkennenden, seiner erkennenden undnbsp;wollenden Natur, wodurch er zur Sprache kommt. Kraft diesernbsp;Anlage steht er den Gegenstanden, die er bezeichnet, andersnbsp;gegenüber als die Tiere. So wird er z. B. zu dem Lamm nichtnbsp;wie der Löwe oder der Schafbock durch seinen Instinkt hin-gerissen, sondern das Tier mit seinen verschiedenen Merkmalennbsp;fallt unter seine Betrachtung, seine in Besonnenheit sich übendenbsp;Seele sucht ein Merkmal, sie findet es, indem sie sich sagt; dasnbsp;Schaf blöket. Bei diesen Betrachtungen wird auf die gesellschaft-liche Seite der Sprache wenig Gewicht gelegt. Die Sprache istnbsp;Einverstandnis der Seele mit sich selbst, und auch der Einsamenbsp;wüi’de sie gefunden haben. Von allen Eindrücken die wichtigstennbsp;sind diejenigen, welche durch das Ohr kommen. Denn der Menschnbsp;ist, wie Herder sagt, als ein horchendes merkendes Geschöpf zurnbsp;Sprache natürlich gebildet. Der Baum wird ihm der Rauscher,nbsp;der West Sausler, die Quelle Riesler heiBen. Das erste Wörter-buch war aus den Lauten der Welt gesammelt. Dabei belebte
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Herder, Berahardi.
der Mensch die ganze Natur, alles wurde zu Mann und Weib personifiziert, überall Götter und Göttinnen, handelnde bösartigenbsp;oder gute Wesen. Das Wörterbucli war so ein tönendes Pantheon, ein Versainmlungssaal beider Geschlechter. Die Art desnbsp;Redens darf man sich nicht nach unserer gegenwartigen pro-saischen Gewohnheit vorstellen. Die erste Sprache der Men-schen war Gesang. Es fragt sich nun natürlich weiter, wienbsp;die nicht tonenden Gegenstande bezeichnet wurden. Daraufnbsp;gibt Herder die Antwort, daB der Mensch ein denkendes sen-sorium commune ist, nur von verschiedenen Seiten berührt. Esnbsp;kreuzen sich in ihm die Eindrücke und entstehen Analogiennbsp;zwischen den Eindrücken verschiedener Sinne. Zum Schlussenbsp;sei noch auf zwei Satze hingewiesen, namlich 'je alter undnbsp;ursprünglicher die Sprachen sind, desto mehr wird diese Analogie der Sinne in ihren Wurzeln wirklich'’, und 'da jedenbsp;Grammatik nur eine Philosophie über die Sprache und einenbsp;Methode ihres Gebrauchs ist, so muB, je ursprünglicher dienbsp;Sprache ist, desto weniger Grammatik in ihr sein^
Der zweite der genannten Manner, August Ferdinand Bernhardi (1769—1820), ist für uns, wie oben angedeutet,nbsp;schon darum besonders wichtig, weil Wilhelm von Humboldt,nbsp;wie er selbst gelegentlich bemerkt, in seinen grammatischen Be-trachtungen am liebsten an ihn anknüpfte. Ich halte mich beinbsp;der Skizzierung von Bernhardis Lehren nicht an seine zwei-bandige Sprachlehre (Berlin 1801—03), sondern an seine An-fangsgründe der Sprachwissenschaft (Berlin 1805), in der dernbsp;Verfasser selbst die reifste Darstellung seiner Ansichten erblickte.nbsp;Bernhardi unterscheidet eine historische und eine philosophischenbsp;Ansicht von der Sprache. Als Prinzip der historischen Ansichtnbsp;kann man hinstellen, daB die Sprache, welche ihre Wurzel innbsp;der Vernunft hat, sich nach notwendigen Gesetzen entwickelt,nbsp;aber bewuBtlos, und nach eben solchen blüht und wieder ver-geht. Die philosophische dagegen hat es mit der Sprache alsnbsp;etwas Gegebenem und Fertigem zu tun. Über diese philosophische Betrachtung, die uns hier hauptsachlich angeht, heiBt esnbsp;S. 7: 'Die Sprachwissenschaft oder Sprachlehre, phüosophischenbsp;Grammatik ist die Wissenschaft von der unbedingten Formnbsp;der Sprache. Die unbedingte Form der Sprache ist die not-wendige, keineswegs aber die notdürftige Form; diese notwen-dige Form wird aber auch ihrem ganzen ümfange nach aufge-stellt, und daher ist die notwendige Form auch zugleich dienbsp;idealische. Keine empirische Sprache erfüllt dies Ideal, denn
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Zweites Kapitel.
entweder bleibt sie als ein unvollendetes Naturprodukt unter dem Ideal, sie enthalt bloB das Notdürftige, oder sie sclireitetnbsp;durch einen Luxus über dasWotwendige hinaus, und wenn uicbtnbsp;im ganzen, doch im einzelnen. Die unbedingte Form kann nichtsnbsp;als diese Erscheinungen im ganzen erklaren.’ Der Gang dernbsp;Darstellung schlieBt sich wesenthch an das griechische Vorbildnbsp;an. Es wird also zuerst der Elementarteil vorgenommen, undnbsp;darin zunachst von den Buchstaben gehandelt. Darin inter-essiert uns die Definition: 'jedes deutlich tonende Element innbsp;der Sprache heiBt ein Buchstabe\ Bernhardi verstekt also —nbsp;und das ist noch lange so gebliehen — unter Buchstabe das,nbsp;was wir jetzt Laut oder Einzellaut nennen, Laut aber ist ihmnbsp;alles durch menschhche Sprachwerkzeuge Hervorgebrachte, so-wohl im ganzen, wie in seinen einzelnen Bestandteilen. In dennbsp;Ausführungen Bernhardis über die Buchstaben wird ein heutigernbsp;Lautphysiologe nicht viel Bemerkenswertes finden. Von meinemnbsp;historischen Standpunkt aus ist nicht unwichtig, daB die Vokalenbsp;gegenüber den Konsonanten als ursprünglicher geiten, sie stehennbsp;der Interjektion ganz nahe und drücken wie diese die Empfin-dung aus. Dann aber werden die Konsonanten wichtiger, welchenbsp;den wechselnden Vokalen gegenüber das Feste, Bleibende be-zeichnen. Um den aprioristischen Standpunkt zu kennzeichnen,nbsp;sei die Behauptung hervorgehoben, daB es mehr als die Vokalenbsp;a, e, ^, o, u schlechterdings nicht geben könne (S. 60). Dasnbsp;Material stammt in diesem wie in allen folgenden Abschnittennbsp;aus dem Griechischen und Lateinischen, woneben gelegentlichnbsp;auch noch das Deutsche und Hebraische berücksichtigt ist. Aufnbsp;das Kapitel von den Buchstaben folgt das über die Silben undnbsp;die Akzente, denen die Kraft innewohnt, mehrere Silben zunbsp;einer Einheit zu verbinden, so daB der Akzent als die Kon-junktion der Elementarreihe bezeichnet werden kann. Der Akzentnbsp;(so heiBt es S. 102) ist also vom Wort und dessen Bedeutungnbsp;ganz unabhangig, er ist ein bloBes Silbenprinzip und hat sichnbsp;in dieser Beschaffenheit noch im Griechischen erhalten, wahrendnbsp;er sich im Deutschen verandert hat. Im nachsten Abschnittnbsp;kommen wir zu den Wörtern und daroit auch zu dem Begriffenbsp;der Stamm- und Wurzelwörter. Ein Stammwort ist ein solches,nbsp;welches nur eine Bedeutung hat, das soil heiBen ein solches,nbsp;an welchem nicht etwa neben der materiellen Bedeutung irgend-ein Verhaltnis bezeichnet wird. Ein Wurzelwort aber ist einnbsp;Stammwort, welches aus einer absolut einfachen Silbe besteht,nbsp;d. h. einer solchen, die nur einen einfachen Konsonanten mit
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Bernhardi.
einem einfachen Vokal enthalt. Alle Wurzelwörter — darin stimmt Bernhardi mit Fulda, Adelung u. a. überein — sindnbsp;einsilbig. Birer Bedeutung nacb zerfallen die Stamm- bzw.nbsp;quot;VVurzelwörter in zwei Klassen, namlicb solche, welche eine Sub-stanz, und solche, welche ein Verhaltnis ausdrücken. Die ersterennbsp;sind die Hauptstammwörter, die andern die Nebenstammwörter.nbsp;Haupt- und Nebenstammwörter aber sclimelzen allmahlich zu-sammen, wodurch die uns bekannten Wörter entstehen. Dabeinbsp;sei auf folgende merkwürdige Stelle hingewiesen: 'Neben demnbsp;Stammworte und Wurzelworte ap, welches einen Hauptbegriff,nbsp;eine Substanz ausdrückt, existierte auch ein Verhaltnisstamm-wort, welches Wurzelwort zugleich war, ^s, ea, id. Aus dernbsp;Zusammenschmelzung beider ist das lateinisclie apis entstanden’nbsp;(S. 109). Bei der Erörterung der Redeteile, die den folgendennbsp;umfanglichen Abschnitt ausfüllt, geht Bernhardi wie anderenbsp;seiner Zeitgenossen von dem Urteil aus, stützt sich also aufnbsp;eine der Logik entnommene Glrundlage. Ein Urteil nun bestehtnbsp;nach der philosophischen Anschauung Bernhardis aus dreinbsp;Teilen: der Substanz, dem Attribut und der allgemeinennbsp;Bedingung des Erkennens, dem Sein. Es gibt also drei Redeteile, namlich Substantiva, Attributiva (mit ge wissen Unterab-teilungen) und das Yerbum Sein. Mit dieser Einteilung kom-biniert BezTihardi die in der grammatischen Tradition lebendige,nbsp;von Sanctius herrührende (nomen, verbum, particula) derartig,nbsp;daB er seinen drei Redeteilen sogenannte Redeteilchen (Parti-kuln) zu- und unterordnet, namhch dem Substantivum dennbsp;Artikel und die Praposition, dem Attributivum die ursprüng-lichen Adverbien, dem Sein die Konjunktion. Es laBt sichnbsp;denken, daB es bei dieser Zuordnung manchmal willkürlich zu-geht, wofür als Beispiel das über die Konjunktion G-esagte an-geführt werden mag; 'Will man die Konjunktion erklaren, so istnbsp;sie die Partikul des Seins, oder was dasselbe ist: die Praposition des Seins oder, was wieder dasselbe sagt: die Prapositionnbsp;des Satzes, oder endlich der Ausdruck des Yerhaltnisses zwi-schen der Existenz zweier Satze und deren Inhalt' (S. 211).nbsp;Erfahrt man nun noch, daB das Pronomen sowohl den Redeteilen als den Redeteilchen angehört, so kann man verstehen,nbsp;wie Bernhardi zu folgendem Schema gelangt:
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Zweites Kapitel.
I. Redeteile (partes orationis).
a. nbsp;nbsp;nbsp;Von den Siibstantivis.
b. nbsp;nbsp;nbsp;Von den Attributms.nbsp;aa. Von den Adjectivis.nbsp;bb. Von den Participiis.nbsp;cc. Von den Adverbiis.
c. nbsp;nbsp;nbsp;Von dem Verba Seyn.
n. Eedeteilchen (particulae).
a. nbsp;nbsp;nbsp;Von den Prapositionen.
b. nbsp;nbsp;nbsp;Von der Konjunktion.
c. nbsp;nbsp;nbsp;Von den ursprünglichen Adverbiis.
in. Eedeteile und Eedeteilchen zugleich.
Von den Pronominibus.
Man beachte an diesen Schema besonders, dafi darin nicht das Verbum, sondem das Verbum Sein vorkommt. Das Verbum, wie wir es versteken, ist für Bernhardi nicht ein einfacher,nbsp;sondern ein zusammengesetzter Eedeteil, der aus der Verbin-dung des Verbums Sein mit einem Pronomen oder einem Parti-zipium entsteht. Bei der Behandlung der einzelnen Eedeteilenbsp;und ihrer 'itapsudp.sva zeigt sich, wie ja auch in dem Schemanbsp;als Ganzem ein fortwahrendes Bestreken, zwischen der aus dernbsp;Logik geschöpften notwendigen Form und den Tatsachen dernbsp;tiberlieferung möglichst einen Ausgleich zu suchen. Das seinbsp;hier an dem Substantivum gezeigt. Bei dem Numerus findennbsp;wir Bernhardi nachgiebiger als z. B. G. Hermann. Diesernbsp;batte, da nach der Kantischen Kategorientafel die Quantitat innbsp;die Unterbegriffe der Einheit, Vielheit und Allheit zerfallt, dennbsp;Dualis aus dem Begriff der Allheit erklart; Bernhardi abernbsp;meint, nur der Singular und Plural seien notwendig, der Dualnbsp;nicht, aber es sei natürlich, wenn er in manchen Sprachen ge-bildet werde, da die Verbindung zwischen Mann und Weib,nbsp;Redendem und Angeredetem eine solche Form entstehen lieBnbsp;(S. 128), wozu weiter bemerkt sein mag, daB nach der histo-rischen Ansicht der Dual eine Erinnerung an uralteste Zeitennbsp;darstellt. Denn — so heiBt es S. 40 — ‘da wir endlich allenbsp;Sprache von der Unterredung [zwischen zweien] aus entspringennbsp;lassen, so muB in den ursprünglichen Sprachen sich auch einenbsp;Form finden, welche dies bezeichnet, und diese ist neben dennbsp;Pronominibus personalibus der Dualisquot;. Bei dem Genus findennbsp;wir im wesentlichen die Anschauungen, welche spater auch
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Bernhardi.
bei Humboldt und Grimm auftreten. Die Bezeichnung der Wesen als mannlich und weiblich ist entweder ernst gemeintnbsp;und dann imaginativ, oder in den Verstand übergetreten undnbsp;dann bloB bezeichnend (S. 129). Von der imaginativen Ansichtnbsp;heiBt es: 'Da nun der Mann in der Natur der Starkere,nbsp;Kraftigere, GröBere und Tatigere ist, so wurden alle diejenigennbsp;leblosen Substanzen, bei denen sich diese Eigenschaften fanden,nbsp;mit dem mannlichen Geschlecht im Substantive, diejenigennbsp;aber, bei denen sich etwas dem Gebaren Ahnliches fand, dienbsp;sich den Sinnen als schwach, leidend, bewirkt, nachfolgendnbsp;zeigten, im Substantive durch das weibliche Geschlecht be-zeichnet^ Das Neutrum ist eine Verstandesbezeichnung spaterernbsp;Zeit. Die Kasus bringt Bernhardi unter den Gesichtspunktnbsp;der Dependenz. Sie sind entweder unabhangige (absolute), wienbsp;der Nominativ und Yokativ, oder abhangige (oblique), wie dienbsp;übrigen. Hinsichtlich der Entstehung der Kasus in den Flexions-sprachen erscheint gelegentlich die Bemerkung, die Abhangig-keit könne wohl durch Prapositionen ausgedrückt werden, weitnbsp;zweckmaBiger und scharfer geschehe das aber durch Kasus,nbsp;d. h. durch gewisse an das Substantiv selbst geknüpfte Silben,nbsp;'die man freilich als verkiirzte, aber verdunkelte Prapositionennbsp;ansehen kann'’ (S. 133). Bei der Aufstellung der Grundbe-deutungen lehnt sich der Verfasser stark an das Gegebene an,nbsp;wie das folgende Schema beweist:
Nominativ: Kasus der dritten Person.
Vokativ: Kasus der zweiten Person.
Genetiv: Abhangigkeit, Eigentum, Ganzes.
Akkusativ: Sache, Wirkung.
Dativ: Person, Ziel.
Nach einigen Bemerkungen über Derivation folgt dann die Eormenlehre, aus der ich das Folgende hervorhebe.nbsp;Bernhardi betrachtet als einen besonderen Vorzug der Sprachennbsp;mit ausgebildeter Flexion die Möglichkeit einer freien Wort-stellung und bemerkt dabei, es gebe eine gewisse, aus demnbsp;Verstand abgeleitete, ganz unverrückbare Ordnung der Worte.nbsp;Diese trete bei dem sogenannten Konstruieren hervor. Ihrenbsp;Regel aber ist: 'Der Fortschritt von dem Höheren und All-gemeinen zum Besonderen, vom Enthaltenden zum Enthalten-sein, von dem Dinge zum Verhaltnis^ 'Diese Ordnung^ — sonbsp;heiBt es in der lehrreichen Ausführung S. 221 weiter — 'kannnbsp;allerdings zerstört werden sollen. Man setze namlich, es mische
Belbrück, Einl. i. d. Stud. d. indogerm. Spraeben. 4. Aufl. nbsp;nbsp;nbsp;3
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Zweites Kapitel.
sich in die Sprachdarstellung ein höheres als das Verstandes-interesse, und diesem sei zum Beispiel nicht das Enthaltende, sondern das Enthaltensein, nicht das Ding, sondem das Yer-haltnis das Interessantere, so wird es wünschenswert, das Interessantere vortreten zu lassen. Dies kann freilich geschehennbsp;durch den rhetorischen Akzent, z. B. er hat mich geloht; alleinnbsp;weit scharfer wird dies durch die grammatische Umstellung:nbsp;mich hat er geloht, dargestellt. Gesetzt aher, mich hahenbsp;keine andere Form als ich, ihn keine andere Form als er,nbsp;so kann dieser Nachdruck schlechterdings nicht anders als durchnbsp;den ohen gedachten rhetorischen Akzent deutlich gemacht werden, und die unter dem Hamen der Inyersion bekannte Sprach-form ware gar nicht möglich.^ Weiter sei aus der Formenlehrenbsp;bemerkt, dab der Begriff des Stammes im Gegensatz zu demnbsp;des Kasus noch nicht erscheint, es werden vielmehr durchaus nachnbsp;der Weise der antiken Grammatik die übrigen Kasus aus demnbsp;Nominativ hergeleitet, und entsprechend verhalt es sich mit demnbsp;Verbalformen. Von der Formenlehre kommt man nicht sofortnbsp;zur Syntax, sondem zunachst zu gewissen Übergangsformeln,nbsp;namhch der Lehre von der Komposition, der Apposition, undnbsp;der Abhangigkeit der Kasus. Das letztere ist für uns auffallend,nbsp;erklart sich aber, wenn man bedenkt, dab Bernhardi nur einnbsp;Verbum, namlich das des ruhenden Seins, kennt und es alsonbsp;vorziehen muB, die Kasuslehre bei dem Partizipium, dem vonnbsp;ihm als 'energisch’ bezeichneten Attributivum zu behandeln. Dienbsp;drei genannten Übergangsformeln gehören übrigens unter dienbsp;Schemata der Inharenz und Dependenz, und zwar die Komposition unter beide, die Apposition unter die Inharenz, die ab-hangigen Kasus unter die Dependenz. Den SchluB der 'reinen'’nbsp;Sprachwissenschaft bildet die Syntax, sie beginnt mit der Be-hauptung: Der Satz ist die Yerknüpfung eines Subjekts undnbsp;Pradikats durch das Verbum Sein. Dazu wolle man sich dernbsp;obenerwahnten Auffassung Bernhardis erinnern, wonach dasnbsp;Sein keineswegs Bewegung und Energie, sondern eine Euhenbsp;ausdrückt und die Eigenschaft einer Substanz darstellt. Danbsp;nun die Eigenschaft einer Substanz inhariert, kann man auchnbsp;sagen: Sein ist die Inharenz des Pradikats in das Subjekt, undnbsp;demgemab ist jeder einfache Satz nichts anderes, als eine innbsp;der Form der Inharenz dargestellte Anschauung. Insofern nunnbsp;das Pradikat dem Subjekt inhariert, verschmilzt es mit ihm zurnbsp;Einheit, und so kann man schlieblich sagen, dab ein jeder Satznbsp;einem Substantivum gleich ist und als ein solches behandelt
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Bernliardi.
werden kann. DaB Bernhardi auch die Periode als eine Einlieit ansieht, und daB in dieser Ansckauung der Keim zu einer nochnbsp;jetzt verhreiteten Anschauung üher die Entstehung der Nehen-satze aus einzelnen Worten des Hauptsatzes enthalten ist, istnbsp;von mir in meiner Vergleichenden Syntax 3,410 gezeigt worden.
So weit Bernhardis philosophische Grammatik. Dem Leser wird dabei vor allem die eigenttimliche Auffassung des Verbumsnbsp;aufgefallen sein, das aus einem energischen Partizipium und deninbsp;rakenden Sein besteht. Dieses rakende Sein stammt aus demnbsp;Eleatismus der Schellingschen Philosophie, und kann deshalbnbsp;jetzt beiseite bleiben. Wichtiger ist die maBgebende Stellungnbsp;des logiscken Urteils, auf dem der Satz und die Einteilung dernbsp;Eedeteile beruht. Daneben treten noch einige Begriffe wie Einheit,nbsp;Vielkeit, Dependenz, Inharenz auf, welche der Kantschen Kate-gorientafel angekören, die ja auch ihrerseits schlieBlich aus demnbsp;Urteil abgeleitet ist. Man kann also mit Recht sagen, daB dienbsp;Grammatik bei Bemkardi in voUstandige Abkangigkeit Yon dernbsp;Logik geraten ist, und muB in diesem Zustande die Vollendungnbsp;einer schon von den Scholastikern eingeleiteten Bewegung er-blicken. Es ist jetzt leickt, diese Betracktungsweise zu kriti-sieren. Man kann (was ich nicht tue) sick auf den Standpunktnbsp;stellen, daB das Urteil dem Satze zugrunde liegt, und muBnbsp;doch gestoken, daB Bernhardis ganzes Unternehmen auf einernbsp;Selbsttausckung beruht. Denn es liegt ja in der Tat nicht einnbsp;unbekiimmertes Ableiten notwendiger Folgerungen aus einemnbsp;gegebenen Grundsatz vor, sondem ein Hinstreben nach einemnbsp;vorher festgelegten Ziele. Der Philosoph ware ohne vorherigenbsp;Kenntnis der tatsachlich vorhandenen Eedeteile, Kasus, Modinbsp;usw., nie zu ihnen gelangt. Was schlieBlich herauskommt, istnbsp;den logischen Grundlagen mit Mühe und Not abgezwangt worden, und ist für die notwendige Form meistens entweder zunbsp;lang oder zu kurz. Das Beste leistet der Schriftsteller da, wonbsp;er sicli einmal von der philosophischen Betrachtung freimachtnbsp;und sich in die historische begibt, lm übrigen ist zu betonen,nbsp;daB es sich um einen scharfsinnigen und geistreichen Mannnbsp;handelt, der in hohem MaB anregend gewirkt hat.
3*
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(Das Sanskrit und Priedrich Schlegel, Wilhelm von Humboldt, Bopp, J. Grimm, A. W. Schlegel.)
Um diejenigen Manner besser verstehen zu lemen, durch welche alle bisherigen Studiën in der ersten Halfte des neun-zehnten Jahrhunderts zusammengefabt und gekrönt wurden,nbsp;namlicb die Humboldt, Bopp und Grimm, müssen noch zweinbsp;Ereignisse von Wichtigkeit einleitend erwahnt werden: die Ent-deckung des Sanskrit und die romantische Bewegungnbsp;in Deutschland.
Es ist hier nicht der Ort, zu erzahlen, wie es im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts dem Handelsgeist und dernbsp;rauherischen Tapferkeit der Englander gelang, sich in Ost-indien die Konkurrenz der andern europaischen Nationen,nbsp;namentlich der Eranzosen, vom Halse zu schaffen, und sich dienbsp;hedeutendsten Beiche des ungeheuern schatzereichen Landes zunbsp;unterwerfen. Es ist auch nicht nötig, da es von Macaulay innbsp;seinen beiden Essays üher die ersten Gouverneure Lord Clivenbsp;und Warren Hastings in unnachahmlicher Weise geschehen ist.nbsp;Ich hahe nur zu bemerken, dab unter den Englandern dernbsp;damaligen Zeit auch einige hervorragende Gelehrte waren, denennbsp;die Welt die ersten gründlichen Nachrichten üher indische Ein-richtungen, Sprache und Literatur verdankt (vgl. Benfey, Ge-schichte der Sprachwissenschaft, S. 341 ff.). Zu diesen gehortnbsp;vor allem William Jones (geb. 1746, von 1783 an Oberrichternbsp;in Eort William in Bengalen). Er führte Sakuntala und Manunbsp;durch Übersetzungen in die Weltliteratur ein, und hatte sichnbsp;auch schon eine durchaus treffende Ansicht üher das Verhaltnisnbsp;des Sanskrit zu den verwandten Sprachen gehildet. Er aubert
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Jones, Colebrooke, rriedrioli Sohlegel.
sicli dariiber im Jahre 1786, wie folgt; 'Die Sanskritsprache ist von bewunderungswiirdiger Bildung, vollkommener als das Grie-chische, reicher als das Lateinische, feiner ausgebildet als beide.nbsp;Sie steht zu beiden, sowohl was die Wurzeln der Verba alsnbsp;was die grammatiscben Forinen betrifft, in einer Yerwandtschaft,nbsp;die so nahe ist, daB sie nicht durch den Zufall erzeugt seinnbsp;kann, und so entschieden, daB jeder Philologe, der die dreinbsp;untersucht, zu dem Glauben kommen muB, daB sie aus der-selben Quelle entsprungen seien, die vielleicht nicht mehrnbsp;verhanden ist. Ahnliche Grlinde, wenn auch nicht so zwin-gender Art, sprechen für die Annahme, daB das Gotische undnbsp;Keltische, ob auch mit fremden Sprachen gemischt, denselbennbsp;Ursprung gehabt haben, wie das Sanskritquot; (vgl. Benfey, S. 348).nbsp;Nachst ihm ist Henry Thomas Colebrooke zu nennen (1765—nbsp;1837), ein strenger Forscher von tiefer Gelehrsamkeit, der, wienbsp;Benfey sich ausdriickt, als der erste das Sanskrit und seine Litera-tur in wahrhaft philologischem Sinne behandelte und dadurchnbsp;einen sicheren Grund fiir eine Sanskritphilologie legte. Yonnbsp;ihm erschien auch 1805 ein Anfang einer Sanskritgrammatik,nbsp;die aber, da sie ganz nach dem fiir uns beschwerlichen Systemnbsp;der indischen Grammatiker gearbeitet ist, zur Einfiihrungnbsp;nicht geeignet war. Das gilt mehr oder weniger auch yonnbsp;den Grammatiken von Carey (1806), Wilkins (1808), Forsternbsp;(1810). Das schlimmste aber war, daB diese Biicher wegennbsp;der AbschlieBung Englands durch die Kontinentalsperre innbsp;Deutschland überhaupt nicht zu haben waren. Und da es nunnbsp;Wörterbücher und Texte nicht gab, so war ein Deutscher, dernbsp;in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts Sanskrit studierennbsp;wollte, im wesentlichen auf die Handschriften der Parisernbsp;Bibliothek, die unter andern die groBen indischen Epen besaB,nbsp;angewiesen.
In Deutschland war inzwischen durch Herder, Goethe und die Homantiker die Hichtung auf die Weltliteratur befördertnbsp;und namentlich bei den Bomantikern eine tiefe Sehnsucht nachnbsp;der uralten Weisheit Indiens erwacht, von der manche, aller-dings noch trübe Kunde zu ihnen gedrungen war. Yon diesernbsp;Sehnsucht und einem unersatthchen Wissensdrange getrieben,nbsp;wandte sich Friedrich Schlegel (1772—1829) gelegentlichnbsp;eines langeren Aufenthaltes in Paris von 1803 an einem ernsthaften Studium des Sanskrit zu, bei dem er von dem Englandernbsp;Alexander Hamilton wirksam unterstützt wurde, der auf dernbsp;Heimreise von Indien begriffen war, wo er die Sprache der
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Drittes Kapitel.
Brahmanen erlernt hatte. Die Früchte dieser Studiën sind nieder-gelegt in dem 1808 erschienenen berühmten Buche üher die Sprache und Weisheit der Indiër. Schlegel sagt darin üher die Beziehun-gen des Sanskrit zu andern Sprachen, das alte indische Sonskrito,nbsp;d. h. die gehildete oder vollkommne, auch G-ronthon, d. h. dienbsp;Schrift- oder Büchersprache, hahe die gröBte Verwandtschaftnbsp;mit der römischen und griechischen, sowie mit der germanischennbsp;und persischen Sprache. Die Ahnlichkeit liege nicht hloB innbsp;einer groBen Anzahl von Wurzeln, die sie mit ihnen gemeinnbsp;habe, sondern sie erstrecke sich bis auf die innerste Strukturnbsp;und G-rammatik. Die Übereinstimmung sei also keine zufallige,nbsp;die sich aus Einmischung erklaren lieBe, sondern eine wesent-liche, die auf gemeinschaftliche Abstammung deute. Bei dernbsp;Vergleichung ergebe sich ferner, daB die indische Sprache dienbsp;altere sei, die andem aber jünger und aus jener abgeleitet.nbsp;In der Eeststellung der Sprachverwandtschaft lag, wie wirnbsp;wissen, etwas Neues nicht vor, die Fassung enthalt sogar innbsp;ihrem letzten Satz einen Eückschritt gegen Jones; auch kannnbsp;man nicht sagen, daB Schlegel die behauptete Yerwandtschaftnbsp;durch systematische Yergleichung bewiesen habe, was erst vonnbsp;Bopp geschehen ist. Es war aber von groBer Wichtigkeit, daBnbsp;durch ihn die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt auf dasnbsp;Sanskrit gelenkt wurde. Zugleich enthalt das Schlegelschenbsp;Buch eine eigentümliche Theorie der Flexion. Es gibt nachnbsp;ihm zwei Hauptgattungen von Sprachen, namlich erstens solche,nbsp;welche die Nebenbestimmungen der Bedeutung durch innerenbsp;Yeranderung des Wurzellautes anzeigen, und zweitens solche,nbsp;welche zu] diesem Zweck eigene Wörter hinzufügen, die schonnbsp;an und für sich Mehrheit, Yergangenheit, ein zukünftiges Sollennbsp;oder andere Yerhaltnisbegriffe der Art bedeuten. Die erstenbsp;Hauptgattung umfaBt die Flexionssprachen. Schlegel verstehtnbsp;also unter Flexion die innere Yeranderung des Wurzellautes.nbsp;Er bekampft auf das entschiedenste die Ansicht, als ob dienbsp;Flexionsformen durch Anfügung vorher selbstandiger Wörternbsp;gebildet seien. 'lm Griechischen kann man noch wenigstensnbsp;einen Anschein von Möglichkeit finden, als waren die Bie-gungssilhen aus in das Wort verschmolzenen Partikeln undnbsp;Hilfsworten ursprünglich entstanden, obwohl man diese Hypothese nicht würde durchführen können, ohne fast alle jenenbsp;etymologischen' Künste und Gaukeleien zu Hilfe zu nehmen,nbsp;denen man zuvörderst allen ohne Ausnahme den Abschiednbsp;geben sollte, wenn man die Sprache und ihre Entstehung wissen-
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Friedricli Schlegel.
schaftlich, d. h. durchaus historisch betrachten will; und kaum möchte sich’s auch dann noch durchführen lassen. Beim In-dischen aher verschwindet vollends der letzte Schein einernbsp;solchen Möglichkeit, und man muB zugehen, daB die Strukturnbsp;der Sprache durchaus organisch gebildet, durch Flexionen odernbsp;innere Veranderungen und Umhiegungen des Wurzellauts innbsp;allen seinen Bedeutungen ramifiziert, nicht bloB mechanischnbsp;durch angehangte Worte und Partikeln zusammengesetzt sei, wonbsp;denn die Wurzel selbst eigentlich unverandert und unfruchtharnbsp;bleibt’ (S. 41). In dieser organischen Beschaffenheit sieht er dennbsp;wesentlichen Vorzug der Mexionssprachen: ‘Daher der Reich-tum einesteils und dann die Bestandheit und Dauerhaftigkeitnbsp;dieser Sprachen, von denen man wohl sagen kann, daB sienbsp;organisch enstanden seien, und ein organisches Gewebe bilden;nbsp;so daB man nach Jahrtausenden in Sprachen, die durch weitenbsp;Lander getrennt sind, oft noch mit leichter Mühe den Fadennbsp;wahmimmt, der sich durch den weitentfalteten Reichtum einesnbsp;ganzen Wortgeschlechtes hinzieht imd uns bis zum einfachennbsp;Ursprunge der ersten Wurzel zurückführt. In Sprachen hin-gegen, die statt der Flexion nur Affixe haben, sind die Wurzelnnbsp;nicht eigentlich das; kein fruchtbarer Same, sondern nur wienbsp;ein Haufen Atome, die jeder Wind des Zufalls leicht ausein-andertreiben oder zusammenführen kann; der Zusammenhangnbsp;eigentlich kein anderer, als ein bloB mechanischer durch auBerenbsp;Anfügung. Es fehlt diesen Sprachen im ersten ürprung annbsp;einem Keim lebendiger Entfaltung^ usw. (S. 51).
Fragen wir, wie Schlegel zu dieser Auffassung der Flexion kam, so sehen wir uns auf Einflüsse verschiedener Art hinge-wiesen. Zunachst ist zu beachten, daB er, wie er selbst angibt,nbsp;mit den Ergebnissen der hisher herrschenden Theorie unzu-frieden war. Somit war eine Anschauung zu suchen, bei dernbsp;die Vorstellung der Zusammensetzung, die bisher die herr-schende war, ausgeschaltet würde. Sodann scheint das Ver-haltnis zwischen Latein und romanischen Sprachen auf ihnnbsp;Eindruck gemacht zu haben. Die letzteren sah man als einnbsp;Produkt des Verfalls und der Verderbnis an. Da sie nun abernbsp;Zusammensetzung zeigen, so wird die ihnen zugrunde liegendenbsp;vollkommnere Sprachform sie nicht gekannt haben. Am meistennbsp;fallt aber die philosophische Grundstimmung ins Gewicht, welchenbsp;sich in dem Worte 'organisch’ im Gegensatz gegen ‘mechanisch’nbsp;ausspricht. Der Kampf gegen die indiridualistische, von ihnennbsp;gering geachtete Aufklarung lenkte den Sinn der Romantiker
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Drittes Kapitel.
auf die dunkeln Zeiten, in denen das Leben der Menschheit weniger durch die einzelnen Persönlichkeiten als durch die imnbsp;SchoBe der Völker verborgenen Krafte bestimmt wird. Zugleichnbsp;wurde ihnen durch die pantheistische, der Naturbetrachtung zu-neigende Pbilosophie Schellings, in der sie lebten, die Vorstel-'nbsp;lung einer Ent'wicklung und von innen heraus vor sich gehendennbsp;Entfaltung des Organismus gelaufig. DaB aber mit Yorliebenbsp;das Bild voin pflanzlichen Organismus entlebnt und die Flexionnbsp;als ein Vorgang des Sprossens, Blübens und Welkens bezeicb-net wurde, ist vielleicht auf die Erinnerung an Goethes Metamorphose der Pflanzen zurückzuführen. Wir werden einemnbsp;ahnlichen EinfluB romantischer Vorstellungen auch bei Jakobnbsp;Grimm begegnen.
Mit der besonderen Auffassung der Flexion, welche Schlegel aufstellte, war zugleich eine Klassifikation der Sprachen ge-geben. Zwei Klassen haben wir schon kennen gelemt, namlichnbsp;die Flexionssprachen, welche samtlich auf einen gemeinsamennbsp;Ursprung zurückführen. Dann die Sprachen, welche ihre For-men durch Affixa bilden. Zu dieser sehr mannigfaltigen Gruppenbsp;verschiedenartigen Ursprungs rechnet Schlegel die amerikanischennbsp;Sprachen, das Baskische und das Koptische. Endhch das Ohi-nesische, in welchem diePartikeln, welche die Nebenbestimmungennbsp;bezeichnen, für sich bestehen als einsilbige von der Wurzel ganznbsp;unabhangige Worte. Ein Stufengang der Sprachentwickelung,nbsp;der mit dem Chinesischen als der primitivsten Form beginnt undnbsp;mit den Flexionssprachen als den vollkommensten endigt, ist S. 49nbsp;aufgestellt. Audi der Ursprung der Sprache wird behandelt.nbsp;Ich hebe folgende an Herder und Bemhardi erinnernde Satzenbsp;hervor. “quot;Eins laBt sich mit Sicherheit sagen: die Sprache istnbsp;nicht aus einem bloB physischen Geschrei und allerlei schall-nachahmenden oder mit dem Schall spielenden Sprachversuchennbsp;entstanden. Yielmehr ist diese Sprache selbst ein Beweis mehr,nbsp;wenn es dessen noch bei so vielen andern bedarf, daB der Zustand des Menschen nicht überall mit tierischer Dumpfheitnbsp;angefangen, woran sich demi nach langem und mühevollemnbsp;Streben endlich hier und da ein wenig Yernunft angesetzt habe;nbsp;zeigt vielmehr, daB, wenngleich nicht überall, doch wenigstensnbsp;gerade da, wohin uns diese Forschung zurückführt, gleich vonnbsp;Anfang die klarste und innigste Besonnenheit stattgefunden;nbsp;denn das Werk und Erzeugnis einer solchen ist diese Sprache,nbsp;die selbst in ihren ersten und einfachsten Bestandteilen die höch-sten Begriffe der reinen Gedankenwelt, gleichsam den ganzen
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Friedrich Schlegel. W. v. Humboldt.
GrrundriB des BewuBtseins nicht bildlich, sondern in unmittel-harer Klarheit ausdrückt.’
Der Erfolg des SchlegelschenWerkes war groB. Ihm bleibt das Verdienst, nicht bloB auf die Bedeutung des Sanskrit, sondern auch auf die Aufgaben der vergleichenden Granamatik (einnbsp;zuerst bei ihm auftretender Ausdruck) nachdriicklich hingewiesennbsp;zu haben, welcbe, wie er sagt, 'uns ganz neue Aufscbliisse iibernbsp;die Genealogie der Spracben auf ganz ahnliche Weise gebennbsp;wird, wie die vergleichende Anatomie über die böhere Natur-geschichte Licht verbreitet hat^ Man verspiirt seinen EinfluBnbsp;besonders, wenn man die ersten Schriften Bopps und Humboldtsnbsp;studiert, und zwar sowohl an den Gedanken und Anschauungennbsp;als an den Einzelheiten des Ausdrucks.
Hiermit sind wir unmittelbar zu dem Begriinder der allge-meinen Sprachwissenschaft gefiihrt worden. Wilhelm von Humboldt (1767—1835) widmete sein Leben bis zum Jahrenbsp;1801 ausschlieBlich seiner persönlichen Ausbildung, zunachstnbsp;durch mannigfaltige, höchst ernsthafte Studiën auf dem Gebietenbsp;der Staatswissenschaft, der klassischen Philologie (namenthchnbsp;des Griechischen), der Philosophie und schonen Literatur, dannnbsp;durch einen langeren Aufenthalt in Frankreich und Spanien, wonbsp;er das Interesse für das Baskische in sich aufnahm. Von 1801nbsp;bis 1819 lebte er vorzugsweise den Geschaften des preuBischennbsp;Staates, dem er als Gesandter in Eom, als Kultusminister innbsp;Berlin, als diplomatischer Vertreter auf dem Wiener KongreBnbsp;wichtige Dienste leistete. Er fand aber in dem verwirrendennbsp;Getriebe der mannigfachsten Geschafte und bei dem reichstennbsp;und vielseitigsten Verkehr mit Mannern und Frauen doch stetsnbsp;die Zeit, die angefangenen wissenschafthchen Faden fortzu-spinnen, so daB es als der natiirliche AbschluB einer gerad-linigen Entwicklung erscheint, wenn Humboldt den Best seinesnbsp;Lebens ausschlieBlich wissenschaflichen Studiën und Arbeiten,nbsp;insbesondere aber der Sprachwissenschaft widmete, die ihm imnbsp;Laufe der Zeit immer wichtiger geworden war. Eragt man nachnbsp;der Geistesanlage, die eine solche Tatigkeit ermöglichte, so warenbsp;wohl zu sagen, daB Humboldt neben einer ungewöhnlichennbsp;Empfanglichkeit und der Fahigkeit, sich rasch in eine Sachenbsp;hineinzuarbeiten, eine auBerordentliche Selbstbeherrschung besaB,nbsp;welche ihn befahigte, in jedem Augenblick seine ganze Aufmerk-samkeit auf eine einzelne Sache zu sammeln, und zugleich nebennbsp;aller Schmiegsamkeit in Hebendingen eine groBe Zahigkeitnbsp;des Beharrens bei den einmal gefaBten Anschauungen und
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Drittes Kapitel.
Stimmungen. Diese durch das wissenschaftliche Leben Humboldts sich hinziehende GrleichmaUigkeit ist ein Moment, welches dasnbsp;Verstandnis seiner Gedankengange erleichtert. Erschwert abernbsp;wird dasselbe teils durch die dem Diplomaten anhaftende, fürnbsp;den Leser oft verdriefiliche Neigung, Gegensatze zu versöhnen,nbsp;teils und hauptsachlich aber durch die Form der Darstellung,nbsp;welche an Schwerfalligkeit, künstlicher Glatte und einer er~nbsp;müdenden Heigung zu erhabenem Ausdruck leidet. Ich glaubenbsp;mich der schwierigen Aufgabe, die mir obliegt, am besten ontledigen zu können, wenn ich bei der Darstellung möglichst annbsp;Bernhardi anknüpfe. Zugrunde lege ich wesentlich die Einleitungnbsp;zu dem grollen Werk über die Kawisprache (Berlin 1836—40, nachnbsp;dem Tode des Verfassers von Buschmann herausgegeben), welchenbsp;den Sondertitel tragt: Über die Verschiedenheit des mensch-lichen Sprachbaues und ihren Einflufi auf die geistige Entwicke-lung des Menschengeschlechts. Ich benutze die bequeme Ausgabenbsp;von Pott, Berlin 1876, und verweise zugleich auf die sprach-wissenschaftlichen Werke Wilhelms von Humboldt, herausgegebennbsp;und erklart von H. Steinthal, Berlin 1884.
Wie Bernhardi hat Humboldt eine historische und eine philosophische Ansicht von der Sprache, die ineinander aufzu-lösen er sich abmüht. Freilich ist seine historische Ansichtnbsp;auf ganz anderer und breiterer Grundlage erbaut, als die seinesnbsp;Vorgangers. Wahrend dieser sich, wie wir sahen, auf einigenbsp;wenige Kultursprachen beschrankt, hat Humboldt sich so ziem-lich aller Sprachen bemachtigt, deren man damals überhauptnbsp;habhaft werden konnte, und es scheint, daB er bei dem unge-heuern Material doch eine verhaltnismaBig groBe Genauigkeitnbsp;im einzelnen erreicht hat. Wenigstens finde ich ihn da, wo ichnbsp;ihn kontrolberen kann, z. B. im Sanskrit, durchaus zuverlassig.nbsp;Über das Verf ahren des Geschichtsf orschers hat Humboldtnbsp;in verschiedenen Perioden seines Lebens Betrachtungen ange-stellt, auf die er Wert legte, so daB es sich empfiehlt, einigesnbsp;davon mitzuteilen. Humboldt betont wiederholt, daB Anfangnbsp;und Ende alles Geschehens uns verborgen bleiben und allesnbsp;Begreifen des Menschen irgendwo in der Mitte von beiden liege.nbsp;Demnach dürfte er eigentlich über den Ursprung der Sprachenbsp;nicht reden; daB er es doch tat, war für den Sohn des 18. Jahr-hunderts selbstverstandlich. Wie es geschah, werden wir untennbsp;(S. 49) sehen. Hier begnüge ich mich, einen Punkt zu erwahnen,nbsp;an dem er von Bernhardi abweicht. Bernhardi hatte gemeint,nbsp;die Sprache sei von dem Menschen im Zustande des absoluten
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Wilhelm von Humboldt.
Bediirfnisses erfunden (S. 23), wogegen sich Humboldts gauze Auffassung der menschlicben Natur straubt. Die Spracbe — sonbsp;sagt er S. 216 — entstebt nicM aus Hilflosigkeit. Nicht einmalnbsp;die G.eselligkeit ontspringt daraus, 'wie man unter andern aus dernbsp;Tatsache abnehmen kann, daB der Elefant, das starkste Tier,nbsp;zugleich das geselligste ist. Die Worte entquellen vielmehr ohnenbsp;Not und Absicht der Brust. Die Hervorbringung der Sprache istnbsp;ein inneres Bedlirfnis der Menschheit. Der Mensch muB seinernbsp;. Naturanlage nach sprechen, denn er ist als Tiergattung betrachtetnbsp;ein singendes Geschöpf, das Gedanken mit Tonen verbindet. Einnbsp;weiterer wichtiger Zug in der Humboldtschen Geschichtsansichtnbsp;ist der, daB ihm eine teleologische Auffassung fern liegt.nbsp;Es ist vielmehr auf ein System von Ursachen und Wirkungennbsp;abgesehen, aus deren Verilechtung sich das Geschehen erklart.nbsp;Aber freilich nicht alles, denn es treten von Zeit zu Zeit innbsp;der Geschichte Erscheinungen auf, bei denen die Kausalitats-erklarung versagt. Es sind die groBen genialen Individuen, mitnbsp;denen die Geschichte sozusagen von vorn anhebt. Dieser Ge-danke, der in Humboldts Betrachtung der politischen Geschichtenbsp;eine bedeutende Rolle spielt, wird auch auf die Sprachgeschichtenbsp;angewendet, ja er wird hier in eigentiimlicher Weise ausgedehnt,nbsp;insofern behauptet wird, daB das Genie sich nicht nur in ein-zelnen Personlichkeiten, sondern auch in ganzen Yölkern effenbare, und auf diese Weise sich plotzliche Eortschritte in dernbsp;Sprachentwickelung erklaren. Damit haben wir uns dem drittennbsp;Punkte genahert, der von mir bei der historischen Ansicht erwogennbsp;werden soli, namlich dem Verhaltnis des einzelnen zurnbsp;Gesamtheit. In dieser Hinsicht hatte Bemhardi im Sinnenbsp;der zeitgenössischen Philosophie behauptet, die Individuen seiennbsp;ein verkleinertes Bild der absoluten Intelligenz, batten aber dasnbsp;Streben, aus sich herauszugehen und sich mit andern Intelli-genzen zu vereinigen (S. 12), und gelegenthch finden wir auchnbsp;Humboldt auf ahnlichen Wegen, so wenn er S. 45 sagt: ‘Dasnbsp;Ahnden einer Totalitat und das Streben danach ist unmittelbarnbsp;mit dem Gefiihle der Individualitat gegeben. Wir haben auchnbsp;nicht einmal die entfernteste Ahndung eines andern als einesnbsp;individuellen BewuBtseins. Aber jenes Streben und der durchnbsp;den Begriff der Menschheit selbst in uns gelegte Keim unaus-löschlicher Sehnsucht lassen die Uberzeugung nicht untergehen,nbsp;daB die geschiedene Individualitat überhaupt nur eine Erschei-nung bedingten Daseins geistiger Wesen ist.quot;* Nicht ganznbsp;derselben, aber einer ahnlichen Auffassung begegnen wir auch bei
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Drittes Kapitel.
Humboldt, wenn er yon der Tatigkeit eines ganzen Volks, dem Geist einer Nation oder ahnlich redet. Eine wichtige Stellenbsp;der Art ist die folgende: 'Das Dasein der Sprachen beweist,nbsp;daB es auch geistige Schöpfungen gibt, welche ganz und garnbsp;nicht von einem Individuum aus auf die ührigen übergehen,nbsp;sondern nur aus der gleichzeitigen Selbsttatigkeit aller hervor-brechen können. In den Sprachen also sind, da dieselben immernbsp;eine nationelle Form haben. Nationen als solche eigentlich undnbsp;unmittelbar schöpferiscF (S. 47). Man ersieht aus diesem Satze,nbsp;daB der Gesamtgeist nicht etwas von der gemeinsamen Tatigkeit Verschiedenes sein soil. Deshalb ist es begreiflich, wennnbsp;Humboldt kurz darauf sagt, daB die Sprachen doch Selbst-schöpfungen der Individuen bleihen, indem sie sich nur in jedemnbsp;einzelnen, in ihm aber nur so erzeugen können, daB jeder dasnbsp;Verstandnis aller voraussetzt und alle dieser Erwartung genügen.nbsp;Es ist aber wichtig, sich gegenwartig zu halten, daB die Über-einstimmung der Volksgenossen nach Humboldts Meinung nichtnbsp;durch den Verkehr herheigeführt wird, sondern in einer gemeinsamen Veranlagung aller irgendwie begründet ist.
So weit die Betrachtungsweise, die man damals historisch nannte. Was nun die philosophische betrifft, so sehen wirnbsp;Bernhardi von der romantischen Philosophie stark abhangig.nbsp;Bei Humboldt ist das kaum der Fall. Wohl kommt gelegentlichnbsp;der Ausdruck vor, die Sprache, auch die der rohesten Nation,nbsp;sei ein organisches Wesen und müsse als solches behandeltnbsp;werden (Üher das Sprachstudium, S. 48), aber damit soil nichtsnbsp;weiter gesagt werden, als daB die einzelnen Teile der Sprachenbsp;unter sich zusammenhangen. lm wesentlichen ist Humboldt einnbsp;Anhanger von Kant. Mit ihm teilt er die Ansicht, daB imnbsp;Menschen gewisse Formen der Anschauung und des Denkensnbsp;verhanden sind, in welche alle Erfahrungen eingetragen werden.nbsp;Das tritt deutlich an Stellen wie die folgende hervor: 'Die all-gemeinen an den einzelnen Gegenstanden zu bezeichnenden Be*nbsp;ziehungen und die grammatischen Wortbeugungen beruhen beidenbsp;gröBtenteils auf den allgemeinen Formen der Anschauung undnbsp;der logischen Anordnung der Begriffequot;’ (S. 110). Diese Auffas-sung wird uns sofort noch weiter beschaftigen. Hier sei nurnbsp;im allgemeinen noch bemerkt, daB Humboldt zwar ein Kantianernbsp;war, aber kein orthodoxer. Er nahm vielmehr zu Kant einenbsp;ahnliche Stellung wie etwa Schiller ein, mit dem er in der Be-wertung der Kunst zusammentraf. Die Sprache erinnerte ihnnbsp;in ihrem innersten Wesen an die Kunst, und er meinte, die
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AVilhelm von Humboldt.
kiinstlerische Schönheit werde der Sprache nicht als ein zu-falliger Schmuck verliehen, sie sei vielmehr gerade im Ge-genteil eine notwendige Folge ihres iihrigen Wesens (S. 119). Weiter sei hier noch angemerkt, dafi Humboldt ehenso wienbsp;Herder kein Anhanger der Theorie von den Seelenvermögennbsp;war, wenigstens nicht in hezug auf die Sprachfahigkeit, dennnbsp;er erklart ausdriicklich, der innere Sprachsinn sei nicht einenbsp;hesondere Kraft, sondern das ganze geistige Vermogen, hezogennbsp;auf die Bildung und den Gebrauch der Sprache. Auf psychologische Analyse, etwa nach Herhartscher Art, geht Humboldt,nbsp;soviel ich sehe, nicht ein. Doch will ich hervorhehen, wasnbsp;er iiher Sprache und Begriffshildung sagt. Die Sprache, sonbsp;meint er, ist das hildende Organ des Gedankens. Suhjektivenbsp;Tatigkeit bilde im Denken ein Ohjekt. Nun werde demnbsp;Menschen, auch dem einsamen, seine Vorstellung durch dienbsp;AuBerung objektiviert und kehre als solche in sein Inneresnbsp;zuriick. Somit sei die Sprache zur Begriffshildung unerlaBlichnbsp;(S. 67).
Von diesen mehr einleitenden und orientierenden Betrach-tungen komme ich zu Humboldts Ansichten über das We sen der Sprache. Die alteren Gelehrten unterlagen, da sie üher-wiegend die Büchersprache im Auge batten, leicht der Gefahr,nbsp;die Sprache als toten Stoff anzusehen. Dagegen erheht Humboldt entschiedenen und herechtigten Widerspruch. Die Sprachenbsp;— so lautet einer seiner bekanntesten Aussprüche — ist keinnbsp;Werk (Ergon), sondern eine Tatigkeit (Energeia). Ihre wahrenbsp;Definition kann daher nur eine genetische sein. Sie ist nam-lich die sich ewig wiederholende Arheit des Geistes, den arti-kulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fahig zu machennbsp;(8. 56). Das ist freilich, genau genommen, eine Definition desnbsp;Sprechens, nicht der Sprache, abervondieserUnterscheidungmuBnbsp;man in Humboldts Sinn absehen, denn, wie es an einer andernnbsp;Stelle heiBt, die Sprache hat nirgends, auch in der Schrift nicht,nbsp;eine bleibende Statte, ihr gleichsam toter Teil muB immer imnbsp;Denken aufs neue erzeugt werden (S. 77). Da der Verfassernbsp;selhst auf diese Feststellung den gröBten Wert legt, so mogennbsp;hier, wo üher ihn herichtet wird, noch einige Belege des gleichennbsp;Inhalts folgen. S. 123: ‘Man kann den Wortvorrat einer Sprachenbsp;auf keine Weise als eine fertig daliegende Masse ansehen. Ernbsp;ist, solange die Sprache im Munde des Volkes leht, ein fort-wahrendes Erzeugnis und Wiedererzeugnis des wortbildendennbsp;Vermogens, zuerst in dem Stamme, dem die Sprache ihre Form
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Drittes Kapitel.
verdankt, dann in der kindischen Erlernung des Sprechens, und endlich im taglichen Gebrauche der Eede. Die unfehlbarenbsp;Gegenwart des jedesmal notwendigen Wortes in dieser ist gewiBnbsp;nicht bloB Wei’k des Gedachtnisses. Kein menschliches Gedacht-nis reichte dazu bin, wenn nicht die Seele instinktartig zugleichnbsp;den Schlüssel zur Bildung der Wörter selbst in sich trüge/nbsp;Weiter wird dann ausgeführt, daB es sich mit den toten Sprachennbsp;nur um weniges anders verhalte. S. 75: 'Die Sprache besteht,nbsp;neben den schon geformten Elementen, ganz vorzüglich auchnbsp;aus Methoden, die Arbeit des Geistes, welcher sie die Bahnnbsp;und die Form vorzeichnet, weiter fortzusetzen’. S. 209: ‘Dasnbsp;Wort teilt nicht, wie eine Substanz, etwas schon Hervorge-brachtes mit, enthalt auch nicht einen schon geschlossenenBegriff,nbsp;sondem regt bloB an, diesen mit selbstandiger Kraft, nur aufnbsp;bestimmte Weise zu bilden. Die Menschen verstehen einandernbsp;nicht dadurch, daB sie sich Zeichen der Dinge wirklich hin-geben, auch nicht dadurch, daB sie sich gegenseitig bestimmen,nbsp;genau und vollstandig denselben Begriff hervorzubringen, son-dern dadurch, daB sie gegenseitig ineinander dasselbe Gliednbsp;der Kette ihrer sinnlichen Yorstellungen und inneren Begriffs-erzeugungen berühren, dieselbe Taste ihres geistigen Instruments anschlagen, worauf alsdann in jedem entsprechende, nichtnbsp;aber dieselben Begriffe hervorspringen.^ S. 70: ‘Das Sprecben-lernen der Kinder ist nicht ein Zumessen von Wörtern, Nieder-legen im Gedachtnis und Wiedernachlallen mit den Lippen,nbsp;sondern ein Wachsen des Sprachvermögens durch Alter undnbsp;Übung.'’
/ Diese allgemeinen AuBerungen über Sprache führen von ‘^selbst herüber zu den beiden Hauptteilen der Sprache, ihrernbsp;inneren begrifflichen und ihrer auBeren lautlichen Seite.nbsp;Ich knüpfe auch in diesem Punkt an Bernhardi an. Bernhardinbsp;beginnt sein hier öfter angeführtes Werk mit den Worten:nbsp;‘Dasjenige Ganze von artikulierten Lauten, durch welches dernbsp;Mensch seine Vorstellungen darstellt, heiBt Sprache'’, und bemerkt weiter, die philosopbische Grammatik sei die Wissenschaft von der notwendigen Form der Sprache. Ganz ebensonbsp;dreht sich bei Humboldt die Erörterung um zwei Punkte, dienbsp;Form und den artikulierten Laut. Was er unter Form verstekt, sei durch ein Zitat deutlich gemacht S. 57: ‘Das innbsp;der Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Gedanken-ausdruck zu erheben, liegende Bestandige und Gleichförmige,nbsp;so vollstandig als möglich in seinem Zusammenhange aufgefaBt
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Wilhelm von Humboldt,
und systematisch dargestellt, macht die Form der Sprachen aus^ Dieses Bestandige, welches weiterhin als ein Drang der Seelenbsp;(nicht etwa bloB als leere Abstraktion) gekennzeichnet wird, istnbsp;zugleich etwas in sich Zusammenhangendes, wie u. a. folgendenbsp;Stellen zeigen. S. 98: 'Die Sprache ist der Seele in ihrer Tota-litat gegenwartig, d. h. jedes einzelne in ihr verhalt sich so, daBnbsp;es anderem noch nicht deutlich Gewordenen und einem durchnbsp;die Summe der Erscheinungen und die Gesetze des Geistesnbsp;gegebenen oder vielmehr zu schaffen möglichen Ganzen ent-spricht. Allein die wirkliche Entwicklung geschieht allmahlich,nbsp;und das neu Hinzutretende bildet sich analogisch nach dem schonnbsp;Vorhandenen.’ Sprachstudium S. 51: 'Die Sprache lieBe sich nichtnbsp;erfinden, wenn nicht ihr Typus schon in dem menschlichen Verstande verhanden ware. Damit der Mensch nur ein einziges Wortnbsp;wahrhaft, nicht als bloBen sinnlichen AnstoB (so), sondern alsnbsp;artikuUerten, einen Begriff bezeichnenden Laut verstehe, muBnbsp;schon die Sprache ganz und im Zusammenhange in ihm liegen.’nbsp;Da diese innere Form^) der Sprachen zu der ursprünglichennbsp;Veranlagung des Menschen gehort, so sollte man meinen, daBnbsp;sie bei alien Nationen dieselbe sein miisse. In der Tat ist nachnbsp;Humboldt so viel richtig, daB die Verschiedenheiten auf diesemnbsp;Gebiet unendlich viel geringer sind als auf dem der Lautform,nbsp;aber einige Verschiedenheiten sind denn doch da. Sie erklarennbsp;sich teils daraus, daB die spracherzeugende Kraft in verschie-denem Grade wirksam ist, teils daraus, daB Gefühl und Phan-tasie ablenkend eingreifen (vgl. S. 105). An einer andern Stellenbsp;(S. 307) wird die Sache folgendermaBen ausgedriickt: 'Da dienbsp;Naturanlage zur Sprache eine allgemeine des Menschen ist, undnbsp;alle den Schliissel zum Verstandnis aller Sprachen in sichnbsp;tragen miissen, so folgt von selbst, daB die Form aller Sprachennbsp;sich im wesentlichen gleich sein und immer den allgemeinennbsp;Zweck erreichen muB. Die Verschiedenheit kann nur in dennbsp;Mitteln und nur innerhalb der Grenzen liegen, welche die Er-reichung des Zweckes verstattet.’ Man könnte also in Humboldts Sinne, wenn auch nicht mit seinen Worten, sagen, daB
1) Anm. Es sei bier _ angemerkt, daB der Ausdruck 'innere Sprach-form’, den Humboldt als Überschrift des § 11 seiner Einleitung verwendet, anderswo Analogien hat. Schon Goethe braucht ‘innere Form’, indemnbsp;er von der innersten Beschaffenheit eines Kunstwerks redet, von der dienbsp;auBere Form nur ein AusfluB ist (vgl. Goethejahrbuch 13, 229; 14, 296;nbsp;16, 190 Euphorion 4, 205. 445).
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Drittes Kapitel.
es eine allgemein menschKche imd eine nationale innere Sprach-form gibt. Zn der letzteren (die gelegentlich auch die intellek-tuelle Technik einer bestimmten Sprache genannt wird) gehort es z. B., wenn eine Sprache den Dual, das Genus, die verschie-denen Tempora in allen Möglichkeiten hat (S. 103j. Ich kommenbsp;hierauf bei der Frage nach der Klassifikation der Sprachennbsp;zurück, wende mich jetzt aber zur Lautform. Den artiku-lierten Laut hatte Bemhardi so definiert: ‘Der artikuliertenbsp;Ton ist ein solcher, welcher durch die dem Menschen eigen-tümlichen Sprachwerkzeuge hervorgebracht wirdquot; (S. 18), undnbsp;weiter von ihm ausgesagt, daB er als Abdruck und Darstellungnbsp;der Vernunft diene. Ganz ahnlich meint Humboldt S. 79; ‘Dienbsp;Absicht und die Fahigkeit zur Bedeutsamkeit, und zwar nichtnbsp;zu dieser überhaupt, sondern zu der bestimmten durch Darstellung eines Gedachten, macht allein den artikulierten Lautnbsp;aus, und es laBt sich nichts anderes angeben, um seinen Unter-schied auf der einen Seite vom tierischen Geschrei, auf dernbsp;andern vom musikalischen Ton zu bezeichnenquot; (vgl. auch S. 307).nbsp;Es gehort übrigens zu dem, was man in der Sprache Stoftnbsp;nennen kann, noch mehr als der artikulierte Laut, namlich, wienbsp;es S. 60 heiBt, die Gesamtheit der sinnlichen Eindrücke undnbsp;selbsttatigen Geistesbewegungen, welche der Bildung des Begriffsnbsp;mit Hilfe der Sprache vorausgehen, wozu man o oen S. 45 ver-gleiche. Die stoffliche Seite der Sprache tritt, wie bei Humboldts philosophischer Anschauung natürlich ist, hinter der ge-danklichen stark zurück, so daB der Laut als die Schwierigkeitnbsp;bezeichnet wird, welche die Ideen bei ihrer Manifestierung innbsp;der Sprachbildung zu überwinden haben. Auf der andern Seitenbsp;freilich spielt der Laut wieder eine höchst wichtige Bolle. Dennnbsp;da die innere Form der Sprachen, wie wir gesehen haben,nbsp;eigentlich gleich ist oder doch sein sollte, so beruht ihre Yer-schiedenheit hauptsachlich auf dem Laute. So heiBt es S. 99:nbsp;‘Es wird daher sehr erklarbar, daB die Lautform hauptsachlichnbsp;dasjenige ist, wodurch der Unterschied der Sprachen begründetnbsp;wird. Es liegt dies an sich in ihrer Natur, da der körperhchenbsp;Laut allein in Wahrheit die Sprache ausmacht, der Laut auchnbsp;eine weit gröBere Mannigfaltigkeit der Unterschiede erlaubt, alsnbsp;bei der inneren Sprachform, die notwendig mehr Gleichheit mitnbsp;sich führt, stattfinden kann.quot; Und ahnlich, wenn auch etwasnbsp;maBiger ausgedrückt, heiBt es S. 308, der Laut sei das die Ver-schiedenheit vermehrende Prinzip.
Mit dem Verhaltnis von innerer und auBerer Sprachform
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Wilhelm von Humboldt.
hangen unmittelbar Humboldts Ansichten über den Ursprung der Sprache und die Klassifikation der Sprachen zusammen.nbsp;Her Ursprung der Sprache scheint Humboldt im letzten Grundenbsp;unerklarbar, denn, me es S. 64 heifit, die unzertrennlicbe ‘Ver-bindung des Gedankens, der Stimmwerkzeuge und des Gebörsnbsp;zur Sprache liegt unabanderlioh in der urspriinglicben, nichtnbsp;weiter zu erklarenden Einrichtung der menscblichen NatuU.nbsp;Imnierbin sucht er, wie es die Menschen von jeber getan batten,nbsp;sich deutlich zu macben, wie wobl der Laut mit der Bedeutungnbsp;zusammenbangen möge. Er erklart diesen Zusammenhang nichtnbsp;rein historisch, sondern nimmt ini AnschluB an die Uberlieferungnbsp;eine nachahmende (onomatopoetische) Stufe an, sodann einenbsp;symbolische, ivie sie etwa in stehen, leise, Und vorliegt, endlichnbsp;die wichtigste, die analogische, wonach ahnlichen Begriffen auchnbsp;ahnliche Laute gegeniiherstehen (vgl. S. 92). Die Klassifikation der Sprachen iviirde man, da ja Humboldt die Ver-schiedenheit derselben hauptsachlich in der Lautform findet,nbsp;gern aus dieser ahleiten. Indessen wird ein Versuch dazu nichtnbsp;ernstlich unternominen, da man auf diesein Gebiet immer nurnbsp;auf eine uniibersichtliche Mannigfaltigkeit der Verschiedenheitennbsp;stöBt, welche keinen Einteilungsgrund gewahrt. So wird mannbsp;denn auf die innere Sprachform gewiesen, die nun ihrerseits dienbsp;Schwierigkeit darbietet, daB sie iiberall eigentlich dieselbe seinnbsp;sollte. Eine gewisse Verschiedenheit ist allerdings, wie wir ohennbsp;sahen, tatsilchlich vorhanden. Sie heruht im letzten Grundenbsp;darauf, daB (wie es S. 24 heiBt) die in den Menschen allgemeinnbsp;gelegte Kraft der Bede, begiinstigt oder gehemmt durch dienbsp;den Yolkern beiwohnende Geisteskraft, mehr oder wenigernbsp;glücklich hervorbricht. Es gibt vollkommnere und unvoll-kommnere Sprachen, und die Unvollkommenheit besteht nichtnbsp;etwa nur in AuBerlichkeiten, sondern auch in dem rein intellek-tuellen Teil der Sprache (S. 107), Indessen eine Einteilung nachnbsp;dem Grade der Yollkomnienheit laBt sich doch nicht durchführen,nbsp;weil sich bei naherer Betrachtung immer wieder zeigt, daBnbsp;Sprachen, die in einer Beziehung unvollkommen sind, in anderernbsp;doch wieder hohe Vorziige besitzen, so daB man kein Gesamt-urteil fallen mag. So ware es denn vielleicht möglich, dienbsp;Sprachen, unter Yerzicht auf jegliches Werturteil, lediglich nachnbsp;der Beschaffenheit der nationalen inneren Sprachform einzuteilen.nbsp;Aber auch das erweist sich als undurchfiihrbar, da die innerenbsp;Sprachform ihrer Katur nach etwas UnfaBbares ist. Denn es istnbsp;klar, daB Satze wie die folgenden sich der praktischen Yerwert-
Delbriick, Einl. i. d. Stud. d. indogerm. Sprach.en. 4. Aufl. nbsp;nbsp;nbsp;4
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Drittes Kapitel.
barkeit entziehen: ‘Die Spracbe ist (bei einer Nation) das Organ des inneren Seins, dieses Sein selbst, wie es nacb nnd nach zurnbsp;inneren Erkenntnis nnd zur AuBerung gelangt’ (8. 17); ‘mannbsp;muB zu dem Satz aufsteigen, daB der Ban der Sprachen imnbsp;Menschengescblecbte darum und insofern verscbieden ist, weilnbsp;nnd als es die Geisteseigentümlicbkeit der Nationen selbst ist'’nbsp;(S. 53). Aucb die Erwagung der von Humboldt gelegentlichnbsp;angeführten Einzelheiten fördert uns nicht. Die Kennzeichen,nbsp;daB eine Sprache Dualis, Genus, Modi usw. bat, daB sie innbsp;ihrer Begriffsbildung vom Anschaulichen zum Abstrakten fort-schreitet usw., lassen sich nicht addieren und also auch nichtnbsp;als einheitliches Prinzip der Einteilung verweiden. In diesernbsp;Lage sieht sich Humboldt genötigt, zum Zweck der Einteilungnbsp;eine Einzelheit herauszugreifen, und zwar wahlt er dazu imnbsp;AnschluB an Schlegel die Flexion und ihre Gegenbilder. Dienbsp;wichtigsten hier in Betracht kommenden Stellen lauten; ‘Dienbsp;hier wirksame oder hemmende Eigenschaft der Sprachen ist die,nbsp;welche man unter den Ausdrücken Isolierung der Wörter,nbsp;Flexion und Agglutination zusammen zu begreifen pflegt.nbsp;Sie ist der Angelpunkt, um welche sich die Vollkommenheit desnbsp;Sprachorganismus drehetquot; (8. 132). Und ferner unter Hinzu-fügung des Ausdrucks ‘einverleibend’: ‘Wir'haben oben zur Er-reichung der Satzbildung, auBer der aller grammatischen Formennbsp;entratenden chinesischen Sprache, drei mögliche Formen dernbsp;Sprache aufgesteUt, die flektierende, agglutinierende und dienbsp;einverleibende’ (S. 310). Man hüte sich aber, diesen Klassennbsp;einen historisch-geographischen Wert beizulegen, derartig, daBnbsp;man die verschiedenen auf der Erde vorhandenen Sprachennbsp;darunter aufteilen könnte. Deun Humboldt fahrt an der angeführten Stelle fort: ‘Die Sprachen tragen eine oder mehrerenbsp;dieser Formen in sich; und es kommt zur Beurteilung ihrernbsp;relativen Vorzüge darauf an, wie sie jene abstrakten Formennbsp;in ihre konkreten aufgenommen haben, oder vielmehr, welchesnbsp;das Prinzip dieser Annahme oder Mischung ist.’ Ich gehe aufnbsp;diese Fragen nicht in ihrem vollen Umfange ein, wende michnbsp;vielmehr ausschlieBlich dem Punkte zu, der, dem Zweck meinernbsp;Schrift entsprechend, hier vor allen Dingen zu erörtem ist,nbsp;namlich Humboldts Behandlung der indogermanischennbsp;Sprachen. Dabei kommt zuerst seine Stellung zur Erklarungnbsp;der Flexionsformen in Betracht. Durch Fr. Schlegel warnbsp;die Frage ‘Zusammensetzung oder organische Entfaltung’ ge-stellt worden, und Humboldt entschied sich für Zusammensetzung.
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Willielm von Humboldt.
Das ergibt sicb deutlich aus einem Abschnitt seines Aufsatzes über die grammatischen Formen, der S. 92 so lautet: 'Dienbsp;Spracbe bezeichnet ursprünglich Gegenstande, und überlaBt dasnbsp;Hinzudenken der redeverknüpfenden Formen dem Verstekenden.nbsp;Sie sucbt aber dies Hinzudenken zu erleicbtern durch Wortstel-lung und durcb auf Verhaltnis und Form bingedeutete Wörternbsp;für Gegenstande und Sachen. So geschieht, auf der niedrig-sten Stufe, die grammatische Bezeicbnung durch Redensarten,nbsp;Phrasen, Satze. Dies Hilfsmittel wird in gewisse RegelmaBig-keit gebracht, die Wortstellung wird stetig, die erwahnten Wörter verlieren nach und nach ihren unabhangigen Gebrauch, ihrenbsp;Sachbedeutung, ihren ursprünglichen Laut. So geschieht, aufnbsp;der zweiten Stufe, die grammatische Bezeicbnung durch festenbsp;Wortstellungen und zwischen Sach- und Formbedeutung schwan-kende Wörter. Die Wortstellungen gewinnen Einheit, die form-bedeutenden Wörter treten zu ihnen hinzu, und werden Affixa.nbsp;Aber die Verbindung ist noch nicht fest, die Fugen sind nochnbsp;sichtbar, das Ganze ist ein Aggregat, aber nicht Eins. So geschieht auf der driften Stufe die grammatische Bezeicbnungnbsp;durch Analoga von Formen. Die Formahtat dringt endhchnbsp;durch. Das Wort ist Eins, nur durch umgeanderten Beugungs-laut in seinen grammatischenBeziehungen modifiziert; jedes gehörtnbsp;zu einem bestimmten Redeteil, und hat nicht bloB lexikalische,nbsp;sondem auch grammatische Individualitat. Die formbezeichnen-den Wörter haben keine störende Nebenbedeutung mehr, sondemnbsp;sind reine Ausdrücke von Verhaltnissen. So geschieht auf dernbsp;höchsten Stufe die grammatischeBezeichnung durch wahreFormen,nbsp;durch Beu gun g und rein grammatische Wörter.'’ In seinemnbsp;Hauptwerke sucht Humboldt freilich die Schlegelsche Ansichtnbsp;doch auch noch zur Geltung zu bringen, indem er S. 137 nichtnbsp;nur sagt: 'Das durch Anbildung flektierte Wort ist ebensonbsp;Eins, als die verschiedenen Teile einer aufknospenden Blumenbsp;es sind; und was hier in der Sprache vorgeht, ist rein organi-scher NatuF, sondem sogar behauptet, durch die unerforsch-liche Selbsttatigkeit der Sprache brachen die Suffixa aus dernbsp;Wurzel hervor. Wichtiger und erfreulicher als solche harmo-nistischen Versuche, die kein faBbares Resultat ergeben können,nbsp;sind die AuBerungen Humboldts über Einzelheiten des Verbal-baus. Humboldt stimmt Bopp zu, indem er S. 266 meint, diesernbsp;habe zuerst mit groBem Scharfsinn und unbestreitbarer GewiB-heit nachgewiesen, daB das Futumm und der sigmatische Aoristnbsp;aus der Stammform und dem Verbum ets 'seiF zusammengesetzt
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Drittes Kapitel.
sei, und findet iiiit Haughton in deni Passiyzeichen des Sanskrit das Verbum i ‘gellen^ Doch babe die Sprache dabei nicht dienbsp;Absicht, eine wahre Verbindung zweier bestimmter Verbalbe-griffe herbeizuführen, vielmehr wolle sie, 'auf der eigenen Be-deutung des zugesetzten Verbums nur leise fuBendquot;, sich seinesnbsp;Lautes als bloBen Anknüpfungsmittels bedienen, in welche Kate-gorie des Verbums die einzelne in Rede stehende Form gesetztnbsp;werden solle. So spiele dieser Laut eine Zwitterrolle zwischennbsp;Bedeutsamkeit und Symbolisierung. Hieraus folgt zugleich, daBnbsp;Humboldt dieWörter der Flexionssprachen ausWurzeln ent-stehen laBt. Er schreibt ihnen, wie es von Fulda u. a. geschehennbsp;war, Einsilbigkeit zu, und teilt sie in objektive und subjektive,nbsp;wahrend Bopp dafür den Ausdruck Verbal- und Pronominal-wurzeln vorzog. Sachlich batte sicb Humboldt aucb mit dernbsp;Boppscben Terminologie befreunden können, denn er lobt dienbsp;indischen G-rammatiker, daB sie alle quot;VVurzeln als Verbalwurzelnnbsp;behandelten, und fügt hinzu: es liege aucb in der Natur dernbsp;Sprachentwicklung selbst, daB, sogar geschicbtlich, dieBewegungs-und Beschaffenheitsbegriffe die zuerst bezeichneten sein w'erdennbsp;(S. 129), In diesem Gedanken, der lange die Spracbwissen-schaft beberrscht bat, zeigt sicb ein Gegensatz gegen früberenbsp;Anscbauungen. Fulda z. B. batte angenommen, daB zuerst dienbsp;Substantira bezeichnet seien.
Sind nun die Flexionen fertig, und baben die Völker sie eine Zeitlang verwendet, so kommt, und zwar gerade in dennbsp;gebildeten Spracben, eine Periode ibrer allmahlichen Verküin-merung. Das Abschleifen der Flexionen — so beiBt esnbsp;S. 292 — ist eine unleugbare Tatsacbe. Auf diese Weise ent-steben in der Entwicklung unserer Spracben zwei Perioden,nbsp;über welche es S. 197 beiBt; 'Die eine ist die, wo der laut-schaffende Trieb der Sprache noch im Wachstum und in leben-diger Tiitigkeit ist, die andere, wo nach vollendeter Gestaltungnbsp;wenigstens der auBeren Spracbform ein scheinbarer Stillstandnbsp;eintritt und dann eine sicbtbare Abnahme jen es scböpferischennbsp;sinnlichen Triebes folgt. Allein aucb aus der Periode der Abnahme können neue Lebensprinzipe und neu gelingende Um-gestaltungen der Sprache hervorgehen.'’
Zum ScbluB spreche icb von Humboldts Ansichten über das, was damals als Lehre von den Buchstabenveriinderungen, jetztnbsp;als Lautlehre bezeichnet wird. Humboldt handelt davon zunachstnbsp;bei der Betracbtung der Organisation der Flexionssprachen. Esnbsp;zeigen sich nach ihm bei der 'Lautformung’, d. i. der Gestaltung
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Wilhelm von Humboldt.
der auBeren Sprachform, zwei Prinzipien, ein bloB organisches, aus den Sprachwerkzeugen iind ibrem Zusammenwirken ent-steheiides, von der Leicbtigkeit und Schwierigkeit der Aussprachenbsp;abbangend und daher der natiirlichen Verwandtscbaft der Lautenbsp;folgend, und sodann ein geistiges, welches die Organe hindert,nbsp;sich ihrer bloBen Neigung oder Tragheit zu überlassen (8. 87).nbsp;Die beiden Prinzipien können, wie schon aus den letzten Wortennbsp;folgt, in Widerspruch miteinander geraten, und es ist, wienbsp;Humboldt S. 100 sagt, gelegentlich merkwurdig, zu sehen, wienbsp;der von innen heraus arbeitende Sprachsinn in einem einzelnennbsp;Falie plötzlich durchclringt und, ohne der Lautneigung nachzu-geben, sogar an einem einzelnen Vokal unverbrüchlicli festhalt.nbsp;Diese Anschauung ist, wie hier vorgreifend bemerkt werden mag,nbsp;in der Geschichte unserer Wissenschaft von Wichtigkeit geworden. So bat z. B. Georg Ourtius auf diese Weise die Br-lialtung des wichtigen i in o'.SoiVjv gegeniiber dem Verlust des inbsp;im attischen ttoso) (vgl. meine Schrift: Die neueste Sprach-forschung, Leipzig 1885, S. 25) erklart. An einer spatern Stelle,nbsp;wo Humboldt mehr ins einzelne eingeht (S. 150 ff.), behandelt ernbsp;diesog. Wolillautsregeln des Sanskrit und fahrt dann fort; 'AuBernbsp;der Verschiedenheit der Anfiigungsgesetze der sich in der Wort-mitte beriihrenden Konsonanten gibt es in den Sprachen nochnbsp;eine andere, seine innere Einheit noch bestimmter bezeichnendenbsp;Lautbehandlung des Wortes, namlich diejenige, welche seinernbsp;Gesamtbildung EinfluB auf die Veranderung der einzelnen Buch-staben, namentlich der Yokale, gestattet. Dies geschieht, wennnbsp;die AnschlieBung mehr oder weniger gewichtiger Silben auf dienbsp;schon im Worte vorhandenen Yokale EinfluB ausiibt, wenn einnbsp;beginnender Zuwachs des Wortes Verklirzungen oder Aussto-Bungen am Ende desselben hervorbringt, wenn anwachsendenbsp;Silben ihren Yokal denen des Wortes oder diese sich ihin assi-milieren, oder wenn einer Silbe durch Lautverstarkung odernbsp;durch Lautveranderung ein die iibrigen des Wortes vor demnbsp;Ohre beherrschendes Übergewicht gegeben wird. Jeder diesernbsp;Falie kann, wo er nicht rein phonetiscli ist, als unmittelbar symbolisch für die innere Worteinheit betrachtet werden.^ Ein gutesnbsp;Beispiel für die symbolische Bedeutung einer Lauterscheinungnbsp;bietet der Guna des Sanskrit. Die Gunierung tritt ein, wennnbsp;einer Silbe eines Wortes in der Aussprache ein das ganze Wortnbsp;beherrschendes Übergewicht gegeben werden soli (S. 157), mannbsp;kann sie in vielen Fallen als Symbol der innern Worteinheitnbsp;ansehen (S. 161). Statt 'symboliscld sagt Humboldt wohl auch
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Drittes Kapitel.
'grammatisch^, so in einem Briefe an Bopp vom 26. September 1826, in dem es (bei Lefmann, Nachtrag, 8. 52) so beiBt: 'Ab-sichtlich grammatisch ist gewiB kein Vokalwechsel. Aller innbsp;Ableitung und Konjugation rübrt, dunkt mich, immer entwedernbsp;von der Natur der Buchstaben oder ibrem EinfluB aufeinandernbsp;oder vom Akzent her.'’ Humboldt will damit nicht etwa (wienbsp;man bei Isolierung des Satzes glauben könnte) sagen, daB esnbsp;keinen auf Zwecke der grammatiscben Bedeutsamkeit gericbtetennbsp;Lautwandel gabe, sondern (wie der Zusammenbang zeigt) nur,nbsp;daB der Vokalwechsel, wie er z. B. im Prateritum der starkennbsp;Verba des Germaniscben voiiiegt, rein phonetiscber Natur sei.nbsp;Wie man siebt, dienen die bis jetzt erwahnten Lautveranderungen,nbsp;soweit sie nicht rein phonetiscber Natur sind, dazu, demWortenbsp;innere Einheit und organische Gestalt zu verleihen. In den-selben Anschauungskreis gehort auch das Gesetz der Kompen-sation, welches Humboldt mit Bopp aufstellt, wie es z. B. innbsp;i[j.sv nehen sTjju hervortritt (vgl. S. 167).
Haben wir uns bis hierher mit den Lautveranderungen be-schaftigt, welche bei der Bildung der Formen vor sich gehen, so fragt es sich nun, wie Humboldt sich ihi-e Abschleifung denkt.nbsp;Darüber gibt unter anderm S. 293 AufschluB, wo ausgeführtnbsp;wird, es scheine, daB solche Abschleifungen vorzüglich in Kultur-sprachen verkamen, es zeige sich also darin eine Gleichgültigkeitnbsp;gegen das tonende Prinzip in der Sprache, man opfere kühnernbsp;dem Wohllaut auf, weil ein Wort oft schon durch ein Kenn-zeichen hinreichend__ bezeichnet sei. Es ist, wie Humboldtnbsp;wörtlich sagt, ein Übergang von mehr sinnlicher zu reiner ernbsp;intellektueller Stimmung des Gemüts, durch welchen die Sprachenbsp;hier umgestaltet wird. Es zeigt sich also auch an dieser Stelle,nbsp;daB Humboldt von der modernen Auffassung der Lautgesetzenbsp;weit entfernt ist.
So weit die haujjtsachlichsten Lehren der 'Einleitung^ Humboldt übte mit diesen einen besonders starken EinfluB auf die-jenigen Gelehrten aus, welche die sog. Sprachvergleichung im engern Sinne hegründet und ausgebaut haben. Dafür mogennbsp;uns einige Satze als Zeugnis dienen, mit denen Bopp die Vor-rede der zweiten Abteilung der vergleichenden Grammatiknbsp;schlieBt: 'Ich habe das Glück gehabt, über diese schon ander-warts beriihrte Wahrnehmung (die Adjektivdekhnation betreffend)nbsp;noch das mir überaus schatzbare beifallige Urteil meines ver-ewigten Gönners AV. v. Humboldt zu erfahren, in welchemnbsp;vor kurzem die Sprachwissenschaft ihre schönste Zierde verloren
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Wilhelm von Humboldt. Franz Bopp.
hat. Von Schmerz über diesen harten Verlust noch ganz er-griffen, kann ich es nicht unterlassen, hier dem ruhmvollen Andenken jenes groBen Mannes den Ausdruck der innigstennbsp;Verehrung und Bewunderung zu zollen, womit seine geistreichennbsp;Schriften im G-ehiete philosophischer und historischer Sprach-forschung, sowie sein lehr- und liehreicher persönlicher undnbsp;brieflicher Umgang mich durchdrungen hahen.’ Ebenso bekennen sich Pott, Schleicher und Curtins als Humboldts dankbare Schuler. Ich denke, daB der Eindruck, den Humboldt aufnbsp;diese und ahnliche Manner hervorgebracht hat, von der Totalitatnbsp;seines Wesens ausging. Seine hohe und uninteressierte Liebenbsp;zur Wahrheit, sein stets auf die höchsten idealen Ziele gerichteter Bliek, sein Streben, über dem Einzelnen das Ganze undnbsp;über dem Ganzen das Einzelne nicht aus den Augen zu vertieren, und sich damit sowohl von den Gefahren des Spezialisten-tums wie der bisherigen allgemeinen Grammatik fern zu halten,nbsp;die abwagende Gerechtigkeit seines Urteils, sein allseitig gebil-deter Geist und seine edle Humanitat,—alle diese Eigenschaftennbsp;wirken starkend und lauternd auf eine fremde wissenschaftlichenbsp;Persönlichkeit, die Wilhelm von Humboldt nahetritt, und diesenbsp;Art der Einwirkung wird, wie ich glaube, Humboldt nochnbsp;lange behalten und selbst auf diejenigen auszuüben fortfahren,nbsp;welche den Humboldtschen Theorien ratios gegenüberstehen.nbsp;Diese selber haben das Schicksal aller zusammenfassendennbsp;Systeme gehabt. Ein Teil von ihnen ist in das allgemeinenbsp;BewuBtsein übergegangen, so z. B. die Lehre, daB die Sprachenbsp;nicht ein epyov, sondern eine èvépysta sei; andere haben einenbsp;Zeitlang im Vordergrunde der Erörterung gestanden, z. B. dienbsp;Erklarung der Flexion und die Teilung der Sprachentwicklungnbsp;in zwei Perioden, andere endlich sind beiseite gelegt worden,nbsp;wie die ‘innere Sprachform'’ und die Klassifikation dernbsp;Sprachen.
Im Gegensatz gegen Wilhelm v. Humboldt, dessen Anlagen sich in einem bedeutenden und bewegten Dasein nach allennbsp;Seiten ausleben konnten, fülrrte der Begründer der vergleichendennbsp;Grammatik Pranz Boppi) das bescheidene, nur auf einennbsp;Zweck gerichtete Leben eines deutschen Professors. 1791 innbsp;Mainz geboren, siedelte er mit seinen Eltern früh nach Aschaffen-burg über, wo er die Schule besuchte und auf dem Lyzeum,
1) Anm. Ygl. über ihn das umfangliche Werk von Lefmann, Berlin 1891, nebst Nachtrag.
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Drittes Kapitel.
einem Mittelding zwischen Gymnasium und Universitat, der Schiller K. J. Windischmanns wurde, eines Naturphilosophennbsp;und Universalhistorikers, der ihm das lebhafteste Interesse fürnbsp;den Orient einflöBte. Durch seine Verwendung erhielt Boj)pnbsp;von der bayrischen Regierung die Mittel, 1812 für langere Zeitnbsp;nach Paris zu gehen, wo er bei Silvestre de Sacy Arabischnbsp;und Persisch trieb, namentlich aber durch das mübseligste Studium der dertigen Handschriften sich eine gründliche Kenntnisnbsp;des Sanskrit erwarb, auch seine Erstlingsschrift verfaBte. Vonnbsp;Paris begab er sich nach London, wo er Wilhelm von Humboldt kennen lernte, der hinfort auf sein auBeres und inneresnbsp;Dasein einen von Bopp stets mit lehhaftester Dankharkeit aner-kannten EinfluB ausübte. Er hewirkte es, daB Bopp 1821 nachnbsp;Berlin kam, wo er als Universitatslehrer und Mitglied der Aka-demie bis zu seinem Tode (1867) blieb. Bopps wissenschaftlichesnbsp;Interesse ging von Anfang an nicht sowohl auf das aus, was wirnbsp;jetzt im engern Sinne vergleichende Grammatik in der Philologienbsp;nennen, sondern auf Sprachwissenschaft im weitesten Verstandenbsp;desWortes. 'Gleich von Anfang an’ — sagt Windischmann —nbsp;'war Bopps Absicht darauf gerichtet, auf dem Wege der Sprach-forschung in das Geheimnis des menschlichen Geistes einzudringennbsp;und demselhen etwas von seiner Hatur und von seinem Gesetznbsp;abzugewinnen.’ Doch führten ihn, und zwar schon im Anfangenbsp;seiner schriftstellerischen Tatigkeit, wissenschaftliche und praktische Rücksichten auch zu Spezialarheiten auf dem Gebiete desnbsp;Sanskrit. Wir können, indem wir die eben genannten Arbeitennbsp;voranstellen, Bopps schriftstellerische Leistungen in drei Gruppennbsp;scheiden, namlich erstens die Sanskrittexte, darunter als ersternbsp;die Episode von Halas mit lateinischer Übersetzung (Londonnbsp;1819), mehrere Grammatiken, aus denen ich die in ihrer An-ordnung musterhaft praktische kritische Sanskritgrammatik innbsp;kürzerer Eassung (zuerst Berlin 1834) hervorhehe, endlich einnbsp;sanskritisch-lateinisches Glossar. Alle diese Hilfsbücher sindnbsp;für viele, unter andern auch für den Verfasser dieser Zeilen,nbsp;die dankbar benutzten ersten Eührer gewesen. Eine zweitenbsp;Gruppe bilden die Beitrage zur vergleichenden Grammatik dernbsp;'indoeuropaischen’ Sprachen, beginnend mit der gleich zu be-sprechenden Erstlingsschrift, zusammengefaBt in seinem Haupt-werk, der Vergleichenden Grammatik des Sanskrit, Zend, Grie-chischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und Deutschen,nbsp;wie der Titel in der ersten, 1833 erschienenen Abteilung lautet.nbsp;Als eine Erganzung dazu ist das Vergleichende Accentuations-
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Franz Bopp.
system nebst einer gedrangten Darstellung der grammatischen Ubereinstimmungen des Sanskrit und Grriecbischen, Berlin 1854,nbsp;zu betrachten. Die dritte Gruppe bilden Abhandlungen zurnbsp;allgemeinen Sprachkunde, die bier nur kurz zu erwahnen sind.
Als diejenige Schrift, durch welche Bopp die vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen begründete, wird mitnbsp;Becht sein 1816 erscbienenes Erstlingswerk betrachtet, welchesnbsp;den Titel führt; 'Franz Bopp Über das Konjugationssysteinnbsp;der Sanskritspracbe in Vergleicbung mit jenem der griecbi-schen, lateiniscben, persiscben i) und germanischen Sprache.nbsp;Nebst Episoden des Ramajan und Mahabharat in genauennbsp;metrischen IJbersetzungen aus dem Originaltexte und einigennbsp;Abschnitten aus den Vedas. Herausgegeben und mit Vorer-innerungen begleitet von Dr. K. J. Windischmann, Frankfurtnbsp;am Main 1816.^ In dem sprachlicben Teil (den literarischennbsp;lasse ich wie bei der Schrift von Fr. Schlegel beiseite) hatnbsp;Bopp die vor ihm Aviederholt behauptete Yerwandtschaft dernbsp;auf dem Titel genannten Spi’acben durch eine ins einzelnenbsp;gehende Yei'gleichung ibres Verbalbaus nachgewiesen. Es muBnbsp;aber bemerkt werden, daB bei ihm wie bei Humboldt und an-dern Zeitgenossen der_ Gedanke der geschichtlicben Einbeitnbsp;noch hinter dem der Ahnlichkeit zuriicktrat. Bopp bebauptetnbsp;also z. B. nicht, wie wir es tun wiirden, daB der Aorist der Ur-sprache durch Zusammensetzung entstanden und diese Form innbsp;die Einzelsprachen vererbt sei, sondern er schreibt den Vor-gang der Zusammensetzung jeder der in Betracht kommendennbsp;Sprachen zu. AVicbtiger als die bloBe Vergleicbung ist fur Boppnbsp;die Erklarung der Formen. Wir haben uns also vor aliennbsp;Dingen nacb seiner Ansicht über die Entstehung der Flexion zunbsp;erkundigen. Darüber ergibt das Konjugationssystem das Folgende:nbsp;'Unter alien uns bekannten Sprachenquot;’ — heiBt es S. 7 — 'zeigtnbsp;sich die geheiligte Sprache der Indiër als eine der fahigsten, dienbsp;verschiedensten Verbaltnisse und Beziehungen auf wabrhaftnbsp;organische Weise durch innere Umbiegung und Gestaltungnbsp;der Stammsilbe auszudriicken. Aber ungeachtet dieser be-wunderungswürdigen Biegsamkeit gefallt es ibr zuweilen, dernbsp;Wurzel das verbum abstractum einzuverleiben, wobei sich sodannnbsp;die Stammsilbe und das einverleibte verbum abstractum in die
1) Anni. In dieser Reihenfolge spiegelt sich die schon altere und zu Bopps Zeit gelaufige Ansicht, daC das Persische und Deutsche besondersnbsp;nahe miteinander verwandt seien.
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Drittes Kapitel.
grammatischen Punktionen des Zeitwortes teilen/ Diese Teilung der Aufgaben lafit sich z. B. am Aorist auf feigende Weisenbsp;beobachten. In dem ai. agrausham (ich börte) bezeicbnet a dienbsp;Vergangenbeit, in der Steigerung des u der Wurzel gru zu aunbsp;wird die besondere Modifikation der Yergangenheit angedeutet,nbsp;welche dem Aorist eigentümlich ist, und dem so gebildetennbsp;Prateritum wird das verbum substantivum einverleibt, ‘so daB,nbsp;nacbdem die Zeitverbaltnisse auf rein organische Weise durcbnbsp;innere Umbiegung der Wurzel ausgedrückt wurden, Person undnbsp;Zabl durcb die Abwandlung des angebangten Hilfszeitwortesnbsp;bestimmt werden’ (S. 18). Die Einverleibung des verbum substantivum findet Bopp im Puturum und Aorist des Sanskritnbsp;und Griecbischen, im Prekativ des Sanskrit, in den bekanntennbsp;Perfekt- und Imperfektbildungen des Lateiniscben, und (was ernbsp;spater aufgegeben bat) in den Passivendungen derselben Spracbe.nbsp;Eine andere Zusammensetzung als die mit as erkennt Bopjinbsp;nicbt an. Zwar redet er von Anbangung der ‘Personskenn-zeicben’ M, S, T, aber er sieht in diesen Kennzeicben nicbtnbsp;etwa Beste früber selbstandiger Worte, bemerkt vielmehr beinbsp;anderer Gelegenheit ausdrücklicb: ‘Es widerspricbt dem Geistenbsp;der indiscben Spracbe, irgendein Verbaltnis durcb Anbangungnbsp;mebrerer Bucbstaben auszudrücken, die als ein eigenes Wortnbsp;angeseben werden können’ (S. 30). Den Ursprung der Per-sonskennzeicben laBt er in dem Konjugationssystem selbst ebensonbsp;im Dunkei, wie den Ursprung des ‘eingeschobenen’ Vokals i,nbsp;welcher den Potentialis kennzeichnet. Wir iinden also Boppnbsp;in seiner Erstlingsschrift als Anhanger von Priedricb Schlegel,nbsp;wenn dieser aucb nicbt genannt ist, und ferner finden wirnbsp;die Theorie von der Einverleibung der Wurzel as, welcbe,nbsp;wie wir oben gesehen baben, im letzten Ende auf einer irr-tümlichen Vermengung logischer und grammatischer Gesichts-punkte beruht. Bopp selber drückt sich darüber so aus: ‘Nachnbsp;diesen Bemerkungen (namlich nacb der Darlegung, daB esnbsp;strenggenommen nur ein einziges Verbum, das Verbum seinnbsp;gebe) wird der Leser sich nicht wundern, wenn er in dennbsp;Spracben, welcbe wir jetzt vergleicben, auf andere Verba stöBt,nbsp;welcbe auf dieselbe Weise wie potest gebildet sind, oder wennnbsp;er entdeckt, daB einige Tempora das verbum substantivumnbsp;entbalten, wabrend andere es abgeworfen oder viel-leicht nie gehabt baben. Er wird vielmehr sich geneigtnbsp;füblen zu fragen, warum findet sich nicht in allen Temporibusnbsp;aller Verba dieser zusammengesetzte Bau? und er wird viel-
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Franz Bopp.
leicht das Fehlen des verbum substantivum als eine Art von Ellipse ansehenquot; (a. a. 0. S. 63).
Diese Einverleibungstheorie hat Bopp stets festgehalten und weitergebildet. Dagegen hat er die Schlegelsche Ansicht vonnbsp;der Entstehung der Flexionsendungen sehr bald aufgegeben.nbsp;Schon in den Nachtragen zum Konjugationssystem S. 147 be-kennt er sich zur Zusammensetzungstheorie, die er in der Polgenbsp;genauer ausbildete. Zu dieser Sinnesanderung trug auBer demnbsp;eigenen Nachdenken in erhebhchen MaBe der EinfluB Wilhelmnbsp;von Humboldts bei, wie wir aus dem von Lefmann im Anhangnbsp;zu seinem Werke veroffontlichten Briefwechsel sehen.
Einen erheblichenFortschritt auf dem hiermit betretenen Wege zeigt bereits die englische Bearbeitung des Konjugationssystems,nbsp;die ich in der deutschen Ubersetzung in Seebodes Heuem Archivnbsp;für Philologie und Padagogik 2. Jahrgang, Heft 3, zitiere. Esnbsp;geht uns daraus zunachst an, was Bopp iiber den Begriff dernbsp;Wurzel sagt. Wie wir oben gesehen haben, hot ihm die grammatische Ti-adition seiner Zeit die Vorstellung einsilbigerWurzelnnbsp;dar. Dazu kam die Lehre der indischen Grammatiker, die aufnbsp;dasselbe hinauskommt. Es geschah^im AnschluB an diese, wennnbsp;Bopp behauptete; “'Her Oharakter der sanskritischen Wurzelnnbsp;ist nicht zu bestimmen nach der Zahl der Buchstaben, sondernnbsp;nach der Zahl der Silben, deren sie nur eine enthalten; sie sindnbsp;alle einsilbig, einige wenige ausgenommen, von denen mit Hechtnbsp;vermutet werden darf, daB sie nicht primitiv seien^ Was abernbsp;von den sanskritischen Wurzeln gait, nahm Bopp auch für dienbsp;AVurzeln der verwandten Sprachen an, so daB er den Satznbsp;aussprach, ‘daB die Wurzeln im Sanskrit und den damit verwandten Sprachen einsilbig sind^ Neben dieser Auffassungnbsp;der AVurzel muBte der Schlegelsche Begriff der Flexion sehrnbsp;bedenkhch erscheinen. Denn wieviel laBt sich schlieBlich annbsp;einer einsilbigen AYurzel (zumal wenn, wie der Augenscheinnbsp;lehrt, die Konsonanten unangetastet bleiben) innerlich umbiegennbsp;und gestalten? Bopps Polemik gegen Schlegel knüpft dennnbsp;auch gerade an diesen Punkt an. Wir finden sie namentlichnbsp;in folgendem Satze ausgesprochen: ‘Wenn wiF — sagt Boppnbsp;a. a. 0. 59 ¦— ‘irgendeinen SchluB ziehen können aus der Tat-sache, daB die Wurzeln einsilbig sind im Sanskrit und dennbsp;damit verwandten Sprachen, so ist es der, daB diese Sprachennbsp;nicht mit besonderer Leichtigkeit grammatische Modifikationennbsp;durch Veranderung ihres ursprünglichen Stoffes, ohne Hilfenbsp;fremder Zusatze ausdrücken können. Wir müssen erwarten,
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Dnttes K.apitel.
daB in dieser Familie von Sprachen das Prinzip der Zusam-mensetzung auf die ersten Grundlagen der Sprache sich er-strecken werde, als die Personen, Tempora des Verbi und Kasus der Nomina usw. DaB dieses wirklicli der Fall sei, holïe ichnbsp;in dieser Abkandlung beweisen zu können, gegen die Meinungnbsp;eines berühmten deutschen Schriftstellers, welcber glaubt, daBnbsp;die grammatischen Formen des Sanskrit und der damit ver-wandten Sprachen bloB in Abbiegungen oder inneren Modilika-tionen der Wörter bestellen.quot;
Die gleiche Polemik gegen Schlegel findet sich nun auch bei der Besprechung der Personalendungen, mit ausdrücklichernbsp;Berufung auf die vorschlegelsche Lehre (vgl. oben S. 27).nbsp;Die Stelle lautet: 'Fr. Schlegel laBt die Bezeichnung der Personen des Yerbi im Sanskrit und in den Sprachen desselbennbsp;Ursprungs durch Abbiegung entstehen, aber Scheidius zeigtnbsp;sehr befriedigend, wenigstens in Bücksicht des Pluralis, daBnbsp;selbst die griechischen Verba mit der Wurzel zusammengesetztenbsp;Pronomina gebrauchen, um die verschiedenen Personen anzu-zeigen. In Hinsicht des Singularis würde er weit besserennbsp;Erfolg gehabt haben, wenn er sich nicht auf die korrumpiertenbsp;Form auf w beschrankt hatte, deren dritte Person im Prasensnbsp;auf SI endigt, wo ich kein einverleibtes Pronomen linden kann;nbsp;— sondern seinen Bliek auf die Form in pi gewandt batte,nbsp;deren dritte Person im dorischen Dialekt sich auf ri endigt.nbsp;Scheidius begeht noch einen andern Fehler, namlich daB er,nbsp;indem er von den Pronominibus spricht, beim Nominativ stehennbsp;bleibt, wahrend die rohe Form der Nomina besser aus dennbsp;Casibus obliquis abgenommen werden kann. Auf diesem Wegenbsp;ist es leicht, zu entdecken, daB to die Wurzelform des griechischen Artikels ist, welcher ursprünglich nichts mehr ist, alsnbsp;ein Pronomen der driften Person, und als solches im Homernbsp;gebraucht ist. Dieses to, des Bndvokals beraubt, wird einnbsp;wesentlicher Bestandteil der Verba in ihrer dritten Personnbsp;Singularis, Dualis und Pluralis wie 6(ooti (so) oi'8otov Si'oovti.nbsp;Ich zweiöe nicht, daB sich erweisen lasse, wenigstens mit eben-soviel Wahrscheinlichkeit, als bei den arabischen, daB auchnbsp;die sanskritischen Verba ihre Personen durch Zusammen-setzung der Wurzel mit den Pronominibus bilden, über welchennbsp;Gegenstand ich am gehörigen Orte einige Bemerkungen auf-stellen werdequot; (a. a. O. S. 60). Im Verlaufe dieser Abhandlungnbsp;hat Bopp aber zu den in Aussicht gestellten Bemerkungennbsp;nicht mehr Gelegenheit gefunden, sondern auBert nur noch:
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Fi’anz Bopp.
‘lm Prasens werden die Pronominalkonsonanten M, S, T des Singularis und der dritten Person Pluralis mit eineni kurzen inbsp;ausgesprochen (S. 64), Avoraus folgt, dad ihm dainals die spaternbsp;A'on ihm hehauptete Entstehung von mi aus ma usA^^ nochnbsp;nicht klar geAvorden -war.
Wird nun das Prinzip der Zusammensetzung auf diese Weise empfohlen, so ist es kein Wunder, Arenn es auch nochnbsp;an andern Stellen als in den mit as zusammengesetzten Tem-porihus und den Personalsuffixen zur Gleltung kommt, so nainent-lich bei dem Optativ, dessen i zuerst in der Anal, Vergleichungnbsp;S. 71 als das Verbum ‘AA'ünschen, verlangen^ aufgefaBt Avird. Vonnbsp;AA'irklichen Abbiegungen im Schlegelschen Sinn erkennt Boppnbsp;in der genannten Schrift nur noch an: gCAvisse Veranderungennbsp;der Vokale (so das ai des Mediums, das er noch nicht, AAÜenbsp;spater, aus Zusammensetzung erklarte) und die Reduplikation.
Zu diesen zAvei Pormulierungen der Boppschen Ansicht, Avie sie im Konjugationssystem und der Analytischen Vergleichung vorliegen, tritt dann schlieBlich die dritte und end-gültige Passung, Avelche zuerst in einer Peihe akademischernbsp;Abhandlungen und dann in der vergleichenden Grainmatiknbsp;ausgesprochen ist, und AA'elche sich von der zAveiten Passungnbsp;Avesentlich nur dadurch unterscheidet, daB das Prinzip der Zusammensetzung immer ausschlieBlicher zur Geltung gebracht,nbsp;und auch für diejenigen Gebiete der Grainmatik, die in demnbsp;Konjugationssystem und der Analytischen Vergleichung nochnbsp;nicht behandelt Avorden Avaren, durchgeführt Avird.
Sie ist nunmehr ohne Aveitere Vorbereitung verstiindlich und lautet in kurzem Auszug, Avie folgt:
Die Wörter der indogermanischen Sprachen sind aus Wurzeln abzuleiten, Avelche durchAveg einsilbig sind. Es gibt ZAvei Klassennbsp;von Wurzeln, namlich VerbalAAUirzeln, aus denen Verba undnbsp;Komina entspringen, und Pronomina!Avurzeln, denen die Pronomina, die Urprapositionen, Konjunktionen und Partikeln ent-stammen (vgl. auBer Vgl. Gr. § 107 auch Abh. der Berk Akad.nbsp;1841, S. 13 ff.).
Die Kasusendungen sind ihrem ürsprunge nach AAmnig-stens gröBtenteils 1) Pronomina. 8o entstammt das s des Ko-minativs dem Pronomen sa, das m des Akkusativs erinnert an
1) ‘gröBtenteils’, Aveil einige Bndungen [os und sam) niolit als gedeutet betrachtet AA^erden, und gelegentlich auch eine symbolische Erklarung ver-sucht Avird.
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Drittes Kapitel.
den indischen Pronominalstamm i-ma^ der T-Laut des Ablativs kommt von demselben Pronominalstamm ta^ dem auch das neutrale d in id seinen Ursprung verdankt, usw. (vgl. u. a. Abh. dernbsp;Akad. 1826, S. 98).
Die Personalendungen des Verbums stammen von den Pronominibus erster, zweiter und dritter Person, mi ist einenbsp;Schwachung der Sylbe ma^ 'welcbe im Sanskrit und Zend dennbsp;obliquen Kasus des einfachen Pronomens als Thema zum Glrundenbsp;liegP Aus mi ist weiterhin m entstanden. In der Plural-endung mas steekt entweder das Pluralzeichen as der Nomina,nbsp;oder das pronominale Element sma. Das v des Dualis ist nurnbsp;eine Entartung des pluralischen m. Die Endungen zweiternbsp;Person gehen in ahnlicher Weise auf tva, die dritter Personnbsp;auf ta zurück [nti siehe unten S. 63). Nicht ganz zuversicht-lich urteilt Bopp über die Medialendungen. Doch halt er fürnbsp;wahrscheinlich, dab sie auf Verdoppelung der jedesmahgennbsp;Aktivendung beruhen.
Was die Kennzeichen des Prasensstammes betrifft, wie vu in Csuyvup-i, so ist am wahrscheinlichsten, dab die meistennbsp;derselben Pronomina sind.
Das Augment, welches bei Gelegenheit des Imperfektums zur Erwahnung kommt, halt Bopp (Ygl. Gr. § 537 und ebensonbsp;schon in der Anal. Vgl. S. 74] für identisch mit dem a priva-tivum, und betrachtet es also als Ausdruck der Verneinung dernbsp;Gegenwart. Er gesteht aber auch die Möglichkeit zu, es direktnbsp;mit dem Pronominalsystem a 'jeneP in Yerbindung zu setzen,nbsp;mit welchem übrigens die Yemeinungspartikel a auch ihrerseitsnbsp;verwandt sei.
In dem S-Aorist gehort das s dem verbum substantivum an, und zwar ist die Zusammensetzung so zu denken, dab das Im-perfektum von as (aber ohne Augment) den Schlub derselbennbsp;büdet. Tch erkenne^ — heibt es § 542 — 'in diesem s dasnbsp;verbum substantivum, mit dessen Imperfekt die erste Bildungnbsp;[des Aorists] ganz genau übereinstimmt, nur dab das a von asamnbsp;usw. verloren geht^ Das sya des S-Futurums wie dasydti haltnbsp;Bopp für das im isolierten Gebrauch verlorene Futurum von as.nbsp;Übrigens sei es wahrscheinlich, dab einst samtliche Yerba einnbsp;Futurum mittels ya gehabt hatten. Ya selbst stamme so gutnbsp;wie das Zeichen des Optativs von der Wurzel ï wünschen.
In dem aya der Kausativa steekt das Verbum i gehen (wie yd gehen in dem ya des sanskritischen Passivums), undnbsp;in dem s der Desiderativa das verbum substantivum.
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Franz Bopp.
Dieselbe Zusammensetzung liegt vor in gewissen Bildungen der Einzelsprachen, z. B. ama-vi^ worin die Wurzel bhii zunbsp;erkennen ist, ama-rem, worin die Wurzel as steekt, usw.i) (vgl.nbsp;Vgl. Gr. § 521.).
Die Stammbildungssuffixe endlicb sind teils pronomi-nalen Ursprungs, teils verbalen (z. B. datar ‘Geber’ heiBt eigent-licb ‘der die Handlung des Gebens Durchschreitende’ von da geben und tar durcbschreiten).
Neben dieser Erklarung durch Zusammensetzung wird ge-legentlicb eine andere, die symbolische, angewendet. So heillt es über den Dual: ‘Der Dual liebt, weil ihm eine klarere An-schauung zugrunde liegt als der unbestimmten Vielheit, zunbsp;starkerem Nachdruck und lebendiger Personifizierung die brei-testen Endungen’ (Ygl. Gr. § 206). Das gleiche gilt von demnbsp;Femininum, ‘welches im Sanskrit, sowohl am Stamm, Avie innbsp;den Kasusendungen eine iippige Fiille der Form liebP (§ 113).nbsp;Symbolisch ist auch das n in der dritten Person plur.nbsp;welches aus ti durch Einfiigung eines Nasals entstanden seinnbsp;soil. Diese Einfiigung sei die am wenigsten fremdartige Bei-mischung und komme der bloBen Verlangerung eines schonnbsp;vorhandenen Vokals am nachsten (§ 236; vgl. auch § 226).
Vergleicht man nun diese letzte endgiiltige Fassung der Boppschen Ansichten mit der vorhergehenden, so ergibt sich,nbsp;daB der Schlegelsche EinfluB bis auf einen kleinen Best ge-schwunden ist. Denn das ai der Medialendungen, worin Boppnbsp;friiher noch eine innere Umbiegung der Wurzel sah, wird nun-mehr lieber durch Zusammensetzung gedeutet, und es bleibtnbsp;also nur die Beduplikation als eine Art innerer Modifikationnbsp;der Wurzel zuriick. (Und auch von dieser, die vielleicht ur-spriinghch die noch einmal gesetzte Wurzel war, kann doch nurnbsp;sehr uneigentlich gesagt werden, daB sie eine ‘innereWerande-rung sei). So ist es natiirlich, daB Bopp sich in der Vgl. Gr.nbsp;durch eine sachlich scharfe Polemik von Fr. Schlegel förmlichnbsp;lossagt. Die betreffende Stelle lautet; ‘Unter Flexion verstehtnbsp;Fr. V. Schlegel die innere Yeranderung des Wurzellauts, odernbsp;die innere Modifikation der Wurzel, die er der Anfügung vonnbsp;auBen entgegenstellt. Was sind aber, wenn von So oder Soj im
1) Dagegen nimmt Bopp nickt an, daC in einer Einzelspracke neue Wurzelworter entstehen konnten (vgl. Vorrede zur dritten Abt. der Vgl.
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Drittes Kapitel.
Griechischen SiSwui Swaw 8oamp;rjlt;3Ófj.£!)a komiat, die Formen p.!, ow {)r;ao[i.s9a anders als effenbare Zusatze von auBen an die ininbsp;Innern gar nicht oder nur in der Quantitat des Vokals ver-anderte Wurzel? Wenn also nnter Flexion eine innere Modi-fikation der quot;Wurzel verstanden sein soil, so hat das Sanskritnbsp;und Griechische usw. auBer der Reduplikation, die aus dennbsp;Mitteln der Wurzel selbst genommen wird, kauin irgendeinenbsp;Flexion aufzuweisen. AVenn aber bT^oopsila eine innere Modi-fikation der Wurzel oo ist, bloB weil es damlt verbunden wird,nbsp;daran angrenzt, damit ein Ganzes darstellt, so könnte man auchnbsp;den Inbegriff von Meer und Festland als eine innere Modifi-kation des Meeres darstellen, oder umgekehrt.quot;
Man kann die hiermit entwickelte Boppsche Theorie, wenn man von dem geringen symbolischen Beisatz absieht, als Zu-sammensetzungs- oder Agglutinationstheorie') be-zeichnen.
Eine eingehende Kritik der Agglutinationstheorie soil nicht an dieser Stelle, sondern erst im sechsten Kapitel versuchtnbsp;werden. Dagegen will ich hier wiederholt darauf aufmerksainnbsp;machen, daB die Boppschen Erklarungen sich nicht etwa —nbsp;wie wohl angenommen worden ist — als natürliche Konsequenzennbsp;der Yergleichung von selbst ergeben, sondern daB sie aus ver-schiedenartigen und voneinander unabhangigen Anschauungennbsp;und Brkenntnissen erwachsen sind, indem sich bei Bopp zu dennbsp;Anregungen, die aus dem Detail der Forschung selbst sich er-gaben, zugleich doch auch Stücke der bisherigen gelehrten Tradition gesellten, so namentlich das Vorurteil von der Dreiheitnbsp;der Bedeteile, welches, wie es scheint, den ersten AnlaB gegebennbsp;hat, in verschiedenen s der quot;Verbalforinen das verbum substan-tivuin zu erkennen, ferner die überlieferte Ansicht, daB dienbsp;Wurzeln einsilbig anzusetzen seien, und endlich die von dernbsp;semitischen Grammatik her fortgepflanzte Tradition, daB mannbsp;in den Personalsuffixen des Verbums angehangte Pronominanbsp;zu erkennen habe.
Nachdem hiermit über Bopps Theorie der Flexion berichtet ist, habe ich nunmehr von seiner quot;Vergleichung der gege-benen Einzelsprachen zu handeln. Selbstverstandlich kannnbsp;es nicht meine Absieht sein, die Resultate aufzuzeichnen, welchenbsp;durch Bopps quot;Vergleichung der indogermanischen Sprachen er-
1) So hat sie Lassen mit tadelnder Absieht zuerst genannt (vgl. Pott, Etym. Forsch., erste Aufl. 1, 179'.
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Franz Bopp.
reicht worden sind, sondern ich werde lediglich versuchen, die Methode zu beschreiben, nach welcher Bopp verfahrt.
Man erwarte aber weder an diesem nocb an einem andern Punkte Ton Bopp eine alle Einzelfalle umfassende und systematische Antwort. Die Boppsche Darstellung ist ein YÖlUgesnbsp;Gegenbild der Humboldtschen. quot;Wahrend Wilhelm von Humboldt sich an der Erörterung des Allgemeinen nie genug tunnbsp;kann, und iiberall bestrebt ist, das Detail den Ideen unterzu-ordnen, verkehrt Bopp hauptsachlich mit den in der Sprachenbsp;gegebenen Einzelheiten und streut nur sehr selten allgemeinenbsp;Erörterungen ein, die man als philosophisch bezeichnen könnte.nbsp;Sowenig es möglich ist, aus Humboldts Einleitung in die Kawi-sprache grammatische Paradigmen auszuziehen, ebensowenignbsp;kann man aus Bopps Vergleichender Grammatik eine Theorienbsp;und Systematik der Sprachwissenschaft gewinnen. Unter diesennbsp;Umstanden muB man die Untersuchung über Bopps theoretischenbsp;Ansichten von den in der Sprache wirksamen Kraften mitYor-sicht anstellen, man muB sich namentlich hiiten, gewisse Termini, die er in bequemer LaBlichkeit anwendet, mit der Intoleranznbsp;eines Systematikers um ihren Begriffsinhalt und ihre Tragweitenbsp;zu befragen. Ich glaube deshalb am richtigsten zu verfahren,nbsp;wenn ich die Erage so stelle: Welches sind die allgemeinennbsp;Anschauungen, aus denen heraus Bopp iiber die Yorgange innbsp;der Sprache zu urteilen pllegte ? und antworte auf diese Erage:nbsp;Seine allgemeinen Anschauungen batten naturwissenschaftlichennbsp;Anstrich, doch war unter demselben die alte philologische Grund-farbe noch nicht verschwunden. Die Liebhaberei fiir natur-wissenschaftliche Ausdrucksweise zeigt sich sofort, wenn er ver-sucht, seine Behandlungsweise der Sprache gegeniiber dernbsp;friihern zu beschreiben. Br beabsichtigt eine vergleichende 'Zer-gliederung'’ der Sprachen, die systematische Sprachvergleichungnbsp;ist eine 'Sprachanatomie’, es handelt sich um eine ‘anatomischenbsp;Zerlegung’ oder ‘chemische Zersetzung^ des Sprachkörpers oder,nbsp;mit einem andern Bilde, um eine ‘Physik’ oder ‘Physiologie’ dernbsp;Sprache. Sehr entschieden tritt die naturwissenscbaftliche Ear-bung gleich in dem ersten Satze der Yorrede zur Yergleichendennbsp;Grammatik hervor: ‘Ich beabsichtige in diesem Buche eine vergleichende, alles Yerwandte zusammenfassende Beschreibungnbsp;des Organismus der auf dem Titel genannten Sprachen, einenbsp;Erforschung ihrer physischen und mechanischen Gesetze undnbsp;des TJrsprungs der die grammatischen Yerhaltnisse bezeichnendennbsp;Eormen. Was in diesem Satze unter physischen und mecha-
Deltriick, Einl. i. d. Stud. d. indogenn. Sprachen. 4. Aufl. nbsp;nbsp;nbsp;5
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Drittes Kapitel.
nischen Gesetzen zu jerstehen sei, darüber hat sich, wie Bréal in der französischen Übersetzung der Boppschen Vergleichendennbsp;Grammatik mitteilt, der Autor selbst auf Befragen ausgesprochen.nbsp;Danach soil unter physischen Gesetzen das verstanden werden,nbsp;was wir jetzt Lautgesetze nennen, unter mechanischen Gesetzennbsp;aber das, was Bopp über das Gewichtsverhaltnis der Yokale undnbsp;Silben ermittelt zu haben glaubte, wovon nacbher die Rede seinnbsp;wird. Was unter Organismus und organisch zu denken sei,nbsp;lehren einige Stellen der Vergleichenden Grammatik. 'Dienbsp;Flexionenquot; — so heiBt es in der Vorrede zu Heft 2 der Vergleichenden Grammatik i, S. VII — 'machen den wahren Organismus einer Sprache aus'’, und im Gegensatz dazu sprichtnbsp;er von 'Sprachen mit einsilbigen Wurzeln, ohne Pahigkeit zurnbsp;Zusammensetzung und daher ohne Organismus, ohne Grammatikquot;nbsp;(§ 108). Organismus ist also nichts anderes als die auf Agglutination gegründete grammatische 'Einrichtungquot; (Vorwort zumnbsp;ersten Bande der Vergleichenden Grammatik, S.IV) einer Sprache,nbsp;und organisch alles das, was dieser Einrichtung entspricht, un-organisch das, was ihr untreu geworden ist. Man kann deshalbnbsp;statt organisch auch ursprünglich, statt unorganisch auch un-ursprünglich sagen. So wird z. B. von dem v der Endung [xtjvnbsp;gesagt, es sei 'organisch, d. h. nicht ein spaterer nichtssagendernbsp;Zusatz, sondern absichtlich und ein Vermachtnis der Ürperiodenbsp;unseres Sprachstammesquot;, dagegen gilt z. B. das [xi von -uuToip.inbsp;als unorganisch, weil der Optativ in allen Sprachen, wo er alsnbsp;gesonderte Foi’m vorhanden ist, die kurzen Endungen hat, undnbsp;zwar, mit Ausnahme des einzigen Griechisch, auch in der erstennbsp;Person. Unorganisch ist ehen alles, was aus dem ursprüng-lichen Bau des Indogermanischen — nach der Ansicht des be-treffenden Grammatikers — nicht hergeleitet werden kann.
Man sieht, daB die Bezeichnungen mechanisch, physisch, organisch nicht im strengen naturwissenschafthchen Wortver-stande gebraucht werden, immerhin aber kann man aus ihrer An-wendung schlieBen, daB Bopp sich die Sprache als eine Art vonnbsp;Naturkörper vorstellt. Dieses Wort gebraucht er geradezu imnbsp;Vokalismus S. 1; 'Die Sprachen sind als organische Naturkörpernbsp;anzusehen, die nach bestimmten Gesetzen sich bilden, ein inneresnbsp;Lebensprinzip in sich tragend sich entwickeln und nach undnbsp;nach absterben, indem sie, sich selber nicht mehr hegreifend,nbsp;die ursprünglich bedeutsamen, aber nach und nach zu einernbsp;mehr auBerlichen Masse gewordenen Glieder oder Formen ab-legen oder verstümmeln oder miBbrauchen, d. h. zu Zwecken
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Franz Bopp.
verwenden, wozu sie ihrem Ursprunge nach nicht geeignet waren^
Dieser Satz fiihrt nach zwei Eichtungen weiter. Zunachst möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Bemerkungnbsp;lenken, daB die Sprache im Laufe der Zeit sich selbst nichtnbsp;mehr begreife. Es wird damit der Sprache geistige Tatigkeitnbsp;zugeschrieben und von ihr gesprochen, als ob sie ein denkendesnbsp;Wesen sei. Diese Ausdrucksweise ist nicht vereinzelt. Annbsp;andern Stellen redet Bopp von dem Geist oder Genius dernbsp;Sprache und erkennt in ihrem Verfahren gewisse Tendenzennbsp;und Absichten. Manchmal wird auch nicht die Sprache alsnbsp;Ganzes, sondern die einzelne Form wie ein denkendes Wesennbsp;angesehen. So heiBt es Vergleichende Grammatikh S. 516: dernbsp;Slavische Stamm sjo sei sich 'seiner aus der Urperiode dernbsp;Sprache iiberlieferten Zusammensetzung nicht mehr bewuBF Diesenbsp;Wendungen sind Bilder, und zwar sehr natiirliche, und wahr-scheinlichwiirdeBopp, wenn man ihn darauf aufmerksam gemachtnbsp;hatte, zugestanden haben, daB in Wahrheit derartige Seelen-tatigkeiten sich nicht in der Sprache, sondern in den einzelnennbsp;sprechenden Menschen vollziehen, aber es ist wichtig, hier aufnbsp;die Anfange einer Anschauungsweise aufmerksam zu machen,nbsp;die sich bei Schleicher bis zu einer bewuBten Hypostasierungnbsp;des Begriffes Sprache gesteigert hat. Ferner ist in dem an-gefiihrten Satze der Ausdruck absterben beachtenswert. Nachnbsp;Bopp bedeuten alle auBeren Yeranderungen, die wir an dennbsp;indogermanischen Sprachen wahrnehmen, nicht Entwicklung,nbsp;sondern Krankheit, Verstiimmelung, Verf all. Wir lernen dienbsp;Sprachen nicht in aufsteigender Entwicklung kennen, sondernnbsp;in einem Zustand, in welchem sie das ihnen bestimmte Zielnbsp;bereits iiberschritten batten. Wir ergreifen sie namlich in einemnbsp;Zustande, 'wo sie syntaktisch zwar sich noch yervollkornmnennbsp;mochten, in grammatischer Beziehung aber schon mehr odernbsp;weniger von dem verloren haben, was zu der vollendeten Ein-richtung gehorte, in welcher die einzelnen Glieder in genauemnbsp;Verhaltnis zueinander standen, und alles Abgeleitete nochnbsp;durch ein sichtbares, ungetriibtes Band an das, woven es aus-gegangen, sich anschloBquot; (Yokahsmus S. 2). Solange der Sinnnbsp;der Zusammensetzung in einer grammatischen Form noch ge-fühlt wird, setzt sie der Yeranderung noch Widerstand ent-gegen. Je weiter aber die Sprachen von ihrem Ursprunge sichnbsp;entfernen, desto mehr gewinnt die Liebe zum Wohllaut annbsp;EinfluB (Abh. der Berl. Akad. 1824, S. 119). Auch diese
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Drittes Kapitel.
Ansicht, welche wir ehenso bei Humboldt fanden, wird uns bei Schleicher wieder begegnen.
Nacbdem hiermit über Bopps Grundanscbauungen berichtet ist, gebe ich dazu über, mehr im Detail zu zeigen, wie er sicbnbsp;die Veranderungen in der Sprache vorstellte, und benutze zurnbsp;Anordnung die von Bopp selbst aufgestellten Kategorien; mechanische und pbysische Gesetze.
Die von Bopp so genannten mechaniscben Gesetze zeigen sicb vor allem wirksam in den Veranderungen, welche das Gewicht der Personalendungen in dem Stamme bervorbringt. Aufnbsp;die scbwere Form des Stammes folgt die leichte Endung, z. B.nbsp;émi ich gebe, von ^ gehen, aber vor der scbweren Endung wirdnbsp;nur die leichte Stammform geduldet, z. B. imds wir gehen. Aufnbsp;demselben Gesetz beruht der deutscbe Ablaut, den wir z. B. innbsp;ichnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;wir ivissen^ noch bis beute bewabrt haben. Danach
nimmt Bopp also offenbar an, daB die zu einem Paradigma zu-sammengeschlossenen Formen womöglich von etwa gleicbem Gewicht sein sollten, und daB infolgedessen, wo die Endungnbsp;schwer ist, der Stamm eine leichte Form annimmt, und umge-kehrt. quot;Wir gehen jetzt (um bei dem angeführten Beispiel zunbsp;bleiben) von der starken Gestalt ei als der ursprüngbchen ausnbsp;und nebmen an, daB ei durcb die Kraft des darauf folgendennbsp;bohen (und starken) Tones in ^ verwandelt worden sei.
AuBer dem EinfluB des Gewichts der Personalendungen er-kennt Bopp noch eine andere Wirkung des Gravitatsgesetzes, die sicb an folgenden Beispielen anschaulich machen laBt. Dienbsp;Stammsilben haben die Aufgabe, die Bildungssilben zu tragen,nbsp;und es kann vorkommen, daB eine Stammsilbe für diesen Zwecknbsp;nicht stark genug ist. Ein solcher Fall liegt vor in dem sans-kritischen Imperativ einu sammle, wozu bemerkt wird, dasnbsp;Zeicben nu könne die Endung hi nur dann tragen, wennnbsp;das u sicb an zwei vorhergebende Konsonanten anlehnen kann,nbsp;wie das z. B. in apnuhi der Fall ist. 'Wo aber dem n nurnbsp;einfacbe Konsonanz vorhergeht, da ist es unfahig geworden,nbsp;die Endung hi zu tragen, daher dnu von ci (§451). Ahn-bch erklart sicb Bopp die Tatsache, daB die Perfektendungennbsp;im Vergleich zu denen des Prasens stark verstümmelt erscheinen.nbsp;Die Wurzel ist, da sie im Perfektum ja aucb die Beduplikations-silbe zu tragen bat, gleicbsam nacb zwei Seiten engagiert undnbsp;nicht mehr imstande, eine scbwere Endung zu heben. ' Es istnbsp;klar, daB dieses zweite Gravitatsgesetz, dessen Wirkung Boppnbsp;noch an mehreren Punkten findet, gegen das erste in direkten
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Franz Bopp.
Gregensatz tritt, und es wird wohl jetzt allgemein zugestanden, dafi der Gedanke, der in diesem Gesetz ausgesprochen ist, annbsp;Bildlickkeit und Undeutlichkeit leidet.
Von den mechanischen Gesetzen, welclie wir (wie angedeutet) nickt mehr in der Weise wie Bopp uns vorstellen und aner-kennen können, komme ich zu den physisclien Gesetzen, dienbsp;wir jetzt Lautgesetze zu nennen pflegen. Um den Boppschennbsp;Standpunkt in dieser Beziehung zu würdigen, ist es wichtig, sichnbsp;klarzumachen, auf welchem Wege man überhaupt zur Auf-stellung von Lautgesetzen gelangen konnte. quot;VVer immer dasnbsp;Sanskrit mit einer ahdern indogermanischen Sprache, etwa demnbsp;Griechischen, verglich, muBte den Eindruck erhalten, daB innbsp;beiden Sprachen Worte und Formationen verhanden sind, dienbsp;sich voUkommen decken. Es konnte niemandem entgehen, daBnbsp;z. B. ai. matdr- und griech.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;ai. ddmas und griech. odpo?,
pitdr- und griech. rraTYj'p dieselben Worte seien, und daB die Flexionsendungen des Verbums in beiden Sprachen im wesent-hchen übereinstimmen. Die Uberzeugung von dieser Uberein-stimmung beruhte auf der unmittelbaren Evidenz und war nichtnbsp;weiter zu beweisen. Aus der Vergleichung konnte man dienbsp;Regel ziehen, daB gewissen Lauten des Sanskrit gewisse Lautenbsp;des Griechischen entsprachen, dem m das p, dem t das t usw.nbsp;Indessen selbst bei der Heranziehung ganz weniger Worte ergabnbsp;sich zugleich, daB nicht immer derselbe Laut des Sanskrit durchnbsp;denselben des Griechischen vertreten wurde. So entsprach z. B.nbsp;in ddmas oofro? dddami oiowfn. dem indischen d das griechischenbsp;0, aber in dem Paare diihitdr-%^‘ia.x-t]f^, das man doch nicht aus-einanderreiBen wollte, dem indischen d ein griechisches SKnbsp;Durch solche Erfahrungen muBte man zu der Ansicht getriebennbsp;werden, daB die Regeln Ausnahmen leiden, und also sagen:nbsp;Gewöhnlich entspricht dem indischen d das griechische 8, manch-mal aber auch das griechische h. Einer solchen Regel gegen-über ist nun eine doppelte Stellung denkbar. Entweder kannnbsp;man, indem man von der theoretischen Überzeugung ausgeht,nbsp;daB Gesetze keine Ausnahmen leiden, sich veranlaBt füUen,nbsp;nach den Gründen zu suchen, welche die sog. Ausnahme her-vorbringen, oder man kann sich bei der Formulierung mittelsnbsp;‘^gewöhnlich^ und ^manchtoar beruhigen. Und dieser letztere ist,nbsp;im groBen und ganzen gesprochen, Bopps Standpunkt. ‘Mannbsp;suche’ — so war seine Meinung — ‘in den Sprachen keine Gesetze, die festeren Widerstand leisten, als die Ufer der Flüssenbsp;und Meere’ (Vokalismus S. 15). An andem Stellen nimmt er
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Drittes Kapitel.
wenigstens für einen Teil der beobachteten Lautvorgange diese bequeme Auffassung in Anspruch, indem er meint, es gabe zweinbsp;Arten von euphonischen Veranderungen in den Sprachen: 'dienbsp;eine, zum allgemeinen Gesetz erboben, kommt bei jeder gleichennbsp;Veranlassung in gleicber Gestalt zum Vorschein, wahrend anderenbsp;nicht zum Gesetz gewordene nur gelegentlich hervortreten’ (Ver-gleichende Grammatik^, § 236, Anm.). DaB die letztere Artnbsp;von Erscheinungen nach Bopps Meinung einen breitern Raumnbsp;einnimmt, als die erste, wird man bald gewahr. Er nimmt fürnbsp;die Sprache haufig das Eecht in Anspruch, mit 'einer gewissennbsp;Freiheit’ von dem bestehenden Gesetze abzuweichen. DaBnbsp;Vokale ohne Grund verlangert werden, starke Yerstümmelungennbsp;ohne denkbare Veranlassung eintreten (wie z. B. stuut^v ausnbsp;ètóephïjv verstümmelt sein soil), und daB die gleiche Lautgruppenbsp;sich in einer und derselben Sprachperiode zu sehr verschiedenennbsp;Bildungen umgestaltet, erscheint ihm nicht merkwürdig. Sonbsp;soil z. B. der Pronominalstamm sma im Gotischen in sechs Gestalten erscheinen, als nsa, sva, nka, nqva, mma und s (§ 167).nbsp;Wenn er für einen ihm wahrscheinlichen Übergang in derselbennbsp;Sprache keine Analogie nachweisen konnte, so wandte er sichnbsp;an eine andere, z. B. um die Behauptung zu erharten, daB dasnbsp;l der slavischen Partizipia aus t hervorgegangen sei, an dasnbsp;Bengalische. Das ic von 8é8(uy.a deutet er aus s, in -rsTutpa abernbsp;ist dieses y ‘gleichsam im Geiste des germanischen Lautver-schiebungsgesetzes’ zu h und dieses mit der vorhergehendennbsp;Tenuis oder Media zur Aspirata geworden (§ 569). Auch vornbsp;der Annahme ganz vereinzelter Übergange schreckt er nichtnbsp;zurück. Ausnahmslosigkeit nimmt Bopp nur selten für einnbsp;Lautgesetz in Anspruch. Ein interessantes Beispiel der Artnbsp;findet sich in seiner Abhandlung über das Demonstrativum undnbsp;den Ursprung der Kasuszeichen (Abh. der Berl. Akad. 1826).nbsp;Dort ist es ihm sehr wichtig, zu beweisen, daB der Artikel sa bnbsp;niemals ein Nominativ -s gehabt haben könne, und bei dernbsp;Zurückweisung der Annahme, daB das s im Sanskrit und Grie-chischen abgefallen sein könnte, führt er die Ausnahmslosigkeitnbsp;gewisser Lautgesetze in folgenden bezeichnenden Worten insnbsp;Gefecht; 'Allein es darf nicht übersehen werden, daB solchenbsp;Ahschleifungen gewöhnlich, wo nicht immer, mehr in Masse undnbsp;gesetzmaBig als im einzelnen und willkürlich stattfinden, undnbsp;wenn der Geist einer Sprache zu irgendeiner Periode ihrernbsp;Geschichte einen HaB faBt gegen irgendeinen Buchstaben alsnbsp;SchluBpfeiler eines Wortes, so verdrangt er ihn überall, wo er
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Franz Bopp.
ihn Torfindet, so daB auch nicht ein einziger iibrighleibt, wel-cber der Yermutung Raum lieBe, daB nocb andere seinesgleichen dagewesen. Auf ^ese Weise bat im Griechiscben ein Laut-gesetz gegen das t gewütet und es iiberall ausgerottet, wo esnbsp;als Endbucbstabe stand, so wichtig und ausgedebnt auch seinenbsp;grammatische Eolle muB gewesen sein, wie sich aus der Yer-gleichung mit den verwandten Spracben Mar genug zu erkennennbsp;gibt. Das 2 hingegen ist stets ein dem griecbiscben Ohr be-freundeter Endbucbstabe gebbeben, und so gern es in dernbsp;Mitte zwischen zwei Yokalen sicb bat verdrangen lassen, sonbsp;standbaft zeigt es sicb am Ende, iiberall wo die vergleicbendenbsp;Sprachkunde es erwarten laBt.quot;’
Man siebt aus diesen Anfiihrungen, die ins Unendliche ver-mehrt werden könnten, daB Bopp zwar im einzelnen Ealle, wo die Tatsachen es ibm an die Hand zu geben schienen, einemnbsp;Lautgesetz Ausnabmslosigkeit zuspracb, aber keineswegs imnbsp;allgemeinen, sondern daB er der Sprache die Freiheit zugestand,nbsp;von den bestebenden Gesetzen sicb gelegentlich zu emanzipieren.nbsp;Es wird allgemein zugestanden (auch von denjenigen Forscbern,nbsp;welche dem Prinzip der Ausnabmslosigkeit der Lautgesetze nichtnbsp;zustimmen), daB Bopp auf dem Gebiet der Lautlehre seinennbsp;Nacbfolgern am meisten zu tun iibriggelassen bat. Piir ibnnbsp;war (wie schon angedeutet worden ist) stets der Gesamteindruck,nbsp;daB die verglicbenen Worte identisch seien, entscheidend, undnbsp;diesem Gesamteindruck batten sich die Laute zu fiigen, dienbsp;Kontrolle der einen Behauptung durcb die Yergleichung dernbsp;sonst bezeugten Schicksale desselben Lautes bat er nicht innbsp;geniigendem MaB eintreten lassen. Es ist das groBe Yerdienstnbsp;August Friedrich Potts, diese Liicke ausgefiillt zu haben.
Der eben geschilderte methodische Mangel bei Bopps For-scbungen machte sicb nun auf dem indogermanischen Gebiete darum nicht so stark fiiblbar, weil in demselben in der Tatnbsp;eine Fiille von Formen und Worten vorhanden ist, wo an der-selben Stelle derselbe Laut erscheint, und weil Bopp bei dernbsp;Aufdeckung verborgener Ahnlichkeiten durcb seinen genialennbsp;Tiefbbck wunderbar ricbtig geleitet wurde; er trat aber grellnbsp;bervor, als Bopp es unteriiahm, Spracben, deren Zugehörigkeitnbsp;zu unserem Sprachzweige nicht feststand, zur Yergleichung heran-zuzieben, ich meine namentlicb die malaiisch-polynesischen.nbsp;Es wird jetzt, soviel icb weiB, von den Kennern durcbweg an-genommen, daB diese Spracben mit den sanskritischen Spracbennbsp;nicbts zu tun baben. Bopp aber empfing den Eindruck, daB
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Drittes Kapitel.
sie zum Sanskrit in einem töchterliclien Verhaltnis stünden, und suchte die Yerwandtschaft in derselben Weise zu erharten, wienbsp;die der indogermanisclien Sprachen in seiner Vergleichendennbsp;Grammatik, soweit der Obarakter dieser Sprachen, welche 'einenbsp;totale Auflösung ihres Urhaues erfahren haben'’, es gestattet.nbsp;Er steilte also aucb hier nicht Lautentsprechungstabellen auf,nbsp;sondem verghch Wörter, die ihm identisch zu sein schieneiinbsp;(z. B. die Zahlwörter), miteinander, und suchte sich mit dennbsp;Lautübergangen im einzelnen Fall abzufinden. Natürlich wurdenbsp;sein Verfahren hier, wo er es mit einem völlig widerstrebendennbsp;Stoff zu tun hatte, gewaltsamer als auf dem indogermanischennbsp;Gebiet. Ich will diese Gewaltsamkeit durch ein Beispiel belegen.nbsp;Es betrifft das Wort po, welches Nacht bedeutet. Darübernbsp;sagt Bopp (Uber die Yerwandtschaft der malaiisch-polynesischennbsp;Sprachen mit den indisch-europaischen, Abh. der Berl. Akad.nbsp;1840) S. 172 folgendes: ‘Die gewöhnliche Benennung der Nachtnbsp;lautet in den Südseesprachen, namentlich im Neuseelandischen,nbsp;Tahitischen und Hawaischen po, welches dem sanskritischennbsp;ksapas, ksapo gleichsam wie ein Echo nur die letzte Silbe nach-rutf. Nun gibt es auBerdem ein Wort bo Tag, welches, wienbsp;es S. 228 heiBt, aus dem sanskritischen divas, divo entsprungennbsp;sein könnte. ‘Sollte abeF — fahrt Bopp fort— ‘das tongischenbsp;ho mit dem früher erwahnten po zusammenhangen, welches innbsp;den Südseesprachen Nacht bedeutet, so müBte man die Zu-sammenstellung dieses po mit dem Sanskrit Icsapas fallen lassen,nbsp;und annehmen, daB diesem po ein Epitheton entfallen sei,nbsp;welches im Tongischen den Tag zur Nacht umschafft, und diesenbsp;als schwarzen oder dunkeln Tag bezeichnet.'’
Es ist nach dem, was ich oben über Bopps Yerhaltnis zur Lautlehre gesagt habe, nicht nötig, weiter auf solche Extra-vaganzen einzugehen, es ist vielmehr schon durch das Gesagtenbsp;klar, daB an dem Scheitern dieses TJnternehmens auf malaiisch-polynesischem Gebiet nicht etwa ein konstitutioneller Fehler dernbsp;Sprachwissenschaft überhaupt, sondern lediglich ein spater aus-geglichener Mangel der in diesem Punkte noch unfertigen Bopp-schen Methode sich offenbart.
DaB aber Bopp noch in ziemlich latitudinarischen Yorstel-lungen über Lautwandel und Lautgesetze befangen war, muB man sehr natürlich finden. Bopp war kein Naturforscher,nbsp;sondern ein Philologe, der sein Leben lang mit Grammatikennbsp;verkehrte. Einem Naturforscher freilich erscheint der Gedanke,nbsp;daB ein Gesetz beliebig Ausnahmen erleiden könne, lacherlich
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Franz Bopp.
Oder empörend, dagegen war dieseAnschauung der philologisclien Theorie und Praxis völlig gelaufig. In alien Grammatiken warnbsp;die Masse des 'UnregehnaBigen’ mindestens ebenso groB als dienbsp;des 'EegelmaBigen’, und eine Regel ohne Ausnahme erregtenbsp;geradezu Yerdacht. Derartige iiberlieferte Meinungen aber ver-lieren sich erst im Laufe Yon Generationen.
Bopps Leistung besteht, wie schon oben bemerkt, darin, daB er eine umfassende Theorie über die Entstehung der Flexionnbsp;aufstellte, und sodann und hauptsachlich darin, daB er die griind-liche Urgemeinschaft der indogermanischen Sprachen wissen-schaftlich nachwies.
Wir sind nunmehr, nachdem wir dem Leser Bopps Arbeiten auf beiden Gebieten vorgefiihrt haben, imstande, in wenigennbsp;Worten zusammenfassend anzugeben, welches die geistige Eigen-tlimlichkeit ist, die in den Schriften dieses groBen Gelehrtennbsp;besonders hervortritt.
Wenn man hort, daB ein einzelner Mann das Sanskrit, Alt-persische, Zend, Armenische, Griechische, Italische, Keltische, Litauische, Slavische und Germanische vergleichend dargestelltnbsp;hat und noch über dieses ungeheure Gebiet hinaus zu den Sprachennbsp;der Südsee fortgeschritten ist, so ist man leicht geneigt, ihm einenbsp;ganz ungewöhnliche, ja exorbitante Gelehrsamkeit zuzuschreiben.nbsp;Bei naherer Betrachtung aber sieht man, daB die Gelehrsamkeit nicht eigentlich eine fur Bopp charakteristische Eigenschaft ist. GewiB hat er in einem arbeitsamen Leben viel ge-lemt, aber er war nicht einer von den Mannern, über derennbsp;Gelehrsamkeit man erschrickt, wie das etwa bei A.W. Schlegelnbsp;der Pall war. Von manchen Sprachen, um deren Aufhellungnbsp;er sich unvergangliche Verdienste erworben hat, wie das Slavischenbsp;und Keltische, hatte er (philologisch gesprochen)__ nur dürftigenbsp;Kenntnisse, und gegen gewisse Einzelheiten der Uberlieferung,nbsp;wie z. B. die Eegeln der Latinitat, war er gelegentlich gleich-gültiger, als wünschenswert ist. So nahm er sich nicht übel,nbsp;seinem Sanskritwörterbuch den Titel glossarium sanscritum anbsp;Francisco Bopp zu geben, und zog es vor, postquam mit demnbsp;Plusquamperfectum zu konstruieren. Was ibm zur Erklarungnbsp;derPormen und zum Verstandnis des Naturzustandes der Sprachenbsp;nicht beizutragen schien, lieB ihn verhaltnismaBig gleichgültig.
Auch das ist nicht völlig richtig, was man oft versichern hort, daB Bopp die sprachvergleichende Methode erfundennbsp;habe. Bopp bat es in unvergleichlicher Weise verstanden, innbsp;dem Getrennten die ehemalige Einheit zu erkennen, aber eine
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Drittes Kapitel.
methodische Kunst, die man ihm ablernen könnte, hat er nicht aufgehracht. Vielmehr liegt, wie oben gezeigt worden ist, geradenbsp;auf der methodischen Seite seine Schwache.
Bopps GrröBe hesteht in etwas anderem, was von Gelehrsam-keit und Methode unahhangig ist, namlich in dem, was wir Genialitat nennen. Seine Vergleichende Grammatik beruht aufnbsp;einer Keihe von genialen Entdeckungen, die nicht durch Ge-lehrsamkeit und Übung ermöglicht wurden, sondern durch einenbsp;für uns nicht weiter analysierbare Katurgabe. Damit will ichnbsp;natürlich nicht sagen, daB Bopp seiner Gelehrsamkeit und seinemnbsp;logisch urteilenden Verstande nicht vieles zu danken habe,nbsp;sondern nur, daB das glückliche Apergu bei ihm eine viel wich-tigere Bolle spielt, als bei andern ausgezeichneten Sprach-forschern, z. B. bei August Schleicher.
Unser Weg führt uns von Humboldt und Bopp zu den Germanisten, unter denen zuerst der Dane Easmus Kristian Bask zu nennen ist (geb. zu Fünen 1787). Er war zugleich ein aus-gezeichneter Kenner des Germanischen, namentlich des Nor-dischen und Angelsachsischen, und der orientalischen Sprachen,nbsp;namentlich des Avestischen. Bei der Vergleichung beschranktenbsp;er sich auf die europaischen Sprachen, wobei er schon vornbsp;Grimm die sogenannte erste germanische Lautverschiebung innbsp;ihren wesentlichen Zügen feststellte. (Man vergleiche über ihnnbsp;H. Paul, GrundriB 1, 77ff., und über seinen Anteil an der Ent-deckung der Lautverschiebung, auf die mehrere Gelehrte unahhangig aufmerksam geworden sind, S. 86.) Die weitaus wich-tigste Persönlichkeit unter den Germanisten aber ist Jakobnbsp;Grimm (1785—1863). Die Natur hatte diesem wonderbarennbsp;Manne neben einem ausgezeichneten Verstand eisernen FleiBnbsp;und eine überschwengliche Phantasie verliehen, die politischennbsp;und literarischen Zustande aber lenkten seine Gaben auf dienbsp;Erforschung des deutschen Wesens, und zwar besonders aufnbsp;das Mittelalter und die aus ferner Vergangenheit her fort-wirkende Sagenwelt unseres Volkes. In dem ersten Jahrzehntnbsp;seiner literarischen Tatigkeit wurde Grimm durch seine Phantasienbsp;nicht selten auf Abwege geführt, allmahlich aber trat die phan-tastisch-romantische Stimmung mehr zurück, namentlich seit ihmnbsp;das philologische Gewissen durch eine berühmt gewordene Ee-zension A. W. Schlegels gescharft war, von welcher Paul dennbsp;Anfang der deutschen Philologie in ihrer streng wissenschaft-lichen Gestalt datiert (s. H. Paul, GrundriB der germanischennbsp;Philologie 1, 72). So zeigt sich denn das schönste Gleich-
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Rask. Jakob Grimm.
gewicht geistiger Krafte in demjenigen Werke Jakoh Grrimms, das uns hier hauptsachlich angeht, namlich seiner deutschennbsp;Grammatik, deren erster Teil 1819 erschien. Er ist dem Führernbsp;der historischen Schule auf dem Gehiete der Rechtswissenschaftnbsp;K. L. V. Savigny gewidmet, der als Professor in Marburg durchnbsp;Lehre und Umgang den wichtigsten EinfluB auf Grimm aus-geubt hatte. Wie stark dieser EinfluB gewesen ist, erkenntnbsp;man, wenn man sich die wissenschaftUche Grundanschauungnbsp;vergegenwartigt, die in Savignys Werk über den Beruf unserernbsp;Zeit zur Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Heidelberg 1814)nbsp;hervortritt. Der Verfasser bemerkt darin zunachst, daB dernbsp;bodenlose Hochmut der Aufklarungszeit überall dem geschicht-lichen Sinn babe weichen mussen, der neuerdings erwacht sei.nbsp;So hat man denn auch erkannt, daB das Recht nicht von ein-zelnen klugen modernen Menschen gemacht werden kann, esnbsp;hat vielmehr seine Wurzel in den Tiefen des Volkes, bildet sichnbsp;aus mit diesem und stirbt endlich ab, sowie das Volk seinenbsp;Eigentumlichkeiten verliert. Das Recht steht mit dem Volkenbsp;in organischem Zusammenhang und ist hierin der Sprache ver-gleichbar. Von einer willkürlichen Schöpfung des Rechtes kannnbsp;nicht die Rede sein, es ist vielmehr anzunehmen, daB all jenesnbsp;ungeheure Detail, welches wir an den Rechten der Völkernbsp;kennen, ohne eigentliche Willkür und Absicht auf rein organischenbsp;Weise entsteht. Die Methode, welche bei der Erforschung desnbsp;Rechtes angewendet werden soli, ist die historische. Ihr Be-streben geht dahin, jeden gegebenen Stoff bis zu seiner Wurzelnbsp;zu verfolgen und so sein organisches Prinzip zu entdecken, wo-durch sich von selbst das, was noch Leben hat, von demjenigennbsp;absondern muB, -was schon abgestorben ist und nur noch dernbsp;Geschichte angehört. Ganz ebenso empfindet Jakob Grimm.nbsp;Wie Savigny bewundert er 'den tief angelegten, nach dem natur-lichen Gesetze weiser Sparsamkeit aufstrebenden Wachstum’ dernbsp;Sprache, die 'herrliche Anstalt der Natm’, welche uns die Redenbsp;mit der Muttermilch eingibt und sie in dem Befang des elter-lichen Hauses zu Macht kommen lassen will’, und ebenso teiltnbsp;er mit seinem Lehrer die unpraktische Abneigung gegen allenbsp;Gesetzgebung in der Sprache, ja er geht so weit, jeden Unter-richt in der Muttersprache für eine unsagliche Pedanterei zunbsp;erklaren, die es schwer halten würde einem wieder auferstandenennbsp;Griechen oder Romer auch nur begreiflich zu machen. Wasnbsp;aber Grimm unter historischer Methode versteht, wollen wir mitnbsp;seinen eignen Worten horen. 'Von dem Gedanken’ — so sagt
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Drittes Kapitel.
er in jener Vorrede, der auch die eben angeführten Satze ent-nommen sind, — 'eine historische Grammatik der deutschen Sprache zu unternehmen, bin ich lebhaft ergriffen worden. Beinbsp;sorgsamem Lesen altdeutscher Quellen entdeckte ich taglichnbsp;Formen und Vollkommenheiten, um die wir Griechen und Eömernbsp;zu neiden pflegen, wenn wir die Beschaffenheit unserer jetzigennbsp;Sprache erwagen; Spuren, die noch in dieser trümmerhaft undnbsp;gleichsam versteint stehen geblieben, wurden mir allmahlichnbsp;deutlich und die Übergange gelost, wenn das Neue sich zu demnbsp;Mitteln reihen konnte und das Mittele dem Alten die Handnbsp;bot. Zugleich aber zeigten sich die überraschendsten Ahnlich-keiten zwischen allen verschwisterten Mundarten und noch ganznbsp;übersehene Verhaltnisse ihrer Abweichungen. Diese fortschrei-tende unauflösliche Verbindung bis in das einzelnste zu er-gründen und darzustellen, schien von groKer Wichtigkeit; dienbsp;Ausführung des Planes habe ich mir so vollstandig gedacht,nbsp;daB, was ich gegenwartig zu leisten vermag, weit dahinten bleibt.^nbsp;Das Urteil über die deutsche Grammatik steht langst fest.nbsp;Niemals vorher war auf eine Sprache das historische Verfahrennbsp;in ahnlicher Weise angewendet worden, und niemals war vornbsp;ihm ein Grammatiker darauf gekommen, den erreichbaren Stoffnbsp;in seiner ganzen ungeheuern Fülle derartig vor dem Leser aus-zubreiten. Ja, man darf wohl behaupten, daB Grimms Meister-werk auch heute, trotz aller Fortschritte, die die Sprachwissen-schaft seitdem gemacht hat, noch nicht übertroffen ist. Dienbsp;Wirkung auf Zeitgenossen und Nachfolger war auBerordentlich.nbsp;Sie laBt sich auf den verschiedensten Gebieten der Grammatilcnbsp;verfolgen. An dieser Stelle sei nur über einen Gegenstand ge-sprochen, der für die Sprachvergleichung besonders wichtig war,nbsp;namlich das schon bei Bask erwahnte Gesetz der Lautver-schiebung, welches in der zweiten Auflage des ersten Bandesnbsp;(1822) 584 ff. bei derLehre von den Buchstaben behandelt wird.nbsp;Grimm führt dort aus, daB auf dem Gebiete der sogenanntennbsp;mutae ein festes Verhaltnis zwischen dem Gotischen einerseitsnbsp;und dem Lateinischen, Griechischen und Indischen andererseitsnbsp;besteht. Demi es entspricht dem lateinisch-griechischen k gnbsp;im Gotischen h k g, z. B. cornu haurn, -/svu? kinnus, gans;nbsp;dem lateinisch-griechischen t db gotisch p t d,z. B. tres preis,nbsp;dens tunpus, 9upa daur\ dem lateinisch-griechischen p cp gotischnbsp;f 6, z. B. TiaxTip fadar, cpépw bairan, wahrend für 6 : p keinnbsp;sicherer Beleg beizubringen war. Es handelt sich also um einenbsp;Abweichung von dem Ursprünglichen, welche das Germanische
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Jakob Q-rimm.
erfahren hat, und darum bezeichnet Grimm diese Vorgange als unorganisch (S. 591), er fiigt aber sogleich binzu, es seiennbsp;groBe Ereignisse in der Geschicbte unserer Sprache und keinesnbsp;obne innere Notwendigkeit. Mit einzelnen Ausnabmen, die nichtnbsp;wegzuscbaffen waren, fand er sich durch die Bemerkung ah:nbsp;'Die Lautverscbiebung erfolgt in der Masse, tut sich aber imnbsp;einzelnen nie rein ab. Es bleiben Wörter in dem Yerbaltnisnbsp;der alten Einricbtung steben, der Strom der Neuerung ist annbsp;ibnen vorbeigeflossen/ Wie groB der Eindruck war, den Grimmsnbsp;Darlegung auf die Sprachforscher machte, dariiber wollen wirnbsp;uns von dem Begriinder der vergleichenden Lautlehre der indo-germaniscben Sprachen F. A. Pott belebren lassen. Er sagtnbsp;dariiber: ‘Es ist unter J. Grimms hoben Verdiensten um be-sondere und allgemeine Spracbkunde gewiB keines der geringsten,nbsp;den Bucbstaben ihre bisber in der Spracbwissenschaft geschma-lerten, natiirlicben Rechte zuriickgegeben und dieselben zu dernbsp;gleicbstufigen Stellung erhoben zu haben, welche sie in dernbsp;Sprache selbst einnebmen. Grimms geschichtliche Darlegungnbsp;der Lautumwandlungen in den germaniscben Sprachen bat alleinnbsp;mebr Wert, als manche philosopbiscbe Spracblebre voll ein-seitiger oder nicbtiger Abstraktionen: aus ibr gebt zur Geniigenbsp;bervor, daB der Bucbstabe, als das handgreiflicbe, als das freilichnbsp;aucb nicht bestandige, aber doch in ruhigerem Gleise sich bewegende Spracbelement im ganzen genommen ein sicherer (sic)nbsp;Faden im dunkeln Labyrinth der Etymologie ist als die oftnbsp;kiibn umherspringende Wortbedeutung; aus ibr, daB die Sprach-forscbung, insbesondere die vergleicbende, obne genaue geschicbt-licbe Kenntnis vom Bucbstaben des festen Haltes entbebrt; sienbsp;endbcb zeigt mit Erstaunen erregender Klarheit, daB selbst imnbsp;bloBen Bucbstaben nicht — wie aucb sonst nirgends in dernbsp;Sprache der Fall ist, wobl aber die bequeme Unwissenheit esnbsp;sich gem traumen laBt — die Gesetzlosigkeit frecber Willkiirnbsp;herrscbt, sondern verniinftige Freibeit, d. i. Einscbrankung durchnbsp;selbsteigene in der Natur der Laute begriindete Gesetze^ (Etym.nbsp;Forscb. 1, XH). Wir wlirden jetzt manches anders ausdrücken,nbsp;stimmen aber in das Lob voll ein. Die vergleicbende Gram-matik ist von Bopp begriindet worden, aber es war ein starkernbsp;Zusatz Grimmscben Blutes nötig, um sie zur bistoriscb-ver-gleichenden zu gestalten.
Zum SchluB dieses Kapitels babe icb noch das bervor-ragendste literarische und kritische Talent der romantischen Bcbule zu erwahnen, namlich A. W. Schlegel (1767—1845).
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Drittes Kapitel.
Wie stark er in die Entwicklung der germanischen Philologie eingegriffen hat, ist schon oben bemerkt worden; als Übersetzernbsp;von Shakespeare und als Literarbistoriker ist er weit berühmt,nbsp;aber nicht so bekannt mag es einem gröBeren Publikum sein,nbsp;daB er zugleich der Begründer der Sanskritphilologie in Deutschland ist. Schlegel stand bereits im 48. Jahre, als er sichnbsp;mit Sanskrit zu beschaftigen anfing, aber sein erstaunlichernbsp;FleiB und seine durch vielseitige Übung gestarkte Orientierungs-gabe machten ihn in kurzer Zeit zum Herrn der gewaltigennbsp;Schwierigkeiten, die damals dem Studium der indischen Literaturnbsp;entgegenstanden. Mit Bewunderung lesen wir, wie richtig ernbsp;sofort die Aufgaben prazisierte, welche zu lösen waren: 'Soirnbsp;— so heifit es in der Indischen Bibliothek I, 22 — 'das Studiumnbsp;der indischen Literatur gedeihen, so müssen durchaus die Grund-satze der klassischen Philologie, und zwar mit der wissenschaft-lichsten Scharfe darauf angewandt werden. Man wende nichtnbsp;ein, die gelehrten Brahmanen seien ja durch ununterbrochenenbsp;Überlieferung im Besitz des Verstandnisses ihrer alten Bücher ;nbsp;für sie sei das Sanskrit noch eine lebende Sprache; wir dürftennbsp;also nur bei ihnen in die Schule gehen. Mit den Griechen warnbsp;es vor der Zerstörung von Konstantinopel derselbe Fall; dienbsp;Kenntnisse eines Laskaris, eines Demetrius Chalkondylas vonnbsp;der alten Literatur ihres Volkes waren allerdings schatzbar;nbsp;dennoch haben die abendlandischen Gelehrten sehr wohl getan,nbsp;es nicht dabei bewenden zu lassen. Zur Lesung der Griechennbsp;war man indessen in Europa durch die nie ganz ausgestorbenenbsp;Bekanntschaft mit der lateinischen Literatur ziemlich vorbereitet.nbsp;Hier hingegen treten wir in einen völlig neuen Ideenkreis ein.nbsp;Wir müssen die schriftlichen Denkmale Indiens zugleich alsnbsp;Brahmanen und als europaische Kritiker versteken lemen. Dienbsp;heutigen homerischen Fragen waren jenen gelehrten Griechennbsp;nicht fremder, als es die Untersuchungen über den Urspimngnbsp;der indischen Eeligion und Gesetzgebung, über die allmahlichenbsp;Entwicklung der Mythologie, über ihren Zusammenhang undnbsp;ihre Widersprüche, über ihre kosmogonische, physische odernbsp;geschichtliche Deutung, endlich über die Einmischungen spaterennbsp;Betrages den Weisen Indiens sein würden. Dem Herausgebernbsp;indischer Bücher bieten sich dieselben Aufgaben dar, wie demnbsp;klassischen Philologen: Ausmittelung der Echtheit oder Unecht-heit ganzer Schriften und einzelner Stellen; Vergleichung dernbsp;Handschriften, Wahl der Lesarten und zuweilen Konjektural-kritik; endlich Anwendung aller Kunstgriffe der scharfsinnigsten
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A. W. Sohlegel.
Hermeneutik.’ Diesem Programm lieB Schlegel die Tat auf dem FuBe folgen. Seine Editionen indischer Texte leisteten alles,nbsp;was damals möglich war. Von seiner Ansgabe des philosophischennbsp;Lehrgedichts Bhagavadgita urteilte der hervorragendste Kennernbsp;des klassischen Sanskrit, Otto Böhtlingk, daB sie noch dennbsp;heutigen Anspriichen vollkommen geniige.
Zu Bopp trat Schlegel friih in ein Verbaltnis, insofern dieser ihn in seinen Sanskritstudien in Paris unterstützte. Er urteiltenbsp;in der literarischen Öffentlichkeit gunstig über die Leistungennbsp;des jiingeren Mannes. Er war es, der zuerst (in den Heidel-berger Jabrbiichern 1815, Sept. Nr. 56) dem Publikum an-kündigte, was es von Bopp wiirde zu erwarten haben, er zeigtenbsp;den Nalas von Bopp mit Einsicht und Wohlwollen an, und ver-sicherte noch 1827 in dem ersten Brief an Heeren (Indischenbsp;Bibliothek 2, 385), daB Bopp und er seit ihrer 1812 in Parisnbsp;begonnenen Bekanntschaft immer in freundschaftlichem Wetteifernbsp;und Einverstandnis fiir denselben Zweck gewirkt batten. Wirnbsp;wissen aber jetzt, daB Bopp den gönnerhaften Ton von Anfangnbsp;an ungern ertrug, _ und allmahlich kam es auch öffentlich zunbsp;einem Austausch spitzer Bemerkungen. Schlegels kritische Ein-wiirfe wendeten sich in erster Linie gegen Bopps Sanskrit-grammatiken, in denen er das Studium der indischen National-grammatiker vermiBte. Man muB zugeben, daB Bopp diesenbsp;nicht hinreichend kannte und daB er, wenn er gegen sie pole-misierte (was gelegentlich geschah), seine Kenntnis aus zweiternbsp;Hand hatte, aber wir diirfen jetzt auch behaupten, daB Boppnbsp;wohl daran getan hat, sich von einem Studium fern zu halten,nbsp;das seinem Genius nicht gemaB war und fiir seine damaligennbsp;Zwecke wenig Wiirde ausgegeben haben. Sodann handelte esnbsp;sich um die Erklarung der Sprachformen. An diesem Punktenbsp;gait es fiir Schlegel gleichsam die Ehre der Eamilie zu ver-teidigen. DaB Bopp sich von der Theorie Friedrich Schlegelsnbsp;immer mehr abwendete, vermerkte der Bruder sehr iibel. Ernbsp;sah sich als den natiirlichen Verteidiger der 'organischen’ Auf-fassung an, der die Boppsche 'Agglutinationstheorie' in so be-drohlicher Weise das Feld abgewann. Leider ist A. W. v. Schlegelnbsp;nicht weiter gekommen als zu der Ankiindigung eines groBennbsp;sprachwissenschaftlichen Werkes, welches den Titel fiihren sollte:nbsp;Etymologicum novum sive synopsis linguarum, qua exponiturnbsp;parallelismus linguae Brachmanum sacrae cum lingua Graecanbsp;et Latina; cum reliquiis linguae Etruscae, Oscae ceterarumquenbsp;indigenarum veteris Italiae dialectorum; denique cum diversis
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Drittes Kapitel.
populorum Teutonicorum linguis, Grothica, Saxonica, Francica, Alemannica, Scandica, Belgica. Doch ist von seinem vertrautennbsp;Schiller Christian Lassen eine umfangliche und eingehendenbsp;Eezension der Boppschen grammatischen Arbeiten verhanden,nbsp;aus der man sieht, wie etwa in dem Schlegelschen Kreise ühernbsp;Bopp geurteilt sein mag. Der Ton, in dem Lassen schreibt,nbsp;ist der des halten aher gerechten Richters. Das Löbliche wirdnbsp;gebührend hervorgehoben, das Verfehlte mit Ernst getadelt,nbsp;nur bei der Erwahnung der Agglutinationstheorie hricht Ani-mositat hervor. Die betreffende Stelle lautet so (Indischenbsp;Bibl. 3, 78); Tch batte mir vorgenommen, gegen die hier wieder-kehrende Agglutinationstheorie zu sprechen; da ich aber weiB,nbsp;daB Herr von Schlegel über diesen Punkt reden wird, so willnbsp;ich mir gern ein freiwilliges Stillschweigen über diese Materienbsp;auflegen, die es wohl verdient, von seiner überlegenen Handnbsp;behandelt zu werden. Ich will also bloB berichten, daB nachnbsp;Herrn Bopps Ansicht die charakteristischen Buchstaben dernbsp;Personalendungen eigentlich angehangte Pronomina sind, undnbsp;daB der Ursprung vieler Tempora in dem einverleibten Verbumnbsp;substantivum {as) gesucht wird. Dieses Wort spielt überhauptnbsp;in dem vorliegenden Buche die Eolle des alten Uberall-und-nirgends und verwandelt sich auf proteische Weise in die ver-schiedensten Gestalten. Obwohl nun die Zubereitungen, unternbsp;welchen Herr Bopp das Wörtlein as auftischt, mir selten be-sonders schmackhaft vorkommen, so will ich ihm doch ausnbsp;Dankbarkeit für seine sonstigen verdienstvollen Bestrebungennbsp;eine ihm unbekannte Form dieses Yerbums nachweisen, mitnbsp;welcher ich zwar nicht viel anzufangen wüBte, ohne deshalbnbsp;behaupten zu wollen, daB sie nicht von andem zu den uner-wartetsten Ableitungen benutzt werden könnte. Diese Form istnbsp;as (für ast), die dritte Person Sing, des Imperf. Act. (Panini Vil,nbsp;3, 97). Die Kürze der Form macht sie zu Ableitungen sehrnbsp;geschickt, wie fürWortvergleichungen keineWörter so brauchbarnbsp;sind, als die kurzen chinesischen, weil man bloB einen Vokalnbsp;nicht zu berücksichtigen und einen Konsonanten in einen andernnbsp;zu verwandeln braucht, um nach Beliehen Finnisch, Koptischnbsp;und Irokesisch daraus zu machen. Den Gipfel der Agglutinationstheorie erreichen wir aber in der Ableitung des einfachennbsp;Augments vom a privativum. Unter allen wunderlichen Eigenschaften, womit man die urwelthchen Menschen begaht, ist diesenbsp;Logik die merkwürdigste, daB sie, statt zu sagen; ieh sah, ge-sagt haben: ich sehe nicht. Auf die Padagogik angewandt.
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A. W. ScUegel.
wurde diese Verfahrungsart so ausgedriickt werden müssen: Fange die Erziehung deiner Kinder damit an, ihnen den Kopfnbsp;abzuschlagen. Ein Verbum wird erst um seine Bedeutung gebracht, um alsdann eine neue Form daraus bilden zu können.’
Diese Lassensche Eezensioii erregte bei Bopps Freunden groBe Entriistung, aber sie batte keine nachbaltige Wirkung,nbsp;weil sie es an positiven Aufstellungen fehlen lieB, welche Boppsnbsp;Agglutinationstbeorie batten ersetzen können. Aucb spater istnbsp;diese Liicke weder von A. W. v. Schlegel nocb von einem seinernbsp;Anhanger öffentlich ausgefüllt worden. So geriet die Scblegelscbenbsp;Opposition albnahlich in Vergessenbeit, Bopps Tbeorien be-baupteten ungestort das Feld. Erst in Westpbals gramma-tischen Arbeiten hat die Scblegelscbe Ansicht eine Art vonnbsp;Nacbbliite eiiebt. Auf sie wird weiter unter (S. 129) binge-wiesen werden.
Delbriick, Einl, i. d. Stud. d. indogerm. Spracli©n. 4. Aufi.
-ocr page 102-Viertes Kapitel.
Die ungeheure Wichtigkeit der von Bopp und Grimm be-gonnenen Forscbungen konnte den Zeitgenossen nicht verborgen bleiben, denn in der Tat kann man — wie Corssen sich spaternbsp;einmal ausdriickte — ebensogut dem Sonnenlicht seine Aner-kennung versagen, wie den Hauptresultaten der vergleichendennbsp;Sprachforschung. Aber die Konsequenzen, namentlich soweitnbsp;die Umgestaltung der klassischen Studiën in Frage kam, wurdennbsp;docb nur langsam gezogen. Ausgezeicbnete Forscher wie Butt-mann arbeiteten auf ibrem Grundstiick weiter, ohne iiber dennbsp;Zaun zum Nachbar zu blieken, der eben eine neue und besserenbsp;Methode zur Bewirtschaftung erfunden batte, und Padagogen,nbsp;die sicb zu Wachtern der bestehenden Ordnung berufen fiihlten,nbsp;klagten iiber die Jiinglinge, welche alles bisher fiir wahr Ge-haltene umzugestalten sich unterfingen, aus deren Arbeiten abernbsp;fiir die griechisebe und lateinische Grammatik scblieBlich docbnbsp;nichts anderes herausspringe, als der 'ewige Lokativus’ (Allge-meine Schulzeitung, Juli 1833). Alle diese aus Bequemlicbkeitnbsp;Oder Vorurteil Zurückbleibenden batten einen schweren Standnbsp;gegeniiber den stiirmischen Angriffen des Mannes, der nachnbsp;iibereinstimmendem Urteil als einer der hervorragendsten vonnbsp;Bopps Nachfolgern bezeiebnet wird, August Friedrich Pottnbsp;(1802—1887), durch dessen grofiesWerk; ‘Etymologische For-schungen auf dem Gebiete der indogermaniseben Sprachen mitnbsp;besonderem Bezug auf die Lautumwandlung im Sanskrit, Grie-chischen, Lateinischen, Litthauischen und Gothischenquot;, Lemgo 1833nbsp;bis 1836, die wissenschaftliche Lautlehre begrundet worden ist.
Pott erkannte, daB nach den Arbeiten von Bopp und Grimm nunmebr in der Lautlehre ein sicherer Schliissel zur Etymologie
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Pott und Benfey.
gefunden werden müsse (s. die interessante Stelle Etym. Forsch. 2, 349), und die kompetenten Kichter haben geurteilt, daB Pottnbsp;zu der Losung dieser Aufgabe (soweit bei Aufgaben, die dernbsp;Natur der Sacbe nacb endlos sind, von einer Losung geredetnbsp;werden kann) in hervorragendem MaBe befahigt war. Er zeigtenbsp;sich, wie Renan es ausgedriickt bat, als un esprit a la fois sévèrenbsp;et bardi, ebenso reicb mit kombinatoriscber Pbantasie, wie mitnbsp;kontrollierendem Urteil ausgestattet. Ibm wird nicbt nur einenbsp;sebr groBe Auzabi der fur ricbtig geitenden Etymologien verdankt, sondern aucb die ersten Lautvergleichungstabellen, die sichnbsp;auf den ganzen Umfang der vergbchenen Spracben erstrecken.nbsp;Die Zukunft wird, wie ich glaube, mit uns urteilen, daB Pottnbsp;bisweilen, von seiner Pbantasie verleitet, sich gewaltsame An-nahmen gestattet bat (so namentlicb in bezug auf die Zerlegungnbsp;von Wurzeln, ein Punkt, in dem ihn Curtius siegreich bekampftnbsp;hat), aber daB, im groBen und ganzen gesprocben, er mehr alsnbsp;ein anderer Mann zur Begriindung einer soliden Lautlehre bei-getragen bat, und wird infolgedessen Potts Etymologische For-schungen zu den Grundwerken der vergleichenden Grammatiknbsp;rechnen, denen neben den Arbeiten von Bopp und Grimm dernbsp;nachste Platz gebiihrt. Was die Frage der Entstebung dernbsp;Flexionsformen betrifft, so schlieBt Pott sich an Bopp an, indemnbsp;er urteilt, Bopp babe die Flexion so durchsichtig und klar ge-macbt, daB man, einige nocb ungelöste kleinere Schwierigkeitennbsp;abgerechnet, deren Natur und Wesen hinreichend etymologischnbsp;begreife und erkenne (2, 364). Er findet also ebenso wie Boppnbsp;in der Flexion das Prinzip der Zusammensetzung hauptsachlicbnbsp;wirksam, ohne indessen daneben die symbolische Erklarungnbsp;ganzlich zu verwerfen. ‘Die Spracbbezeichnung^ — so drücktnbsp;er sich aus — 'ist entweder symbobscb oder kyriologiscb. Innbsp;der Deklination ist die Motion und Gescblecbtsbezeicbnung haufignbsp;symbobscb, die Kasualisation und Numeralisation dagegen meistens kyriologiscb’ (2, 261). Die Flexionsendungen des Verbumsnbsp;faBt er im wesentlichen ebenso wie Bopp auf, dock verdientnbsp;bemerkt zu werden, daB er das n in der dritten Pluralis aufnbsp;/iM nicbt wie dieser symbobscb erklart wissen will, sondern alsnbsp;einen Pronominalstamm ansieht (was spater aucb Schleichernbsp;tat) und daB er das Suffix der ersten Pluralis als entstandennbsp;aus bch’ und “^du’ deutete.
Nicbt geringer als Pott an Begabung und EinfluB war Theodor Benfey (1809—1881), seit 1834 akadenaischer Lehrernbsp;an der Universitat Gottingen (an der er freilich unglaubbcb
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Viertes Kapitel.
langsam vorrückte, vgl. Bezzenberger in BB. 8, 234 f£.). Ër èöt-faltete namentlich nach der Seite der Sprachvergleichung, des Sanskrit und der Marchenkunde hin eine auBerst fruchtbarenbsp;literarische Tatigkeit. Sein erstes sprachvergleichendes Werk,nbsp;das griechische Wurzellexikon, Berlin 1839, zeigte neben einemnbsp;erstaunlichen Stoffreichtum eine zügellose kombinatorische Phan-tasie, so daU es zwar anregend, aber nicht schulend auf dienbsp;Zeitgenossen wirken konnte. Unter seinen Werken zur Sanskrit-philologie bezeichnet die Ausgabe des Samaveda 1848 einennbsp;auBerordentlichen Ëortschritt. Text und Übersetzung leistetennbsp;alles, was dainals irgend möglich war, und das Glossar bot dennbsp;Sprachvergleichern zum erstenmal zuverlassiges Material aus dernbsp;vedischen Sprache zu bequemer Benutzung dar, und hat auf dasnbsp;etymologische Studium den heilsamsten EinfluB ausgeübt. Seinenbsp;Grammatiken, von denen die 1852 erschienene gröBere ein Werknbsp;mühsamsten EleiBes ist, sind jetzt überholt, seit man angefangennbsp;hat, das Material aus der Sprache selbst, nicht mehr vorwiegendnbsp;die Lehren der einheimischen Grammatiker zu verarbeiten. Annbsp;der Ausarbeitung einer aus den Texten geschöpften Grammatiknbsp;der vedischen Sprache, zu der er umfassende Vorarbeiten ge-macht hatte, hat ihn der Tod verhindert. Der Marchenforschungnbsp;hat er durch seine Übersetzung des Pantschatantra 1859 dennbsp;kraftigsten AnstoB gegeben. Endlich sei noch seine Geschichtenbsp;der Sprachwissenschaft 1869 erwahnt, in welcher eine ungeheurenbsp;Literatur, freilich nicht immer gleichmaBig, bewaltigt ist. Innbsp;diesen Werken, welche zum Teil, wie Max Muller sich aus-drückt, Meilensteine auf demWege der Wissenschaft darstellen,nbsp;ist aber Benfeys Tatigkeit noch lange nicht in ihrer Vollstandig-keit zur Anschauung gebracht. Es waren noch mancherlei Auf-satze zu erwahnen, in welchen selbstandige Theorien, z. B. übernbsp;die Bildung der Suffixe, dargelegt werden. Sodann darf nichtnbsp;unerwahnt bleiben, daB Benfey mit einer Fülle von Bezensionennbsp;(Bezzenberger in dem oben angeführten Aufsatze gibt ihre Zahlnbsp;auf 250 an) die Wissenschaft auf ihrem Gauge begleitet hat.nbsp;Zieht man die Summe dieses Daseins voll unermüdlicher Arbeit,nbsp;so darf man wohl sagen, daB Benfey unter den Vertretern dernbsp;Sprachwissenschaft einer der selbstandigsten, vielseitigsten undnbsp;anregendsten gewesen ist. Vielleicht darf an dieser Stelle auchnbsp;ein jüngerer Zeitgenosse der Genannten, namlich der berühmtenbsp;Max Muller (1823—1900) erwahnt w'erden, der in seinem Adop-tivvaterland England zu so hohen Ehren gelangt ist. Maxnbsp;Müllers solide wissenschaftliche Verdienste liegen auf dem Ge-
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Max Müller.
biete des Sanskrit, wo er sich durcli seine groBe Ausgabe des Rigveda (1849—75), seine History of ancient Sanskrit literaturenbsp;1860 nnd zahlreiche kleinere Arbeiten ein dauerndes Denkmal ge-stiftet hat. Seine Vorlesungen liber die quot;Wissenschaft der Sprachenbsp;(zuerst in englischem Grewand, London 1861] haben mehr alsnbsp;irgendein anderes Buch dazu beigetragen, der Sprachforschungnbsp;in weiten Kreisen Beachtung nnd Ansehen zu verschaffen. Auchnbsp;seine Arbeiten liber vergleichende Mythologie nnd Eeligions-wissenschaft haben anregend gewirkt. Aber der EinfluB diesernbsp;Ai'beiten auf die Eorscher war nicht dauernd, well diese im all-gemeinen den Eindruck empfangen muBten, daB der Sinn desnbsp;Verfassers zu sehr auf das Gewinnende und Blendende gerichtetnbsp;sei. Eine scharf urteilende, aber gerechte Wlirdigung Maxnbsp;Mullers bietet Whitney, Max Müller and the science of language,nbsp;Newyork 1892.
Will man nun die Fiille der Wirkungen iiberschauen, die von den genannten und andern hervorragenden Mannern aus-gegangen sind, so ist es nicht immer möglich, in der bisherigennbsp;Weise ein Lebensbild an das andere zu reihen, es erscheint viel-inehr ratlich, einige zusammenfassende Worte Uber Stromungennbsp;und Bichtungen der Zeit einzufUgen. In dieser Hinsicht nunnbsp;ware zu bemerken, daB in der Zeit, die tins jetzt beschaftigt,nbsp;naturgemaB durch die fortgesetzten Studiën eine sehi’ bedeutendenbsp;Erweiterung und Vertiefung unserer Kenntnisse eingetreten ist.nbsp;Vielleicht war keine Erweiterung fiir die Sprachwissenschaftnbsp;folgenreicher, als die auf dem indischen Gebiet vollzogene.nbsp;Die AufschlieBung der indischen Literatur ist in der Art er-folgt, daB uns zuerst das indische Mittelalter entgegentrat, hinternbsp;dem dann erst spater, als etwa von dem Jahre 1840 an dienbsp;vedischen Studiën aufzublllhen anfingen, das indische Altertuinnbsp;emportauchte. Durch die Ai-beiten von Bosen, Both, Benfey,nbsp;Westergaard, Müller, Kuhn, Aufrecht u. a. wurde in verbaltnis-maBig kurzer Zeit eine Eülle neuen und zuverlassigen Stoffesnbsp;den Etymologen zugeführt, die bis dahin mit indischen lexika-lischen Hilfsmitteln nur verhaltnismaBig schlecht versehen waren.nbsp;Das Lexikon von Wilson (über welches neben dem Artikelnbsp;Schlegels in der Indischen Bibliothek 1, 295 ff. das quot;Vorwort vonnbsp;Böhtlingk und Both zu dem ersten Bande ihres Worterbuchsnbsp;nachzulesen ist) war alles eher als ein historisch angeordnetesnbsp;Lexikon, und die indischen Wurzelverzeichnisse sind ein Hilfs-mittel, das eigentümliche Gefahren in sich birgt. quot;Viele ihrernbsp;Wurzeln sind aus der Literatur nicht zu belegen, und man
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Viertes Kapitel.
kann daher nicht wissen, oh sie in der Tat wirklich vorkommen, den Verben des Sanskrit oder anderer Dialekte entsprechen, odernbsp;oh sie nur zu etymologischen Zwecken, und dann vielleichtnbsp;falsch, aufgestellt worden sind. Und ferner ist die Methodenbsp;der Bedeutungsangahe bei den indischen Gelehrten in vielennbsp;Fallen eine andere als bei uns, wesbalb denn aucb Westergaard,nbsp;der kritische Herausgeber der radices linguae sanscritae, Bonnnbsp;1841, warnend bemerkte: 'Ceterum puto cavendum esse, ne illanbsp;grammaticorum de potestate radicum decreta nimis urgeantur,nbsp;nam illis nihil vagius, nihil magis duhium et ambiguum essenbsp;potest; sic, ut unum modo exemplum afferam, vocula, quaenbsp;gatau est, unumquemque motum ut eundi, currendi, volandi etc.nbsp;indicat, quin etiam exprimit mutationem, quam subit lac coagu-lando, et nescio quam multas aUas.quot; Doch wurde trotzdem mitnbsp;unbelegten oder falsch gedeuteten Sanskritwurzeln viel Unfugnbsp;getrieben. Glanzlich ausgerottet ist er erst durch das 1855 be-gonnene Sanskritwörterbuch von Otto Böhtlingk (1815—1904)nbsp;und Budolf Both (1821—1895), ein unvergleichliches Meister-werk historischer Verarbeitung eines ungeheuern Sprachschatzes,nbsp;welches auf dem Gebiete der Sprachvergleichung beinahe ebensonbsp;Epoche gemacht hat wie auf dem der Sanskritphilologie, indemnbsp;es mehr als ein anderes Werk dahin wirkte, die Yergleichungnbsp;von den Wm’zeln ab und auf die Wörter hinzulenken.
Neben dem Sanskrit hat namentlich das Slavische und Keltische Bearbeitung gefunden. Und zwar ist auf dem sla-vischen Gebiet nach Wuk Steph. Karadschitsch (Karadzic)nbsp;Dobrowsky und Kopitar vor allem andern Franz Miklosichnbsp;zu nennen, dessen unermüdliche Arbeitskraft das weite Eeichnbsp;des Slavischen auch für die nichtslavischen Forscher erobertnbsp;hat, auf dem Gebiete des Keltischen (von dem Pott Etym.nbsp;Forsch. 2, 478 noch annahm, daB es einem andern als demnbsp;indogermanischen Stamm angehöre, sich aber in vorhistorischernbsp;Zeit mit ihm vermischt habe), einer der gröBten Gelehrten allernbsp;Zeiten Johann K asp ar Zeuss, dessen Grammatica celticanbsp;(zuerst erschienen 1853) nach des Verfassers 1856 erfolgtemnbsp;Tode in Hermann Ebel einen würdigen Bearbeiter gefundennbsp;hat (Berlin 1871). Doch darf man, so hoch auch diese Lei-stungen anzuschlagen sind, wohl behaupten, daB in der Zeit,nbsp;die uns hier beschaftigt, das Sanskrit, die klassischen Sprachennbsp;und das Germanische stets sozusagen die leitende Stellungnbsp;eingenommen haben.
AuBer der Erweiterung der Kenntnisse erscheint das Ver-
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Böhtling'k und Schleicher.
haltnis zu den Lautgesetzen charakteristiscli. Was ich meine, wird gut verdeutlicht durch eine Stelle aus Ourtius’ Bemer-kungen über die Tragweite der Lautgesetze (Berichte der phil.-histor. Klasse der Königl. Sachs. Gresellschaft der Wissenschaften 1870), welche so lautet: 'Nach den ersten kühnennbsp;Anlaufen der Begründer unserer Wissenschaft erkannte sichnbsp;seit den vierziger Jahren ein jüngeres Geschlecht an der Losung;nbsp;Strengste Beobachtung der Lautgesetze. Der MiBbrauch, welchernbsp;selbst von verdienten Forschern mit der Annahme von Schwa-chungen, Entartungen, Abwerfungen usw. getrieben worden war,nbsp;batte ein wohlbegründetes MiBtrauen hervorgerufen, das zunbsp;gröBerer Scharfe und Zurückhaltung in dieser Beziehung führennbsp;muBte. Die Folgen der in diesem Sinne strengeren Richtungnbsp;sind, das darf man wohl sagen, wohltatig gewesen. Glenauerenbsp;Beobachtung der Lautübergange und ihrer Anlasse, sorgfaltigerenbsp;Sonderung der einzelnen Sprachen, Sprachperioden und Sprach-varietaten von einander, bestimmtere Einsicht in die Entstehungnbsp;vieler Laute und Lautgruppen wurden erreicht. Wir sehen innbsp;dieser Hinsicht bedeutend weiter und klarer als vor zwanzignbsp;Jahren, was sich am deutlichsten daran ermessen laBt, daBnbsp;manche friiher ausgesprochene luftige Behauptung selbst vonnbsp;denen als unmöglich erkannt ist, die sie zuerst aufgestelltnbsp;haben.’
Als besonders wichtig muB endlich das Bestreben, die einzelnen Sprachen strenger voneinander zu sondern, hervor-gehoben werden. Bopp machte sich kein Gewissen daraus, einen im Lateinischen behaupteten Lautwechsel durch einennbsp;Hinweis auf das Armenische zu begründen. Diese Freiheitnbsp;sollte von nun an nicht mehr gestattet sein. Jede einzelnenbsp;Sprache sollte nach ihren Eigentümlichkeiten erkannt werden.
Diese letztere Bemerkung führt uns hinüber zu der Dar-stellung zweier Manner, die als der AbschluB und Höhepunkt einer gewissen Epoche der Sprachwissenschaft angesehen werden können, namlich August Schleicher und Georg Curtius.
August Schleicher, geb. 1823, studierte in Bonn und habi-litierte sich an derselben Universitat ein Jahr nach A. W. Schlegels Tode. Er trieb übrigens damals nicht bloB seinenbsp;Spezialstudien, sondern versenkte sich auch in die Hegelschenbsp;Philosophic, die ihn für sich gewann. Von Bonn ging er 1850nbsp;nach Prag, wo er mit Georg Curtius zusammentraf, und vonnbsp;da 1857 nach Jena. Hier entfaltete er bis zu seinem schonnbsp;1868 erfolgt Tode seine reichste Wirksamkeit. Seinen ei’sten
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Viertes Kapitel.
Arbeiten merkt man die philosophische Atmosphare noch deut-lich an, insofern sie nicht sowohl eingehende Detailunter-suchungen als yielmehr eine systematische Übersicht über ein weites Gebiet bezwecken. Denn seine 'Sprachvergleichenden Un-tersuchungen’ verfolgen in ihrem ersten Teile gewisse Einwir-kungen des Jot (den sogenannten Zetazismus) durch möglichstnbsp;viele Sprachen und geben im zweiten Teil (die Sprachen Europas) den AhriB eines Systems der Linguistik. Ganz ahnlichennbsp;Charakter tragt auch eine weit spatere Arbeit: Die Unter-scheidung von Nomen und Verbum in ihrer lautlichen Eormnbsp;(Abh. der Sachs. Ges. der Wiss. Leipzig 1865). Indessen be-gann Schleicher schon früh, nehen diesen allgemeinen Studiënnbsp;ein Spezialgebiet, das der lituslavischen Sprachen, anzubauen.nbsp;Seine Eormenlehre der kirchenslayischen Sprache 1852 fördertenbsp;zwei Gebiete gleichmaBig, indem sie den altertümlichsten dernbsp;slavischen Dialekte unter sprachyergleichende Gesichtspunktenbsp;steilte. Ganz neuen StofE aber hat er der Wissenschaft durchnbsp;seine litauischen Studiën zuganglich gemacht, indem er dienbsp;litauischen Formen an Ort und Stelle wie ein Botaniker sammeltenbsp;und in dem Herbarium seiner Grammatik für alle Zeiten auf-bewahrte. Durch die Pflichten des akademischen Berufs wardnbsp;er yeranlaBt, auch den übrigen indogermanischen Sprachen seinenbsp;stetige Aufmerksamkeit zu widmen, und war somit in der denkbar yielseitigsten Weise auf das Hauptwerk seines Lebens yor-bereitet, das Kompendium der vergleichenden Grammatik dernbsp;indogermanischen Sprachen (Weimar 1861), welches, da einnbsp;früher Tod ihn yon weiteren groBen Planen abrief, uns zugleichnbsp;als die Krönung seiner ganzen Wirksamkeit geiten muB.
Schleichers Kompendium steht als der AbschluB einer Periode in der Geschichte der Sprachwissenschaft den einleitendenArbeitennbsp;Bopps gegenüber. Darum ist denn auch der Totaleindruck, dennbsp;die Vergleichende Grammatik einerseits und das Kompendium an-dererseits hervorbringen, so auBerordentlich yerschieden. Boppnbsp;muBte die wesentliche Gleichheit der indogermanischen Sprachennbsp;beweisen, Schleicher setzte sie als bewiesen yoraus; Bopp erobert,nbsp;Schleicher organisiert. Bopp wendete seine Aufmerksamkeit yor-züglich auf dasjenige, was allen indogermanischen Sprachen ge-meinsam ist, für Schleicher ergab sich die Aufgabe, (die einzelnennbsp;indogermanischen Sprachen auf dem gemeinsamen Hintergrundenbsp;heryortreten zu lassen. Deshalb ist die Vergleichende Grammatik eine zusammenhangende Schilderung, wahrend das Kompendium ohne groBe Mühe in eine Anzahl yon Einzelgramma-
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August ScUeiclier.
tiken auseinandergenommen werden könnte. Der Verfasser der Grammatik gibt der Darstellung des Einzelnen übervviegend dienbsp;Ferm der Untersuchung, die er mit groBer natürlicher Anmutnbsp;handbabt, das Kompendium dagegen bewegt sicb fast nur innbsp;dem knappen und gleicbförmigen Stil der Bebauptung. Dasnbsp;altere Werk laBt sicb mit der Darstellung eines interessantennbsp;Prozesses vergleicben, das jüngere mit den Paragrapben einernbsp;Gesetzsammlung.
Weniger stark tritt die Yerscbiedenbeit bervor, wenn man die in den beiden Bücbern niedergelegten Tbeorien mitein-ander vergleicbt. Was zunacbst die allgemeinen Ansichten übernbsp;das Wesen der Spracbe betrifft, so fanden wir bei Bopp, zumnbsp;mindesten in der Ausdrucksweise, naturwissenscbaftlicbe Far-bung. Scbleicber gebt darin sebr viel weiter, indem er dasnbsp;Folgende lebrt: Die Grammatik ist die Lebre vom Leben dernbsp;Spracbe, wozu anzumerken ist, daB die Spracben leben wie allenbsp;Naturorganismen, sie bandein aber nicbt, wie der Menseb, undnbsp;baben also aucb keine Gesebiebte, sofem wir dieses Wort innbsp;seinem engeren und eigentlichen Sinne fassen. Das Leben dernbsp;Spracbe zerfallt in zwei Hauptabsebnitte, namlieb die Entwick-lung der Spracbe in der vorbistoriseben Periode und den Verfallnbsp;in Laut und Form innerbalb der bistoriseben Periode. Vonnbsp;der ersteren beiBt es: ‘Mit dem Menseben entwickelte sicb dienbsp;Spracbe, d. b. der lautlicbe Ausdruck des Denkens. Aucb dienbsp;einfacbste Spracbe ist das Ergebnis eines allmabbcben Werdens.nbsp;Alle böberen Spraebformen sind aus einfacberen bervorgegangen,nbsp;die zusammenfügende Spraebform aus der isolierenden, dienbsp;flektierende aus der zusammenfügenden.quot; In bezug auf dienbsp;zweite aber sagt er u. a.: ‘Die Gesetze zu ermitteln, nacb denennbsp;sicb die Spracben im Lauf ibres Lebens verandern, ist einenbsp;der Hauptaufgaben der Glottik; denn obne eine Kenntnis der-selben ist kein Verstandnis der Formen der vorliegendennbsp;Spracben, besonders der jetzt nocb lebenden, möglichl Dienbsp;Methode der Glottik ist die naturwissenscbaftlicbe. Diese Ansichten, deren Zusammenhang mit Humboldt und Bopp von selbstnbsp;einleuchtet, verdanken ibre eigentümlicbe Fassung Schleichersnbsp;philosophiseben und naturwissenscbaftlicben Studiën, und zwarnbsp;bat die Philosophie (wie Streitberg JF. 7,360iï. gezeigt bat) einennbsp;starkeren Anted, als icb in den bisherigen Auf lagen dieser Schriftnbsp;angenommen batte. Die Entstebung der Flexionsformennbsp;denkt sicb Scbleicber wesentlich so wie Bopp. Wie diesernbsp;betrachtet er Wurzeln, deren unverbrücbliches Gesetz die
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Viertes Kapitel.
Einsilbigkeit ist, als die konstituierenden Elemente des Indo-germanischen. Wie dieser unterscheidet er zwei Klassen der Wurzeln (halt es aber, abweichend von Bopp, für wahrschein-lich, dab die sogenannten pronominalen Wurzeln aus den andernnbsp;hervorgegangen seien). Wie dieser sieht er in den Stamm- undnbsp;Formbildungssuffixen angefügte Pronomina. Kur im einzelnennbsp;weicht er ab. So bat er in der Erklarung der Medialendungen,nbsp;bei der Bopp schwankte, sich mit Bntscbiedenheit für dienbsp;Theorie der Zusammensetzung ausgesprochen, die er bis insnbsp;einzelnste ausführte. In der Auffassung der Pluralendungennbsp;des Aktivs hat er sich Pott angeschlossen; das Element desnbsp;Optativs findet er nicht in der Wurzel ï oder i, sondern in dernbsp;Pronominalwurzel ja (ohne sich freilich darüber auszusprechen,nbsp;wie sich wohl unter dieser Annahme die Bedeutung des Optativsnbsp;erklart); in dem Konjunktiv, den Bopp noch nicht mit Sicher-heit als besonderen Modus aufgefaBt hatte, sah er die Pronominalwurzel a.
Eine sehr erhebliche Verschiedenheit freilich scheint in der Bestimmung des Begriffes der Flexion obzuwalten, die Schleichernbsp;Komp. § 2 so definiert: Tm Vokalismus beruht dasWesendernbsp;Flexion^. Diese zunachst sehr auffallig klingenden Worte sindnbsp;folgendermafien zu verstehen: Schleicher erkennt zwei Klassennbsp;von Sprachen an, in denen die Formen durch Zusammensetzungnbsp;entstehen, die agglutinierenden und die flektierenden. Dasnbsp;Eigentümliche der letzteren findet er darin, daB sie den Wurzel-vokal zum Zwecke des Beziehungsausdrucks verandern können,nbsp;so sei z. B. elfj-v aus i und pi zusammengesetzt und i zum Zwecknbsp;des Beziehungsausdrucks in si verandert. Die flektierendennbsp;Sprachen haben also das Prinzip der Zusammensetzung undnbsp;auBerdem die Fahigkeit, den Wurzelvokal in der angegebenennbsp;Weise zu verandern, in die Definition aber hat Schleicher nurnbsp;diese letztere unterscheidende Eigenschaft aufgenommen. Mannbsp;sieht leicht, daB in dieser Fassung der Definition sich ein Restnbsp;der Schlegelschen Auffassung der Flexion verbirgt, der Schleichernbsp;wohl anfanglich naher stand, aber der Rest ist seiner Bedeutungnbsp;nach so geringfügig, daB man trotzdem Schleicher mit Recht alsnbsp;Anhanger der Boppschen Agglutinationstheorie bezeichnen kann.
Auch darin stimmt Schleicher Bopp bei, daB er die Fahigkeit, durch Agglutination neue Bildungen zu schaffen, nicht auf die Urzeit beschrankte, sondern Zusammensetzungen nachnbsp;dem Prinzip der Ursprache auch in den Einzelsprachen (z. B.nbsp;bei dem lateinischen Perfektum) geiten lieB.
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August Schleicher.
Am gröBten ist die Verschiedenheit in der Lautlehre. Wie stattlich erscheint die Schleichersche Lautlehre, welche dienbsp;Halfte des ganzen Kompendiums umfaBt, gegeniiber dem ziem-lich diirftigen und ungleichmaBig gearbeiteten Kapitel bei Bopp,nbsp;¦Welches den Titel Schrift- und Lautsystem tragt! War es dochnbsp;die Aufgabe Schleichers, die ganze Fülle Ton Detailunter-suchungen, welche nach Bopp von Pott, Benfey, Kuhn, Curtius,nbsp;ilun selbst u. a. unternommen worden waren, kritisch zu sichtennbsp;und zu verwerten. In der Behandlung zeigen sich die schonnbsp;oben skizzierten Portschritte. Den Verschiedenheiten der ein-zelnen Sprachen ist Bechnung getragen, alle verwandten Falienbsp;sind sorgfaltig zusammengestellt, und an dem Glewonnenen wirdnbsp;die Wahrscheinlichkeit des einzelnen Falies ermessen. So hatnbsp;Schleicher eine groBe Beihe von sorgfaltig erwogenen und gutnbsp;begriindeten Lautgesetzen aufgestellt, die jedem Sprachforschernbsp;als Bichtschnur zu dienen bestimmt waren, und unstreitig hatnbsp;er sich durch dieses Geschaft des Sichtens und Ordnens einnbsp;auBerordentlich groBes Verdienst erworben.
Dieses Yerdienst wird auch durch die Uberlegung nicht herabgesetzt, daB alle solche Gesetze nur einen provisorischennbsp;Wert haben können. Denn da einleuchtende Etymologien dasnbsp;Material sind, aus dem die Lautgesetze gezogen werden, undnbsp;dieses Material sich immer vermehren und verandern kann, sonbsp;können auch immer neue Lautgesetze erkannt oder alte um-gestaltet werden. Schleicher selber freilich hat diesen Ge-danken, dessen Bichtigkeit uns die Erfahrung hinreichend be-statigt hat — denn wieviel Neues ist nicht allein von Ficknbsp;gefunden worden! —, nicht hinreichend gewürdigt. Es hingnbsp;das, wie es scheint, damit zusammen, daB er selbst in seinemnbsp;systematisierenden Geiste jene kombinatorische Phantasie nichtnbsp;spürte, welche zur Entdeckung neuer Etymologien notwendig ist,nbsp;und deshalb den Wert des Etymologisierens überhaupt zunbsp;gering veranschlagte.
In neuerer Zeit ist wiederholt die Frage erörtert worden, wie sich Schleicher prinzipiell zu den Lautgesetzen gestellt habe.nbsp;Nahm er mit seinen Yorgangern an, daB sie Ausnahmen zu-lieBen, oder schrieb er ihnen ausnahmslose Geltung zu? (Vgl.nbsp;J. Schmidt KZ. 28, 303ff., 32, 419). Nach seiner Gesamtauf-fassung von dem AVesen der Sprache muBte man erwarten, daBnbsp;€r sich für den zweiten Teil der Alternative entschieden hatte.nbsp;Denn wer die Sprache für ein Naturwesen erklart, muB wohlnbsp;ihren Veranderungen GesetzmaBigkeit zuschreiben. Indes gibt
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Viertes Kapitel.
es bei ihm Stellen, aus denen hervorzugehen scheint, dab er anders gedacht babe. So sagt er Kompendium § 703 (1866)nbsp;bei der Verteidigung der Boppschen Ansicht, daB das r desnbsp;Mediopassivums auf s zurückgehe; ‘Dies (namlich der Über-gang von s in r) fand aucb in den Spracben statt, welchennbsp;sonst der Lautübergang Yon s zu r fremd ist^, wodurch alsonbsp;mit BewuBtsein für eine einzelne Formation ein Extralautwandelnbsp;angenommen wird, der den sonst in den betreiïenden Spracbennbsp;geitenden Gesetzen widerspricbt^ lm Gegensatz dazu stehtnbsp;folgende AuBerung vom Jahre 1860, auf welche A. Johann-son aufmerksam gemacht bat: ‘An dem Mangel ausnabms-los durcbgreifender Lautgesetze bemerkt man recht klar, daBnbsp;unsere Scbriftsprache keine im Munde des Volkes lebendigenbsp;Mundart, keine ungestörte A¥eiterentwickliing der alteren Sprach-form ist. Unsere Volksmundarten pflegen sich als sprachlichnbsp;höher stekende, regelfestere Organismen der wissenschaftlicbennbsp;Betracbtung darzusteilen als die Scbriftsprache’ (Deutschenbsp;Spracbei, 170). Aus dieser Stelle folgt mit Sicberbeit, daBnbsp;Schleicher ausnahmslos wirkende Lautgesetze forderte, abernbsp;daB er keine andern Gesetze, als ausnahmslos wirkende, an-erkannte, ist damit nicht gesagt. Die Stelle laBt auch dienbsp;Auffassung zu, daB Schleicher mit Bopp (vgl. oben S. 21) aufnbsp;dem Standpunkt stand, es gebe in den Spracben ‘zwei Artennbsp;von euphonischen Yeranderungen, von denen die eine, zumnbsp;allgemeinen Gesetz erhoben, bei jeder gleichen Veranlassungnbsp;in gleicher Gestalt zum Vorschein kommt, wahrend andere,nbsp;nicht zum Gesetz geworden, nur gelegentlich hervortreten’. Ichnbsp;kann danach aus Schleichers Werken keine deutliche Vorstel-lung davon gewinnen, inwieweit er in der genannten Bich-tung die Konsequenzen aus seinem System gezogen batte. Sonbsp;ware man denn, wenn man die Frage zum Austrag bringennbsp;will, auf die Angaben derjenigen angewiesen, welche das Glücknbsp;gehabt haben, Schleichers mündlichen Unterricht zu genieBen.nbsp;Zu ihnen gehort J. Schmidt, der sich so auBert: ‘Schleichernbsp;zuerst lehrte, daB alle Umgestaltungen, welche die indoger-manischen Worte von der Urzeit bis auf den heutigen Tag er-litten haben, durch zwei Faktoren verursacht seien, ausnahmslosnbsp;wirkende Lautgesetze und sie durchkreuzende falsche Analogien,nbsp;welche sich auch schon in alteren Sprachperioden geltendnbsp;machten’. 1st das nun so, so ist jedenfalls festzuhalten, daBnbsp;Schleicher den Satz von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetzenbsp;nicht in die groBe Bewegung geworfen bat. Es war einer
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August Schleicher.
spateren Zeit vorbehalten, sicli seiner bewuBt zu werden und ihn als Leitstern fiir die wissenschaftlicbe Arbeit zu prokla-mieren.
Es bleibt nun noch ein Punkt von groBer Wichtigkeit übrig, namlicb Scbleichers Verhaltnis zu der indogermanischen Ur-spracbe. Schon Jones batte, wie wir oben geseben baben,nbsp;treffend bemerkt, daB die Einzelspracben, welcbe wir jetzt indo-germaniscb nennen, aus einer Quelle abzuleiten seien, welcbenbsp;vielleicbt nicbt mebr verbanden sei. Bei den deutscbenEorscbernnbsp;aberwar dieser Gedanke wieder mebr in denHintergrund getreten.nbsp;Wir fanden z. B. bei Humboldt und Bopp die Bebauptung,nbsp;daB der Aorist im Sanskrit und im Griecbiscben mit s gebildetnbsp;sei, wahrend sie ricbtiger batten sagen mussen, daB er in dernbsp;TJrspracbe gescbaffen und von dieser als fertige Form in dasnbsp;Sanskrit und Griechiscbe iibergegangen sei. Bei Schleicbernbsp;nun finden wir diese Unklarbeit ganzlich beseitigt. Uberallnbsp;sucbt er zu entscbeiden, ob eine Form in der TJrspracbe odernbsp;in einer Einzelspracbe entstanden, und ob ein Laut, wenn ernbsp;an einer bestimmten Wortstelle aus der Urzeit stammt, nocbnbsp;seine urspracblicbe Bescbaffenbeit oder eine veranderte babe.nbsp;Er legt sicb stets die Frage vor, wie eine Form oder ein Lautnbsp;in der TJrspracbe ausgeseben babe, und kommt also notwendignbsp;zu einer Rekonstruktion dieser TJrspracbe. Die alteste ent-scbeidende AuBerung stebt in der Vorrede zu seiner Formen-lebre der kircbenslaviscben Spracbe und lautet so: “^Bei demnbsp;Vergleicben von Spracbformen zweier verwandten Spracben sucbenbsp;icb vor allem die verglicbenen Formen auf ibre mutmaBlicbenbsp;Grundform, d. i. die Gestalt, die sie abgeseben von den spaterennbsp;Lautgesetzen baben miissen, zurückzufübren oder docb überhauptnbsp;auf eine gleicbe Stufe der Lautverhaltnisse zu bringen. Da unsnbsp;auch die altesten Spracben unseres Stammes, selbst das Sanskrit,nbsp;nicht in ibrer altesten lautlicben Gestaltung vorliegen, da fernernbsp;die verscbiedenen Spracben in sehr verschiedenen Altersstufennbsp;bekannt sind, so muB diese Altersverschiedenbeit nach Tunlich-keit erst aufgehoben werden, ebe verglichen werden kann; dienbsp;gegebenen GröBen müssen erst auf einen gemeinsamen Ausdrucknbsp;gebracht werden, ebe sie zu einer Gleicbung angesetzt werdennbsp;können, sei dieser gleicbe Ausdruck der zu erschlieBende altestenbsp;beider zusammengestellten Spracben oder die Lautform dernbsp;einen derselben.’ Hiernacb kann also beim Yergleicben zweiernbsp;Spracben entweder die Form einer Spracbe auf die anderenbsp;reduziert werden (z. B. slav. pekqka auf ein ai* pacantyasya.),
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Viertes Kapitel.
Oder es können beide Formen auf eine gemeinSabae ürform gebracht werden. Die erstere Methode ist in der Praxis bei Schleicher, soviel ich sehe, kaum zur Anwendung gekommen,nbsp;dagegen die zweite enthalt die Vorschrift für die Bildung indo-germanischer Grundformen, wenn man statt Vergleichung zweiernbsp;Sprachen dieWorte Vergleichung aller indogermanischen Sprachennbsp;einsetzt. Man ziehe bei einer in allen Sprachen vorkommendennbsp;Form dasjenige ab, was der Spezialentwicklung der Einzel-sprachen angehört, und was dann übrigbleibt, ist die ürform.nbsp;Alle diese Formen zusammen bilden die indogermanische Ur-sprache, oder wenn man diesen Satz in historischer Fassungnbsp;ausdrücken will: Die Ursprache ist die Sprache, welche un-mittelbar vor der ersten Trennung des indogermanischen Ur-volks gesprochen wurde. Freilich hat Schleicher sich mit diesemnbsp;einfachen und deutlichen Begriff der Ursprache nicht immernbsp;begnügt, denn er schreibt ihr haufig eine Eigenschaft zu, welchenbsp;aus der bisher gegebenen Begriffsbestimmung nicht abgeleitetnbsp;werden kann, die Eigenschaft völliger Ursprünglichkeit und Un-versehrtheit. Diese Ansicht hangt, wie Streitberg a. a. O.nbsp;richtig bemerkt, mit der öfter erwahnten Zweiteilung des Sprach-lebens zusammen, wonach die Sprache in der vorhistorischennbsp;Periode sich ausbilden, in der historischen aber in Verf all ge-raten soil.
Auf eine Kritik dieser Ansichten einzugehen, wird sich spater Gelegenheit finden. An dieser Stelle führt uns die Aufgabe desnbsp;Erzahlers weiter zu Curtius. Georg Curtius 1820—1885, dernbsp;altere Bruder von Ernst, war zum klassischen Philologen he-stimmt, ward aber schon wahrend seiner Studienzeit von Humboldt und Bopp lebhaft ergriffen, und schon früh wurde ihmnbsp;seine Lebensaufgabe klar, die Sprachvergleichung für die klassischen Sprachen und insbesondere für das Griechische nutzbarnbsp;zu machen. Diesem Ziele strebten schon mehrere kleinere Ar-beiten der früheren Zeit zu, mit dem gröBten Erfolg aber seinnbsp;Hauptwerk, die Grundzüge der griechischen Etymologie, welchesnbsp;in fünf Auflagen erschienen ist. Es war die Aufgabe diesesnbsp;Werks, den sicheren Gewinn, welchen die Sprachvergleichungnbsp;der griechischen Etymologie gebracht hat, zu verzeichnen, undnbsp;diese Aufgabe ist — urn mit Ascoli zu reden — mit jenernbsp;Meisterschaftinpositiver, schaffender Kritik gelost worden, welchenbsp;den Verfasser auszeichnete. Curtius war kein Etymologe, abernbsp;indem er das von andern Aufgestellte sammelte und ordnete,nbsp;mit Geschmack das Sichere vom Unsicheren schied, feste Normen
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Georg Curtius.
fiir die Lautiibergange zu gewinnen und der Bedeutung ihr Recht zu wahren suchte, hat er sich um die Etymologie hohenbsp;Verdienste erworhen, und da er stets das Bestrehen hatte, dasnbsp;Einzelne unter allgemeine Gesichtspunkte zu hringen, so hat ernbsp;auch die Theorie der sprachvergleichenden Wissenschaft wesentlichnbsp;gefördert. Nachst den Grundzügen ist sein umfanglichstesnbsp;Werk das Verhum der griechischen Sprache (1873—1876), innbsp;dem aher, wie mir scheint, ein Nachlassen der gestaltendennbsp;Kraft zu spüren ist. Über Ourtius’ Stellung zu den Lautgesetzennbsp;ist oben S. 87 bereits gesprochen und wird im siebenten Kapitelnbsp;ausführlicher gehandelt werden. Hier sei noch erwahnt, daBnbsp;er in der Auffassung der Flexion durchaus auf Bopps Stand-punkt stand, dessen Ansichten er weiterzubilden suchte, indemnbsp;er es unternahm, innerhalb der Ursprache die historischennbsp;Schichten zu unterscheiden, ein Bestreben, dem'wir jetzt freilichnbsp;mit der auBersten Skepsis gegenüberstehen. Indessen mit dernbsp;Schriftstellerei war Curtius'’ Arbeit nicht erschöpft. Ebensonbsp;einfluBreich wie als Schriftsteller ist er als akademischer Lehrernbsp;geworden. Tausende seiner Zuhörer haben Begeisterung fürnbsp;sprachliche Studiën mit ins Lehramt genommen, und nichtnbsp;wenige sind zu eigenen Untersuchungen angeregt worden, woven die zehn Bande der “^Studiën zur griechischen und latei-nischen Grammatik’, Leipzig 1868ff., Zeugnis ablegen. Audinbsp;die Schulwelt wurde ergriffen. Hat sich seine griechische Schul-grammatik auch auf den deutschen Gymnasien nicht gehalten,nbsp;so hat sie doch viel dazu beigetragen, den Abstand zwischennbsp;den Lehren der Schule und denen der Wissenschaft geringernbsp;zu machen. In einer vom Standpunkt des Freundes und Ge-sinnungsgenossen gesohriebenen Würdigung, welche wir Windischnbsp;verdanken (Georg Curtius, eine Charakteristik von E. Windisch,nbsp;Berlin bei Calvary 1887), wird über die Stellung, welche Curtiusnbsp;in der Wissenschaft einnimmt, folgendes, wie mir scheint,nbsp;treffende Gesamturteil gefallt: ‘Die Starke von Curtius war nichtnbsp;eigentlich die kühn vorwarts strebende, auf neue Entdeckungennbsp;ausgehende, einsam wandelnde Spezialforschung . . ., sondern ernbsp;liebte es mehr, ein Ganzes zu umfassen und darzustellen, imnbsp;Zentrum der Bewegung zu stehen, was er nach seiner Prüfungnbsp;für die gesicherten Ergebnisse der Wissenschaft hielt zu ver-zeichnen, zu ihrer Sicherung und Fortsetzung beizutragen, undnbsp;sich mit vielen eins zu wissen in der gleichen Überzeugung^nbsp;(8. 16). Damit erkliirt sich das Schicksal seiner letzten Jahre,nbsp;Ein Spezialist kann von den groBen Veranderungen der wissen^
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Viertes Kapitel.
schaftUchen Richtungen, welche sich einigermaBen mit dem Auf-und ABwogen der politischen Flut vergleichen lassen, so ziemlicli unberührt bleiben, wahrend Curtius’ Stellung durch die Be-wegung, welcbe ich im fünften Kapitel zu schildem haben werde,nbsp;in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Wenn wir jetzt zurück-blicken, wundem wir uns, daB Curtius die Wetterzeichen nichtnbsp;seit Jahren bemerkt hatte. Es scheint, daB er von dem ein-getretenen ümschwung völlig überrascht wurde. Er war aufsnbsp;auBerste betroffen, und setzte sich in einer ausführlichen Schriftnbsp;zur Kritik der neuesten Sprachforschung, Leipzig 1885, zur Wehr.nbsp;Ich glaube nicht, daB er recht behalten hat. — Neben Curtiusnbsp;pflegte man Jalire lang Wilhelm Corssen (1820—1875) zunbsp;stellen als denjenigen, der für das Lateinische geleistet habe,nbsp;was Curtius für das Griechische. In der Tat hat er sich durchnbsp;sein Werk über Aussprache, Vokalisnius und Betonung dernbsp;lateinischen Sprache groBe Verdienste erworben, aber im weiterennbsp;Verlauf Ton Corssens schriftstellerischer Tatigkeit steilte sichnbsp;doch deutlich heraus, daB seine Kenntnis der übrigen indo-germanischen Sprachen eine gar zu geringe, und seine Richtungnbsp;-wirklich (wie Benfey, Orient und Occident 1, 230 ff., tadelndnbsp;hervorhob) eine isolierende war. Ein treffendes Urteil übernbsp;Corssen findet man in Ascolis Kritischen Studiën S. IX.
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Schon im vorigen Kapitel ist gelegentlicli darauf hingewiesen T^'orden, claB auf die durch Schleicher und Curtius vollzogenenbsp;Kodifikation eine Bewegung gefolgt ist, durch welche eine er-hehliche Umgestaltung des hisherigen Betriebes der Sprachwissen-schaft ins Werk gesetzt wurde. üm diese Umgestaltung zumnbsp;rechten Verstandnis zu hringen, ist es wünschenswert, etwasnbsp;weiter auszuholen. Es wird sich namlich em23fehlen, zunachstnbsp;einige Richtungen und Manner zu charakterisieren, welche viel zurnbsp;Vorhereitung der modernen Anschauungen heigetragen haben,nbsp;wobei, quot;wie es in der Natur der Sache liegt, in die Zeiten zurück-gegriffen werden muB, von denen das vorige Kapitel handelte.nbsp;Ich wende mich zunachst zu dein sprachphilosophischen Gebietnbsp;und bespreche H. Steinthal und W. D. Whitney. H. Steinthalnbsp;(1823—1899), Professor der allgeineinen Sprachwissenschaft innbsp;Berlin, war Bewunderer, Interpret und Kritiker Wilhelm vonnbsp;Humboldts, dessen sprachphilosophische Schriften er auch, wienbsp;oben erwahnt, herausgegeben bat. Auch seiner Geschichte dernbsp;Sprachwissenschaft bei Griechen und Röinern ist schon gedachtnbsp;worden. An dieser Stelle sind zunachst heranzuziehen der Ur-sprung der Sprache im Zusammenhange mit den letzten Pragennbsp;alles Wissens, zuerst Berlin 1851; Grammatik, Logik, Psychologie, ihre Prinzipien und ihre Verhaltnisse zueinander 1855;nbsp;Einleitung in die Psychologie und Sprachwissenschaft, zweitenbsp;Auflage 1881 (erster Teil eines geplanten Abrisses der Sprachwissenschaft). Die allgemeinen Anschauungen Steinthals ergebennbsp;sich aus einigen Satzen, die ich möglichst mit seinen Wortennbsp;gebe: 'Die Sprache entspringt immer in gleicher Weise dernbsp;Seele des Menschen, und dieser Quell]iunkt ist immer derselbe.
Delbrück, Einl. i. d. Stud. d. indogerm. Sprachen. 4. Aufl. nbsp;nbsp;nbsp;7
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Fuuftes Kapitel.
Den Ursprung der Sprache erforschen heiBt also den seelischen Zustand kennen lemen, der unmittelbar der Spracherzeugungnbsp;Yorangeht. Unsere Erforschung des Ursprungs der Sprache be-wegt sich nicht um den zeitlichen zufalhgen, sondern um dennbsp;ewigen unwandelbaren Ursprung in der Seele des Menschennbsp;überhaupt oder um die Gesetze des Seelenlebens, nach denennbsp;die Sprache entsteht. Hiermit sind wir in die Psychologienbsp;versetzt.quot; Die Psychologie Steinthals aber ist im -wesentlichennbsp;die Herbartische. Im genaueren wird der Seelenzustand beinbsp;der Entstehung der Sprache so beschrieben: Wir durf en unsnbsp;vorstellen, daB der TJrmensch in gröBter Lebhaftigkeit allenbsp;Wahrnehmungen, alle Anschauungen, die seine Seele empfing,nbsp;mit leiblichen Bewegungen, mimischen Stellungen, Gebardennbsp;und besonders Tonen, ja auch artikulierten Tonen begleitete.nbsp;Jede Anschauung ist begleitet von einer Beflexbewegung, derennbsp;Zweck Ableitung des Druckes von der Seele, Erleichterungnbsp;ist. Diese Reflexbewegungen bedeuten nun tatsachlich schonnbsp;die Seelenregungen, deren Reflex sie sind; aber damit Sprachenbsp;entsteht, muB noch eins hinzukommen, namlich das BewuBtseinnbsp;dieser Bedeutung, die Verwendung der AuBerung. Die bewuBtenbsp;Verbindung erst der reflektierten Körperbewegung mit dernbsp;Seelenregung gibt den Anfang der Sprache. Das BewuBtseinnbsp;vom BewuBtsein oder, wie Steinthal technisch sagt, die Anschauung der Anschauung ist also der Anfang und Quell dernbsp;Sprache. Es muB auffallen, daB in den mitgeteilten Satzen,nbsp;die den alteren Schriften Steinthals entnommen sind, immernbsp;nur von dem einsamen Menschen, nie von dem Yerkehr dienbsp;Rede ist. Dieser Eehler ist, wenn auch nicht vollstandig, innbsp;der spateren Darstellung verbessert, wo ausgeführt wird:nbsp;“^Sprechen heiBt wesentlich und vor allem sich selbst verstehen,nbsp;seine Wahrnehmung oder Anschauung oder sein Begehren ausnbsp;den eigenen Lauten heraushören\ Das soil so geschehen: Beinbsp;dem erstmahgen Vorgang assozüert sich Anschauung undnbsp;Laut wegen ihrer Gleichzeitigkeit, und diese Assoziation wirdnbsp;fester durch Wiederholung; denn es ist kein Grund verhanden,nbsp;warum einVorgang sich nicht in gleicher Weise wiederholennbsp;sollte. Dazu wird dann erganzend hinzugefügt; 'Nicht nurnbsp;die eigenen Laute, sondern derselbe aus dem Munde allernbsp;Anwesenden dringt dem Menschen ins OhP. Steinthal batnbsp;auch die Humboldtsche Klassifikation der Sprachen weiter-zubilden gesucht, wovon seine anregende und durch ihrenbsp;Schilderung verschiedener Sprachtypen sehr nützliche Schrift
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H. Steinthal.
'Cliarakteristik der hauptsachlichsten Typen des Spraclibauesquot; 1860 (spater neu bearbeitet von Misteli) Zeugnis ablegt. Ernbsp;fübrt in der Einleitung aus, daB die Aufgabe einer Ein-teilung der verscbiedenen Spracben nur die sein könne, dennbsp;Eortscbritt darzulegen, in welcbem die Völker die Spracbideenbsp;verwirklicbt batten. Dabei wird aber zugestanden, daB es einenbsp;gerade Linie der Entwicklung nicht gebe und eine Stufenleiternbsp;nicht aufgestellt werden könne. Es kommt also schlieBlich dochnbsp;auf ein Werturteil beraus, welches der einzelne Eorscber fallt.nbsp;Die Typen, welche Steinthal aufstellt und bescbreibt, sindnbsp;die folgenden; 1) Ohinesisch, 2) die hinterindischen Sprachen,nbsp;3) die polynesischen, 4) die altaischen Sprachen, besonders dasnbsp;Jakutische, 5) die amerikanischen Sprachen, und zwar a) dasnbsp;Mexikanische, b) das Grönlandische, 6) die Sprachen der kau-kasischen Rasse, namlich a) Agyptisch, b) Semitisch, c) Indo-germanisch. Endlich hat Steinthal noch vom Jahre 1860 an,nbsp;zusammen mit seinem Ereunde, dem Psychologen Lazarus i), dienbsp;Zeitschrift für Yölkerpsychologie und Sprachwissenschaftnbsp;herausgegeben, und es ware hier also noch zu sagen, was diesenbsp;beiden Gelehrten unter Völkerpsychologie verstehen. Sie gebennbsp;an, daB es sich um den Geist einer Gemeinschaft handle, welchernbsp;noch verschieden sei von allen zu der Gemeinschaft gehörigennbsp;einzelnen Geistern, und sagen dann wörtlich; ‘Es verbleibe alsonbsp;der Mensch als seelisches Individuum Gegenstand der indivi-duellen Psychologie, es stelle sich aber neben diese als Eort-setzung die Psychologie des geselligen Menschen oder dernbsp;menschlichen Gesellschaft, die wir Völkerpsychologie nenneA.nbsp;Dabei wird nach meinem Urteil nicht klar, wie man sich dienbsp;Selbstandigkeit des Volksgeistes denken soil. Es wird namlichnbsp;einerseits festgehalten, daB der Volksgeist nur in den Einzel-geistern lebt und kein vom Binzelgeiste abgesondertes Daseinnbsp;hat, andererseits aber doch das Eolgende behauptet: ‘Die Yer-haltnisse, welche die Yölkerpsychologie betrachte!, liegen teilsnbsp;im Yolksgeiste, als eine Einheit gedacht, zwischen den Elementennbsp;desselben, wie z. B. das Yerhaltnis zwischen Religion und Kunst,nbsp;Rehgion und Sittlichkeit, Sprache und Intelligenz u. dgl. m.,nbsp;teils zwischen den Einzelgeistern, die das Volk bilden’. Indessennbsp;mag die philosophische Prage an dieser Stelle auf sich beruhen.nbsp;Faktisch wird in der genannten Zeitschrift, soviel ich urteilen
1) Vgl. über ihn Richard M. Meyer in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 13, 320 ff.
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Fünftes Kapitel.
kann, mit keiner andern Psychologie als der gewöhnlichen indi-viduellen vorgegangen, wie sich z. B. deutlich aus einem Aufsatz (1,93 ff.) ergibt, in welchem Steinthal iiber Attraktion und Assimilation handelt. Soil ich mein Urteil über Steinthals EinfiuBnbsp;auf die Sprachforschung zusammenfassen, so möchte ich be-haupten, da6 er nicht erheblich ins allgemeine, aber stark aufnbsp;einzelne gewirkt hat, welche er mit Erfolg auf die auBerordent-liche 'Wichtigkeit hingewiesen hat, welche eine analysierendenbsp;Psychologie für alle Untersuchung der Sprache haben inuB.nbsp;Die Konsequenzen dieser Lehre für die Detailforschung aufnbsp;indogermanischem Gebiete hat er freilich nicht gezogen. Dasnbsp;zu tun, blieb H. Paul in seinen spater noch zu erwahnendennbsp;Prinzipien der Sprachgeschichte überlassen.
War Steinthal ein schwer yerstandlicher Philosoph, dem es auf den Höhen der Abstraktion am wohlsten war, so war seinnbsp;Zeitgenosse und Gegner William Dwight Whitney die wahrenbsp;Verkörperung eines ruhigen, klaren, dem Begreifbaren zugewand-ten Verstandes. Whitney, geboren 1827 in Northampton (Massa-chusets), studierte seit 1849 in Newhaven und 1850—53 innbsp;Berlin und Tubingen, wo er Schüler und Freund von Webernbsp;und Both wurde. 1854 erhielt er die Professur des Sanskritnbsp;und der vergleichenden Philologie in Newhaven, wo er dienbsp;arbeits- und erfolgreichste Tatigkeit entfaltete, bis eine Krank-heit, der er lange mit zaher Energie des Willens widerstandennbsp;hatte, ihn 1894 bewaltigte. Whitney war ein niichterner Lehrer,nbsp;aber ein wissenschaftlicher Erzieher ohnegleichen. Wie ernbsp;selbst ein abgesagter Feind alles Scheins und aller im Halb-dunkel sich bewegenden Phrase war, so lenkte er den Sinn seinernbsp;Schüler auf diejenigen Aufgaben, welche durch gewissenhaftennbsp;FleiB ihrer Lösung naher gebracht werden können, und lehrtenbsp;sie, daB für einen dieWahrheit suchenden Gelehrten selbst dienbsp;mühsamste und eintönigste Arbeit des Sammelns nicht zu geringnbsp;ist. Fast alle hervorragenden Sanskritaner Amerikas sind vonnbsp;ihm ausgegangen, aber auch fiber diesen Kreis ist sein EinfluBnbsp;in der Bichtung und Organisation der philologischen Studiënnbsp;seines Heimatlandes noch heute überall zu spüren. DaB Whitney aber auch weit liber diese Grenzen hinaus Anerkennungnbsp;und Verehrung genoB, ei-gibt sich aus den Urteilen einer groBennbsp;Anzahl von Fachgenossen, welche bei der zu seinem Andenkennbsp;veranstalteten ernsten Feier in Philadelphia mitgeteilt werdennbsp;konnten (Journal of the American Oriental Society 19, 1).nbsp;Whitneys wissenschaftliche Produktion bewegt sich vor alien
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W. D. Whitney.
Dingen auf dem Debiet des Sanskrit, insbesondere des alteren, auf dein er zu den Meistern gebörte. Hier sei nur seinernbsp;Sanskritgrammatik gedacht (a Sanskrit Grammar, includingnbsp;both the classical language and the older dialects, of Veda andnbsp;Brahmana, Leipzig 1879, zugleich deutsch von Zimmer). Diesesnbsp;Werk entsprach nicht dem Programm der Sammlung, insofernnbsp;es nicht sprachvergleichend gehalten ist, aber es bezeichnetenbsp;einen auBerordentlichen Portschritt in der historischen Erkennt-nis der behandelten Sprache. Im Jahre 1885 erschien alsnbsp;Anhang dazu ein Verzeichnis der im Sanskrit belegbaren Verbal-fornien. Neben den gröBern Werken lieferte Whitney einenbsp;Pülle von zum Teil sehr umfanglichen Eezensionen, die mannbsp;in dem a. a. O. gegebenen, 360 Hummern umfassenden Verzeichnis seiner Publikationen mit Staunen iibersieht. Diese Eezensionen iviirden durchweg als Muster in ihrer Gattung angesehennbsp;werden können, wenn ihr Verfasser neben eindringendem Ver-standnis und Liebe zur Wahrheit auch die Kunst besessennbsp;batte, umvesentliche Streitpunkte gelegentlich ruhen zu lassen.nbsp;Neben dem Sanskrit pflegte Whitney mit Vorliebe das Englische,nbsp;dessen Lexikographie ihm GroBes verdankt, und die allgemeinenbsp;Sprachwissenschaft. In welcher Weise er auf diesem Gebietnbsp;fördernd eingewirkt hat, mag uns einer der Nachstbeteiligten,nbsp;K. Brugmann, berichten, aus dessen a. a. 0. abgedrucktem TJrteilnbsp;iiber Whitney einiges mitgeteilt sei. Brugmann sagt unter andermnbsp;quot;DasWichtigste, was Whitney lehrte, war etwa folgendes. Wennnbsp;man der Sprache eine selbstandige Existenz, gewisse Tatigkeiten,nbsp;gewisse Neigungen oder Launen, eine Eahigkeit der Anpassungnbsp;an die Bediirfnisse des Menschen u. dgl. m. zuschreibt, sonbsp;sind das figiirliche Ausdriicke. Sie bezeichnen nicht die Sachenbsp;selbst, und man darf sich nicht durch sie verblenden lassen.nbsp;In Wirklichkeit lebt die Sprache nur in der Seele und auf dennbsp;Lippen derer, die sie sprechen. Alle Veranderungen in dernbsp;Eortentwickelung der Sprachen dienen der Befriedigung vonnbsp;Bediirfnissen des menschlichen Geistes. Doch waltet dabei sonbsp;gut wie nie bewuBte Absicht, darum ist die Sprache kein Kunst-produkt. Sie ist aber auch kein Naturprodukt. Da alles, wasnbsp;die Sprache einesVolkes ausmacht, aus seelischer Tatigkeit ontspringt und auf einer langen Kette von vorausgegangenen Pro-zessen beruht, bei denen immer der menschliche Geist, mag ernbsp;auch noch so sehr von auBeren Eaktoren bestimmt worden sein,nbsp;selbst das eigentliche Agens gewesen ist, so ist die Sprachenbsp;nichts anderes als eine menschliche Einrichtung [institution).
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Fünftes Kapitel.
Und so ist die Spracliwissenschaft eine historische oder G-eistes-wissenschaft [historical or moral science). Nur eine oberflach-liche Betrachtung hat sie zu einer naturwissenschaftlichen Diszi-plin stempeln konnen. In der Sprache spiegelt sich also nicht nur das geschichtliche Leben der Voiker, sondern sie ist auchnbsp;ein Teil desselben, und wie es die Aufgabe der Sprachforschernbsp;ist, vermittelst aller ihnen zuganghchen geschichtlichen Zeug-nisse den Entwickelungsgang der einzelnen Sprachen zu erfor-schen und darzustellen, so ist auch nur dann zu richtigennbsp;Anschauungen über das Sprachleben überhaupt zu gelangen,nbsp;wenn man sich die Sprache immer als etwas in der Geschichtenbsp;sich Entwickelndes und in fortwahrendem UmbildungsprozefInbsp;Befindliches vorstellt. Die einzelnen Yeranderungen vollziehennbsp;sich nur langsam und ohne daB sie den Sprechenden selbstnbsp;zum Bewufitsein kommen. Sie konnen nicht durchdringen, wennnbsp;sie von dem bestehenden Sprachgebrauch allzu stark abweichen;nbsp;nur was sich dem Sprachgefühl aller emptiehlt, kann obsiegennbsp;und zur Allgemeingültigkeit durchdringen. Bei noch so groBernbsp;Yerschiedenheit aber der auBeren Yerhaltnisse beruhen die Yeranderungen der Sprachen allenthalben auf den gleichen Gesetzennbsp;und der gleichen Art ihrer Wirksamkeit. Damit war im wesent-lichen das Fundament gelegt zu einer angemessenen Behandlungnbsp;der sprachgeschichtlichen Prinzipienlehre, und Whitney selbstnbsp;hat manche dahin gehorige Einzelfrage, teils in den genanntennbsp;groBeren Werken, teils in besonderen kleineren Abhandlungen,nbsp;in klarer und umsichtiger Weise erörtert.quot;
Eine andere Anregung zum Weitergehen war schon frlih von germanistischer Seite her erfolgt. Der bereits erwahnteYer-fasser der ausgezeichneten Geschichte der germanischen Philo-logie, Budolf von Baumer (1815—76) hatte schon in seinernbsp;im Jahre 1837 erschienenen Schrift über Aspiration und Laut-verschiebung und wiederholt in spateren Arbeiten sehr richtigenbsp;Einwendungen gegen J. Grimm erhoben, der bei der Lautver-schiebung den Tatbestand festgestellt habe, aber in den Yor-gang, dessen Kesultat der Tatbestand ist, nicht eingedrungennbsp;sei. Grimm pflegte wie Humboldt und die Bomantiker von dernbsp;Sprache oder dem Sprachgeist als Machten zu reden, die vonnbsp;den einzelnen Individuen unabhangig sind, so z. B., wenn er sichnbsp;über Fremdwörter wie folgt auBert; ‘Die Sprache hat mancherleinbsp;Schaden erlitten und inuB ihn tragen. Die wahre, allein zu-tragliche Ausgleichung steht in der Ma,cht des unermüdlichnbsp;schaftenden Sprachgeistes, der wie ein nistender Yogel wieder
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Rudolf von Raumer.
von neuem briitet, nachdem ihm die Eier weggetan worden; sein unsichtbares Walten vernehmen aber Dichter und Schriftstellernbsp;in der Begeisterung und Bewegung durch ihr Geführ, wogegennbsp;sich Eaumer wie folgt auBert: ‘Ich bin weit entfernt, dem Tief-sinn, durch den die neuere Forschung sich auszeichnet, etwasnbsp;abbrechen zu wollen. Aber ich halte es an der Zeit, daB wirnbsp;uns zuvörderst mit klaren und unbefangenen Sinnen an dienbsp;Wirklichkeit und deren Erscheinungen selbst wenden. Wirnbsp;finden dann, daB der 'Sprachgeist' nichts für sich allein, abge-trennt von denMenschen, tut, daB vielmehr alle Veranderungennbsp;der Sprache durch die Menschen selbst hervorgebracht werden’nbsp;(vgl. Jellinek JE. 12, 165). Indem nun Eaumer seinen Blieknbsp;auf die einzelnen Menschen richtete, kam er naturgeinaB dazu,nbsp;ihre Sprachorgane genauer zu betrachten. Er hat das Ver-dienst, zuerst den Wert der Lautphysiologie für die Laut-forschung klar erkannt zu haben, und hat unter anderm dennbsp;wichtigen Unterschied zwischen Aspirata und Spirans, der innbsp;der modernen Lautlehre eine Eolle spielt, festgestellt. Eaumernbsp;hat, wie Jellinek in dem angefuhrten Aufsatz ausfuhrt, nichtnbsp;die verdiente Beachtung gefunden, weil die Zeit noch zu sehrnbsp;unter Grimms EinfluB stand, aber seine Arbeit ist doch nichtnbsp;verloren gewesen. So hat er z. B. stark auf W. Scherer^)nbsp;gewirkt, der in seinem den höchsten Zielen zustrebenden Werkenbsp;'Zur Geschichte der deutschen Sprache’ (1868), angeregt einer-seits durch Eaumer und andererseits durch denWienerPhysiologennbsp;Ernst Brucke (Grundzüge der Physiologie und Systematik dernbsp;Sprachlaute, Wien 1856), gerade den lautphysiologischen Gesichts-punkt betonte, ubrigens auch auf die Wichtigkeit der Analogienbsp;mit Nachdruck hinwies. In den Betrieb der Sprachforschungnbsp;wirklich eingefuhrt wurde dann die Lautphysiologie durchnbsp;E. Sievers (Grundzüge der Lautphysiologie, zur Einführung innbsp;das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen,nbsp;Leipzig 1876, Jetzt: Grundzüge der Phonetik, 5. Aufl. 1901).
Durch Betrachtungen wie die vorgeführten kam man von selbst dazu, den lebenden Sprachen eine gröBere Wichtigkeitnbsp;einzuraumen. Man sah ein, daB das wahre Leben der Sprachenbsp;sich an ihnen unendlich viel besser beobachten lasse als annbsp;den mumienhaft aufbewahrten toten, welche bisher die führendenbsp;Eolle gespielt hatten, und daB also die Prinzipien der Sprach-¦vvissenschaft an lebenden Sprachen, namentlich anVolksdialekten,
1) Vgl. über ibn die schone Q-edachtnisrede von J. Schmidt, Berlin 1877 (Abh. der Akad. der Wissensch.).
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Fünftes Kapitel.
erarbeitet werden müBten. So gewannen denn die Studiën auf dem Gebiet der germanischen, romaniscben und slavischen Spra-chen besondere Bedeutung. Aus dem ersteren Gebiet magnbsp;bier eine Schrift von J. Winteler: Die Kerenzer Mundartnbsp;des Kantons Glarus (Leipzig und Heidelberg 1876) erwahntnbsp;werden, welche in dem Kampf um die Lautgesetze eine Rollenbsp;gespielt bat (vgl. meine Abhandlung; Die neueste Spracbfor-schung, Leipzig 1885, S. 14). Unter den Romanisten nenne iclinbsp;als besonders wichtig G. J. Ascoli, das Haupt der italienischennbsp;Spracbforscber, der, durch seine Boschaftigung mit den lebendennbsp;romaniscben Sprachen an genaueste Beobachtung gewöhnt, wichtige Lauterscheinungen der alter en Sprachabschnitte einer kritisch-liistorischen Untersuchung unterwarf (vgl. Vortrage über Glotto-logie, gehalten an der Mailander wissenschaftlich-literarischennbsp;Akademie, Halle 1872; Kritische Studiën zur Sprachwissenschaftnbsp;von G. J. Ascoli, übers. von R. Merzdorf, Weimar 1878). Unternbsp;den Slavisten hat Leskien durch seine in Leipzig gehaltenennbsp;Vorlesungen einen maUgebenden EinfluB auf die Bildung dernbsp;neuen Ansichten gehabt.
Wahrend sich die geschilderten Bewegungen auf den Ge-bieten der allgemeinen Sprachwissenschaft, der Lautphysiologie und der neueren Sprachen abspielten, wurden auch innerhalbnbsp;der vergleichenden Sprachforschung im engeren Sinn erheblichenbsp;Fortschritte gemacht, teils durch Beibringung neuen Materials,nbsp;teils durch strenge Handhabung der wissenschaftlichen Methode.nbsp;Ich nenne als Trager derartiger Fortschritte zunachst Augustnbsp;Fick (geb. 1833). Von ihm erschien 1868 ein bescheidenes,nbsp;von Benfey bevorwortetes Bandchen 'Wörterbuch der indoger-manischen Grundsprache in ihrem Bestande vor der Völker-trennung’, das sich allmahlich in der vierten Auflage zu einemnbsp;sehr stattlichen Werke ausgewachsen hat, mit dem charakteri-stisch veranderten Titel Wergleichendes Wörterbuch der indo-germanischen Sprachen^ Bei der Beurteilung dieses Buchesnbsp;dürfte es gleichgültig sein, daB darin gelegentlich Fehler vor-kommen, an denen der Spezialforscher anstöBt; die Hauptsachenbsp;ist, daB der Verfasser eine kombinatorische Phantasie von wahr-haft genialer Kraft entfaltet. Niemand seit Pott hat die Wissenschaft mit so vielen einleuchtenden Etymologien beschenkt, undnbsp;dabei wird ein Vergleich zwischen den beiden Mannern wohlnbsp;zugunsten des jüngeren ausfallen. Fick hat übrigens, was hiernbsp;im Vorübergehen erwahnt sein mag, noch auf verschiedenennbsp;Gebieten tief eingegriffen, namlich auf dem der Lautlehi-e durch
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Fick, J. Schmidt, Osthoff, K. Brugmann.
sein Werk liber die ebemalige Spraclieinlieit der Indogermanen Europas, und auf dem der griechisclien Sprach- und Literatur-geschichte durch ein Bucli über die griechiscben Personennamen,nbsp;welches von Bechtel fortgesetzt worden ist, und seine Studiënnbsp;über die ürgestalt der homerischen Gedichte. Weben Piek stellenbsp;ich einen Mann ganz anderer Art, einen hervorragenden Schuiernbsp;Schleichers, Johannes Schmidt (1843—1901) (vgl. Solmsen,nbsp;Münchener Allgemeine Zeitung 1901, Nr. ITOBeilage, Kretschmernbsp;KZ. 38, Vff.). Seine Hauptstarke bestand in einer auBerordent-lich ausgebreiteten und zugleich gründlichen Gelehrsamkeit, ein-dringendem Scharfsinn, solider und strenger Methode. Dagegennbsp;war seine Phantasie nicht so reich und beweglich, wie die desnbsp;eben genannten Gelehrten. So hat er z. B. meiner Ansichtnbsp;nach in seinem ausgezeichneten Werke über die Pluralbildungennbsp;der indogermanischen Neutra (Weimar 1889) ein auf einem be-stimmten Gebiet erarbeitetes Schema allzu starr auf andere über-tragen. Am unmittelbarsten und kraftigsten griff er in dienbsp;Bewegung ein durch seine Broschüre über die Yerwandtschafts-verhaltnisse der indogermanischen Sprachen (1872). An dennbsp;in diesem Kapitel geschilderten Ereignissen beteiligte er sichnbsp;kritisierend und aufbauend namentlicb durch Aufsatze über dennbsp;Vokalismus, die Palatalreihen und ahnliche Themata, welche innbsp;der seit 1875 von ihm geleiteten Kuhnschen Zeitschrift für ver-gleichende Sprachforschung erschienen.
Hiermit komme ich nun endlich zu denjenigen Gelehrten, welche mit BewuBtsein als Vertreter einer jüngeren Generationnbsp;eine neue Richtung in der Sprachforschung zu begründen such-ten, namlich Hermann Osthoff (jetzt in Heidelberg) undnbsp;Karl Brugmann (jetzt in Leipzig), die sich zu den Morpholo-gischen üntersuchungen (5 Bande Ton 1878 an) zusammentatennbsp;und teils in diesem Werke, teils und hauptsachlich anderswonbsp;bahnbrechende Aufsatze lieferten, welche sogleich zu erwahnennbsp;sein werden. In ihren Kreis gehort auch der Genfer Saussure,nbsp;dessen mémoire sur Ie système primitif des voyelles 1879 zu dennbsp;tiefsten Werken dieser Epoche gehort, und als Theoretikernbsp;H. Paul, der Verfasser der Prinzipien der Sprachgeschichte.nbsp;Wetteifernd und zeitweise in einem gewissen Gegensatz arbeitetennbsp;einige von Gottingen ausgegangene Gelehrte wie Bezzenbergernbsp;und Oollitz. Von Auslandern nenne ich Fortunatov (früher innbsp;Moskau, jetzt in Petersburg), das Haupt einer linguistischennbsp;Schule in RuBland, dessen Bedeutung auBerhalb seines Heimat-landes nicht ihrem vollen Werte nach gewürdigt werden kann.
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weil er viele fruchtbare Anregungen nur in Vorlesungen ge-geben bat (vgl. über ibn Solmsen^ Deutsche Literaturzeitung 1903, Spalte 2016ff.), und der zu früb verstorbene Danenbsp;A.Verner, über den Pedersen JF. Anz. 8, 107 gebandelt bati).
Mit einem Aufsatz dieses ausgezeicbneten Porscbers (KZ. 23, 97—130) beginne icb meine nun folgende übersicbtlicbe Dar-stellung der in dieser Periode errungenen Portscbritte.
Auf das Lautverscbiebungsgesetz baben die Spracb-forscber sicb von Anfang an etwas zugute getan, es konnte aber bei wacbsenden Anforderungen doch nicht verborgen bleiben,nbsp;daB eine groBe Menge peinlicber Ausnahmen verbanden sei,nbsp;angesiebts deren es eigentlich nicht erlaubt sei, von einem G esetznbsp;zu reden. Nacb und nacb gelang es, diese Ausnahmen einzu-sebranken. Namentlich bat Hermann GraBmann^)’, der be-rühmte Verfasser eines Wörterbuches zum Pigveda und einernbsp;Übersetzungdesselben Werkes, glücklieb gezeigt, daB bei Worternnbsp;wie got. dauhtar^ gr.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;ai. duhitdr^ die man nicht von-
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einander trennen kann, und deren Konsonanten sicb doch nicht vertragen, sicb alle Schwiei'igkeiten lösen, wenn man annimmt,nbsp;daB in der Urzeit die Wurzelsilbe mit einer tonenden Aspiratanbsp;begann und schloB. Den bei weitem wiebtigsten Scbritt abernbsp;bat Verner getan. Er wendete sicb an gewisse AnstöBe,nbsp;welcbe innerhalb des Germanischen selbst nicht etwa vereinzelt,nbsp;sondern in groBer Masse hervortreten. Als Beispiel mag fol-gendes dienen. Bs kann doch niemand zweifeln, das unserenbsp;¦\Vörter Fafer, Mutter^ Briider mit den entsprechenden alt-indischen, grieebiseben usw., also mit pitdr Ttarfjp, matar pTpyjp,nbsp;bhratar frater identiscb sind, und doch steht dem gleichmaBigen tnbsp;der fremdspracblichen Wörter bei uns eine Zweiheit von Lautennbsp;gegenüber in got. fadar, alts, mbdar (im Got. nicht belegt),nbsp;got. bropar. Die gleiebe befremdliche Doppelbeit findet sicbnbsp;oft auch bei je zwei zu einem Wortstamm oder einer Wurzelnbsp;gehörigen Eormen, so z. B. in got. taihdn zebn, aber tigus,nbsp;welches gleich unserem -zig ist, ferner setr baufig bei Yerbal-formen, von denen die einen in der alten Zeit regelmaBig dennbsp;Erikativlaut, die andern regelmaBig die tonende Media baben,
1) Auf eine genauere Angabe der Literatur kann ich verzichten, da ich auf eine Schrift von Bechtel ‘Die Hauptprobleme der indogermanischennbsp;Lautlehre seit Schleicher, Gottingen 1892, verweisen kann.
2) Über diesen ausgezeicbneten und unter uns in gewisser Hinsicht einzig dastehenden Gelehrten habe ich in der Augsburger Allg. Ztg. 1877nbsp;Nr. 291 (Beil.) gehandelt.
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Vemers Gesetz.
z- B. ahd. slahmi, sluoh, sluogum, slagan\ xiohan, %öli, zugum, 'gt;Mgan\ ags. veorêan, vear^, vurdon^ vorden und viele andere.nbsp;Verner hat das Mittel gefunden, alle diese Schaden von einemnbsp;Punkt aus zu kurieren, indem er nachwies, daB der aus dernbsp;indogermanischen Vorzeit überlieferte germanische Akzent annbsp;der Nuancierung der Konsonanten schuld sei. Er zeigte namlich,nbsp;daB im Altgermanischen die Frikativa dann steht, wenn dienbsp;durch sie abgeschlossene Silbe den Akzent tragt, im andernnbsp;Palle die tonende Media. So war z. B. das Wort fiir Brudernbsp;nacb Ausweis des Altindischen in der Urzeit auf der Stamm-silbe betont {blirhtar), und heiBt deshalb got. bropar, das Wortnbsp;für Yater aber auf der Sufbxsilbe (pitdr) und heiBt deshalbnbsp;got. fadar. Wer noch zweifeln möcbte, inuB durch die Verbanbsp;überführt werden. Im Altindischen heiBt zu dig zeigen dasnbsp;Perfektum sing, didéga, plur. didigimd. Wenn nun diesen alt-indiscbenFormen iniAlthocbdeutschen sing, xëh {didéga)^ aber plur.nbsp;zigum [didigimd] gegenübersteht, so leuchtet die Wirksamkeitnbsp;des Akzentes uninittelbar ein. Dieser Fund tat eine groBenbsp;Wirkung, und zwar, soweit es die yergleichende Sprachforscbungnbsp;angeht, namentlicb nacb drei Biclitungen bin. Zunachst muBtenbsp;sich die Überzeugung befestigen, welcbe Verner in folgendenbsp;Worte kleidet: ‘Freilicb kann die yergleichende Sprachwissen-schaft den Zufall nicht ganz in Abrede stellen, aber Zufallig-keiten en masse wie bier, wo die Falie der unregelmaBigen Ver-scbiebung im Inlaute beinahe ebenso haufig sind wie die dernbsp;i’egelmaBigen, kann und darf sie nicht zugestehen. Es muB innbsp;solchem Falie sozusagen eine Regel für die UnregelmaBigkeitnbsp;da sein; es gilt nur, diese ausfindig zu macben.'’ Sodann zeigtenbsp;es sich, daB man gezwungen war, eine Lautausgleicbung innbsp;gi'oBem MaBstabe anzunehmen. Im Gotiscben namlich zeigtnbsp;das Verbum die Konsonantenyerscbiedenheit nicht, welcbe dienbsp;übrigen altgermanischen Dialekte haben. Wahrend es im Ahd.nbsp;heiBt slaha^ slitoh, sluogum^ slagan, heiBt es im Got. slaha, slöh,nbsp;sldJium, slahans und entsprechend überall. Wenn man, wie esnbsp;früher geschehen war, das Gotische allein hetrachtete, konntenbsp;Qian wohl zu der Vermutung kommen, daB das Gotische dennbsp;ersten und ursprünglichen Zustand zeige, die übrigen Dialektenbsp;ihn aber aufgegehen batten; seit Verner ist das nicht mehrnbsp;^öglich. Das ürgermanische muB auf dein Zustand der übrigennbsp;Bialekte gestanden haben, also sind im Gotischen die Ver-schiedenheiten ausgeglichen. Diese Ausgleichung ist eine Ana-logiewirkung innerhalb einer Reihe yon innerlich zusammen-
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Fünftes Kapitel.
gehörigen Forinen, und so muBte denn durch Verners Gesetz die Achtuiig vor der Macht der Analogie steigen. Endlichnbsp;muBte die Tatsache zum Nachdenken auffordern, daB einAkzent-prinzip, welches wir im Altindischen -wirksam sehen, sich innbsp;seinen Éolgen im Germanischen noch so deutlich erkennen laBt,nbsp;obgleich es dort doch als lebendiges Prinzip langst erloschennbsp;ist, oder wie Verner sich ausdrückt: 'Man wird vielleicht dienbsp;Eesultate, zu denen mich meine Untersuchung geführt hat, innbsp;hohem Grad auffallend linden. Bs kann freilich sonderbarnbsp;erscheinen, daB ein in der granen Vorzeit zugrunde gegangenesnbsp;Betonungsprinzip sich noch heutigen Tages in den dentschennbsp;Verbalformen zieken gezogen, sieden gesotten, schneiden gesehnittennbsp;in seinen Eolgen spiiren laBt. Es muB frappieren, daB es dernbsp;gerinanische Konsonantismus ist, der uns den Schlüssel zurnbsp;proethnischen Akzentuation an die Hand gibt, wahrend mannbsp;diesen bisher vergebens im germanischen Yokalismus gesuchtnbsp;hat.'’ Da nun aber gegen die Ei’gebnisse der Untersuchungnbsp;nichts zu machen war, so lernte man aus ihr u. a., daB es sichnbsp;verlohne, die Yergleichung der idg. Sprachen bis in das feinstenbsp;Detail zu treiben. Schleicher hatte seinerZeit gewiB wohlnbsp;getan, der einzelnen Sprache ihr Eecht zu Avahren, aber jetztnbsp;war die Zeit gekommen, wo es galt, die Boppsche Arbeit mitnbsp;besseren Hilfsmitteln und verscharfter Methode aufs neue zunbsp;unternehmen.
In derselben Weise wie Yerners Gesetz wirkten mehrere abgesondert angestellte, aber sich zu einem Ganzen vereinigendenbsp;Ermittlungen auf dem Gebiet des Yokalismus, namlich dienbsp;Untersuchungen über das Alter des e und o, über die silben-bildenden Liquiden und Nasalen, und über die Ursprünglichkeitnbsp;der Gunastufe. Was zunachst das e und o betrifft, so war janbsp;die altere Ansicht die, daB in der Grundsprache die drei Ur-kürzen a i u vorhanden gewesen seien, woraus in den Einzel-,nbsp;sprachen die uns von der Schule her gelaulige Pünfheit a, e, o,nbsp;i, u, durch Spaltung des a-Lautes hervorgegangen sei. Eürnbsp;diese Annahme sprach nicht nur die Ansicht, daB das Sanskritnbsp;im allgemeinen den alteren Zustand beAvahrt habe, sondern auchnbsp;eine aus früheren Zeiten fortgeleitete Yorstellung von der Ein-fachheit der Urzustande des Menschengeschlechts und also auchnbsp;der Ursprache, und die Meinung, daB das «, ‘der reinste undnbsp;edelstequot; aller Yokale, notwendig den Anfang einer Entwick-lungsreihe bilden müsse. Eine solche Tradition hat groBenbsp;Macht, und ich erinnere mich noch sehr wohl, daB mir die
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Vokalismus. Palatalgesetz.
Prage des Nikodemus auf die Lippen kam, als mir zuerst das serbiscke dan 'Tag^ bekannt -vvurde, dessen a doch klarlichnbsp;aus hervorgegangen ist. Die Lehre von der Spaltung desnbsp;«'Lautes war also in den Anschauungen der Zeit fest hegründetnbsp;und wich erst wiederholten Angriffen. Die erste Yeranderungnbsp;der bestehenden Ansicht führte Curtins herhei. Man battenbsp;bis zum Jahre 1864 (in welchem Ourtius’ Aufsatz über dienbsp;Spaltung des A-Lautes im Griechischen und Lateinischen usw.nbsp;erschien, vgl. Bechtel S. 18) angenommen, daB die Spaltung innbsp;ieder der Einzelsprachen, die sie zeigt, hesonders eingetreten sei,nbsp;derart daB in Europa das Gotische auf dein alten Zustandenbsp;verblieben sei, wahrend das Griechische und Lateinische dienbsp;Neuerung erlebt batten. Nun bel aber Ourtius auf, daB dasnbsp;Gotische nicht selten da ein i bat, wo die andern europaischennbsp;Spracben ein e haben, z. B. ai. aJidm, gr. sYm, lat. ego, got. ik.nbsp;Das konnte doch unmöglicb ein Ur-i sein, sondern vielmehr einenbsp;Weiterentwicklung aus e. Damit zeigte sich denn. daB dasnbsp;Gotische in seinem i zwei alte Yokale vereinigt babe, namlicbnbsp;das reine i, z. B. in vitum 'wir wissen’, und das aus e ent-standene, und damit ergab sich wie von selbst die Yermutung,nbsp;daB das e alter sei als die Einzelsprachen oder, wie Ourtiusnbsp;sich ausdrückte, der europaischen Ursprache angeböre. Übernbsp;das o mochte Ourtius so bestimmt nicht urteilen, es ist abernbsp;klar, daB wenigstens ein gewisses o, namlicb dasjenige, welchesnbsp;lïiit einem e in einem regelmaBigen Entsprechungsverhaltnis stebtnbsp;(z. B. 6sp'/o[xai — SsSopy.a), nicht jünger gewesen sein kann alsnbsp;das e. Durch diese Arbeit von Ourtius war die Sache insofernnbsp;vereinfacht, als man an die Stelle der vielen Ursprungsstattennbsp;die eine Ursprungsstatte (die europaische Grundspracbe) gesetztnbsp;batte, aber die prinzipielle Scbwierigkeit war geblieben. Esnbsp;blieb nach wie vor sonderbar, daB das ursiirachliche a z. B. innbsp;dym ago geblieben, in cpspoi fero zu e, oxtu) octo zu o gewordennbsp;sei, obne daB sich irgendein annebmbarer Grund für die üm-farbung ermitteln lieB. Unter diesen Umstanden muBte mannbsp;notwendig auf die Erage geführt werden, ob nicht vielleicht dienbsp;Buntheit des Yokalismus, wie z. B. das Griechische sie kennt,nbsp;den alteren Zustand reprasentiere, aus dem die arische Ein-förmigkeit erst durch ZusammenflieBen vorher getrennter Yokal-föne entstanden sei, etwa wie das gotische i eine Yereinigungnbsp;Von al tem i und e aufweist. Diese Yermutung, insbesonderenbsp;die Ansicht, daB es bereits in der Ursprache ein e gegeben habe,nbsp;Wurde bestatigt und zu hoher Wahrscheinlichkeit erhoben durch
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dieEntdeckung des Palatalgesetzes, welchemehrerenGelehrten zu derselben Zeit gelungen ist (vgl. Bechtel 62). Ich verweisenbsp;besonders auf den Aufsatz ron Oollitz in Bezzenbergers Bei-tragen 3, 177 ff. In den indoiranischen (arischen) Sprachennbsp;wird die Palatalisierung eines k oft herbeiführt durch ein fol-gendes So z. B. in av, dpi- (gleich xiotc), wahrend in kaênanbsp;(gleich •TCow/i) der l-Laut geblieben ist, so in ai. citrd- 'glanzend’nbsp;neben ketü- 'Glanz’, in av. cis (gleich lat. quis), wahrend dasnbsp;ursprüngliche k des Interrogativums in ai. kd usw. hervortrittnbsp;(von WO es auf ai. kim 'was’ übertragen worden ist). Dienbsp;gleiche Erscheinung findet sich oft vor a, z. B. in ai. ca gleichnbsp;Tg que, in ai. catvaras gleich Tsaaapsi; quatuo7\ in ai. cakra- 'Bad’nbsp;gleich zóxAoc, in ai. jathdra 'Bauch’ gleich got. qipus^ in dernbsp;Keduplikation von quot;VVurzeln, welche mit k anlauten, z. B. innbsp;dem Perfektum eakara zu kar 'machen’. Wie ein Bliek auf dienbsp;angeführten Beispiele zeigt, und sich naher nachweisen laBt, istnbsp;das a, vor welchem die Palatalisierung stattfindet, ein solches,nbsp;welchem in den verwandten Sprachen ein e entspricht. Dernbsp;SchluB ist also nicht zu umgehen, daB die Yerwandlung desnbsp;/i-Lautes auf die Eechnung eben dieses e zu setzen sei. Wennnbsp;somit für eine altere Periode des Sanskrit ein e anzunehmen ist,nbsp;und also das Sanskrit in dieser Beziehung mit den europaischennbsp;Sprachen übereinstimmt, so wird das e bereits in der Ursprachenbsp;verhanden gewesen sein. — Aus diesen Anfangen hat sich dannnbsp;allmahlich (was ich hier nicht weiter verfolge) die Hypothesenbsp;entwickelt, daB in der Ursprache sich bereits vorgefunden habennbsp;dëdiu, und dann natürlich auch die Diphthongen ai ei oi,nbsp;au eu OU, nebst di éi usw. Das ist die jetzt herrschende Ansicht. Wir nehmen also jetzt nicht mehr an, daB ein a dernbsp;Ursprache sich unter unbekannten Umstanden in a e o gespaltennbsp;habe, sondern daB in einem Teil unserer Sprachen, namlich imnbsp;Arischen, Baltischen, Germanischen, Albanesischen o zu a geworden und im Arischen auch e dens'elben Weg gegangen ist.nbsp;Indem ich hinsichtlich der Einzelheiten auf Brugmanns GrundriBnbsp;verweise, gestatte ich mir noch auf einige Bemerkungen übernbsp;die Wahrscheinlichkeit des Zvisammenfaliens ursprünglich vei-schiedener Laute hinzuweisen, die ich Ourtius’ Einwendungennbsp;gegenüber in meiner Schrift über die neueste Sprachforschungnbsp;S. 30 ff. vorgetragen habe.
An die Behandlung des e und o knüpft die Entdeekung der Liquida sonans und der Nasalis sonans insofern unmittelbarnbsp;an, als auch sie von dem Staunen über UnregelmaBigkeiten im
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Liquida und Nasalis sonans.
Vokalismus ausging, und zwar zunaclist über UnregelmaBigkeiten bei dem griechiscben a. Man batte sich langst gewundert, daBnbsp;gelegentlicli im Griecbischen neben p ein a erscheint, wo mannbsp;von dem früheren Standpunkt aus e oder o erwartete. Dasnbsp;erstere ist der Fall z. B. in ixaTpaoi neben Tratéps? usw., dasnbsp;zweite z. B. in y.apSïa neben cor. Solange man von dem Ur-anbsp;ausging, konnte man nicht anders als annehmen, daB in uavpaainbsp;und y-apSi'a zurückgebliebene a vorlagen, welche wobl eigentlicbnbsp;mit dem Haufen der übrigen bis zu e und o batten gelangennbsp;sollen. Für diese Schwierigkeiten bat Ostb off das erlösendenbsp;Wort gefunden, wenn er in Paul und Braunes Beitr. 3, 52 sagt:nbsp;'Dasselbe (namlicb die bald vokaliscbe, bald konsonantiscbe Naturnbsp;des r) ist der Grund, warum in skr. pitr-bhyas, pitr-su ausnbsp;*pitr-bhyds, *pitf-sü die Stammsilbe vokaliscb mit dem r-Vokalnbsp;erscheint, gegenüber dem konsonantischen r im Dat. sing, pür-é,nbsp;Instr. pür-h. Das griecb. pa in Tra-rpa-at, mit dem man sichnbsp;so vielfach ohne Erfolg abgequalt bat, stelle icb unmittelbarnbsp;dem sanskr. r von pitr-su gleich. Mit andern Worten: icbnbsp;fasse jenes pa als eine Art griecbischen r-Yokals, als ein r, ausnbsp;welcbem sich in der zwar geschwachten, aber notwendig ihrnbsp;vokabsches Element beibehaltenden Silbe der Stimmton dernbsp;Liquida entwickeln muBte, sich aber als a entwickelte wegennbsp;der a-Farbe des griecb. p.quot;” Diese Auffassung bat sich bewahrt.nbsp;Es ist durcb die weiter scbreitende Forscbung gezeigt worden,nbsp;daB dem sonantischen r der Urzeit im Griecbischen pa ap, imnbsp;Italischen or, im Germanischen ru ur, im Baltiscben ir usw.nbsp;entspricht, und es sind durcb diese Erkenntnis viele früher an-genommene UnregelmaBigkeiten beseitigt worden. Zu der so-nantiscben Liquida trat sofort die Nasalis sonans, deren Auf-stellung Brugmann verdankt wird. Es muB auffallen, daBnbsp;die Endsilbe, welche im Altindiscben ani lautet, im Griecbischennbsp;und Lateiniscben auf verschiedene Weise vertreten ist, namlicbnbsp;bald durcb ov, om, z. B. dbharam scpepov, apvam ïiltiov equom,nbsp;bald durcb a em, z. B. ayam rjia, padam Trdöa pedem. Mancb-mal entspricht im Altindiscben auch a, z. B. nama dvopa nomen.nbsp;Immer ist das der Fall im Inlaut vor Konsonanten, z. B. innbsp;^atdm éxaxdv centum, wozu got. hund und lit. szimtas kommen.nbsp;Alle diese Inkongruenzen erklaren sich, wenn man annimmt,nbsp;daB die entsprecbende Silbe der Urzeit wesentlicb aus nasalernbsp;Masse bestand, aus der heraus sich dann in den Einzelsprachennbsp;verscbiedeneVokaleentwickelten, welche die ursprünglicbe Nasalisnbsp;teils verdrangten, teils begleiteten. Die Verscbiedenheit im
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Auslaut des Altindischen dürfte auf einer Wirkung der Analogie beruhen. Wenn man sich deutlicli machen will, in wie hohem MaBenbsp;die Lehre von der liquiden und der nasalen Sonans (die in ihrenbsp;Einzelheiten zu verfolgen hier nicht der Ort ist) die Überzeugungnbsp;von der GlesetzmaBigkeit des Lautwandels gestarkt habe, mogenbsp;man sich vergegenwartigen, wie viele a des Q-riechischen, welchenbsp;sich früher nicht erklaren lieBen, nunmehr als regelrecht erkanntnbsp;worden sind.
Die Lehre von den Sonanten führt herüber zu einer neuen Theorie der‘Vokalsteigerung^ Bs liegt auf der Hand, daBnbsp;die Sonanten oft den einfachen Vokalen entsprechen, aus wel-chen nach der aus Iiidien übernommenen Auffassung die Stei-gerungsdiphthonge entsprungen sind. So verhalt sich dochnbsp;offenbar ai. bibhrmds quot;wir tragenquot; zu bibharmi 'ich tragequot;, odernbsp;¦iTt]j.ula[x£v zu TripirATjixt ebenso wie imds iixsv zu énii sipi, dernbsp;Aorist ddrpam ISpazov zu Sspzopai daddr^ osSopza ebenso wienbsp;dricam sliuov zu IsiTcm rirëca kéXoma, ferner 'cé'cap.£v zu -(¦sfovanbsp;wie sTtsTribpsv zu TvsTtoiOa usw., oder in einer Bormel ausgedrückt;nbsp;es verhalt sich en on zu n und er or zu r wie ei oi zu i undnbsp;eu OU zu M. Wo liegt nun das Ursprüngliche, in der leichtennbsp;oder in der schweren Form? Um für die Entscheidung diesernbsp;Erage einen Anhalt zu gewinnen, zog man ein drittes, offenbarnbsp;paralleles Eormenverhaltnis hinzu. Es kann doch nicht zweifel-liaft sein, daB sich ai. dsmi und smds {sumus] ebenso zueinandernbsp;verhalten wie émi und imds und TtsTop-ai zu ÈTrxóp.Tjv 'ebenso wienbsp;ospxopai zu eSpazov. Nun schien es nicht wohl möglich, von einernbsp;Form wie s oder pt auszugehen und durch Steigerung darausnbsp;es und pet entstehen zu lassen. Also kann man auch nicht i,nbsp;sondern muB ei zugrunde legen, und entsprechend in den andernnbsp;Fallen. So ist man dazu gekommen, die indische Lehre vonnbsp;der Steigerung umdrehend, ei bheudh usw. als Wurzelformennbsp;anzusetzen, aus welchen (verinutlich unter der Einwirkung einesnbsp;folgenden Akzentes) i hJiudh usw. entstanden sei. Wie mannbsp;sieht, ist diese dritte Hypothese anderer Art als die beidennbsp;ersten. Wahrend diese nur behaupten, daB ein e o, eine Nasalisnbsp;sonans usw. in der fertigen Grundsprache verhanden gewesennbsp;sei, wird durch die neue Schwachungshypothese etwas ausgesagtnbsp;über Vorgange, welche sich in den Zeiten der ersten Ausbildungnbsp;des Indogermanischen zugetragen haben sollen. Es liegt alsonbsp;auf der Hand, daB die Formulierung nur eine vorlaufige seinnbsp;konnte. Immerhin mag auf eine Zusammenfassung in G. Meyersnbsp;Griechischer Grammatik^, 10ff. hingewiesen werden, welche so
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Ablautsreihen.
lautet; 'Diej enigen Wurzeln, welche den Ablaut e o zeigen, haben bereits in indogermaniscber Zeit in gewissen Flexions-formen und Stammbildungen, in welchen der Akzent nicht aufnbsp;der Wurzelsilbe lag, eine dritte Erscheinungsform ausgebildet,nbsp;in welcher der Wurzelvokal e infolge seiner Tonlosigkeit rer-drangt erscbeint, und welcbe man die schwache Wurzelforinnbsp;nennt:
1) nbsp;nbsp;nbsp;Wurzeln, welcbe kein sonantisches Element binter dem enbsp;entbalten, werden durcb die AusstoBung des e in der scbwacbennbsp;Form ganz vokallos:
stark pet fallen nbsp;nbsp;nbsp;scbwacb pt
es sein nbsp;nbsp;nbsp;s
2) nbsp;nbsp;nbsp;Besteht die Wurzel aus e (mit oder obne yorbergehendennbsp;Konsonanten) und einem sicb daran anschbeBenden Sonantennbsp;[i iir In m), so fungiert dieser in der scbwacben Form beimnbsp;Antritt vokaliscb anlautender Bildungselemente als Konsonant,nbsp;vor konsonantiscb anlautenden als Vokal:
scbwacb i ki
sru
bhr
mn
stark ei gehen kei liegennbsp;sreu flieBennbsp;bher tragennbsp;men gedenken
3) Besteht eine Wurzel aus e (mit oder obne Yorbergehenden Konsonanten), einem sicb daran anschbeBenden Sonanten undnbsp;einem scbbeBenden Konsonanten, so wird durcb den Ausfallnbsp;des e der Sonant Trager der Silbe:
stark deik zeigen scbwacb dik
bheugh biegen nbsp;nbsp;nbsp;bhugh
derk nbsp;nbsp;nbsp;sehennbsp;nbsp;nbsp;nbsp;drk
bhendh binden nbsp;nbsp;nbsp;bhndh.^
Wenn aus den Ergebnissen mehrerer Vokalhypotbesen eine so zusammenstimmende Reihe wie die biermit vorgeführte e-o-Beihe gewonnen werden kann, so gereicht dies Besultat natür-bcb den einzelnen sicb gegenseitig stützenden Hypothesen zunbsp;einer erwiinscbten Bestatigung. Man kann sicb ferner leicbtnbsp;vorstellen, daB die e-o-Keibe zur Aufstellung abnbcher Reiben,nbsp;und somit zu einer systematiscben Darstellung des indogerma-niscben Yokabsmus bindrangt.
Den genannten Errungenschaften im Gebiete der Vokale treten ahnbche Entdeckungen bei den Konsonanten zur Seite.nbsp;Darunter ist besonders wichtig die Lebre von den mebrerennbsp;Gutturalreiben, welcbe unter dem Zusammenwirken mehrerer
Delbrück, Einl. i. d. Stud. d. indogerm. Spracken. 4. Aufl.nbsp;8
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Forscher langsam entstanden ist. Die Ansichten Schleichers über die idg. A-Laute finde ich bei Becbtel 291 iibersichtlicbnbsp;dargestellt, wie folgt; 'In Schleichers Kompendium wird dernbsp;Ursprache eine einzige Gutturalreihe zugeschrieben, bestehendnbsp;aus den Lauten k, g, gh. Keine einzige der historischennbsp;Sprachen gleicht der Ursprache in dieser Einfachheit. Wirnbsp;linden yielmehr, daB in ihnen die reinen Gutturale k, g, ghnbsp;abwechseln mit palatalen oder labialen oder dentalen Yer-schluBlauten, oder mit Gutturalen, denen ein labialer Nach-schlag folgt; in einigen Sprachen tritt sogar der Fall ein, daBnbsp;in einer Anzahl yon Worten der gutturale VerschluBlaut einernbsp;palatalen, lingualen oder dentalen Spirans weicht. Alle diesenbsp;verschiedenartigen Artikulationen haben sich erst nach Auf-lösung der Ursprache eingestellt, veranlaBt durch Ursachen, dienbsp;noch unbekannt sind. lm Sanskrit z. B. steht neben k dernbsp;palatale VerschluBlaut c und die palatale Spirans p. Es istnbsp;also eine Spaltung des ererbten k erfolgt; das Gesetz, nachnbsp;welchem die Gutturalen teils in die Palatalen übergehen, teilsnbsp;bleiben, ist im einzelnen noch unerforscht. Die Behandlungnbsp;der entsprechenden Laute der • übrigen Sprachen geschieht innbsp;der gleichen Richtung; feststehende Voraussetzung ist die gleich-maBige Artikulation aller Gutturale der Ursprache, feststehendenbsp;Methode, die Yielheit der einzelsprachlichen Erscheinungen durchnbsp;Annahme von Spaltungen aus der Einheit abzuleiten/ Demnbsp;gegenüber laBt sich die jetzige Ansicht, welche durch die Ar-beiten von Ascoli, Fick, Collitz, J. Schmidt, Bezzenberger u. a.nbsp;gewonnen ist, folgendermaBen zusammenfassen. In der Urzeitnbsp;gab es drei Reihen von sog. Gutturalen, namlich eine palatale,nbsp;eine rein velare und eine labiovelare. Die palatale Reihe istnbsp;nur erhalten im Arischen, Armenischen, Baltisch-Slavischen,nbsp;Albanesischen, wo die betreffenden Laute als Spiranten er-scheinen, in den übrigen Sprachen aber mit der /c-Reihe zu-sammengefallen. Die Tenuis dieser Reihe ist der Laut, der imnbsp;Indischen durch das sog. palatale s (welches ich durch p um-schreibe) vertreten ist, z. B. ai. ddga, av. dasa, arm. tasn, lit.nbsp;dësximt, aksl. deseU, wogegen k in Ssxa, decem, air. deich, got.nbsp;taihun. Früher hielt man dieses p für die einzige Palatalis desnbsp;Altindischen, Ascoli bat aber gezeigt, daB die entsprechendennbsp;Laute einstmals auch auf der Stufe der Media und der Aspi-rata verhanden gewesen sein müssen, indem er nachwies, daBnbsp;das altindische sT [j] und ’^[h] je zwei frühere Laute in sichnbsp;fassen. Ein Beispiel für die ursprüngliche palatale (also in
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Von Schleicher und Curtins bis zur Gegenwart.
einem Teil der indogermanischen Sprachen spirantisclie) Media ist ai. ydjati ‘opfern' mit dem Partizipium istd-^ av. yaxaitenbsp;yavta-, ai. rjii- 'gerade\ av. erexu-, lit. rdiaus ‘recke mich'’ (womitnbsp;man die nicht palatale Media vergleiche in ai. yundjmi ‘anschir-ren^, Part, yuktd-, av. yujydti yukhta-, lit. jungiu, aksl. igo Moch^).nbsp;Ein Beispiel fiir die urspriingliche palatale Aspirata ist ai. vdhatinbsp;'fahren^ vodhdr- 'Zugtier^, av. vazaiti vastar-^ lit. vexu, aksl. vexq.nbsp;(womit man die nicht palatale Aspirata vergleiche in ai. ddhatinbsp;'hrennen’, Part, dagdhd-, lit. degii). So weit die palatale Peihe.nbsp;Die velare Reihe und die lahiovelare sind getrennt gehliehen imnbsp;Griechischen, Italischen, Keltischen, Germanischen, dagegen zu-sammengefalien in denj enigen Sprachen, welche die spirantischenbsp;Palatalreihe hahen.
In welcher Weise nun alle diese und ahnliche Erfahrungen umhildend auf die Anschauungen der Zeitgenossen wirkennbsp;muBten, ist schon wiederholt angedeutet worden. Nachdem dienbsp;Wissenschaft mit der Zulassung vieler und heliebiger Ausnahmennbsp;begonnen batte, nachdem diese durch die fortschreitende Por-schung mehr und mehr eingeschrankt worden waren, muBtenbsp;nun wohl das AperQU hervortreten, daB die Lautgesetze überhaupt keine Ausnahmen leiden, und daB die Ahweichungen,nbsp;welche bei den von uns beohachteten EegelmaBigkeiten tatsach-lich auftreten, auf die Wh’ksamkeit des andem Faktors zuruck-zuführen seien, den wir nehen der lautgesetzlichen Ent-wicklung üherall am Werke sehen, namlich der Analogie.nbsp;Diese Gesichtspunkte treten denn auch beherrschend hervor innbsp;zwei theoretischen Arbeiten, welche unabhangig voneinander innbsp;demselben Jahre (1880) erschienen, namlich den grundlegendennbsp;Prinzipien der Sprachgeschichte von H. Paul, von denen einenbsp;tiefgreifende Wirkung ausgegangen ist und immer noch aus-geht, und der ersten Auflage dieser Schrift. Als eine Artnbsp;von AbschluB der hiermit beschriebenen Periode darf dernbsp;Brugmannsche GrundriB (Karl Brugmann, GrundriB der ver-gleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen, StraB-burg bei Trubner 1886 ff.) betrachtet werden, in welchem ichnbsp;die Syntax bearbeitet habe.
Was sich seit dieser Kodifikation in der Wissenschaft be-geben hat, kann bier nur angedeutet werden. Je ausgedehnter und zugleich intensiver derBetrieb wird, um so mehr ist es natür-lich, daB gewisse Gebiete sich als etwas fiir sich Bestehendes
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Pünftes Kapitel.
von dem Glanzen absondern. So ist es mit dei’ vergleichen-den Altertumskunde gescheben, welche immer mehr mit der sog. prahistoriscben Forscbung in Fühlung tritt. leb erwahnenbsp;die Arbeiten von O. Schrader, Sprachvergleiebung und Ur-geschichte, 2. Aufl. Jena 1890, und Reallexikon der indogerma-niseben Altertumskunde, StraBburg 1901. Derselbe Glelebrtenbsp;bat das unvergleicbliche Werk von V. Hehn über Kultur-pflanzen und Haustiere neu herausgegeben: Kulturpflanzen undnbsp;Haustiere in ihrem Übergang nacb Griechenland und Italiennbsp;sowie in das übrige Europa, 6. Aufl., neu herausgegeben vonnbsp;O. Schrader mit botanischen Beitragen von A. Engler, Berlinnbsp;1894. In Zusammenbang damit mag aucb eine historiseb-kri-tische Studie meines früh verstorbenen Freundes P. v. Bradkenbsp;angeführt werden (Über Methode und Ergebnisse der arisebennbsp;Altertumswissenschaft, GieBen 1890), dem Thurneysen in dennbsp;Jabresberichten über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft 103, 54—62 einen Nacbruf gewidmet bat. In dasnbsp;Gebiet der vergleiebenden Bechtsgeschichte fallen die Arbeitennbsp;von B. W. Leist: Grakoitaliscbe Recbtsgescbichte, Jena 1884,nbsp;Altarisches jus gentium 1889, jus civile 1892 und 1896, wobeinbsp;aucb auf meine Abhandlung über die indogermaniseben Yer-wandtsebaftsnamen, Leipzig 1889 (in den Abbandlungen dernbsp;sachsiseben Gesellscbaft der Wissenschaften, Bd. XI) binge-wiesen sein mag. Aber aucb wenn man die Altertumskundenbsp;und zugleieb die vergleichende Mythologie, die ja aucb auf dem-selben Boden gewacbsen ist, abzieht, bleibt die Fülle der er-scheinenden Bücber und Aufsatze für einen einzelnen kauninbsp;mehr übersebbar. Man kann sieb einen Begriff von der nienbsp;rubenden Arbeit maeben, wenn man die hauptsachliebsten Zeit-schriften verfolgt, namlich die im Jabre 1852 von Th. Aufreebtnbsp;und A. Kuhn begründete, dann von E. Kubn und J. Schmidt,nbsp;jetzt von dem erstgenannten und W. Schulze herausgegebenenbsp;Zeitschrift für vergleichende Spraebforsebung, Berlin und spaternbsp;Güterslob; dieBeitrage zurKunde der indogermanisebenSpraeben,nbsp;herausgegeben von A. Bezzenberger und W. Prellwitz, Gottingen;nbsp;die indogermaniseben Forschungen, Zeitschrift für idg. Sprach-und Altertumskunde, herausgegeben von K. Brugmann undnbsp;W. Streitberg, StraBburg, ausgezeichnet dureb höchst wertvollenbsp;Jahresübersichten, in denen die Literatur in groBer Vollstandig-keit verzeichnet ist. Die französischen Gelehrten baben einennbsp;Mittelpunkt in den auf Bréals Anregung ins Leben gerufenennbsp;Mémoires de la société de linguistique de Paris, unter deren
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Neuere Ansichten üher den Ablaut.
Beitragen ich die von MeiUet hervorliebe. Dazu kommen die vielenFachjournale der G-ermanisten, Slavisten, Komanisten, undnbsp;die allgemein philologischen Zeitschriften, z. B. das Americannbsp;Journal of Philology, mit mancherlei wichtigen Arbeiten, z. B.nbsp;der von M. Bloomfield On assimilation and adaptation innbsp;congeneric classes of words (16, 409 ff,).
Die Arbeiten und Bestrebungen der genannten Gelebrten sind vielseitig und verscbiedenartig. Als auffallende Besonderheitnbsp;gegenüber früberen Epochen laBt sicb vielleicht bezeicbnen, daBnbsp;man denWirkungen des Akzents mit erhöhter Sorgfalt nacb-gebt. Unter dieses Kapitel fallt auch die neuere Theorie desnbsp;Ablauts, über welche zur Erganzung des oben S. 112ff. Ge-sagten bier einiges beigebracbt werden moge. Der Kunstausdrucknbsp;‘AblauP ist bekanntlicb zunachst auf dem germanischen Gebietnbsp;aufgekommen, wo er ein Verhaltnis zwiscben den Vokalen gewisser Ponnen eines Verbums bezeichnet, welche zusammen — umnbsp;denlateiniscbenAusdruckzugebrauchen - das a verbo ausmacben,nbsp;z. B. got. nima mmi némum numans, nhd. nekme nahin nahmennbsp;genommen. Man debnte den Ausdruck aber auch auf das Verhaltnis zwiscben Verbal- und Nominalbildungen aus, so daB alsonbsp;z. B. nicht bloB er stahl, sondern auch stahl in Diebstakl zunbsp;stehlen im Ablautsverbaltnis steht. Bald erkannte man, daBnbsp;das Verhaltnis nicht ein germaniscbes, sondern ein indogerma-niscbes ist, und es ist oben S. 113 gezeigt worden, wie sicb unternbsp;diesem Gesicbtspunkt die Eormenverbaltnisse indogermanischernbsp;e-Wurzeln gestalten, z. B. in griecblscber Gestalt Sépzoirainbsp;oéoopy.a eBpazov, ttsiamp;u) Ttsjtoiba TrcTtiSfjou) u. a. Dabei ist schonnbsp;darauf hingewiesen worden, daB, entgegen der lange auch vonnbsp;uns gehegten Ansicht der indischen Grammatiker, nicht vonnbsp;der leicbten, sondern von der schweren Vokalstufe auszugebennbsp;ist, also z. B. nicht von einer Wurzel ^, sondern von ei ‘gehen^,nbsp;und daB die leicbten Silben unter Einwirkung oder doch Mit-wirkung des Akzents aus starken entstanden sind, also z. B.nbsp;*imés ‘wir gehen'’ aus *eimés. Was dort an den e-Wurzelnnbsp;dargestellt worden ist, ist nun allmablicb auch an andern Wurzel-und Ableitungssilben beobacbtet worden, wobei sicb besondersnbsp;Saussure, Pick, Hübschmann, Hirt (Der indogermaniscbe Ablaut, StraBburg 1900) Verdienste erworben haben. Ich zeigenbsp;an einigen Beispielen, in welcber Bichtung sicb diese Unter-suchungen bewegen. Es ist klar, daB zwiscben Ti'örjp.i und Oexo'?nbsp;ein abnlicbes Verhaltnis besteht, wie zwiscben cpsu'ctu und cpuzto?.nbsp;Eun heiBt es aber auch imAi. dddhami{rilt;)r^g'.),hitasnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;dhitis
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Fünftes Kapitel.
(in Kompositis) 9soi;, das Vokalverhaltnis ist also proethnisch. Das gleiche zeigt sich, wenn man ai. dsthat ea-rrj, sfhitds axaTd?,nbsp;sfhUis araaic, dddami diêiufj-i, dttas (Partiz. zu a-da, wobei -tta-aus d^M- entstanden ist) zusammenstellt. Es ergibt sich ausnbsp;diesen und abnlicben Beispielen, daB dem indogermaniscben enbsp;ö a ein reduzierter Vokal entspricht, der im Ai. ^ lautet odernbsp;ganz verschwindet, im Griecb. a, s, o, auBerhalb des Verbal-verbandes aber a, wie ai, pitdr- irari^p beweist. Auch sieht mannbsp;schon, daB bei manchen Formen der Akzent als Ursache dernbsp;Reduzierung in Anspruch genommen werden kann, bei andernnbsp;wie ösoi? freilicb nicht, wo dann durch die Annahme geholfennbsp;wird, daB der Akzent von seiner ursprünglichen Stelle verrücktnbsp;worden sei. Ein ahnlicbes Verhaltnis, wie zwischen dsthat undnbsp;sthitds bietet sich dar, wenn man dpat 'er bat getrunken^ mitnbsp;pltds vergleicbt. Nimmt man ai. payin- 'trinkend’, gr. TisTiOixanbsp;mamp;i, hinzu, so kommt man zu der Vermutung, daB die Wurzelnbsp;pöi lautete, also das i eine Reduktion Ton öi darstellt, undnbsp;Analoges wird in bezug auf quot;Wurzeln mit ëi, ëu, ou angenommen.nbsp;Von besonderer Wichtigkeit ist das Ergebnis einer Yergleichungnbsp;folgender im Altindischen auftretender Reihen. Es steken neben-einander der Infintiv ëtavë 'gehen' und das Partizipium üds^nbsp;ebenso sétavë 'pressen’ und sutds, ydüti 'er verbindet’ und yutds,nbsp;Icdrtum 'machen’ und kr;tds, lidntum 'erschlagen und hatds.nbsp;Dagegen ndyitum 'führen’ (haufiger allerdings netum) und nitds^nbsp;bhdvitum 'werden’ und bhütds, brdvlti 'er spricht’ und das Medium hrüte^ garisyati 'er wird verschlingen’ und glrnds^ jarimhnbsp;'Alter’ und jlrnds 'alt, abgenutzt’, stdritavë 'hinstreuen’ undnbsp;stirnds, pdrima 'Fülle’ und jmrnds^ khdnitum 'graben’ und khatds,nbsp;vdmiti 'speien’ und vqtds. Es findet sich also stets da auf dernbsp;einen Seite ein langer Vokal, wo auf der andern Seite hinternbsp;der Wurzelsilbe ein i steht. Dieses Zusammentreffen kann, danbsp;es sich um eine nicht geringe Anzahl von Belegen handeltnbsp;(vgl. Hirt S. 43), nicht zufallig sein. Das i kann nicht einnbsp;'Bindevokal’ sein, sondern muB, wie schon Saussure schloB, dernbsp;Wurzel angehören. Man darf also, wenn man zunachst dienbsp;altindischen Laute beibehalt, schlieBen, daB ayi zu ï, avi zu ü,nbsp;ari zu ïr, ani zu d reduziert wird. Gelegentlich erscheinennbsp;allerdings, worauf hier nicht eingegangen werden soil, auchnbsp;abweichende Gestaltungen, namlich langes ï neben dem kurzen,nbsp;dm neben a, doch wird dadurch das Hauptergebnis nicht beein-trachtigt. Nun darf man aber natürlich bei der altindischennbsp;Formulierung nicht stehen bleiben, sondern muB, wie die Heran-
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Grammatiken der Einzelspracken.
ziehung der verwandten Sprachen lehren würde, die Erscheinung in die Urzeit versetzen. Es würden sich also für diese Zeit zwei-silbige Wurzeln ergeben, deren zweite Silbe aus dena reduziertennbsp;Vokal bestebt, den man dui'cb ein umgekehrtes e, also durch anbsp;zu bezeicbnen pflegt, also z. B. hJievd an Stelle des altindischennbsp;hhavi. Aber aucb hinter dieser Gestalt laBt sich eine noch alterenbsp;erschlieBen. Denn da sich gezeigt hat, daB der Beduktionsvokal anbsp;stets auf einen langen Urvokal zurückgeht, so wilrde sich fürnbsp;unsern Fall als noch altere Form bheua ergeben. Es ist indessennbsp;hier nicht meine Aufgabe, in die Einzelheiten der weitverzweigtennbsp;und naturgemaB zum Teil unsicheren Hypothesen einzugehen,nbsp;und es ist auch nicht erforderlich, da ich auf eine kurze neuerenbsp;Darstellung von Brugmann (KVG 138 f£.) yerweisen kann.
Dagegen dürfte es nützlich sein, wenn ich auf diese Aus-führungen allgemeinerer Art noch die Angabe einiger Werke folgen lasse, welche Einzelsprachen vom vergleichendennbsp;Standpunkt aus behandeln, wobei ich mich aber dem Zwecknbsp;dieser Schrift gemaB auf Altindisch, Griechisch, Italisch, Ger-manisch beschranke, übrigens noch bemerken will, daB beinbsp;Trübner in StraBburg höchst wertyolle Grundrisse erschienennbsp;sind oder erscheinen, welche die Gesamtleistungen der einzelnennbsp;Fhilologien zusammenfassen und daher auch die grammatischenbsp;Seite berühren, so der GrundriB der germanischen Philologienbsp;yon Paul, der indoarischen yon Bühler und nach dessen Todenbsp;yon Kielhorn, der iranischen yon W. Geiger und E. Kuhn.nbsp;Für das Altindische besitzen wir eine yollstandige Grammatiknbsp;yon der hier in Frage stehenden Art noch nicht, doch ist vonnbsp;Wackernagel mit dem ersten Bande seiner altindischen Grammatik, welcher die Lautlehre enthalt (Gottingen 1896), ein yiel-versprechender Anfang gemacht worden. Innerhalb des Grie-chischen hat G. Meyer, dem wir auch die sprachwissenschaft-liche ErschheBung des Albanesischen verdanken (vgl. über ihnnbsp;I F. Anz. 12, 141 ff.), im Jahre 1880 die erste linguistischenbsp;Grammatik geliefert (Leipzig, bei Breitkopf amp; Hartel), welchernbsp;jetzt die viel stoffreichere, auch die Syntax umfassende vonnbsp;Brugmann gefolgt ist (K. Brugmann, Griechische Grammatik,nbsp;dritte Aufl. München 1900, in dem Handbuch der klassischennbsp;Altertumswissenschaft von J. v. Müller), dazu jetzt die kürzerenbsp;und leichtere Darstellung von Hirt; Handbuch der griechischennbsp;Laut- und Formenlehre, Heidelberg 1902. Aus der reichennbsp;Literatur über griechische Dialekte erwahne ich Hoffmann,nbsp;Die griechischen Dialekte in ihrem historischen Zusammenhange
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Fünftes Kapitel.
mit den wichtigsten ihrer Quellen, G-öttingen 1891—1898, und für den wichtigsten Kunstdialekt, den homerischen: W. Schulzenbsp;quaestiones epicae, G-ütersloh 1892, woran sich Solmsen mitnbsp;seinen Untersuchungen zur griechischen Laut- und Verslehre,nbsp;StraBhurg 1901, weiterbauend anschlieBt. Das gesamte Gehietnbsp;des Griechischen berühren zahlreiche wichtige Aufsatze vonnbsp;Wackernagel, unter denen die Vermischten Beitrage zur griechischen Sprachkunde, Basel 1897, hervorgehohen seien. Aufnbsp;dem italischen Gebiet liegt vor: Die lateinische Sprache, ihrenbsp;Laute, Stamme und Flexionen in sprachgeschichtlicher Dar-stellung von W. M. Lindsay, ühersetzt von H. Nohl, Leipzignbsp;1897; ferner die lateinische Laut- und Formenlehre von F. Stolznbsp;mit der Syntax von Schmalz, zweite Aufl. München 1900 (innbsp;I. V. Müllers Handbuch); das faBliche, zur Einführung be-sonders geeignete Handbuch der lateinischen Laut- und Foi-men-lehre von Sommer, Heidelberg 1902; endlich die kurzgefaBtenbsp;Latin grammar von W. G. Hale und O. D. Buck, Boston 1903,nbsp;in der sowohl die Laut- und Formenlehre als die Syntax nachnbsp;sprachwissenschaftlichen Grundsatzen bearbeitet sind. Für dienbsp;italischen Dialekte ist in hervorragender Weise gesorgt durchnbsp;V. Planta, Grammatik der oskisch-umbrischen Dialekte, StraB-burg 1892 und 1897, und das kurze Handbuch von O. D. Buck:nbsp;A grammar of Oscan andUmbrian, Boston 1904. Die lateinischennbsp;Etymologien in dem im Erscheinen begriffenen Thesaurus sindnbsp;von Thurneysen bearbeitet, der über sein Yerfahren in einemnbsp;lehrreichen Aufsatz in WölfElins Archiv für lateinische Lexiko-graphie und Grammatik (13, Iff.) Auskunft gibt. Das Germa-nische ist auBer durch die Beitrage von Kluge, Behaghel,nbsp;Koreen in Pauls GrundriB vertreten durch Streitberg Urgerma-nische Grammatik, Heidelberg 1896, und eine Anzahl von Dar-stellungen einzelner Dialekte, aus denen ich die Altislandischenbsp;Grammatik von A. Noreen, dritte Aufl. Halle 1903, die in dem-selben Yerlage (Max Hiemeyer) erschienene althochdeutschenbsp;von W. Braune, zweite Aufl. 1891, und die ausführlichere, zurnbsp;Einführung besonders geeignete, bis jetzt die Laut- undWort-bildungslehre umfassende deutsche Grammatik vonW. Wilmanns,nbsp;zweite Aufl. StraBburg 1897 ff., hervorhebe.
Zum SchluB ist noch zu berichten, daB eine zusammen-fassende Erwagung der die Sprachvergleichung beschaftigenden theoretischen Fragen durch Wundt stattgefunden hat in dessennbsp;Völkerpsychologie erster Band, Leipzig 1900 (soeben in zweiternbsp;Auflage erschienen). Ich habe mich dazu geauBert in meinen
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Von Schleiolier und Curtins bis zur Gegenwart.
Grundfragen der SpracMorschung, StraBburg 1901, denen eine Auseinandersetzung von Wundt, Spracbgeschichte und Sprach-psycbologie, Leipzig, in demselben Jahre gefolgt ist. Ich gehenbsp;bier auf diese Pragen nicht naher ein, da sie nur in einemnbsp;weiteren Zusammenhang erörtert werden können, will aber nichtnbsp;versaumen, auf SütterlinsWesen der sprachlichen Gebilde (Heidelberg 1902) hinzuweisen, das ebenfalls durch Wundts Yölker-psychologie hervorgerufen ist.
Alle genannten neueren Arbeiten und Bestrebungen haben, soweit es der Plan des Werkes zulieB, Beriicksichtigung ge-funden in Brugmanns oft erwahnter kurzer vergleichendernbsp;Grammatik, StraBburg 1904, welche auch die Syntax mit behandelt.
Als einen iiberall hervortretenden Zug der neuesten Sprach-forschung darf man das sich immer steigernde Bestreben betrachten, den Anforderungen der vergleichenden Sprachwissenschaft und der besonderen Philologien in gleicher Weise gerecht zu werden. Es ist klar, daB eine solche Durchdringung demnbsp;einzelnen Porscher immer nur bis zu einem gewissen Gradenbsp;gelingen kann, aber ebenso, daB von der möglichsten Annaherungnbsp;an dieses Ziel jeder gesunde Fortschritt in erster Linie ab-hangig ist.
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In den bisherigen Kapitein ist dargestellt worden, wie sich die grammatischen Anschauungen der Gegenwart in langemnbsp;und mühsamem Eingen mit den gegebenen Tatsachen allmahlichnbsp;entwickelt haben. Jetzt ist es an der Zeit, diese Ansichten innbsp;einem zusammenhangenden Gesamtbilde zu vereinigen und dienbsp;einzelnen Behauptungen zu prüfen. Es handelt sich aber dabei,nbsp;wie wiederholt bemerkt werden mag, nicht um alle Probleme dernbsp;Sprachforschung, sondern nur um diejenigen, welche bei demnbsp;Betriebe der indogermanischen vergleichenden Sprachwissenschaftnbsp;in der jetzt üblichen technischen Bedeutung dieses Ausdrucksnbsp;eine hervorragende Bolle spielen.
1. Die ürsprache.
Ich gehe von demjenigen Ergebnis der vergleichenden Sprachforschung aus, dessen tatsachhche Bichtigkeit nicht bezweifelt wird und nicht bezweifelt werden kann. Es ist durch Boppnbsp;und andere erwiesen worden, daB die sog. indogermanischennbsp;Sprachen verwandt sind. In diesem Satze soil das Wort Ver-wandt^ ahnhch verstanden werden, wie wir es in bezug aufnbsp;menschliche Eamilien anwenden. Wie Menschen als verwandtnbsp;bezeichnet werden, welche ihren Ursprung von einem und dem-selben Paare genommen haben, so heiBen diejenigen Sprachennbsp;verwandt, welche auf eine ürsprache zurückgehen. Es wirdnbsp;also behauptet, daB (um nur diejenigen Hauptsprachen anzu-führen, von denen nennenswerté Beste verhanden sind) dasnbsp;Indische, Iranische, Armenische, Griechische, Albanesische,nbsp;Italische, Keltische, Germanische, Baltische, Slavische einst einenbsp;einzige Sprache darstellten. Der Beweis ist geliefert worden
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Die Urspraohe.
durch die Nebeneinanderstellung gleichbedeutender Wörter und Pormen. Wenn man erwagt, daB in den genannten Spracbennbsp;das Geriist der Flexionsformen des Verbums, des Nomens undnbsp;Pronomens im -wesentlicben iibereinstimmt, und ebenso auBer-ordentlicb viele flektierbare und nicbt flektierbare Wörter innbsp;ibrem stammbaften Bestandteile, so muB die Annabme einernbsp;zufalligen Ubereinstimmung absurd erscbeinen. Die Ansicbt,nbsp;daB eine idg. Urspracbe^) verbanden gewesen sei. welcbe 'viel-leicbt’ nicbt mebr existiere, ist, wie wir oben S. 37 saben, scbonnbsp;von Jones ausgesprocben worden. Sie ist seitdem, vrenn aucbnbsp;gelegentlicb verdunkelt, immer festgebalten, in besonderer Ent-scbiedenbeit und Klarbeit aber von August Scbleicber ausgesprocben worden, der als der erste den Versucb macbte, dienbsp;Urspracbe zu rekonstruieren. Wie es dabei zuging, mag unternbsp;Verweisung auf die allgemeine Ausfübrung S. 93 hier an einemnbsp;Beispiel gezeigt werden. lm Sanskrit beiBt das Feld djras, imnbsp;Griecbischen dypoc, im Lateiniscben ager\ im Gotiscben akrs.nbsp;Nun weiB man, daB im Gotiscben k aus g bervorgegangen undnbsp;vor dem s ein a verloren worden ist, so ergibt sicb aus demnbsp;Gotiscben die Urform agras; ferner weiB man, daB das grie-chiscbe o aus a herzuleiten ist, und kommt also ebenfalls aufnbsp;agras, und so bei jeder Einzelspracbe. Somit darf agras alsnbsp;Urform betrachtet werden. Ein gleiches Verfabren laBt dennbsp;Akkusativ agram, den Genitiv agrasya usw. erschlieBen. Ausnbsp;diesen Beispielen laBt sicb der subjektive Beisatz in dem Verfabren deutlicb erkennen. Scbleicber nahm an (man kann ricb-tiger sagen; glaubte zu wissen), daB in der Urspracbe e und onbsp;noch nicbt als besondere Vokale, sondern erst sozusagen imnbsp;ScboBe des a verhanden gewesen seien. Er setzte also dennbsp;Vokativausgang nicht auf e, sondern auf a, den Nominativaus-gang nicht auf os, sondern auf as an. Ferner nahm er nurnbsp;eine einbeitliche A;-Ileihe an und vereinigte also j und y zunbsp;urspracblicbem g. Jetzt sind wir anderer Ansicbt. Wir lassennbsp;den urspracblicben Yokativ auf e, den Nominativ auf os aus-gehen und betrachten das j und y als Fortsetzer einer idg.nbsp;Media der palatalen Eeihe, so daB wir die Urform nicht mebrnbsp;als agras, sondern als agros ansetzen. Um die gegenwartigennbsp;Ansichten noch deutlicher zu veranschaulichen, führe ichnbsp;noch einige Formen an, die Brugmann in KVG. konstruiert.nbsp;Das Wort für 'MutteF lautet ai. matdr- (Nom. nidta), arm.
1) Ygl. Kretsolimer, Einleitung in die Geschichte der griecMscbe Sprache S. Iff. H. Oertel 87ff., Zupitza KZ. 37,387ff.
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Seclistes Kapitel.
mair, dor. [xaTrjp, lat. mater, air. mathir, ahd. muoter, lit. moté ('Eheweib, Weib’), aksl. mati. Darans folgt ein uridg.nbsp;Nom. Sing. *matèr oder *maté. Zu diesem 'oder'’ bemerktnbsp;Brugmann, daB im Urindogermaniscben, wie es scbeint, unternbsp;gewissen Umstanden binter einem langen Vokal eine Nasalisnbsp;oder Liquida abfiel. Es ist also *maté aus *matèr entstanden.nbsp;Der Vokativ bieB *mater, der Akkusativ ^matérm, der Dativnbsp;*matral, der Lokalis *matéri oder *matri, wobei angenommennbsp;wird, daB *maté7'i die altere Eorm war, *matrl aber nacb dernbsp;Analogie von '^matrai usw. gebildet wurde. Der Genitiv battenbsp;im Indogermaniscben je nacb dem Endlaut des Nominal-stammes zwei verscbiedene Ausgange. War der Endlaut einnbsp;Konsonant, so war die Kasusendung os, bzw. es (wobei sicbnbsp;die Abtönung derVokale irgendwie nacb dem Wortakzent rich-tete), war er ein Vokal, so war die Endung s. Bei unsermnbsp;Worte, dessen Stamm auf einen Laut endigt, der sowobl kon-sonantiscb wie sonantiscb sein kann, war beides möglicb. Aufnbsp;-os deutet gr. [xarpd:;, auf es lat. matris, auf s ai. matür, dasnbsp;auf *niatrë zurückgebt. Demnacb stellt Brugmann als Urformennbsp;*7natr6s, *matrés und *mdtrs auf. Dabei verstebt sicb, daB dernbsp;Wecbsel zwiscben o und e nicbt auf Akzentwecbsel bei dem-selben Wort, sondern auf die Einwirkung anderer Verwandt-scbaftsnamen zuriickzufübren ist, und es ist wahrscbeinlicb, daBnbsp;aucb die doppelte Auffassung des r nicbt von Anfang an danbsp;war, sondern der Einwirkung anderer Kasus verdankt wird.nbsp;Der Indikativ des Prasens des Verbums ai. hhdrami, arm. herem,nbsp;gr. cpspu), lat. fero, air. berim, got. baira, aksl. bera beiBt, lautetenbsp;indogermaniscb nacb Brugmann *bhérö, *bhéresi, *bhéreU [beinbsp;Scbleicber *bharami, *bharasi, *bharati], *bhéromes{i) odernbsp;*bhéromos[i) [bei Scbleicber *bhara7nasi], *bhérete (vielleicbtnbsp;*bhérethe), bhéronti, und im Dual *bhéroues, *bhéretes (vielleicbtnbsp;*bhérethes), *bhéretes. Die Möglicbkeit ist nicbt zu bestreiten,nbsp;daB die gleicben Eormen nacb Verlauf einiger Zeit wieder einnbsp;anderes Ausseben baben werden, und es ist also klar, daB dienbsp;Urformen (wie icb es scbon 1880 ausgedrückt babe) nicbtsnbsp;anderes darstellen als ‘einen formelbaften Ausdruck für dienbsp;wechselnden Ansichten der Gelebrten über den ümfang undnbsp;die Beschaffenbeit des spracblicben Materials, welcbes die Einzel-spracben aus der Gesamtspracbe mitgebracbt baben. Die Urformen bringen also — wie sicb von selbst verstebt — unserernbsp;Erkenntnis keinen neuen Stoff zu, sie zeigen nur unsere Behand-lung des in den Einzelsprachen Gegebenen.
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Die Ursprache.
Durch die vorstehenden Erörterungen ist zugleicL. der Stoff zur Beantwortung der Frage gegeben, ob die so konstruiertennbsp;Urformen zusammen einen bestimmten historischen Durch-scbnitt der Ursprache ergeben. Es ist anzunebmen, daBnbsp;Schleicher diese Frage, die man sich im Anfang nicht in vollernbsp;Scharfe und Deutlichkeit vorgelegt hat, mit ja beantwortet habennbsp;¦wiirde. Das folgt schon daraus, daB er sich gelegentlich dennbsp;Scherz gestattete, eine Fabel in indogermanischer Ursprachenbsp;unter der Uberschrift avis akvasas lea 'das Schaf und die Pferde^nbsp;zu verfassen. Bald aber erkannte man, daB das nicht der Fallnbsp;sei. Schon 1872 auBerte sich J. Schmidt, 'Verwandtschaftsver-haltnisse'’ S. 30, wie folgt: 'Sobald wir eine gröBere oder geringere Zahl von Grundformen zusammenstellen und meinen,nbsp;damit ein Stiick der Ursprache, sei es so groB oder so kleinnbsp;es will, aus einer und derselhen Zeit gewonnen zu haben,nbsp;schwindet uns aller Boden unter den FüBen. Die Grundformennbsp;können in ganz verschiedener Zeit entstanden sein, und wirnbsp;haben gar keine Biirgschaft dafiir, daB die Grundform Anbsp;noch unverandert war, als B entstand, daB die zugleich ent-standenen C und D auch gleich lange unverandert gebhebennbsp;sind, usf. Wenn wir also einen zusammenhangenden Satz innbsp;der Ursprache schreiben wollen, kann es leicht geschehen, daBnbsp;er, wenn auch jedes Element desselben fur sich richtig rekon-struiert ist, als Ganzes dennoch nicht besser dasteht als dienbsp;Ubersetzung eines Verses der Evangeliën, deren einzelne Wortenbsp;teils aus Ulfilas’, teils aus des sog. Tatians, teils aus Luthersnbsp;Uhersetzungen entnommen waren.’ Diese Kritik richtet sichnbsp;gegen Schleicher, in dessen Konstruktionen noch ein anderes,nbsp;oben S. 94 in der Kiirze erwahntes Element enthalten ist, in-sofern ihm eine Urform nicht das reine Ergebnis der Verglei-chung der vorhandenen Sprachen ist, sondern auch unternbsp;Umstanden noch eine Hypothese über den Ursprung der gram-matischen Formen enthalt, so daB er z. B. die zweite Personnbsp;Pluralis nicht als *bharata (bzw. *hharatha) aufstellte, wozunbsp;ihn die reine Vergleichung der Einzelsprachen gefiihrt habennbsp;wiirde, sondern als *h}iaratasi, wobei er in tasi das doppeltnbsp;gesetzte Pronomen der zweiten Person erblickt. Aber auchnbsp;gegenuber dem jetzigen Verfahren, bei dem die Urform dasnbsp;reine Produkt der Vergleichung ist, hat die eben angefuhrtenbsp;Kritik noch eine Berechtigung. Wir haben gesehen, daB idg.nbsp;*matè unter gewissen nicht naher bekannten Umstanden ausnbsp;*TOafir entstanden ist, und ebenso, daB *makri neben ^matéri nach
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Sechstea Kapitel.
Analogie anderer Kasus gebildet wurde: natiirlich kann man nicht mit Bestimmtheit sagen, ob *matrl schon zu den Zeitennbsp;von *matre bestand oder nicht, und so in ahnlichen Fallen.nbsp;Man kommt also bei der Bekonstruktion der Ursprache in einenbsp;ahnliche Schwierigkeit, wie bei der Bekonstruktion des homeri-schen Textes, wo man zweifelhaft sein kann, ob man /tjSu?nbsp;schreiben darf oder /aSu? schreiben muB. Aber atich nachnbsp;einer andern Bichtung hin ist Aorsicht notwendig. Man hatnbsp;schon friih bemerkt, daB gelegentlich bei offenbar identischennbsp;Wörtern zwei Formen verhanden sind, deren Abweichung wohlnbsp;auf Dialektverschiedenheit zurückgeführt werden muB, z. B. beinbsp;griech. ^svuc, got. kinnus, aber ai. hdnus, von denen die beidennbsp;ersteren auf eine ursprüngliche media weisen, das letztere abernbsp;auf eine ursprüngliche media aspirata. Solcher dialektischernbsp;Verschiedenheiten können ziemlich viele vorhanden gewesen sein.nbsp;Es ist unter diesen Umstanden richtig, unter der Ursprachenbsp;nichts anderes zu verstehen, als eine Summe von Urformen,nbsp;welche vielleicht nicht alle unter den gleichen zeitlichen undnbsp;raumlichen Bedingungen stehen. SchlieBlich ist noch eine Er-wagung zu nennen, welche bei ErschlieBung von Urformen imnbsp;allgemeinen zur Vorsicht mahnt. Ich meine die Tatsache, daBnbsp;sich bei der durchgreifenden Wesensgleichheit der indogerma-nischen Sprachen oft nicht sagen laBt, ob ,_eine Grleichheitnbsp;aus proethnischer Zeit stammt oder auf der Ubereinstimmungnbsp;von ethnischen Bildungen beruht, welche sich aus der Gleich-heit der Bildungsgesetze erklart. Bin gutes Beispiel liefemnbsp;die sog. produktiven Suffixe. DaB ai. sdrvas und gr. Slo? (ausnbsp;oXfoi) dasselbe Urwort darstellen, ist darum unzweifelhaft, weilnbsp;in den Einzelsprachen vo kein produktives Suffix mehr ist, da-gegen laBt sich nicht sagen, ob die beiden Glieder der Glei-chung sarvatat-oXóxrfi nicht unabhangig voneinander in dennbsp;Einzels|)rachen entstanden sind, Ebenso verhalt es sich z. B.nbsp;mit pitd-'izmrip-pater einerseits wad pitryas-r^atpioi-patrius anderer-seits. Man wendet jetzt, um in der angegebenen Bichtungnbsp;scharf zu scheiden, die Kunstausdriicke ‘^urindogermanisch^’ einerseits und 'gemeinindogermanisch'* andererseits an, den letzteren,nbsp;um auszudrücken, daB man die Verantwortung fur die Behaup-tung des Vorhandenseins in der Urzeit nicht übernehmen will.nbsp;Ebenso spricht man von 'urgermaniscU, quot;gemeingermanisch’ usf.
Es liegt unter den angefuhrten Umstanden nahe, zu fragen, ob man nicht besser tun würde, wenn man auf die Konstruk-tion von Urformen überhaupt verzichtete. Ich möchte das nicht
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Die Entstehung der Flexion.
empfehlen. Deiin diese Formen bieten in doppelter Hinsicht einen erheblichen Vorteil. Zunachst sind sie bequeme und an-schaulicbe Formelausdrücke fiir Behauptungen, die sichinWor-ten nicbt ohne Umstandlichkeit ausdriicken lieBen, und sodannnbsp;wirkt, wie ich es 1880 ausgedriickt babe, der Zwang, Grund-formen aufzustellen, als Antrieb fiir den Forscher, sich stets dienbsp;Frage vorzulegen, ob die Forna, um die es sicb gerade handelt,nbsp;als Urbildung oder Neubildung zu betrachten sei, und sichnbsp;überhaupt nicht Yor der yölligen Bewaltigung aller lautlichennbsp;und sonstigen Schwierigkeiten zu beruhigen.
2. Die Entstehung der Flexion.
Von der konstruierten Ursprache wenden wir unsem Bliek rückwarts und Yorwarts, rückwarts zu der Entstehung dernbsp;Flexion, Yorwarts zu der Zerteilung der Grundsprachenbsp;in die Einzelsprachen. Indem ich mich zunachst dem ersterennbsp;Gebiet zuwende, habe ich zuerst und hauptsachlich von dernbsp;Boppschen Hypothese zu sprechen. Die Boppsche Zusammen-setzungs- oder, wie seine Gegner sagten, Agglutinationstheorie,nbsp;uber welche oben S. 61 ff. berichtet worden ist, fand bei den Zeit-genossen, die ja durchaus auf sie Yorbereitet waren, viel Beifall,nbsp;und zwar nicht bloB in bezug auf die Flexionsendungen desnbsp;Nomens und Verbums, sondern auch in bezug auf die Tempus-und Modusbildungen. So auBerte sich z. B. W. v. Humboldt,nbsp;der ungern eine unbedingte Meinung aussprach, in bezug aufnbsp;Futurum, Aorist und Optatiy folgendermaBen: ‘Bopp hat zuerstnbsp;mit groBem Scharfsinn und unbestreitbarer GewiBheit das erstenbsp;Futurum und eine der Formationen des yielförmigen Augment-prateritums als zusammengesetzt aus einem Stammwort undnbsp;dem Verbum as nachgewiesen. Haughton glaubt auf gleichnbsp;sinnreiche Weise in dem ya der Passiva das Verbum gehen ^nbsp;Oder ya zu entdecken’ usw. (Einleitung S. 266). Auch dienbsp;Hauptvertreter der zweiten Periode der Sprachvergleichung,nbsp;Schleicher und Georg Curtius, stimmten im wesentlichen zu. Vonnbsp;dem letzteren ist namentlich zu erwahnen, dafi er in einer Ab-handlung 'Zur Chronologie der indogermanischen Sprachfor-schung'i) (Abh. der Königl. Sachs. Ges. der Wiss. V, 1867) dennbsp;Versuch machte, in die Geschichte der indogermanischen Ursprache einzudringen, in deren Entwicklung er folgende Periodennbsp;unterschied: die Wurzelperiode, die Determinativperiode (innbsp;welche die Entstehung von Wurzeln verlegt wird, die durch
1) Gemeint ist ‘Spraohentwicklung’.
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Sechstes Kapitel.
gewisse Zusatze am Ende erweitert sind), die primare Yerbal-periode, die Periode der Themenbilduug (der z. B. die Prasenstbemata wie Xeyo- und die Nominaltbemata wie loyo-angebören), die Periode der zusammengesetzten Verbalformen,nbsp;die der Kasusbildung und endlicb der Adverbialbildung. All-mablich indes wurden die Zweifel laut, und zwar nicbt etwanbsp;bloB auf seiten der noch übriggebliebenen Anbanger der Scble-gelschen Theorie, sondern im eigenen Lager i). Sie gingen mitnbsp;Notwendigkeit aus der Entwicklung der Wissenschaft hervornbsp;und lassen sich leicht verstehen, wenn man bedenkt, daB innbsp;dieser Zeit die Ideen des Lautgesetzes und der Analogie einenbsp;wichtige Eollé spielten. Das Bekenntnis zur Lautgesetzlichkeitnbsp;yerlangte, daB man jede Annahme eines Extralautwandels fürnbsp;einen einzelnen Pali ablehnte, selbst wenn dabei so ansprechendenbsp;Erklarungen wie die Boppsche Auffassung des lateinischennbsp;Mediums zum Opfer helen, und von diesem Standpunkt ausnbsp;wurde das Zentrum der Boppschen Stellung, die Personal-endungen desYerbums, gefahrdet. Zwar daB mi mit dem Pronomen der ersten Person und ti mit dem Pronominalstamm tonbsp;zusammenhange, muBte wahrscheinlich erscheinen, aber dernbsp;Zusammenhang von si mit dem Pronomen tu der zweiten Person lieB sich nicht herstellen, und bei der Analyse dgr Plural-und Medialformen konnten die gewaltsamen Konstruktionennbsp;von Schleicher unmöglich festgehalten werden. Ein anderesnbsp;Bedenken erhob sich von seiten der Erfahrungen, die man mitnbsp;dem Analogieprinzip gemacht hatte. Wenn man die ai. Pormennbsp;des Mediums {hhdrë, bMrasê, bkdratë, bhdravahë, bhdrëthë,nbsp;bhdrZdë, bhdrdmahë^ bhdradhvë, bhdrantë], welche samthcli auf ënbsp;endigen, mit den griechischen vergleicht, welche mehrfach einennbsp;andem Ausgang zeigen, so muB man zu dem Schlusse kommen,nbsp;daB das ë sich im Altindischen analogisch ausgebreitet habe.nbsp;Wie nun, wenn etwas Entsprechendes schon bei den indoger-manischen Yerbalformen geschehen ware? 1st das nicht sehrnbsp;möglich, und mussen wir dann nicht zugeben, daB manchenbsp;dieser Pormen sich in einem Zustande behnden, der sie einernbsp;Analyse unzuganglich macht? War man auf diese Weise innbsp;bezug auf die Yerbalendungen schwankend geworden, so konntenbsp;von den Nominalformen jedenfalls keine Hilfe kommen. Denn
1) Vgl. K. Brugmann, Zur Greschichte der Personalendungen in Morph. Unters. 1,133ff., A. H. Sayce Introduction to the science of language, London 1880,’ und ’dazu A. Pick Getting. Gel. Anz. vom 6. April 1881.
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Die Entstehung der Flexion.
daB die Zuriickfiihrung der Stamm- und Kasussuffixe auf Pronomina in bezug auf die Bedeutung recht unbefriedigend sei, war stets zugestanden worden. Dazu kommen noch Erwagungennbsp;allgemeinerer Art. Die Boppsche Hypothese ist nicht das reinenbsp;Ergebnis der Eorschung auf indogermanischem Gebiet, sondernnbsp;sie ist zu einem nicht geringen Teile aus den grammatischennbsp;tiberlieferungen des Hebraischen und den philosophischen dernbsp;Scholastik herTOrgegangen. Sie kann dessenungeachtet dasnbsp;Bichtige treffen, aber es ist klar, daB eine solche Hypothesenbsp;weniger Glauben verdient, als eine, die ganz auf dem eigenennbsp;Boden einer Wissenschaft erwachsen ist. Ferner ist zu bedenken,nbsp;daB unser Yertrauen zu Urhypothesen überhaupt geringer geworden ist. Die Geschichte der Menschheit ist alter, als wirnbsp;früher wohl dachten; hinter dem, was wir einst fur uralt hielten,nbsp;z. B. der homerischen Kultur, tauchen Kulturschichten von un-geahnter Machtigkeit auf, und wir erhalten Kunde von ungeheuernnbsp;Umwalzungen, durch welche frühere Zustande beseitigt wordennbsp;sind. Was auf verschiedenen Gebieten der menschlichen Kultur, z. B. der Kunst, geschehen ist, kann sich auch bei dernbsp;Sprache zugetragen haben. Wer weiB, wie verhaltnismaBig jungnbsp;der Zustand ist, den Bopp und seine Freunde für den uran-fanglichen hielten?
Es lag und liegt unter diesen Umstanden nahe, zu fragen, ob nicht eine andere Theorie mehr Wahrscheinhchkeit habe alsnbsp;die Boppsche. Mit diesem Anspruch sind in der Geschichtenbsp;der Wissenschaften zwei hervorgetreten, namlich die Schle-gelsche Evolutionslehre und die Ludwigsche Adaptations theorie. Die erstere ist in der Form, die sie durchnbsp;A. Westphal erhalten hat, in den bisherigen Auf lagen diesernbsp;Schrift dargestellt worden, in der letzten S. 75 ff., wo gezeigtnbsp;worden ist, wie wenig Befriedigendes sie hat. Ich begnügenbsp;mich hier, auf diese Ausführungen zu verweisen. Die Adapta-tionstheorie laBt sich wie folgt zusammenfassen.
Ihr Urheber A. Ludwig, ein ausgezeichneter Kenner des Veda, ist der Meinungi), daB die bisherige Sprachwissenschaftnbsp;ihre Yorstellungen über die Beschaffenheit der indogermanischennbsp;Sprache viel zu einseitig dem Griechischen nachgebildet habe.
1) A. Ludm^, Entstehung der A-Deklination, Sitzungsber. der Kais. Akad. Wien 1867; Der Infinitiv im Veda nebst einer Systematik des litaui-schen und slavischen Verbs 1871; Agglutination Oder Adaptation, einenbsp;sprachwissenschaftliche Streitfrage, Prag 1873.
Delbruck, Einl. i. d. Stud. d. indogerm. Spracben. 4. Aufl. nbsp;nbsp;nbsp;9
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Der Veda müsse in viel umfassenderer Weise benutzt werden, aus der vedischen Sprache allein seien die Fingerzeige fiir dienbsp;richtige Auffassung namentlich aucb der Flexionsendungen zunbsp;entnehmen, und zwar der Suffixe sowohl des Verbums wie desnbsp;Nomens. Was zunachst das Verbum betrifft, so ist es einenbsp;Tatsache, daB im Veda die dritte Person sing. med. bisweilennbsp;im Prasens denselben Ausgang wie im Perfektum zeigt, alsonbsp;-ë (nicht -të), mitbin mit der ersten sing, übereinstimmt, so daBnbsp;prnvé sowohl beiBen kann 'er wird gehörP, als 'icb werde ge-hörP. Etwas Entsprechendes glaubt Ludwig aucb bei dernbsp;zweiten Person med. zu finden, indem er annimmt, daB dasnbsp;Suffix -së sowohl im Sinne der ersten wie der zweiten Personnbsp;gebraucht werde. Indem er nun von -ê und -së auf -té, undnbsp;von da weiter auf -mi -si -ti schbeBt (bei denen die gleicbenbsp;Vieldeutigkeit wie bei -ë und -së nicht mebr so unverkennbarnbsp;hervortrete), gelangt er zu der Meinung, daB ursprünglich dienbsp;sogenannten Personalsuffixe mit der Bezeichnung der Personennbsp;nichts zu tun haben. Es gab demnach keine ursprünglicbennbsp;Personalsuffixe, vielmehr nur eine einzige Art von Suffixen,nbsp;namlich diejenige, welche wir Stammbildungssuffixe nennen.nbsp;Die Porrnen des verbum finitum sind ihrem Ursprung nachnbsp;nichts als Stamme. Das gleiche ergibt sich fiir die Nominal-flexion. Auch fiir die Kasus sucht Ludwig an der Hand desnbsp;Veda nachzuweisen, daB sie ursprünglich keine gesonderten Be-deutungsspharen gehabt haben. Von der Grundbedeutung einesnbsp;Kasus zu reden, ist ein TJnding. Es gab auch auf dem-jenigen Gebiete, welches wir das nominale nennen, ursprünghchnbsp;nur Stamme, deren Bedeutungen sich allmahlich differenziertennbsp;und spezialisierten. Auf der andern Seite halt nun aber Ludwignbsp;doch die Tatsache fest, daB in den spateren Perioden der Sprach-entwicklung, z. B. im klassischen Sanskrit, wirklich jede dernbsp;verschiedenen Endungen eine besondere Gebrauchsweise hat.nbsp;So erhebt sich denn die Frage: Wie sind die Suffixe zu diesernbsp;Bedeutung gekommen, die sie doch einst nicht hatten? Dienbsp;Antwort lautet; man legte sie ihnen bei. Das erwachendenbsp;geistige Bedürfnis forderte den Ausdruck gewisser Kategorien,nbsp;und die Suffixe, welche ursprünglich lediglich demonstrativennbsp;Sinn hatten, adaptierten sich diesem Bedürfnis. Am spatestennbsp;entstanden die Formen des verbum finitum, deren letzte Vor-stufe durch diejenigen Stamme gebildet wird, welche wir jetztnbsp;Infinitive nennen. Um die angedeuteten Verwandlungen zunbsp;besserem Verstandnis zu bringen, lasse ich den Autor selbst
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reden. Nachdem er ausgeführt hat, da6 der Dativ und Lokalis, sohald wir den historischen Standpunkt festhalten, ihre Eigenschaft als flektierte Formen verlieren und “^auf das Gehiet dernbsp;Worthildung zuriicktreten^, fahrt er fort: 'Diser process dernbsp;worthildung kam allnaahlig in ein gewisses stocken, und es kamnbsp;nehen demselhen eine andere richtung auf, die entwerteten wort-hildungsformen anzuwenden. unterliesz man anfangs die speciellenbsp;hezeichnung von agens actio actum, und hegniigte sich mit da-mals offenhar in groszem masze angewandter demonstration, sonbsp;schritt die sprache allmahhg, sohald sie disponibles lautmaterialnbsp;hatte, dazu, dise die verstandlichkeit der rede in auszerordent-lichem masze fordernde unterscheidung anzubanen, wohei sienbsp;jedoch nichts weniger als consequent zu werke gieng. als esnbsp;mit diser differenzierung bisz zu einem gewissen grade gekommennbsp;war, lag es gewiss wider nahe, numerus und casusbeziehung an-zudeuten, aber auch dazu ward nur vorbandenes beniitzt, annbsp;ein schaffen einer grammatik ist nicht zu denken’ (Inf. § 19).nbsp;An einer andern Stelle heibt es: 'Was bedurfte es also, umnbsp;das wenn auch dunkle gefiil einer flexion aufkommen zu lassen?nbsp;nichts weiter als des vergessens. solange man in den betreffen-den bildungen des factischen zusammenhanges eingedenk blieb,nbsp;gab es nur stamme, keine flectierten stamme. sobald das ge-dachtniss dises zusammenhanges geschwunden war, trat das be-diirfniss ein, bei den verschiedenheiten, von deren eigenthchernbsp;natur und entstehung man nichts mer wuszte, ja bei denen mannbsp;nicht einmal wuszte, dasz es etwas zu wissen gab, etwas zunbsp;denken, oder eigentlich sie zu verstehen. denn kein zweifel, dasznbsp;.man] mit den bedeutungen, die man den formen beilegte,nbsp;meinte sie zu verstehen’ (Inf. § 29). Und wenige Seiten weiter:nbsp;'Mit dem allmaligen werden' der formen steilten sich naturgemasznbsp;zwei erscheinungen ein, welche die angelpunkte der syntaxnbsp;wurden, von der man sagen musz, dasz sie friiher garnicht bestand, anders als in phraseologie: es ist die bezeichnung dernbsp;grammatischen abhangigkeit und der grammatischen iiberein-stimmung oder grammatische sub- und coordination, es warnbsp;natiirlich, dasz, wo zwischen ausdriicken eine beziehung bestand,nbsp;man sich bestrebte, derselben ausdruck zu leihen, der die ver-schiedenheit oder identitat des verhaltnisses mererer ausdrückenbsp;einem andem gegeniiher kennzeichnen konnte. diesz hattenbsp;weiter auch zur folge, dasz sich ein gewisses bedürfniss nachnbsp;sog. grammatikahschen endungen herausbildete, die bloszenbsp;stammendung allmahlig entweder ganz perhorresciert ward, oder
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auf ein specielles bedeutungsfeld beschrankt den scbein einer flectierten form annam. gewisse endungen scheinen geradezunbsp;vil begert gewesen zu sein; am loc. si. gen. pl. no. acc. du.nbsp;und, wie wir überzeugt sind, auch instrum. si. (a) vgl. altsl. ajci;nbsp;ebenso bhi. hiedurcb schienen offenbar die wörter erst abgerundetnbsp;und vollendet. wie das verlangen darnacb stieg, beschranktenbsp;sich andrerseits die zal der möglichen wortausgange’ (Inf. § 31).nbsp;Damit verbinde man eine Stelle aus der Ludwigschen Streit-schrift: ‘Als ihre [der personalsuffixe] ursprüngliche bedeutungnbsp;stelle ich die demonstrative auf, die dann der function der wort-bildung die stelle raumte; dann nabmen sie allgemeine verbal-bedeutung an [wie sie im infinitiv erscheint], und endbch, alsnbsp;die zal diser elemente wuchs, brachte man sie nacb beilaufigen,nbsp;oft auch nach gar keinen analogieën in zusammenhang und be-ziehung mit den unterdessen im pron. pers. ausgebildeten categorieën der grammatischen personen, ich neme also eine ursprüngliche bedeutung an, und auszerdem ein hindurchgehn durchnbsp;drei metamorphosen anquot;” (Agglutination oder Adaptation, S. 62).
Üm diese Theorien im einzelnen durchzuführen, nimmt Ludwig eine Anzahl von Lautgesetzen an, die von dem, wasnbsp;andern Q-elehrten als feststehend gilt, erheblich abweichen.nbsp;So glaubt er sich z. B. berechtigt, anzunehmen, daB im Idg.nbsp;jedes Suffix vokalisch auslautete, daB t sich in s, s sich in rnbsp;wandelte, t va. n überging, n zwischen Vokalen ausfiel, u. a. m.nbsp;Um an einer Probe das Verfahren zu veranschaulichen, führenbsp;ich beispielshalber an, daB ein infinitivartig gebrauchter Stammnbsp;auf -ani angenommen wird, der sich in folgender Weise verwandelt hat:
Was hier mit e bezeichnet ist, ist das, was wir die erste oder dritte Person auf ë (z. B. grnvé, s. oben S. 130) nennen, mit anbsp;sind gemeint diePormen auf ü, wie stdva usw., die den Kennernnbsp;des Veda bekannt sind, mit a der Stamm der Verba der o-Kon-jugation. Solche Formen wurden nach L.s Meinung eine Zeit-lang ohne weitere Endungen (die wir Personalendungen nennen)nbsp;in verbalem Sinne gebraucht, nachher empfingen Eormen ufienbsp;hhara und hJiara die Suffixe mi si ti usw. durch Übertragung
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von Verben wie dvi, an denen sich die Stammausgange mi usw. zu einer Art von Personalsuffixen adaptiert batten.
Um nun die Glaubwiirdigkeit dieser Hypothesen abzuschatzen, muB man vor alien Dingen zu der Ludwigschen Auffassung dernbsp;Sprache des Veda Stellung nehmen; denn es ist klar, daB dienbsp;Adaptationstheorie eine machtige Stütze erhalten wiirde, wennnbsp;die von L. behauptete Vieldeutigkeit der vedischen Formen sichnbsp;nachweisen lieBe. Ich babe schon friiher die Meinung aus-gesprochen, daB dieser Beweis nicht gefiihrt worden ist undnbsp;nicht gefiihrt werden kann (Kuhns Ztschr. 20, 212 ff.), und be-harre um so mehr auf dieser Ansicht, als gerade in den letztennbsp;Jahren die fortschreitende Interpretation des Veda (an der janbsp;Ludwig selbst einen nicht zu unterschatzenden Anted hat) immernbsp;deuthcher gezeigt hat, daB sie ohne die Ludwigschen Annahmennbsp;auskommt. Wenn nun diese Stütze der Adaptationstheorie ontzogen wird, so bleibt nur ihre eigene innere Wahrscheinlichkeitnbsp;als Beweis fur sie übrig (denn die Ludwigschen Lautgesetzenbsp;haben selbst kein anderes Fundament als die Wahrscheinlichkeitnbsp;der Theorie). Wie steht es nun mit dieser inneren Wahrscheinlichkeit? Nach meiner Ansicht ist diese recht gering.nbsp;Der Gedanke, daB Formen von ursprünglich gleichem Sinnenbsp;sich in ihrer Bedeutung allmahlich differenzieren, ist gewiB nichtnbsp;abzuweisen. Wird doch ein solcher Vorgang oft genug beob-achtet. Aber di e Annahme ist unwahrscheinlich, daB in der Ur-sprache eine solche Fulle von gleichbedeutenden Stammformen aufnbsp;verbalem und nominalen Gebiet verhanden gewesen sei, wie Ludwig annimmt. Wie ware eine solche, man darf sagen, überflüssigenbsp;Fruchtbarkeit zu erklaren? Es kommt hinzu, daB es schwernbsp;ist, sich von Ludwigs Standpunkt die tatsachlich bis zu einemnbsp;gewissen Grade vorhandene Ahnlichkeit zwischen den Personal-endungen und den Personalpronomina zu erklaren. Ludwignbsp;selbst auBert sich darüber, wie schon oben bemerkt, so: 'als dienbsp;zal diser elemente wuchs, brachte man sie nach beilaufigen, oftnbsp;auch nach gar keinen analogieën in zusammenhang und beziehungnbsp;mit den unterdessen im pron. pers. ausgebildeten categorieënnbsp;der grammatischen personenquot;. Man wird in diesem Satz einenbsp;genügende Beantwortung der aufgeworfenen Frage schwerlichnbsp;erblicken können, und so hat denn auch die Ludwigsche Hypothese im allgemeinen den Beifall der Sprachforscher nicht ge-funden. Freihch hat es auch nicht ganz an Zustimmung gefehlt,nbsp;so von Seiten des vielseitigen englischen Sprachforschers A. H.nbsp;Sayce (vgl. dessen principles of comparative philology, 2. Aufl.
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London 1875, Introduction to the science of language, 2 Bande, 2. Aufl. Lend. 1883). Sayce hielt friiher in der Erklarungnbsp;der Yerbalformen noch einige Fiihlung mit Bopp, insofernnbsp;er noch 1883 (Introd. 1, 392) erklarte: 'it is highly probablenbsp;that the personendings of the Aryan verb as-mi, a[s)-si,nbsp;as-ti, or io-fxi, so-oi, èa-n are hut the personal pronouns closelynbsp;compounded with the verbal stem’. In der Vorrede jedochnbsp;(S. VII) korrigiert er diese Ansicht, und erklart das m dernbsp;ersten Person fiir identisch mit dem m des Nominativs undnbsp;Akkusativs im Neutrum. Das i ist von der dritten Person ein-gefiihrt, welche ihrerseits entweder ein Stamm ist, wie yevEai-;nbsp;Oder ein Lokativ (vgl. auch Sayce in der Academy Nr. 541nbsp;16. Sept. 1882, 8. 207). Auf die Seite von Sayces aher istnbsp;A. Pick getreten, der dessen Introduction, unter Entwicklungnbsp;einer eigenen Infigierungstheorie, in den Gött. Gel. Anz. vomnbsp;6. April 1881 heifallig besprochen hat. Mich hahen auch diesenbsp;Ausfiihrungen in keiner Weise iiherzeugt, so daB ich mich dochnbsp;wieder auf die Boppsche Anschauung zuriickgewiesen sehe, fiirnbsp;deren allgemeine quot;VVahrscheinlichkeit sich, wie mir scheint, dienbsp;folgenden Gesichtspunkte geltend machen lassen. Das ver-wickelte System der indogermanischen Flexion kann nicht mitnbsp;einem Schlag entstanden sein. DaB der Schicht der Flexionennbsp;eine Schicht der Stamme vorhergegangen sei, dafür sprechennbsp;die Imperative wie tpéps, die Vokative wie Trarsp und anderenbsp;flexionslose Formen des Nomens, endhch die Stammformen innbsp;den ersten Gliedern der Komposition, z. B. dy-pdiiolic, lauter Gebilde, die fiiglich nur als Eeste angesehen werden können. Wienbsp;die Flexionsformen entstanden sind, laBt sich mit Bestimmtheitnbsp;nicht sagen, für die Annahme aher, daB die Zusammensetzungnbsp;dabei mindestens auch eine Bolle gespielt habe, spricht dienbsp;Erfahrung an modernen idg. Sprachen, z. B. den romanischen,nbsp;und doch wohl auch (was ich nicht recht zu beurteilen wage)nbsp;an den ural-altaischen. Von den Boppschen Teilhypothesennbsp;macht die Zurückführung der ersten Person des Verbums aufnbsp;das entsprechende Personalpronomen und der dritten auf dennbsp;Stamm to einen besonders wahrscheinlichen Eindruck.
Hiernach vermag ich aus der Diskussion nur die allgemeine Wahrscheinlichkeit der Boppschen Flexionshypothese zu rettennbsp;und kann es nicht unnatiirlich linden, wenn viele Sprachforschernbsp;erklaren, unter diesen Umstanden lieher .auf jeden Versuchnbsp;einer Deutung der Flexionformen verzichten zu wollen. Nunnbsp;sind aher mehrere unserer wichtigen Termini in dem Anschau-
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Begriff der Wurzel.
ungskreis einer Zusammensetzungstheorie gepragt worden, und es fragt sich, welclien Sinn wir unter so veranderten Verhaltnissennbsp;noch mit ihnen verbinden dürfen. Darauf ware im einzelnennbsp;folgendes zu antworten.
Der Begriff der Wurzel ist, wie oben gezeigt worden ist, von der hebraischen Grammatik übernommen. Man verstandnbsp;darunter innerbalb der Indogermanistik diejenige Silbe, welchenbsp;als Tragerin der materiellen Bedeutung erscbeint, und zwarnbsp;zunachst bei einem Verbum und den dazu in etymologischernbsp;Beziebung stebenden Nominalbildungen. Erst allmahlicb ge-langte die Vorstellung zu voller Deutbchkeit, daB aucb die-jenigen Bildungen welcbe keine solcbe Beziebung zu einemnbsp;Verbum zeigen, auf Wurzeln zurückgeführt werden mussen.nbsp;Ihrer Bedeutung nacb teilte man die AVurzeln gewöbnlicb innbsp;zwei Klassen ein, namlich Verbalwurzeln, aucb pradikativenbsp;o der nennende, aus denen Verba, Nomina, einige Prapositionennbsp;und Adverbia abgeleitet werden, und Pronominalwurzeln,nbsp;aucb demonstrative oder deutende, woher die übrigen Wort-klassen stammen sollen. Eür die Porm wurde festgehalten,nbsp;daB sie einsilbig seien. Eür diese Annahme sprach teils dasnbsp;Ergebnis der grammatischen Analyse, teils eine allgemeine Er-wagung, welcbe Adelung so ausdrückte; Medes Wurzelwort warnbsp;urspx-ünglich einsilbig, weil der noch robe Naturmensch seinenbsp;ganze Vorstellung mit einer Offnung des Mundes hervordrangte^nbsp;Etwas subtiler Wilhelm von Humboldt; 'Man geht aber aucb,nbsp;wenn man die Erage bloB aus Ideen betracbtet, wohl nicht zunbsp;weit, indem man allgemein annimmt, daB ursprünglich jedernbsp;Begriff nur durch eine Silbe bezeichnet wurde. Der Begriff innbsp;der Sprachforschung ist der Eindruck, welchen das Objekt, einnbsp;auBeres oder inneres, auf den Menscben macht; und der durchnbsp;die Lebendigkeit dieses Eindrucks der Brust entlockte Laut istnbsp;das Wort. Auf diesem Wege können nicht leicbt zwei Lautenbsp;einem Eindruck entsprecben'’ (angeführt bei Pott, Et. Eorsch. 1,nbsp;216). Es liegt auf der Hand, daB diese Vorstellungsweise,nbsp;aucb vom Standpunkt der Boppscben Hypothese aus, nichtsnbsp;Zwingendes bat. Es konnte also von diesem Standpunkt ausnbsp;nichts verschlagen, wenn die grammatische Einzelforscbung, uüenbsp;oben S. 119 gezeigt worden ist, dazu fübrte, aucb mebrsilbigenbsp;Wurzeln anzusetzen. Die historische Stellung der Wurzeln er-gab sich mit Sicberheit, wenn man die Boppsche Hypothese zunbsp;Ende dacbte. Wenn die Wörter durch Zusammensetzung ausnbsp;pradikativen und demonstrativen Wurzeln entstanden sind, so
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Sechstes Kapitel.
waren dieWurzeln vor denWörtern da. Sie waren dieWörter der ürsprache nnd gingen mit der Vollendung der Flexion innbsp;die Wörter der Flexionssprache auf. Nimmt man min abernbsp;unter Verzicht auf jeden Versuch einer Analyse die Flexions-formen unserer Sprachen und also auch der Ürsprache einfachnbsp;als gegeben an, so verandert sich natürlich auch der Begriffnbsp;der Wurzel. Die Wurzel kann dann nur definiert werden alsnbsp;dasjenige Wortstück, welches von den Sprechenden als Tragernbsp;der Wortbedeutung bei einer zusammengehörigen Familie vonnbsp;Wörtern oder einem einzelnen Worte gefühlt wird. Wo diesesnbsp;Wortstück anfangt und wo es aufhört, darüber unterrichtet unsnbsp;für die Gegenwart unsere unmittelbare Sprachempfindung, fürnbsp;die Vergangenheit die Yergleichung der in der Überlieferungnbsp;gegebenen Worttypen. Bei dieser notwendig unhistorischen Auf-fassung entfallt denn auch die Yerpflichtung, die Wurzeln nurnbsp;für die Urperiode auf zustellen, sie lassen sich für jeden belie-higen Sprachdurchschnitt konstruieren. Dabei macht man selbst-verstandlich keinen Anspruch darauf, in ihnen Stücke ehemaligernbsp;AVirklichkeit zu sehen. Sie sind grammatische Abstraktionen,nbsp;deren wir uns bedienen, um die Darstellung anschaulich zunbsp;machen.nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;-nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;\
Yon der Wurzel ist die Base wohl zu unterscheiden. Wir nennen Base ein Wortstück, welches iri urindogerpaanischer Zeitnbsp;der Yeranderung durch 'AhlauF untei-worfen war. So konstruieren wir z. B. mit Beziehung auf das Verbum, welches imnbsp;Altindischen bhavati 'er wird^, Inf. hhdvitum^ Part. hhütds lautet,nbsp;eine Basis *bhey,a, welche in hhdvitum bhavi, in bhütds hhanbsp;lautet. Ebenso auf dem Gehiete derjenigen Wortstücke, welchenbsp;nach der bisherigen Terminologie Suffixe heiBen. So wird z. B.nbsp;eine Basis mese (meso) konstruiert, aus der man die Endungennbsp;dor. [i£? in tpspops?, ahd. mes in beramës ableitet. Die Basisnbsp;kann also mit der Wurzel zusammenfallen, braucht es abernbsp;nicht. Sie umfaBt ein weiteres Gebiet als diese, insofern sienbsp;auch die Suffixe mit umfaBt; sie ist aber ihrem Begriffe nachnbsp;begrenzter, insofern sie eine Figur ist, welche zu nichts andermnbsp;bestimmt ist, als dazu, unsere Ansicht über die Ablautsverhalt-nisse zur Anschauung zu bringeni).
Entsprechend wie mit der Wurzel verhalt es sich mit dem
1) Aura. Dieser Begriff von Base ist aufgestellt worden von Brugmann KVG-. S. 139. Man wird gewiC gut tun, sich diesem Sprachgebrauchnbsp;anzuschlieCen.
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Base. Suffix. — Völkertrennung.
Suffix. Wie dieser Begriff in die Grrammatik gekommen ist, ist oben S. 26 erzahlt worden. Innerhalb der urspriinglicbennbsp;Oder der weiterentwickelten Boppscben Anscbauung nabm mannbsp;an, daB durch Zusammensetzung der Wurzel mit gewissen Suffixen zunachst Stamme entstanden seien, und zwar auf demnbsp;Gebiet des Verbums sowohl wie des Nomens und Pronomens.nbsp;Den Ursprung der Stammbildungssuffixe sucbte man teils beinbsp;den nennenden, teils bei den deutenden Wurzeln. Als die aufnbsp;die Stammbildung folgende Schicht betrachtete man die Bil-dung der Personen und Kasus, und fand dabei entweder Pronomina, Oder (bei einigen Kasus) Prapositionen tatig. Jetzt hatnbsp;sich die Anschauung bei vielen Sprachforschern in entsprechen-der Weise, wie bei dem Begriff der Wurzel geandert. Mannbsp;unterscheidet zwar, wie die Anforderungen der grammatischennbsp;Darstellung und unser Sprachgefiihl es mit sich bringen, ebensonbsp;wie friiher zwischen Stammbildungs- und Plexionssuffixen, abernbsp;TTia.Tgt; sieht in ihnen nur noch grammatische Abstraktionèn, undnbsp;man verhalt sich gegen die Frage des Ursprungs gleichgultig,nbsp;laBt es also, als nicht zu ermittein, völlig dahingestellt, wienbsp;etwa das ie des Optativs oder das s des Aorists zu erklarennbsp;sei. Neben den am Ende erscheinenden Suffixen oder Affixennbsp;nimmt man auch Infixe an, z. B. das idg. ne im ai. yundkti 'ernbsp;verbindet’ (neben dem Perfektum yuyöja), ohne sich fiber dienbsp;Entstehung einer solchen Form im naheren Eechenschaft gebennbsp;zu können. Brugmann wahlt in seinem neuesten Werke, umnbsp;die Nebenvorstellung der Zusammensetzung, welche dem Aus-druck Suffix anhaftet, fernzuhalten, daffir das Kunstwort ‘Formans’. Mir scheint es zweifelhaft, ob eine solche Umtaufungnbsp;notig ist. Man erreicht dasselbe, wenn man den Leser daraufnbsp;hinweist, daB unsere Terminologie wechselnden Bedeutungsinhaltnbsp;hat, und daB wir augenblicklich in bezug auf alle Ursprungs-hypothesen einen resignierten Standpunkt einnehmen.
3. Die Yölkertrennungen.
Meine Darstellung hat sich jetzt der Frage zuzuwenden, wie aus der einen Ursprache, die __wir annehmen, die vielen ver-wandten Sprachen, welche die Uberlieferung uns zeigt, entstanden sein mogen i). Dabei kommen verschiedene Gesichtspunktenbsp;in Betracht. Man muB sich fiber das Verhaltnis der Sprache
1) Ygl. die Literaturangaben bei Brugmann KVG. S. 27.
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Seohstes Kapitel.
ZTi dem Volke, das sie spricht, iiber den Begriff des Dialektes und endlick über das G-ebiet Asiens oder Europas klar werden,nbsp;in welches die Anfange des Indogermanentums zu verlegen sind.nbsp;Was zunachst den ersten Punkt betrifft, so iiberninunt in un-gestörten Verhaltnissen jede Generation die Sprache von dernbsp;vorangehenden, es ist also die Sprache verwachsen mit dem Volk,nbsp;das sie geschafiien hat. Aber bekanntlich sind im Laufe dernbsp;wechselvollen Geschichte des menschlichen Geschlechts un-zahlige Störungen eingetreten. Es hat sich oft ereignet, daBnbsp;ein Volk eine fremde Sprache angenommen hat, und es ist alsonbsp;nicht gestattet, von einer vorliegenden Sprachverwandtschaftnbsp;ohne weiteres auf Blutsverwandtschaft zu schlieBen. Inwieweitnbsp;nun derartige Störungen sich bei den einzelnen indogermanischennbsp;Vólkern alterer Stufe oder etwa auch schon bei dem Urvolknbsp;zugetragen haben, ist natiirlich schwer zu sagen. Wir habennbsp;wohl den Eindruck, daB die Verschiedenheit der indogermanischen Sprachen zum Teil darauf beruhen moge, daB andersnbsp;sprechende Völker sich mit Indogermanen mischten, aber einnbsp;bTachweis ist kaum zu erbringen. Jedenfalls kann die Erage,nbsp;oh Volkermischungen oder -aufsaugungen stattgefunden haben,nbsp;nicht einseitig oder auch nur in irgend erheblichen MaBe vonnbsp;der Linguistik entschieden werden. Ich habe das ganze nichtnbsp;in den Rahmen dieser Einleitung gehorige Gebiet an diesernbsp;Stelle nur streifen wollen, um darauf hinzuweisen, daB indo-germanische Sprache und indogermanisches Blut nicht not-wendig zusammengehören.
Der zweite Punkt, der hier zur Erörterung steht, ist die Erage nach dem Verhaltnis des Dialekts zur Gesamtsprache.nbsp;Unter einem Dialekfi) verstehen wir einen Teil einer gröBerennbsp;Masse von Gesprochenem, insofern dieser Teil so hervorstechendenbsp;Eigentiimlichkeiten hat, daB er von den Tragern der verwandtennbsp;Sprachmasse, insbesondere von den Nachbarn und von dennbsp;Tragem des Dialekts selbst, als etwas von dem ubrigen Abge-sondertes betrachtet wird. Das gröBere zusammenhangendenbsp;Ganze, von dem der Dialekt ein Teil ist, nennen wir Sprache.nbsp;Die Sprache kann selbst wieder zu einer gröBeren Masse imnbsp;Verhaltnis des Dialekts stehen. Die Scheidung zwischen Dialekt und Sprache kann, wie schon aus den von mir gewahltennbsp;Ausdriicken hervorgeht, nicht mit Sicherheit durchgeführt werden und ist vom rein linguistischen Standpunkt gleichgiiltig. Wir
1) Vgl. Oertel S. 91 fit.
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Begrlff des Dialekts.
haben, wenn wir diese Termini gebrauchen, stets gewisse politiscbe und literariscbe Nebenvorstellungen, welcbe' für die Wabl desnbsp;Ausdrucks den Ausscblag geben. Es ist nicbt meine Aufgabe,nbsp;die Gescbicbte dieses Spracbgebraucbs darzustellen, icb babe nurnbsp;zu erzablen, wie man sicb die Spaltung der einen Urspracbenbsp;in ibre Teile vorstellt, mag man diese nun Dialekte oder Spracbennbsp;nennen. Dabei ist, da ron den alteren Eorscbern nur gelegent-licbe AuBerungen vorliegen, zuerst A. Scbleicber zu berück-sicbtigen. Dieser Gelehrte ging von der Vorstellung einernbsp;vollkommeneinheitlichen Grundspracbe aus, welcbe keine nennens-werten dialektischen Yerschiedenbeiten in sicb barg. Das Volk,nbsp;welcbes scbon eine lange Sprachentwicklung hinter sicb batte,nbsp;muB scbon zablreicb gewesen sein. Als es für das Land, in demnbsp;es wobnte, zu zablreicb wurde, wanderte ein Teil mit Weibern,nbsp;Kindern und Herden aus. In den nunmebr getrennten Wobn-sitzen bildeten beide Teile ibre Spracbe in mancberlei Hicbtungnbsp;um. So entstand z. B. in dem europaiscben Teile das e nebennbsp;a an Stelle des alten einbeitlicben a. Derselbe Vorgang wiederholte sicb nun immer wieder. So scbieden sicb z. B. dienbsp;Europaer in Nord- und Südeuropaer, die ersteren in Balto-slaven und Germanen, die andern in Griecben, Italiker undnbsp;Kelten usf. Die Scheidungen bracbte Schleicher bildlicb in der-selben Weise zur Anscbauung, wie man es bei den Zeugungennbsp;innerbalb einer Familie tut. Man nennt desbalb seine Theorienbsp;die Stammbaumtheorie. Gegen diese Anscbauung, die einenbsp;Zeitlang in Geltung war, z. B. von Georg Ourtius angenommennbsp;wurde, muBte sicb, wie wir jetzt einseben, notwendig von einernbsp;Seite Widersprucb erheben, welcbe für solche Fragen beson-ders kompetent war, namlich von den Forschern auf dem Ge-biet der lebenden Spracben. Ibnen muBte die Vorstellung einernbsp;dialektlosen Grundspracbe anstöBig erscbeinen, denn wir findennbsp;überall in dem weiten Gebiet der lebenden indogermanischennbsp;Spracben eine unübersebbare Fülle von Dialekten, und werdennbsp;also wobl nicbt umbin können, eine Mannigfaltigkeit auch fürnbsp;eine Grundspracbe von einigem Umfang vorauszusetzen. Fernernbsp;erfuhren gerade diese Gelebrten taglicb, daB nichts schwerernbsp;ist, als Dialektgrenzen festzustellen. In der Welt der gegebenennbsp;Tatsachen finden wir nicbt Grenzlinien, sondern Grenzgürtelnbsp;und wir kommen nicbt aus, ohne daB wir Dialekte annehmen,nbsp;die einen Übergang, eine Vermittlung zwiscben zwei andernnbsp;darstellen. Diese Anschauungen wurden zuerst, soviel wirnbsp;wissen, 1870 in einem Vortrag, der der Zeit weit voraneilte,
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Sechstes Kapitel.
aber damals nicht gedrnckt mirde, von H. Schucbardt ausgesprochen (Tiber die Klassifikation der romaniscben Mund-arten, Probevorlesung gehalten zu Leipzig am 30. April 1870,nbsp;gedruckt in Graz 1900). Ans Licht trat die Opposition gegennbsp;Schleicher znerst in einem Vortrage, den Johannes Schmidtnbsp;im folgenden Jahre in der indogermanischen Sektion der Leip-ziger Phüologenversammlung hielt (Die Verwandtschaftsverhalt-nisse der indogermanischen Sprachen, Weimar 1872). Schmidtnbsp;knüpft mit seiner Darlegung an einen Pnnkt an, in welchemnbsp;einst Schleicher, Bopp widersprochen hatte. Bopp hatte, nament-lich -weil die Behandlung der K-Laute im Iranischen und Sla-vischen auffallig zusammenstimmt, gemeint, daB die Absonderungnbsp;der lettisch-slavischen Sprachen von der asiatischen Schwester-sprache spater eingetreten sei als die der klassischen, germanischen,nbsp;keltischen Sprachen. Schleicher dagegen, dem die Gutturalennbsp;gleichgültig waren, weil er annahm, daB ihre Verschiedenheitnbsp;sich in jeder Einzelsprache besonders entwickelt hatte, hatte einenbsp;scharfe Scheidung zwischen Europa und Asien vorgenommen.nbsp;Schmidt nun steilte sich auf Bopps Seite, erblickte also keinenbsp;Scheidung, sondern Zusammenhang und Vermittlung zwischennbsp;den beiden Weltteilen. Denselben Zustand findet er auch innbsp;Europa. Er erkennt an, daB Griechisch, Italisch und Keltisch nahe zusammengehören, aber eine historisch abgesondertenbsp;Gruppe bilden sie nicht. Denn wie das Italische zwischennbsp;dem Griechischen und Keltischen vermittelt, so vermitteltnbsp;auf der andern Seite wieder das Keltische zwischen Italischnbsp;und Deutsch, sodann ferner das Deutsche zwischen Keltischnbsp;und Slavisch usf. Wir können uns also die indogermanischen Sprachen als eine groBe Kette aus verschiedenennbsp;Ringen vorstellen, welche in sich geschlossen ist und Tm'thinnbsp;weder Anfang noch Ende hat. Machen wir willkürlich einennbsp;Anfang beim Indisch-Iranischen, so folgt als nachster Ring dasnbsp;Litu-Slavische, dann das Germanische, das Keltische, das Italische, bis sich endlich das Griecliische wieder an das Indo-Iranische anschlieBt. Über das Armenische und Albanesische,nbsp;die damals noch nicht hinreichend erforscht waren, hatte sichnbsp;Schmidt nicht entschieden. Diese Übergangs- oder Wellentheorie, wie ihr Urheber sie nennt, zieht also, soweit die altestennbsp;Zustande in Betracht kommen, nirgends feste Grenzen, sondernnbsp;sieht überall nur Vermittlung innerhalb eines Kontinuums. Dienbsp;Entstehung fester Grenzen, die uns die Überlieferung doch tat-sachlich zeigt, insofern nirgends Dialekte verhanden sind, von
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Völkertrennungen.
denen wir zweifeln, ob wir sie z. B. als Griechiscli oder Italisch, Germanisch oder Slavisch ansprechen sollen, erklart Schmidtnbsp;folgendermaBen: 'Ein Geschlecht oder ein Stamm, welcher z. B.nbsp;die Varietat F sprach, gewann durch poHtische, religiose, sozialenbsp;oder sonstige Yerhaltnisse ein Übergewicht über seine nachstenbsp;Umgebung. Dadurch wurden die zunachst liegenden Sprach-varietaten G H I K nach der einen, EDO nach der andernnbsp;Seite bin von F unterdrückt und durch F ersetzt. Nachdemnbsp;dies gescheben war, grenzt F anf der einen Seite unmittelbarnbsp;an B, auf der andern Seite unmittelbar an L,_ die mit beidennbsp;vermittelnden Varietaten waren auf gleiches Niveau mit F aufnbsp;der einen Seite gehoben, auf der andern herabgedrückt. Da-mit war zwischen F und B einerseits, zwischen F und L anderer-seits eine scharfe Sprachgrenze gezogen^ (a. a. O. S. 28). Bei-spiele dafür seien das Attische, das Stadtrömische und ahnlichenbsp;Sprachen, welche allmahhch die Dialekte überwaltigten.
Diese Auffassung ist gewiB natürlich und ansprechend, aber sie betont nicht genug die Blementarereignisse im Völkerleben,nbsp;welche plötzliche Trennungen zwischen zusammenwohnendennbsp;Menschen herbeizuführen pflegen, z. B. MiBernte und Futter-mangel, Verdrangung durch fremde Wanderschwarme, kriege-rische Ereignisse, Glaubensspaltungen. Zieht man derartigesnbsp;genügend in Bechnung, so kann man die beiden vorgetragenennbsp;Meinungen wohl vereinigen: in der Zeit des Zusammenwohnensnbsp;allmahliche Ausbildung von Varietaten, dann Spaltungen nachnbsp;der Art, wie Schleicher sie dachte, und dann wieder in jedernbsp;abgesonderten Masse derselbe Vorgang.
Man hat natürlich gefragt, in welcher Reihenfolge die Loslösung der jetzt bestelenden Einzelsprachen von der Grund-sprache stattgefunden haben moge, hat aber eine befriedigendenbsp;Antwort noch kaum gefunden. Eine solche ist auch sehr schwierig.nbsp;Zunachst muB man bedenken, daB alle Sprachen nur lücken-haft auf uns gekommen sind, so daB das argumentum e silentionbsp;fast nie mit Zuversicht angewendet werden kann. Sodann ist,nbsp;wie Schmidt richtig betont, immer im Auge zu behalten, daBnbsp;sprachliche Eigentümlichkeiten, welche eine Gruppe mit dernbsp;andern nachbarlich verknüpften, auf einer Seite oder auf beidennbsp;Seiten wieder verscbwinden können, so daB keine Spur des ur-sprünglichen Yerhaltnisses mehr verhanden ist. Endlich hatnbsp;uns die Erfahrung, daB sich unter verandertem Gesichtswinkelnbsp;immer wieder andere Erklarungen sprachlicher Erscheinungennbsp;finden (z. B. Annahme von bhi und mi im Instrumentalis der
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Seohstes Kapitel.
Ursprache, und nicht Bntstehung von m im Slavisch-Germani-schen), vorsichtig gemacht im Ziehen geschichtlicher SchluBfol-gerungen. Was wir jetzt als sicher annehmen, ist die enge Gemeinschaft des Indischen und Iranischen auf der einen undnbsp;des Baltischen und Slavischen (woriiher genauere Nachweise er-wiinscht waren) auf der andern Seite. Eine grakoitahsche Epoche,nbsp;wie Mommsen sie annahm, laBt sich nicht nachweisen, dochnbsp;hat das Italische nachbarliche Beriihrungen mit dem Griechi-schen, andererseits aher auch, und in noch mehr in die Augennbsp;fallender Weise, mit dem Keltischen. Als Beriihrungen mit demnbsp;Griechischen fiihrt Brugmann KVG. S. 20, auf dessen Aus-fiihrungen ich im iihrigen verweise, folgende an; 1) den Üher-gang der indogermanischen mediae aspiratae in stimmlose Laute,nbsp;2) die Bildung des Genitivs pluralis der nominalen a-Stammenbsp;auf asom (Usdcuiv, mmsarum, osk. egmazum), 3) die Behandlungnbsp;von o-Stammen als Eeminina, wie fj lt;pTf[0c, lat. haec fagm.
Endlich sei noch eines Problems Erwahnung getan, das nicht eigenthch der Grammatik, sondern der Urgeschichte an-gehört, der Erage nach dem Sitze des indogermanischennbsp;Urvolks. hlachdem man friiher Asien in Anspruch genommennbsp;hatte, entscheidet man sich jetzt meist fiir Europa, und zwarnbsp;hat Schraders Ansetzung in SiidruBland viel Beifall gefundennbsp;(vgl. den Artikel Urheimat der Indogermanen in O. Schrader,nbsp;Reallexikon der Indogermanischen Altertumskunde, StraBbui-gnbsp;1901). Ein sicheres Urteil ist meiner Ansicht nach nicht möghch.
Der Leser wird aus den vorstehenden Ausführungen, wie ich nicht zweifle, den Eindruck mitnehmen, daB an mehrerennbsp;Punkten ein Bückzug angetreten worden ist. Die Sprachwissen-schaft nahm im Anfang einen hohen Plug, man traute sich zu,nbsp;das Geheimnis der Eormen- und Wortbildung entschleiern zunbsp;können, man konstruierte mit Zuversicht eine Ursprache, wiesnbsp;dem Urvolk, das diese sprach, denWohnsitz an und verfolgtenbsp;seine Teilungen und die Wanderungen der Volksteile; jetzt abernbsp;stehen wir solchen glottogonischen und ethnologischen Problemennbsp;vorsichtig tastend, zweifelnd und nicht selten achselzuckendnbsp;gegenüber. Oh in dieser Entwicklung ein wissenschaftlichernbsp;Fortschritt zu erkennen ist oder nicht, mag jeder nach seinernbsp;gesamten wissenschaftlichen Stimmung entscheiden. Das einenbsp;ist gewiB, daB wir die Grade in der Sicherheit des Erkennensnbsp;besser unterscheiden gelernt haben, als früher der Fall war.nbsp;Man kann in dieser Hinsicht sozusagen drei Schichten unter-
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scheiden. TJnsere erste Aufgabe ist die Erkundung des in den Einzelsprachen Gegebenen. Darin baben wir erstaunbche Port-scbritte gemacht. Die Masse dessen, was gewuBt wird, ist enorm,nbsp;und die Anforderungen an den einzelnen Forscher sind bocbnbsp;gespannt. Unsere zweite Aufgabe ist die Yergleichung in demnbsp;Sinne, daB das Gemeinsame ermittelt und damit in jedem Einzel-falle der Punkt bestimmt wird, wo die einzelsprachliche Ent-wicklung anfangt. Diese Punkte sind nun freilicb oft nicbtnbsp;genau zu fixieren. Man muB es nicht selten dahingestellt seinnbsp;lassen, ob eine urindogermaniscbe oder nur eine gemeinindo-germanische Erscbeinung vorliegt. Es gibt kein allgemeingiil-tiges metbodiscbes Hilfsmittel, welches uns einen Ausweg ausnbsp;derartigen Scbwierigkeiten bote. Man muB eben im einzelnennbsp;Fall erwagen, welcbe Annabme die wabrscheinbcbere ist. Dienbsp;dritte Schicht umfaBt die Urprobleme, namentlicb die Eragenbsp;nach dem Ursprung der Flexionsformen. Die meisten von unsnbsp;sind im Augenblick ermüdet und geneigt, eine Beantwortungnbsp;abzulebnen. Es ist aber wabrscheinlicb, daB die fortschreitendenbsp;Erforscbung der nicbtindogermanischen Sprachen immer wiedernbsp;Veranlassung geben wird, auf das jetzt beiseite Gelegte zuriick-zukonunen. Dessen aber wird man wohl immer eingedenknbsp;bleiben, daB sich der Natur der Sacbe nacb auf diesem Gebietnbsp;nur unsicbere Resultate gewinnen lassen.
-ocr page 164-Siebentes Kapitel. Der Lautwandel.
1. Historisches.
DaB die lautliche Gestalt der Wörter sich im Laufe der Zeit verandert, ist natürlich auch den Alten nicht entgangen,nbsp;sie hahen aher, so viel ich weiB, über die Art und die Gründenbsp;solcher Veranderungen eine Theorie nicht aufgestellt. Mannbsp;nahm, wie es scheint, unbedenklich Veranderungen aller Artnbsp;an, so wie die etymologischen Komhinationen, denen man Wörternbsp;und Wortformen unterwarf, es verlangten. Spater (ich weiBnbsp;nicht genau, seit wann), suchte man den Grund von Verande-rungen gern in der Kücksicht auf den Wohllaut (euphonischenbsp;Veranderungen). Wie Humboldt, Bopp und seine Zeitgenossennbsp;sich verhielten, ist oben dargestellt worden und brauoht nicht wie-derholt zu werden. Hier wird es am zweckdienlichsten sein,nbsp;wenn ich an die AuBerungen eines der Organisatoren der Sprach-forschung, Georg Ourtius, anknüpfe. Curtius’ Streben war,nbsp;wie oben S. 87 erzahlt worden ist, hauptsachlich darauf gerichtet,nbsp;in der Lautwelt eine strengere Ordnung nachzuweisen, als seinennbsp;Vorgangern gelungen war, und somit für die Etymologie einenbsp;festere Methode zu begründen. Traten — so sagt er Grundz.nbsp;S. 80 — in der Lautgeschichte wirklich so erhebliche spora-
1) Siehe die Ausführungen und Literaturangahen von E. Weohssler Q-ibt es Lautgesetze? Halle 1900, aus den Eorschungen zur romanisohennbsp;Philologie, Pestgabe für Hermann Suchier; B. Delbrüok, Grundfragen dernbsp;Spraohforsobung 1902 S. 94ff; derselbe, Das Wesen der Lautgesetze innbsp;den Annalen der Naturpbilosophie (Leipzig bei Veit 1902); Oertel 189 ff.
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Der Lautwandel.
dische Verirrungen und völlig krankhafte, unberechenbare Laut-entstellungen ein, wie sie von manchen Gelehrten mit Zuversicht angenommen werden, so müBten wir in der Tat auf alles Ety-mologisieren verzichten. Denn nur das GesetzmaBige und inner-lich Zusammenhangende laBt sich wissenschaftlich erforschen,nbsp;dasWillklirliche höchstens erraten, nie erscblieBen. 'So schlimmnbsp;aber steht es, denke ich, nichtquot;’, vielmehr 'lassen sich geradenbsp;in dem Leben der Laute ara sichersten feste Gesetze erkennen,nbsp;die sich beinahe mit der Konsequenz von Naturkraften geltendnbsp;machen’ (81). Curtius will deshalb, wenn er auch von der regel-mtlBigen Lautvertretung eine unregelmaBige oder sporadischenbsp;unterscheidet, damit keineswegs sagen, daB ein Teil der Laut-verwandlung allen Gesetzen enthoben und somit dem Zufallnbsp;und der Willkür preisgegeben sei. 'Es verstekt sichquot;quot;, wie ernbsp;anderswo (90) bemerkt, 'von selbst, daB wir weder die eine nochnbsp;die andere Lautbewegung für zufallig halten, sondern von dernbsp;Ansicht ausgehen, daB Gesetze, wie die ganze Sprache, so auchnbsp;diese lautliche Seite durchdringen.quot;’ Die GesetzmaBigkeit zeigtnbsp;sich vor allem darin, daB der Lautwandel eine gewisse Tendenznbsp;oder Richtung verfolgt, und zwar ist die Grundrichtung dernbsp;Lautveranderung die abwarts steigende, abnehmende oder,nbsp;wie Curtius es am liebsten ausdrückt, die der Yerwitterung.nbsp;'Denn in der Tat liegt die Vergleichung mit den durch atmo-spharische Einflüsse allmahlich abnehmenden und hinschwin-denden, trotzdem aber so beharrlich ihren Kern bewahrendennbsp;Gesteinen sehr nahe.quot;’ Katürlich liegt bei den Lauten der Grundnbsp;der Abnahme nicht in der Einwirkung auBerer Machte, sondernnbsp;beruht auf der menschlichen Bequemlichkeit, die sich die Aus-sprache immer leichter und leichter zu gestalten sucht. 'Bequemlichkeit ist und bleibt der HauptanlaB des Lautwandelsnbsp;unter allen Umstandenquot;’ (23). Die Bequemlichkeit auBert sichnbsp;aber hauptsachlich in zwei Richtungen. Einmal vertauscht mannbsp;die unbequemere Artikulationsstelle gern mit der bequemeren,nbsp;und demnach laBt sich, da die weiter nach hinten gelegenenbsp;Stelle die unbequemere ist, als allgemeine Richtung der Lautbewegung die Richtung von hinten nach vorn feststellen. Sonbsp;entsteht wohl p aus k, aber nicht k aus p. Sodann ersetzt mannbsp;den seiner Art nach schwerer spreekbaren Laut durch dennbsp;leichter sprechbaren, es gehen mithin z. B. die sog. Explosiv-laute in die sog. Frikativlaute über, wiihrend der entgegen-gesetzte Gang nicht vorliegt. So wird wohl t zu s, aber nichtnbsp;s zu t. Diesen Hauptnormen, deren Gültigkeit Curtius im
Belbrück, Einl.-i. d. Stud. d. indogerm. Sprachen. 4. Aufl. 10
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Siebentes Kapitel.
speziellen nachzuweisen sucht, ist aller Lautwandel unterworfen, auch. der sporadische. Auch für die sporadische Lautvertretungnbsp;muB uns der Grundsatz als Richtschnur dienen, daB nur einnbsp;Übergang des starkeren Lautes in den schwacheren, nicht um-gekehrt zu erwarten ist (437).
Wenn nun so der Lautwandel an eine hestimmte Richtung gebunden ist, so hat er doch innerhalh dieser Richtung einenbsp;gewisse Freiheit der Bewegung. Dahin gehort es z. B., wennnbsp;in den europaischen Sprachen das alte a bald durch a, baldnbsp;durch e, bald durch o vertreten ist, wenn das alte k im Grie-chischen als -/ t tz erscheint. Derartige UnregelmaBigkeiten habennbsp;wieder ihre RegelmaBigkeit in kleineren Kreisen, aber es gibtnbsp;auch vereinzelte Ausnahmen, UnregelmaBigkeiten, Trübungen,nbsp;Abnoi'mitaten. Eine solche ist z. B., wenn in ou? neben u; dasnbsp;o einmal erhalten bleibt, obgleich sonst ein anlautendes indoger-manisches s vor Vokalen iin Griechischen wegfallt. Diese Ausnahmen sind nun wenigstens teilweise zu erklaren, wenn man sichnbsp;zweier Triebe erinnert, die im Sprachlehen herrschen, das sind dasnbsp;Streben, die bedeutungsvollen Laute oder Silben zu konservieren,nbsp;und die Analogie. Über den ersteren Punkt bat Ourtius sichnbsp;vor allem in seinen Bemerkungen über die Tragweite der Laut-gesetze, insbesondere im Griechischen und Lateinischen (Ber.nbsp;der phil.-hist. Klasse der Königl. Sachs. Ges. der Wissenschaftennbsp;1870), ausgesprochen. Er führt in dieser Abhandlung aus, daBnbsp;Laute und Silben, die als bedeutungstragend empfunden werden,nbsp;der Verwitterung langer Widerstand leisten als andere, undnbsp;daB also bei der Beurteilung des Lautwandels die Wichtigkeitnbsp;des Lautes nicht vernachlassigt werden darf. Als Beispiel diene,nbsp;was über das i des Optativs bemerkt wird; 'lm allgemeinennbsp;batten die Griechen eine starke Keigung, den Diphthongen aufnbsp;I den letzteren Laut vor Vokalen zu entziehen, daher aw, stunbsp;oiu für alteres ajami^ Troiw haufig für tcoisou usw. Derselbennbsp;Neigung folgten sie im Gen. sing., wo schon vor alters o to zunbsp;DO und weiter zu ou, dor. aol. co herabsank. Dagegen blieb dasnbsp;01 in Optativformen wie ooiyjV, Xéfoisv, '(SMoia.’zoj itotoiVjV unan-gefochten. Kur als aolisch istnbsp;nbsp;nbsp;nbsp;überliefert
(Ahr. 133). Offenbar bedurfte das Moduszeichen gröBerer Scho-nung als das i des Genitivs. Der letztere Kasus blieb auch ohne t, ja selbst nach erfolgter Kontraktion klar erkennbar,nbsp;die Optativbildungen würden ohne jenes Jota fast unkenntlich,nbsp;jedenfalls aber den übrigen Ponnen desselben Modus sehr un-ahnlich werden’ usw. Man ist jetzt von dieser Auffassung
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Der Lautwandel.
zuriickgekommen. Wenn in Sotr^v das i nicht verschwindet, so schreiben wir das vielmehr dem Umstande zu, dafi SoiVjV mitnbsp;Formen wie SoTjxev usw. assoziiert war, in denen das oi not-wendig erhalten bleiben muBte. Dagegen stimmen wir Curtinsnbsp;zu in bezug auf die Wirksamkeit der Analogie. Ihm ist (wennnbsp;er aucb in der Praxis von dem Prinzip der Analogie sparsamerenbsp;Anwendung machte, als wir für ricbtig halten) die Wichtigkeitnbsp;desselben keineswegs entgangen. In dieser Beziehung ist na-mentlicb ein Satz der oben angeführten Abhandlung (vom Jahrenbsp;1870) S. 2 von Interesse, der so lautet: ‘Für die Spracbforschungnbsp;sind zwei Fundamentalbegrilïe von der höchsten Wichtigkeit, dernbsp;der Analogie und der des Lautgesetzes. Ich glaube mich nichtnbsp;zu irren, wenn ich behaupte, daB auf der Ausdehnung, welchenbsp;man jedem dieser beiden Begriffe im Leben der Sprachen glaubtnbsp;geben zu mussen, ein groBer Teil der Meinungsverschiedenheitnbsp;beruht, welche über Einzelfragen stattfindet.'’ Man sieht, wienbsp;die Diskussion über Lautgesetz und Analogie, welche das letztenbsp;Viertel] ahrhundert der Spracbforschung erfüllt bat und jetzt zunbsp;einem gewissen AbschluB gelangt ist, schon damals in der Luftnbsp;lag. Ferner merkt man, wie die Behauptung, die Lautgesetzenbsp;seien ausnahmslos, sich vorbereitet. Wer diese Meinungnbsp;zuerst ausgesprochen habe, darüber wird gestritten. Man hatnbsp;gemeint, Schleicher sei der Urheber. Mir scheint das nach dem,nbsp;was ich oben S. 92 ausgeführt habe, nicht sicher, da dienbsp;AuBerung Schleichers, auf die es ankommt, auch anders verstanden werden kann. Unzweideutig dagegen ist folgende Aus-führung von W. Scherer aus dem Jahre 1875 (PreuBischenbsp;Jahrbücher, 35, 107, angeführt bei J. Schmidt KZ. 28, 308: ‘Dienbsp;Veranderung der Laute, die wir in beglaubigter Sprachgeschichtenbsp;beobachten können, vollzieht sich nach festen Gesetzen, welchenbsp;keine andere als wiederum gesetzmaBige Störung erfahren.^nbsp;Etwas spater fallt eine gedruckte Erklarung von Leskien, dernbsp;in seinen Vorlesungen am wirksamsten für diesen Gedankennbsp;Propaganda gemacht hat (Die Deklination im Slavisch-Litau-ischen und Germanischen, Preisschriften der Jablonowskischennbsp;Gesellschaft Leipzig 1876, S. XXVIII und 1). Er sagt: ‘Beinbsp;der Untersuchung bin ich von dem Grundsatz ausgegangen,nbsp;daB die uns überlieferte Gestalt eines Kasus niemals auf einernbsp;Ausnahme von den sonst befolgten Lautgesetzen beruhe. Umnbsp;nicht miBverstanden zu werden, möchte ich noch hinzufügen;nbsp;versteht man unter Ausnahmen solche Falie, in denen der zunbsp;erwartende Lautwandel aus bestimmten erkennbaren Ursachen
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Siebentes Kapitel.
nicht eingetreten ist, z. B. das Unterbleiben der Verschiebung im Deutschen in Lautgrnppen wie st usw., wo also gewisser-maBen eine Regel die andere durchkreuzt, so ist gegen dennbsp;Satz, die Lautgesetze seien nicht ausnahmslos, natürlicb nichtsnbsp;einzuwenden. Das Glesetz wird eben dadurcb nicht aufgeboben,nbsp;und wirkt, wo diese oder andere Störungen, die Wirkungennbsp;anderer Gesetze, nicht verhanden sind, in der zu erwartendennbsp;Weise. LaBt man aber beliebige, zufallige, untereinander innbsp;keinen Zusammenhang zu bringende Abweichungen zu, so er-klart man im Grunde damit, daB das Objekt der Untersuchung,nbsp;die Sprache, der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht zuganglichnbsp;ist.'’ Daran schlieBt sich, was Osthoff und Brugmann Morph.nbsp;Unters. 1, XIII aussprechen; 'Aller Lautwandel, soweit er mechanisch vor sich geht, vollzieht sich nach ausnahmslosen Ge-setzen, d. h. die Richtung der Lautbewegung ist bei allen An-gehörigen einer Sprachgenossenschaft, auBer dem Fall, daBnbsp;Dialektspaltung eintritt, stets dieselbe, und alle Wörter, innbsp;denen der der Lautbewegung unterworfene Laut unter gleichennbsp;Verhaltnissen erscheint, werden ohne Ausnahme von der Ande-rung ergriffen.quot; Daneben erscheint auch oft die unbedingtenbsp;Fassung: Alle Lautgesetze wirken blind, mit blinder Xatur-notwendigkeit, oder ahnlich.
Die Lautgesetze, von denen hier die Rede ist, wurden damals wohl mit X atur gesetz en verglichen, wie die Physik sie kennt.nbsp;Gegen diese irrtümliche Auffassung wendeten sich im Jahrenbsp;1880 unabhangig voneinander Paul und ich. Und zwar auBertenbsp;sich Paul in den Prinzipien S. 55, wie folgt: 'In dem Sinne, wienbsp;wir in der Physik oder Chemie von Gesetzen reden, ist dernbsp;BegrifE »Lautgesetz« nicht zu verstehen. Das Lautgesetz sagtnbsp;nicht aus, was unter gewissen allgemeinen Bedingungen immernbsp;wieder eintreten muB, son dem es konstatiert nur die Gleich-maBigkeit innerhalb einer Gruppe bestimmter historischer Er-scheinungen.'* Entsprechend sagte ich in der ersten Auflagenbsp;dieser Schrift S. 128: 'Nicht billigen kann ich die Bezeichnungnbsp;der Lautgesetze als Naturgesetze. Mit chemischen oder physi-kalischen Gesetzen haben effenbar diese geschichtlichen Gleich-maBigkeiten keine Ahnlichkeit. Die Sprache setzt sich ausnbsp;menschlichen Handlungen zusammen, und folglich gehören dienbsp;Lautgesetze nicht in die Lehre von der GesetzmaBigkeit dernbsp;Naturvorgange, sondern in die Lehre von der GesetzmaBigkeitnbsp;der scheinbar willkürlichen menschlichen Handlungen.quot; Betrachtenbsp;ich jetzt diese Formulierung von 1880 genauer, so finde ich,
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Der Lautwandel.
daB in ihr eins fehlt, namlich der Hinweis auf den gesellschaft-lichen Oharakter der Sprache, welche sicli aus unzahligen auf-einander einwirkenden Handlungen einzelner Individuen zusam-mensetzt. Es konnte, wenn man sich bei der gegebenen Fassung beruhigte, immer noch etwas von dem Irrtum bestehen bleiben,nbsp;als sei die Sprache ein Etwas, das sich nach gewissen ihm inne-wohnenden G-esetzen entwickelt. Glegen einen derartigen Irrtum, von dem ich nicht genau zu sagen weiB, inwieweit ernbsp;damals etwa noch bei mir und andern nach'wirkte, wandtenbsp;sich die höchst förderliche kritische Arbeit von H. Schuchardt,nbsp;Über die Lautgesetze, Berlin 1885, der eindringlich vor aprio-ristischen theoretischen Aufstellungen warnte. In derselbennbsp;Eichtung wirkte die Auf fassung der Phonetiker, unter denennbsp;Sievers und Bremer besonders genannt sein mogen, welchenbsp;die nüchtez’ne, durch tatsachliche Beobachtungen gestützte Auf-fassung zum Ausdruck brachten, daB jede Veranderung vonnbsp;einer kleinen Gruppe ausgeht, sich allmahlich ausbreitet undnbsp;endlich zur Herrschaft gelangt. Allen diesen Anregungen fol-gend, stellen wir uns jetzt, wie mit besonderer Deutlichkeit ausnbsp;der übersichtlichen Darstellung von Oertel hervorgeht, die Sachenbsp;so vor, daB nur eine kleine Anzahl von Menschen bei dennbsp;Anderungen der Aussprache spontan tatig ist, die groBe Mehr-zahl aber sich nachahmend verhalt, und daB die GleichmaBig-keit in der Aussprache darum und insoweit vorhanden ist, weilnbsp;und inwieweit die Ausgleichung innerhalb einer Verkehrsgemein-*nbsp;schaft eingetreten ist.
2. Arten des Lautwandels.
lm Laufe der Zeit haben sich einige Einteilungen der mannig-fachen Vorgange des Lautwandels ergeben, von denen zunachst die in springenden (sprunghaften) und allmahlichen er-wahnt werden mag. Ein Beispiel springenden Lautwandelsnbsp;würde sein der Übergang der gutturalen, unter Lippenrundungnbsp;hervorgebrachten Explosivlaute in labiale Laute, z. B. osk. -petur-neben lat. quatim', welches den alteren Laut bewahrt hat, oder,nbsp;wenn man nicht die Veranderung eines Einzellautes, sondernnbsp;einer Silbe ins Auge faBt, der Übergang von altnd. hr estan innbsp;mittelnd. bersten und ahnliche Metathesen. Einen Beleg fürnbsp;allmahlichen Übergang bieten die Schicksale von k tp im Alt-hochdeutschen, wenn diese Laute zwischen Vokalen stehen. Innbsp;diesem Falie ist auf dem ganzen hochdeutschen Sprachgebiet
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Siebentes Kapitel.
aus dem einfachen VerscliluBlaut eine Doppelspirans [xx^ ff, hh] geworden, z. B. altsachsisch ëtan ahd. ëxxmi essen, alts, opannbsp;ahd. offan often, alts, makon ahd. mahlwn machen. Dabei batnbsp;man anzunehmen, dab aus der Tenuis zuerst die Tenuis aspiratanbsp;wurde, also ëthan ophan makhon. Diese Veranderung ist, wienbsp;Sievers Phonetik* S. 262 bemerkt, übrigens auch auf der Handnbsp;liegt, durch eine Steigerung des Exspirationsdruckes, also einenbsp;Verstarkung des Exspirationsstromes bewirkt worden. Dannnbsp;folgt die Affrikation, es entstehen fe pf h^. Die Affrikation ist,nbsp;wie Sievers sich ausdrückt, ‘die Folge des verlangsamten Über-ganges zur Stellung des folgenden Öffnungslautesquot;. Die Doppel-spirans endlich entstand, indem der explosive Laut sich demnbsp;folgenden Eeibelaut assimilierte.
Ein zweiter, neben dem ebengenannten hergebender Unter-schied ist der zwiscben unbedingtem und bedingtem Laut-wandel. Den ersteren beschreibt Brugmann KVG. S. 38 so: ‘ünbedingten Lautwandel nennt man den Wandel, den einenbsp;Einzelartikulation erfahrt, ohne dab dabei die besondere Artnbsp;der begleitenden Artikulationen oder die Betonung oder dasnbsp;Sprachtempo einen bestimmenden Einflub üben^ Als ein Bei-spiel mag dienen aus dem Griechischen der ionisch-attiscbenbsp;Übergang von « in ë und aus dem Deutscben, was ich in demnbsp;angeführten Aufsatz über die Lautgesetze von den Schicksalennbsp;des aus der Urzeit überlieferten Diphtbongen ai im Althoch-deutschen berichtet habe.i) Das ai ist daselbst zu ei geworden,nbsp;z. B. Aails teil Teil, hails heil heil, taikns xeïhhan Zeichen, hlaifsnbsp;hleïh oder leip Leib [Laib geschrieben zum Unterscbied vonnbsp;Ldh abd. lïp), haims heim Heim, hraiths h'eit breit, skaidannbsp;sceidan scheiden, aiths dd Eid, maists meist mdst, gaits geixnbsp;Gdfi, wait weix [ich] weifi, hvaiteis weixxi Weix,en, haitannbsp;heixxan hdfien, gamains gimdni gemein, stains stein Stein,nbsp;hrains [h)rdni rein, ains dn ein. Der Übergang von ai zu einbsp;bat sich im 8. Jabrhundert vollzogen. Im einzelnen gibt Braunenbsp;Abd. Gr. S. 31 an, dab in Urkunden aus St. Gallen bis 762nbsp;nur ai berrscht, von 763 bis 793 ein Scbwanken zwischen ainbsp;und ei stattfindet, spater aber sich nur ei findet. Das ei istnbsp;dann jahrbundertelang geblieben, im mittelbochdeutschen Ale-mannisch und Bayrisch aber ist ei wieder zu ai geworden, z. B.
1) Der Diphthong ai ist hier als Ganzes betrachtet. Teilt man ihn in seine Bestandteile, so ist der Lautwandel jedes einzelnen ein bedingter. —nbsp;Bei den Beispielen ist zuerst das gotische, dann das althochdeutsche, dannnbsp;das neuhoohdeutsche Wort genannt.
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Der Lautwandel.
stain, und ebenso in der jetzigen hochdeutschen ümgangssprache. Das Verhalten der Sprachorgane, als in althochdeutscher Zeitnbsp;ai in ei überging, kann man etwa so beschreiben: der ünterschiednbsp;der Stellung bei der Ausspracbe des a und des i wurde ver-ringert, die erstere Stellung bat sich der zweiten genahert (vgl.nbsp;Sievers Pbonetik^, S. 251).
Einen Beleg für bedingten Lautwandel liefert das Scbicksal desselben ai in der Nahe gewisser Konsonanten. In dem Eallenbsp;namlich, daB auf das ai ein aus alterer Zeit ererbtes h, ein rnbsp;oder IV folgte, und in gewissen hier nicht zu erörternden Pallennbsp;auch ini Auslaut, wurde ai zu ë. Beispiele sind: thlaihan flehannbsp;flehen, mais mër mehr, airis ër eher, kdsjan téren lehren, aiwsnbsp;‘Ewigkeit’ ëwa 'Ewigkeit^ ëtvig ewig, saiivala sela (aus sëwla)nbsp;Seele, saiivs sëo (Genitiv sëwes) See, snaiws snéo [snêives] Schnee,nbsp;wai tvë weh. Dieser Übergang ist etwas alter als der vorhinnbsp;behandelte. Er war in der ersten Halfte des 8. Jahrhundertsnbsp;bereits vollendet. Die Zwischenstufe zwischen ai und ë bildet ae.nbsp;Es hat also zunachst durch die Einwirkung des h tv r, deren Ar-tikulation dem e naher gelegen haben muB als demi, eineVer-wandlung des i in e stattgefunden, so daB der Diphthong aenbsp;entstand. In diesem naherte sich die Aussprache des a der desnbsp;zweiten Bestandteils (wie bei ai, das zu ei wurde), und schlieB-lich wurde der Ünterschied zwischen der Zungenstellung desnbsp;ersten und des zweiten Bestandteils gleich Null, d. h. es entstand ein Monophthong. Einen Beleg für die Einwirkung dernbsp;Betonung bietet die Yerwandlung des alten ö in uo in derselbennbsp;Sprachperiode. Ich habe darüber a. a. O. folgendes ausgeführt:nbsp;‘Das alte ö wird im Althochdeutschen zu uo, woraus jetzt langesnbsp;u geworden ist, z. B. sokjan suohhan suchen, fötus fmx Fuji,nbsp;brothar bruodar Bruder, mods muot Muf, flödus fluot Flut,nbsp;hröpjan ruofan rufen, hlöma hluoma Blume, stdls stuol Stuhl,nbsp;for fuor {er) fuhr, skohs scuoh Schuh. Als Zwischenstufen zwischen 5 und uo finden sich oa ua. Die zeitliche Entwicklungnbsp;ist nicht in allen hochdeutschen Mundarten dieselbe. Ich führenbsp;an, was Braune über das Alemannische sagt: »Im Alemannischennbsp;beginnt die Diphthongierung des ö nach 760, ihre alteste Pormnbsp;ist oa, welche nur im 8. Jahrhundert neben ö vorkommt, wah-rend nur selten sich die Pormen tta uo finden. G-egen Endenbsp;des 8. Jahrhunderts nimmt ua an Haufigkeit zu und verdrangtnbsp;um 800 die Ponnen ö oa ganzlich; ua ist im 9. Jahrhundertnbsp;die herrschende Porm und charakterisiert den alemannischennbsp;Dialekt gegenüber dem bayrischen und frankischen. Neben ua
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zeigt sich uo, welches allmahlich haufiger wird und schlieBlich das ua verdrangt, so daB nach 900 uo im Alemannischen fest-steht.« Es wird nicht wohl möglich sein, sich über die einzelnennbsp;Etappen der Entwicklung genauer Rechenschaft zu gehen; dasnbsp;aher ist yollkommen klar, daB die Diphthongierung des ö aufnbsp;einer zu einer gewissen Zeit eingetretenen Verschiebung in dernbsp;Betonung beruht. Wahrend früher das o gestoBenen Ton trug,nbsp;erhielt es iin Althochdeiitschen geschleifte Betonung, d. h. esnbsp;entwickelte sich ein ünterschied, wie er bei norddeutscher Aus-sprache zwischen er hraut und die Braüt zur Erscheinung komnit.’nbsp;Es ist anzunehinen, daB hei fortschreitender Erkenntnis sichnbsp;für uns das Gehiet des hedingten Lautwandels immer mehr er-weitern wird.
Innerhalb des groBen Gehietes des hedingten Wandels hat man an der Hand der Erfahrung allmahlich allerhand Unter-abteilungen zu machen gelernt. Brugmann unterscheidet: Kon-taktwirkung in Sonantengruppen {darunter Kontraktion), Wir-kung von Konsonanten auf Sonanten in Kontaktstellung, Sonan-tierung von Konsonanten und Vokalanaptyxis, Konsonanten-gemination, Palatalisierung (Moullierung) und Labialisierungnbsp;(Rundung) von Konsonanten und Epenthese, Assimilation vonnbsp;Konsonanten an Konsonanten in Kontaktstellung, Einschiehungnbsp;von Konsonanten, Vereinfachung geminierter Konsonanten,nbsp;Assimilation von Vokalen an Vokale in Eernstellung, Assimilation von Konsonanten an Konsonanten in Eernstellung, dissi-milatorische Anderung und Bewahrung von Konsonanten dm’chnbsp;Konsonanten in Eernstellung, dissimilatorische Verdrangung vonnbsp;Konsonanten durch Konsonanten in Eernstellung, haplologischenbsp;Silbenellipse, Lautversetzung (Metathese), Wirkungen des Akzent-sitzes, Satzphonetik. Uher alle diese Dinge soil hier nicht ge-handelt werden, weil ich dem von Brugmann KVG. S. 200 ff.nbsp;Ausgeführten etwas Wesentliches nicht hinzuzufügen hahe.
Allgemeines.
Von dem Lautstand wird hehauptet, daB er in gewissen örtlichen und zeitlichen Grenzen gleichmaBig sei, d. h. daBnbsp;die Lautungen, welche unter den gleichen Bedingungen stehen,nbsp;von den Sprechenden stets in der gleichen Weise hervor-gehracht werden, ahgesehen natürlich von gewissen persön-lichen Eigenheiten, welche für den Gesamteindruck als unwesent-lich geiten können, so daB also z. B. ein a in allen Wörtern
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gleich gesprochen wird, nicht etwa in deni einen Worte nach o hin, in dem andern nach e hin. Durch die Klausel von dennbsp;gleichen Bedingungen soil z. B. darauf hingewiesen werden, daB,nbsp;was wir gleich schreiben, oft tatsachlich etwas Yerschiedenesnbsp;ist, z. B. das fc vor ^ etwas anderes als das k vor so daB mannbsp;also nicht sagen darf, das k wird in diesem Dialekt so und sonbsp;gesprochen, sondern das k vor i nsw. Ferner darauf, daB esnbsp;Wörter gibt, welche gewohnheitsmaBig nachlassig gesprochennbsp;werden, also unter andern Bedingungen stehen als die ührigen,nbsp;z. B. gewisse GruBforineln (vgl. Thurneysen, Die Etymologie, Erei-burger Prorektoratsrede von 1904, S. 23). GleichmaBige Laut-behandlung findet nur statt hei Wörtern, auf deren Aussprachenbsp;eine durchschnittlich gleiche Sorgfalt verwendet wird. Die ört-lichen Grenzen, innerhalb deren sich eine hestimmteAussimachenbsp;findet, lassen sich hei lebenden Sprachen, wenn unsere Kenntnisnbsp;eindringend genug ist, genau angehen, indem wir sagen, daB innbsp;den und den Stadten und Dörfern ein Elementarhestandteil dernbsp;Sprache so und so ausgesprochen wird, dagegen ist die Angahenbsp;des Dialekts als Heimat einer hestimmten Aussprache nichtnbsp;immer genau, weil, wie wir ohen S. 139 sahen, Dialektgrenzennbsp;sich nicht immer exakt angehen lassen, indem es vorkommt, daBnbsp;irgendeine Lauterscheinung nicht so weit oder weiter reichtnbsp;als andere, deren Auftreten zusammengenommen das Charakte-ristische eines Dialekts ausmacht. Die Gleichheit der Aussprache hraucht nicht in dem ganzen in Betracht kommendennbsp;Gehiet eine absolute zu sein, es wird nur verlangt, daB dienbsp;etwa vorhandenen Unterschiede als unerheblich nach dein Urteilnbsp;der Sprechenden nicht ins Gewicht fallen. Der Zeitpunkt,nbsp;an dem eine Anderung der Aussprache beginnt, laBt sich nachnbsp;Tag und Stunde nicht festsetzen. Denn wenn in der Tat, wienbsp;wir annehmen, die Anderung an einem Punkte beginnt und sichnbsp;von da aus ausbreitet, so werden Übergangszustande anzunehmennbsp;sein, in denen ein Teil der Sprachgenossen noch so, ein anderernbsp;schon so spricht. Blieken wir aber zurück auf die uns bekanntenbsp;Geschichte einer Sprache, so zeigt sich deutlich, daB die Herr-schaft eines Gesetzes nur eine Zeitlang dauert, dann aber auf-hört. So lieBen z. B. die Jonier alle langen a in einer gewissen,nbsp;nicht naher zu bestimmenden Zeit in übergehen. Spater ent-standen in demselben Dialekt neue lange a, z. B. in uaaa (ausnbsp;Ttavaa), diese waren dem Übergang nicht mehr unterworfen.nbsp;Um nun innerhalb einer örtlich und zeitlich abgegrenzten Massenbsp;von Gesprochenem die GleichmaBigkeiten der Lautentwick-
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lung beobachten zu können, mu6 man gewisse, in der bisherigen Darstellung noch nicht erwahnte VorsichtsmaBregeln anwenclen.nbsp;Man muB zunacbst die vorhandenen Premdwörter auBer Betracht lassen. Es liegt ja auf der Hand, daB man die Aus-sprache eines deutschen Dialektes nicht oder wenigstens nurnbsp;selten an den französischen Lehnwörtern beobachten kann, dienbsp;in ihn aufgenommen worden sind. Einen Teil derselben willnbsp;man französisch, einen andern deutsch aussprechen, heides abernbsp;gelingt nur unvollkommen. Eerner ist klar, daB man hoch-deutsche Lautgesetze nicht aus niederdeutschenWörtern schlieBennbsp;darf, die in das Hochdeutsche eingedrungen sind, z. B. nichtnbsp;aus dem niederdeutschen Lehnwort echt schlieBen darf, daB imnbsp;Hochdeutschen ft zu cht wird. Natürlich sind die Schriftsprachennbsp;am vollsten von Lehnwörtern, indessen enthalten auch die Mund-arten mehr, als man denken sollte, wie z. B. die treffliche Unter-suchung Yon Brandstetter über das Lehnwort in der Luzernernbsp;Mundart zeigt (R. Brandstetter, Drei Abhandlungen über dasnbsp;Lehnwort, Luzern 1900). Das reinste Bild durf ten Mundartennbsp;in entlegenen G-ebirgstalern bieten, wie die von Kerenz imnbsp;Kanton Gllarus ist, welche Winteler im Jahre 1876 beschriebennbsp;hat (vgl. oben S. 104). Eine zweite VorsichtsmaBregel ware die,nbsp;daB man, da es sich ja nur um die Veranderungen der Ausprachenbsp;handelt, von den Wirkungen der Analogie absieht. Denn es istnbsp;klar, daB, wenn z. B. aus dem alteren sie sturben das jetzigenbsp;sic starben geworden ist, das a nicht aus einer Anderung dernbsp;Aussprache des u zu erklaren ist, sondern aus einer Einwirkung,nbsp;welche die Form start auf die Form sturben geübt hat. Vonnbsp;diesenAnalogiewirkungenwirdim folgenden Kapitel die Rede sein.
Nach diesen Vorbereitungen kann meine Darstellung sich dem wichtigsten Problem zuwenden, der Frage namlich, warumnbsp;sich die Aussprache verandert. Dabei ware zunachst zunbsp;fragen, ob die Menschen bei der Veriinderung einen Zweck imnbsp;Auge haben. Darauf ist mit nein zu antworten. Die Veranderungen werden im allgemeinen vollzogen, ohne daB dernbsp;einzelne Speechende ein BewuBtsein davon hat. Zwar kann ge-legentlich von der alteren Generation das Alte im Gegensatznbsp;gegen eine von der jüngeren Generation begonnene Neuerungnbsp;mit BewuBtsein festgehalten werden, es kann wohl auch einmalnbsp;ein einzelner eine besondere Aussprache eines Lautes mit BewuBtsein anfangen und durchsetzen, weil er an ihr Gefallennbsp;findet (vgl. Grundfragen S. 100); es ist auch richtig, daB wir innbsp;der Schule angehalten werden, gewisse Arten der Aussprache
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mit Bewufitsein zu gebrauchen und andere zii meiden, aber im allgemeinen zeigt unsere tagliche Beobachtung, dab die Men-scben nicht wissen, wie sie aussprechen. Haben sie aber keinnbsp;BewuBtsein von den Veranderungen, so kann ihnen auch einnbsp;Zweck nicht vorschweben. Man bat also nicht nach diesem,nbsp;sondern nach den Gründen der Veranderung zu forschen. Tutnbsp;man das, so ist es wohl natürlich, dab man zunachst daran denkt,nbsp;die menschlichen Sprachorgane verantwortlich zu machen.nbsp;Das könnte in doppelter Hinsicht geschehen, namlich einmalnbsp;im Hinblick auf ihren Bau, und sodann mit Bücksicht auf dienbsp;eingeübte Haltung. Dab die Verschiedenheit des Baues, z. B.nbsp;Breite, Lange, Dicke der Zunge, vorgeschobene Lage des Unter-kiefers die Lautgebung beeinflussen kann, liegt auf der Hand.nbsp;Dab aber Lautveranderungen von der Art, wie sie oben auf-geführt sind, mit Veranderungen des Baues der Organe zu-sammenhangen sollten, scheint mir sehr unwahrscheinlich. Vielnbsp;wichtiger ist jedenfalls die gleichbleibende Haltung und An-wendung (Zungen-, Kiefer-, Lippenhaltung, Muskeldruck usw.),nbsp;die sich bei jeder Sprachgemeinschaft besonders gestaltet. Diesenbsp;Haltung labt sich überwinden, denn es gibt ja genug Menschen,nbsp;welche eine neue Sprache vollkommen lemen; aber die Erfahrungnbsp;lehrt, dab Volksstamme, welche durch politische Ereignisse innbsp;die Lage gekommen sind, mit andern zusammenzuwohnen, derennbsp;Sprache sie lemen mussen, diese neue Sprache stets mit dernbsp;Organstellung der alten aussprechen, so z. B. die Ungarn,nbsp;Böhmen, Esten. Angenommen nun, die Esten waren, alsnbsp;das noch möglich war, völlig germanisiert worden, so ware jetztnbsp;ein besonderer deutscher Dialekt verhanden, dessen Lautstandnbsp;zu einem erheblichen Teile darauf beruhen würde, dab einstmalsnbsp;die Esten infolge ihrer eingewohnten Organhaltung das Deutschenbsp;samtlich in der gleichen Bichtung schlecht nachahmten.nbsp;Was hier hypothetisch ausgeführt ist, hat sich in der Welt sehrnbsp;oft ereignet, z. B. in den romanischen Landern, und man kannnbsp;denselben Vorgang auch da vermuten, wo er geschichtlich nichtnbsp;mehr nachweishar ist. Aber es gibt selbstverstandlich dochnbsp;auch zahlreiche Falie, in denen sich die Aussprache verandert,nbsp;ohne dab man ein Recht hatte, eine Sprachmischung in gröberemnbsp;Umfang anzunehmen. Welch er Art sind nun unter diesen Ver-haltnissen die treibenden Krafte? Man hat an die für dennbsp;einzelnen oft unmerkbaren, im ganzen aber unleugbaren Ein-flüsse gedacht, welche Klima und Boden, Speise und Trank aufnbsp;den menschlichen Organismus und also auch auf die Sprach-
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tatigkeit ausiiben. In dieser Richtung ist ein Nachweis in einem speziellen Falie versucht worden, indem H. Meyer in einem Auf-satz über den ürsprung der germanischen Lautverschiebungnbsp;(Zeitschrift für deutsclies Altertum 45, 101 ff.] die bei der Ver-schiebung der in Frage kommenden Konsonanten hervortretendenbsp;Verstarkung des Exspirationsstromes auf den Einflufi zurück-führt, den die Verlegung des Wobnsitzes in ein Glebirgslandnbsp;auf die Tatigkeit der Lungen ausgeübt babe. Es ist richtig,nbsp;dab bei einigen Vorgangen in dem weiten Gebiete der so-genannten Lautverschiebung eine Verstarkung des Exspirationsstromes bervortritt, auch ist ein Zusammenhang mit demnbsp;Wechsel des Wobnortes an sich nicht undenkbar, aber es fehltnbsp;viel zu einem Nachweis. Zunachst ware genauer, als bisher,nbsp;soviel ich weiB, geschehen ist, zu zeigen, ob und inwie-weit bei Gebirgsvölkern die Lungentatigkeit nicht bloB beimnbsp;Steigen (wobei ja wenig gesprochen wird), sondern auch bei demnbsp;Gehen in der Ebene und in der Ruhelage besonders stark ist,nbsp;und es müBte ferner untersucht werden, ob sich dann auch beinbsp;der Hervorbringung anderer Laute eine solche Steigerung dernbsp;Lungentatigkeit beobachten laBt. Mit der Verschiedenheit innbsp;der Starke des Exspirationsstromes laBt sich die energischerenbsp;oder schlaffere Artikulation von Konsonanten in Parallele setzen.nbsp;Ich habe darüber in dem angeführten Aufsatz über das Wesennbsp;der Lautgesetze mit Beziehung auf das Althochdeutsche bemerkt:nbsp;'Das i von ai ist durch die Einwirkung eines nachfolgendennbsp;h w r ZM e geworden, das u von au durch die Einwirkungnbsp;eines Gaumen- oder Lippenlautes als u erhalten worden. Einnbsp;solcher EinfluB findet sich nicht überall im gleichzeitigen Deutsch.nbsp;lm Altsachsischen z. B. ist jedes ai zu ë geworden, wenn nichtnbsp;j folgte, und ebenso jedes au zu ö, wenn nicht w folgte. Mannbsp;darf daraus wohl schlieBen, daB die Aussprache dieser Konsonanten in der in Rede [stehenden Zeit im Althochdeutschen besonders energisch gewesen ist.’ Man kann natürlich auch dienbsp;Gründe dieser Aussprache in irgendwelchen kbmatischen odernbsp;geographischen Yerhaltnissen suchen, man könnte darin abernbsp;auch die Folge eines sogenannten geistigen oder sittlichennbsp;Aufschwungs sehen, wie man ihn in manchen Perioden dernbsp;Geschichte zu bemerken glaubt, indessen ist das eine so un-faBbar wie das andere. Zu den Yeranderungen, für welchenbsp;in erster Linie psychische und gesellschaftliche Motive geltendnbsp;gemacht werden, gehort die von Wundt angenommene Be-schleunigung des Redeflusses, aus der sich die germanische
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Der Lautwandel.
Lautverschiebung erklaren soil. Ob eine solcbe Bescbleunigung in Deutscbland wirklicb eingetreten ist, muB dahingestellt bleiben,nbsp;im einzelnen stöBt diese Auffassung jedenfalls auf Scbwierig-keiten. Bei der bochdeutschen Yerscbiebung (und abnlich innbsp;der urgermanischen) der Tennis wird aus t p k jedesmal einenbsp;Doppelspirans, z. B. alts, ëtan, ahd. ëxzan, alts, opan, ahd. offan,nbsp;alts, makon, ahd. mahhon (ygl. oben S. 149); diese Doppelspiransnbsp;aber dürfte doch wohl mehr Zeit erfordert baben als die ein-fache Tenuis. Es muBte also in den zahlreichen Wörtern, dienbsp;hier in Betracht kommen, die Aussprache infolge der einge-tretenen Lautverschiebung nicht schneller, sondern langsamernbsp;vonstatten gehen als früher.
In den Zusammenhang der letzterwahnten Gedankengange kann man auch die Vorstellung einreihen, daB Bequemlich-keit der letzte Grund aller Lautveranderungen ist. DaB dienbsp;Menschen so sprechen, wie es ihnen am bequemsten ist, ist einnbsp;so naheliegender Gedanke, daB jeder Laie darauf verfallt. Beinbsp;genauerem Durchdenken aber kommt man in Verlegenheit.nbsp;Wenn man in der ahsteigenden Linie der Generationen einennbsp;Eortschritt zu immer gröBerer Bequemlichkeit findet (und dasnbsp;ist doch die Annahme), so würde man rückschreitend auf immernbsp;unbequemere Zustande stoBen und zu 'der Annahme gedrangtnbsp;werden, daB unsere altesten Vorfahren sich das Sprechen er-staunlich unbequem gemacht haben. Man kann dieser Konse-quenz freilich entgehen, indem man sagt, der Begriff der Bequemlichkeit gelte immer nur für eine Generation, so daB esnbsp;z. B. der einen Generation hequem gewesen sei, ei und ou in *nbsp;und M zu verwandeln, einer andern, das l und ü wieder in einbsp;und OU ühergehen zu lassen (wie es tatsachlich im Deutschennbsp;geschehen ist); dann aber verliert der Begriff der Bequemlichkeitnbsp;seinen positiven Inhalt und ist nur eine Pormel für die Tatsache,nbsp;daB bald so, bald anders gesprochen wird. Will man demnbsp;AVorte Bequemlichkeit einen positiven Inhalt gehen ^ so kannnbsp;man es nur im Sinne der Ersparung der Arbeit auffassen,nbsp;wie es von Georg Curtius geschehen ist, der namentlich auch innbsp;der Verlegung der Aussprache von hinten nach vorn eine Er-leichterung sah (vgl. oben S. 145). Auf diese Verrückung der Stellenbsp;im Munde hat dann Baudouin de Courtenay in dem Sinnenbsp;besonderen AYert gelegt, daB er darin eine Vermenschlichungnbsp;der Sprache erblickt (B. d. O. Vermenschlichung der Sprachenbsp;1893, in der Sammlung gemeinverstandlicher wissenschaftlichernbsp;Vortaage von Virchow und Holtzendorff N. F. Serie 8, Heft
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173, vgl. auch JF. 12 Anz. 156). Indessen, so anspreohend der Grrundgedanke scheinen mag, so ist docli festzustellen, daBnbsp;der Erleichterung auch eine Ei’höhung der Arbeit gegenüber-steht, z. B. wenii aus einer Lenis eine Fortis wird oder ausnbsp;einem VerscbluBlaut eine Doppelspirans (s. oben 8. 149), undnbsp;daB auch eine Bewegung von vorn nacb hinten vorkommt,nbsp;z. B. wenn o zu Spiritus asper wird, oder * zu ei und ai.
Hat sicb nun in der bisberigen Darlegung, die sich haupt-sacbbcb mit dem Spracborgan und dem Sprechen beschaftigte, kein recht durcbgreifender G-esichtspunkt für die Erklarungnbsp;des Lautwandels ergeben (auBer etwa bei der Sprachmischungnbsp;8. 155), so fragt sich, oh man nicht weiter kommt, wenn mannbsp;auch das Horen gebiihrend berücksicbtigt. Offenbar spieltnbsp;das Ohr beim Sprechen eine sehr wichtige Rolle. Es ist janbsp;klar, daB jedes neu eintretende Mitglied mit dem Ohre dienbsp;Laut^ der übrigen auffangt und sie nachzubilden sucht, wobeinbsp;sein Ohr die Kontrolle darüber liefert, ob die Nacbbildungnbsp;genau war. Es ist ferner klar, daB die Nacbbildung nichtnbsp;immer vollkommen gelingt. Man wird annehmen dürfen, daBnbsp;jedes Mitglied einer jüngeren Generation in einigen Punktennbsp;etwas anders auspricht, als die Mitglieder der alteren Generation,nbsp;die seine Vorbilder sind. Auf dieser Beobachtung berubt dienbsp;nunmebr zu erwabnende Ansicht über die Gründe des Lautwandels, die man die Generationen- oder besserNachabmungs-theorie nennen könnte. Sie vers gibt ibr die allgemeine, nochnbsp;über den Kreis der jüngeren Generation binausgebende Fassung:nbsp;'Aller Lautwecbsel berubt auf mangelhafter Éeproduktion dernbsp;traditionellen Aussprache'’ (Phonetik'^, 243). Dabei entstebtnbsp;natürlich sofort die Frage, woher denn die Gleichbeit der Ab-weichungen kommt. Eine natürlicbe Ricbtung des Lautwandelsnbsp;und damit eine Gleichbeit der Fehler und Abweicbungen beinbsp;allen Personen einer Spracbgemeinschaft laBt sich, wie bishernbsp;gezeigt worden ist, nicht annehmen; so bleibt denn nichts übrig,nbsp;als vorauszusetzen, daB die Abweicbungen, welche zunachst beinbsp;einzelnen Personen erscbeinen, von andern nachgeahmt werdennbsp;und sicb auf diese Weise über ein ganzes Gebiet ausbreiten.nbsp;Sievers fahrt denn auch a. a. O. fort; 'Die Bildung neuer Aus-spracbsformen geht daher von einzelnen Individuen oder auchnbsp;von einer Eeihe von Individuen aus, und erst durch Nach-abmung werden solcbe individuelle Neuerungen allmablich aufnbsp;gröBere Teile einer Sprachgenossenschaft oder auch auf derennbsp;Gesamtbeit übertragen. Dabei ist es für die Weiterentwicklung
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der Sprache ziemlich gleichgültig, wo die Neuerung einsetzt, ob etwa innerhalb einer und derselben Generation von Sprechernnbsp;Oder bei der Übertragung der Sprache von einer Generationnbsp;auf die andere. Walirscbeinlich spielen beide Arten der Neue-rung bei der Sprachveranderung eine typische Eolle.quot; Anderenbsp;Gelehrte weisen der jüngeren Generation eine wicbtigere Eollenbsp;zu, so Brugmann, welcher KVG. 8. 37 ineint, in der Regelnbsp;seien es die Jüngeren, bei denen die Bewegung beginne. Mannbsp;kann nicht sagen, daB das, was in diesen Satzen behauptet wird,nbsp;induktiv bewiesen sei. Es ist nur weniges der Art beigebrachtnbsp;worden (vgl. Bremers Deutsche Phonetik), was sich daraus er-klart, daB es sehr schwer ist, wahrencl eines Menschenlebensnbsp;Übergange sicher festzustellen. Genaueres wird sich erst er-mitteln lassen, wenn der Phonograph in weitem Umfang in dennbsp;Dienst der Sprachforsclmng gestellt wird. Einstweilen mussennbsp;wir uns mit Eindrücken und Wahrscheinlichkeiten begnügen.nbsp;Innerhalb dieses Gebietes aber muB Wert auf eine allseitig an-erkannte Tatsache gelegt werden, die Tatsache namlich, daBnbsp;die Nachahmung überall in der menschlichen Gesellschaft einenbsp;unendlich wichtige Bolle spielt. Wie sollte es in der Sprachenbsp;anders sein?
Danach würde ich meine Ansicht wie folgt zusammenfassen können (vgl. Das Wesen der Lautgesetze 8. 303): Wir ver-stehen unter Lautgesetzen, wenn wir den Ausdruck Gesetz sub-jektiv fassen, die Feststellung von GleichmaBigkeiten in dernbsp;Aussprache von Lauten, wenn wir ihn objektiv fassen, das Besteken soldier GleichmaBigkeiten, welche sich innerhalb gewissernbsp;örtlicher und zeitlicher Grenzen vorfinden. Wir werden aufnbsp;solche GleichmaBigkeiten aufmerksam, indem wir zwei Sprach-durchschnitte miteinander vergleichen, und zwar, wo es möglichnbsp;ist, einen früheren und einen spateren derselben Sprache, fassennbsp;also in diesem Falie das Gesetz so, daB wir sagen: was frühernbsp;so und so war, ist spater ebenso oder hat sich so und so verandert. Die Veranderungen sind praktisch wichtiger und kommennbsp;also vorzugsweise in Betracht. Wir teilen die Vorgange beinbsp;den Veranderungen in primare und imitative. Die primarennbsp;Vorgange können, wie man annimmt, an allen Mitgliedern einernbsp;Sprachgenossenschaft derart zur Erscheinung kommen, daB sienbsp;den Ausspracheveranderungen derselben die gleiche Bichtungnbsp;anweisen: das kann geschehen, wenn eine gründliche, die ganzenbsp;Gemeinschaft umfassende Sprachmischung stattfindet, oder wennnbsp;andere, freilich schwer zu fassende, die Gesamtheit ergreifende
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Einflüsse physischer oder sozialer Natur eintreten, wohin etwa die Verstarkung des Exspirationsstromes oder dieBeschleunigung desnbsp;Redeflusses geboren könnte. Wenn derartige Vorgange sichnbsp;geilend machen, ist zurHerbeiführung der GrleicbmaBigkeit in dernbsp;Ausspracbe der verscbiedenen Individuen jedenfalls immer nocbnbsp;eine auf gegenseitigerNacbabmung berubende Ausgleicbung nötig.nbsp;Die primaren Vorgange können sicb aber aucb nur an einem Teilnbsp;oder an einzelnen Individuen der Spracbgemeinscbaft vollzieben,nbsp;und es können dann zu den obengenannten Gründen aucbnbsp;Motive individueller Art binzutreten. Die übrigen Individuennbsp;der Spracbgemeinscbaft werden von diesen Vorgangen nur darumnbsp;berübrt, weil sie sie nacbabmen. Da bei der Nacbahmung aucbnbsp;wieder erbeblichereAbweicbungen sicb einstellen können, bedarfnbsp;es zur Herstellung der Gleicbförmigkeit aucb in diesem Falienbsp;der Ausgleicbung. Die GleichmaBigkeit kann nie eine voll-kommene sein. Soweit sie aber verbanden ist, berubt sie, wienbsp;man siebt, zu einem sebr erbeblicben Teil auf Ausgleicbung,nbsp;also Nacbabmung. Die Nacbabmung spielt nicbt bloB bei dennbsp;immer wieder neu binzukommenden Jüngeren eine Rolle, welcbenbsp;die Spracbe zu lemen baben, sondern aucb bei den Erwacbsenen,nbsp;welcbe fortwabrend aufeinander einen gegenseitigen EinfluBnbsp;ausüben.
Für die Zukunft ergibt sicb als eine der Hauptaufgaben, durcb Beobachtung naber festzustellen, wie die Ausgleicbung,nbsp;von der bier geredet wird, vor sich gebt. Einen Anfang dazunbsp;batWbeeler gemacbt (Transactions of the Americ, philol. Assoc.nbsp;1901), der sicb die Sache so vorstellt: Ein Sprecbender, dernbsp;einen neuen Laut aufnimmt, lernt ihn zunacbst an einigennbsp;Wörtern. Eine Zeitlang bat er das alte und das neue Laut-bild zugleicb im Gedachtnis. Spricht er nun bei andern Wbrlernnbsp;den alten Laut, mit dem er sie friiher gelernt bat, so fallt ihmnbsp;sofort das siegreiche neue Lautbild ein, und setzt sicb auf diesenbsp;Weise bei allen Wörtern fest. Tburneysen bat in der obennbsp;angefülrrten Prorektoratsrede diesen Gedanken aufgenommennbsp;und weitergeführt. Inwieweit sicb die vorgetragene Anschauungnbsp;bewahrt, wird weitere Beobachtung lehren.
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Die Ausdrücke dvaXo'j-ia und dvtujxaXi'a sind zuerst, soviel wir wissen, von den Stoikern auf die Spraciie angewandt worden.nbsp;Und zwar wurden sie Yon diesen auf das Verhaltnis der Be-griffe zur Lautform bezogen, so daB sie dvwjjiaAia fanden, wennnbsp;diese nicht zusammenziistimmen schienen, z. B. wenn ein Wortnbsp;maskulinische Lautform hatte, ohne seinem Begriffe nach etwasnbsp;Mannliches zu bedeuten. Die Philologen und G-rammatikernbsp;aber, zu welchen die Termini von den Philosophen kamen, dachtennbsp;nicht an das Verhaltnis von Begriff und Lautform, sondern annbsp;das Verhaltnis zwischen Sprachformen, welche der gleichennbsp;Anwendungskategorie angehören. Die einen von ihnen (dienbsp;Analogisten) behaupteten, daB diese eigentlich auch gleichenbsp;grammatische Formung zeigen müBten, und bemühten sich, einenbsp;solche möglichst nachzuweisen, wahrend die andern (die Anoma-listen) sich durch die unendliche Fülle der Verschiedenheitennbsp;an der Aufstellung umfassender Gleichheitsgruppen verhindertnbsp;sahen. Der langwierige Kampf zwischen den beiden genanntennbsp;Bichtungen führte schlieBlich zu dem Ergebnis, daB man einenbsp;groBe Mannigfaltigkeit der Form bei gleicher Verwendung zu-gab, z. B. für den Nominativ Singularis behauptete, er habenbsp;im Maskulinum die Ausgange v | p o 4-, im Femininum a t) mnbsp;V ^ p a lt;];, für das Neutrum a i v p a o (bei einigen auch o,nbsp;z. B. dAAo). Innerhalb der so entstandenen kleineren Gruppennbsp;legte man aber Wert auf die Feststellung der GleichmaBigkeitnbsp;und verlangte von den Schülern das Ermitteln der Analogienbsp;(dvaXo^ia? èzAoYiop,(Jlt;;). Mit den vielen vereinzelten Formennbsp;fand man sich entweder so ab, daB man doch irgendeine Analogie aufstellte, oder daB man sie einfach als vorhandene
Delbrück, Einl. i. d. Stud. d. indogerm. Sprachen. 4. Aufl.
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Achtes Kapitel.
UnregelmaBigkeiten hinnalim. So ist es durch das Mittelalter bis in die Neuzeit geblieben. Dabei bat sicb der Ausdrucknbsp;dv(U[i.ali'a gehalten [verba anomala usw.), wabrend man statt 'analogisch^ lieber 'regelmaBig’ gebraucht. Dagegen entwickelte sichnbsp;bei dem Versuch, anomale Erscheinungen zu erklaren,. ein neuer,nbsp;dem Altertum nicht bekannter Terminus, namlich ’der Ausdrucknbsp;'falsche Analogie’. Wer ihn zuerst angewendet hat, weiB ichnbsp;nicht. Ich finde ihn bereits gebraucht bei den Begründern dernbsp;vergleichenden Sprachwissenschaft, z. B. bei Pott, der in seinennbsp;Etymologischen Eorschungen u. a. sagt, legalis und letalisnbsp;(welche eigentlich auf aris ausgehen müBten, weil das Stamm-wort bereits ein l enthalt) seien MiBbildungen: sie wurdennbsp;nach der 'irrigen Analogie’ von rogalis mm'talis gebildet, 'indemnbsp;man gegen das Wohllautsgesetz ungehorsam wurde’ (2,98), odernbsp;bei uirdpiov 'eine Pigur in der Gestalt von tt’, das t sei darinnbsp;nach 'falscher Analogie’ aufgenommen worden wie in pwraxiajj-o?nbsp;(2,498). In der gleichen Weise wie von Pott ist die falschenbsp;Analogie von allen Sprachforschern gelegentlich verwendetnbsp;worden, bis sie gegen Ende der sechziger Jahre des vorigennbsp;Jahrhunderts praktisch und theoretisch gröBere Beachtung fand.nbsp;Das geschah zunachst von seiten der Germanisten und Slavisten.nbsp;Unter den ersteren ist vor allen Scherer zu nennen, der innbsp;seinem 1868 erschienenen Buche Zur Geschichte der deutschennbsp;Sprache von dem Prinzip der Eormübertragung (auch Unifor-mierung, falsche Analogie, Umdeutung, MiBverstandrds, falschenbsp;Folgerung genannt) reichlichen Gebrauch machte und S. 177nbsp;bemerkte: 'Bs ware sehr verdienstlich, wenn jemand solchesnbsp;Aufdrangen, solche Eormübertragung oder «Wirkung der fal-schen Analogie* einmal im allgemeinsten Zusammenhangnbsp;erörterte und namentlich die Einschrankungen festzustellennbsp;suchte, innerhalb deren dieser Vorgang sich halten muB’. Einnbsp;lehrreiches Beispiel entnehme ich der 1876 erschienenen Schriftnbsp;von Leskien Die Deklination im Slavisch-Litauischen und Ger-manischen. Es handelt sich um einen Genitiv Sing. Fem. desnbsp;arkadischen Dialekts auf au, z. B. Captau 'der Strafe’, wonebennbsp;der Artikel va? die gewöhnliche Form hat. Diese Form auf aunbsp;hatte ein Schuier von Georg Curtius Gelbke im Sinne seinesnbsp;Lehrers nach der damals üblichen, spater so genannten Addi-tionsmethode erklart, indem er auf eine Urform agos zurückgeht,nbsp;aus der einerseits ao? a? geworden sei, andererseits ao? au; undnbsp;mit Abfall des s au, wogegen Leskien einwendete, es müssenbsp;völlig unglaublich erscheinen, daB ih einem und demselben
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Die Analogiebildungen.
Dialekt der Ausgang ajos bald sein s behalten, bald es verloren babe, bald sein ao zu a kontrahiert, bald es erhalten babe.nbsp;Weiter macbte er darauf aufmerksam, dab ajos nur aufgestelltnbsp;sei, urn diese beiden Formen unter einen Hut zu bringen. Dienbsp;europaiscben Spracben wiesen vielmebr auf den Ausgang as.nbsp;Man müsse desbalb das femininiscbe au im Arkadiscben alsnbsp;einen jungen Bindringling anseben. Diese Endung verdankenbsp;ibre Existenz lediglicb einer Übertragung aus dem Maskulinum.nbsp;DaB Leskien recht batte, zeigte spater das Kyprische, welcbesnbsp;den von ihm vorausgesetzten Zustand wirklich zeigt, namlicbnbsp;au für das Maskulinum, a? für das Eemininum der ersten De-klination auch bei den Substantiven, z. B. dvdaaa?. An diesemnbsp;typiscben Beispiel laBt sich der Unterschied der beiden Ver-fahrungsweisen gut beobachten. Die altere liebte es, in einernbsp;auffalligen Erscbeinung etwas Altertümliches zu seben, undnbsp;war geneigt, zur Erklarung eine Urform aufzustellen, aus dernbsp;sie die verscbiedenen Gestalten ableitete, wobei gelegentlichnbsp;Lautvorgange angenommen wurden, für die es kein Analogonnbsp;gab; die jüngere aber hielt auf strenge Befolgung der bis jetztnbsp;erkannten Lautgesetze und streng historische Auffassung desnbsp;Gegebenen, und wurde so von den Urformen abgelenkt undnbsp;zur Annahme von Analogiebildungen getrieben. Es ist unternbsp;diesen Umstanden begreiflich, daB die Analogiebildungen innbsp;der sogenannten junggrammatiscben Bewegung eine wichtigenbsp;Bolle spielten, und daB sie in der Auseinandersetzung zwischennbsp;Georg Curtius und Anhangern der neueren Bicbtung, welchenbsp;sich an Curtius’ Schrift Zur Kritik der neusten Spracbforschungnbsp;1885 anscbloB, auf beiden Seiten erörtert wurden (vgl. nament-lich K. Brugmann, Zum heutigen Stand der Sprachwissenscbaft,nbsp;S. 76ff.), wobei Curtius die Erscbeinung wesentlich auf dienbsp;modernen Sprachen beschranken und die Erklarung durchnbsp;Analogie nur als Notbehelf geiten lassen wollte, wahrendnbsp;seine Gegner ausführten, daB man derartige Bildungen, dienbsp;ja auf den überall bei Menscben wirksamen Gesetzen dernbsp;Assoziation bez’ubten, auch überall zu finden erwarten dürfe,nbsp;und betonten, daB eine Eangverscbiedenheit zwischen den beidennbsp;Erklarungsmethoden (der lautgesetzlicben und der analogischen)nbsp;nicht zugestanden werden könne, daB vielmebr in jedem ein-zelnen Fall unbefangen erwogen werden müsse, ob zu demnbsp;einen oder dem andern Mittel zu greifen sei. Diese Ansichtnbsp;hat sich in der Wissenschaft durchgesetzt, und es wird jetztnbsp;nur noch über die Einteilung, die psychologische Erklarung
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Achtes Kapitel.
iind ahnliches verhandelt. Ich werde am SchluB des Kapitels ein Wort üher diese Probleme sagen. Hier gehe ich zunachstnbsp;einen Üherhlick üher die in der Sprache vorhandenen Verbande,nbsp;innerhalb deren sich Analogiehildungen zu finden pflegen. Dabei sind immer nur einige Beispiele angeführt, wie sie mir ge-rade zur Hand sind. Systematisch angelegte Sammlungen ausnbsp;einzelnen Sprachperioden, welche es uns ermöglichen würden,nbsp;die Erscheinung in einiger Vollstandigkeit zu überblicken, sindnbsp;mir nicht bekannt. Es kommen in Betracht:
1. Die etymologischen Verbande. Die Eorm eines Wortes wird verandert, weil es von den Sprechenden zu einemnbsp;etymologisch verwandten in Beziehung gesetzt wird. So ist ausnbsp;mhd. schönheit kumiheit mit Anklang an schön und kühnnbsp;Schönheit und Kühnheit geworden, wahrend, wie Paul in seinemnbsp;Wörterbuch bemerkt, Bosheit geblieben ist, weil es sich in seinemnbsp;Bedeutungsumfang nicht so vollstandig mit böse deckt, wienbsp;Schönheit und Kühnheit mit schön und hühn\ golden ist ausnbsp;dem alteren gulden durch den EinfluB von Oold umgebildetnbsp;worden; liegen ist zu lügen geworden durch den EinfluB vonnbsp;Lüge, antwürte zu Anhvm't durch den EinfluB von Wort.nbsp;Hierher gehort die unübersehbare Menge der sog. Volksetymo-logien, wobei ein Wort mit einem andern irrtümlicherweisenbsp;in etymologischen Zusammenhang gebracht wird, z. B. Beispielnbsp;mit Spiel, wahrend spel in mhd. bispel 'Erzahlung^ bedeutet.
2) Die Kedeteilverbande, und zwar
a) Der Verbalverband. Eine Analogiebewegung von weit-reichender Bedeutung vollzog sich, indem die Infinitive dem Verbum finitum angegliedert wurden. Als Beispiel mogen dienbsp;griechischen auf- jxevai dienen. Den altesten Typus zeigen For-men wie 8d[j,svai gleich ai. damdnë, welche Dative von Nominanbsp;actionis mit verbaler Konstruktion sind ('zur Gabe, Gebung'’), undnbsp;ursprünglich hauptsachlich durch diese Konstruktion in innerlichernbsp;Verbindung mit dem Verbum standen. Von den im Griechi-'nbsp;chischen vorhandenen Exemplaren entsprechen nur wenige, wienbsp;£8[i.svai. und l'Spsvai, noch dem ursprünglichen Typus. Von ihnennbsp;trat s6[j.£vav zu Prasensformen, io[j.£vai zu Perfektformen innbsp;innerliche Beziehung, und nun wurden nach Analogie von 18-jxevai weitere Prasensinfinitive gebildet, z.B. xij(r((j.£vai Csuyvójisvainbsp;dyivspEvai usw., und nach Analogie von l'8[j.Evai Perfektinfinitive,nbsp;z. B. T£flvd[j.£vai. Andere Bildungen ursprünglichen Geprages,nbsp;wie z. B. pii][i,evai und Oéfi-svai gesellten sich zum zweiten Aoristnbsp;und erhielten Genossen innbsp;nbsp;nbsp;nbsp;alu)[j,£vai ourdpEvai, weiter
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Die Analogiebildungen.
ciTTsjxsvai [xiyTjjxsvai. asiy.ioamp;Tyfi-svai. Endlich bildete man aucb mit Aiilehnung an das Futurum owasfisvai u. a. Alle derartigen,nbsp;auBerst zahlreichen Bildungen haben nun die Eigentiimlichkeit,nbsp;daB sie in einer Einzelsprache durch Verbindung zweier ur-spriinglich getrennter Systeme (des nominalen und des verbalen)nbsp;entstanden sind, und also nicht auf eine indogermanische Ur-form zurückgeführt werden können. Sodann zeigt sich haufignbsp;innerhalb des Verbum finitum eine Einwirkung des einen Tempus-gebietes auf andere, z. B. wenn im Lateinischen das ursprüng-\ic\iQ jungo *juxi *juctum zu gungo junxi junctumnbsp;oder im Deutsclien das prasentische n von standan 'stehen’nbsp;weiter gedrungen ist (vgl. got. standa stop stopum *stapans —nbsp;dieses aus dem Altnordiscben erschlossen —, dagegen ahd. schonnbsp;stantu stuont stimitum gistantan, nur vereinzelt noch das Pra-teritum irstuat ohne w), oder wenn in umgekehrter Bichtungnbsp;n aus den iibrigen Formen ins Prasens dringt, z. B. wenn demnbsp;mild, fdhen [fan] fienc fiengen gefangen jetzt fangen fieng ent-spricht. Ebendahin gehören die Ausgleichungen, durch welchenbsp;die Yerscliiedenheiten beseitigt worden sind, die infolge dernbsp;Wirksamkeit des sog. Vernerschen Gesetzes (s. oben S. 106) entstanden waren. So ist z. B. aus dem ahd. lisu las larum gilërannbsp;jetzt lese las lasen gelesen, aus friusa fi'os fruriim gifror'an jetztnbsp;friere froi- frm-en gefrorm gewoi’den; entsprechend dihu dëhnbsp;digum gidigan jetzt gedeihe gedieh gediehen, wahrend die Ana-logiewirkmig bis zu dem innerlich abgetrennten, adjektivischnbsp;gewordenen gediegen nicht reichte. In denselben Zusammen-hang gehören die zahh’eichen Einwirkungen, welche im Deut-schen das passive Partizipium auf Prateritalforinen gelibt hat,nbsp;wie z. B. durch die Einwirkung von geflochten das urspriinglichenbsp;flaht in flocht verwandelt worden ist. Zu den Analogiewirkungennbsp;von einem Tempussystem zum andern gesellen sich die Ausgleichungen inmitten eines einzelnen Systems, eines einzelnennbsp;Modus, z. B. die Ausgleichungen zwischen sog. starken undnbsp;schwachen Formen, im Indikativ Pras. von £i,a{, wo das snbsp;ursprünglich nur den starken Formen angehört (vgl. ai. dsminbsp;dsi dsti smds sthd sdnti), von diesen aber auch in die schwachennbsp;Formen des Indikativs und in den ganzen Optativ gedrungennbsp;ist, so daB in diesem Modus nun griech. sir^v (’^satT^v) dem ai.nbsp;sijam und lat. siern gegeniibersteht, welche den urspriinglichennbsp;Zustand bewahrt haben. Innerhalb des Indikativs Pras. ist imnbsp;jetzigen Deutsch das noch bei Luther vorhandene lautgesetz-liche ich gepb^e, du geujiest, er geu^t, wir giefien in ich giefie usw.
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AcMes Kapitel.
übergegangen. Ferner sei an die Ausgleichungen der Konso-nanten im germanischen Perfektum erinnert, welche sich im Gotischen zeigen gegeniiber den andern altgermanischen Dialektennbsp;(s. oben S. 106 und an die ebenda auftretenden Ausgleichungennbsp;der Vokale, z. B. ich bei^, ivir bissen noch bei Luther, spater ^c/^nbsp;hiyS, wir bissen, ich sang, wir simgen noch erhalten in ivie dienbsp;alten simgen usw., jetzt sangen. Ein Beleg daflir, daB Endungennbsp;übertragen werden, liegt vor in dem ai. bhdrami usw., das seinnbsp;mi von dsmi usw. erhalten hat, ferner z. B. in deni deutschen dienbsp;kannst solist darfst usw., deren st von ivei^t und mujit übertragen ist, unter Mitwirkung der Tatsache, daB sich im Prasensnbsp;ein Ausgang st (durch Anfügung von du) herausgebildet hatte.nbsp;Eine Einwirkung von einer Person auf die andere dürfte innbsp;dem durchgangigen d der altindischen Medialendungen vorliegennbsp;(vgl. -make -dhve gegen -fisSa und -oamp;e).
b) Das Nomen (Substantivum und Adjektivum). Haufigwird das stammbildende Suffix verandert, weil man an ein sinnverwandtesnbsp;Wort denkt, z. B. wenn man jetzt vulgar die Morgende sagtnbsp;nach die Abende, oder wenn lat. meridionalis in Anlehnung annbsp;septentrionalis entstand. Derselbe Wortteil ist von einer weit-greifenden Bewegung ergriffen worden, als die Unterschiede dernbsp;Stammabstufung beseitigt wurden. So entstand xiiva aus *xudvanbsp;nach xuvd? y.ovt, so (pspiuv cpspovto? usw. einerseits und ferensnbsp;ferentis andererseits aus einem Urparadigma, welches in dennbsp;starken Kasus cnit, in den schwachen Nasalis sonans hatte. Einnbsp;ahnlicher Vorgang ist es, wenn im Deutschen die lautgesetzlichenbsp;Gestalt des Nominativs sich auf die übrigen Kasus desselhennbsp;Paradigmas übertragt, so daB es z. B. mhd. kraft krefte kreftenbsp;kraft heiBt, jetzt aber die Kraft, der Kraft usw. Ebenso hatnbsp;der Nom. ahd. sn^o sne Schnee veranlaBt, daB der Genitiv sne-wis zu Schnees wurde, ebenso in Klee See Bau Tau Blei Strohnbsp;Knie Mehl (Gen. urspr. melwes, daher bair. Melberei) u. a.nbsp;Vielleicht noch starker umgestaltend wirkten die Formen einernbsp;Deklinationsart auf die entsprechenden der andern. So ist imnbsp;Deutschen der Umlaut von dem Plural der z-Deklination in dienbsp;«-Deklination, z. B. bei Hals Baum, und die w-Deklination [Hand]nbsp;übertragen, der e»-Plural hat sich von einigen Neutris weiter aus-gebreitet, das s des Genitivs ist bei der konsonantischen Dekli-nation, z. B. Vater, wo es lautgesetzlich verloren gegangen war,nbsp;von der sonstigen Deklination aus, z. B. Tages, eingeführt worden , usw. In diesem Fall ist die Formveranderung eingetreten,nbsp;weil den Sprechenden die Kasusunterscheidung, die sie überall
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Die Analogiebildungen.
zu finden gewohnt waren, auch bei Vater usw. ein Bedürfnis war. In andern Fallen fiibrte die Ahnlichkeit der Sachbedeu-tung eine Angleicbung der spraclilicben Form herbei. So er-hielt z. B. Balke und viele andere Wörter, welche Dinge be-deuten, nach Wagen u.a. im Nominativ ein n, wabrend Knabe u.a.,nbsp;welche Personen bedeuten, von dieser Analogiewirkung nichtnbsp;erreicht warden. So erhielt ai. pdtis 'der HerF (Genitiv pates],nbsp;in der Bedeutung 'EheherF den Genitiv pdtyur, weil es durchnbsp;pitur 'des Vatersquot;*, bhratur 'des Brudersquot; und andere Verwandt-schaftswörter angezogen wurde.
c) nbsp;nbsp;nbsp;Die Pronomina. Die Personalpronomina haben in einigennbsp;Sprachen, so im Altindischen und Griechischen, eine starke Ein-wirkung der Nominalflexion erfahren. Bei ihnen wurde z. B.nbsp;urspriinglich der Akkusativ des Pluralis mit demselben Suffixnbsp;gebildet wie der des Singularis (daher noch aol. dpps 'uns^ ver-glichen mit èpé), dann aber ist ai. asman nach Analogie dernbsp;nominalen cj-Deklination, vjjisas nach Analogie der f-Deklinationnbsp;eingetreten. Eine Wirkung von einem Personalpronomen zumnbsp;andern zeigt sich z. B. in unserem dir und dich, wahrend dasnbsp;Gotische in pus und pule noch das urspiiingliche u der zweitennbsp;Person hat. Eine Ausgleichung innerhalb desselben Paradigmasnbsp;finden wir in den Formen è\i.ou sjtoi usw., deren s wir auf Ein-wirkung des Nominativs eym zurückführen. Die Pronominanbsp;dritter Person haben ihrerseits auch auf die Nomina gewirkt.nbsp;Denn es ist wahrscheinlich, daB von ihnen der Ablativ Singularisnbsp;stammt, der zuerst in der nominalen o-Deklination auftritt, undnbsp;sich von diesem Punkte aus im Avestischen und Italischen auchnbsp;auf andei’e Deklinationen ausgebreitet hat. Im Deutschen findetnbsp;sich eine Einwirkung des Akkusativs inan 'ihn^ auf flexionslosenbsp;substantivische Akkusative von Eigennamen oder Verwandt-schaftsnamen: ahd. Hartmuotan fateran (von bier aus im Nhd.nbsp;sogar auf Feminina wie Annan Muttern iibertragen, die akku-sativisch und dativisch gebraucht werden). Der umfassendstenbsp;Vorgang ist dieBildung der sog. starken Adjektivflexion, welchenbsp;ificht, wie man früher annahm, auf Zusammensetzung mit demnbsp;Pronomen, sondern auf Einwirkung beruht (got. hlindata nachnbsp;pata).
d) nbsp;nbsp;nbsp;Die Zahlwörter. Die in notwendiger Folge ablaufendenbsp;Reihe der Zahlwörter bietet natiirlich viel Gelegenheit zu Aus-gleichungen, am wenigsten die urspriinglichsten Kardinalia vonnbsp;1—10, welche, da sie besonders fest im Gedachtnis haften, dernbsp;Veranderung am besten widerstehen. Ich erwahne aus dem
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AoMes Kapitel.
Grriechischen die Verdrangung des lautgesetzlichen a in fUcm 'zwanzigquot;quot; durch die Einwirkung der Eormen mit -xovra, wo onbsp;lautgesetzlich war, ferner dieselbe Verdrangung aus demselbennbsp;Grunde in ark. sxotov, att. xpiazdoioi usw. (dor. Tpia'/diioi). Dasnbsp;la in Siazdaiot (lat. ducenti) erklart sich aus xpiazdoioi. Imnbsp;Deutschen gehort hierher die Ausgleichung zwischen den ur-sprünglich verschieden gebildeten Wörtern fiir die Zahlen vonnbsp;20—60 und 70—90. ‘Zwanzigquot;quot; heiBt got. twai tigjiis, ahd.nbsp;zwdnxug, aber ‘siebzig'’ got. sibuntehund, dem das ahd. sihunxonbsp;entspricht (wenn auch das Lautverhaltnis nicht ganz aufgeklartnbsp;ist). Dieses und die entsprechenden Wörter fiir achtzig undnbsp;neunzig haben sich nun nicht gehalten, sondern sind durch Neu-bildungen nach Analogie von zweinxug ersetzt worden; sibmi-7Mg usw. Aus dem Neuhochdeutschen sei noch erwahnt andert-halb fiir anderhalb nach drittehalb usw.
e) nbsp;nbsp;nbsp;Die Adverbia. Als Beispiel seien die deutschen Adverbianbsp;auf 0, mhd. e erwahnt, bei denen eine Verschiedenheit gegen dienbsp;zugehörigen Adjektiva dadurch entsteht, daB die Adverbia dennbsp;Umlaut verlieren, welchen die Adjektiva zeigen. So stehennbsp;neben den Adjektiven siiexe sccem spcete vrüeje die Adverbianbsp;suoxe scone spate vruo. Im Nhd. ist die Verschiedenheit aus-geglichen zugunsten der Adjektiva, so daB die Adverbia nunnbsp;auch siip schon spat frtih lauten. Nur wo die Verbindungnbsp;durch Bedeutungswandel unterbrochen worden ist, ist die altenbsp;Form der Adverbia geblieben, namlich in schon und fast. Übernbsp;analogische Ausbreitung von Adverbialformen, z. B. des ui’spriing-lich genitivischen s, welches selbst Verbindungen wie vm' altersnbsp;ergriffen hat, handelt Wilmanns Deutsche Grammatik 2, 621.
f) nbsp;nbsp;nbsp;Die Prapositionen und Partikeln. Ein Beispiel fiir Praposi-tionen bietet griech. si? neben sv, das sein s nach Brugmannsnbsp;Ansicht von s| bezogen hat, welches mit ihm durch den Gegen-satz der Bedeutungen assoziiert war (Griech. Gr.^, 438), odernbsp;zaxu, dessen o nach demselben Gelehrten von o-tm stammt (ebendanbsp;S. 443). Als Beispiel von Partikeln ist allbekannt fj,r,z£xi, dessen z ohne das_ Vorbild ouzsxi nicht denkbar ware.
Aus dieser Übersicht, die absichtlich nicht alle Möglichkeiten umfaBt, sondern sich auf die in der Sprache gegebenen Formen-systeme beschrankt, aber auch innerhalb dieser Grenzen nur einenbsp;schwache Vorstellung von der Fülle assoziativer Bildungen ver-mittelt, folgt, daB eine assoziative Formveranderung entsteht,nbsp;wenn dem Sprechenden die innere Beziehung eines Wortes zunbsp;einem andern lautlich in merkbarem Grade abweichenden zu be-
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Die Analogiebildungen.
senders deutlichem BewuBtsein kommt. Es gehort also zu einer Analogiebildung im modernen Sinn eine auBere Yer-anderung eines als Einzelexeinplar iiberlieferten oder dochnbsp;nach einem iiberlieferten Typus so und nicht anders zu bilden-den Wortes. An sich könnte man auch jede neue Bildungnbsp;nach einem gewissen Typus, z. B. jedes neu gebildete Wortnbsp;auf -ung, eine Analogiebildung nennen, aber die wissenschaft-liche Entwicklung hat, wie oben gezeigt worden ist, die be-schrankte Anwendung des Terminus herbeigefiihrt. Es handeltnbsp;sich bei einer Analogiebildung in diesem Sinne stets um einenbsp;Strebung, welche fiber eine vorhandene das Ubergewicht ge-winnt. Yorhanden ist das Bestreben, ein Wort weiter so her-vorzubringen, wie es bisher geschehen war, die Umformungnbsp;aber geschieht, wenn das BewuBtsein der inneren Yerbundenheitnbsp;mit andern Wörtern in besonders lebhafter Weise auftritt.nbsp;Welche von den beiden Strebungen den Sieg davontragen wird,nbsp;laBt sich in einem bestimmten Ealle nicht vorhersagen. Manch-mal erweist sich die im Gredachtnis vorhandene iibeiiiefertenbsp;Form des einzelnen Wortes, manchmal die Wirkung der Asso-ziation als starker. So haben z. B. die meisten griechischennbsp;Dialekte die iiberlieferten Formen sirtd und óxtw als getrenntenbsp;Individualformen beibehalten, im Herakleischen aber hat sichnbsp;bei der Achtzahl der Spiritus der Siebenzahl ebenfalls eingestellt,nbsp;so daB oy-Tu) entstand, im Elischen ist die Konsonantengruppenbsp;umgeformt worden, so daB das Wort dort oitTw lautet. Weiternbsp;als bis zu acht ist auch in diesen Dialekte» die Wirkung vonnbsp;sieben nicht gedrungen, weil svvsa wegen seiner allzu abwei-chenden Gestalt einer Einwirkung Widerstand leistete. Imnbsp;allgemeinen wird man wohl behaupten diirfen, daB Formen dernbsp;Umanderung um so weniger ausgesetzt sind, je fester sie durchnbsp;hilufigen Gebrauch im Gedachtnis des einzelnen Sprechendennbsp;haften. So erklart es sich z. B., daB das Yerbum sein im La-teinischen und Deutschen nicht wie die iibrigen in seiner erstennbsp;Person zur o-Konjugation iibergefiihrt worden ist. Einen ab-soluten Schütz gegen Umgestaltung bietet aber der haufige Gebrauch auch nicht. 1st doch gerade das germanische im ‘ich binquot;,nbsp;wie es noch im Gotischen vorliegt, durch die Einwirkung einesnbsp;bedeutungsgleich gewordenen Yerbums zu bin umgestaltet worden. Auch ist Haufigkeit des Gebrauches keineswegs der ein-zige Schütz gegen assoziative Wirkung. Oft kann man beob-achten, daB eine Wirkung der Art durch das Yorhandenseinnbsp;Oder Fehlen eines andern assoziativen Yerbandes gehindert wurde.
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Achtes Kapitel.
So ist es z. B. auffallend, daB in der ganzen Klasse, zu der loerden gehort, die Ablautverschiedenheit im Prateritum zugunstennbsp;des Singularvokals ausgeglichen ist, z. B. ieh start^ wir sturbennbsp;zu ich start^ ivir starten geworden ist, dagegen in wurde einenbsp;Einwirkung von tvurden zutage tritt. In diesem Ealle zeigt dienbsp;Zweisilbigkeit, daB die Ursacbe in der Yerbindung von wurdenbsp;mit den Hilfswörtern durfte mu^te Iwnnte sollte wollte zu suchennbsp;ist, welche alle kein a haben. Anders stebt es bei der Erage,nbsp;warum für die Prateritoprasentia darf kann mag mu^ wei^JiQVnbsp;Vokal des Plurals nicht derselbe ist, wie der des Singulars, wah-rend dies bei start spann go^ hifi der Pali ist. Vielleicbt istnbsp;der Grund der, daB neben Prateritis wie ich tei^, ivir bissennbsp;im BewuBtsein ein Prasens wie ich hei^e, wir beiden stand,nbsp;weshalb der Sprecbende die Gleichheit des Vokals als etwasnbsp;Natürliches empfand. Warum es sicb bei soU anders verbalt,nbsp;ware noch zu ermitteln. Überhaupt ist gerade für die Erwagungnbsp;der Gründe, warum eine Analogiewirkung in einem gegebenennbsp;Eall auf eine gewisse Zahl von Pormen beschrankt bleibt, nochnbsp;viel zu tun.
Eine Veranlassung zu Analogiewirkungen ist oft dadurcb gegeben, daB Pormen, welche ursprüngbcb ahnlich waren, imnbsp;Laufe der Zeit durch Veranderungen der Ausspracbe unabn-lich werden. So heiBt es z. B. im- Gotischen dagis und fadrsnbsp;beide mit dem genitiviscben s, im Althocbdeutscben aber falltnbsp;das s von faters weg, so daB zwischen tages und fater einenbsp;UngleicbmaBigkeit' entstebt, welche spater durch Angleichungnbsp;von fater an tages beseitigt wird. In einem solcben Palle batnbsp;also die Analogie-wirkung den Nutzen, eine gestorte Harmonienbsp;wiederberzustellen. Oft aber tritt auch zu einer gewissen Zeitnbsp;eine Umanderung bei Pormen ein, die schon lange so bestandennbsp;haben, (vgl. das oben über ö-x-oi und ÉTtxd Gesagte].
Über Einteilungen von Analogiebildungen babe ich Grund-fragen S. 108 gesprochen. Ich kann nicht finden, daB die jetzt gewöbnlich verwendeten von erheblichem Nützen sind; daB z. B.nbsp;starten aus sturben als eine stoffliche Analogiebildung bezeichnetnbsp;wird, faters aus fater aber eine formale, weil in dem einennbsp;Palle der stoffliche, in dem andern der formale Bestandteil desnbsp;Wortes_ betroffen ist, ist verhaltnismaBig gleicbgültig, da dochnbsp;beide Anderungen von paradigmatischer Zusammengehörigkeitnbsp;herrübren. Wichtiger ist, sicb den Unterscbied zwischen gleich-gültigen und förderlichen Bildungen klarzumacben. Eine gleich-gültige Analogiebildung ist z. B. óxtw statt óxtuj , dagegen
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Die Analogiebildungen.
förderlich ist owosixsvat, wodurch der Vorrat an Ausdrucks-mitteln vermehrt wird. Sie kommt in diesem Falie zustande, indem eine Liicke gefiililt wird, z. B. wenn ein indikativischernbsp;Putursatz in den Acc. cum infinitivo verwandelt werden soil. Esnbsp;schwebt dann dem Spreekenden gleichzeitig der Infinitiv Prasen-tis in einer ahnHchen Konstruktion und der Indikativ des Pu-turums vor, und aus der Vereinigung der beiden Bilder entstehtnbsp;die neue Form. Man könnte die erstere Bildung als unproduktiv,nbsp;die letztere als produktiv bezeichnen.
-ocr page 192-Die Darstellung, auf welche zuriickzublicken ich hiermit den Leser auffordere, beschaftigt sich zu einem erheblichen Teilenbsp;mit der Geschichte der Grammatik. Dabei bat sicb gezeigt,nbsp;was sich im gleichen Falie stets zeigt, daB die Geschichte einernbsp;besonderen Wissenschaft von der der übrigen, der Philosophic,nbsp;der Literatur, und überhaupt des gesamten geistigen Lebensnbsp;der Völker nicht zu trennen ist, und daB der einzelne Forschernbsp;oft in seiner wissenschaftlichen Haltung durch Einflüsse be-stimmt wird, die von auBen kommen und die ihn beherrschen,nbsp;ohne daB er es merkt. Die Grundlage der heutigen Grammatiknbsp;ist durch die griechischen Philosophen, besonders die Stoiker,nbsp;gelegt worden, von denen wir aber im einzelnen oft zu wenignbsp;wissen. Aus ihren Handen kam sie in die der Philologen,nbsp;welche die Grundzüge einer Schulgrammatik aufstellten, die imnbsp;wesentlichen noch heute in allen unter griechisch-römischem Ein-fluB stellenden Landern herrscht. Im Mittelalter geriet dienbsp;Grammatik unter die Herrschaft der aristotelischen Logik, wasnbsp;für die Satzlehre von Wichtigkeit wurde, indem man sich all-mahlich gewöhnte, den sprachlichen Satz als ein Abhild desnbsp;logischen Urteils zu betrachten. Aher auch für die Erkliirungnbsp;der Formen wurde die logische Betrachtung wichtig. Dasnbsp;Mittelalter fügte dem Subjekt und Pradikat einen dritten Bestandteil des Urteils, die Kopula, hinzu, welche sie sprachlichnbsp;in dem Verbum 'sein'’ ausgedrückt sah. Nach der Anschauungnbsp;der Logiker auch des achtzehnten Jahrhunderts inhariert diesesnbsp;Verbum jedem Verbum einer gegebenen Sprache, und diesenbsp;Anschauung war es, durch welche Bopp zu einer seiner vor-nehmsten Hypothesen geführt wurde, der Vermutung namlich,nbsp;daB in dem s des indogermanischen Aorists und Futurums dasnbsp;Verbum 'seinquot; stecke. Das sechzehnte Jahrhundert brachte eine
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Riiokbliok.
wichtige Anregung von seiten der hebraischen Grammatik. Die Griechen batten sich mit der Frage der Entstehung dernbsp;grammatischen Formen nur insoweit abgegeben, als sie dieselbennbsp;aus gewissen führenden Formen, beim Nomen dem Nominativnbsp;Singularis, beim Verbum der ersten Person Sing, des Prasens,nbsp;ableiteten. Die führenden Formen selbst suchten sie nichtnbsp;weiter zu analysieren. Die hebraischen Grammatiker dagegennbsp;wurden durcb ihre Sprache auf den Begriff der Wurzel iindnbsp;zugleich auf die Ansicht geführt, daB die Personalendungennbsp;des Verbums angehangte Pronomina seien. Indem diese An-schauungen auf die klassischen Sprachen und das Deutschenbsp;übertragen wurden, ergaben sich als Produkt der grammatischennbsp;Analyse im Laufe der Zeit die Begriiïe Wurzel, Stamm, Suffixnbsp;und die Herleitung einiger Suffixe aus Pronominibus. Bs war innbsp;den Zeiten der sogenannten Aufklarung die allgemeine, frei-lich im einzelnen wenig ausgeführte Ansicht, daB die Flexions-formen unserer Sprachen durch Zusammensetzung entstandennbsp;seien. Als nun aber die Aufklarung der romantischen Be-wegung zu weichen begann, trat auch an die Stelle der fürnbsp;flach erklarten mechanischen Ansicht eine tiefere organische,nbsp;die Ansicht F. Schlegels, daB die Flexion eine innere Ent-faltung der Wurzel darstelle. So war die Lage, als Bopp auf-trat. Er stand zunachst unter dem Banne der Schlegelschennbsp;Stimmung, kehrte dann aber, unterstützt durch den kantischnbsp;und also antiromantisch gestimmten Wilhelm von Humboldt, zunbsp;der alteren Theorie zurück, die er ins einzelne ausbildete. Sienbsp;bat bis in die Zeiten von Schleicher und Ourtius geherrscht,nbsp;kam dann aber von mehreren Seiten her ins Wanken. Zunachstnbsp;arbeitete sich gegen die Ansicht von der Zusammensetzungnbsp;fertiger Stücke die Entwicklungstheorie wieder in die Höhe,nbsp;nicht zwar in der alten Fassung der Evolution, wohl aber innbsp;der neueren der Anpassung. Die Darwinsche Anpassungslehrenbsp;hat ihr sprachwissenschafthches Gegenbild in Ludwigs Adapta-tionstheorie. Diese war freilich nicht geeignet, zur Herrschaftnbsp;zu gelangen, weil sie der unglaubhaften Hypothese von demnbsp;Vorhandensein zahlreicher gleichbedeutender Parallelformennbsp;bedarf, aber sie unterstützte doch den Zweifel an der Eichtig-keit der Boppschen Betrachtungsweise. Diese Zweifel kamennbsp;teils von innen heraus, indem sich die Einzelerklarungen vornbsp;den scharferen Forderungen der Lautlehre nicht halten konnten,nbsp;teils von auBen her aus der gesamten Zeitstimmnng, die allesnbsp;geschichtlich Gegebene mit einer durch wissenschaftliche und
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Eückblick.
politische Erfahrung gesteigerten Ehrfurcht beti-aclitete und auch auf andern Gebieten der Sprachkunde, z. B. dem der Kon-jekturalkritik, einen völligen Umscbwung herbeiführte. Allenbsp;diese Einflüsse macben es erklarlicb, daB man der Agglutina-tionstheorie höchstens eine gewisse allgemeine Wahrscbeinlicbkeitnbsp;zugesteht, sich von glottogonischen Fragen möglichst fern haltnbsp;und die Termini quot;Wurzel, Stamm, Suffix nur noch als grammatische Hilfsausdrücke verwenden will, von denen es zweifel-haft ist, ob ihnen ein historischer Sinn zukommt. Man battenbsp;also nicht ganz unrecht, wenn man behaupten wollte, daB wirnbsp;wieder zu dem griechischen Standpunkte zurückgekehrt seien.nbsp;Der Unterschied ist freüich der, daB jene naiv waren, wirnbsp;aber resigniert sind. Wie lange diese Stimmung dauern wird,nbsp;bleibt abzuwarten. Das aber steht fest, daB die fröhliche Sicher-heit Bopps und seiner Zeitgenossen auf diesem Gebiete nichtnbsp;wieder erreicht werden wird.
Bopp hielt die Erklarung der Formeii für seine wichtigste Leistung. Die Nachwelt dagegen erkennt sie in dem Nachweisnbsp;der indogermanischen Sprachverwandtschaft. Diese wurde er-möglicht durch die Zuführung völlig neuen Materials, dienbsp;wissenschaftliche Entdeckung des Sanskrit, welche in letzternbsp;Linie der Ausbreitung des englischen Handels verdankt wird.nbsp;Nachdem zuerst hauptsachlich das Griechische, Lateinische undnbsp;Germanische berücksichtigt worden waren, ist allmahlich einenbsp;beinahe unübersehbare Fülle von Sprachen und Dialektennbsp;erforscht und verglichen worden. Was auf diesem Gebiet annbsp;Erkenntnis des Tatsachlichen erobert worden ist, ist unverlierbar.nbsp;Bei der Bewaltigung haben zwei auBenstehende Wissenschaftennbsp;wertvolle Dienste geleistet, die Physiologie und die Psychologie.nbsp;Nachdem in früherer Zeit nur gelegentlich den menschhchennbsp;Sprachorganen einige Aufmerksamkeit gewidmet worden war,nbsp;erwarb sich E. Brücke das Verdienst, die Sprachforscher nach-drücklich auf die Notwendigkeit einer naturwissenschaftlichennbsp;Fundamentierung der Lautlehre hinzuweisen. Die Lautlehre,nbsp;welche allmahlich innerhalb der Sprachwissenschaft erwachsennbsp;ist, ist im vollsten Sinne eine Errungenschaft der Neuzeit.nbsp;Altertum und Mittelalter batten von der Möglichkeit einernbsp;solchen Wissenschaft noch keine Vorstellung. Es ist mitnbsp;Sicherheit anzunehmen, daB die Methode der Beobachtung sichnbsp;immer noch verfeinern und uns allmahlich die Gründe für dienbsp;an sich unnötig erscheinende Veranderung der Aussprache,nbsp;welche wir überall beobachten, sich immer mehr enthüllen werden.
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Rückblick.
Von den modernen Systemen der Psychologie hat sich zuerst das Herbartsche der Sprachwissenschaft nützlich erwiesen, wienbsp;man aus den Wei’ken von Steinthal und Paul sieht, neuerdingsnbsp;besonders das Wundtsche i). lm praktischen Betriebe merktenbsp;man die Notwendigkeit einer psychologischen Betracbtung besonders bei den Analogiebüdungen, bei deren Behandlungnbsp;rnan von selbst auf gewisse Glruppierungen geführt wird, dienbsp;sich im Innern des Sprechenden vollziehen. Jetzt wird, nach-dem die Aufmerksamkeit in höherem Grade auf die Syntaxnbsp;gelenkt worden ist, yermutlich die Analyse der Satzschematanbsp;eine Eolle spielen. Überhaupt aber wird es die Aufgabe sein,nbsp;immer genauer durch Beobachtung festzustellen, was bei dennbsp;einzelnen Individuen im Sprechen vor sich geht und welcher phy-sisch-psychische Zustand bei ihnen verhanden sein muB, damitnbsp;sie sich innerhalb einer geschichtlich gegebenen Gemein schaftnbsp;untereinander verstandigen können.
So weiden in der nachsten Zukunft die Ursprungshypo-thesen wahrscheinhch im Hintergrunde bleiben, die historisch-psychologische Erforschung des Gegebenen aber wird, wie wir boffen, weiter und weiter fort‘^':'hrei en
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