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E DONATIONE

A. G. van HAMEL

PROFESSORIS ORDINARII IN ACADEMIA RHENO-TRAIECTINA 1923-1946

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I nbsp;Aus fremden Garten

Eine Sammlung bedeutender und interessanter Dichtungen

GS nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;fremder Völker übersetzt und herausgegeben

® nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;Otto Hauser

0 Jede Nummer von ca. 3 Bogen kostet Mk. —.80 geheftet 03 ----------------------.-------------------------------------------------------------------------

0 Als neueste Bände wurden ausgegeben:

® 46. Francesco Petrarca. Gedichte. Aus dem Italienischen

G3 47. 48. Hans Christian Andersen, Märchen. Aus dem Dänischen

03 51. 52. Benjamin Constant, Adolphe. Aus dem Französischen

S 53. Helene Swarth, Lieder und Elegien. A. d. Niederländischen

03 54. Rudyard Kipling, Indische Balladen. Aus dem Englischen

Ü 55. Gustave Flaubert, Felicitas. Aus dem Französischen

0 57. August Strindberg, Gedichte in Vers und Prosa. Aus dem ns Schwedischen

§ 58. Chinesische Gedichte. Aus der Han«, Tang« und Sung«Zeit

0 59. 60. Oscar Wilde, Gedichte III. Aus dem Englischen

E3 61. Miguel de Cervantes de Saavedra, Der eifersüchtige Estre«

@ madurer. Aus dem Spanischen

0 62. 63. Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen. A. d. Franz.

ES 64. Edgar Allan Poe, Der Rabe. Die Philosophie der Kompo«

® sition. Aus dem Englischen

Q 65. Arabische Preisgedichte I

G3 66. Alexander L. Kielland, Novelletten. Aus dem Norwegischen 67. Holger Drachmann, Gedichte. Aus dem Dänischen

03 68. Johannes Jörgensen, Bekenntnis. Aus dem Dänischen

B 69. 70. Die Psalmen 1. Aus dem Hebräischen

71. Albanische Volkslieder.

0 72. 73. Rumänische Märchen.

0 74. 1. M. Eça de Queiroz, Der Gehenkte. Aus dem Portugiesischen 75. 76. Alexander Petöfi, Gedichte. Aus dem Magyarischen

0 77. Maria Konopnicka, Sommernächte. Auf der Weidenflöte.

0 Aus dem Polnischen

78. 79. Prosper Merimée, Lokis. Aus dem Französischen

0 80. Rumänische Dichter 1. 0

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ÜBERSETZT UND EINGELEITBT

VON

OTTO HAUSIR

ALEXANDER DUNCKER VERLAG WEIMAR MCMXVIII

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ALLE RECHTE VORBEHALTEN

OHLENROTHSCHE BUCHDRUCKEREI GEORG RICHTERS ERFURT

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ZUR EINFÜHRUNG

V'iel zu wenig hat man bisher den uralten dakischen Bestandteilen in der rumänischen Sprache und im rumänischen Volksglauben nachgeforscht. Auch mir ist erst, nachdem ich das Albanische kennen gelernt hatte, klar geworden, wie bedeutend diese Bestandteile sein müssen. Noch in meiner „Weltgeschichte der Literatur“ habe ich mich der Ansicht angeschlossen, das Rumänische sei eine slawische Sprache in romanischen Worten etwa wie die romanischen Sprachen germanische Sprachen in dem Latein entstammenden Worten sind. Aber die geistige Verwandtschaft mit dem Albanischen, die in vielen Fällen übrigens auch Wortverwandtschaft ist, zeigt, daß beide Sprachen auf einer gemeinsamen Grundlage beruhen, und die ist das Dakisch-Thrakische. Ergibt sich nun vielfach auch Verwandtschaft mit dem Germanischen, so darf dies nicht verwundern, da wir in den Daken und Thraken jedenfalls nahe Verwandte der Germanen zu sehen haben, vielleicht das Bindeglied zwischen ihnen und den Griechen. Eine der wichtigsten Spracherscheinungen, die Ausbildung eines Geschlechtwortes, haben Germanen, Daken, Thraken und Griechen gemein, während sie den Lateinern und Slawen fehlt. (Das Bulgarische hat in seine Sprache das Geschlecht-wort zweifellos aus der Sprache der Grundbevölkerung übernommen, fügt es auch ganz wie das Rumänische und Albanische an das Hauptwort hinten an, nicht wie das Griechische und Westgermanische vorne.) Im Laufe der Kulturbewegung ist das Albanische zum großen Teil, das Dakische zum größten Teil romanisiert worden, so daß der Wortschatz hauptsächlich lateinisch ist. Slawische und türki-

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sehe Bestandteile treten in beiden Sprachen in verschiedener Menge hinzu. Gleichwohl ist der Geist des alten Dako-Thrakischen erhalten geblieben.

Ebenso ist es mit den Volkssitten und dem Volksglauben der Fall. Überall stößt man auf Urtümliches. Freilich stehen Albaner und Rumänen nicht vereinzelt. In vielen Hinsichten findet man Verwandtes auch bei den Südslawen. Aber diese Südslawen wohnen ebenfalls auf altem Thraken-gebiet und sind namentlich in gewissen Gegenden nur slawisierte Vorbevölkerung.

Alle diese Balkanvölker einschließlich der Rumänen als Thraken anzusprechen, geht nicht an. Der äußeren Erscheinung nach ist der thrakische Bestandteil heute sehr gering. Nur die hohe schmale Gestalt und nicht selten der Gesichtschnitt sind in höherem Satze erhalten, die Färbung ist zumeist dunkel. Allerdings aber trifft man überall in diesen Ländern auch schöne, rein nordische Typen.

Die Geschichte der ehemals thrakischen Lande ist in den Grundzügen folgende. Schon die überragende griechische Kultur hat stark auf die Thraken gewirkt, hat ihrer einen Teil, die Makedonen, sogar völlig gräzisiert, so daß eine ganze Epoche, die Alexanders des Großen, von den makedonischen Thraken im Namen der Griechen beherrscht wird. Noch viel stärker wirkten die Römer ein. Das Thrakische wich — dem Wortschätze nach — dem Lateinischen. Dann aber schob sich die slawische Völkerwelle ins thrakische Gebiet vor und trennte es in zwei Teile, in das westliche, das die albanische Sprache behielt, und in das östliche, wo die Romanisierung schon weiter fortgeschritten war, das heutige rumänische Gebiet. Unter welchen Umständen die ersten Slawen ins Land kamen, wissen wir nicht. Als unter Kaiser Heraklius die Kroaten und Serben ins Land berufen wurden (aber kamen sie wirklich auf eine Berufung hin?), war es schon von Slawen bewohnt. Die Herrscher und Edeln dieser Kroaten und Serben waren Goten und haben sich noch Jahrhunderte lang als das gefühlt. Ob sie zur Zeit ihrer Ankunft in ihren späteren Hauptsitzen — Kroa-

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tien, Slavonien, Bosnien, Serbien — noch Gotisch oder schon Slawisch sprachen, ist unbekannt. Jedenfalls haben sie als Minderheit, die sich überdies strenge von dem Volke abschied, dem Südslawischen nur eine Reihe von gotischen Worten gegeben^), nicht aber dessen Geist irgendwie merkbar beeinflußt. Als dann die Herrscher dieser Südslawen auch dem übrigen Gebiet seinen Adel gaben, brachten sie auch nicht viel mehr als Worte in dessen Sprachen. Sie waren hier als Kolonie einer Kolonie noch mehr in der Minderzahl. Mochten sie auch das adelige Leben noch ganz durch ihren alten Geist bestimmen, dem Volke waren sie höchstens Gegenstand modischer Nachahmung. Aber je weniger sie an Zahl waren, um so schärfer trennten sie sich vom Volke ab, und war der Gote unter den Südslawen zumeist nur einfacher Edler (plemenitas), so unter den Rumänen oder Albanern eine Art Fürst. Erscheinungen, die sich immer wiederholen.

Dies ist die eine Ursache, warum sich unter den Albanern und unter den Rumänen so viel unzweifelhaft altes Kulturgut erhalten konnte. Die zweite liegt darin, daß zu der Zeit, als die beiden Völker unter fremde Herrschaft kamen, die nordischen Bestandteile schon stark erschöpft waren. Wie zähe die stärker brünetten Völker als Gesamtheit die Überlieferungen bewahren, dafür sind die Chinesen das sprüchwörtliche Beispiel. Es fehlte schon die Regsamkeit, die da sein muß, wenn ein ganzes Volk eine neue Kultur aufnehmen soll. Zur Römerzeit war es noch anders. Nicht viel, so wären Albaner und Daken schlechthin Lateiner geworden wie die Kelten Norditaliens und noch in späterer Zeit so viele germanische Scharen. Aus Illyrien, wie man damals Albanien gewöhnlich nannte, und aus Dakien sind eine ganze Reihe der bedeutendsten Gestalten des späten Römerreichs hervorgegangen““). Damals aber galten Illyrer

Slawisches Knez ist Kunig, knegina, Kuniginna, vladika Walting (Herrscher), vitez Witing (Ritter), pronja (Gut des Hörigen) Frone, plesati gotisches plinsja (tanzen) usw.

’) Siehe mein Buch „Genie und Rasse“ (Leipzig 1917).

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und Daken noch für blond, wobei natürlich immer nur an die beherrschende Oberschichte gedacht ist. Gerade unter einer Fremdherrschaft aber vollzieht sich die Mischung aller mit allen am leichtesten; denn die früheren Edeln sind jetzt in eine tiefere Schichte hinabgedrängt und vielfach auch nur Hörige wie die früheren Hörigen. In diesen Zeiten verloren Albaner und Daken ihre schöpferische Kraft, wurden sie als Gesamtheit mechanische Bewahrer der alten Überlieferungen, die sonst nur zu leicht der neueren Kultur gewichen wären. Daß in diesem Mangel hinwieder auch eine starke Kraft liegt, den neuen Einflüssen zu widerstehen, sei beiläufig vermerkt. Vergeblich hat man die Albaner zu slawisieren, die Rumänen (in Ungarn) zu magyarisieren gesucht. Darauf beruht dann wieder die Hoffnung auf ein neues Eigenleben. Ein solches zu tragen, sind unter Albanern und Rumänen noch immer genug nordische Bestandteile vorhanden.

Wie weit zurück nun auch die alten Überlieferungen reichen, so darf man doch nicht erwarten, daß sie von ziemlich jungen Einflüssen frei geblieben sind. Und wenn auch die meisten davon nebensächlich sind, so hat doch einer, der des Christentums, tief ins Volk gegriffen. Aber selbst dieser so starke Einfluß betraf im Grunde nur Äußerlichkeiten. Ich habe in meiner ,,Weltgeschichte der Literatur“ ausgesprochen, daß das Christentum bei den nordischen Völkern überall schon verwandte Vorstellungen vorfand, daß vielfach nur eine Umbenennung der Gestalten vorgenommen zu werden brauchte. Anderseit leben Gestalten des früheren Glaubens daneben als Dämonen fort. Nicht anders war es bei den Daken. Und wie bei den Deutschen wurden auch bei ihnen nicht alle Gestalten, die nicht bedingunglos in der christlichen Lehre aufgingen, zu bösen Geistern, sondern zu Märchengestalten, die den Sinn noch immer erfreuten, wo sie auch nicht mehr religiöse Verehrung fanden.

Ich habe in diesem Hefte einige Märchen über den dakischen Sonnen-Heiland-Helden Fat-Frumos vereinigt.

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Manche Züge darin sind ohne weiteres durchsichtig, andere bedürfen der Erklärung und Deutung.

Die Grundzüge des nordischen Mythus mögen folgende sein. Die Welt wird als Werk des eigentlichen und einzigen Gottes betrachtet, der Walter und Erhalter und zugleich das Licht und das Leben ist. Da man ursprünglich den Schöpfer gewöhnlich als Vater, das Geschöpf als Sohn bezeichnet, war sein Name wohl der Bedeutung nach ,,Vater“. Das vorindogermanische Urwort hierfür war atta; im Türkischen ata, im Magyarischen atya, im Gotischen atta, im Albanischen atë. Aber gewöhnlich kam eine Ehrfurchtbezeichnung hinzu, die den ,,Vater“ näher bestimmte, der Ausdruck der Hingabe oder die Bezeichnung als ,,unser Vater“ oder als „hehrer Vater“. Die Koseform mag aja gewesen sein, wozu das magyarische atya, das albanische adja (,,Vaterbruder“) den Übergang zeigen, und auf dieser Form beruhen das sumero-babylonische Ea, das hebräische Jah (in Hallelu-Jah, ,,lobet Gott“) und Jo (in Namen wie Jonathan), das lateinische Jo und Ja (in Jovis, Jupiter). Das hebräische Jahwe ist, wie der arabische Name Jahja zeigt, aus einer Wiederholung des Namens entstanden. Auch im Albanischen weist der Name des Donnerstags (Wotanstag, Jupitertag) Êjte auf einen höchsten Himmelsgott Êj zurück. Trat das ,,unser“ — schon vorindogermanisch n — an den Namen, so entstand mit der Koseform das assyrische Anu, mit der vollen Form das ägyptisch-syrische Aton, das syrisch-griechische Adonis, das nordische Odin, das deutsche Wotan, dessen W auf einer Ausspracheeigentümlichkeit beruhen mag. (Der Spruch von Wotan, Wille und We zeigt, daß auch das Deutsche eine Kurzform des Gottesnamens kannte, auch sie mit vorgesetztem W.) Das albanische Atynë ist christliche Übersetzung des Pater nosteA), zeigt aber noch ganz die ursprüngliche Lautung. Sollte der Himmelsgott als der „hehre Vater“ bezeichnet werden, so trat — dies schon in indogermanischer Zeit — die Silbe di,

’) Das Gebet beginnt im Albanischen Atynë, qi je n' qielli.

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ihrer Bedeutung nach aus divus, dios, dies, Tag zu erschließen — an das Wort: dann entstand das indische Dyau, das griechische Zeus, das germanische Tiu und Ziu^).

Daneben haben zwei Gottesnamen, die schon Eigenschaftnamen sind, größere Verbreitung. Semiten wie eine Gruppe der Indogermanen bezeichneten Gott als den ,,Erhabenen, ungeheuer Großen“. Daher kommt das assyrische ilu, das hebräische el mit seinen Zusammensetzungen eloah — El-Jah und eljon = El-Jah-n (unser Gott Vater), das arabische allah. Die indogermanische Bezeichnung ist Gott im Deutschen, Zot im Albanischen, Chod mit den Zusammensetzungen Cho da und Chodaj = Chod-aj (Gott Vater) im Persischen. Der semitische Name beruht auf der Wurzel al, ,,aufsteigen“, der indogermanische auf einer Wurzel, die in den Völkernamen der Goten, G eten, Cheta, Jhudim (Juden) und Jüten vorkommt und ihrer Bedeutung nach in dem der altnordischen Joten (Riesen) erhalten ist.

Dieser Vater im Himmel war aber wie der Schöpfer und Erhalter des Lebens auch ein gewaltiger, strenger Gott, der auf den Gewitterwojken einherfuhr, wie ein Stier brüllte, den Donnerkeil schleuderte. Er war dies namentlich in den nördlicheren Gegenden, wo die Gewitter häufiger und schreckenerregender sind. Vielfach schied man die zwei Wesenheiten und machte den furchtbaren Gewittergott selbständig und zu einem Streiter, der mit der Keule, der Waffe der Urzeit, wider die schwarzen Ungeheuer der Wolken zog. So Wotan und Donner. Auch im Sumero-babylonischen ist Bel als Kriegsgott von Ea als Gott der Weisheit geschieden und sind beide zu Söhnen des Himmelsvaters Anu gemacht. Zeus - Jupiter dagegen ist beides noch

') Neben der Form atta kommt auch die Form apa schon vorindogermanisch vor: semitisch ab, magyarisch apa, altnordisch afi und mit Wiederholung — auch tata kommt neben atta vor —: türkisch baba, griechisch-lateinisch papa. Von der Form apa geht die indogermanische Wurzel pa (schützen) aus und davon kommt der Name Padar-pater-Vater (Schutz-geber). Im Deutschen wurde Atte zum ,,Großvater“: das jüngere Wort drängte das ältere um eine Generation zurück.

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in Einem, aber allerdings Sohn des Uranos, des „Himmelsquot;, was jedoch auf einer Überschichtung beruht.

Dem Vater im Himmel entsprach die Mutter im Urgrund. Auch sie wurde als göttlich betrachtet. Gott hatte aus ihr die Welt geschaffen, sinnlich gesprochen: sie mit ihr gezeugt, so hatte sie neben ihm bestanden, war ebenso ewig wie er. Aber sie war die noch gärende Materie, war das Chaos mit allen seinen Geheimnissen und Schrecken; zu ihr steigt Faust hinab, da er zu den ,,Müttern“ geht. Abbild war dem Urmenschen der undurchdringliche Wald, dann das Meer, das wie eine schillernde Schlange sich um die Erde wand und darauf zu lauern schien, sie wieder einzuschlingen, auch zu Zeiten der Sintfluten über die Ufer trat und alles Lebende vernichtete, ihr Abbild aber auch — im höheren Norden — das Eis, das wieder zu anderen Zeiten und in jedem Winter einmal das Land bedeckte. Allgemein wurde sie als Mutter gedacht. Wenn der Geist Gottes in dem uraltmythischen ersten Kapitel der Genesis über ihr ,,schwebt“ {mrachepheth, ,,brütend“), so zeugt er die Welt mit ihr.

Das vorindogermanische Wort für Mutter ist ama mit der Nebenform anw. türkisch ana, magyarisch anya (daneben nêni, ,,Tantchen“), assyrisch und arabisch umm, hebräisch em, altnordisch amma, albanisch nânë, ama und ëmë, rumänisch ama, ma und nana (Mütterchen, Tantchen). Wie bei atta ist auch hier neben der wiederholenden eine ,,Koseform“ anzunehmen, die im slawischen majka anklingt und sich in dem indischen Namen der Urmutter Maya erhalten hat. Die älteste Bezeichnung ist ,,hehre Mutter“: das sumero-babylonische Tiamat, das hebräische Thehom. Der Name der Diana, die als Urmutter mit hundert Brüsten dargestellt wird, schließt sich hier unmittelbar an. Aber auch der Name der christlichen Heilandmutter Anna gehört hierher.

Die fernere Entwicklung des Mythus zeigt eine endlose Reihe von Gleichsetzungen des Schöpfers mit dem Geschöpf, dazu treten beide immer wieder aufs neue neben»

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•inander, und dies um so leichter, wenn der Name in einer anderen Sprache nicht mehr verstanden wird.

Die Namen sind entweder Sachnamen oder Ehrfurchtnamen oder Eigenschaftnamen. Helios ist Sonne, Uranos Himmel, Eros-Amor Liebe. Griechen und Lateiner wußten ohne weiteres, was die Namen bedeuteten, aber schon wir, die das auch wissen, wagen nicht beim Übersetzen griechischer und lateinischer Texte die Namen mit zu übertragen, etwa das bekannte Märchen von Eros und Psyche ,,Liebe und Seele“ zu betiteln. Völlig schwindet das Bewußtsein der Identität, wenn die Sprache jener Namen überhaupt nicht mehr verstanden wird; so enthält der griechische Mythos zahlreiche Götternamen fremdester Herkunft, oft in kaum noch erkennbarer Form. Da ergibt denn der Himmelsgott allein, wenn er unter verschiedenen Namen als selbständige Gestalten verehrt wird, ein ganzes Pantheon, ebenso die weiblich gedachte Urmutter. Hierzu kommen dann noch die einzelnen Wirkungen und Äußerungen beider und ihre Schöpfungen (Kinder), die in großer Zahl auch mit der Zeit selbständige Gottheiten wurden.

Erklärt kann das Nebeneinander ursprünglich identischer Gestalten, die Sondergestaltung einzelner davon zu verschiedenen Gottheiten im Sinne der anthropologischen Ge-schichtauffassung nur dadurch werden, daß sie aus der Mischung verschiedener Volksgruppen, gelegentlich auch durch bloße geistige Einflußnahme entstanden sind. Im Laufe der Wanderungen hatten sich — unter vielerlei fremden Einwirkungen zumal — die ursprünglich einander so nahe stehenden nordischen Sprachen stark voneinander entfernt; kam nun noch dazu, daß bei einem bestimmten Gotte in dem einen Volke der eine, in dem anderen ein anderer Eigenschaftname als hauptsächlichste oder ausschließliche Bezeichnung gebraucht wurde, so traten sehr leicht identische Gestalten als selbständig nebeneinander. In der späten Antike wurden neben den heimischen Sonnen-Heiland-Göttern wie Phoibos-Apollon, Helios, Sol auch der persische Mithras als Sol invictus, der ägyptische Osiris und

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von früher her der syrische Adonis verehrt. Aber schon in dem alten griechischen Mythos sind viele Götternamen zweifellos nichtgriechisch, besonders viele pelasgischen Ursprungs. Grundsatz einer wirklich fruchtbaren Mythenforschung muß sein, einen Gottesnamen bis zu dem Volke zu verfolgen, in dessen Sprache er eine klare Bedeutung hat. Die älteste Geschichte der Völker offenbart sich in diesen Namen.

Zu den urtümlichsten Gleichsetzungen gehört jedenfalls die der Urmutter mit ihrem Kinde, der blühenden, fruchtbaren Erde. Im Deutschen trägt sie selbst den Namen Hertha “ Erde; auch Demeter scheint Erde-Mutter zu bedeuten?). In dem Märchen von Schön-Tränenkind ist sie ganz die schreckenvolle Gestalt des Urmythos, aber Vasile Alecsandri verzeichnet folgende Überlieferung:

,,Die Wald mutter oder der heilige Freitag war so alt und runzelig, daß, wenn du siebenmal hintereinander geboren würdest und sieben volle Lebenszeiten lebtest, du mit dem Zählen der Runzeln ihres Gesichtes nicht zu Ende kämest... Sie wurde geboren, als noch nicht war, was jetzt ist, als die Welt noch nicht Welt war, aber zur Jungfrau herangewachsen, war sie so schön, daß der Herrgott die Welt schuf mit Menschen, Sonne, Sternen, mit V ögeln und Blumen, damit jemand ihre Schönheit bewundern könne.“

Hier ist die Gestalt der Urmutter schon mit der Erde, ihrem Kinde, verschmolzen und dies deutlich darin ausgedrückt, daß sie ,,Waldmutter oder heiliger Freitag“ heißt’). Der Freitag ist wie im Germanischen der Tag der Freia, so im Romanischen der der Venus. Freia und Venus sind ürsprünglich als identisch empfunden worden. Im Albanischen heißt der Freitag Prende und dies läßt darauf schließen, daß die Göttin auch dort einen ähnlichen Namen hatte wie im Deutschen. (Weniger wahrscheinlich ist es, daß die südslawischen Goten ihn den Albanern über-

1) Demeter = Ge-meter. Phe ( = Erde) lautet das Wort noch jetzt im Albanischen.

’) Alama padurii sau sfinta Vinerea.

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mitteltMi, denn nirgend sonst in sädslawischem Gebiet lautet er ähnlich.) Die lieblich erblühende Frühlingerde ist offenkundig die Grundvorstellung für Freia — der Name kennzeichnet sie als die Liebliche —, und im Germanischen ist sie scheinbar ebenso getrennt von der düsteren Mutter wie Venus von der unterirdischen Persephoneia. Doch kennt das Märchen Freia oder Holda auch als Frau Holle, die die Flocken stieben läßt, ja als Frau Venus sitzt sie sogar im Hörselberge und ist mit Hel, der ,,Hölle“, dem grauenvollen Hohlraum, gleichgesetzt und herrscht da über die Toten. Am reinsten ist der Mythus von der blühenden und der absterbenden Vegetation in der Gestalt der Persephone verkörpert, die die eine Hälfte des Jahres im Schattenreiche verbringen muß. Wenn aber ihre Mutter Demeter, der alle irdischen Muttergefühle in die Brust gelegt sind, sie durch die ganze Erde sucht, ist dies schon ein Widerspruch, denn in Wirklichkeit weilt sie bei ihr selbst in der Urtiefe.

Diese Verschmelzung der Urmutter mit ihrem Kinde, der sprossenden, von allerlei Lebewesen bevölkerten Erde, reicht in urälteste Zeiten zurück, wie die Darstellungen schon der ägeischen (mykenisch-kretischen) Kultur «eigen: da wächst auf dem vorderen Einsatz ihres Rockes Gras und Getreide oder sieht man einen Fisch darauf, und Vögel und Tiere umgeben sie.

Wie die Urmutter mit der Erde, ihrem Kinde, verschmilzt der Himmelsgott gelegentlich mit der Sonne, seiner vornehmsten Schöpfung, seinem Sohn, der alle lebenspendende Kraft des Vaters in sich vereint und in die Welt ausstrahlt. Wenn die Sonne als Held dargestellt wird — so in ägyptischen Psalmen, die im 19. Psalm des biblischen Psalters nachklingen —, wenn Sonnenhelden wie Herakles die gewaltige Keule führen, so sind hier Züge des Vaters auf den Sohn übertragen. Ursprünglich eigen sind dem Sonnengott nur die zwölf Taten (Arbeiten), die er auf seinem Zug durch die zwölf Tierkreisbilder vollbringt. Herkules vollbringt sie noch alle, der alttestamentliche Simson (von stmü, Sonne) wenigsten» einige. Allerding«

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aber konnte er im Norden auch selbst als Bekämpfer der Wolkenungeheuer gedacht werden, und nur hier schied sich der Winter schärfer vom Sommer, war der Sonnenlauf im Winter auffällig viel kürzer als im Sommer, war die Sonne im Winter schwach, sei es absterbend, sei es aus zarter Jugend heranwachsend. Diese Züge des Sonnenmythus haben ihren Ursprung offensichtlich im Norden. Und auch nur hier, wo der Winter Erstarrung und Tod ist, hat der Mythus von der Hadesfahrt der Sonnenhelden zur Befreiung oder Wiedererweckung der schönen Braut eine natürliche Grundlage. Die Braut ist die Erde, die Tochter der Urtiefe. Bald gewinnt er sie aus dem Hades selbst, bald schläft sie, von einem Gewirr von Dornen umstrickt (Dornröschen), bald holt er sie aus dem Eisland: Brünhilde, die Siegfried von Island holt; Schneewittchen, das im gläsernen (Eis-) Sarge schläft. Schön-Tränenkind holt sich selbst die Braut aus dem Reiche der Waldmutter, dem König aber die Braut aus dem Reiche des Eismonds.

Sind nun alle diese Gestalten zu irdischen Personen geworden, so ist das nicht allein darauf zurückzuführen, daß der Mensch, solange er sinnlich (plastisch) denkt, alle abstrakten Vorgänge ins Menschliche übersetzt, selbst der „Gerechtigkeit“ Schwert und Wage in die Hände gibt, es hat vielmehr in diesem Fall auch einen tieferen Grund.

Der Mensch erkannte leicht, welch ungeheuere Dienste ihm das Feuer leistete. Es selbst hervorzubringen, war die erste große Kulturtat. Naturgemäß war es ihm Abbild und Abstamm des himmlischen Feuers, der Sonne. Er rieb es zuerst aus dem Holz, dann — auf höherer Stufe der Handfertigkeiten — aus Steinen. Nach seiner üblichen Art nannte er es den Sohn seiner Werkzeuge, und davon konnte der eine Teil, der Stempfel, nach Tätigkeit und Form sehr wohl als Vater (membrum) gelten, der andere, der Mörser, als Mutter (vulva). Wenn Schön-Tränenkind die Waldmutter in den Mörser einschließt, steckt darin noch eine Erinnerung hieran. Aber die Geburt des Funkens, der plötzlich aus der Mutter sprang und dann auf ihrem Schoße saß, war doch

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geheimnisvoll. Er war nicht von der Art seines irdischen Vaters, sondern von der Art des Feuers am Himmel, war sonach eigentlich dessen Sohn, und das himmlische Feuer war sein wirklicher Vater. Der irdische Vater, das Geschöpf des Zimmerers — den die christliche Legende selbst zum Zimmermann^) machte — war nach der Geburt des Funkens bedeutunglos, und darum stellt die überlieferungtreue christliche Kunst — und so noch bei Rembrandt — Joseph immer im Schatten dar; in den Evangelien tritt er alsbald ganz aus der Geschichte. Andere Gestaltungen des Mythos lassen ihn noch eine gewisse Rolle als ,,Nährvater“ (so heißt Joseph im Katholizismus) oder als Erzieher des jungen Sonnenheilands spielen. Als Erzieher finden wir ihn ebenso in der Sargon-Legende (s. S. 35) wie in dem hier übersetzten zweiten Märchen ,,Schönkind mit dem goldenen Haar“. Darin stirbt er alsbald und verschwindet somit auch. Solange nun der Funke klein war, bedrohte ihn jeder Luftzug; er mußte sorgfältig bewahrt, in eine geschützte Ecke gebracht, vor bösen Feinden verborgen gehalten werden. Alsbald aber wuchs er staunend schnelle. Immer aber sah man das Feuer gen Himmel lodern, als strebe es zurück zu dem eigentlichen Vater, und in der Höhe löste sich die Flamme in der Luft auf. Die irdische Mutter jedoch ward

’) Daher kommt das Beil und Doppelbeil als uraltes Gottessymbol, die Labrys, die man in den ,,Labyrinthen“ aufstellte. Der Schöpfer des feuererzeugenden Stabes, also das Beil, das ihn spellte, ist hier als dessen Vater zum Symbol gemacht. Der Vater des Feuers (und auch der Sonne als Feuer nach ihrer Art) wird der ,,Vater“ des Mythus schlechthin. Jährlich einmal wurde das Feuer neu erzeugt, wie man noch aus sehr später Zeit weiß. Band man das Beil des vorigen Jahres mit dem des neuen zusammen, so entstand das Doppelbeil, dessen Klingen später durch Gesichter ersetzt wurden und dann die bekannten ,,Janus“-Köpfe verschiedener Vatergötter ergaben. (Janus = Ja-n, ,,unser Vater“, s. o.) Die sehr wertvollen Darlegungen des Freiherrn R. v. Lichtenberg in seinem Buche „Die Ägeische Kultur“ (Wissenschaft und Bildung“, 83, Leipzig 1911), das mir erst nachträglich zur Hand kommt, sind durch die obigen Ausführungen zu ergänzen; sie geben nur das Stoffliche, aber der geistige Inhalt läßt sich aus der Vergleichung der Mythen sehr wohl erschließen.

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allgemach von dem Sohne verzehrt: Holz- und Steinmutter wurden schwarz/) zerrissen und zersprangen. In dem Feuer aber sah man den Licht- und Wärmespender, die unbedingte Reinheit, die alles Unreine verzehrte. So wurde es Symbol, Gegenstand der Verehrung, wurde im Laufe der Zeit Religion und Dogma.

Die alten Inder brachten dem jungen Feuer — das sie einfach mit seinem Sachnamen nannten, agni = ignis (Feuer) — Milch und Butter in Gefäßen dar, die sie als Kühe bezeichneten; noch um die Krippe des christlichen Heilands stehen Haustiere. Man ließ es entweder in einem Stalle geboren werden oder in einem Steinhaus, und danach war es entweder ein Bauernsohn und in seiner Jugend ein Hirt^) oder ein Königsohn — denn nur die Könige wohnten in Steinhäusern — und genoß die Erziehung eines solchen. Bald genug ja muß man in der Ausmalung der Schicksale des Feuers weiter gegangen sein und sie den jeweiligen eigenen Lebensverhältnissen entsprechend gestaltet haben.

Der Heilandgedanke war schon damit gegeben, er wurde aber voll erst dadurch, daß man den Sohn dem himmlischen Vater gleichsetzte und ihn nun dessen Taten vollbringen ließ. So wurde dann der Heilandgott wohl auf Erden geboren und wandelte auf Erden, aber er ward mit den zwölf Gestalten des Tierkreises in Beziehung gebracht — die zwölf Arbeiten des Herkules, die zwölf Jünger des christlichen Heilands — und unternahm die Hadesfahrt.

Dogmatisch gesprochen war das Feuer zugleich Gottessohn, nämlich Sohn des himmlischen Feuers, der Sonne, und Menschensohn, Sohn der irdischen Mutter. Da der irdische Vater unzweifelhaft nicht sein echter Vater war, nicht Art von seiner Art, war er nur sein Adoptivvater, die Geburt aber geschah auf eine geheimnisvolle Weise, ohne daß der eigentliche Vater mit der Mutter in Berührung ge-

’) In den katholischen Ländern wird überall neben der blonden, lichten auch eine schwarze Muttergottes verehrt.

®) Über den Einfluß des Mondm)d:hus in diesem Punkte spreche ich weiter unten.

2 Aus fremden Gärten 72/73.

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kommen war, also jungfräulich, und es blieb der Phantasie jj Vorbehalten, diesen Vorgang irgendwie zu versinnlichen. y Die sentimentale Art, wie dies in dem Märchen von Schön- jj. Tränenkind geschieht — durch eine Träne — ist zweifellos ç, sehr späten Ursprungs. Zu der christlichen Heilandmutter kommt die Kraft des Höchsten in Gestalt einer Taube; bei nbsp;nbsp;nbsp;j,

den Parsen erzeugt das „Wort“ (väc — vox), das zuletzt nbsp;nbsp;nbsp;g,

auch persönlich gedacht wird, den Heiland. Aber auch im 'j christlichen Mythos ist die Taube nichts als das Wort (logos), nbsp;nbsp;nbsp;;j

das aus dem Munde Gottes „fliegt“ — von hier aus erklärt sich wohl im Christentum wie im Parsismus die Vogelgestalt^).

Gelegentlich aber wurde die Jungfrauengeburt auch weniger ij. geheimnisvoll dargestellt, ja sogar mit der Schmach irdischer j. Jungfrauengeburt belegt. Romulus und Remus — zwei identische Gestalten — sind die Söhne einer Vestalin, ebenso Sargon der einer Tempeljungfrau und der Schönkind des jj. zweiten Märchens das Fallkind einer Königtochter. nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;oj

Zunächst ist der Feuerfunke Sohn der Sonne, sowie er

aber mit der Sonne verschmilzt, wird er Sohn des ,,Vaters“ nbsp;nbsp;nbsp;rg

selbst, des Schöpfers der Sonne. So bezeichnet sich der ij, christliche Heiland immer als Sohn des Vaters im Himmel unmittelbar. Noch weiter geht die Adonismythe: sie gibt dem Heiland den Namen des Vaters — Adon (im Syrischen allerdings nur ,,Herr“) ist eigentlich Atyn, Aton, „unser nbsp;nbsp;nbsp;ti

Vater“ (s. o.). Das christliche Dogma hat in gleichem Sinne nbsp;nbsp;nbsp;ç]

den Heiland mit dem Himmelsvater selbst identisch erklärt. ü,

Wie es scheint, hat schon in sehr früher Zeit der Kult des Feuers als Königsohnes mit dem als Bauernsohnes sich verschmolzen, wahrscheinlich aber unter verschiedenen i Umständen. Man sieht Herkules geradezu als Knecht des Eurystheus die zwölf Arbeiten tun, aber Schönkind in jj unserem Märchen wird von dem Königheiland, zu dem er als Hirte kommt, ohne weiteres als ebenbürtig anerkannt

1) Der Anfang des Johannis-Evangeliums sagt es deutlich: „Im J' Anfang war das Wort, und das Wort war hei Gott, und Gott war das Wort. (Identität Gottes mit seinem „Worte.“) Und das Wort fj ward Fleisch.“ nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;ç

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nd tut den Dienst für ihn als Freund. Und wie für den reund, so gewinnt er zugleich auch für sich selbst die 'raut. Daß ursprünglich zwei Heilande nebeneinander «Ständen, wird kaum irgendwo so klar wie hier. Und ’ährend der Hirtenheiland für sich die Tochter der Wald-lutter freit, gewinnt er für den Königheiland die Tochter es Königs Eismond. Es ist leicht ersichtlich, daß der iönigheiland einer weit höheren Kultur-, aber auch Gesell-:haftschichte angehört. Die Verschmelzung der beiden leilande zu einem Paar als König und Manne, als Freund tid Freund oder gar zu einer einzigen Gestalt (wie im iiristlichen Heiland) läßt das erste große geschichtliche reignis der nordischen Menschheit erkennen: die Unterwerfung der landbauenden Bevölkerung unter die in Stein-äusern wohnenden ,, Könige“. Nicht immer geschah diese Jnterwerfung restlos. Ja, mit der Zeit setzte sich zweifel-os die Art der viel zahlreicheren Unterworfenen durch, und îirtenheiland und Königheiland wurden einander gleich-[estellt: der christliche Heiland ist zugleich der gute Hirte Ind der hohe König, nach dem einen Evangelium ist er im »talle, nach dem anderen in einer Grotte geboren, und so-iwohl Hirten als auch Könige beten ihn an. Daß die beiden ieilande Blutbruderschaft miteinander schließen (was wie n dem Märchen von Schön-Tränenkind auch in der deut-chen Siegfriedmythe geschieht), ist die Vorstufe dazu, »iegfried wie Schönkind wollen aber zunächst mit dem •nderen Heiland kämpfen; der lehnt es in beiden Fällen ab. Ule menschlichen Freundschaftgefühle wurden manchmal 1 die Brust der beiden Freunde gelegt: Gilgamesch und abani im sumerischen Epos, Theseus und Peirithoos im riechischen Mythos^). Mit der Verschmelzung zu einem

’) Zweifellos spricht in diesen beiden Mythen, wenigstens in dem 'Uge, daß der eine Freund den andern durch die ganze Welt bis in ie Unterwelt suchen geht, der Mythus von den Dioskuren, dem borgen- und Abendstern mit. Die beiden sind zumeist Zwilling-Tüder oder sonstwie enge miteinander verbunden. Man erkannte füh di« Gleichartigkeit der beiden Sterne (nicht jedoch ihre Gleich-«it) und drückte das durch enge verwandtschaftliche Beziehung

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Paar wurde aber vielfach der eine Heiland und zwar naturgemäß der Königheiland in die Rolle des Auftraggebers gedrängt; so Eurystheus, so Gunther, so der König im Märchen von Schön-Tränenkind. Aber in den Namen bezeugen sich auch Eurystheus als „in weitem Maße Starker“ (?) und Gunther als „Kampfherr“ noch als streitbare Heilande. Herkules und Schönkind führen die Waffe des Landvolkes, die Keule. Schmiedet Schönkind sich diese Waffe aus Eisen, so beruht das schon auf einer Angleichung,

aus. Da immer nur einer am Himmel stand, dachte man sich, einer müsse den andern, den entschwundenen, suchen. Ein im übrigen schlecht erzähltes rumänisches Märchen bei Ispirescu,,,Morgenstern und Abendstern“, behandelt gerade dieses Suchen. Auch da kommen sie zu der Waldmutter und fallen in einer zweiten Episode einer nach dem andern in einen Brunnen. Rückbceinflußt ist in diesem Märchen der eine der Sohn einer Magd, der andere der einer Königin und beide ebenfalls wie die Heilande ohne Hinzutun eines Mannes geboren. Wie den Sonnengöttern sind auch ihnen Rosse beigegeben. Die griechische Darstellung ist allgemein bekannt. Im Indischen sind sie Asvinen nach dem Rosse selbst genannt (Asva = aequus). Scharf auseinandergehalten ist der Heiland in Knechtsgestalt von dem in Königgestalt in dem von J oan Slavic! aufgezeichneten und von Mite Kremnitz aus der Handschrift übersetzten Märchen „Der arme Junge“ („Rumänische Märchen,“ Leipzig 1882). Der arme Junge ist einer Witwe Sohn; seine Schwester hat ein Drache geraubt und er geht sie suchen. Tiere, denen er sich hilfreich erweist, stehen ihm bei wie Eminescus Schönkind, als er die Pferde hüten soll. Die Roßwahl, die Flucht sind ganz ähnlich gestaltet. Kamm, Striegel und Bürste tun ihre Dienste. Das Pferd aber verwandelt sich, nachdem sie aus dem Bereiche der Waldmutter sind, in einen Königsohn, der ebenfalls eine Schwester zu suchen hat. Sie kommen zu einem mit Schneeplatten gedeckten Palast und finden die beiden Gesuchten in Glastürmen verschlossen. Sie befreien sie, und jeder heiratet des andern Schwester. Das Reich des „roten“ Kaisers wird unter sieverteilt. Das Nebeneinander hat hier die ursprüngliche Handlung etwas verwirrt. Bezeichnend für die Vermischung der Gestalten, die sich schon im sumero-babylonischen Mythus findet, ist es, daß Schönkind in dem zweiten Märchen für den Entscheidungkampf ein Gewand mit der Sonne auf der Brust (als Sonnengott), mit dem Mond auf dem Rücken (als Mondgottheit) und dem Morgen- und Abendstern auf den beiden Schultern (als Dioskurenpaar) anlegt, also ganz so drei in einem ist wie der dogmatische Gott des Christentums, wenn auch aus anderen Gestalten zusammengesetzt.

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die bei Siegfried noch weiter geht, indem sich der, obwohl ® anderseits deutlich als Hirtenheiland zu erkennen, ein ” Schwert schmiedet, die Waffe der Könige. Eigentümlich ” ist die Übertragung gewisser Heilandzüge auf die Jugend

des im Mannesleben historischen Königs David, Auch ~ später noch hat man immer wieder historische Persönlich

keiten mit solchen Zügen ausgestattet, andere wieder haben selbst das Heilanddogma auf sich angewendet, indem sie ” sich für Söhne des Himmelsgottes erklärten, wie Alexander jr für den Sohn des Jupiter Ammon, oder gar, wie Sargon, in die ganze Geburtgeschichte von sich erzählten. Mohammed n ist durch die Theologie des Islams präexistent geworden. ® Jedes Volk und jede Zeit haben den Heiland je nach

ihrer Art gestaltet. Die kriegerischen Germanen schilderten in ihn vornehmlich als Streiter; er war ihnen Balder, der

„Donnernde“ oder ,, Kühne“, war ihnen Siegfried. Auch diesen Gestalten fehlen die idyllischen Hirtenzüge nicht; Richard Wagner hat sie — im ,,Siegfried“ — wieder voll »n zur Geltung gebracht. Aber im wesentlichen sind Balder »d und Siegfried doch reine Abbilder des Sonnenhelden. Ja, noch der altdeutsche Dichter des „Heliand“ hat seinen 5t Heiland, so viel er vermochte, verheldischt. Auch Herkules in ist vor allem der gewaltige Streiter und ist es in seiner '»e Rauhheit ganz als Heiland eines urtümlichen Landvolkes,

ingleichen der biblische Simson. Die überfeinerte, schon n kulturmüde Levante hinwieder hat den Jäger Adonis zu tn einem unschuldigen schönen Jüngling gemacht, dessen Tod -n die Frauen mit unendlicher Klage beweinen: AtiwActo xoAoç

Aitaviç. Aus ähnlicher Stimmung heraus gestaltete das spätere Indertum den Mythos: es verweilte am liebsten bei n, der Hirtenepisode des Heilands und zeigt seinen Krishna a® oder Hari, den ,,Goldhaarigen“, inmitten der unschuldigen

Natur umworben von den lieblichsten Mädchen. Das ernste ad Christentum hat die erotischen Momente ganz ausgeschaltet; jt, selbst bei seiner Hadesfahrt befreit der christliche Heiland

nicht die schöne Braut, sondern — nicht nach den Evangelien, die darüber schweigen, sondern nach der Über-

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lieferung — die Seelen der heiligen Vorväter. Darum soviele Völker soviele Heilande, und doch alle miteinande» eine Einheit wie auch die nordischen Völker selbst. |

Nicht alle Heilande werden in der Jugend verfolgt, nichl alle sterben jung. Buddha und der ,,weiße“ Zarathustra, if deren Gestalten möglicherweise ein geschichtlicher Kern zij finden ist, aber auch die deutschen Märchenprinzen ud ebenso Schönkind erreichen die höchste menschliche LebenSf frist (achtzig Jahre) oder leben — wenn sie nicht gestorbe^ sind — noch heute. Auch hier sind zwei verschieden^ Gestaltungen ineinandergeflossen. Der eine Heiland stirW wirklich, der andere geht lebend in die Unterwelt ein! Peirithoos und der sumerische Eabani sind wirklich ge' storben, aber Theseus und Gilgamesch, die ihnen folgen sind auch während ihjer Hadesfahrt am Leben, ebenslt; Schönkind. Das beruht wohl schon in ältester Zeit auf vef schiedenen dogmatischen Auffassungen und letzten Ende wahrscheinlich darauf, daß die kulturell tiefer stehendei Verehrer des Hirtenheilandes diesen in vollem Anthropo morphismus wirklich sterben ließen, die kulturell fort geschrittenen Verehrer des Königheilandes in dem Todi nur einen Durchgangpunkt, also keinen wirklichen Tolt; sahen. Auch die Jenseitvorstellungen überhaupt waren be^ diesen andere, freundlichere. Bei jenen führten die Ab geschiedenen ein grauenerweckendes oder doch trübe Schattendasein, bei diesen saßen sie in lichten Hallen unlt; erfreuten sich weiter an den höchsten Genüssen des irdischen Lebens, an ,,Wein, Weib und Gesang“. Nur der wirklich« Tod brauchte beweint und beklagt zu werden — die Klaget um Horus, um Adonis —, nur dieser wurde mit allet Schrecken des Sterbens dargestellt (so beim christlichen Heiland). Daß der Heiland vielfach durch die Hand eine« ihm nahe Verbundenen stirbt — Balder durch die seine« Bruders, Siegfried durch die des Blutbruders —, hat seinen Grund wohl auch in der ältesten Verschmelzung der beiden ursprünglichen Heilandkulte: der Königheiland, mit den) der Hirtenheiland zwar einen Vertrag geschlossen hatte

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hatte nach der Meinung vieler ihren echten Heiland, den Hirtenheiland, heimtückisch geknechtet, und starb er nun seinen wirklichen Tod, so war es jener, der ihn tötete oder töten ließ. In pessimistischer Zeit wurde die Schuld von dem Einzelnen auf die Gesamtheit eines Volkes, ja der Menschheit überhaupt übertragen: der christliche Heiland stirbt durch die Tücke des jüdischen Volkes, aber im Grunde sind es wir alle, die den Heiland „kreuzigen“ lassen.

Zahlreich sind die Nachrichten von schauspielerischen Darstellungen der Vorgänge, die um so mehr vermenschlicht wurden, je mehr man ihre reale irdische und himmlische Grundlage (Feuerbereitung und Sonnenlauf) vergaß; und man vergaß sie besonders leicht, wenn der Name des Heilands nicht wie beim indischen Agni der Begriffname, sondern ein Eigenschaftname — wie Balder und Hari — oder ein Ehrfurchtname — wie Adonis und Christos — war. Die deutschen Osterspiele beruhen gewiß auf uralten ,,heidnischen“ Spielen ähnlicher Art, die Evangelien machen den Eindruck, geradezu solche Darstellungen zu beschreiben, die Mexikaner gingen noch in geschichtlicher Zeit so weit, einen Menschen ,,stellvertretend“ als Heiland qualvoll sterben zu lassen. Die Verteidiger der Geschichtlichkeit des christlichen Heilands können sich am ehesten auf diese Analogie berufen. Allerdings aber wissen wir aus der Levante jener Zeit und ebenso aus dem alten Persien nur von unblutigen Darstellungen und Umzügen. Diese knüpften sich, wie es scheint, besonders an die biblische Esther-Geschichte. Haman und Mardochai (Human und Marduk), der alte und der neue Heiland, waren die Protagonisten. Daß die Esther-Geschichte als Heilandmythe aufzufassen ist, findet man in den ,,Biblischen Novellen“ (A. fr. G. 4) dargelegt. Noch heute hat die Vorlesung des Buches Esther in den Synagogen am Purimfeste schier dramatischen Charakter. (Vgl. hierüber die Beschreibung einer solchen Verlesung in meinem Romane ,,Spinoza“.)

War der Heiland wirklich gestorben, so war der neue Heiland ein anderer. Mehrfach wurde da der eine der beiden

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ineinandergeflossenen Heilande in wiederaufgelebter Sondergestalt zu dem Sieger, der andere zum Besiegten, und dem Sieger wurde zugejubelt, der Besiegte mit Spott bedacht. War es schon kein lebender Mensch, so wur e sehr oft wenigstens eine stellvertretende Puppe als Gleichnis für den alten Heiland, für das alte Jahr, für den Tod — Todaustragen in Tirol — auf irgendeine Weise vernichtet.

Wo der Heilandmythus mit tiefstem menschlichen Inhalt erfüllt wurde, wurde er ergreifendes Symbol: so im Christentum.

Allgemeines Zeichen für den Heiland ist das Kreuz als Kurzbild für die lodernde Flamme^). Auch der christliche Heiland hängt ursprünglich nicht am Kreuze, sondern steht in langen weißen Gewändern segnend davor. In jenen alten levantinischen Darstellungen erscheint er zugleich als Greis, was auch für das anfängliche Christentum eine Zweiheit der Überlieferung bezeugt. Das Kreuz wird manchmal der ,,Mutter“ in die Hand gegeben — so wird die Isis oftmals dargestellt —, aber wo man einmal zur Nachbildung der menschlichen Gestalt fortgeschritten ist, wird zumeist der junge Feuerfunke auf dem Schoße seiner Mutter abgebildet: so namentlich Isis mit dem Horuskinde und, gewiß von hier aus am stärksten beeinflußt, Maria mit dem Jesuskinde^).

Der Heiland ist überall goldhaarig. Selbst die Mexikaner mußten diese Überlieferung haben, denn sie nannten den

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blonden Alvarado, der mit Cortez zu ihnen kam, Tonaltiuh, „Sonnensohn“. Zarathustra führt den Beinamen Spithama, ,,der Weiße“, Krischna wird am liebsten Hari, ,,der Blonde“ genannt. Auch Schönkind wird als lichthaarig geschildert. Ebenso heißt es von dem armenischen Herkules (bei Moses von Chorene) ausdrücklich, daß er blond war. Bei Firdusi findet man im ,, Königbuch“ die Geschichte von dem parsischen Heilandhelden Sal: inmitten eines schon dunkelhaarigen Volkes mit weißen Haaren geboren, wird er gerade deswegen ausgesetzt. Auch Jesus Christus hatte nach uralter Tradition blondes Haar; erst eine gewisse realistische Richtung, die in der späteren Renaissance einsetzt, stellt ihn bisweilen als brünetten Juden dar. (Daß die Namen Messias und Christos, ,,Gesalbter“, auf die urtümliche Zeremonie der ,,Salbung“ des jungen Feuers mit der dargebrachten Butter zurückgehen, sei beiläufig vermerkt.) Ähnliche Erscheinungen wie beim Feuer-Sonnen-Heiland-mythus finden wir beim Mondmythus, der in verschiedenster Weise selbständig ausgebildet und ingleichen mit dem Sonnenmythus verknüpft wurde. War man einmal dahin gelangt, die ,,Mutter“ mit ihrem Kinde, der bewachsenen Erde, gleichzusetzen und für das Feuer in der Sonne ein himmlisches Abbild zu sehen, so fand man für die blühende junge Natur das himmlische Abbild im Monde. Nichts ist für diese Gleichsetzung bezeichnender als die Darstellung der Mondgöttin Diana als Mutter mit hundert Brüsten, der Isis mit dem Monde auf dem Haupte, der christlichen Heilandmutter mit der Mondsichel unter ihren Füßen. (Vgl. auch Ileana Simziana Goldhaar Feld-wird-grün, Blumen-blühn im vierten Märchen.) Bei der Verschmelzung der Urmutter mit der bewachsenen Erde, mit der irdischen Heilandmutter (dem Holz- oder Steinwerkzeug) und dem Monde flossen noch verschiedenartigere Züge zusammen als bei der Verschmelzung des Feuerfunkens mit der Sonne und dem ,,Vater“. Wieder auch traten verschiedene Gestaltungen des Mythus selbständig nebeneinander, so daß im Märchen von Schön-Tränenkind die Gestalt viermal vor-

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kommt: in der Muttergottes mit den schwarzen Augen (schwarze Muttergottes in dem üblichen Silberkleid), vor der die Mutter Schönkinds betet, in der Mutter Schönkinds selbst, in der Tochter der Waldmutter und in der des Eismondes. Davon mag allerdings die schwarze Muttergottes erst durch christlichen Einfluß in das Märchen gekommen sein. In der Siegfriedsage haben wir in Brünhild und Chriemhild (Gudrun) zwei identische Gestalten, aber doch wird noch die Mutter Chriemhilds (Ute) erwähnt, wie ebenso im christlichen Mythos die Mutter der Maria (Anna). Infolge der Gleichsetzung der Urmutter mit dem Monde erhielt der Mond selbst in einer ganzen Reihe von Sprachen den Namen ,,Mutter“; ich weise hier auf die angeführten verschiedenen Lautungen des Namens zurück^). Im Persischen heißt er einfach mäh. und mäh. Das deutsche mânô, das griechische men, das lateinische men[s altdeutsch mânô[th (Monat) fügen das n (unser) an, das vorlateinische Diana und das albanische hânë, das lateinische Inna setzen eine nähere Bezeichnung davor.

Namen derselben Herkunft tragen vielfach auch die Mütter der Heilande oder ihre Bräute. War die Urmutter der Erde gleichgesetzt, so war sie ja die Braut des Sonnenhelden, und somit erklärt es sich, daß beide den Mutternamen tragen können. Buddhas Mutter hieß Maya wie die indische Urmutter selbst, die Mutter des christlichen Heilands Marjam, das mit versetzter Betonung zu Maria wurde, die Mutter des Hermes, der von den Heilandzügen fast nur die Hadesfahrten und das Feuersymbol des Stabes behalten hat, Maja. In der Moseslegende heißt die Schwester der

1) Von dem Monde, der das Jahr einteilen lehrt, geht der Begriff des Messens aus, der im Semitischen und Indogermanischen durch die Wurzel ma bezeichnet wird. Die Slawen haben das eigentliche Wort für „Mond“ verloren und nennen den Mond nur den „Messer“ (mesec). Und ähnlich wie das Wort pater nur mittelbar mit apa zusammenhängt, so auch das Wort mater nur mittelbar mit amaz madar-mater-Mutter ist die Maß-Geberin: sie mißt im ursprünglichen Haushalte jedem das Seine zu. So aber vielleicht nicht überall, denn im Albanischen trägt diesen Namen die Tochter (moter}.

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beiden Heilande Moses und Aaron Mirjam^). Balders Gattin heißt Nanna.

Die Gestalten Feuer-Sonne-Himmelsvater und Feuermutter-Urmutter- fruchtbare Erde-Mond traten in die verschiedenstartigen Beziehungen zueinander. Wie in der Moseslegende sind sie noch oft Bruder und Schwester, so auch in dem rumänischen Mythenliede ,,Sonne und Mond“ (Rumänische Balladen A.fr.G. 89). Die Verbindung der beiden wird aber vielfach als unangängig betrachtet, ja, das rumänische Lied sieht in dem Begehren der Sonne, die Schwester zu heiraten, sogar die Ursache der Hadesfahrt. Im assyrischen Mythus heiratet Ninus die eigene Mutter, Semiramis mit den symbolischen hängenden Gärten. Auch die christliche Heilandmutter wird oft als Braut ihres Sohnes besungen und gewöhnlich in ewiger Jugend dargestellt. (Ihre Mutter Anna ist alt und runzelig.) Das alles sind Erinnerungen daran, daß hier mehrere Gestalten ineinandergeflossen sind.

Aber es ist noch eine weitere urzeitliche Verschmelzung zweier Mythen anzunehmen. Mehrere Züge der Heilandlegende sind nicht aus den Erscheinungen des Sonnenlaufes zu erklären, wenn auch nachträglich einigermaßen befriedigend darauf zu beziehen. Vor allem paßt die Vorstellung des guten Hirten nur auf den Mond mit den Sternen als seiner Herde. Dann aber ist die — beim christlichen Heiland dreitägige — Hadesfahrt nur mit dem mehrtägigen Verschwinden des Mondes zur Neumondzeit zusammenzubringen. Wie oberflächlich zum Teil die Verschmelzung geschah, sieht man an Schönkind, der ohne jeden Grund Hirtenkleider anzieht und so — auf eine Kriegsfahrt geht.

’) Moses wird nicht sowohl den „aus dem Wasser gezogenen“ bezeichnen als das „Kind“ (ägyptisch mesu) und trüge da einen ganz ähnlichen Namen wie Fät (Kind) frumos. Wie Mose war auch Mirjam im Hebräischen völlig unverständlich; so ist namentlich Mirjam lautlich arg entstellt. Die Nebenform Marjam wurde von der christlichen Theologie als mar jam (Tropfen des Meeres), stilla maris gedeutet und daraus im weiteren Verlaufe Stella maris (Meeresstern) gemacht.

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So stellt sich denn die Verschmelzung der Hirtengestalt mit der König-Heldengestalt als eine uralte Verschmelzung des Mondkultus mit dem Sonnenkultus dar. Aber auch da mag der Mond zunächst der Sohn der Sonne gewesen sein. DaB im Deutschen und Slawischen noch heute sein Name männlichen Geschlechtes ist, führt vielleicht so weit zurück. Zeugnis dafür ist auch die Benennung des Neumonds als ,.neuer König“ (craiu nou) im Rumänischen, obwohl darin der Mond sonst weiblichen Geschlechtes ist (luna). Noch Alecsandri berichtet, daß die rumänischen Mädchen und Burschen das Erscheinen des ,,neuen Königs“ mit Freudenrufen begrüßen und Bitten an ihn richten. (Vgl. hierüber auch die Anmerkungen zu dem Gedichte ,,Der Drache“ in den „Rumänischen Balladen“.) Daß Sonnen- und Mondmythus tatsächlich miteinander verschmolzen, bezeugt das Märchen „Ileana Siniziana“, das ich als viertes übersetze. Da ist der Heiland zunächst ein Weib und läßt vielfach seine Doppelnatur als Held und Hirte erkennen; seine Herkunftgeschichte ist ganz die der Mondgöttin als einer von dreien Schwestern und auch im weiteren Verlauf läßt sich noch seine Hirtennatur erkennen; erst zum Schlüsse wird er — auf ziemlich äußerliche Weise — wirklich Mann.

Ohne weiteres ist klar, daß der Mond in seiner Sanftheit und Milde überall als guter Gott betrachtet werden konnte, die Sonne jedoch nur im Norden, wo sie wirklich die Erde nicht nur belebte, sondern bis zum Herbste in Fruchtbarkeit erhielt, während sie im tieferen Süden alles Leben tötete. So begrenzt sich das Gebiet der Verehrung der Sonne als restlos guten Gottes auf den Norden, und auch nur hier kann sich die Verschmelzung der beiden Kulte vollzogen haben. So wurde der Gott zugleich ein Hirte und ein Held, der die schwarzen, feuerspeienden Ungeheuer der Wolken besiegt und auf seinem Gang durch die zwölf Tierkreisbilder die zwölf Arbeiten verrichtet, in der weiteren Verschmelzung mit seinem Sohne, dem irdischen Feuerfunken, jedoch zum Heiland.

Die Mond Verehrung ist allgemein; sie reicht bis in die

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Stufe der Hirtenkultur zurück, ebenso die Feuerverehrung. Hier schon mag das Feuer als Sohn des himmlischen Feuers betrachtet worden sein, aber es war in einem Stalle geboren, und Hirten beteten es an.

Als dann die Gruppe der in dieser Abschließung sich herausbildenden nordischen Völker von den übrigen Menschen abgeschieden wurde und durch lange Zeit unter starker Rassenauslese und infolgedessen ebenso starker Rasseveränderung ihre Sonderart entwickelte und befestigte, muß es zu der ersten Verschmelzung der beiden Mythen und zur Gestaltung des eigentlichen Heilandmythus gekommen sein. Die beiden Kulte schlossen einen Vergleich: der neue Gott war sowohl Hirte als auch Held, vor allem aber war er — in seinem irdischen Abbild, dem Feuer — der Heiland. Die Verehrung der Sonne als restlos guten Gottes war das Neue, war der Glaube der am meisten Fortgeschrittenen, und setzte durch, daß neben dem Heiland der Sonnengott noch als Auftraggeber bestehen blieb. Die Zweiheit der Heilande ist so allgemein, daß sie nur in so alte Zeit zurückgehen kann.

Die vielfachen Gestaltungen des Heilandmythus bildeten sich jedoch erst heraus, als die nordischen Völker in die Gebiete anderer Völker drangen, diese unterwarfen und zuletzt immer mehr mit ihnen verschmolzen. Immer neue Überschichtungen fanden statt, und jede Schichte brachte ihren Himmelsgott, ihre Urmutter und ihren Heiland mit. Die Gleichheit des Himmelsgottes und der Urmutter wurden oft erkannt, aber die der Heilande, die zudem auch zumeist ihre Sondernamen trugen, war bei der verschiedenartigen Gestaltung eines jeden nicht so leicht zu erkennen. So kommt es, daß z. B. in der griechischen Mythologie eine ganze Reihe von Heilanden unter Namen pelasgischer oder asiatischer Herkunft auftritt, die einen als Götter, die anderen als Helden, je nach der Art, wie sie in das Pantheon aufgenommen wurden.

Der Heilandmythus ist im tiefsten Sinne nordisch, und stets nur der nordische Mensch hat seine Tiefe erfaßt, der

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fremde ihn wohl angenommen — wie selbst Chinesen, Indianer und Neger —, aber die seelische Beziehung zu ihm nicht gefunden. Die Erkenntnis, daß er in solcher Art nordisch ist, läßt auch das Christentum, seine am reinsten ethische Gestaltung, erst richtig werten, sie läßt aber auch den geschichtlichen Jesus als eine unnordische Verstoff-lichung des Überstofflichen ablehnen. Haben alte Zeiten in naiver Weise den Mythus historisiert und lokalisiert — wie noch die Holzschnitte der Lutherbibeln die Personen des Alten und Neuen Testamentes in die Gewänder der eigenen Zeit kleiden —, so hat der Heiland doch nur als überzeitlich gefaßt zu werden: so tritt er dann mitten an unseren Tisch, wo wir beten „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast“ und predigt uns, wo wir am Seestrand versammelt sind^).

OTTO HAUSER

’) Ich schrieb diese Abhandlung, vom Kriege in einen kleinen Alföldort verschlagen, fast ohne anderes Material als ich im Kopfe hatte. Darum mag sich noch viel ergänzen lassen.-

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Elt;UMÂNISCHE MÄRCHEN

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INHALT

Seite

SCHÖN-TRÄNEN KIND Aufgezeichnet von Michail Eminescu

SCHÖNKIND MIT DEM GOLDENEN HAAR Überliefert von Petre Ispirescu

JUGEND OHNE ALTER UND LEBEN OHNE TOD

Überliefert von Petre Ispirescu

ILEANA SIMZIANA Überliefert von Petre Ispirescu

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SCHÖN-TRÄNENKIND

AUFGEZEICHNET VON MICHAIL EMINESCU^)

In alter Zeit, als die Menschen von heute noch im Schoße der Zukunft schliefen, als der Herrgott mit seinen g heiligen Füßen noch durch die steinigen Wüsten der Erde Wandelte, in alter Zeit da lebte ein König so dunkel und finster wie die Mitternacht; der hatte eine Königin so jung 3 und lächelnd wie der helle Mittag.

Fünfzig Jahre schon lag der König im Krieg mit einem seiner Nachbarn. Der Nachbar starb und vererbte seinen blutigen Haß und Grimm seinen Söhnen und Enkeln. 3 Fünfzig Jahre war das her, und der König lebte allein noch wie ein alter, von Kampf und Leiden geschwächter Löwe. Nie in seinem Leben lachte er, weder der unschuldige j Gesang der Kinder, noch das liebevolle Lächeln seiner jungen Gemahlin, noch die alten lustigen Mären der in Schlachten und Ungemach ergrauten Krieger, nichts vermochte ihn zu erheitern. Er fühlte sich matt, fühlte, daß 5 er sterben werde, und hatte niemand, dem er seine Rache Vererben konnte. Traurig erhob er sich von seinem königlichen Bette von der Seite der jungen Königin — einem Bette wohl golden, aber öde und ungesegnet. Traurig zog er in den Kampf mit seinem unversöhnlichen Herzen, und die Königin blieb allein zurück und weinte wie eine Witwe über ihre Verlassenheit. Ihr blondes Haar, licht wie das schönste Gold, fiel ihr gelöst auf die weißen, runden Brüste, Und aus ihren großen blauen Augen flossen Ströme von

’) Das Märchen erschien zum ersten Mal in den „Convorbiri Literare“, IV. Jahrgang (1870/71). Ich übersetze es nach dem Abdruck in Eminescus „Opere complete“ (Bucuresci, 1907).

3 Aus fremden Gärten 73/73.

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feuchten Perlen über ihr Antlitz so weiß wie das Silber der Lilien. Tiefe dunkle Ringe zogen sich um ihre Augen, und blaue Adern zogen sich über ihr Antlitz so weiß wie ein lebendiger Marmelstein.

Hatte sie sich vom Bette erhoben, so warf sie sich in einer Marmornische auf die steinernen Stufen nieder und betete da vor dem silbergekleideten Bilde der Schmerzensmutter mit der schwelenden Lampe zu Füßen.

Gerührt von dem Flehen der hingeknieten Königin, feuchteten sich dem kalten Bilde die Wimpern, und eine Träne rollte aus dem schwarzen Auge der Gottesmutter. Die Königin stand auf in der ganzen Hoheit ihrer Gestalt und empfing mit ihrem dorren Munde diese kalte Träne und trank sie in den Grund ihrer Seele.

Von dieser Stunde an war sie schwanger.

Verging ein Mond, vergingen zween, vergingen neun, und die Königin gebar ein Kind so weiß wie Milchfaum und mit Haaren so hell wie Mondenstrahlen.

Der König lächelte, und auch die Sonne lächelte in ihrem Flammenreiche und wich nicht von der Stelle, so daß es drei Tage keine Nacht gab, sondern nur Helle und Freude. Der Wein floß aus den entspundeten Fässern, und der Jubel scholl bis ans Himmelsgewölbe.

Und die Mutter gab ihm den Namen Schön-Tränenkind^).

Und der Knabe wuchs und wurde groß wie die Tannen im Walde. Er wuchs in einem Monde mehr als ein anderes Kind in einem Jahr.

Als er groß genug war, ging er und machte sich einen eisernen Streitkolben. Er warf ihn empor, daß er das Himmelsgewölbe spaltete, fing ihn dann mit dem kleinen Finger auf, und der Kolben brach entzwei. Drauf ging er und machte sich einen anderen, schwereren. Er warf ihn

1) In der Folge lautet der Name nur Schönkind. Das rumänische Fät-Frumos ist offenkundig die Übersetzung eines alten dakischen Namens. Im Albanischen würde er Bir i bukur lauten und ähnlich wird er auch im Dakischen gelautet haben, da beide Worte alt sind. Schönkind ist ein echter Feuerfunkenname.

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empor bis knapp an den Wolkenpalast des Mondes; da er aus den Wolken niederfiel, brach er nicht mehr unter den Fingern des Helden^).

Dann nahm Schönkind Abschied von den Eltern, um hinauszuziehen und mit den Heeren des Königs, der seinen Vater befehdete, allein zu kämpfen. Er legte Hirtentracht an, ein Hemd von Seide, das seine Mutter unter Tränen gewoben hatte’), einen prächtigen Blumenhut mit Schnüren und Perlen von dem Halse von Prinzessinnen, steckte in den Gürtel eine Liedflöte und eine Tanzflöte, und als die Sonne zwei Lanzenschäfte hoch am Himmel stand, zog er in die weite Welt hinaus und auf seine Kriegsfahrt.

Wegüber spielte er Tänze und Lieder, aber den Kolben warf er empor, daß er die Wolken zerriß und eine ganze Tagreise weit niederfiel. Täler und Berge hörten voll Staunens seine Lieder, aus dem Wasser schlugen die Wogen empor, damit sie ihn hörten, in den Quellen wirbelte der Grund, Weil jede Welle emporstrebte, damit sie ihn höre und seine Weise lerne und fortan den Tälern und Blumen mit ebenso süßem Klange rausche.

') Diese Episode hat, wie in der Einführung erwähnt, ihre genaue Parallele in der deutschen Siegfriedsage. Wie Herkules und Sehönkind trägt auch Marko der Königsohn, auf dessen historische Gestalt gar manche Heilandzüge übertragen worden sind, die Keule. Das läßt auf die Allgemeinheit des Hirtenheilands unter den Dako-Thraken schließen. Aber alle drei — Marko, Schönkind, Herkules — sind Königsöhne. Herkules stirbt früh, Schönkind und Marko erreichen wie Moses, Buddha und Zarathustra das höchste Alter.

Wenn Schönkind hier und auf seiner „Kriegsfahrt“ die Keule in die Wolken wirft, so geschieht das eigentlich im Kampf mit ihnen als Ungeheuern, was aber in diesem Märchen völlig verblaßt ist. Die alten Goten halfen dem Sonnenhelden bei seinem Kampf, indem sie unter großem Getöse ihre Pfeile in die Gewitterwolken schossen. So und nicht als Hochmut ist dieser Vorgang zu deuten. Auch noch an anderen Orten hat sich die Meinung erhalten, daß man mit Schüssen, mit Glockengeläute die Gewitter vertreiben könne. Die Versuche mit Wetterkanonen gehen letzten Endes hierauf zurück.

’) Eine Erinnerung an die Mutterschmerzen, die sonst der Fabel nach hier ebensowenig einen Grund haben, wie das Anlegen der Hirtentracht.

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Die Ströme, die an den Ketten düsterer Felsen dahinbrausten, lernten von dem königlichen Hirten das Lied der Liebe, aber die Adler, die stumm auf den dürren, grauen Kämmen der hohen Felsen saßen, lernten von ihm den klagenden Schmerzesschrei. nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;#9632;

Alle standen voll Staunens, weil der königliche Hirte Lieder und Tänze spielend vorüberzog. Die schwarzen Augen der Mädchen füllten sich mit Tränen des Verlangens, und in der Brust der jungen Hirten, die ihm lauschten, mit dem Ellbogen auf einen Felsen gestützt und mit der anderen Hand auf den Hirtenstab, erwachte eine Sehnsucht tiefer, dunkler, größer — die Sehnsucht nach Kriegertaten.

Alle blieben stehen, nur Schönkind wanderte weiter, mit seinen Liedern der Sehnsucht seines Herzens folgend und mit den Augen dem Kolben, der durch Luft und Wolken flog wie ein stählerner Adler, wie ein wundersamer Stern.

Als der dritte Tag sich gen Abend neigte, schlug der Kolben im Fall an ein erzenes Tor, und ein langes, gewaltiges Dröhnen erscholP). Das Tor war gesprengt, und der Held trat ein. Der Mond ging über den Bergen auf und spiegelte sich in einem See so klar wie der helle Himmel. Auf seinem Grunde sah man — so klar war er — den goldenen Sand schimmern. Aber in der Mitte erhob sich auf einer smaragdenen Insel, von einem Buschicht grüner dichter Bäume umgeben, ein prächtiger Palast auß glänzendem milchweißen Marmor, so glänzend, daß in den Mauern wie in einem silbernen Spiegel Wald und Wiese, See und Strand sich spiegelten.

Ein goldener Nachen lag auf der klaren Flut des Sees dicht an dem Tore, und durch die reine Abendluft zitterten schöne, heitere Weisen aus Jem Palaste herüber.

’) Die Pforte der Unterwelt. Ganz klar sagt der sumero-babylo-nische Schöpfungbericht:

iptema apulli ina sili kilal Si garu uttän mina sumela u imna, ina kabitisama istikän eläti. „Er — der oberste Himmelsgott — tat auf große Tore zj beiden Seiten mit festen Riegeln, rechts und links; in der Mitte setzte er den Zenit.quot;

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Schönkind stieg in den Nachen und ruderte über den See bis an die Marmortreppe des Palastes. Da trat er ein und sah in den Treppengängen Leuchter mit hundert Armen, auf deren jedem ein feuriger Stern brannte.

Er trat in den Saal. Der Saal war hoch, von Säulen und Bogen ganz aus Gold getragen, aber in der Mitte stand ein prächtiger Tisch, weiß gedeckt, die Teller jeder aus einer einzigen großen Perle geschnitten; aber die Edeln, die in goldenen Gewändern auf Schemeln von rotem Sammet zu Tische saßen, waren schön wie die Tage der Jugend und heiter wie Tanzweisen. Doch der vornehmste von ihnen, der um die Stirne einen goldenen, mit Demanten besetzten Reif und leuchtende Gewänder trug, war schön wie der Mond einer Sommernacht. Noch schöner aber war Schön-kind^).

,,Willkommen’), Schönkind,“ sagte der König, ,,ich habe von dir gehört, aber von Angesicht habe ich dich nicht gesehen.“

') Hier werden die Jenseitsvorstellungen der ,,Herren“ wiedergegeben. Der Mond ist König in diesem Reich, was auf der Gleichsetzung der Urmutter mit dem Monde beruht. Wie imDeutschen und Slawischen ist übrigens auch im Sumero-babylonischen der Mond männlichen Geschlechtes; er trägt die Namen Sin und Nannar. Aber da hier der Hadesbeherrscher mit einer Heilandgestalt zusammengeflossen ist, zahlt er selbst in der Folge einen Seelentribut an die Waldmutter. Man erinnere sich hierbei des Tributes der Athener an den kretischen Minotaurus. Schönkind hat die Rolle des Theseus, der seinerseit ganz wie Schönkind zugleich eine Braut gewinnt, Ariadne-Ariane. (In dem Namen ist ana ,,Mutter“, ari die Ehrfurchtbezeichnung als ,,hehre“; vgl. ,,Arya = die Edeln).

’) Die Grüße lauten im Rumänischen ,,Bine-ai'venit“ (Gut bist du gekommen) und ,,Bine te-am gäsit“ (gut habe ich dich gefunden). Ganz so grüßt man im Albanischen ,,Mire të gjeta“ (gut habe ich dich gefunden) und ,,Mire më erdhi“ (gut bist du mir gekommen). Im Deutschen und Slawischen (Dobro dosao) ist nur der eine Teil erhalten geblieben. Der Grund, warum Schönkind mit dem König kämpfen will, ist nicht eigentlich die Feindschaft zwischen den Vätern, sondern der, daß der König zugleich auch Schattenbeherrscher (Waldmutter) ist und die Braut verwahrt, die Schönkind erringen will. In der deutschen Sage ist Chriemhilde-Gutrun in der Tat noch des Königs Schwester, aber dort ist ebensowenig der eigent-

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„Sei gegrüßt, König, aber ich fürchte, daß ich dir nicht willkommen sein werde. Denn ich bin gekommen, um mit dir hart zu kämpfen; du hast meinen Vater schon zu lange mit deiner Tücke verfolgt.“

,,Nein, mit Tücke habe ich deinen Vater nicht verfolgt, ich habe immer nur geraden Kampf gekämpft. Aber mit dir will ich nicht kämpfen. Vielmehr will ich den Spielleuten sagen, daß sie spielen, und den Schenken, daß sie uns die Becher mit Wein füllen, und wir wollen Kreuz-bruderschaft^) schließen, solange wir leben und leiben.“

Und die Königsöhne küßten einander unter den Glückwünschen der Edeln und tranken und besprachen sich.

Sagte der König zu Schönkind: ,,Vor wem fürchtest du dich in der Welt am meisten?“

,,Vor niemand in dieser Welt, nur vor Gott1). Und du?“

,,Auch ich vor niemand, nur vor Gott und vor der Wald-

liche Grund für das anfänglich feindliche Auftreten des Sonnenhelden ersichtlich. (Übrigens sind nicht nur Züge der Mutter-Gestalt in die des Heilands übergegangen, auch solche des Heilands sind auf die Mutter übertragen worden, wo man sie rückschließend als Art von des Sohnes Art faßte. Das römisch-katholische Dogma läßt auch die Mutter ihre Himmelfahrt haben, und ist bisher das Dogma mehr nur im geistigen Sinne gefaßt worden, so bereitet sich doch schon das Dogma der leiblichen Himmelfahrt Mariä vor. Denn je ungeistiger eine Volksgruppe durch das erst langsame und zuletzt immer raschere Verschwinden der nordischen Blondlinge wird, um so stofflicher faßt sie selbst die geistigsten Mysterien.)

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Die Rumänen und so wohl schon die Daken machten beim Schließen der Blutbruderschaft die Schnitte in der Form des Kreuzes als des uralten Feuer- und Sonnensymboles. Christlicher Einfluß ist hier wohl nicht zu sehen. Noch heute bindet die Blutbruderschaft, die allerdings nicht mehr in der ehemaligen Weise geschlossen wird, unter den Völkern des dako-thrakischen Gebietes ebenso stark wie irgend ein leibliches Blutband. Die Albaner häkeln zum Zeichen der ,,Besa“ (unbedingter Treue) die kleinen Finger ineinander (Kreuzform). So sah ich sehr oft Männer auf der Straße zusammen gehen, aber auch solche, die aus irgend welchen Gründen von uns verhaftet worden und zum Galgen gingen.

’) Die Antwort der Geten an Alexander den Großen war ähnlich: „Die Geten fürchten sich nur vor dem Himmel, daß er nicht auf sie herunterfalle.“

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mutter. Das ist ein altes häßliches Weib, das gleichwie der Sturm über mein Reich fährt. Wo sie zieht, verdorrt die Erde, fallen die Dörfer zusammen, stürzen die Flecken in Trümmer. Ich habe mit ihr gekämpft, aber nichts ausgerichtet. Daß mir nun nicht mein ganzes Reich zugrunde gehe, habe ich mit ihr einen Vertrag eingehen müssen, wonach ich ihr je den zehnten Sohn meiner Untertanen als Zins darbringe. Und heute kommt sie um den Zins.“

Als es Mitternacht schlug, wurden die Gesichter der Gäste traurig, denn um Mitternacht kam auf Windesflügeln, das Gesicht voll Runzeln wie ein von Bächen ausgenagter kahler Fels, einen Wald an Stelle des Haares, die tolle Waldmutter heulend durch die schwarze Luft angeritten,ihre Augen ein hohler Schlund, ihre Zähne Reihen von Mühlsteinen^).

Wie sie so herantoste, ergriff sie Schönkind um die Mitte Und zwängte sie mit aller Kraft in einen großen steinernen Mörser: auf den Mörser wälzte er einen Felsblock, und den band er ringsum mit sieben eisernen Ketten fest. Drinnen tobte und wütete das Weib wie ein gefangener Sturmwind — aber es war umsonst.

Das Gelage wurde fortgesetzt. Da sah man durch die Fensterbogen im Mondenschein zwei große Wasserberge. Was war es? Die Waldmutter zog, da sie sich nicht freimachen konnte, samt dem Mörser durch das Wasser und ließ es dadurch zu Bogen emporschlagen. Und immer

1) Die Waldmutter ist zweifellos mit der Waldvâlva (Vâlva padurii) identisch, die in anderen Märchen vorkommt und ebenfalls ein Ungetüm ist, mit dem man kämpfen muß. Der Name Vâlva ist dem der altnordischen Volva, der Wala Richard Wagners gleichzusetzen und wohl nichts anderes als das lateinische Vulva, also ,,Mutterschoß“ schlechthin. Im Slawischen sind die Vilen, die denselben Namen tragen, wahrscheinlich nicht urtümlich, sondern von der germanischen Wala herzuleiten. Möglicherweise aber bestand doch auch bei den Slawen eine Mutter-Urgrundgöttin ähnlichen Namens, der durch die germanischen Herren nur lautlich etwas verändert wurde. Im Germanischen gibt es nur eine Wala, im Slawischen aber viele Vilen. Das Verhältnis ist ähnlich wie das zwischen der lateinischen Diana und den sprachlich damit zusammenhängenden rumänischen „Zinen.“ (Vgl. S. 37 Anm. i).

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weiter zog sie davon, ein besessener Steinfels, und brach sich Bahn durch die Wälder, grub eine lange Furche in die Erde und verschwand endlich in der weiten Nacht^).

Schönkind tafelte und tafelte, dann aber nahm er seinen Kolben auf die Schulter und zog solange auf der Spur des Mörsers weiter, bis er zu einem schönen weißen Hause kam, das im Mondenschein inmitten eines schönen Blumengartens erschimmerte. In den grünen Beeten standen und leuchteten blaue, dunkelrote und weiße Blumen, und leichte Schmetterlinge wie blinkende Goldsterne flatterten dazwischen. Duft, Schimmer und ein ununterbrochenes leises süßes Klingen, das von den Flügeln der Schmetterlinge und der Bienen kam, umwoben Garten und Haus. Auf der Vorbank®) spann eine schöne Jungfrau. Ihr langes weißes Gewand glich einer Wolke von Licht und Schatten, aber ihr goldenes Haar hing ihr, in Zöpfe geflochten, auf den Rücken hinab, während ein Perlenkranz auf ihrer reinen Stirne lag. Ihre Finger wie von weißem Wachs spannen von einem goldenen Rocken und einem Wocken silbriger Wolle; sie spann einen weißen, feinen glänzenden Seidenfaden, der mehr einem durch die Luft ziehenden lebendigen Mondenstrahl glich als einem Gespinnst.

Bei dem leichten Schall von Schönkinds Schritten erhob die Jungfrau ihre wie die Seewogen blauen Augen.

,,Willkommen, Schönkind,“ sagte sie mit hellen, halb geschlossenen Augen, ,,wie lange schon hab’ ich dich im Traume gesehen! Weil meine Finger einen Faden spannen, spannen meine Gedanken einen Traum, einen schönen Traum, und darin warst du mein Liebster, Schönkind. Von dem Silberwocken spann ich und webe dir ein Gewand, gezettelt unter Sprüchen, geschwenkt in Glück; das sollst

*) Daß die Waldmutter durch das Wasser zieht, zeigt, daß hief eine Vorstellung der Urmutter als Wassertiefe mit der durch ihren Namen gekennzeichneten verschmolz.

’) Unter dem weit vorspringenden Dache ist beim rumänischen Hause gewöhnlich die ganze Mauer entlang eine Bank aus Ziegeln oder Lehm gebaut. Darauf sitzen die Frauen und spinnen, auch die alten Leute.

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I du tragen und mich lieb haben! Aus meinem Garn mach’ . ich dir ein Gewand, aus meinen Tagen ein Leben voll Wonnen.“

1 Wie sie so demütig zu ihm aufblickte, glitt ihr der Faden ; aus der Hand, und der Rocken fiel neben sie hin. Sie stand , auf, und als schämte sie sich dessen, was sie gesagt hatte, . ließ sie die Arme hängen, wie ein Kind, das etwas angestellt 1 hat, und senkte die großen Augen zu Boden.

; Er trat zu ihr, nahm sie mit dem Arm um die Mitte und . streichelte ihr mit der anderen Hand leise über Stirne und ; Haar und flüsterte:

1 ,,Wie schön bist du, wie hab’ ich dich lieb. Wessen - Tochter bist du, mein Kind?“

s ,,Der Waldmutter,“ antwortete sie seufzend. ,,Wirst du r mich noch lieben, wo du das weißt?“

5 Sie schlang beide bloßen Arme um seinen Hals und sah n ihn an, Auge in Auge.

n „Was frag’ ich danach, wessen Tochter du bist!“ sagte er. ,,Genug, daß ich dich liebe.“

r „Wenn du mich liebst, so laß uns fliehen,“ sagte sie, - sich fester an seine Brust drückend. „Denn wo dich die Mutter trifft, wird sie dich umbringen, und wenn du stirbst, b werde ich wahnsinnig oder sterbe auch.“

,,Fürchte dich nicht,“ sagte er lächelnd und sich aus b ihren Armen lösend. ,,Wo ist deine Mutter?“

n ,,Seit sie zurückkam, wütet sie in dem Mörser, worein 1, du sie schlossest, und beißt mit den Zähnen in die Ketten, 0 die ihn binden.“

ij nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;„Mag sie,“ sagte er und wandte sich dahin, wo sie war.

1, nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;„Schönkind,“ sagte die Jungfrau, und zwei große Tränen

ät glänzten in ihren Augen, ,,geh noch nicht. Ich will dich Weisen, wie du die Mutter bezwingen kannst. Siehst du die

;U Zwei Bottiche da? In dem einen ist Wasser, im anderen Kraft. Laß sie uns miteinander vertauschen. Wann die Mutter mit einem Gegner kämpft, ruft sie, wann sie matt

,j, wird: Halt ein; laß uns einen Schluck Wassers trinken. Dann trinkt sie Kraft, währenddessen ihr Feind nur Wasser

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trinkt. Wenn wir sie nun vertauschen, wird sie es nicht wissen und bloßes Wasser trinken, während sie mit dir kämpft.“

Gesagt, getan.

Er eilte hinter das Haus.

„Was ist mit dir, Weib?“ rief er.

Das giftige Weib fuhr mit einem Mal aus dem Mörser empor und zerriß die Ketten und streckte sich lang und dünn bis zu den Wolken auf.

„Eh! willkommen, Schönkind,“ sagte sie, sich wieder zusammenziehend, ,,komm’, kämpfe jetzt mit mir; wollen , sehen, wer stärker ist.“

„Komm!“ sagte Schönkind.

Das Weib faßte ihn um die Mitte, streckte sich mit ihm bis an die Wolken und warf ihn dann zur Erde, daß er bis , zu den Knöcheln in die Krume sank. Schönkind warf nun ] sie, und sie sank in die Erde ein bis zu den Knieen.

„Halt ein, laß uns Wasser trinken,“ sagte die Wald- j mutter, erschöpft.

Sie standen und verkeuchten sich. Das Weib trank Wasser, Schönkind trank Kraft, und etwas wie unauslösch- , liches Feuer drang ihm mit kalten Schauern durch alle , erschlafften Sehnen und Adern.

Mit doppelter Kraft nun, mit eisernen Armen ergriff er das Weib um die Mitte und warf sie in die Erde bis an den Hals. Dann zerschmetterte er ihr mit dem Kolben den j Schädel und zerschlug ihr das Hirn.

Der Himmel wurde grau von Wolken, der Wind begann j kalt zu blasen und das kleine Haus im ganzen Sparrengefüge zu schütteln. Rote Schlangen zerrissen zuckend #2404; den schwarzen Saum der Wolken, die Wasser heulten j gleichsam, nur der Donner sang mit tiefer Stimme wie ein Prophet des Weltuntergangs. In diesem dichten, undurch- j dringlichen Dunkel sah Schönkind eine silberne Schatten- -gestalt schimmern, mit aufgelöstem goldenen Haar, schwankend, die bleichen Arme emporgestreckt. Er ging auf sie { zu und umfing sie mit seinen Armen. Sie sank ihm wie tot

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vor Angst und Grauen an die Brust, und ihre kalten Hände bargen sich in seinem Schoßt). Um sie zu erwecken, küßte er sie auf die Augen.

Die Wolken am Himmel zerrissen, der Mond, rot wie Feuer, erschien in den sich bildenden Lücken. Aber an seiner Brust sah Schönkind gleichwie zween helle feuchte blaue Sterne sich auftun — die Augen seiner Braut. Er J nahm sie auf die Arme und trug sie hinweg durch den ’ Sturm. Sie barg das Haupt an seiner Brust und schien zu schlafen.

Als er den Garten des Königs erreicht hatte, brachte er sie in den Nachen und fuhr sie wie in einer Wiege über den See, riß feines duftiges Gras und Blumen im Garten ab und bereitete ihr ein Bette, worin sie wie in einem Neste lag.

® Die Sonne, die eben im Osten aufging, blickte liebevoll 5 auf sie herab. Ihr regenfeuchtes Gewand kleibte an den holdseligen runden Gliedern, und mit ihrem wachsbleichen Angesicht, mit den kleinen, auf der Brust gefalteten Händen, ' mit dem gelösten, über den Busen gebreiteten Haar, mit den großen geschlossenen, tief eingesunkenen Augen war sie vzohl schön, aber es schien, sie sei tot. Schönkind schlang ' um ihre reine Stirne ein paar blaue Blumen, dann setzte ® er sich neben sie nieder und begann Liedweisen zu spielen, ganz leise.

Der klare Himmel — ein Meer, die Sonne ein feuriges Antlitz, die erfrischten Pflanzen, der feuchte Duft der neu belebten Blumen, alles das wiegte sie in einen tiefen sanften Schlummer, und die schwermütige Flötenweise begleitete ’ ihre Träume.

' Als die Sonne im Mittag stand, schwieg die Natur, und Schönkind lauschte ihrem ruhigen warmen, linden Atmen. Leise neigte er sich zu ihrem Antlitz und küßte sie.

Der Rumäne benützt den Schoß als natürliche Tasche. Den ledernen

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„Du bist hier?“

„Nein, ich bin nicht hier. Siehst du nicht, daß ich ganz) wo anders bin?“ sagte er unter Tränen der Freude. Wie er so bei ihr saß, streckte sie ihren Arm aus und legte | ihn um seine Mitte.

„Komm, steh auf,“ sagte er, sie liebkosend, „es ist hoher Mittag.“

Sie stand auf, strich sich das Haar aus der Stirne und| warf es zurück. Er faßte sie um die Mitte, sie umschlang! seinen Hals, und so schritten sie durch die Blumenbeete' und traten in den marmornen Palast des Königs.

Er führte sie zum König und nannte sie ihm als seine i Braut.

Der König lächelte, dann nahm er Schönkind an der Hand, als wolle er ihm etwas insgeheim sagen, und zog ihn! zu einem hohen Fenster, woraus man über den weiten See sah. Aber er sagte nichts, blickte nur schwermütig auf den Spiegel des Sees, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Ein Schwan spreitete seine Flügel wie zwei silberne Segel und tauchte seinen Kopf in das Wasser, daß sich die glatte Fläche rillte.

„Du weinst, König?“ fragte Schönkind. ,,Warum?“ ;

„Schönkind,“ sagte der König, „was du für mich getan' hast, kann ich dir nicht entgelten und gäbe ich dir das Licht meiner Augen oder was mir irgend teuer ist, aber ich habe dich noch um viel mehr zu bitten.“

,,Was soll ich tun, König?“

„Siehst du dort den Schwan, wie er das Wasser küßt? Ich bin jung und sollte darum das Leben lieben, und docbl habe ich schon meine Rechnung machen wollen. Ich liebel eine schöne Jungfrau mit versonnenen Augen, süß wie Meerträume — die Tochter des Eismonds^); das ist ein! stolzer, unzugänglicher Mann, der sein Leben auf der Jagd in Urwäldern^) verbringt. 0, so hart er ist, so lieblich ist,

’) Im Rumänischen Genarul, „Januar.“

’) Auch hier spricht noch die Vorstellung des Urgrundes all Wald mit.

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sein Kind! Aber wie oft ich versucht habe, sie zu rauben, ist es mir mißlungen. Versuch es dul“

2 Schönkind wäre gern am Orte verblieben, aber die e Kreuzbruderschaft war ihm teuer wie nur irgendeinem e Ritter, teurer als die Braut.

,,Durchlauchtiger König, von allem Glück, das dir zu-f teil geworden, das größte ist dies: daß Schönkind dein Kreuzbruder ist. Nun wohl, ich will ausziehen, dir die d' Tochter des Eismonds zu gewinnen.“

g Und Schönkind nahm sich hurtige Rosse, Rosse mit e Windseelen, und machte sich bereit. Da sagte ihm seine Braut — Ileana^) war ihr Name — leise ins Ohr, indem e sie ihn innig küßte: „Vergiß nicht, Schönkind, daß ich, solange du fern bist, immer weinen werde.“

;f Er blickte sie liebevoll an, streichelte sie — dann aber 0 machte er sich los aus ihren Armen, schwang sich in den c Sattel und ritt davon.

n Er zog durch wüste Wälder, zog über Berge mit schnee-I, igen Gipfeln, und wann hinter den alten Felsen der Mond ;I aufging, bleich wie das Antlitz eines toten Mädchens, dann e sah er je und je eine riesige Fahne vom Himmel herabhängen, die mit ihrem Saum den Gipfel irgendeines Berges ; einhüllte — eine zerrissene Nacht, ein verfallenes Bauwerk, 0 eine Burg, davon nur noch Steine und Mauerreste übrig it Waren.

,e Als der Tag änbrach, sah Schönkind, daß die Bergkette

*) Ileana ist Helena, Selene, ,,Mond“. Sie trägt den Beinamen Simziana und Cosinzeana. Da sie immer als blondhaarig dargestellt :7 Wurde, bedeutet cosinzeana als Eigenschaftwort „goldhaarig“, }] »äußerst schönquot;. Simzeana ist als Sin Zeana, „Sankt Dianaquot; auf--i Zufassen, wie es im rumänischen Volksglauben auch eine Sfinta (Sin) Vinerea (heiliger Freitag, eigentlich Heilige Venus) gibt. Cosin-Zeana heißt sie zweifellos nach ihrem Haar: cosifa (vgl. dazu das slawische kosa, „Haarquot;). In dem Märchen Ileana Simziana heißt sie J ausführlich Ileana Simziana, cosita de aur, cämpul inverzeyte, florile infloreyte: Ileana Simziana, Goldhaar, Feld-wird-grün, ’ Blumen-blühn. Man erkennt daraus, daß in ihr die Moudgöttin mit der Frühlingerde zusammengeflossen ist, wie ich dies auf S. XIII der j, Einführung darlegte.

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in ein grünes, weites Meer vorsprang, das in tausend hell- § glänzenden Wellen unter leisem melodischem Rauschen bis dahin zog, wo das Auge sich im Blau des Himmels und im Grün des Meeres verlor. Auf der Spitze des Gebirges, gerade ß über dem Meer, ragte, im Grunde des Wassers wiedergespiegelt, ein gewaltiger Granitfels auf und darauf schim- ç merte gleich einem weißen Neste eine schöne Stadt, die in ç: ihrer Weiße wie silbern schien. Aus den Mauerbogen glänzten blinkende Fenster, in einem offenen Fenster jedoch zeigte sich hinter Blumenstöcken ein Mädchenkopf, dunkel und träumerisch wie eine Sommernacht^). Es war die Tochter des Eismonds.

,,Willkommen, Schönkind,“ sagte sie, sprang vom gj Fenster weg und öffnete das Tor des hohen Palastes, wo sie wie ein Geist in der Wüste ganz allein wohnte. ,,Hie- y nacht war mir, ich rede mit einem Stern, und der Stern sagte mir, du kommst von dem König, der mich liebt.“ g

In dem großen Saale des Schlosses, in der Asche des Kamins, lag ein Kater mit sieben Köpfen auf der Lauer; g wenn der aus einem Maule schrie, hörte man es eine Tage- j-j reise weit, doch wenn er aus allen sieben zugleich schrie, hörte man es sieben Tagereisen weit.

Der Eismond hielt sich auf seinen einsamen Jagden gerade eine Tagreise entfernt auf. nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;(j,

Schönkind nahm die Jungfrau auf seine Arme und hob sie auf das Roß, und so flogen sie zusammen über das weite, wüste Meergestade wie zwei kaum sichtbare Luftgestalten, sj

Der Eismond jedoch, ein stolzer, gewaltiger Mann, hatte ein Zauberpferd mit zwei Herzen. Der Kater im Schlosse schrie aus einem Kopfe, und das Pferd des Eismonds wieherte mit seiner erzenen Stimme.

,,Was gibt’s?“ fragte der Eismond das Zauberpferd. Q ,,Geht es dir etwa zu gut?“

1) Daß diese Heilandhelden-Braut dunkel ist, geht vielleicht auf of die Gleichsetzung der Tochter mit der Urmutter zurück. Vielleicht aber hat nur erst Eminescu ihr diese Färbung gegeben, um sie von Ri der ersten Braut zu unterscheiden.

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,,Nein, mir geht es nicht zu gut, dir aber geht es übel. Schönkind hat dir deine Tochter geraubt.“

„Müssen wir sehr eilen, damit wir ihn einholen?“

,,Eilen wohl, aber nicht zu sehr. Wir haben ihn bald,“

Der Eismond stieg auf sein Pferd und fuhr wie das alte Greuel hinter den Flüchtigen drein. Alsbald hatte er sie eingeholt.

. Schönkind konnte nicht mit ihm kämpfen, weil der Eis-mond Christ war und seine Macht nicht von den Geistern der Finsternis, sondern von Gott hatte^).

,,Schönkind,“ sagte der Eismond, ,,du bist gar schön, ünd ich habe Mitleid mit dir. Diesmal tu ich dir nichts, aber ein andermal . . . laß es dir gesagt sein!“

Und damit riß er die Jungfrau von seiner Seite fort und Verschwand im Hui, als wäre er gar nicht dagewesen.

Aber Schönkind war mutig und wußte den Weg zurück. Er kehrte um und fand die Jungfrau wieder allein, nur blasser und verweint; sie erschien nur um sö schöner. Der Eismond war wieder auf der Jagd und diesmal zwo Tagreisen weit. Schönkind nahm zwei andere Pferde gleich aus dem Stalle des Eismonds.

Diesmal entwichen sie in der Nacht. Sie schossen dahin wie die Mondenstrahlen über die tiefen Meereswogen, mitten durch die öde kalte Nacht wie zwo holde Erscheinungen. Aber auf ihrer Flucht hörten sie das lange doppelte Miauen des Katers vom Schloßkamin. Da war es ihnen, als könnten sie nicht mehr weiter, gleichwie wer im Traume fliehen will Und nicht vermag. Darauf hüllte sie eine Staubwolke ein, denn der Eismond kam ihnen auf seinem Pferde nachgerast, daß die Erde bebte.

Sein Gesicht war voll Zornes, sein Blick erbarmunglos. Ohne ein Wort zu sagen, ergriff er Schönkind und schleu-

Die Ausgestaltung des Folgenden ist in den Einzelheiten offenbar frei. Mythische Erinnerungen sprechen zwar mit, aber die Hauptsache ist, das langsame Frühlingwerden mit den wiederholten Rückschlägen darzustellen.

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der te ihn in die schwarzen Sturmwolken am Himmel. Dann verschwand er mit der Tochter.

Schönkind verbrannte in den Blitzen — nichts von ihm als eine Handvoll Asche fiel herab in den heißen dürren Wüstensand^). Aber aus seiner Asche entstand ein klarer Quell, und der Sand, wodurch er floß, war von Demanten. Hohe grüne dichte Bäume wuchsen da und verbreiteten einen kühlen duftigen Schatten. Hätte jemand das Rauschen des Quells verstanden, er hätte darin die stete Klage um Ileana, Schönkinds blonde Königin, erkannt. Aber wer konnte den Quell rauschen hören in einer Wüste, die nie bisher ein Menschenfuß betreten hatte?

Doch in jener Zeit wandelte noch der Herr auf Erden. Eines Tages erschienen zwei Wanderer in der Wüste. Das Gewand und das Antlitz des einen strahlte wie weißes Sonnenlicht; der andere weniger erhabene erschien nur wie der Schatten jenes Strahlenden. Es waren der Herr und det heilige Petrus. Da ihnen die Füße von dem Wüstensand« brannten, traten sie in den frischen klaren Bach, der von dem Quell ausging. Und sie gingen, mit ihren Knöcheln die Wellen aufwirbelnd, wasseraufwärts bis zu seinem be-schatteten Ursprung. Dort trank der Herr und wusch sieb sein heiliges strahlendes Antlitz und seine wunderwirkenden Hände. Dann ließen sich beide im Schatten nieder, der HerJ in Gedanken an seinen himmlischen Vater, der heilig« Petrus dem Liede des klagenden Quells lauschend. Da sie sich zum Weitergehen erhoben, sagte der heilige Petrus'.

,,Herr, laß diesen Quell wieder werden, was er war.“

,,Amen!“ sagte der Herr, seine heilige Hand erhebend; dann gingen sie gegen das Meer zu, ohne zurückzublicken.

Wie durch einen Zauber verschwand der Quell, und

’) Wenn dieser Zug überliefert ist, haben wir hier den (wirk liehen) Tod des Feuerheilands als Hirten erhalten; er löst sich ir der Luft auf wie die Flamme bei ihrer „Himmelfahrt“, und nu) etwas Asche bleibt zurück. Aber wie bei verschiedenen anderer Heilandgestalten (namentlich griechischen) entsteht aus der Asch« neues Leben: ein Quell, Vegetation.

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gleichwie aus einem langen Traum erwacht, blickte Schön-jj kind rings um sich. Da sah er die leuchtende Gestalt des j, Herrn, die auf den Meereswogen vor ihm wandelte wie auf festem Land, und den heiligen Petrus, der seinen Tapfen j. nachfolgte und seiner menschlichen Natur nachgebend, j, zurückblickte und Schönkind mit dem Kopfe zunickte.

Schönkind folgte ihnen mit den Blicken, bis die Gestalt des heiligen Petrus in der Ferne verschwand und nur noch die strahlende Gestalt des Herrn zu sehen war, die einen so •g hellen Glanz auf das Wasser warf, daß man, wo die Sonne nicht im Mittag stand, glauben konnte, sie gehe eben unter. Er fühlte das Wunder seiner Auferstehung und sank, zu der untergehenden Heilandsonne hingewendet, auf die ,5 Kniee.

Dann aber kam ihm in den Sinn, daß er versprochen hatte, die Tochter des Eismonds zu rauben, und was ein [g Held versprochen hat, läßt er schwerlich ungetan.

So machte er sich auf und kam gegen Abend an das jj Schloß des Eismonds, das im Abenddunkel wie ein un-,, geheurer Geisterbau schimmerte. Er trat ins Haus . . . die 'j, Tochter des Eismonds weinte.

Doch als sie ihn erblickte, wurde ihr Antlitz helle wie J.J ein Wasser von einem Lichtstrahl.

,g Er erzählte ihr, wie er wieder zum Leben erstanden war.

•g Da sagte sie zu ihm:

,,Durch Raub kannst du mich nimmermehr gewinnen, solange du nicht ein Roß hast wie das meines Vaters; denn das hat zwei Herzen. Aber ich will ihn heut abend fragen, ii Woher er das Pferd hat, damit auch du dir ein solches ver-schaffen kannst. Bis dann will ich dich, damit mein Vater id dich nicht entdecke, in eine Blume verwandeln.“

, Er setzte sich auf einen Schemel, sie aber raunte einen iC*

jf süßen Zauber über ihn, und da sie ihn auf die Stirne küßte, 111 verwandelte er sich in eine dunkelkirschrote Blume. Sie îf tat ihn zwischen die Blumen am Fenster und sang fröhlich, *** daß es im Schlosse ihres Vaters wiederhallte.

Dann kam auch der Eismond.

4 Aus fremden Gärten 72/73.

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„So fröhlich, mein Kind? Und warum bist du so fröh-^ lieh?“ fragte er.

„Weil es jetzt keinen Schönkind mehr gibt, der mich rauben kann,“ antwortete sie lachend.

Sie setzten sich zu Tische.

,,Vater,“ fragte die Jungfrau, ,,woher habet ihr das Roß, damit ihr zur Jagd ausreitet?“

,,Wozu brauchst du das zu wissen?“ fragte er, die Brauen runzelnd.

,,Du weißt gut,“ erwiederte die Jungfrau, ,,daß ich es nur wissen will, weil ich’s wissen will. Denn jetzt gibt es keinen Schönkind mehr, der mich rauben kann.“

,,Du weißt, daß ich dir niemals etwas abschlagen kann,“ sagte der Eismond. ,,Weit von hier am Meere wohnt ein Weib, das hat sieben Stuten, die übergibt sie Hirten, sie ihr ein Jahr lang zu hüten — aber ihr Jahr hat nur drei Tage — und wer sie ihr gut hütet, den läßt sie als Lohn sich ein Fohlen aussuchen, wer sie aber nicht gut hütet, den schlägt sie tot, und sein Haupt steckt sie an einen Pfahl. Aber den, der die Stuten ihr gut gehütet hat, hintergeht sie gleichwohl, indem sie allen Pferden die Herzen herausnimmt und sie einem einzigen einsetzt, so daß der Hirte fast immer ein Pferd ohne Herz auswählt, das noch schlechter ist als ein gewöhnliches Pferd . . . Bist du nun zufrieden, mein Kind?“

,,Ja, Vater,“ antwortete sie lächelnd.

Da jedoch warf ihr der Eismond ein rotes feines duftendes Tüchlein ins Gesicht. Die Jungfrau blickte starr in die Augen ihres Vaters wie jemand, der aus einem Traum erwacht, dessen er sich nicht entsinnen kann. Alles was ihr Vater ihr gesagt hatte, war vergessen. Die Blume jedoch am Fenster, inmitten ihrer Blätter wie ein roter Stern in einem Gewölk, hatte achtgegeben.

Am anderen Tag zog der Eismond wieder frühmorgens zum Jagen aus.

Die Jungfrau küßte die rote Blume und raunte einen Spruch, und Schönkind erstand vor ihren Augen gleichwie aus dem Nichts.

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„Nun, weißt du etwas?“ fragte er sie.

„Ich weiß gar nichts,“ sagte sie traurig, den Handrücken an die Stirne legend, ,,ich habe alles vergessen.“

,,Ich aber habe alles gehört,“ sagte er. ,,Gehab dich wohl, mein Kind, bald sehen wir uns wieder.“

Er schwang sich auf ein Roß und verschwand in der Wüste^).

Dort in der brennenden Sonnenglut des Tages bemerkte er unfern eines Waldes eine Stechmücke, die sich in dem glühenden Sande krümmte.

,,Schönkind,“ sagte die Stechmücke, ,,nimm mich und trag mich in den Wald. Gutes für Gutes. Ich bin der Stechmückenkönig.“

Schönkind trug ihn in den Wald, wodurch sein Weg ging.

Nach dem Walde kam er wieder in die Wüste längs des Meeres. Da sah er einen Krebs in der glühenden Sonne liegen, der nicht mehr die Kraft hatte zurückzukriechen.

,,Schönkind,“ sagte der, ,,wirf mich in das Meer. Gutes für Gutes. Ich bin der Krebskönig.“

Schönkind warf ihn ins Meer und zog weiter.

Gegen abend kam er zu einer schlechten, mit Pferdemist bedeckten Lehmhütte. Statt des Zaunes^) standen ringsum nur etliche gespitzte Pfähle; auf sechsen davon stak je ein Kopf, der siebente jedoch, der keinen trug, wackelte unausgesetzt im Winde und sagte: Kopfl Kopf! Kopf!

1) Schönkind unternimmt hier die dritte Hadesfahrt um die Braut. Aber da er selbst schon eine Braut hat, wird die Tochter der zweiten Urmutter von ihm nur zu ihrer eigenen Befreiung mitgenommen; sie verschwindet alsbald wieder aus der Geschichte.

“) Der Zaun heißt in mehreren Sprachen des thrakischen Gebietes gard; so rumänisch und bulgarisch, albanisch gardh. Hier hat das Wort demnach seine älteste Bedeutung erhalten. Im Deutschen bezeichnet es schon die umfriedete Stelle — Garten, daraus romanisches giardino, jardin —, aber auch schon „Stadt“, So in Namen wie Morgarten. Ebenso bezeichnet das stammverwandte lateinische hortus und das slawische vrt den „Garten“, gard jedoch im Slawischen fast immer ,,Stadt“ (grad, hrad), nur in Verbindung vinograd (Weingarten) noch „Garten“. Das slawische

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Auf der Vorbank lag, auf einen alten Ziegenpelz hingestreckt ein altes runzelichtes Weib; die hatte den aschgrauen Kopf auf dem Schoße einer jungen hübschen Magd und ließ sich von ihr absuchen^).

,,Gott zum Grußl“ sagte Schönkind^).

,,Willkommen, Bursche,“ sagte die Alte und stand auf. ,,Was willst du? Möchtest du mir etwa die Stuten hüten, ja?“

„Ja.“

,,Meine Stuten weiden nur des Nachts. Sieh, gleich jetzt kannst du mit ihnen auf die Weide gehn. — Auf, Kleine, gib dem Burschen das Essen, das ich bereitet habe und geb mit ihm.“

grad (hrad) ist germanischen Ursprungs, sehr natürlich übrigens, da die Germanen im slawischen Gebiet die Städtegründer waren. In der Levante und tief nach Asien hinein bezeichnet das Wort schon überall,,Stadt“ — so im Semitischen: Carthago, Cartagena, so aber auch im Armenischen Tigrano-kerta. Daß es bei den Völkern des thrakischen Gebietes noch die alte Bedeutung hat, ist mit ein Zeugnis dafür, wie weit man hier gewisse Überlieferungen zurückführen darf. Auch „Burg“ hat im Albanischen noch die ursprüngliche Bedeutung des finsteren Loches, darin man sich „birgt“, erweitert die Bedeutung „Gefängnis“. Dasselbe Wort, das im Deutschen eine Festung, im Romanischen schon die Ansiedelung darum (borge, bourg) bezeichnet, ist in etwas zerdehnter Form, die auch im Englischen vorkommt (borough) und mit der im Südslawischen häufigeO Umwandlung des germanischen h in s (heim = slem) als südslawisches varos ins Magyarische (varos) und ins Rumänische (ora,) übergegangen. DieHüttederUrmutteristinunsermMärchen ganz so geschildert, wie wir uns die ältesten Wohnstätten des nordischen Menschen zu denken haben: aus Lehm gebaut — noch heute baut man in Albanien die Hütten und Häuser zumeist aus Lehm —, mit Tiermist bedeckt, der noch jetzt in Albanien zum Ausfüllen der irr* Lehm entstandenen Lücken verwendet wird, von Pfählen umgeben, denen man als Zier oder Abschreckmittel, vielleicht als Bann Schädel aufgesteckt hatte.

’) Auch diese Szene ist urtümlich. Man kann sie noch heute in rumänischen Dörfern sehen. In Albanien sah ich nur Kindern die Läuse suchen, auch das vor dem Hause, doch da es dort kein® Vorbank gibt, auf der Türschwelle.

’) Auch hier Rumänischen die Begrüßung: Bine v’ am gäsit und Bine aï venit.

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Neben der Hütte befand sich ein unterirdischer Keller. Er trat ein und sah da sieben schwarze glänzende Stuten, sieben Nächte, die ihr Leben lang noch nicht das Licht der Sonne erblickt hatten. Sie wieherten und stampften.

Schönkind hatte den ganzen Tag nichts gegessen, so verzehrte er, was die Alte ihm vorsetzte, dann schwang er sich auf eine der Stuten und führte die anderen in die finstere kalte Nachtluft hinaus. Aber leise, leise fühlte er sich einen bleiernen Schlaf durch alle Adern schleichen, vor den Augen wurde es trübe, und wie tot sank er auf das Wiesen^ras.

Als er erwachte, begann schon der Tag zu grauen. Er blickte umher — die Stuten waren nicht mehr da. Er glaubte schon seinen Kopf auf den Pfahl gesteckt, als er fern aus einem Walde die sieben Stuten herauskommen sah: ein Schwarm von ungezählten Stechmücken trieb sie zu ihm her, und eine feine Stimme sprach zu ihm:

,,Gutes für Gutes.“

Als er mit den Pferden heimkam, begann die Alte zu toben, kehrte im Hause das Unterste zu oberst und schlug die Magd, die doch nicht schuld war.

,,Was hast du, Mutter?“ fragte Schönkind.

„Nichts,“ sagte sie, „ich bin nur übler Laune. Gegen dich habe ich nichts . . . ich bin sehr zufrieden.“

Dann ging sie in den Stall und schlug die Pferde und schrie: ,,Verstecket euch besser — hol euch die Muttergottes —, damit er euch nicht wieder findet, Kreuztreffihn und Todfreßihn!“^)

Am anderen Tag zog er wieder mit den Pferden aus, aber wieder sank er zu Boden und schlief, bis der Tag graute. Vor Verzweiflung hätte er da auf und davon rennen mögen, aber auf einmal sah er aus dem Grunde des Meeres die sieben Pferde auftauchen, gekniffen von einer Unmenge von Krebsen.

Bildungen wie ,,Gottseibeiunsquot;, die erste allgemein bekannt als Bezeichnung des Teufels.

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„Gutes für Gutes,“ sagte eine Stimme. Es war def Krebskönig.

Er brachte die Pferde heim und sah dasselbe Schauspie' wie am Tage vorher.

Im Laufe des Tages jedoch trat die Magd des alten Weibes zu ihm und sagte leise, ihn an der Hand fassend:

,,Ich weiß, du bist Schönkind. Iß nicht mehr von def Speisen, die das alte Weib dir kocht, denn sie tut Mohnkörner darein. Ich will dir andere bereiten.“

Heimlich steckte die Magd ihm die Speisen zu, und als er am Abend mit den Pferden auszog, fühlte er den Kopi wie durch ein Wunder ganz klar. Um Mitternacht kehrtf er heim, brachte die Pferde in den Stall, schloß sie ein uni! trat in die Stube. Auf dem Herd des Backofens in der Aschf glimmten etliche Kohlen. Das alte Weib lag auf der Bant ausgestreckt und totenstarr. Er meinte, sie sei gestorbef und rüttelte sie. Sie war wie ein Klotz und rührte sich nicht Er weckte die Magd auf, die oben auf dem Backofen schlief

,,Sieh,“ sagte er, ,,die Alte ist gestorben.“

,,Ach, wär’ sie’s nur,“ erwiederte sie seufzend. ,,Woh ist sie jetzt wie tot. Es ist Mitternacht. Ein schwerer Schla-bindet da ihren Körper, aber ihre Seele — wer weiß, auf wa‘ für Kreuzwegen sie steht, wer weiß, auf was für Hexen Straßen sie zieht? Bis zum Hahnenkraht saugt sie Blut aui den Herzen der Sterbenden und frißt an den Seelen der Un glücklichen. — Aber, Trauter, morgen ist dein Jahr voll nimm mich mit, ich werde dir sehr nützlich sein. Au vielen Gefahren, die das alte Weib dir bereitet, werde ict dir helfen.“

Sie nahm tief aus einer alten zerborstenen Truhe einef Schleifstein, eine Bürste und ein Tüchlein^).

Auch Alecsandri berichtet, daß der Schleifstein des heilige! Mercurtags, die Bürste des heiligen Jupitertags und das Tuch de heiligen Venustags diese Dienste tue, wenn Schönkind von Drache! verfolgt wird. Die Drachen müssen den Felsen durchbeißen, dei Wald durchbrechen, das Meer austrinken, wenn sie ihn erreiche! wollen.

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Am anderen Tag frühmorgens bekam Schönkind das Versprechen erfüllt. Die Alte mußte ihm eines der Pferde geben und ihn dann mit Gott ziehen lassen.

Vor dem Mittagessen ging die Alte in den Stall hinab, nahm den sieben Pferden die Herzen aus dem Leibe und setzte sie alle einem mageren Dreijährigen ein, dem man durch die Rippen sah.

Schönkind stand vom Tische auf, und auf.das Wort der Alten ging er sich das Pferd auswählen, das er bekommen sollte. Die Pferde ohne Herz waren glänzend schwarz, der Dreijährige mit den sieben Herzen lag versteckt in einem Winkel auf einem Misthaufen.

,,Dieses wähle ich,“ sagte Schönkind und deutete auf das magere Pferd.

,,Wie doch, der Herr verzeih mir, willst du umsonst gedient haben?“ sagte die listige Alte. ,,Warum willst du nicht, was dein Recht ist? Nimm dir eins dieser schönen Pferde . . . welches immer, ich geb’s dir.“

,,Nein, dieses nehme ich,“ sagte Schönkind fest.

Die Alte knirschte mit den Zähnen wie besessen, dann aber schloß sie ihr lückiges Mundwerk, damit das Gift, das in ihrem boshaften Herzen gohr, nicht daraus hervorbreche. ,,Gut denn, nimm es,“ sagte sie schließlich.

Er schwang sich auf das Pferd mit dem Kolben auf der Schulter. Es war, als folge die Wüste ihm nach und sause dahin wie ein Gedanke, wie ein Sturm mit den Sandwirbeln, die sich hinter ihm erhoben.

In einem Walde erwartete ihn das Mädchen, das unterdessen entflohen war. Er hob sie auf das Roß hinter sich Und jagte weiter.

Die Nacht hüllte die Erde in ihre schwarze, kalte Luft ein.

,,Es brennt mich im Rücken,“ sagte das Mädchen.

Schönkind sah sich um. Aus einer hohen grünen Winde starrten zwei glühende Augen, deren rote Blicke wie brennendes Feuer dem Mädchen in die Nieren drangen.

,,Wirf die Bürste hin,“ sagte das Mädchen.

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Schönkind tat es. Und sogleich sahen sie hinter ihnen einen schwarzen dichten Wald sich erheben, erfüllt von stetem Laubrauschen und hungrigem Wolfsgeheul.

,,Vorwärts!“ schrie Schönkind dem Pferde zu, das wie ein von einem Bannspruch getroffener böser Geist dahin-schoß. Der blasse Mond zog durch die grauen Wolken wie ein bleiches Gesicht durch einen wirren wüsten Traum.

Schönkind jagte dahin . . . jagte dahin ohne Aufhalten.

,,Es brennt mich im Rücken!“ sagte das Mädchen mit einem gepreßten Schmerzlaut, als hätte sie sich lange bezwungen, ehe sie es sagte.

Schönkind sah sich um und erblickte eine große graue Eule, von der man nur die roten Augen leuchten sah wie zwei aus einer Wolke hervorbrechende Blitze.

,,Wirf den Schleifstein hin!“ sagte das Mädchen.

Schönkind warf ihn hin, und sogleich wuchs aus der Erde ein grauer, schroffer steiler Fels empor, ein steinernes Ungeheuer wie ein Spukbild, mit dem Gipfel bis an die Wolken reichend.

Schönkind sauste durch die Luft so schnelle, daß er nicht zu fliehen, sondern aus der Höhe des Himmels in eine unabsehbare Tiefe zu stürzen meinte.

,,Es brennt mich!“ sagte das Mädchen.

Die Alte hatte den Fels an einer Stelle durchbohrt und verfolgte sie in Gestalt eines Rauchbandes, dessen vorderes Ende wie eine Kohle glühte.

,,Wirf das Tuch hin!“ sagte das Mädchen.

Schönkind tat wie geheißen.

Und sofort sahen sie hinter sich einen weiten klaren tiefen See, in dessen lichtem Spiegel sich tief im Grunde der silberne Mond und die feurigen Sterne badeten.

Schönkind hörte einen langen Zauberspruch und blickte zu den Wolken. Zwei Stunden entfernt, in der Himmelsweite verloren, schwebte ganz langsam die alte Mitternacht auf erzenen Flügeln durchs blaue Firmament. Als das tolle Weib eben über der Mitte des Sees hinflog, schleuderte Schönkind den Kolben in die Wolken und traf die Mitter-

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t

nacht^) in die Flügel. Sie stürzte wie Blei zur Erde und krächzte erbärmlich zwölf Male.

Der Mond verbarg sich hinter einer Wolke, und das Weib, von ihrem eisernen Schlaf übernommen, tauchte in die verzauberte, unbekannte Tiefe des Sees hinab. Aber in dessen Mitte wuchs ein langes schwarzes Rohr auf: das war die verruchte Seele des alten Weibes.

,,Ich bin frei!“ sagte das Mädchen.

,,Ich bin frei!“ sagte das Pferd mit den sieben Herzen.

,,Herr!“ sprach das Pferd weiter, ,,du hast die Mitternacht getroffen, so daß sie zwei Stunden vor der Zeit herabgestürzt ist, und ich fühle den Sand unter meinen Füßen sich bewegen. Die Gebeine, die in den glühenden Sand-Wirbeln der Wüste begraben sind, wollen auf erstehen und sich im Mondenschein auf ihre Hügel setzen’). Es ist gefährlich, jetzt den Weg fortzusetzen. Der vergiftete kalte Hauch ihrer toten Seelen kann euch töten. Besser, ihr leget euch hier nieder, und ich indessen will zu meiner Mutter zurück Und noch einmal an ihren Zitzen die weiße Feuermilch trinken, damit ich wieder schön und glänzend werde.“

Schönkind tat so. Er schwang sich vom Pferde und breitete seinen Mantel auf den Sand, der noch immer glühte.

Aber, o Wunder! die Augen des Mädchens sanken ein, die Gesichtknochen traten hervor, die schwarzbraune Haut Wurde blau, die Hand schwer wie Blei und kalt wie ein Eiszapfen.

,,Was ist dir?“ fragte sie Schönkind.

,,Nichts — nichts,“ sagte sie mit matter Stimme und Warf sich in den Sand, zitternd wie eine Fallsüchtige.

’) Mitternacht steht hier für Nacht schlechthin. Das Länger-Werden des Tages um zwei Stunden des Morgens fällt in die allen Heilandlegenden gemeinsame Osterzeit.

Auch in den Evangelien springen die Gräber auf und die Toten Wandeln wieder. Hier wie dort geschieht das in gespenstiger Weise. Ursprünglich mag es nur eine Teilerscheinung der allgemeinen Auferstehung aus dem Wintertode gewesen sein. Die Vorstellung von dem düsteren Schattenleben der Abgeschiedenen kreuzte sich damit.

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Schönkind gab das Pferd frei und legte sich dann auf den : Mantel, den er für sich ausgebreitet hatte.

Er schlief ein; gleichwohl war es ihm, er schlafe nicht. Die Augenlider waren ihm rot wie Feuer, und ihm war, er sehe durch sie hindurch, wie der Mond langsam herabsinke und, je näher er der Erde kam, um so größer wurde, bis daß er wie eine heilige silberne Stadt erschien, die vom Himmel herniederhing, von tausend rosenfarbenen Fenstern glitzernd. Und vom Monde führte eine königliche Straße mit silbernem Kies und Staub aus Lichtfunken zur Erde herab.

Aber in der Weite der Wüste erhoben sich aus dem Staube hohe Gerippe . . . mit dürren Schädeln . . . eingehüllt in lange weiße, kostbar aus Silberfäden gewobene Laken, wodurch die weiß gedorrten Gebeine schimmerten. Auf der Stirn trugen sie Kronen aus Lichtstrahlen und langen vergoldeten Dornen . . . Sie saßen auf Gerippen von Pferden und ritten so ganz langsam dahin ... in langen Reihen . . . schwanke Streifen silberner Schatten . . . und nahmen den| Weg zum Monde empor und verloren sich in den Marmorpalästen der Mondstadt, aus deren Fenstern eine Mondmusik erklang — eine Traummusik.

Dann war es ihm, auch das Mädchen an seiner Seite erhebe sich still . . . ihr Körperliches löse sich in Luft auf, bis nur noch die Gebeine blieben, und, eingehüllt in einenl silbernen Mantel, betrete auch sie den schimmernden Weg,; der zum Monde führte. So ging sie in das trübe Reich der Schatten, woher sie das alte Weib durch ihre Beschwörung auf die Erde gelockt hatte^). nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;i

Dann wurden ihm die Augenlider grün . . . und darauf schwarz — und er sah nichts mehr. nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;[

Als er die Augen aufschlug, war die Sonne schon auf-gegangen. Das Mädchen war wirklich verschv/unden. Abef^

1) Eigentlich offenbart sich hier nur, daß auch dieses Mädchef eine Mondgestalt ist. Zum Ort der Schatten jedoch hat den Mond erst eine sehr späte Zeit gemacht, an dieser Stelle vielleicht ersi Eminescu selbst. nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;|

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in der dürren Wüste wieherte das schöne glänzende Roß im Sonnenlicht, das es nun zum ersten Male sah,

Schönkind schwang sich auf seinen Rücken und in einigen Augenblicken erreichte er voll Freude die getürmte Burg des Eismonds.

Diesmal jagte der Eismond sieben Tagereisen weit.

Er nahm die Jungfrau vor sich auf das Roß. Sie umschlang seinen Hals mit den Armen und barg das Haupt an seiner Brust, aber die langen Säume ihres weißen Gewandes streiften im Flug den Wüstensand. Sie ritten so schnelle, daß es ihnen schien, die Wüste und die großen Wogen flögen dahin, sie aber ständen stille. Und nur leise hörte man den Kater mit allen seinen sieben Köpfen mauen.

In den Wäldern verloren, hörte der Eismond sein Roß wiehern.

,,Was gibt’s?“ fragte er.

,,Schönkind hat dir die Tochter gestohlen,“ sagte das Zauberpferd.

,,Können wir ihn einholen?“ fragte der Eismond betroffen, denn er wußte, daß er Schönkind getötet hatte.

„Nein, meiner Treu!“ antwortete das Pferd, ,,denn er reitet auf einem meiner Brüder, der sieben Herzen hat, während ich nur zwei habe.“

Der Eismond trieb seine Sporen tief in die Flanken des Pferdes, das dahinflog, die Mähnen schüttelnd, wie ein Sturmwind. Als er Schönkind in der Wüste erblickte, sagte er zu seinem Pferde:

,,Sag deinem Bruder, er soll seinen Herrn in die Wolken schleudern und zu mir kommen, ich will ihn füttern mit Nußkernen und ihn tränken mit süßer Milch.“

Das Roß wieherte seinem Bruder zu, was der Eismond gesagt hatte — sein Bruder aber sagte es Schönkind.

,,Sag deinem Bruder,“ sagte Schönkind zu seinem Pferde, ,,wenn er seinen Herrn in die Wolken schleudert, will ich ihn füttern mit Flammenglut und ihn tränken mit Feuerslohe.“

Das Pferd wieherte dies seinem Bruder zu, und der warf

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den Eismond bis an die Wolken hinan. Die Wolken des Himmels erstarrten zu Marmor und wurden ein graues schönes Schloß, aber in zween Wolkenrissen erblickte man zwei himmelblaue Augen, die lange Blitze schleuderten. Es waren die Augen des Eismonds, der nun ins Luftreich verbannt war.

Schönkind hielt sein Pferd zurück und setzte die Jungfrau auf das ihres Vaters. Noch einen Tag, so erreichten sie die hohe Burg des Königs.

Alle hatten Schönkind tot geglaubt, und als darum die Kunde von seiner Ankunft sich verbreitete, hüllte der Tag seine Luft in festlichen Glanz, und die Menschen erwarteten ihn und raunten die Kunde einander zu, daß es war, als rausche ein Ährenfeld im Windeswehen.

Aber was war indessen mit der Königin Ileana?

Als Schönkind weggezogen war, schloß sie sich in einen mit hohen eisernen Mauern umgebenen Garten ein, und da lag sie auf den kalten Steinen, das Haupt auf einen Flintblock gebettet, und weinte in ein goldenes Becken, das neben ihr stand, demanthelle Tränen.

In dem Garten mit den vielen Beeten, die niemand begoß und pflegte, wuchsen aus dem Steinicht, von der Glut des Tages versengt, von der Nacht nicht mit Tau erfrischt, dürre Blumen mit gelben Blättern und von so blassen matten Farben, wie die matten Augen der Toten sind, Schmerzesblumen.

Die Augen der Königin Ileana waren vom Weinen erblindet und sahen nichts mehr; nur wenn sie in das von ihren Tränen volle Becken blickte, war es ihr, sie sehe in dem Spiegel wie in einem Traum das Bild ihres geliebten Bräutigams. Und ihre Augen, deren Quellen schön versiegt waren, begannen wieder Tränen zu vergießen^). nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;'

,,Wer sie gesehen hätte in ihrem langen, blonden, gelösten Haar, das ihr wie die Falten eines goldenen Mantels über den Busen floß, wer ihr Antlitz gesehen hätte, worin ein stummer Schmerz seine Spuren eingegraben hatte gleichwie mit einem Meißel, hätte sie für eine marmorne Undine auf einem Grabhügel aus Kies ge- , halten.“ Ich konnte mich nicht entschließen, diesen Satz in den Text zu rücken. Von allen sentimentalen Ausschmückungen ist diese die unerträglichste.

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Aber als sie die Kunde vernahm, daß er komme, wurde ihr Angesicht wieder heiter. Sie nahm eine Hand voll Tränen aus dem Becken und sprengte sie über den Garten. Wie durch ein Wunder verwandelte sich da das Gelb der Blätter in den Laubgängen und Beeten in smaragdenes Grün. Die traurigen matten Blüten wurden hell und schimmernd wie glänzende Perlen — und von der Tränentaufe her bekamen sie den Namen Maitränchen^).

Die blinde weiße Königin schritt langsam durch die Beete und pflückte sich den Saum mit Maitränchen voll. Die streute sie dann neben dem goldenen Becken auf die Erde, daß sie ein ganzes Blumenbette bildeten.

Da kam Schönkind.

Sie warf sich an seine Brust, aber stumm vor Glück konnte sie nur ihre erloschenen blinden Augen auf ihn richten, als wolle sie ihn in ihre Seele einsaugen. Darauf nahm sie ihn an der Hand und zeigte ihm das Tränenbecken.

Der helle Mond strahlte wie ein goldenes Antlitz in der blauen Himmelsweite. In der Nachtluft wusch Schönkind sein Gesicht in dem Tränenbecken, dann hüllte er sich in den Mantel, den sie ihm aus Mondenstrahlen gewoben hatte, und legte sich hin, und sie legte sich an seine Seite und träumte, die Muttergottes nehme vom Himmel zwei dunkelblaue Morgensterne und setze sie ihnen auf die Stirn1).

Als sie am anderen Tage erwachte, war sie wieder sehend.

Am dritten Tage vermählte sich der König mit der Tochter des Eismonds.

Am vierten Tag war Schönkinds Hochzeit.

Lichtstrahlen vom Himmel sagten den Spielleuten, wie die Engel spielen, wenn ein Heiliger eingeweiht wird, und Wellen von der Brust der Erde sagten ihnen, wie die Lebens-

’) Lacrimoare = Maiblümchen.

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1

Hier spielt der Mythos von Morgen- und Ahendstern mit hinein (vgl. Einführung S. XIX, Anm.).

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feen^) singen, wenn sie den Menschen Glück spinnen. So spielten die Spielleute Jubelweisen der Höhe und der Tiefe.

Die feurige Rose, die silbernen Lilien, die perlfarbenen Maitränchen, die duftenden Veilchen und alle Blumen taten sich zusammen und berieten sich lange, wie das Brautkleid am schönsten sei; dann vertrauten sie ihr Geheimnis einem blauen, goldgesprenkelten Schmetterlingknappen an. Der ». flog hinweg und flatterte in vielen Bogen über dem Antlitz der Braut, als sie schlief, und zeigte ihr in einem spiegelhellen Traum, wie sie gekleidet sein solle. Sie lächelte, als sie sich im Traum so schön sah.

Der Bräutigam legte das aus Mondstrahlen gewobene 1 Hemde an, den Perlengürtel und den schneeweißen Mantel.

Und es gab eine Hochzeit so hoch und herrlich wie keine V andere je auf Erden gewesen war.

Und danach lebten sie lange Jahre in Glück und Frieden, S und wenn es wahr ist, was man sagt; daß für Schönkinde die Zeit nicht vergeht, so leben sie vielleicht noch heute.

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—.— --— nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;hc

') Ursitorile, ursitele sind die Nornen der rumänischen Volks-mythologie. Sie heißen wohl so als Spinnerinnen (urzi, spinnen).

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I

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1

1

I

! SCHÖNKIND MIT DEM GOLDENEN

; nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;nbsp;HAAR

; ÜBERLIEFERT VON PETRE ISPIRESCUi)

g Es war einmal in einer' großen Einöde ein Einsiedler, •ler lebte allein, ganz allein. Seine Nachbarn waren die g wilden Tiere des Waldes. Und er war Gott so wohlgefällig, daß alle Tiere sich vor ihm verneigten, wenn sie ihm begegneten.

g Eines Tags ging der Einsiedler an das Ufer des Baches, der nahe an seiner Hütte vorüberfloß, und siehe da auf dem Wasser kam eine verpichte und gut zusammengeleimte Truhe herangeschwommen, und er vernahm daraus das Gequäk eines Kindes.

Er bedachte sich ein Weilchen, sandte ein Gebet gen Himmel und trat dann ins Wasser und zog den Schrein mit -—

1) Dieses Märchen erschien zum erstenmal in dem Blatte Teranulü Romänü 1862, dann in Ispirescus Sammlung Legende sau «asmele Romänilor {I. Teil 1872); ich übersetze es nach dieser Sammlung (Bucuresci, 1892) und dem Abdruck in Basme din toate tinuturile româneçti (Biblioteca Socec; Bucure,ti, 1909), der es in •'euer Rechtschreibung wiedergibt. Ich lasse die übliche Einleitung des Erzählers, die in diesem religiösen Märchen ganz unangebracht ’St, auch mit der Geschichte ih gar keiner Verbindung steht, folgen. Sie lautet:

Es war einmal wie keinmal: und wär’s nicht gewesen, man ^nnt’s nicht erzählen: als der Pappelbaum Birnen trug und die Korbweide Märzveilchen; als die Wölfe und Lämmer sich um den Kals nahmen und den Bruderkuß tauschten; als man den Floh an Sinern Fuße mit neunundneunzig Oka Eisen beschlug und er in den “Oben Himmel sprang, uns das Märchen zu holen; als die Fliege an die Wand schrieb — mehr Lügner, wer drauf nicht die Hand gibt.

)•

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einer Stange ans Land. Als er ihn auftat, was sah er darin? Ein Knäblein von etwa zwei Monaten: er hob es aus der Truhe heraus, und da er es in die Arme nahm, schwieg es.

Das Kind trug ein Amulett um den Hals gebunden. Und da er es nahm, sah er, daß darin ein Brief steckte: er las den und erfuhr daraus, daß hier das Kind von einer hohei^ Königstochter geboren worden war, die einen Fehltritt begangen hatte und das Kind aus Furcht vor den Eltern nach seiner Geburt in einen Schrein getan und es auf dem Bache hinabschwimmen lassen hatte, weiß Gott wohin.

Der Einsiedler wünschte von ganzem Herzen, das Kind, das Gott ihm gesandt hatte, am Leben zu erhalten; als ih«1 jedoch einfiel, daß er nichts hatte, womit er es nähref konnte, brach er in Tränen aus, die gar nicht enden wollteo-Er fiel auf die Kniee und flehte zu Gott, und, oh Wunder^ zur Stunde sproßte in einer Ecke seiner Klause eine Weinrebe auf und wuchs zusehends und erhob sich bis zum Dach der Hütte^).

Der Einsiedler sah nach und fand Trauben, etliche reif» andere halbreif, wieder andere Herlinge und noch ander® erst in Blüte; davon nahm er und gab dem Knäblein, un^1 da er sah, es äße sie, freute er sich von ganzer Seele un^ dankte Gott. Von Trauben lebte das Kind so lange, bis auch anderes zu essen anfing.

Aber als das Kind größer wurde, nahm es der Einsiedlef vor und lehrte es lesen, Wurzeln zur Nahrung suchen unlt;1 auf die Jagd gehen.

Eines Tags jedoch rief der Einsiedler den Knaben 2^ sich und sagte:

,,Mein Kind, ich fühle mich immer schwächer werden) ich bin alt, wie du siehst: heute in drei Tagen werde ich zUfl anderen Welt eingehen. Ich bin nicht dein rechter Vatef) sondern du bist zu mir auf dem Bache dahergekommen) Deine Mutter hat dich da in einem Schreine ausgesetzt)

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1

Der Rabe ist das Symbol des Lebens, der ,,Lebensbaum‘j so im Banhus- und im Attiskult und noch im Christentum. Uf' schon im ägeischen Kult war sie es.

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damit ihre Schande nicht offenbar werde, denn sie war eine Königstochter^).

„Sobald ich nun in den ewigen Schlaf versinke, was du daran erkennen wirst, daß du meinen ganzen Körper kalt wie Eis und starr und steif siehst, gib acht, dann kommt ein Löwe. Erschrick nicht, Liebling; der Löwe wird mir eine Grube graben, und du sollst mich mit Erde zudecken. Als Erbe kann ich dir nichts hinterlassen als einen Zaum. Wenn du nun allein geblieben bist, geh auf den Boden hinauf, nimm den Zaum, schüttle ihn, und zur Stunde wird ein Roß kommen; das wird dich lehren, was du zu tun hast.“

Wie der Greis gesagt hatte, geschah es.

Am dritten Tage nahm der Einsiedler noch Abschied von seinem Seelensohne, legte sich hin und schlief in den langen Schlaf hinüber.

Bald darauf kam ein schrecklicher Löwe, ein entsetzlicher Anblick. Und er kam brüllend heran. Als er den Alten tot sah, scharrte er ihm eine Grube mit den Pranken, der Sohn aber bettete ihn darein und saß drei Tage und drei Nächte allein weinend an dem Grabe.

Dann mahnte ihn der Hunger daran, daß er noch lebte. Das Herz von Schmerz und Kummer bedrückt, stand er vom Grabe auf, trat zu dem Weinstock und sah mit großer Betrübnis, daß er verdorrt war. Da erinnerte er sich der Worte des Alten und begab sich auf den Boden und fand dort den Zaum; er schüttelte ihn, und siehe da, ein ge-

*) Der althebräische Heilandgott Mose, in dessen Gestalt aber auch noch andere Mythen zusammengeflossen sind, wird ganz ebenso wie hier Schönkind in ein Kästchen getan, aufgefunden und erzogen. Der babylonische König Sargon läßt den Heilandmythos sogar auf sich übertragen und von sich (in erster Person) berichten: ,,Es empfing mich meine Mutter als eine Gottgeweihte (Tempeljungfrau) ; im Verborgenen gebar sie mich. Sie legte mich in einen Kasten aus Schilfrohr, verschloß mit Erdpech meine Tür, legte mich in den Fluß, so daß er mich nicht bedeckte. Der Fluß trug mich hinab zu Akki, dem Wasserausgießer (im Tempel). Akki der Wasserausgießer 20g mich auf als seinen Sohn.“ Der germanische Mjrthos hat diesen Zug bei Beowulf erhalten.

5 Aus fremden Gärten 72/73.

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flügelter Renner^) kam daher, blieb vor ihm stehen und sagte;

,,Was befiehlst du, Herr?“

Der Knabe erzählte dem Pferde Wort für Wort, wie es mit dem Tode des Greises gewesen war, und setzte hinzu:

,,Sieh, jetzt bin ich allein. Gott hat mir den Vater genommen, den er mir gegeben hatte; bleib du bei mir. Aber komm an einen anderen Ort und laß uns dort unsere Hütte bauen; denn hier bei diesem Grabe — weiß nicht warum? — muß ich immer weinen.“

,,Nicht so, Herr!“ antwortete das Pferd. ,,Wir wollen dorthin gehn, wo es noch viel solche Menschen gibt wie du.“

,,Wie?“ fragte der Knabe. ,,Gibt es noch mehr Menschen wie ich und der Vater? Und wir sollen bei ihnen wohnen?“

,,Ganz gewiß,“ antwortete das Pferd.

,,Wenn dem also ist,“ fragte das Kind weiter, „warum kommen sie nicht zu uns?“

,,Sie kommen nicht hierher,“ fuhr das Pferd fort, „weil sie nicht hierher finden; so müssen wir zu ihnen gehn.“

,,Gehn wir!“ sagte der Knabe voll Freuden.

Als es ihm aber sagte, daß er Kleider anziehen müsse, da die andern Menschen nicht so nackt gingen, war der Junge ganz betroffen. Das Pferd jedoch sagte ihm, er möge mit seiner Hand ihm in das linke Ohr greifen, und da er das tat, zog er allerlei Kleider heraus, die er anziehen konnte, und war voll Staunens, denn er wußte nicht, wie er es tun sollte. Das Pferd unterwies ihn, und dann schwang sich der Knabe auf seinen Rücken und ritt davon.

So kam er in die nächste Stadt und sah sich mitten in einer hin und her wimmelnden Menschenmenge, deren

') Das geflügelte Roß ist sehr oft den Sonnen-Heiland-Helden beigegeben. Man denke vor allem an Perseus, der die Andromeda aus der Gewalt des Drachen (der Unterwelt) befreit. Das Roß ist selbst Sonnensymbol; darum auch hat es hier Sprache und Verstand. Besonders im deutschen Märchen spielt das Roß häufig eine ähnliche Rolle. In der christlichen Legende reitet der Heiland, der sonst immer zu Fuße geht, auf einer Eselin als König in Jerusalem ein; es ist das landesübliche Reittier an die Stelle des Rosses getreten.

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Lärm ihn gar mächtig erschreckte, und voller Angst ging er herum und betrachtete die schönen Häuser und alles Was er sah; er bemerkte aber auch, daß alles nach seiner bestimmten Ordnung ging. Das Pferd ermutigte ihn und sagte:

,,Sieh, Herr, alles hat hier seinen Platz; darum mußt auch du dir eine Arbeit wählen.“

Und nachdem er etliche Tage dort geweilt hatte und sich an die Leute und an das Getöse, das die Städte erfüllt, besser gewöhnt hatte, nahm er sein Pferd und zog, bis er 'n das Gebiet einiger Zinen kam^).

Bei den Zinen, die drei an der Zahl waren, wollte er sich als Knecht verdingen; so hatte das Pferd ihm geraten.

Die Zinen mochten ihn zunächst nicht recht in Dienst Rehmen, gaben aber schließlich seinen Bitten nach und Rahmen ihn.

Das Pferd kam oft zu seinem Herrn, und eines Tages Sagte es ihm, er solle gut acht haben, denn in einem der Häuser hätten die Feen ein Bad: in diesem Bade flösse in gewissen Jahren an einem bestimmten Tage Gold, und wer darin untertauche, dessen Haar werde golden®).

’) Zina ist das lateinische Diana, doch vielleicht urtümlich (dakisch), nicht aus dem Lateinischen übernommen, wenn auch ^von lautlich beeinflußt und „gestützt“. Auch in Sim-ziana oder Cosin-zeana steckt der Name. Die Zinen selbst sind noch ziemlich deutlich Erdgöttinnen, ganz so wie die slawischen Vilen (vgl. : Anm. S. 9).

*) Die Parallele hierzu sind im Parsismus und im Christentum , Erhalten. Durch das Untertauchen in einem bestimmten Wasser ' i Verbindet sich mit dem persischen Heiland dieHwareno, die göttliche • ' Glorie, und damit tritt er, der bisher in Verborgenheit und Niedrigkeit I gelebt hatte, seine Heilandlaufbahn an. Ebenso wird der christliche 5 («eiland im Jordan untergetaucht (getauft). Astral genommen ’ i ^deutet diese Taufe das Auftauchen der Sonne aus dem Meere; von • da an zieht sie offenbar am Himmel und vollbringt im Tierkreis ihre ' Wunderbaren Taten. Beim irdischen Feuerfunken mag in Anglei-! Çhung daran die übliche Salbung, die dann auf die Königweihe f quot;beitragen wurde ( Saul, David), vielfach als Taufe gedeutet worden i ®sin. Daher dann wird die christliche Taufe gewöhnlich nicht als • «ad, sondern in der Form der Salbung, der Beträufelung des Kopfes,

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Weiter sagte ihm das Pferd, die Zinen hätten in ein«1 der Truhen in ihrem Hause ein Bündel mit drei verschiedeneil Gewändern^), die sie mit Sorgfalt verwahrten.

Der Knabe behielt alles, was das Pferd ihm gesagt hattlt;'l und wenn er irgendwann etwas schweres zu tun hatte, riê' er das Pferd, daß es ihm helfe. Die Zinen gaben ihd Erlaubnis, in allen Häusern herumzugehen; er räumte au^i machte Ordnung, kehrte aus. Aber in die Stube mit dei^l Bade durfte er nicht gehen. Wenn sie jedoch nicht zu Hauslt;l waren, ging er doch hinein, und es fiel ihm alles ein, wa-‘i das Pferd ihm gesagt hatte.

Eines Tages gingen die Zinen auf ein Fest zu anderen) Zinen und vergaßen nicht, dem Knechte aufzutragen, el| solle^ sowie er ein Geräusch in dem Badekämmerchen hörfiJ eine Schindel vom Hausdache zerbrechen und sie solcher' weise benachrichtigen, damit sie sofort zurückkehrten; denn) sie wüßten, daß nun alsbald jenes Goldwasser zu fließen! beginne.

Der Sohn des Einsiedlers stand auf der Wacht; docni als er jenes Wunder erblickte, rief er nur das Pferd. Daî| Pferd sagte ihm, er solle in das Wasser tauchen; und e^l tat es.

Nachdem er aus dem Bade gestiegen war, nahm er daS| Bündel mit den Gewändern und machte sich eilig davomi vollzogen. Daß im christlichen Mythos auch noch der heilige Geis') in Gestalt einer Taube, also das persische ,,Wort“, auf den Heiland herabkommt, als er getauft wird, beruht auf einer persischeni Variante, wonach sich die Hwareno auch auf solche Weise mit deq künftigen Heiland verbinden kann, eine Wiederholung des Empfang') nisvorganges. Die Mannigfaltigkeit rührt vor allem von der Vef' Schmelzung der Legenden des himmlischen Sonnenfeuers und delt;l irdischen Feuerfunkens her.

Das „Federhemd“ der nordischen Freia, die Gewänder de* Schwanenjungfrauen in der Wielandsage und anderen Sagen. Vol’ den folgenden drei Gewändern ist das mit dem Blumenfeld de* Erdgöttin-Mutter, womit schon die Magna mater der Pelasger be'l kleidet erscheint, das des gestirnten Himmels, das des Himmels' gottes-Vaters. Die beiden Gewänder sind hier auf den Heiland' gott-Sohn nur übertragen.

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Und sein Flügelroß trug ihn dahin schnell wie der Wind Und wie Gedanken sind. Als er über die Torschwelle ritt, begannen die Häuser, der Hof und der Garten so furchtbar zu schwanken und zu dröhnen, daß man es bis zu den 1 Zinen hörte und die Zinen nach Hause zurückkehrten, j Als sie sahen, daß der Knecht weg war und die Ge-j wänder nicht an ihrem Orte, machten sie sich hinter ihm her. Und sie verfolgten ihn von Ort zu Ort, bis er, als sie ihn schon ergreifen wollten, über ihre Gemarkung entwich \ Und nun anhielt.

Als ihn die Zinen entkommen sahen, wüteten sie vor Schmerz, denn sie konnten ihn nicht mehr fangen. Da sprachen sie zu ihm;

,,Oh! Jüngling, was hast du uns angetan, daß du uns ' betrogen hast! Laß uns wenigstens dein Haar sehen!“

Und da er sein Haar auf den Rücken fallen ließ, ergriff sie ein heftiges Verlangen nach ihm, und Tränen strömten ihnen aus den Augen. Da sprachen sie:

j, ,,So schönes Haar haben selbst wir niemals gesehen. Mag es dir gut gehn! Aber sei so gut und gib uns unsere Gewänder zurück.“

Er aber gab sie nicht zurück, sondern behielt sie statt des Lohnes, den ihm die Zinen schuldeten.

Von da begab er sich in eine Stadt, zog sich eine Talgblase auf den Kopf und ging zum Gärtner des Königs und î] bat ihn, er möge ihn als Knecht für den königlichen Garten dingen^). Der Gärtner wollte ihn erst nicht hören; aber nach vielen Bitten nahm er ihn. Er sollte die Erde umgraben, lt;lt;nbsp;Wasser herzuschaffen, die Blumen begießen; er lehrte ihn f' die Raupen von den Obstbäumen ablesen und die Tannen Schrappen. Schönkind behielt alles wohl, was der Gärtner, sein Herr, ihn lehrte.

Der König hatte drei Töchter, und so sehr war er mit

') Hier wiederholt sich die vorige Episode in etwas anderer, aus dem Mythologischen ganz ins Menschliche übertragene Fassung. ’ Die mitgenommenen Kleider sind nur künstlich und oberflächlich damit verbunden.

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Regierungsorgen beschäftigt, daß er die Mädchen zu verheiraten vergessen hatte.

Eines Tags besprach sich die älteste mit ihren Schwestern: sie wollten jede eine Melone aussuchen und an des Königs Tafel bringen.

Als der König sich zu Tische setzte, kamen auch die Töchter und brachten jede eine Melone auf goldener Schüssel und stellten sie vor den König.

Der König wunderte sich hierüber und ließ den Staatsrat versammeln, damit er ihm sage, was das bedeute.

Der Rat versammelte sich, man zerschnitt die Melonen, und da sich der eine als noch grün, der andere als fast sehen eßbar, und der dritte als ausgereift erwies, sagten sie:

„König, lebe noch viele Jahre! Diese Melonen bedeuten das Alter deiner Töchter, o Majestät, und daß die Zeit gekommen ist, sie zu vermählen.“

So entschloß sich der König, sie zu verheiraten, und ließ diesen Entschluß im Lande kundmachen. Und schon am zweiten Tag begannen Königsöhne von da und von dort auf die Freite zu kommen.

Als nun die älteste Tochter jenen Königsohn, der ihr am besten gefiel, zum Bräutigam nahm, wurde eine große königliche Hochzeit ausgerichtet. Und als die Festlichkeiten zu Ende waren, gab der König mit seinem ganzen Hofe seiner Tochter bis an die Gemarkung seines Reiches das Geleit. Nur die jüngste Königtochter blieb zu Hause.

Da Schönkind, der Gärtner knecht, sah, daß auch der Gärtner mit dem Gefolge ging, rief er das Pferd, schwang sich darauf und zog von den den Zinen geraubten Gewändern jenes an, worauf ein Blumenfeld war. Dann ließ er sein goldenes Haar auf den Rücken fallen und begann in dem ganzen Garten herumzusprengen, ohne zu achten, daß die Königtochter aus ihrem Fenster ihn sah; denn ihf Zimmer ging auf den Garten.

Das Pferd zertrat, wie er ritt, den ganzen Garten, und als er sah, daß seine Lustbarkeit Schaden anrichte, stieg er

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ab, zog seine Knechtkleider an und begann den Schaden wieder gutmachen zu wollen.

Als der Gärtner heimkam und sah, was er angerichtet hatte, war er ganz bestürzt, er begann den Knecht auszu-schelttn, weil er nicht auf den Garten acht gehabt hatte, und war so zornig, daß er ihn fast geprügelt hätte.

Aber die Königtochter, die vom Fenster aus alles das mit ansah, ersuchte den Gärtner, er möge ihr ein paar Blumen bringen.

Der Gärtner tat, was sich tun ließ, pflückte aus den Beeten ein paar Blumen, band sie zum Strauß und brachte sie der jungen Königtochter. Sie gab ihm für die Blumen eine Handvoll Gold und sagte ihm, er möge dem armen Knechte verzeihen, denn er sei nicht schuldig.

Da machte sich der Gärtner, froh über ein so reiches Geschenk, tüchtig an die Arbeit, und in drei Wochen setzte er den Garten so instand, als wäre da gar nichts geschehen.

Nicht lange danach nahm die mittle Königtochter sich ebenfalls einen Königsohn zum Manne. Es gab dieselben Festlichkeiten wie bei der Hochzeit ihrer Schwester, und nachdem die Festlichkeiten zu Ende waren, geleitete der König auch sie bis an die Gemarkung seines Reiches. Des Königs jüngste Tochter ging nicht mit, sondern blieb zu Hause; sie sei krank, gab sie vor.

Wie der Gärtnerknecht sich allein zu Hause sah, wollte auch er seine Freude haben wie die anderen Hof bediensteten alle; da ihm aber nur sein Roß Freude machte, rief er es und zog ein anderes Gewand an: den bestirnten Himmel, ließ das Haar auf den Rücken fallen und ritt durch den ganzen Garten.

Als er jedoch gewahr ward, daß er alles in Grund und Boden trat, zog er wieder seine schlechten Kleider an und begann wehklagend den Schaden wieder gut machen zu Wollen.

Auch diesmal kam es so, daß der Gärtner, als er ihn schlagen wollte, von der jüngsten Königtochter, die wieder Blumen verlangte, daran gehindert wurde; sie gab ihm zwei

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Hände Toll Gold und sagte, er solle den Knecht nicht anrühren, denn er sei unschuldig. Der Gärtner machte sich wieder an die Arbeit und brachte den Garten in vier Wochen fertig.

Der König richtete ein großes Jagen aus, und da er einer großen Gefahr glücklich entronnen war, erbaute er in jenem Walde eine Halle und lud zur Feier seiner Rettung alle Großen und Hofleute zu einer großartigen Tafel, die er da bereiten ließ. Alle vom Hofe folgten der Einladung des Königs, nur sein Töchterlein blieb daheim.

Als Schönkind sich allein sah, rief er das Pferd und zog sich, um auch sein Vergnügen zu haben, andere Gewänder an: mit der Sonne auf der Brust, dem Mond auf dem Rücken und dem Morgen- und Abendstern^) auf den beiden Schultern, ließ das Haar auf den Rücken fallen, schwang sich auf das Pferd und tummelte sich im Garten.

Der Garten wurde jetzt dermaßen zerstampft, daß er nur ein Bild der Verwüstung war. Als er jedoch dies sah, begann er zu klagen, zog geschwinde seine Knechtkleider an und wußte nicht, wo er mit der Herrichtung anfangen sollte.

Als der Gärtner kam und diese ungeheure Verwüstung sah, kannte sein Zorn keine Grenzen. Aber als er ihn dafür durchprügeln wollte, verlangte die Königtochter vom Fenster aus Blumen.

Der Gärtner suchte jeden Winkel ab und wußte nicht, was er machen sollte; bis in den letzten sah er nach und fand ein paar Blümchen, die gerade noch von den Hufen des Flügelrosses verschont geblieben waren, trug sie hin, und die Königtochter gebot ihm, dem armen Knechte zu verzeihen, und gab ihm dafür drei Hände voll Dukaten.

Er ging neuerlich an die Arbeit, und kaum in sechs Wochen konnte er es so weit bringen, daß der Garten wieder etwas gleich sah, dem Knechte aber schwor er den

Morgen- und Abendstern gelten als zwei, aber immer als Zwillinge; So im Griechischen dieDioskuren („Gottessöhne“) Kastor und Pollux.

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heiligen Stock zu, den Bruder des Todes, wenn dergleichen noch einmal vorkomme, und daß er ihn fortjagen werde.

Der König war beunruhigt, weil er sein Töchterlein ganz traurig sah. Sie wollte gar nicht mehr das Haus verlassen. Er beschloß darum, sie zu vermählen, und begann ihr von dem und jenem Königsohn zu sprechen. Sie wollte von keinem hören.

Als nun der König das sah, versammelte er wieder den Rat und die Großen und fragte sie, was er tun solle. Einer der Großen riet, er solle ein kleines Haus bauen mit einer Türe von unten, und da sollten alle Königsöhne und jungen Edelinge hindurchgehn; welchen nun das Mädchen wähle, nach dem solle sie einen goldnen Apfel, den sie in der Hand halten möge, werfen, und danach solle der König sie vermählen, Also geschah es denn. Es wurde im Lande bekannt gemacht, der König befehle, daß klein und groß zusammenkomme und unten durch die Tür gehe.

Alle kamen; sie aber warf nach keinem. Viele meinten, ! das Mädchen habe keine Lust zum Heiraten. Aber ein ! alter, durch alle Siebe und Reitern gegangener Edelmann, I der gar viel gehört, gesehen und erfahren hatte, sagte, die i Leute vom Hofe möchten auch durchziehen. So kamen I auch der Gärtner und der Oberkoch und der Aufseher und I die Diener und die Kutscher und alle Knechte, aber um-I sonst: das Mädchen warf nach keinem.

Man ließ fragen, ob nicht etwa einer noch nicht durch das Tor gegangen sei, und es fand sich, ein elender Gärtnerknecht, kahlköpfig und abgezehrt wie kein zweiter auf der Welt, sei zurückgeblieben^).

1) Man erinnert sich an die Verwandelung, worin Odysseus auf Ithaka erscheint. Auch beim ,,Gottesknecht“ des Deuterojesaja-buches wird hervorgehoben, daß er krank und elend und häßlich sei; ebensolches wird gelegentlich vom christlichen Heiland ausge-' sagt. All dies ist nur das Widerspiel der strahlenden Offenbarung des Heilandes vor aller Welt. Man bemerke überdies, daß auch J esus einmal ganz unvermittelt und unmotiviert als Gärtner erscheint (Ev. Joh. XX, 15). Sargon läßt sich den Gärtnerdienst in ähnlicher Weise tun. Der Gärtner trat in allen diesen Fassungen an die Stelle des Hirten.

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„Auch er soll hindurchgehn,“ sagte der König.

Darauf ließ er auch den kahlköpfigen Knecht rufen und hieß ihn ebenfalls hindurchgehn; er aber wagte es nicht. Da zwang man ihn dazu, halb mit Worten, halb mit Gewalt, und da er durchschritt, warf das Mädchen den Apfel nach ihm.

Der Knecht begann zu schreien und davon zulaufen; er hielt sich den Kopf mit den Händen und sagte, er sei ihm eingeschlagen worden.

„Das kann nicht sein! Es ist ein IrrtumI Mein Kind kann unmöglich gerade diesen Kahlkopf erwählt haben.“

Sieh, der König konnte es nicht zugeben, seine Tochter mit dem Knecht zu vermählen, obwohl das Mädchen den Apfel nach ihm geworfen hatte.

So ließ er alle noch ein zweites Mal hindurchgehn. Und auch das zweite Mal warf sein Töchterlein den Apfel jenem Kahlkopf an den Kopf, der wieder davonlief, sich mit den Händen den Kopf hielt und schrie.

Voll Kummer nahm der König wieder sein Wort zurück und hieß alle noch ein drittes Mal hindurchgehn.

Als nun der König sah, daß das Mädchen auch zum drittenmal nach dem Kahlkopf warf, ging er in den Staatsrat und gab ihm seine Tochter zum Weibe.

Die Hochzeit fand ganz im geheimen statt, und dann verbannte sie der König beide und wollte nie wieder etwas von ihnen wissen und erfahren. Nur wider Willen, aus Erbarmen gestattete er ihnen, im Hofe seines Palastes zu wohnen.

Man gab ihnen eine Hütte in einem Winkel des Hofes zur Wohnstatt, der Knecht aber wurde Wasserträger am Hofe.

Alle Diener des Königs lachten über ihn, und allen Unrat warfen sie ihm vor die Hütte. Drinnen aber verschaffte ihm das Flügelroß alle Herrlichkeiten der Welt: selbst im Palaste des Königs war es nicht wie in seiner Hütte.

Die Königsöhne, die um die junge Königtochter freien gekommen waren, wüteten über die Schmach, die ihnen

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dadurch zugefügt war, daß die Tochter des Königs den Kahlkopf gewählt hatte, und beschlossen miteinander, ein großes Heer gegen ihn zu senden.

Der König war sehr bekümmert, als er den Entschluß seiner Nachbarn erfuhr; aber was war zu tun? Er rüstete sich zum Kriege,,und es blieb ihm nichts anderes übrig.

Beide Eidame des Königs machten sich auf und kamen ihrem Schwäher mit Heeren zu Hilfe. Auch Schönkind schickte seine Frau zum König und ließ ihn bitten, er möge ihm erlauben, gleichfalls mit in den Kampf zu ziehen.

,,Heb dich weg von mir, du Närrin! Denn siehe, um deinetwillen wird meine Ruhe gestört. Ich will euch nicht mehr vor meinen Augen sehen, Nichtsnutze, die ihr seid!“

Aber durch viele Bitten ließ er sich bewegen und befahl, daß auch er wenigstens Wasser für das Heer zutragen dürfe.

Man machte sich fertig und zog aus.

Schönkind ritt in seinen schlechten Kleidern auf einer lahmen Mähre voraus. Das Heer erreichte ihn in einem Morast, wo die Stute stecken geblieben war; er mühte sich, sie herauszubringen und zog sie bald am Schwänze, bald am Kopfe, bald an den Beinen.

Da lachte das Heer und der König und die beiden älteren Eidame und zogen vorüber.

Aber als sie nicht mehr zu sehen waren, zog Schönkind die Stute aus dem Schlamm, rief sein Pferd, kleidete sich in das Gewand mit dem blühenden Felde und begab sich auf das Schlachtfeld, kam hin und ritt auf einen nahen Berg, damit er sehe, wo es am heißesten zugehe.

Sowie die Heere ankamen, warfen sie sich aufeinander. Aber als Schönkind sah, daß das feindliche größer und stärker war, so stürzte er von dem Gipfel des Berges sich ihm entgegen und drang wie ein Sturmwind mit dem Schwerte in der Hand mitten hinein und hieb zur Rechten und zur Linken alles nieder, was ihm in den Weg kam.

Solchen Schrecken verbreitete seine Schnelligkeit, der Glanz seines Gewandes und das Dahinstürmen seines Rosses, daß das gesamte Heer davon floh und jeder nur

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seiner Nase nach lief, wie Rebhuhnküken auseinanderstieben.

Der König aber dankte Gott, da er dieses Wunder sah, daß er ihm seinen Engel gesandt habe, um ihn aus der Hand des Feindes zu befreien, und kehrte fröhlich nach Hause zurück.

Auf dem Wege traf er wieder Schönkind an, der sich in den Knecht zurückverwandelt hatte und die Stute aus dem Schlamm zog, und in seiner guten Laune sagte der König zu etlichen:

,,Gehet und ziehet den armen Kerl aus den Schlamme“.

Der König hatte sich kaum ordentlich niedergesetzt, so ward ihm angesagt, daß seine Feinde sich mit einem noch größeren Heere wider ihn erhoben hätten.

So machte auch er sich zum Kampfe bereit und zog ihnen entgegen. Wieder bat Schönkind, man möge auch ihn mitkommen lassen, und wieder wurde er verhöhnt.

Aber als er die Erlaubnis erhalten hatte, zog er wieder auf seiner Stute aus. Auch diesmal wurde er ausgelacht und verspottet, als das Heer ihn wieder im Sumpfe stecken sah, und wie er die Stute auf keine Art und Weise aus dem Schlamm brachte.

Sie ließen ihn dahinten; er aber war auch jetzt viel früher auf dem Schlachtfeld, wieder als Schönkind, auf seinem Flügelrösse und in das Gewand mit dem bestirnten Himmel gekleidet.

Die Heere ließen die Trompeten blasen und die Pfeifen spielen und stießen zusammen. Da aber Schönkind sah, daß die Feinde stärker seien, stürmte er vom Berge herab und trieb sie in die Flucht.

Wieder kehrte der König fröhlich zurück, Gott für den Beistand dankend, den er ihm geliehen hatte, und wieder gebot er seinen Leuten, den armen Wasserträger aus dem Schlamme zu ziehen. Wieder war er herzlich zufrieden und freute sich in der tiefsten Seele über seinen Sieg.

Als der König nun hörte, daß die Feinde sich ein drittes Mal erhoben hätten und mit noch größeren Heeren, an Zahl

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wie die Blätter an den Bäumen, die Gräser auf den Wiesen, an den Marken seines Reiches erschienen seien, wurde er bis in den Grund seines Herzens bekümmert. Zu weinen begann er, daß Gott mir helfe! und er weinte, bis er seine Augen schwach werden fühlte. Dann versammelte auch er das ganze Heer und zog mit Gott zum Kampf.

Schönkind zog auf seiner Gurre ebenfalls aus.

Aber als das ganze Heer vorüber war — man hatte wieder über ihn gelacht, wie er sich mühte, seine Stute aus dem Sumpfe zu ziehen — zog er das Gewand mit der Sonne auf der Brust, dem Mond auf dem Rücken und demMorgen-und Abendstern auf beiden Schultern an, ließ das goldene Haar auf den Rücken fallen, schwang sich auf sein Roß und in einem Hui war er wieder auf dem Berge und wartete da ab, was geschehen werde.

Die Heere trafen zusammen, griffen an vielen Seiten an und schlugen einander Wunden ohne Entscheidung; so erbittert waren die Krieger. Doch als gegen abend Schönkind das feindliche Heer das des Königs in die Flucht schlagen sah, stürmte er wie ein Blitz wieder vom Berge herab und stürzte mitten unter sie, daß sie vor Schrecken nicht wußten, was sie tun sollten. Der Glanz der Gewande Schönkinds blendete und verwirrte den Feind dermaßen, daß die Heerhaufen nicht mehr wußten, wo sie waren. Schönkind traf mit seinem Schwerte da und dort, überall. Grauen ergriff die Herzen der Feinde und brachte sie so außer sich, daß sie zu kämpfen vergaßen und nur ihr Leben zu retten suchten. Sie flüchteten, wohin sie eben vermochten, fielen blindlings einer über den anderen, ob sie auch den Hals brachen. Schönkind jedoch trieb sie vor sich her und mähte sie nieder wie schlechtes Unkraut.

Der König sah seine Hand bluten — er hatte sich selbst daran verletzt — und gab ihm sein Tüchlein, damit er sich verbinde. Dann kehrten sie, der Gefahr entronnen, nach Hause zurück.

Auf der Heimkehr fanden sie Schönkind wieder mit seiner Stute im Sumpfe; und wieder gebot er ihn herauszuziehen

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Zu Hause jedoch befiel den König eine Krankheit an den Augen, und er wurde blind. Alle Zauberer und Weisen, die in den Sternen lasen, wurden berufen, aber keiner konnte ihm helfen. Eines Tages erwachte der König aus dem Schlaf und sagte, er habe im Traum einen Greis gesehen und der habe ihm gesagt, wenn er die Augen mit der Milch von roten Wildziegen wasche und diese Milch trinke, werde er das Gesicht wieder erlangen.

Da dies seine Eidame hörten, machten sie sich gleich auf, doch nur die beiden älteren allein; den jüngsten nahmen sie nicht mit und wollten auch nicht, daß er nur mit ihnen zusammen gehe. Aber Schönkind rief das Roß und ging mit dem durch das Bruchland, fand die roten wilden Ziegen, molk sie und verkleidete sich, als er heimkehrte, in einen Hirten und trat vor seine Schwäger mit einer Gelte voll Schafmilch. Sie fragten ihn, was für Milch er da habe. Er antwortete, als kennte er sie nicht, er bringe Milch von roten Ziegen zum König, der geträumt habe, er werde wieder sehend werden, wenn er mit dieser Milch seine Augen bade. Da versuchten sie ihm die Milch abzukaufen; der Hirte jedoch erwiderte, die Milch sei ihm nicht um Geld feil, wollten sie aber die Milch von den roten Ziegen haben, so sollten sie sagen, daß sie seine leibeigenen Knechte seien und erlauben, daß er ihnen sein Merkzeichen auf den Rücken drücke; dann könnten sie gehen und brauchten nicht mehr zu ihm zurückzukommen.

Die zwei Eidame meinten, da sie Könige und Königeidame seien, werde niemand danach fragen; so ließen sie sich denn von ihm das Merkzeichen auf den Rücken drücken, nahmen die Milch und machten sich auf den Weg, indem sie zueinander sagten: ,,Wenn es dem Dummkopf etwa beifiele, etwas zu sagen, werden wir ihn für einen Narren erklären, und gewiß wird man uns mehr glauben als ihm.*'

Sie gingen zum König und gaben ihm die Milch, und er wusch sich die Augen damit und trank davon; aber es half nichts. Hierauf kam die jüngste Tochter zum König und sprach:

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„Vater, sieh, versuch auch diese Milch, die mein Mann gebracht hat; streich auch sie dir auf, ich bitte dichl“

,,Was hat denn dein einfältiger Mann bisher Gutes getan,“ erwiderte der König, ,,daß er jetzt etwas verrichten könnte? Meine anderen Eidame konnten nichts tun, die mir in den Kämpfen so große Dienste geleistet haben, er aber, der Tölpel, soll mir helfen können? Und dann, habe ich euch nicht gesagt, daß ihr nicht mehr vor meinem Angesicht erscheinen dürft? Wie wagst du es, meinen Befehl zu übertreten?“

,,Ich nehme jede Strafe an, die du über mich verhängst, Vater; nur salbe dich mit dieser Milch, die dein demütiger Knecht dir darbringt, das bitte ich dich.“

Da der König seine Tochter so inständig bitten sah, ließ er sich erweichen und nahm die Milch, die sie brachte, entgegen und wusch sich damit die Augen einen Tag, wusch sie sich den anderen Tag, und zu seiner großen Verwunderungwar es ihm, als beginne er zu sehen gleich wie durch ein Sieb. Und als er sich auch noch am dritten Tage wusch, sah er, wie alle Menschen sehen, mit hellen, klaren Augen.

Nach seiner Genesung gab er allen Großen und Räten des Reiches ein großes Mahl und auf ihre Bitte gestattete er auch Schönkind, daß er am Ende der Tafel sitze.

Als die Gäste lustig waren und die Becher schwenkten, erhob sich Schönkind, bat um Entschuldigung und fragte:

,,Hoher König, dürfen die leibeigenen Knechte mit ihren Herren an einem Tische sitzen?“

,,Nein, auf keinen Fall,“ erwiderte der König.

,,Wenn es so ist und da alle dich als gerecht kennen, laß auch mir mein Recht widerfahren und treib die beiden Gäste, die, hoher Herr, zu deiner Rechten und zu deiner Linken sitzen, von dem Tische fort, denn sie sind meine Knechte. Und damit du mir glaubst, untersuche sie und du wirst sehen, daß sie auf dem Rücken mein Merkzeichen tragen.“

Als die Eidame des Königs dies hörten, erschraken sie gar sehr und bekannten, daß dem so wäre; zur Stunde

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mußten jie vom Tische aufstehen und durften sich nicht wieder sçtzen.

Aber am Schluß der Tafel zog Schönkind das Tüchlein hervor, das ihm der König in der Schlacht gegeben hatte.

,,Wie kommt mein Tüchlein in deine Hand?“ fragte der König. ,,Ich habe es dem Engel des Herrn gegeben, der uns in der Schlacht beigestanden hat.“

,,Nein, hoher König, mir hast du es gegeben.“

,,Wenn dem so ist, dann bist du es, der mir zu Hilfe gekommen ist?“

,,Ich bin es, hoher König.“

,,Es kann nicht sein,“ fügte der König schnell hinzu. ,,,Und soll ich dir glauben, zeig dich, wie damals jener war, dem ich das Tüchlein gegeben habe.“

Da stand er von dem Tische auf, ging hin und zog das Gewand mit der Sonne auf der Brust, dem Monde auf dem Rücken und dem Morgen- und Abendstern auf den beiden Schultern an, ließ sein Haar auf den Rücken fallen undj trat so vor den König und alle Versammelten.

Als ihn die Gäste sahen, erhoben sie sich sogleich undi verwunderten sich. Schönkind war so schön und leuchtend,#2404; daß du schauen konntest ins Sonnenlicht, aber auf ihn nicht.

Der König lobte erst seine Tochter wegen ihrer guten Wahl, dann stieg er herab von dem Königthron und hieß seinen Eidam Schönkind ihn einnehmen; das erste aber was Schönkind tat, war, daß er seine Schwäger von ihrei Knechtschaft lossprach, und im ganzen Reiche gab eS großen FestesjubeP).

') Ispirescu teilt noch eine andere Fassung dieses Märchens miti „Schönkind mit dem gläsernen Wagen“. Der Beginn ist fast wörtlich derselbe, nur daß das Kind zwei Wochen alt scheint, nicht zwei Monate, und ein Feigenbaum aus dem Grase aufwächst, nicht eih Weinstock in der Hütte. Weinstock wie Feigenbaum sind auch if der christlichen Legende Symbole des Lebens ; sie waren es schon ih Sumer. Das Roß, als ,,Hengst“ bezeichnet, hat sechs Flügel. Weitet' hin kommt Schönkind an den Hof eines Königs, der immer traurij ist, weil seine Tochter eine Drachin geraubt hat, seine beiden Söhn* aber bei den Versuchen, sie zurückzugewinnen, umgekommen sind

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Die Drachin wohnt in einem gläsernen Palaste hinter einem Wald. (Glas steht hier für Eis.) Die Königtochter nimmt auf die Flucht mit Schönkind einen Wetzstein, ein gesäumtes Tuch und eine Bürste mit. Wie in dem von Eminescu überlieferten Märchen entsteht aus dem Wetzstein ein Felsen, aus dem Tuch ein See, aus der Bürste ein Wald. Endlich tötet er die Drachin. Doch das Pferd sagt ihm, er müsse auch noch den Drachen, den Sohn der Drachin, töten, denn sonst werde er nie Frieden haben. Ehe Schönkind ihn tötet, läßt er sich sagen, wie er die beiden Brüder des Mädchens und ihre Mannen wiedererwecken könne. Er erweckt alle und in der gläsernen Kutsche der Drachin fährt er mit der Königtochter heim zu dem Vater und wird da mit ihr vermählt.

Ein drittes Märchen bei Ispirescu gibt Schönkind den Sonnennamen Heliodor (,,Aleodoru imperaf). Heliodor wird einem greisen König als einziges Kind geboren. Bei der Taufe versammelt der König Osten und Westen, Mittag und Mitternacht. Alsbald stirbt der König. Er heißt ihn vor seinem Tode, sich ja nicht in die Berge, die er dort sehe, zu wagen; dort hause ein Unwesen, halb Mensch, halb lahmer Hase: wer sein Reich betrete, entkomme nicht ungestraft. Auf einer Jagd kommt Heliodor unversehens dorthin. Der Hasenmensch trägt ihm auf, die Tochter des Königs Verdes (von verde, „grün“) ihm zuzuführen. (Der grüne König ist das Widerspiel des roten, jener der Herrscher im Totenreich, dieser der im Reich der Lebendigen). Auf der Fahrt dahin tut Heliodor einem Hecht, einem Raben und einer Bremse Gutes. Der König schließt einen Vertrag mit ihm, daß die Tochter ihm folgen werde, wenn er sich so verberge, daß sie ihn nicht finde. Er wird Fisch unter Fischen — Rabe unter Raben, sie findet ihn auch auf; zuletzt setzt er sich als Bremse auf ihre Schleppe und sie findet ihn nicht. Das Mädchen folgt ihm nun, will aber den Hasenmenschen nicht zum Manne. Sie spricht zu ihm mit den Worten der christlichen Legende : ,,Hebe dich von mir, Satan, und fahr’ zu deiner Mutter, dem Hades (iad), die dich auf die Erde geschickt hat!“ Über den Schimpf zerbirst er, und Heliodor fährt mit der Braut in sein Reich.

In einem vierten Schönkindmärchen bei Ispirescu, „der mit dem Buch in der Hand geborene Ritter“, wird der Heiland-Held, wie schon der Titel besagt, mit einem Buch in der Hand geboren, das er fortan immer in der Hand behält. Seine Eltern sind wie in der Johanneslegende des Neuen Testaments alte Leute, seine Geburt übernatürlich. An seiner Wiege hört der Vater die Schicksalschwestern, die „Spinnerinnen“, folgendes sagen: Die erste: ,,Dieser Knabe wird ein Schönkind werden und Reichtum erlangen“; die zweite: „Wann dieser Knabe zwölf Jahre alt sein wird, werden ihn die bösen Geister rauben“; die dritte: ,,Wenn er den bösen Geistern entrinnt, wird dieser Knabe König werden.“ Die christlichen Parallelen sind; Der zwölfjährige Jesus im Tempel; die Entführung Jesu

6 Aus fremden Gärten 72/73.

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durch den Teufel in die Wüste — auch Schönkind wird von dem Teufel, der in Gestalt eines Mönches auftritt, in ein ganz wüstes Land entführt, doch fehlt der ethische Teil der Versuchung — und der Einzug Jesu als König in Jerusalem. Alles erfüllt sich. Und wie sonst gewinnt er auch hier die Braut. Kämpfe mit Ungetümen fehlen ebenfalls nicht.

Unter den anderen Schönkindmärchen Ispirescus hebe ich noch eines hervor, ,,Der Ritter ohne Vater“. Darin wird die Geburtgeschichte weiter ausgeführt. Die Königtochter sitzt am Fenster und sieht einen Jüngling, der die Hirtenflöte bläst. Eines Tags blickt er auf, und die Augen begegnen einander. Sie fühlt wie einen Feuerfunken in ihrem Herzen entbrennen, flieht vom Fenster hinweg und ist von Stunde an schwanger. Sie wird verstoßen, in ein Schifflein gesetzt und dahintreiben gelassen. Am dritten Tage gebiert sie das Kind, einen engelschönen Knaben. Endlich trägt sie das Schiff an den Strand, und da in einem Walde zieht sie das Kind auf. Dieses Märchen ist auch noch dadurch bemerkenswert, daß di' Braut, die der vaterlose ,,Ritter“ gewinnt, Zina (Diana) heißt, sich also ganz klar als ursprüngliche Mondgöttin erweist.

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JUGEND OHNE ALTER UND LEBEN OHNE TOD

ÜBERLIEFERT VON PETRE ISPIRESCU^)

Es war einmal ein großer König und eine Königin, beide jung und schön, und da sie keine Kinder bekamen, hatten sie oftmals alles getan, was dazu nötig ist: sie waren zu den Zauberern und Weisen gegangen, damit sie in die Sterne sähen und ihnen ansagten, ob sie Kinder bekämen, doch umsonst. Endlich hörte der König, in einem nahen Dorfe befinde sich ein kundiger Greis, und schickte um ihn. Der jedoch sagte dem Boten, wer ihn brauche, möge zu ihm kommen. So begaben sich der König und die Königin mit einigen Großen, Kriegsleuten und Dienern als Gefolge zu dem Hause des Alten. Da sie der Alte von ferne kommen sah, ging er ihnen entgegen und sagte sogleich zu ihnen:

,,Seid mir willkommen! Aber weshalb kommst du, König? Der Wunsch, den du hegst, wird dir nur Schmerz bringen.“

Das Märchen wurde erstmalig in dem Blatt Teranu! Roman 1862 veröffentlicht; es steht jetzt am Anfang der ,,Legende sau Basmeie Romänilor.“ Die Heilandmythe ist hier, von dem Satze ausgehend, daß Schönkind ewig lebe (vgl. den Schluß von Eminescus Märchen), eigentümlich weitergebildet. Das deutsche Märchen vom Mönch von Heisterbach stimmt mit seinem letzten Teile auffällig überein. Zu dem Aufsuchen der Jugend ohne Alter und des Lebens ohne Tod kann man die persische Gestaltung der Alexandersage heranziehen. Alexander zieht in das Land der Finsternis, um dort den Lebensquell zu finden, er freilich findet den Quell nicht, denn er War nicht unsterblich. In unserem Märchen ist das Motiv der Braut-holung ganz zurückgetreten. Schönkind bleibt mit ihr in ihrem Lande. Die übliche Einleitung (vgl. Anm. S. 33) lasse ich weg.

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„Nicht hiernach zu fragen, bin ich gekommen,“ sagte der König, ,,sondern, damit du mir eine Arzenei gebest, auf daß wir Kinder bekommen, so du eine hast.“

,,Ich hab’ sie,“ erwiderte der Alte. „Aber ihr werdet nur ein Kind bekommen. Es wird ein Schönkind sein und sehr lieblich, und ihr werdet ihn nicht bei euch behalten.“

Der König und die Königin nahmen die Arzenei entgegen und kehrten fröhlich in ihren Palast zurück, und nach etlichen Tagen fühlte sich die Königin schwanger. Das ganze Königreich, der ganze Hof und alle Diener freuten sich darüber. Bevor aber noch die Stunde der Geburt da war, begann das Kind zu weinen, und kein - ’ Zauberer konnte es beruhigen. Da fing der König an, ihm alle Güter der Welt zu versprechen, aber auch das vermochte es nicht zum Schweigen zu bringen.

,,Sei stille, Vaterliebling,“ sagte der König, ,,ich will dir das und das Königreich geben; sei stille Söhnchen, ich will dir die und die Königstochter geben,“ und noch viel mehr desgleichen. Endlich, da er sah, es wolle nicht stille werden, sagte er: ,,Sei stille, mein Junge, ich will dir Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod geben.“

Da schwieg das Kind und kam zur Welt. Die Hofleute jedoch schlugen die Pauken und bliesen die Trompeten, und rings im Königreiche herrschte eine ganze Woche lang Fest jubel.

Und der Knabe nahm zu wie an Jahren so an Geist und Kühnheit. Er ging in die Schulen und zu den Weisen, und was andere Kinder in einem Jahr lernen, all das lernte er in einem Mond, so daß der König vor Freude ganz weg war. Das ganze Königreich pries sich glücklich, einst einen König zu bekommen so weise und gelehrt wie König Salomo.

Von einer Zeit an jedoch, wer weiß, warum? war der Knabe ganz schwermütig, traurig und in Gedanken versunken. Und eines Tages, gerade als er sein fünfzehntes Jahr vollendete, und der König sich mit allen Großen und den hohen Beamten des Reiches zur Tafel setzte und alle fröhlich waren, stand Schönkind auf und sagte:

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„Vater, die Zeit ist gekommen, da du mir geben sollst, was du mir bei meiner Geburt versprochen hast.“

Als der König das hörte, wurde er sehr bekümmert und sprach:

,,Aber woher, mein Söhnlein, soll ich dir etwas so unerhörtes geben? Ich hab es dir damals nur versprochen, damit du ruhig wurdest.“

,,Wenn du, Vater, es mir nicht geben kannst, so muß ich durch die ganze Welt ziehen, bis ich das Versprochene, weshalb ich zur Welt kam, finde.“

Da fielen der König und alle Großen auf die Kniee und baten ihn, das Reich nicht zu verlassen. ,,Denn,“ sagten die Großen, ,,dein Vater ist jetzt alt, und wir wollen dich auf den Thron erheben und dir die schönste Königin unter der Sonne zur Gemahlin geben.“ Aber es war unmöglich, ihn von seinem Entschlusse abzubringen; felsenfest blieb er bei seinen Worten.

Als nun der Vater all das sah, gab er ihm Urlaub und ging, ihm für den Weg Mundvorrat und was er sonst brauchte, vorzubereiten.

Hierauf begab sich Schönkind in die königlichen Ställe, wo die schönsten Rosse des ganzen Königreiches standen, um sich eines auszusuchen. Doch sowie er eines mit der Hand beim Schweife nahm, warf er es hin, und alle Pferde ’ stürzten derart zu Boden. Schließlich, als er schon hinausgehn wollte, blickte er noch einmal im Stalle umher und bemerkte in einem Winkel ein rotzkrankes, schwäriges, elendes Pferd und trat zu dem. Als er jedoch dieses mit der Hand am Schwänze ergriff, wandte es den Kopf nach ihm und sagte:

,,Was befiehlst du, Herr? Dank sei Gott, daß er mir dazu verhalf, daß noch einmal ein Held auf mich die Hand legt!“

Und es stefnmte die Füße auf und blieb kerzengerade stehn. Da sagte ihm Schönkind, was er beabsichtige, und das Pferd sprach zu ihm:

„Damit dein Wunsch in Erfüllung gehe, mußt du von

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deinem Vater das Schwert, die Lanze, den Bogen, den Köcher mit den Pfeilen und die Kleider, die er als Jüngling trug, verlangen. Mich aber mußt du sechs Wochen lang mit eigner Hand versorgen und den Hafer mir in Milch kochen.“

Er verlangte nun vom König die Sachen, die ihm das Pferd angeraten hatte, und der ließ den Haushofmeister rufen und befahl ihm alle Kleidertruhen aufzuschließen, damit sein Sohn sich daraus wähle, was ihm gefalle.

Schönkind suchte drei Tage und drei Nächte; am Ende fand er auf dem Grunde einer alten Truhe die Waffen und Gewänder, die sein Vater als Jüngling getragen hatte, aber arg verrostet. Er ging daran, sie mit eigener Hand vom Roste zu reinigen, und nach sechs Wochen war er so weit, daß die Waffen wie ein Spiegel glänzten. Währenddessen besorgte er auch das Pferd, wie es ihm gesagt hatte. Viel Mühe hatte er, aber nicht umsonst.

Als das Pferd von Schönkind erfuhr, Kleidung und Waffen seien wohl gesäubert und hergerichtet, zur Stunde schüttelte es sich auch, und Geschwüre und Rotz wichen von ihm, und es wurde ganz so, wie es seine Mutter geboren hatte, ein wohlgenährtes, stattliches Roß mit vier Flügeln.

Da Schönkind es also sah, sprach er zu ihm:

„In drei Tagen reiten wir.“

„Glückauf, Herr! Ich bin schon heute bereit, wenn du befiehlst,“ erwiderte das Pferd.

Am dritten Tag früh war der ganze Hof und das ganze Königreich voll Trauer. Schönkind, in ritterlicher Tracht, das Schwert in der Hand, hoch auf dem Pferde, das er sich ausgesucht hatte, nahm Abschied vom König, von der Königin, von allen großen und kleinen Herren, von den Kriegsleuten und allen Hof bediensteten, die ihn unter Tränen baten, er möge von dieser Fahrt abstehn, damit er nicht etwa in sein Verderben gehe. Er aber gab seinem Rosse die Sporen und ritt aus dem Tore, und hinter ihm die Wagen mit Vorrat und Geld und an die zweihundert Kriegsleute, die auf des Königs Befehl ihn begleiteten.

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Nachdem so Schönkind die Marken des Reiches seines Vaters überschritten hatte und in die Wüste gekommen war, verteilte er alle seine Habe unter die Kriegsleute, verabschiedete sie und sandte sie zurück; sich selbst aber nahm er nur so viel Vorrat mit, als das Pferd tragen konnte. Dann schlug er den Weg gegen Osten ein und ritt und ritt drei Tage und drei Nächte, bis er auf ein weites Gebreite kam, wo viele menschliche Gebeine herumlagen.

Da er anhielt, um auszurasten, sagte das Pferd:

,,Wisse, Herr, daß wir hier auf dem Gebiet einer Spechtin sind, die so böse ist, daß sie jeden, der ihr Gebiet betritt, um-bringt^). Augenblicklich ist sie bei ihren Kindern, morgen aber / / wird sie in dem Walde, den du dort siehst, dir entgegentreten, um dich zu verderben. Sie ist furchtbar groß, aber erschrick nicht, halte vielmehr den Bogen bereit und schieß nach ihr, aber auch Schwert und Lanze behalte zuhanden, damit du dich ihrer bedienen kannst, wenn es not tut.“

Sie legten sich zur Rast hin; aber bald das eine, bald das andere blieb wach.

Am anderen Tag, als sich eben der Morgen rötete, machten sie sich bereit, um durch den Wald zu ziehen. Schönkind sattelte und zäumte das Roß und zog den Gurt fester an als sonst und saß auf. Da aber hörte er auch schon ein schreckliches Hacken. Nun sagte das Pferd: „Halte

’) „Auch sie war ein Weib wie alle Weiber, aber die Eltern haben ihr geflucht, da sie ihnen nicht gehorchte, sie vielmehr immer erzürnte, und dadurch ward sie in eine Spechtin verwandelt.“ Dies ist zweifellos ein für die zuhörenden Kinder berechneter moralischer Einschub. Die „Spechtin“ ist eine Verkörperung der Unterweltgöttin, der Herrscherin über das Totenreich. Der Specht ist hier ganz so Totenvogel wie im Deutschen das Käuzchen. Im Rumänischen heißt Gheonoaia zugleich ,,Specht“ und ,,Hexe“. Es scheint mir fraglich, ob der Name vom Tier auf die mythische Gestalt übertragen worden ist. Ich vermute das umgekehrte. Ist etwa in ,,Gheo-noaie“ ge = ana, ,,Erdmutter“ zu sehen? Gheonoaie wäre eine adjektivische, dann wieder subjektivierte Form, ,,die erdmutterische“. Im Albanischen heißt die Erde dhe, im Griechischen und (Demeter).

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dich bereit, Herr, denn die Spechtin kommt.“ Und wie sie kam, Bruder! riß sie die Bäume nieder: so schnell fuhr sie daher. Aber das Pferd erhob sich wie der Wind, bis es fast genau über ihr war, und Schönkind schoß ihr mit dem Pfeil einen Fuß ab, doch als er den zweiten Pfeil auf sie abschießen wollte, schrie sie:

,,Halt ein, Schönkind! Ich tu dir nichts.“

Und als sie sah, daß er ihr nicht glaube, gab sie es ihm mit ihrem Blute geschrieben.

,,Glück zu deinem Pferde, Schönkind,“ sprach sie weiter; ,,das ist mir ein Zaubertier! War das nicht, verspeist ich dich gebraten. Jetzt aber hast du mich zur Strecke gebracht. Wisse, bis heute hat kein Sterblicher sich bis hierher über meine Grenzen gewagt; ein paar Tolle, die sichs erkühnten, sind gerade noch bis in die Blache gekommen, wo du die vielen Gebeine gesehen hast.“

Sie gingen mit ihr in ihr Haus, und da bewirtete die Spechtin Schönkind und nahm ihn auf wie einen Reisegast. Als sie jedoch am Tische saßen und lustig waren, stöhnte die Spechtin neuerlich vor Schmerz. Zur Stunde nahm er den aufbewahrten Fuß aus dem Ranzen und setzte ihn an seine Stelle; und sogleich heilte er an. Die Spechtin hielt vor Freude drei Tage hintereinander Tafel und bat Schönkind, er möge eine ihrer drei Töchter, die alle schön wie Zinen waren, zur Frau nehmen. Er aber wollte das nicht, sondern sagte ihr offen, was er suche. Darauf sagte sie zu ihm: ,,Mit dem Pferde, das du hast, und deiner Tapferkeit wirst du es, glaube ich, finden.“

Nach drei Tagen machten sie sich bereit und zogen weiter. Schönkind ritt und ritt und ritt wieder, lang und immer länger. Doch als sie über die Grenzen des Reiches der Spechtin gekommen waren, begab er sich auf eine schöne Wiese, die zur Hälfte voll Blüten stand, zur anderen Hälfte ganz versengt war. Da fragte er das Pferd, warum das Gras verbrannt sei, und das Pferd antwortete:

„Hier sind wir auf dem Gebiet einer Skorpionin, der Schwester der Spechtin. Böse, wie sie sind, können sie nicht

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an einem Orte zusammen leben^). Ihre Feindschaft ist entsetzlich, über alle Maßen, eine will der anderen das Land entreißen. Wenn die Skorpionin gar ergrimmt ist, speit sie Feuer und Pech. Man sieht es, sie hat mit ihrer Schwester einen Streit gehabt, und um sie von ihrem Gebiete zu vertreiben, hat sie, wo sie zog, das Gras verbrannt. Sie ist noch schlimmer als ihre Schwester und hat drei Köpfe. Laß uns etwas rasten, und morgen zeitig früh seien wir bereit.“

Am andern Tage rüsteten sie sich ganz so wie damals, als sie zur Spechtin kamen, und zogen aus. Da hörten sie auch schon ein Geheul und ein Gebrause, wie sie es nie vorher gehört hatten.

„Halte dich bereit, Herr, denn die Greifin’’) von Skorpionen kommt daher.“

Die Skorpionin kam, den einen Kiefer am Himmel und den andern an der Erde, Flammen speiend, heran so schnell wie der Wind. Aber geschwinde wie ein Pfeil erhob sich das Pferd, bis es fast genau über ihr war, und stürzte dann etwas seitlich von ihr herab. Schönkind schoß auf sie und riß ihr einen Kopf ab. Als er ihr den zweiten Kopf herunterschießen wollte, flehte die Skorpionin unter Tränen, er möge ihr verzeihen, sie tue ihm nichts, und da er ihr nicht glaubte, gab sie es mit ihrem Blute geschrieben. Die Skorpionin bewirtete Schönkind noch reicher als die Spechtin. Auch ihr gab er den Kopf, den er ihr mit dem Pfeile ab-geschossen hatte, zurück: sowie er ihn an seine Stelle tat. Wuchs er wieder an. Und nach drei Tagen zogen sie weiter.

’) „Der Fluch der Eltern hat sie getroffen und aus ihnen Ungetüme gemacht, wie du siehst.“ Zusatz wie oben. Die Skorpionin (Scorpia) trägt deutlich die Gestalt der Urgrundgöttin. Daß sie mit der Waldmutter identisch ist, geht aus ihrer Darstellung im folgenden hervor. Aber auch Spechtin und Skorpionin sind nur eine Gestalt. Die Handlung wiederholt sich darin. Gleichwohl ist das Verfahren Uralt, den Sonnen-Heilandhelden mehrere Schwierigkeiten gleicher Art überwinden zu lassen.

“) Sgripsoroaica. Auch dies ist nur eine Bezeichnung der Ur-Uiutter. Dieses und Scorpie bedeuten heute übrigens ganz allgemein gt;.Furie“, ,,Hexe“, „böses Weib“. In den Märchen ist die ursprüng-hche Anschauung doch noch lebendig.

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Bald hatten sie das Gebiet der Skorpionin hinter sich und ritten und ritten, bis sie an ein ganz von Blüten überdecktes Feld kamen, wo es nur Frühling gab. Jede Blume war ungewöhnlich schön und duftete, daß es dich berauscht hätte. Ein leichter Wind, der kaum zu spüren war, wehte. Da hielten sie an, um sich auszuruhen. Das Pferd aber sagte:

,,Bisher ist es gegangen, wie es ging, Herr, aber noch sind wir nicht zu Ende: wir haben noch eine große Gefahr zu bestehn. Mit Gottes Hilfe werden wir auch sie überwinden, dann sind wir Helden. Nicht mehr weit von hier steht der Palast, wo Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod wohnt. Dieses Haus ist von einem dichten, hohen Wald umgeben, worin die wildesten Tiere hausen, die es gibt; Tag und Nacht halten sie schlaflos Wacht und sind sehr zahlreich. Mit ihnen zu kämpfen ist unmöglich, und durch den Wald zu dringen ingleichen. Wir müssen sehen, ob wir nicht vielleicht darüber hinwegspringen können.“

Nachdem sie an die zwei Tage gerastet hatten, machten sie sich wieder bereit. Da hielt das Pferd den Atem an und sagte:

,,Herr, zieh den Gurt an, so straff du nur kannst, und wenn du sitzest, halte dich gut fest in den Steigbügeln und an meiner Mähne. Die Beine halte eng an meinem Hals gedrückt, damit du mich in meinem Sprunge nicht behinderst.“

Er schwang sich in den Sattel, machte einen Versuch, und in einem Hui war er beim Walde.

,,Herr,“ fuhr das Pferd fort, ,,jetzt ist gerade die Zeit, da die wilden Tiere des Waldes ihr Futter bekommen, und sie sind alle im Hof versammelt. So springen wirl“

,,Springen wir,“ erwiderte Schönkind, ,,und Gott erbarme sich unser.“

Sie schwangen sich empor und sahen den Palast derart glänzen, daß du schaun konntest ins Sonnenlicht, aber auf ihn nicht. Sie sprangen über den Wald, und eben als sie sich zu der Treppe des Palastes herunterlassen wollten,

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berührte das Pferd ein ganz klein wenig den Wipfel eines Baumes, und sofort begann der ganze V/ald in Bewegung zu kommen; die wilden Tiere heulten, daß sich einem die Haare auf dem Kopfe sträubten. Sie ließen sich geschwind' hinab, und wäre die Herrin des Palastes nicht draußen gewesen, da sie eben ihre Küchlein fütterte (denn so nannte sie das Waldgetier), so wäre es um sie geschehn gewesen.

Rein aus Freude über ihre Ankunft ließ sie ihn verschonen; denn bis dahin hatte sie noch keine Menschenseele bei sich gesehen. Sie hielt die Tiere ab, besänftigte sie und schickte sie an ihren Platz zurück. Die Herrin war eine hohe, liebholde und über die Maßen schöne Zine. Da Schönkind sie erblickte, war er ganz sprachlos. Sie aber sah ihn freundlich an und sagte:

,,Willkommen, Schönkind! Was suchst du hier?“

,,Wir suchen,“ sagte er, „Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod.quot;

,,Suchet ihr dies, wie du sagst, nun wohl —, es ist hier.“

Da saß er ab und trat in den Palast ein. Dort fand er noch zwei Mädchen, eine wie die andere jung; ts waren die Schwestern der älteren. Er begann der Zine zu danken, daß sie ihn aus der Gefahr befreit habe; jene aber bereiteten ihm ein köstliches Nachtmahl ganz und gar in goldenen Geschirren. Das Pferd ließen sie frei nach seinem Belieben herumgehn; schließlich machten sie es mit allen wilden Tieren bekannt, so daß es unbesorgt im Walde umherstreifen konnte.

Die Frauen baten ihn, er möge fortan bei ihnen bleiben, denn sie sagten, es sei ihnen langweilig allein. Er jedoch ließ sich das nicht noch einmal sagen, sondern nahm es mit allem Danke an, als habe er gerade das gewünscht.

Nach und nach wurden sie miteinander vertraut. Er erzählte ihnen seine Geschichte und was er zu bestehn gehabt hatte, bis er zu ihnen gekommen war, und nicht lange darauf vermählte er sich mit der jüngsten der Schwestern. Bei ihrer Vermählung erteilten ihm die Herrinnen des Hauses die Erlaubnis, nach Belieben überall in der

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Runde herumstreifen zu dürfen; und nur ein Tal, das sie ihm zeigten, solle er nicht betreten, denn es wäre nicht zu seinem Guten, und jenes Tal, sagten sie, heiße das Tal der Tränen.

Er verbrachte dort eine ungerechnete Zeit, ohne es gewahr zu werden; denn er blieb ganz so jung, wie er hingekommen war. Er zog durch die Wälder, ohne daß ihm nur der Kopf weh tat. Er ergötzte sich an den goldenen Palästen, lebte in Ruhe und Frieden mit seiner Gemahlin und deren Schwestern, erfreute sich an der Schönheit der Blumen und an der sanften, reinen Luft wie ein Glückseliger. Oftmals ging er auf die Jagd; eines Tags aber verfolgte er einen Hasen, schoß nach ihm einen Pfeil, schoß den zweiten und traf ihn nicht. Voll Grimmes eilte er ihm nach und schoß noch einen dritten Pfeil ab und mit dem traf er ihn. Aber der Unselige hatte in seinem Eifer nicht darauf geachtet, daß er auf der Verfolgung des Hasen in das Tal der Tränen gekommen war.

Mit seinen Hasen kehrte er heim. Da jedoch, was gab es? Auf einmal ergriff ihn eine Sehnsucht nach seinem Vater und seiner Mutter. Er getraute es sich nicht den hohen Frauen zu sagen; sie aber erkannten es an der Traurigkeit und Unruhe, die sie an ihm sahen.

,,Du bist. Unglücklicher, im Tal der Tränen gewesen!“ sagten sie zu ihm ganz erschreckt.

,,Ich war dort, meine Lieben, aber ohne daß ich diese Torheit begehn wollte; und jetzt vergehe ich vor Sehnsucht nach meinen Eltern, aber auch von euch kann ich mich nicht trennen. Ich bin schon viele Tage bei euch und kann mich über nichts beklagen. So will ich denn gehn, um noch einmal meine Eltern zu sehen, und dann zurückkehren und nie wieder fortziehen.“

,,Verlaß uns nicht, Geliebter! Deine Eltern leben schon seit Jahrhunderten nicht mehr, und wenn du fortgehst, fürchten wir, du wirst nicht wieder zurückkehren. Bleib bei uns, denn eine Ahnung sagt uns, du werdest umkommen.“

Alle Bitten der drei Frauen wie auch des Pferdes waren

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nicht imstande, seine Sehnsucht nach den Eltern, die ihn ganz verzehrte, zu stillen. Endlich sprach das Pferd zu ihm:

,,Wenn du nicht auf mich hören willst, Herr, wird, was dir zustößt, nur deine Schuld sein. Ich muß dir nur etwas sagen, und wenn du meine Bedingung annimmst, bringe ich dich zurück.“

„Ich nehme sie mit Dank an,“ sagte er, ,,laß hören.“ ,,Wenn wir bei deines Vaters Palaste sind, so steig ab, ich aber kehre zurück, wenn du nur eine Stunde lang dort bleibst.“

,,Gut denn,“ sagte er.

Sie machten sich reisefertig, er umarmte die Frauen, und nachdem sie voneinander Abschied genommen hatten, ritt er hinweg, während sie schluchzend mit Tränen in den Augen zurückblieben. Sie kamen an Orte, wo das Gebiet der Skorpionin gewesen war. Sie fanden da Städte. Die Wälder hatten sich in Felder gewandelt. Er fragte den und jenen nach der Skorpionin und wo sie wohne. Sie aber antworteten, ihre Großväter hätten von ihren Urgroßvätern von dergleichen Märchen erzählen gehört^).

,,Wie kann das sein?“ sprach Schönkind zu ihnen. ,,Erst neulich bin ich hier durchgekommen.“ Und er sagte ihnen, was er wußte.

Die Leute lachten über ihn, als redete er irre oder träumte im Wachen. Voll Zornes ritt er weiter und beachtete nicht, daß ihm Bart und Haar weiß wurden.

Im Gebiet der Spechtin fragte er dasselbe wie im Gebiet der Skorpionin und erhielt dieselben Antworten. Er konnte nicht begreifen, daß sich die Stätten in wenigen Tagen so verändert haben sollten, und wieder zog er voll Zornes hinweg, aber der weiße Bart reichte ihm schon bis an den Gürtel, und er fühlte, daß ihm die Beine zu zittern begannen.

So kam er in das Reich seines Vaters. Hier gab es

*) Man erinnere sich des von Rückert überlieferten orienta-ischen Märchens von „Chidher, dem ewig jungen“. Vielleicht ist diese Sage durch türkische Vermittelung nach Rumänien gekommen und hier in den Schönkind-M3dhus eingefügt worden.

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andere Menschen, andere Städte, und die alten waren sö verändert, daß er sie nicht wieder erkannte. Am Ende kam er in die Paläste, wo er geboren worden war. Er stieg ab, und das Pferd küßte ihm die Hand und sprach:

,,Leb wohl, Herr, denn ich kehre zurück, woher ich gekommen bin. Willst auch du mitkommen, so steig sogleich auf, und wir reiten.“

,,Leb wohl. Auch ich hoffe bald zurückzukehren.“ Das Pferd flog schnell wie ein Pfeil von dannen.

Als er die Paläste in Trümmer gefallen und von Unkraut überwachsen sah, seufzte er, und mit Tränen in den Augen suchte er sich ins Gedächtnis zurückzurufen, wie strahlend diese Paläste einst gewesen waren und wie er seine Kindheit darin verbracht hatte. Zwei-, dreimal ging er um sie herum und suchte jedes Gemach, jedes Winkelchen auf, um sich die Vergangenheit wieder zu erwecken, den Stall, wo er das Pferd gefunden hatte, und stieg dann in den Keller hinab, dessen Eingang von herabgefallenen Trümmern verrammt war.

Wie er da mit einem Bart, der ihm bis zu den Knien reichte, da und dort herumsuchte — seine Augenlider mußte er mit den Händen heben und konnte kaum noch gehn — fand er nur eine vermorschte Truhe. Die öffnete er, aber fand nichts darin. Er hob den Deckel des innern Faches auf und eine schwache Stimme sprach zu ihm:

„Willkommen; denn wärst du noch länger ausgeblieben, so wäre auch ich gestorben.“

Und der Tod, der da im Fache lag und rein zu einem Haken zusammengeschrumpft war, legte die Hand auf ihn, und er sank tot hin und zerfiel zur Stunde zu Staub.

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ILEANA SIMZIANA

ÜBERLIEFERT VON PETRE ISPIRESOT)

Es war einmal ein König. Dieser große und mächtige König schlug alle Könige rings in der Runde und unterwarf sie, bis die Marken seines Reiches bis dahin sich erstreckten, wo der Teufel die Kinder abgespänt hat, und alle besiegten Könige mußten ihm jeder einen Sohn Schicken, daß er ihm zehen Jahre lang diene.

Seinem Reiche benachbart herrschte ein anderer König, der sich nicht besiegen hatte lassen, da er jung gewesen War. Wenn ein verheerender Brand sein Reich überfiel, setzte er Himmel und Erde in Bewegung und rettete das Land aus der Gefahr; als er aber alt wurde, unterwarf er sich dem großen, mächtigen König, weil es nicht anders ging. Er Wußte aber nicht, was er tun solle, um das Gebot jenes Königs tu erfüllen, ihm nämlich einen seiner Söhne zum Dienst zu senden; denn er hatte keine Söhne, nur drei Töchter. Darüber machte er sich Gedanken. Seine größte Sorge War, jener König möge meinen, er sei heimtückisch und widerspenstig, da er ihm keinen Sohn sandte, und ihn darum seines Reiches berauben, so daß er mit seinen Töchtern in Elend, Armut und Schande zurückblieb.

Als die Mädchen ihren Vater so bekümmert sahen, machten auch sie sich Gedanken, aber sie wußten nicht. Was sie tun sollten, damit er wieder heiter würde. Als sie sahen, daß ihm nichts und nichts Freude machte, faßte sich

1) Dieses Märchen erschien zum erstenmal im zweiten Band der Legende sau Basmele(i874). Ich übersetze es nach dieser Sammlung Und nach dem Abdruck in Basme(Biblioteca Socec, Bucuresti, 1909). Die übliche Einleitung (und den Schluß des Erzählers) lasse ich »uch hier weg.

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die älteste ein Herz und fragte ihn eines Tags bei Tische, warum er so bekümmert sei.

,,Haben wir dir etwas nicht recht gemacht?“ sagte sie. ,,Sind die Untertanen deiner Hoheit böse und aufrührerisch, und verursachen sie dir diesen Kummer? Sag, lieber Vater, auch uns, was für eine Schlange dir nicht Frieden läßt und dir das Alter vergiftet; wir wollen uns gerne opfern, wenn das dir irgend den Kummer lindern kann; denn du allein, lieber Vater, bist unser Trost, wie du wohl weißt. Und wir sind nie von deinem Worte abgewichen.“

,,Ja, so ist es. Ich habe über nichts zu klagen. Ihr habt niemals mein Gebot übertreten. Ihr jedoch, meine Lieben, könnt mir den Schmerz, der meine Seele erfüllt, nicht lindern. Ihr seid Mädchen, und nur ein Sohn kann mich aus der Not befreien, darin ich mich sehe.“

,,Ich weiß nicht,“ sagte das älteste Mädchen, „warum du uns die Ursache deines Kummers verbirgst, lieber Vater. Sprich, und siehe, ich bin bereit, das Leben für dich hinzugeben.“

,,Was könnt ihr tun, meine Lieben?! Seit ihr auf dieser lichten Welt seid, habt ihr euch nur mit Spinnrocken, Nadel und Webstuhl beschäftigt; ihr könnt spinnen, nähen, weben. Nur ein Ritter vermag mich zu retten, der die Keule zu schwingen, mit Kraft das Schwert zu führen und wie ein Drachenlöwe zu reiten versteht.“

,,Nun denn, lieber Vater, sag uns alles, und wenn es nicht ein Loch in den Himm.el schlägt, wollen auch wir wissen, was dich bedrückt.“

Als der König die Töchter mit ihren Bitten nicht nach-lassen sah, sagte er:

„Hört, meine Kinder, weshalb ich traurig bin. Ihr wisset, daß niemand mein Reich angreifen konnte, solange ich jung war, ohne daß er sein Teil empfing und in Scham wieder dorthin abzog, woher er gekommen war. Jetzt hat das verwünschte Alter meine ganze Kraft versiegen lassen; mein Arm ist schwach, kann nicht mehr das Schwert wirbeln, daß der Feind erzittert. Mein Roß, um desset-

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willen ich einst schier cas Leben verlor, bis ich es gewänrt, ist ebenfalls alt geworden: es ist rotzkxank; kaum fristet es sein Leben von heute auf morgen. Einstmals brauchte ich mich nur dem Feinde zu zeigen, und Hals über Kopf schon stoben sie mit schallenden Hacken von dannen. Aber heute — was soll ich euch noch sagen? Ihr wisset, daß ich mich jenem größten und mächtigsten König auf der ganzen Welt unterworfen habe. Er nun verlangt, daß jeder unterworfene König ihm einer. Sohn sende, damit ihm der zehen Jahre lang diene, und ich habe nur euch.“

,,Ich will hingehn, Vater,“ sagte die älteste Tochter, ,,und will mich mit allen Kräften bemühen, damit du zufrieden bist.“

,,Ich fürchte, du kommst unverrichteter Dinge zurück. Wer weiß, was für einen Wirrwarr du dort anrichtest, den man in aller Zeit nicht wieder gut machen kann?!“

,,Alles was ich weiß, Vater, und dir gelobe, ist, daß ich dir nicht Schande machen will.“

,,Wenn dem so ist, mach dich bereit und zieh hin.“

Als das Mädchen hörte, daß ihr der Vater erlaube, hinzuziehen, wußte sie sich vor Freude nicht zu fassen. Sie rüstete alles für die Fahrt, wirbelte sich um und ließ das Nötige für den Ritt vorbereiten. Sie wählte sich das vornehmste Roß aus dem königlichen Marstalle aus, die schönsten und reichsten Gewänder und Mundvorrat für ein ganzes Jahr.

Als sie der Vater zum Auszug fertig sah, gab er ihr väterliche Ermahnungen, wie sie sich halten, was sie tun solle, damit man sie nicht als Mädchen erkenne. Alles lehrte er sie, was ein Ritter wissen muß, der sich in einen so hohen Dienst begibt, und wie sie sich vor Schwätzerei und übler Nachrede in acht nehmen solle, damit sich die anderen Königsöhne nicht über sie erbosten und sie verachteten. Dann sprach er zu ihr:

,,Geh mit Gott, mein Kind, und halte dir meine Lehren vor Augen.“

Das Mädchen ritt aus dem Hofe wie der Blitz; die Erde

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trug sie kaum vor Freude. In einem Hui war sie verschwunden. Und hätte sie nicht nach einiger Zeit angehalten, um die Edelleute und die Vorratwagen zu erwarten, wären die verloren gewesen, da sie ihr nicht nachkommen konnten.

Der König überholte sie auf einem anderen Wege, ohne daß sie es wußte. Nahe an der Mark seines Reiches schlug er eine kupferne Brücke, verwandelte sich in einen Wolf und verbarg sich darunter. Als nun sein Töchterlein daherkam, sprang er unter dieser Brücke hervor, die Zähne fletschend und dann knirschend, daß es dir Schrecken einjagte. Er blickte grade auf sie mit Augen, die wie zwei Fackeln glühten, und stürzte auf sie los, wie um sie zu zerreißen. Das Mädchen fühlte ihr Blut vor Angst erstarren und verlor die Fassung, und da das Pferd auch nicht einen Sprung zur Seite machte, fiel der Wolf es mit seinen Fängen an; sie machte sich schleunigst davon und kehrte zurück. Ihr Vater, der vor ihr heimgekommen war, kam ihr entgegen und sprach:

,,Hab’ ich dir nicht gesagt, mein Kind, daß nicht jede Fliege Honig macht.“

,,Das wohl, Vater, aber ich hab’ nicht gewußt, als ich auszog, um einem König zu dienen, daß ich auch mit wilden, grimmigen Bestien werde kämpfen müssen.“

,,Da dem so ist,“ sagte der König, ,,so bleib zu Hause und kümmere dich um Spindel und Spule, und Gott erbarme sich meiner, daß er mich nicht in Schanden sterben lasse.“

Nicht lange danach bat auch die mittle Tochter ausziehen zu dürfen; und auch sie gelobte, sie wolle alles tun, was in ihren Kräften stehe, um die übernommene Pflicht zu erfüllen.

Nach vielen Bitten und Beschwörungen gab der Vater nach und gestattete auch ihr hinzuziehen. Aber es erging ihr ganz so wie der ältern Schwester, und als sie zurückkehrte, kam ihr der Vater entgegen und sprach zu ihr:

,,Ei, Kind, hab’ ich dir nicht gesagt, daß man nicht alles ißt, was Flügel hat?“

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„Wahr ist es, Vater, so hast du gesprochen. Aber jener Wolf war zu entsetzlich. Wie er den Rachen aufsperrte, als wollte er mich auf einmal verschlingen, und wie er die Augen auf mich richtete, woraus wie Pfeile flogen, die mir das Herz durchbohrten!“

,,Bleib darum zu Hause,“ erwiderte der König, ,,und kümmere dich um den Besenstiel und um das Grünzeug in der Küche.“

Wieder verging einige Zeit und siehe, da sprach auch die jüngste Tochter zum Vater, eines Tages als sie bei Tisch Waren:

,,Lieber Vater, gestatte mir eine Bitte: laß mich hinziehen und auch mein Glück versuchen.“

,,Wo deine älteren Schwestern nichts ausgerichtet haben. Wundert mich, wie du so zu mir sprechen kannst, die noch nicht einmal Maisbrei zu essen versteht.“

Und er suchte sie in aller Weise von ihrer Absicht abzubringen, aber umsonst.

,,Für dich, lieber Vater,“ sagte sie, ,,will ich den Teufel in vier Stücke schlagen, wenn es mir nur gelingt; wenn aber Gott gegen mich ist, will ich wieder zu dir zurückkehren, ohne daß ich mich zu schämen brauche.“

Je mehr ihr Vater dagegen sagte, um so mehr bestand sie darauf; aber sein Töchterlein bezwang seinen Widerstand mit ihren Bitten. Am Ende all dessen sagte der König:

,,Wenn dem so ist, siehe, gebe ich auch dir die Erlaubnis, und wir werden ja sehen, was du mir nützen kannst. Aber wie werde ich lachen, wenn ich auch dich mit der Nase am Boden zurückkommen sehe?“

,,Du magst lachen, Vater, wie du über meine lieben Schwestern gelacht hast, wenn nicht alles in Ehren ausgeht.“

Als die Königtochter sah, daß der König ihr hinzuziehen erlaube, war ihre erste Sorge, sich aus den alten Edelleuten einen Ratgeber zu nehmen. Und zunächst gedachte sie der Taten ihres Vaters in seiner Jugend und seines Pferdes. Darauf ging sie in den Marstall, um sich ein Pferd aus-

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zusuchen. Sie sah das eine an, sah das andere an, sah alle Pferde im Stalle an, aber auch nicht eines gefiel ihr, obwohl es prächtige Streitrosse und die besten Pferde des ganzen Königreichs waren. Zuletzt erblickte sie auch das Pferd, worauf ihr Vater in seiner Jugend geritten war, rotzkrank, voll Geschwüren und auf der Seite liegend. Da sie es sah, schaute sie es voll Mitleid an und schien sich gar nicht von ihm trennen zu können.

Als das Pferd dies sah, sprach es zu ihr:

,,Man sieht, daß du aus Liebe zu dem König, o Herrin, mich so anblickst. Was für ein Held war er doch in seiner Jugend! Was für Taten haben wir beide vollbrachtl Doch seit er alt geworden ist, hat sich auch kein anderer auf mich geschwungen. Und wenn du mich so herabgekommen siehst, so ist es, weil mich niemand so füttert wie er. Heute noch, siehe, wenn mich nur jemand betreuen wollte, wie ich es brauche, würde ich in zehn Tagen so aussehen lernen, daß mir zehn solche nicht gleich kommen.“

Da sagte das Mägdlein:

,,Und wie soll man dich betreuen?“

,,Ich muß jeden Tag mit Wasser, woraus noch niemand geschöpft hat, gewaschen werden, muß, damit ich ihn beißen kann, in süßer Milch gekochten Hafer Isekommen und jeden Tag einen Scheffel voll Kohlenglut.“

,,Wenn ich wüßte, daß du mir bei meinem Vorhaben behilflich sein werdest, damit ich es ausführe, möchte ich wohl tun, was du sagst.“

,,Herrin,“ sagte das Pferd, ,,mach den Versuch, du wirst es nicht bereuen.“

Das Pferd war ein Wunderpferd.

Die Königtochter besorgte es ganz so, wie es gesagt hatte.

Am zehnten Tage schüttelte sich das Pferd einmal und wurde schön, dick wie eine Melone und übermütig wie eine Geis. Fröhlich dann wandte es sich zur Königtochter und sagte:

,,Gott verleihe dir Glück und Sieg, meine Herrin, weil du mich besorgt und noch einmal auf der Welt zu dwa

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gemacht hast, was ich zu sein begehrte. Sag mir deinen Kummer und befiehl mir, was ich tun soll.“

,,Ich will zu dem großen, mächtigen König ziehen, zu unserm Nachbarn und ihm dienen, und da brauche ich jemand, der mich berät. Sag mir, welchen der Edelleute soll ich wählen.“

,,Wenn du mit mir ausziehst,“ sagte das Pferd, ,,mach dir keine Sorge; du brauchst keinen. Ich will dir dienen, wie ich deinem Vater diente. Hör nur auf mein Wort.“

,,Wenn dem so ist, reiten wir in drei Tagen.“

,,Es sei, wie du befiehlst,“ erwiderte das Pferd.

Als die Königtochter das hörte, bereitete sie alles Nötige für die Fahrt. Sie zog reine, aber schmucklose Kleider an, und so trat sie vor den Vater und sagte:

,,Gott befohlen, lieber Vater, bleib gesund, bis ich wieder komme!“

,,Glückliche Reise, mein Kind,“ sagte der Vater. ,,Aber vergiß nur niemals, was ich dir gesagt habe“^).

Sie gelobte, sich daran zu halten, und ritt dann fort.

Wie bei den anderen Töchtern tat der Vater auch bei ihr, überholte sie, verbarg sich unter der kupfernen Brücke und wartete da auf sie.

Auf dem V/ege sagte ihr das Pferd, mit welchen Listen ihr Vater ihre Tapferkeit auf die Probe stellen wolle, und riet ihr, was sie zu tun habe, um vor ihm zu bestehn. Als sie zur Brücke kam, stürzte ein Wolf auf sie zu mit so wilden glotzenden Augen, daß dir der Schrecken durch Mark und Bein ging, und die Zähne fletschend und damit knirschend, als hätte er schon einen ganzen Monat lang nichts zu fressen gehabt, doch als er seine reißenden Fänge einschlug, gab das Mägdlein dem Rosse die Sporen und stürmte auf den Wolf mit dem Schwerte in der Hand los, um ihn ganz in Stücke zu hauen, und da der Wolf nicht auswich, hieb sie ihn mit dem Schwert entzwei; sie trieb keinen Scherz, denn sie setzte alles Vertrauen auf Gott und

„Und in jeder Fahr hab Gott im Sinne, denn von ihm kommt uns aller Segen und alle Hilfe.“ Frommer Zusatz.

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#9632;wollte nur, daß sie, wie es auch ausgehe, die übernommene Aufgabe vollbringe.

Stolz wie ein Held ritt sie über die Brücke. Ihr Vater staunte über ihren Mut und überholte sie wieder an einer andern Stelle, schlug eine Brücke von Silber, verwandelte sich in einen Löwen und wartete da auf sie.

Das Roß sagte dem Mädchen, was nun kommen werde und unterwies sie, was sie zu tun habe, um auch diese Probe zu bestehn. Als das Mädchen an die silberne Brücke kam, stürzte der Löwe auf sie los mit aufgesperrtem Rachen, als wolle er sie mit Roß und allem verschlingen, mit Reißzähnen gleich denen eines Elefanten, und mit Klauen wie Sicheln und brüllte, daß die Wälder zitterten und das Land erdröhnte, daß dir das Hören verging. Wer nur seinen Kopf gesehen hätte, der groß war wie ein Scheffel, und die empor-gesträubte, zerzauste Mähne, wäre vor Angst zu Eis geworden. Aber die Königtochter, von dem Pferde ermutigt, stürmte ihm entgegen, das blanke Schwert in der Hand, und da der Löwe nicht unter die Brücke flüchtete, zerhieb sie ihn in vier Stücke. Dann ritt sie über die Brücke, Gott dankend und unkund, was sie noch erwartete.

Die Königtochter, die nie aus dem Hause gekommen war, seit ihre Mutter sie geboren hatte, staunte und blieb voll Entzücken stehn, als sie die Schönheit des freien Landes sah. Da pflückte sie denn und band einen Strauß Blumen aus der Fülle, die da Täler und Hügel bedeckte, Blumen, wii» sie noch nie gesehen hatte. Dann legte sie sich in den Schatten eines hohen, dichten Baumes nieder, in dessen Krone Tausende von Vögeln allerlei Lieder sangen, Lieder so süß, daß sie dich in Schlaf wiegten. Schließlich ging sie zu einem Born, dessen Wasser, klar wie Tränen, am Hügelhang aus einer Felsenspalte floß: das Rauschen dieser Quelle lockte sie an, und es ergötzte sie, dem Murmeln ihres Laufes zu lauschen, der sich durch das von vielen kleinen Blumen bekränzte, frühlinggrüne Land hinschlängelte. Immer aber mahnte sie das Pferd, sich zu ermannen, und trieb sie an, aufzubrechen und weiter zu

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ziehen. Es sagte ihr, sie möge das nicht vergessen, wenn sie alles zu gutem Ende bringen wolle. Weiter sagte es ihr, daß ihr Vater ihr noch eine Falle stellen werde, und unterwies sie, was sie zu tun habe, um auch diesmal siegreich zu bestehn.

Das Mädchen hörte achtsam zu und tat, wie das Pferd sagte, denn sie sah, daß alle seine Ratschläge zum Guten waren, und so befolgte sie getreu sein Wort.

Wie das vorige Mal überholte sie ihr Vater auf einem andern Wege, schlug eine Brücke von Gold, verwandelte sich in einen großen Drachen mit zwölf Köpfen und verbarg sich unter jener Brücke.

Als nun das Mägdlein darüber reiten wollte, kam der Drache dort hervor, schlug mit dem Schweife und wälzte sich heran. Seine Rachen spieen Feuerflammen und seine Zungen spielten wie brennende Pfeile. Als das Mädchen ihn gar so schrecklich sah, kam sie doch ein Schauder an und die Haare standen ihr zu Berge vor Furcht. Das Pferd aber merkte kaum, daß das Mädchen den Kopf verliere, so sprach es ihr Mut zu und erinnerte sie an das, was es sie zu tun gelehrt habe. Und da ermannte sich die Königtochter wieder und riß mit der linken Hand den Zügel des Rosses an, gab ihm die Sporen und stürzte, das Schwert in der Rechten, auf jenen Drachen los.

Eine Stunde lang dauerte der Kampf. Das Pferd trachtete sie von einer Seite heranzubringen, wo sie ihm einen der Köpfe abschlagen konnte; aber auch der Feind war gar wohl auf der Hut. Schließlich gelang es dem Mädchen, den Drachen zu verwunden. Da schlug er sich dreimal auf den Kopf und verwandelte sich in einen Menschen.

Das Mädchen wollte ihren Augen nicht trauen, als sie ihren Vater vor sich sah; er aber nahm sie in die Arme, küßte sie auf die Stirne und sagte:

,,Sieh, du bist eine Heldin, mein Kind, und wohl tatst du daran, daß du dir dieses Pferd nahmst, denn darohne wärst du zurückgekommen wie deine Schwestern. Ich habe gute Hoffnung, daß du die Aufgabe, die du aus eigenem

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Antriebe übernommen hast, zu End« führen wirst. Behalt nur die Lehre, die ich dir gab, vor Augen und befolge, was dir das Pferd sagt, das du dir gewählt hast. Bleib gesund und auf Wiedersehen!“

Dann küßte sie dem Vater die Hand und sie trennten sich.

Nachdem sie lange, lange geritten waren, kamen sie an ein großes, hohes Gebirge. Dort im Gebirge traf sie zwei Drachen, die seit neun Jahren miteinander kämpften und keiner den andern besiegen konnte. Es war ein Kampf auf Tod und Leben. Da sie sie erblickten, und sie für einen Ritter hielten, sprach zu ihr der eine:

„Schönkind, Schönkind, zerhack mir hier diesen Feind, dann will auch ich dir zur Zeit einen Dienst tun.“

Aber der andere sagte auch:

,,Schönkind, Schönkind, komm, hilf mir und rette mich vor diesem Teufel von Gegner; ich will dir einen Renner ohne Milz^) geben, der da heißt Sonnenfalb.“

Das Mägdlein fragte das Pferd, ihrer welchen sie rette:i solle; das Pferd aber riet ihr, den zu retten, der ihr den Sonnenfalben zu geben versprach, denn der sei ein Roß noch tüchtiger als es selbst, und zwar sein jüngerer Bruder’). Da stürzte sich das Mädchen mit dem Schwerte auf den andern Drachen und zerhieb ihn mit einem Streich in zwei Stücke.

Als der Drache sich gerettet sah, umarmte er seinen Befreier und dankte ihm, dann gingen sie in sein Haus, damit er Schönkind den Sonnenfalben gebe, wie ers versprochen hatte. Die Drachenmutter®) wußte sich vor Freude nicht zu fassen, als sie ihren Sohn wohlbehalten sah, und wußte nicht, wie sie Schönkind danken sollte, daß er ihr Kind vom Tode errettet hatte.

*) Milzlosigkeit macht unermüdlich. Man erinnere sich an den Löper Halsband im „Durchläuchting“ von Fritz Reuter, dem man auch die ,,Milt utsneden“ haben soll.

*) Hier tritt neben das eine Heilandroß noch ein zweites, ganz wie die zwei Heilande nebeneinander hergehen.

’) Die ,,Waldmutter“ des ersten Märchens.

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Die Königtochter sprach den Wunsch aus, von der Mühe des hinterlegten Weges zu rasten. Man gab ihr eine Kammer und ließ sie allein. Sie stellte sich an, als habe sie ihr Pferd zu besorgen, und fragte es, ob sich etwas begeben werde; und das Pferd sagte ihr, was sie zu tun habe.

Der Drachenmutter war klar, daß es sich hier um irgendeine Teufelskunst handelte. Sie sagte zu ihrem Sohn, der Ritter, der ihn aus der Gefahr gerettet habe, müsse ein Mädchen sein und es wäre gut, wenn er ein solch tapferes Mädchen zum Weibe nähme. Der Sohn sagte, bei seinem Kopfe könne er so etwas nicht glauben, denn wie könne Weibeshand so gut das Schwert schwingen, wie es Schönkind getan. Da sagte die Drachenmutter, man müsse sie auf die Probe stellen. Zu diesem Zwecke legte sie abends jedem von ihnen einen Blumenstrauß auf das Kopfkissen; bei wem die Blumen verwelkten, das sei ein Mann, bei wem sie frisch blieben, das sei ein Weib.

Auf den Rat des Rosses stand die Königtochter in der Nacht schon gegen den Tag zu, wenn der Schlaf am süßesten ist, auf und ging pscht, pscht auf den Zehenspitzen in die Kammer des Drachen, legte ihm ihren Blumenstrauß zum Kopfe, nahm seinen und legte ihn auf ihr Kopfkissen, und dann ging sie wieder zu Bett und schlief fest ein.

Am Morgen lief die Drachin, nachdem sie aufgestanden war, wie der Wind zu ihrem Sohn und sah, daß seine Blumen verwelkt waren. Als auch die Königtochter auf-gestanden war, ging sie auch zu ihr, und als sie auch bei ihr die Blumen verwelkt fand, glaubte sie erst recht nicht, daß sie ein Ritter sei. Sie sagte zu ihrem Sohn, sie könne kein Mann sein, denn die Rede flösse ihr aus dem Munde wie Honig, ihr Aussehen wäre so zart, als könnte man es mit einem Wasserkrüglein trinken, ihr feines dichtes Haar falle ihr auf die Schultern in Wellen, ihr Gesicht sei voll Anmut, ihre Augen groß, schön und glänzend, recht zum Verführen, das Händchen klein und das Füßchen wie das einer Zine, und alles in allem könne sie nur ein Mädchen

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sein, wenn sie auch als ein Ritter gekleidet gehe. So beschlossen sie noch eine Probe anzustellen.

Nachdem sie einander den üblichen Morgengruß geboten hatten, nahm der Drache das Mädchen und ging mit ihr in den Garten. Da zeigte ihr der Drache alle Gattungen Blumen, die es da gab, und lud sie ein, auch daran zu riechen. Die Königtochter dachte aber an den Rat des Pferdes und sagte, die List durchschauend, schier grob, warum er sie denn am Morgen in den Garten geführt habe wie ein Weib, damit sie ein paar leere Worte zum Lob e der Blumen sage, wo sie doch zuerst in den Stall gehn sollte, um nachzusehen, wie da die Pferde versorgt würden.

Als der Drache dies hörte, sagte er es seiner Mutter, sie aber mochte auch jetzt noch nicht glauben, daß jene ein Mann sei. Schließlich beredete sich die Drachin mit ihrem Sohn, sie wollten noch eine Probe machen; sie sagte dem Sohne, er solle Schönkind in die Waffenkammer führen und ihn einladen, sich etwas auszusuchen, und wenn er ein mit Edelsteinen besetztes Stück wähle, so wäre es gewiß, daß er ein Weib sei.

Nach dem Essen führte der Drache Schönkind in die Waffenkammer. Da wurden alle möglichen V/affen in schöner Ordnung aufbewahrt, die einen mit Edelsteinen besetzt, die andern nur so, ohne Schmuck. Die Königtochter sah erst alle Waffen der Reihe nach an, dann wählte sie ein t, dessen Klinge jedoch sich irauf sagte sie dem Drachen _________OIC wune in zwei Tagen weiterziehen.

Als die Drachenmutter hörte, was für ein Stück sie sich ausgesucht hatte, war sie ganz verzweifelt, daß sie die Wahrheit nicht herausbekommen konnte. Sie sagte zu ihrem Sohne, sie sei, obwohl sie nach ihrem Gebaren ein Mann scheine, doch ein Mädchen und zwar eines der abgefeimtesten.

Als sie sahen, daß es nicht anders ging, gingen sie in den Stall und gaben ihr den Sonnenfalben. Die Königtochter nahm nun Abschied von ihnen und machte sich auf den Weg.

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Als sie so ritt und sich beeilte, sprach das Roß zu dem Mädchen:

„Herrin, bisher hast du auf alles gehört, was ich dir gesagt habe, und du bist immer gut gefahren. Hör mich auch jetzt an; es wird dir zum Vorteil sein. Ich bin jetzt alt; ich muß mich zusammennehmen, um nicht zu stolpern. Nimm meinen Bruder Sonnenfalb und reite auf ihm weiter. Vertrau ihm, wie du mir vertraut hast, und du wirst nicht betrogen sein. Er ist viel jünger und feuriger als ich und wird dich ebenso wie ich unterweisen, was du in Zeit der Gefahr zu tun hast.“

,,Wahr ist es, alles ist immer gut gegangen, wenn ich auf dich gehört habe. Und wüßte ich nicht, wie treu du meinem Vater warst, schenkte ich dir nicht Gehör. Ich will auch deinem Bruder so vertrauen wie dir, sobald er mir zeigt, daß er mein Bestes will.“

„Vertraue nur, Herrin,“ sagte Sonnenfalb, ,,ich würde stolz sein, wenn eine Heldin wie du auf mir ritte, und würde mich beeifern, so daß dir mein Bruder gar nicht fehlte, und ich möchte ihm auch, dem armen, der jetzt alt ist, die Mühen und Gefährden der Fahrt, die du unternimmst, ersparen, denn du mußt wissen, daß du noch viele Nöte zu bestehn, noch vielen Gefahren zu begegnen hast. Aber wenn Gott will und du auf mich hörst, wirst du alle überwinden und alles zum guten Ende führen.“

Da schwang sich die Königtochter auf Sonnenfalb und schied unter Tränen von ihrem Rosse. Sie ritten, ritten einen langen, langen Weg. Da erblickte die Königtochter eine goldene Haarsträhne^). Sie hielt das Pferd an und fragte es, ob es besser sei, sie mitzunehmen oder am Orte zu lassen. Das Pferd antwortete: ,,Wenn du sie mitnimmst,

') Wie in der Bemerkung auf S. XXVIII der Einführung angedeutet, ist in diesem Märchen dadurch, daß der Heiland zur Heilandin geworden ist, einige Verwirrung eingetreten. Eigentlich ist die Königtochter zugleich Ileana(Helena=Selene,Mond)undSchönkind (Sonne): Der Sonnen-Heiland-Mythos wurde auf die weibliche Schwestergottheit, den Mond übertragen.

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wirst du es bereuen, und wenn du sie nicht mitnimmst, wirst du es auch bereuen; aber besser ist es, du nimmst sie mit.“ Das Mädchen nahm sie mit, steckte sie in den Schoß und ritt weiter.

Sie zoge.n über Hügel, zogen über Berge und Täler, ließen dichte grüne Wälder hinter sich, Gebreite mit Blumen, wie sie das Mädchen nie gesehen hatte, Quellen mit klarem kalten Wasser und kamen an den Hof des großen, mächtigen Königs.

Die andern Königsöhne, die da dienten, gingen ihr entgegen und bewillkommneten sie. Sie konnten sich gar nicht von ihr trennen, so hold war ihre Rede und ihr Gesicht.

Am nächsten Tag trat sie vor den König und sagte, weshalb sie gekommen war. Der König war außer sich vor Freude, daß ein so schöner und holdgesichtiger Ritter ihm nun dienen werde. Die Antworten, die er auf seine Fragen empfing, gefielen ihm überaus; man sah daraus, daß sie mit Verstand und Überlegung gegeben waren. Und der König faßte Neigung zu dem Jüngling, der sich so verständig zeigte und behielt ihn in seiner Nähe.

Die Königtochter konnte sich mit all den andern Königsöhnen nicht anfreunden, denn die meisten waren grob, und da sie sahen, daß der König ihr geneigt war, wurden sie ihr noch übler gesinnt.

Eines Tags bereitete sie sich allein das Essen und setzte sich zu Tische. Da kamen zwei andere Königsöhne zu ihr zu Besuch. Sie setzten sich drauf zu den übrigen und aßen. Und so gut schmeckte jenen Königsöhnen das Essen, daß sie sich danach die Finger ableckten. Sie lobten ihre Kochkunst und sagten, sie hätten nie in ihrem Leben so gute Speisen gegessen.

Als diese nun mit den andern Königsöhnen zusammenkamen, sagten sie ihnen, sie seien mit dem jüngst angekommenen Königsohne zu Tische gesessen und hätten gespeist, wie kein König jemals, und jener selbst habe die Speisen bereitet.

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Da ersuchten sie alle Königsöhne, sie möchte ihnen eines Tags das Essen bereiten. Und siehe, gerade an dem Tage hatten sich die Hofköche betrunken oder wer weiß, was sie sonst taten: es war kein Feuer auf dem Herde. Jene beharrten auf ihrer Bitte, und so ging sie daran und bereitete etliche köstliche Speisen. Als man die dem König vorsetzte, konnte er sich gar nicht satt essen. Aber da er nun den Koch rufen ließ und ihm befahl, er solle immer solche Speisen bereiten, gestand der, wer sie an diesem Tage bereitet habe. Dem König kam das sonderbar vor.

Dann kamen die andern Königsöhne und sagten dem König, der neuangekommene Königsohn habe sich bei einem Gelage, dran er teilgenorftmen habe, gerühmt, er wisse den Aufenthalt der Ileana Simziana Goldhaar Feld-wird-grün Blumen-blühn^) und er besitze eine Flechte ihres Haares. Als der König dies vernahm, befahl er, daß jener komme, und sprach zu ihm:

,,Du hast gewußt, wo Ileana Simziana ist, und hast mir nichts gesagt, obwohl ich dir große Liebe gezeigt und dich vor allen andern ausgezeichnet habe.“

Und nachdem er sich die Haarflechte hatte zeigen lassen, sagte er:

,,Höre nun meinen königlichen Befehl: du sollst mir die bringen, der diese Flechte gehört; wenn nicht, so wird dein Kopf dort liegen, wo jetzt deine Füße stehn.“

Das arme Königtöchterlein versuchte auch etwas zu sagen, aber der König schnitt ihr das Wort ab. Drauf ging sie hin und sagte dem Pferde, was geschehn war. Das Pferd sprach zu ihr:

,,Verzage nicht, Herrin. Hienacht eben hat mir mein Bruder die Nachricht gebracht, daß Ileana Goldhaar von einem Drachen geraubt worden ist, daß sie um ihren Kopf nicht ihn lieben wolle, ehe er ihr nicht ihre Stutenherde bringe, und daß der Drache sich den Kopf zerbreche, wie er ihr Begehren erfüllen könne. Sie befindet sich jetzt im

’) Siehe die Anm. S. 15.

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Meermoor^). Geh zum König und verlang von ihm zwölf Schiffe und belade die mit den schönsten Sachen.“

Die Königtochter ließ sich das nicht zweimal sagen und ging geradeswegs zum König.

„Lebe glücklich, durchlauchtiger König, möge dein Antlitz geehrt werden! Ich bin dir sagen gekommen, daß ich den Dienst, den du mir auftrugst, übernehmen will, wenn du mir zwölf Schiffe gibst und dazu Geld, damit ich die schönsten und kostbarsten Sachen einkaufe und sie darein lade.“

,,Essei, wie du sagst, aber bringe mir Ileana Simziana,“ erwiderte der König.

Als die Schiffe bereft waren, belud man sie mit den Sachen. Die Königtochter zusammen mit Sonnenfalb bestieg das schönste, und so fuhr man hinweg. Weder Sturm noch mächtige Wellen vermochten etwas wider sie und nach einer Fahrt von etlichen Wochen kamen sie an das Meermoor. Da hielten sie an. Die Königtochter und Sonnenfalb mit ihr stiegen ans Land und gingen am Strande umher; aber sie hattexi aus dem Schiffe ein Paar mit Goldfaden genähter und mit Edelsteinen besetzter Schuhe mitgenommen. Wie sie dort dahingingen, erblickten sie einen Palast, der zur Sonne ragte, und begaben sich dorthin. Auf dem Wege begegneten ihnen drei Diener der Ileana Simziana. Wie diese die Schuhe sahen, weinten sie sich die Augen danach aus; aber die Königtochter sagte, sie sei ein Kaufmann, der sich auf dem Meere verirrt habe.

Die Diener kehrten zurück und berichteten ihrer Herrin, was sie gesehen hatten; sie jedoch bückte aus dem Fenster nach dem Kaufmann. Wie sie ihn nun ansah, begann ihr das Herz zu klopfen, ohne daß sie wußte, warum, und sie war froh, daß sie dem Drachen entrinnen konnte, umso mehr, als er nicht da war ; denn sie hatte ihn um die Stuten geschickt.

Das Meermoor — smärcurile marilor, „die Sümpfe der Meere“ — ist der Urgrund; es ist hier im Märchen noch deutlich eine Landschaft, sonst bedeutet der Ausdruck „Meeresgrund“ schlechthin.

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Nachdem sie die Erzählung der Diener vernommen hatte, ging sie zu dem Kaufmann, der an dem Tore wartete, um auch die Schuhe zu sehen. Doch als sie von dem Kaufmann hörte, daß er im Schiffe noch weit schönere und kostbarere Sachen habe, ließ sie sich von dem Kaufmann bewegen und ging die Sachen ansehen. Als sie nun auf dem Schiff unter den Sachen umherging, hatte sie nicht acht, daß die Schiffer das Schiff vom Strande zogen und, da Gott eine gute Brise gab, wie ein Pfeil dahinflogen. Als sie schon mitten im Meer waren, tat Ileana Simziana, als sei sie böse und begann den Kaufmann zu schelten, er habe sie betrogen, in ihrem Herzen aber flehte sie zu Gott, er möge ihr beistehen, damit sie dem entsetzlichen Drachen entkomme.

Glücklich gelangten sie an das Ufer, was aber sah man da? Die Drachin, die Mutter des Drachen hatte kaum von ihren Mägden gehört, daß Ileana Simziana von einem Kaufmann geraubt worden sei und mit ihm in einem Schiffe fliehe, so setzte sie ihnen nach; und als sie nun am Ufer waren, sahen sie sie in Gestalt einer Löwin auf sich zukommen, den einen Kiefer am Himmel, den andern an der Erde und aus ihrem Rache.n Feuer speiend wie aus einem Ofen.

Da Ileana Simziana sie erblickte, erkannte sie in ihr die Greifin, die Mutter des Drachen, sagte es dem Kauf-manne, mit dem sie auf dem Sonnenfalben ritt und hub heftig zu weinen an.

Die Königtochter fragte Sonnenfalb, was zu tun sei, denn die Glut aus dem Rachen der Drachin verbrannte sie. Sonnenfalb aber erwiderte:

,,Greif mit deiner Hand in mein linkes Ohr, zieh den Wetzstein heraus, den du da findest, und wirf ihn hinter dich.“

Die Königtochter tat es. Darauf ritten sie geschwind weiter, aber hinter ihnen erhob sich zur Stunde ein steinerner Berg bis an den Himmel hinan.

Die Drachenmutter tat, was sie konnte, und kletterte von Klippe zu Klippe über die Berge und setzte ihnen nach.

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Als Ileana Simziana sah, daß sie schon nahe war, sagte sie es dem Kaufmann. Der jedoch beredete sich wieder mit dem Pferde und zog aus dessen rechtem Ohr eine Bürste und warf sie hinter sich. Zur Stelle entstand da ein Wald so groß und dicht, daß nicht einmal ein junges Raubtier durchschlüpfen konnte.

Die Drachenmutter zerbiß die Bäume, klammerte sich an die Äste, schwang sich von Wipfel zu Wipfel, kam durch, und nun ihnen nach wie ein Wirbel! Als sie sahen, daß sie auch jetzt ihnen nachkomme, fragte die Königtochter wieder das Pferd, was sie tun solle, und das sagte ihr, sie solle den Verlobungring nehmen, den Ileana Simziana am Finger trug, und ihn hinter sich werfen. Als sie den Ring hinwarf, wurde er eine Flintmauer bis zum Himmel empor.

Als die Drachenmutter sah, daß sie hier nicht hinüber und auch nicht durch könne, noch auch die Mauer durchzubeißen vermöchte, wußte sich vor Staunen nicht zu fassen, reckte sie in ihrer Wut und ihrem Schmerz den Rachen zu dem Loche empor, das vom Ringe geblieben war, und spie aus ihrem Schlunde Feuer drei Stunden weit ihnen nach, das sie erreichen und verbrennen sollte. Sie aber verbargen sich unten am Fuße der Mauer, und die Flammen der Drachin taten ihnen nichts zu leide.

Die Drachin pustet und pustet, und da sie sah, sie könne sie nicht verderben noch die Hand an sie legen, barst die Galle in ihr vor Grimm und sie fiel hin und zersprang wie der Teufel. Sie aber warteten, bis sie ordentlich tot war, dann steckte der Kaufmann, wie es Sonnenfalb ihm gesagt hatte, den Finger in das Ringloch, und die Mauer verschwand, als wäre sie nie gewesen, und es blieb nur der Ring am Finger. Dann sahen sie sich die tote Drachin an und spotteten über sie, ließen sie den Raben zum Fraß und zogen weiter, bis sie an den königlichen Hof kamen.

Da traten sie vor den König. Der nahm Ileana Simziana ehrenvoll auf. Er wußte sich vor Freude nicht zu fassen und verliebte sich in sie, sowie er sie sah. Ileana Simziana

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jedoch härmte sich und war traurig in ihrer Seele, weil sie kein Glück hatte. Wie war es möglich, sagte sie, daß sie erst jenem, dann diesen in die Hände kam, die sie nicht ansehen konnte, so häßlich wie sie waren 1 Herz und Augen standen ihr allein nach Schönkind, der sie aus der Hand des Drachen errettet hatte.

Als aber der König sie zur Hochzeit drängte, sprach sie zu ihm:

„Durchlauchtiger König, herrsche glücklich. Aber ich kann nicht heiraten, bevor man mir nicht die Stutenherde mitsamt ihrem Hengste bringt.“

Da der König dies hörte, rief er sogleich die Königtochter und sprach:

,,Geh und bring mir die Stutenherde mitsamt ihrem Hengste für meine Liebste; wenn nicht, so liegt dein Kopf dort, wo jetzt deine Füße stehn.“

,,Erhabener König, du hast mir einen Dienst aufgetragen und ich habe ihn auch ausgeführt, wobei mein Kopf auf dem Spiele stand. Am Hofe deiner Hoheit sind so viele Ritter, Königsöhne; und da alle dich für einen rechtschaffenen und gottesfürchtigen Mann halten, meine ich, es wäre nur gerecht, wenn du einem andern diesen Dienst auftrügest. Wie wüßte ich, was ich tun und woher die Herde, die du haben willst, bringen soll?“

„Auch ich weiß es nicht. Geh und bring mir die Herde, aus dem Boden, aus dem grünen Gras, und wage nicht ein einziges Wort mehr zu sprechen.“

Da verneigte sich die Königtochter und ging. Sie ging und sagte dem Sonnenfalben, was ihr aufgetragen worden war. Wieder antwortete ihr das Pferd:

,,Geh hin und nimm neun Büffelhäute, gerb sie und zieh sie mir gut über. Fürchte dich nicht, denn mit Gottes Hilfe wirst du auch diesen Dienst, den der König dir aufgetragen hat, zu gutem Ende führen. Aber wisse, auch er wird schließlich und endlich für seine Taten büßen.“

Die Königtochter tat nach den Worten des Pferdes und sie zogen hinweg. Nach einem langen, schweren Weg kamen

8 Aus fremden Gärten

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sie in das Land, wo die Stuten weideten. Dort fanden sie den Drachen, der Ileana Simziana geraubt hatte, und nun wie von Sinnen umherlief und nicht wußte, was er tun solle, um die Stuten wegzuführen. Sie sagte ihm, Ileana sei nicht mehr sein und seine Mutter sei vor Wut zerplatzt, da sie die Räuber seiner Liebsten nicht erlangen konnte.

Da der Drache das hörte, ward er Feuer und Flamme vor Wut, raste vor Grimm und sah nichts mehr vor seinen Augen. Als er jedoch erfuhr, daß er eben den Räuber seiner Liebsten vor sich habe, verlor er vor Schmerz und Wehe ganz alles Maß, und wie ein Löwe brüllend, stürzte er zum Kampf gegen die Königtochter heran, die besonnen blieb und von dem Pferde ermutigt wurde. Das Pferd schützte die Königtochter vor den Angriffen des Drachen; denn wenn es sein Schwert zum Schlage ausholen sah. erhob es sich über das Pferd des Drachen und der Schlag ging in den Wind, wenn aber das Mädchen das Schwert schwang, senkte sich das Pferd rasch auf das Pferd des Drachen herab, und ihr Hieb ging in das lebendige Fleisch. Wie sie so kämpften, daß sie meinten, die Erde müsse unter ihnen einstürzen, wer weiß, welches Glück die Königtochter hatte, sie führte von der Seite einen Streich und schlug ihm das Haupt ab. Dann ließen sie den toten Drachen für die Krähen und Elstern liegen und ritten bis an den Ort, wo die Herde war.

Da sagte das Pferd der Königtochter, sie möge auf einen Baum steigen und von da aus ihrem Kampfe zusehen. Nachdem das Mädchen auf den Baum gestiegen war, wieherte Sonnenfalb drei Male, und die ganze Stutenherde sammelte sich um ihn her. Da auf einmal erschien auch der Hengst der Stuten, voll Schaum und Wut schnaubend. Als er nun Sonnenfalb inmitten der Stuten erblickte, stürzte er wie rasend auf ihn los, und ein Kampf entbrannte, Gott steh dir beil Wenn der Hengst den Sonnenfalben anging, biß er in die Büffelhaut, wenn aber der den Hengst anging, biß er ins lebendige Fleisch und sie kämpften, kämpften, bis der Hengst, zerrissen und zerschlissen von

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oben bis unten und voll Blut, überwältigt und bezwungen war; Sonnenfalb aber war heil geblieben, wenngleich die Büffelhäute in Fetzen hingen. Da kam das Mädchen von dem Baume herunter, saß auf und nahm die Herde, sie vor sich hertreibend, mit; der Hengst jedoch schleppte sich kaum nach.

Am Könighofe wurde alsbald die Ankunft der Herde bekannt. Da kam Ileana Simziana heraus und rief den Hengst beim Namen. Als der die Stimme hörte, zur Stunde schüttelte er sich und wurde wieder wie vorher, ohne daß man eine Spur von den Wunden an ihm sah.

Ileana Simziana sagte dem König, er möchte von jemand die Stuten melken lassen, damit sie beide sich badeten. Wer aber konnte sich den Stuten nähern, wo sie mit den Hufen löckten, daß sie alles kurz und klein schlugen. Da es niemand vermochte, gab der König wieder der Königtochter den Auftrag, sie zu melken.

Das Herz von Gram und Kummer bedrückt, daß die schwersten Dinge gerade ihr übertragen wurden und reinen Gewissens, wie sie war, flehte sie voll Vertrauen zu Gott, er möchte ihr auch diesen Dienst zu gutem Ende zu führen helfen. Und da begann es wie mit Mulden zu regnen, und alsbald stieg das Wasser den Stuten bis an die Knie, darauf fiel eine Kälte ein, daß das Wasser zu Eis gefror und sie nicht von der Stelle konnten. Da die Königtochter dieses Wunder sah, dankte sie zuerst Gott für die gewordene Hilfe, dann ging sie und molk die Stuten.

Der König verging vor Liebe zu Ileana Simziana und blickte sie an wie eine reife Kirsche. Sie aber achtete dessen nicht und verzögerte die Hochzeit mit ihm von Tag zu Tag bald mit dieser, bald mit jener Ausflucht. Am Ende sagte sie zu ihm:

,,Siehe, durchlauchtiger König, was ich verlangte, wurde mir alles erfüllt. Nur noch eines braucht es jetzt, dann machen wir Hochzeit.“

,,Mein Täubchen,“ erwiderte der König, „mein Reich und ich gehorchen deinen Befehlen. Verlang, was du zu

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#9660;erlangen hast, und verlang es gleich, denn siehe, ich vergehe vor Liebe zu dir. Ich bin ganz von Sinnen, träume im Wachen, weiß nicht mehr, was ich tue, wenn ich in deine schönen, schmachtenden Augen sehe.

„Wenn dem so ist,“ sagte nun Ileana Simziana, ,,dann verschaff mir das Taufbecken, das in einem Kirchlein am Jordan aufbewahrt wird^), und dann machen wir Hochzeit.“

Als der König dies hörte, rief er wieder die Königtochter und befahl ihr zu tun, was sie könne und vermöge, und ihm zu bringen, was Ileana Simziana haben wolle.

Da die Königtochter dies hörte, ging sie und sprach mit Sonnenfalb, und er antwortete ihr:

„Das ist der letzte und schwerste Dienst, den du zu leisten hast. Hoffe aber zu Gott, Herrin, daß auch des Königs Los sich erfüllt hat.“

Sie machten sich fertig und zogen aus.

Das Pferd wußte alles das, denn es war nicht umsonst ein Zauberpferd.

Es sprach zu der Königtochter und sagte:

„Jenes Taufbecken befindet sich auf einem Tisch mitten in einem Kirchlein, und es wird von Nonnen behütet. Sie schlafen weder Tag noch Nacht. Dann und wann aber kommt ein Einsiedel zu ihnen und lehrt sie die heiligen Geheimnisse Gottes. Wenn sie die Lehren des Einsiedels anhören, bleibt nur eine als Wächterin zurück. Wir haben gerade die richtige Zeit getroffen. War es nicht, wer weiß wie lange wir warten mußten, denn anders ist es unmöglich.“

So zogen sie hin, setzten über das Wasser des Jordans®)

*) Obwohl die Taufe urtümlich ist, durchaus nicht dem Christentum angehört, ist dieser Zug zweifellos erst durch das Christentum in den Mythos gekommen.

®) Der biblische Jordan ist zum Lebensfluß nur durch Übertragung geworden. Jordan ist ein im Altertum ziemlich weit verbreiteter Flußname (ich erinnere an den Jardanos bei Homer); der zweite Teil findet sich in den Flußnamen Don, Dan[ubius = Donau, Dan[aper = Dnieper, Dan[aster = Dniestr, und die Gleichung mit türkischem Den[iz und magyarischem ten[ger, beides in der Bedeutung „Meer“, läßt annehmen, daß dan skythisch ist. „Jar“ bedeutet

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und gelangten zu jenem Kirchlein. Ein Glück, daß eben da der Einsiedel anlangte und alle Nonnen zu sich berief. Nur eine blieb zur Hut zurück; und die, vom langen Sitzen müde, wurde vom Schlaf übernommen. Damit aber nicht irgendwas geschehe, legte sie sich auf die Türschwelle nieder, in der Meinung, es könne niemand eintreten, ohne daß sie es merke.

Sonnenfalb unterwies die Königtochter, was sie tun solle, um das Taufbecken zu bekommen. Das Mädchen ging sachte, schlich sich an der Mauer hin und pscht, pscht, auf den Zehenspitzen bis an den Eingang. Da auf einmal sprang sie flink wie eine Katze über die Schwelle, ohne die vom Schlaf befangene Nonne nur im geringsten zu streifen; darauf ergriff sie das Becken, ging hinaus, wie sie gekommen war, schwang sich auf das Pferd und — so weit alles gut!

Die Nonne merkte es, sprang sogleich auf, und da sie sah, daß das Becken fehlte, begann sie zu jammern, daß dir die Nieren zersprungen wären vor Erbarmen. Zur Stelle versammelten sich die Nonnen und klagten über das Unglück, das ihnen widerfahren war. Der Einsiedel jedoch sah kaum, daß das Taufbecken abhanden war, und daß die Königtochter mit Sonnenfalb davonstob, so erhob er seine Hände und sprach niederkniend den Fluch über sie:

,,Herre, heiliger Herre! laß den Ruchlosen, der seine frevle Hand an das heilige Taufbecken zu legen gewagt hat, wenn es ein Mann ist, zum Weib werden und ingleichen wenn es ein Weib ist, zum Manne!“

Und zur Stunde wurde das Gebet des Einsiedels erhört.

„Fluß“, so im Hebräischen und im Ägyptischen, und gehört einem andern Stamme an. Das die Erde umgürtende Meer war ursprünglich das Lebenswasser, denn aus ihm stieg die Sonne jeden Tag erneut empor. Es wird in den beiden Stämmen „Dan“ und ,,Jar“ geheißen haben als Fluß kat’ exochen. Späterhin übertrug man die Eigenschaft, Wasser von besonderer Kraft zu enthalten, auf verschiedene Flüsse, ja auf Quellen, und bei der Lokalisierung des Heilandmythos in Palästina wurde sie ganz natürlich auf den biblischen J ordan übertragen, der — zufälligerweise — auch einen passenden, damals allerdings schon nicht mehr verstandenen Namen trug.

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Die Königtochter wurde ein Jüngling, daß dir die Welt gleich schöner war, wenn du ihn sahst^).

Als er zu dem König kam, verwunderte sich der und wollte seinen Augen nicht trauen; es bedünkte ihn, er sei nicht mehr so, wie er ausgezogen war, daß er jetzt vielmehr stattlicher und kühner sei. Als er das Geschirr übergab, sagte er:

„Erhabener König, ich habe alles ausgeführt, was du von mir verlangtest. Ich meine, es ist nun genug. Sei glücklich und herrsch in Frieden, wie Gottes Gnade es dir bescheidetl“

„Ich bin mit deinen Diensten zufrieden,“ sagte der König. ,,Wisse, daß du nach meinem Tode den Thron meines Reiches besteigen sollst, da ich bis jetzt keinen Erben habe. So aber Gott mir noch einen Sohn gibt, sollst du seine rechte Hand sein.“

Alle Räte und Königsöhne waren zugegen, als der König dies sagte.

Als Ilena Simziana auch diesen Wunsch erfüllt sah, beschloß sie, sich an dem König zu rächen, daß er alle die schweren Dienste, die ihm das Leben kosten konnte, ihrem Schönkind übertragen hatte; denn sie hatte geglaubt, der König selbst werde das Taufgeschirr holen gehn, da er es leichter tun konnte, weil sich ja doch alle seinem Befehl unterwarfen.

Sie gebot das Bad warm zu machen, damit sie zusammen mit dem König sich in der Milch ihrer Stuten bade. Als sie in das Bad eintrat, hieß sie den Hengst herzubringen, damit er die Luft kühl schnaube. Der Hengst kam und schnob mit einer Nüster auf sie Kühlung, aber mit der andern Nüster auf den König feurige Luft, so daß ihm

1) Man vergleiche dazu, daß auch Herkules und Achilles je eine Zeitlang als Weiber gelten, daß Apoll gelegentlich geradezu als Zwitter dargestellt wird. Die Verschmelzung der Mond-Gottheit, die zumeist weiblich war, im skjrthisch-thrakisch-germanischen Kreis jedoch männlich gewesen zu sein scheint, mit dem Sonnengott hat hier eine bezeichnende Spur zurückgelassen. (Vgl. die Einführung S. XXVIII.)

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das Inster im Leibe verbrannte und er auf der Stelle tot blieb.

Als man hörte, daß der große, mächtige König gestorben war, geriet das Reich in große Bewegung; von allen Seiten kam man herzu und brachte ihn mit königlichem Gepränge zu Grabe.

Danach sprach Ileana Simziana zu Schönkind:

„Du hast mich hierher gebracht, du hast mir die Herde geholt, du hast den Drachen getötet, der mich geraubt hat, du hast mir das Taufgeschirr gebracht, du sollst mein Mann sein. Komm, gehn wir ins Bad und dann halten wir Hochzeit.“

„Ich will dein Gatte sein, da du mich wählest,“ erwiderte Schönkind, „aber wisse, daß in unserm Hause der Hahn krähen soll und nicht die Henne.“

Sie verständigten sich und traten in das Bad. Ileana rief ihren Hengst, damit er die Milch abkühle, worin sie sich baden sollten. Ebenso rief der neue König seinen Sonnenfalb. Und so wetteiferten die beiden Pferde, dem Bade für seinen Herrn gerade die richtige Wärme und richtige Kühle zu geben.

Am Tag nach dem Bade wurde die Hochzeit gehalten. Dann bestiegen sie den Thron des Reiches. Drei Wochen lang wurden Feste gefeiert, und die ganze Welt war voll Freude, daß Gott ihr einen so heldischen König gegeben habe, der so viele hohe Taten vollbracht hatte.

Er aber herrschte in Gerechtigkeit und Gottesfurcht, schützte die Armen und bedrückte niemand, und wenn er nicht gestorben ist, herrscht und lebt er noch heute.

ENDE

*) Mit diesem Bad ist die Taufe — das Untertauchen — des christlichen Heilands im Jordan imd das Bad des parsischen Heilands zu vergleichen. Im Bade vereinigt sich mit dem Heiland die „Hvareno“, die ,,Katöd“, die „Herrlichkeit“, die Ausstrahlung Gottes und von da an ist er der Heiland vor aller Welt

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Aus fremden Gärten übersetzt und herausgegeben von Otto Hauser Jede Nammer von ca. 3 Bogen kostet Mk. —.80 geheftet

  • 1. Li«Tai»Po, Gedichte. Aus dem Chinesischen. 2. Auflage

  • 2. A. Ch. Swinburne, Gedichte und Balladen. Aus dem Englt; lischen. 2. Auflage

  • 3. Japanische Utas.

  • 4. Biblische Novellen (Esther, Ruth, Jona)

  • 5. Serbische Dichter

  • 6. Paul Verlaine, Satumische Ge» dichte. Galante Feste. 2. Auflage

  • 7. Li«Tai»Po, Gedichte. 2. Teil. Aus dem Chinesischen. 2.Aufl.

  • 8. A. Ch. Swinburne, Lieder vor Sonnenaufgang. 2. Auflage

  • 9. Das Hohe Lied. Aus dem Hebräischen

  • 10. J. P. Jacobsen, Gedichte. Aus dem Dänischen

  • 11. O. Wilde, Charmides. Aus dem Englischen. 9. u. 10. Taus.

  • 12. F. van Eeden, Ellen. Ein Lied vom Schmerz. Aus dem Nieder« ländischen. 2. Auflage.

  • 13. 14. Dante, Die göttliche Ko» mödie. 1. und 2. Teil

  • 15. O. Wilde, Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading. Aus dem Englischen. 9. u. 10. Taus.

  • 16. J. P. Jacobsen, Gedichte, 2. Teil

  • 17. 18. Multatuli, Parabeln, l.und 2. Teil. Aus dem Niederländ.

  • 19. G. Flaubert, Herodias. Aus dem Französischen

  • 10. A. de Müsset, Wovon die jungen Mädchen träumen. Aus dem Französischen

  • 21. G. A. Bécquer, Reime. Aus dem Spanischen

    au— Band 46 und folgende siehe gegenüber

  • 22. Almquist, Ramido Marinesco. Aus dem Schwedischen

  • 23. Almquist, Der Palast

  • 24. H. Drachmann, Beethovens

  • 9. Symphonie. Aus dem Dän.

  • 25. H. Drachmann, Er starb und wurde begraben

  • 26. 27. O. Wilde, Gedichte 1. und 2. Teil. 9. u. 10. Taus.

  • 28. Molière, Sganarell. Aus dem Französischen

  • 29. Molière, Die lächerlichen Pre» ziösen

  • 30. Molière, Die Männerschule

  • 31. Sa'dl, Der Fruchtgarten. Aus dem Persischen

  • 32. Althebräische Gedichte

  • 33. B. Björnson, Eine mausige Kindheiterinnerung. Gedichte und Lieder. Aus dem Nor» wegischen

  • 34. Helene Swarth, Sonette. Aus dem Niederländischen

  • 35. Charles van Lerberghe, Ah» nungen. Dramolet. Aus dem Französischen

  • 36. 37. John Milton, Das wieder» gewonnene Paradies. Aus dem Englischen

  • 38. G. A. Bécquer, Legenden. Aus dem Spanischen

  • 39. Henry Beyle»Stendhal, Water» loo. Aus dem Französischen

  • 40. 41. G. di Boccaccio, Dekameron. ErsterTag. Aus dem Italienisch.

  • 42. 43. H. W. Longfellow, Evan» geline. Aus dem Englischen

  • 44. 45. Dante, Die göttliche Ko» mödie, 3. und 4. Teil. Aus dem Italienischen

dem Titelblatt .#9632;K=rr=


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