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IGNAZ VON DÖLLINGERS

LUTHERBILD

Hubert Huppertz


Publicatieserie Stichting Oud-Katholiek Seminarie, Vol. 41


UNIVERSITEITSBIBLIOTHEEK UTRECHT



rsfoort/Sliedrecht 2007


3684 1439


MERWEBOEK


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Ignaz von Döllingers Lutherbild

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Hubert Huppertz, Lie. phil. et theol.

Ignaz von Döllingers Lutherbild

Universiîeitcbibüûthcek

Publicatieserie Stichting Oud-Katholiek Seminarie aflevering 41

Amersfoort/Sliedrecht 2007

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Vormgeving omslag: Line-Art Dordrecht.

Afbeelding: Peter Feenstra, collage van Döllinger en Luther, naar tekeningen van resp. Heurlin en Reifenstein.

Uitgeverij Merweboek

Postbus 217, NL-3360 AE Sliedrecht

(Publicatieserie Stichting Oud-Katholiek Seminarie; nr. 41)

ISBN 978-90-5787-114-6

© 2007 Stichting Oud-Katholiek Seminarie, Amersfoort

All rights reserved. No parts of this publication may be produced, stored in a retrieval system, or transmitted, in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without the prior permission of the publisher.

The “Publicatieserie Stichting Oud-Katholiek Seminarie” is published under the responsibility of the staff and members of the Board of Administrators of the Old Catholic Seminary.

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VORWORT

Als mir am 10. Dezember 2005 im Gemeindezentrum „In de Driehoek“ zu Utrecht vom Kuratorium der Stiftung Alt-Katholisches Seminar der Andreas Rinkeipreis verliehen wurde, wollte ich als akademischen Dank an Kuratorium, Jury und Festversammlung die Zusammenfassung meiner Studie über Ignaz von Döllingers Lutherbild vortragen. Da genau zu der Zeit meine geliebte Frau Gertrud im Sterben lag, bat ich meine beiden Söhne Hubert und Michael Huppertz, mich bei diesem Festakt zu vertreten; mein ältester Sohn, Dr. habil. Hubert Huppertz, Privatdozent der Chemie an Döllingers Ludwig-Maximilians-Universität in München, trug meine Zusammenfassung beim Festakt vor. Beiden Söhnen danke ich hier für ihren Familiensinn. Meine Frau starb am 11. Dezember 2005.

Dass ich die ausgearbeitete Studie erst jetzt vorlegen kann, zeigt, wie sehr die Trauer mich band. Ich danke Prof. Dr. Angela Berlis und drs. Wietse van der Velde für die kritischen Fragen und Anregungen, mit der sie meine Studie im Rohzustande begleiteten. Der Bayerischen Staatsbibliothek in München, die mir seit 1994 die Transkription des gesamten Döllingerschen Briefkorpus und vieler anderer Teile seines Nachlasses ermöglichte, danke ich von Herzen, ebenso vielen anderen in London, Berlin, Wien, Münster, Bern und Bonn, deren Türen bei dem Namen Döllinger sich mir bereitwillig öffneten.

Döllingers Faszination vor Luthers Sprachgewalt - nicht auf Latein, sondern auf Deutsch - beginne ich mehr und mehr zu spüren. Seit einem halbem Jahr geht mir D. Martin Luther Die gantze Heilige Schrifft Deudsch 1545 / Auffs new Zugericht am frühen Morgen eine halbe Stunde lang laut über die Lippen. „Fvrcht dich nicht / denn du solt nicht zu schänden werden / Werd nicht blöde / denn du solt nicht zu spot werden“ (Jes 54,4). Döllinger hat gewusst, wem er sich zuwandte, und den Schatz dieses Mannes auf zerfurchtem Acker gefunden.

Alverskirchen, den 7. August 2007

Hubert Huppertz


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Im Andenken an Gertrud

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INHALT

Vorwort

Anna Herder an Ignaz von Döllinger, 27. März 1878

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1. PROLOG: EINE UNERFÜLLTE BITTE

Am 10. Februar 1883 schreibt der Verleger Oscar Beck (1850-1924) an Ignaz von Döllinger (1799-1890) und setzt sich mit der Lutherdarstellung von Johannes Janssen (1829-1891) auseinander: „Die Bekämpfung Janssen‘s ist bis jetzt wenig gelungen zu nennen. Es gälte, wie mir scheint, ein Charakterbild Luthers aus Stellen seiner Bücher (zum großen Teil solchen, die auch Janssen anführt) zu entwerfen, das den Gegensatz der evangelischen Freiheit Luthers, die bald Kühnheit, bald größte Demut sein muß, je nachdem es sich um Irdisches oder um Göttliches handelt, und die Festigkeit, Sicherheit, Genügsamkeit, Selbstgerechtigkeit, ja Philisterhaftigkeit seiner katholischen Gegner in aller Kürze ins Licht stellen müßte.“'

„Ich bitte Sie, hochverehrter Herr Reichsrat, um Verzeihung, daß ich meiner Feder habe die Zügel schießen lassen. Die Sache, die ich anzudeuten versuchte, beschäftigt mich gerade sehr, u[nd] sie ist mir ein großes Anliegen. Ja mehr noch. Mein größter Wunsch ist der. Sie zum Schreiben zu veranlassen. Ein Wort von Ihnen über Katholizismus o[der] Protestantismus, ü[ber] Janssen u[nd] Luther - es wäre mehr wert als alle Schriften aller Protestanten. Nur ein Wort, ein kurzes Wort, das Sie in ein pa[a]r Tagen zu Papier bringen könnten. Es wäre mir dabei nicht leid um die Bayer[ische] Akademie; Sie würden doch deren ruhmreicher Sekretär sein und als solcher in der Geschichte fortleben. Aber durch ein solches Wort könnten Sie Ihrem Andenken die schönste Weihe verschaffen, wenn Sie einmal nicht mehr sind. - Und welcher Sterblicher müßte nicht daran denken? Aber ist es nicht an dem, daß ein Janssen gerade Ihre Reformationsgeschichte auf Schritt und Tritt zitiert und zitieren darf, solange Sie über dieses Werk nicht das letzte Wort gesprochen haben. Demselben fehlt das Schlußwort. Schreiben Sie dieses Schlußwort, aber schreiben Sie es bald, bevor es zu spät ist. Gewiß, ich mute Ihnen, dem Jubelgreis, dem man so gerne die Ruhe von seinem Tagwerk gönnen wird, ein otium cum dignitate, das Sie sosehr verdient haben, - ich mute Ihnen viel zu. Aber da Sie nun doch einmal der Gnade Gottes Ihre Gesundheit und Rüstigkeit verdanken - wie könnten Sie diese Güter besser verwerten, als zu hindern, daß von Ihrem Lebenswerk ein Gebrauch gemacht werde, der nicht in Ihrem Sinne ist, den auch nicht die Wahrheit fordert! Thatsächlich weiß man noch nicht, wie Sie zu Janssen stehen; man weiß noch nicht, wie eigentlich der

1 Bayerische Staatsbibliothek München [= BSBM], Döllingeriana II, C.H. Becksche Buchhandlung, Nr. 22. Der gesamte Briefbestand liegt transkribiert vor: H. Huppertz, Briefe 1821 - 1890 an Johann Joseph Ignaz von Döllinger, Bayerische Staatsbibliothek, Döllingeriana II, als Manuskript vervielfältigt, Alverskirchen 1997 - 2003, 15 Bände. Hier 1,218f. Zitierung: Transkr., Bd., Seitenzahl. Die Transkription der Döllingeriana II, III und IV ist öffentlich zugänglich in der Staatsbibliothek München, im Archiv des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Bonn, im Alt-Katholischen Seminar der Universität Bonn und an der theologischen Fakultät der Universität Bern.

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Unterschied ist Ihrer jetzigen Auffassung Luthers und derjenigen, die Sie vor 30 Jahren in Ihrer berühmten „Skizze“ ausgesprochen haben; ein Wort, mit dem Sie diesen Unterschied fixiren - wie müßte man Ihnen für alle Zeiten dafür danken, - und dieses Wort, wenn Sie es doch sprechen wollten, wie wird es ein Denkmal sein, das Sie Ihrer Wahrheitsliebe setzen, - ein Denkmal aere perennius!“^

Der fast 84 jährige Reichsrat ist dieser Bitte nicht nachgekommen. Wer ist Johannes Janssen, wo findet sich seine Lutherdarstellung und warum hat Döllinger nicht reagiert?

1.1 Johannes Janssen

Er wird am 10. April 1829 in Xanten am Niederrhein geboren und macht zunächst eine Kupferschmiedelehre. Später studiert er in Münster in Westfalen, Löwen, Bonn und Berlin katholische Theologie, Geschichte und Philologie. Im Sommer 1854 habilitiert er sich in Münster, wird Privatdozent, und geht aber schon im Oktober desselben Jahres als Professor der Geschichte für die katholischen Schulen an das Stadtgymnasium in Frankfurt a. M. Der Grund dafür liegt in der Erkrankung seines Gönners und Freundes Johann Friedrich Böhmer (1793-1863)’, des gelehrten evangelischen Historikers und Bibliothekars in Frankfurt, dem er zur Seite stehen möchte''. Dieser, großdeutsch gesinnt und preußenfeindlich, lutherisch und gleichzeitig ultramontan angehaucht, regt ihn zur Geschichtsschreibung an. 1860 wird er zum Priester geweiht, 1875 bis 1876 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1880 päpstlicher Hausprälat und apostolischer Protonotar. Im Gegensatz zu Böhmer ist er preußenfreundlich, begrüßt die Annahme der deutschen Kaiserkrone durch Wilhelm 1. in einem Gedicht, ist allerdings empört über den Kulturkampf. Der Verfasser des Artikels in Meyers Großem Konversationslexikon von 1908 nennt ihn einen „der tätigsten und bedeutendsten unter den wenigen klerikal gesinnten deutschen Gelehrten“’, der sich mit großem Fleiß bemühte, schriftstellerisch die ultramontane Sache zu fördern. Für Wilhelm Kosch ist er der bedeutendste katholische Darsteller des Reformationszeitalters®. Er stirbt am 24. Dezember 1891 in Frankfurt.

2 Ebd.

3 W. Killy, Deutsche Biographische Enzyklopädie [= DBE], 10 Bände, München 2001, Bd. 1,623.

4 Karl Heinrich Roth von Schreckenstein (1823-1894) an Joseph Edmund Jörg (1819-1901), Nürnberg, 25. Juni 1861 : „Prof. Janssen ist ein sehr liebenswürdiger Mensch. Ich habe noch nicht leicht Jemanden kennen gelernt, der einen so angenehmen Eindruck macht. Seit einem Jahr ist er katholischer Priester. Früher war er Docent an der Akademie in Münster. Wegen Böhmer nahm er, vor 4-5 Jahren, die Professur der Geschichte für die Katholiken am Gymnasium in Frankfurt an.“ D. Albrecht, Joseph Edmund Jörg, Briefwechsel 1846-1901, Mainz 1988, 156-159.

5 Meyers Großes Konversations-Lexikon, Leipzig und Wien 1908, Bd. 10, 172.

6 W. Kosch, Das Katholische Deutschland. Biographisch-bibliographisches Lexikon, Augsburg 1933,2 Bde., hier Bd. 1, 1871f.

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Wie Janssens vier Briefe’^ an Döllinger zwischen 1861 und 1864 zeigen, stehen beide sich ziemlich nahe und verbindet sie sowohl die Sorge um den schwer erkrankten Böhmer wie das Schicksal der Theologie in Deutschland und die römische Reaktion auf die Gelehrtenvcrsammlung in der Benediktinerabtei St. Bonifaz in München 1863. Bei seinem römischen Aufenthalt 1863/64 tritt Janssen nachdrücklich für die deutsche Theologie bei Kardinal Karl August Graf von Reisach (1800-1869) ein: „Wenn den Leuten dieser sogenannten germanistischen Schule die Hände gebunden werden, so wird altum silentium in der Wissenschaft sein. Ich spreche damit keineswegs der neuen Schule vor der alten das Wort, aber so viel steht fest, daß die Anhänger der alten Schule in Deutschland bisher noch keine größeren bedeutenden wissenschaftlichen Leistungen aufzuweisen haben. Das ist, was ihnen von den Anhängern der neuen Schule stets und zwar mit Recht vorgeworfen wird.“^ Reisach scheint ihm das nicht allzu sehr verübelt zu haben, denn in seinem Brief an Jörg vom Mai 1864 schreibt er: „Prof. Janssen ist vor kurzem abgereist; er war mir eine liebe Gesellschaft für diesen Winter.“’

Janssens Mitarbeit an den Historisch-Politischen Blättern, deren Redaktion die Familie Görres als Besitzer der Zeitschrift im Juli 1852 Joseph Edmund Jörg übertrug'® und die dieser bis zu seinem Tod 1901 wahrnahm, führte ihn in eine engere Beziehung zu Jörg. Jörg war als Ammanuensis der wichtigste Mitarbeiter Döllingers bei der Materialsammlung zu seinem dreibändigen Werk über die Reformationquot;. Zum ersten Band der Janssenschen Geschichte des Deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters'^ schreibt er ihm am 29. April 1878: „Ihr Buch studire ich mit Entzücken.“'^

Janssen ist eng verbunden mit den Familien Görres und Herder, mit denen auch Döllinger bis 1870 in jahrzehntelangem, engem Kontakt gestanden hatte. Daraus folgt für den vierundachtzigjährigen Döllinger: Wenn er in der von Oscar Beck gewünschten Weise gegen Johannes Janssen vorgeht, dann greift er einen seiner liebenswürdigsten Weggefährten bis 1870 an, der ihm im Kampf um die Authentizität von Theologie und Geschichte immer zur Seite stand - bis 1870. Ob das eine Rolle gespielt hat für sein Schweigen oder einfach die bei einem alten Herrn höchst plausible Scheu vor Ärger und Verdruss? Wir wissen es nicht.

7 BSBM. Döllingeriana II, Janssen, Johannes. Transkr., Bd. 7, 29-33. Anreden: 17.1.1861: „Verehrtester Herr Professor“; 27.1.1861: desgleichen; 22.11.1863: „Verehrtester Gönner und Freund“; 27.11.1864: „Hochverehrter Herr Stiftspropst“.

8 J. Janssen an Maria von Sydow, [Rom], 29. Dezember 1863, in: Ludwig Freiherr von Pastor, Johannes Janssens Briefe, 2 Bde., Freiburg 1920,1, 215-217, hier 215. Zitiert nach Fr. X. Bischof, Theologie und Geschichte. Ignaz von Döllinger (1799-1890) in der zweiten Hälfte seines Lebens. Ein Beitrag zu seiner Biographie. Stuttgart - Berlin - Köln 1997,97, Anm. 53.

9 Graf Reisach an J.E. Jörg, Rom, 5. Mai 1864, in: Albrecht, Briefwechsel, 264.

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1.2 Janssens Lutherbild

In der achtbändigen „Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters“ finden sich Janssens wichtigste Äußerungen über Martin Luther im zweiten und dritten Band?'’ Seine Kinder- und Jugendzeit sei überschattet gewesen durch körperliche Züchtigungen zuhause und in der Schule; Zittern, Angst und Jammer seien ihm geblieben?^ Auf der Lateinschule in Eisenach habe er seine Armut erfahren müssen. Die Bekanntschaft mit Frau Cotta, einer adeligen Dame, die ihn in ihr Haus aufnahm, habe im siebzehnten Lebensjahr seinem Leben eine Wendung gegeben.'^ Den Studenten der Philosophie und Jurisprudenz habe 1501 in Erfurt die ganze Akademie wegen seines Geistes bewundert, an geselligen Vergnügungen nahm er gerne teil, konnte aber plötzlichen Stimmungsschwankungen unterliegen.'^ Der Tod seines Freundes im Zweikampf (1505) und ein furchtbares Gewitter vor Erfurt erschütterten ihn zutiefst und führten ihn zu einem gezwungenen und gedrungenen Gelübde. Er ging ins Kloster, in welchem er an sich verzweifelte'®, zum Skrupulanten wurde'’ und zur Überzeugung gelangte, der Mensch sei durch und durch böse^’; nur der Glaube an Christus decke seine Sünden zu usw. Janssen stützt sich auf Döllingers Darstellung^', so dass man kurz sagen kann, Janssens Lutherbild ist dasjenige Döllingers aus seiner ersten Phase.

Im Abschnitt zu Luthers Urteilen über sich selbst und sein Werk^^ finden sich ebenfalls Verweise auf Döllinger, ebenso in der Beschreibung seines polemischen Tons.^® Janssen mag es sich nicht versagen, auf Luthers Verfluchung der Katholiken hinzuweisen.'^'’ Zu Luthers Stellung zur Doppelehe des Landgrafen Philipp I. von Hessen (1504-1567)^5 ^gj-kt Janssen an: „Luther nahm sich das Ärgernis überhaupt weniger zu Herzen und bedauerte, daß es Melanchthon^® (1497-1560) so nahe ging.“^'’

14 J. Janssen, Bd. II: Zustände des deutschen Volkes seit dem Beginn der politisch-kirchlichen Revolution bis zum Ausgang der socialen Revolution von 1525, Freiburg i.B. 1879. Bd. III: Allgemeine Zustände des deutschen Volkes seit dem Ausgang der socialen Revolution bis zum sogenannten Augsburger Revolutionsfrieden von 1555, Freiburg i.B. 1881.

15 Jansen, Zustände 11,67.

16 Ebd.,68.

17 Ebd.,69.

18 Ebd.,70.

19 Ebd.,71.

20 Ebd.,74.

21 Ebd., 75, Anm. 1 : Ignaz Döllinger, Die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen im Umfange des Lutherischen Bekenntnisses, Regensburg 1845-1848, Bd. I-III, dabei Bd. I in 2. verbesserter und vermehrter Auflage [= Döllinger, Reformation I, II, III], hier Döllinger, Reformation III, 173-187.

22 Ebd., 176-182.

23 Ebd., 194f.

24 Janssen, Allgemeine Zustände III, 216f.

25 Philipp I., 1523 vermählt mit Christine, der Tochter Herzog Georgs von Sachsen, ging 1540 mit Einwilligung der Reformatoren und seiner Gattin eine geheime Nebenehe mit Margarethe von der Sale ein. DBE, 7,654.

26 Philipp Melanchthon (Schwartzerd), Schüler, Freund und Mitreformator Luthers. DBE, 7,49-51.

27 Janssen, Allgemeine Zustände III, 434f.

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Luthers letzte Lebenszeit und seinen Tod schildert Janssen in düsteren Farben: Wittenberg habe er wegen seiner Sittenlosigkeit verlassen, mit seinen Amtsgenossen sei er zerfallen gewesen. Melanchthon klagte über Luthers Eigensinn und seine Herrschsucht. Mit dem Teufel habe er Nachtkriege geführt; er fühlte sich alt, abgelebt, träge, müde und kalt.^® Vor dem Tode habe der Teufel ihm seinen Hintern gezeigt und gespottet,^’ und er selber schrieb mit Kreide an die Wand:

„Im Leben war ich, o Papst, deine Pest,

im Tode werde ich dein Tod sein.““

Statt einer kleinen Charakteristik zitiert Janssen aus den Leichenreden Justus Jonas‘ (1493-1555) und Michael Cölius‘ (t 1559): Luther sei ein großer Prophet gewesen. Jetzt sei er tot, aber man solle nicht unterlassen, mit dem Eliza nach dem Mantel des Eliä zu greifen, welches sind seine Bücher. Luther habe oft geklagt, beim großen, hellen Licht des Evangeliums von der Rechtfertigung des Menschen allein durch den Glauben sei die Welt dahin geraten, daß sich bei vielen nicht mehr gemeine Sünden finden, sondern eitel Gotteslästerung. „Niemand wolle mehr ein Sünder sein. Niemand sich vor Gott demüthigen.“’’

Vor einem solchen Luther-Zerrbild in Gesagtem und Ungesagtem kann man die Gefühle Oscar Becks verstehen und schon ein wenig erahnen, in welchem Kontrast dazu Döllinger in jeder Phase seines Lutherbildes stand. Ich wiederhole meine Einschätzung, daß es Döllinger in seinem Alter jenseits der achtzig einfach zu lästig war, sich hier noch einmal ins Kampfgetümmel zu stürzen. Wem sein Urteil über Luther wichtig war, konnte es wissen. Seine Eos-Kampfzeiten’^ waren vorbei.

28 Ebd.,536.

29 Ebd.,538.

30 Ebd.

31 Ebd., 539.

32 Eos, Münchener Blätter für Poesie, Literatur und Kunst, herausgegeben von einem Verein von Gelehrten und Künstlern; ab 1829: Eos, Münchener Blätter für Literaturund Kunst, 12. bis 16. Jahrgang; das streitbare Organ des Münchener Görreskreises, in dem der junge Professor Döllinger 5 Jahre lang eine scharfe Klinge focht.

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Nach dreijähriger Tätigkeit als junger Lyzealprofessor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht in Aschaffenburg und seiner Promotion zum Dr. theol. an der Universität Landshut wurde Johann Joseph Ignaz Döllinger 1826 zum außerordentlichen Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht an die gerade von Landshut nach München umgezogene Universität berufen und so mit seinen Eltern wieder vereinigt. Vater Döllinger war mit seiner Familie am 30. Oktober 1823 von Würzburg nach München übergesiedelt, wo erzürn ordentlichen frequentierenden Mitglied der königlichen Akademie der Wissenschaften ernannt worden war.’’ Schon 1827 schied der amtierende Kirchengeschichtler Johann Nepomuk Hortig aus seinem Amt und wurde Domkapitular in München. Das brachte Döllinger die ordentliche Professur und gleichzeitig den Auftrag, das mehrbändig angelegte Handbuch der christlichen Kirchengeschichte’'* von Hortig zu vollenden.” Diesen knapp 620 Seiten umfassenden Band schrieb der noch nicht dreißigjährige junge Professor in einem Jahr. Das Vorwort datiert auf den 1. August 1828. Er umfasst die Zeit vom 16. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert und ist keine Bearbeitung einer Hortigschen Vorlage. Die Charakteristik Luthers findet sich als Fußnote’^.

Döllingers Rezension des Werkes, „Neuere Geschichte der Deutschen, von der Reformation bis zur Bundesakte“ von Karl Adolph Menzel”, ist - wie in der Eos üblich - eine Publikation ohne Verfassernamen. Sie umfaßt ca. 25 Seiten, über 9 Fortsetzungen aufgeteilt, und wird von Stefan Lösch in seiner Döllingerbibliographie’* aus überzeugenden Gründen Döllinger zugeordnet.

Döllingers programmatischer Artikel zum Beginn der Zeitschrift Historischpolitische Blätter, „Ueber die gegenwärtige Stellung der katholischen Kirche

35 Bischof, Theologie und Geschichte, 20f.

36 Döllinger, KG 1828,455.

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zu den von ihr getrennten Confessionen“’’, eröffnet das Publikationsorgan des Münchener Görreskreises in der Nachfolge der Eos. Wiederum wird der Verfassername nicht genannt. Die auch denkbare Verfasserschaft von Karl Ernst Jarcke (1801-1852) wird von Lösch ausgeschlossen aufgrund einer Notiz im Brief Jarckes an seinen Freund Moritz Lieber in Camberg (Hessen) vom 16. Juni 1838, der Aufsatz über die Stellung der Katholiken gegen die anderen Religionsparteien im ersten Heft der Historisch-politischen Blätter sei von Döllinger verfasst.'*”

Döllingers Rezensionen der Bände 1 und 2, 4 und 5 des Werkes Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation von Leopold Ranke“*' sind eine weitere bemerkenswerte Quelle für sein Lutherbild. Lösch weist darauf hin, dass bisher (d.h. 1955) die Rezensionen zwar mehrfach berücksichtigt, die Verfasserfrage aber keineswegs aufgeworfen wurde. Seiner Meinung nach ist keinem anderen Mitarbeiter der Historisch-politischen Blätter eine solche Fachkompetenz zuzutrauen, so dass die Verfasserschaft Döllinger zugesprochen werden müsse.'*^

Döllingers dreibändiges Werk über die Reformation im Umfange des lutherischen Bekenntnisses“*^, will ausdrücklich keine „Geschichte der Reformation im gewöhnlichen Sinne des Wortes“ sein. Seine Aufgabe: „es ist der innere Entwicklungsgang des Protestantismus, die fortschreitende Bewegung der Lehre, die Mittel, durch welche der Sieg des protestantischen Systems erkämpft und seine Herrschaft befestigt wurde, der Einfluß, der durch ausgezeichnete Persönlichkeiten auf dessen Gestaltung geübt worden, die allmälig auf seinem eigenen Gebiete eintretenden Reaktionen, die religiöse Haltung und Stimmung, die durch das neue System erzeugt wurde, der Gegensatz der katholischen und protestantischen Institutionen, die Wirkungen, welche sich theils an die Vernichtung der altkirchlichen Einrichtungen, theils an die neuen Surrogate geknüpft haben.“'*'*

Döllingers Lexikonartikel „Luther“ von 1851'*^ ist sein bekanntester Text über

39 [Döllinger], Ueber die gegenwärtige Stellung der katholischen Kirche zu den von ihr getrennten Confes-sionen. Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland, herausgegeben von George Phillips und Guido Görres, München, 1838. In Commission der literarisch-artistischen Anstalt. Erster Band, 21-47.

40 Lösch, Döllinger und Frankreich, 518.

41 [Döllinger], Rezension: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Von Leopold Ranke. Erster und zweiter Band. Berlin. Bei Dunker und Humblot. 1839, Historisch-politische Blätter (1839), Bd. 4,540-557; 654-668. Bemerkungen über den IV. und V. Band der „Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation“ von Leopold Ranke, Historisch-politische Blätter (1843), Bd. 12,569-581 ; 677-686.

42 Lösch, Döllinger und Frankreich, 520f.

43 Döllinger, Reformation I, II, III.

44 Döllinger, Reformation I, V f., Vorwort.

45 Wetzer und Welte, Kirchenlexikon, Freiburg 1851, 651-678. Neuer Abdruck Freiburg 1890, 63 S. (Nach Döllingers Tod 10.1.1890, ohne seine Genehmigung!)

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Martin Luther. Der Verleger des Kirchenlexikons von Wetzer und Welte, Benjamin Herder, hatte im Brief vom 16.10.1847 Döllinger schon die Artikel Independenten, Duns Scotus, England, Irland, Van Espen, Vaccanz, Florenz, Kirchengeschichte und Synode zugewiesen, „die Professor Hefele nicht bearbeitet“.'*® Döllinger teilt am 7.12.1850 dem Verlegermit, der Artikel,Luther' sei gestern an ihn abgegangen und vielleicht etwas voluminös ausgefallen; doch glaube er, daß er sich noch immer in erträglichen Grenzen halte und wegen seiner Wichtigkeit eher etwas zu ausführlich als zu kurz werden durfte. „Ich habe ihn mit Sorgfalt ausgearbeitet und ziemlich viel Zeit damit zugebracht.“'*’

Döllingers Kirche und Kirchen, Papstthum und Kirchenstaat'*^ ist seine Rechtfertigungsschrift gegen die Kampagne, die über ihn hereinbrach, als er in seinen Odeonsvorträgen 1861 die Aufregung über den drohenden Verlust des Kirchenstaates dämpfen und seine theologische Bedeutung präzisieren wollte. Der erste Teil ist eine christliche Konfessionskunde, der zweite Teil eine unverblümte Darstellung der inneren Verhältnisse im Kirchenstaat.

In den Vorträgen über die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen'*’ von 1872 tritt der am 17. April 1871 exkommunizierte Döllinger als einer der Pioniere der ökumenischen Bewegung auf den Plan.

Döllingers Vortrag: „Leber Religionsstifter“®** vom 25. Juli 1883, eine seiner vielen Akademiereden, und die einschlägigen Partien aus seiner Korrespondenz mit Lord John Acton®* und Hermann Adalbert Daniel®’ sollen das Bild abrunden.

Wie bei der Darstellung der Quellen gesagt wurde, vertraute Prof. Hortig seinem jungen Kollegen Döllinger die Vollendung seines Handbuchs der Kirchengeschichte an, und er führte diesen Auftrag in einem guten Jahr durch. In diesem Band, dessen Seitenzählung als zweite Abteilung des zweiten Bandes von 367-984 läuft, findet sich die erste literarische Charakterisierung Luthers durch

46 BSBM, Döllingeriana 11, Herder, Benjamin. Transkr., Bd. 6,40.

47 Döllinger, Luther. Eine Skizze. Neuer Abdruck, Freiburg i.B. 1890,5.

51 Victor Conzemius (Bearb.), Ignaz von Döllinger, Briefwechsel 1820-1890. Ignaz von Döllinger-Lord Acton, Briefwechsel 1850- 1890,München 1963-1971,3 Bände [= Briefwechsel Döllinger - Acton 1,11,111].

52 BSBM, Döllingeriana 11, Daniel, Hermann Adalbert; Transkr. 3, 107-133.

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Döllinger in einer Fußnote am Ende der §§ 161-163 über die Kirehenspaltung in Deutsehland bis zur Augsburger Confession - symbolträchtiger Anfang einer langen Entwicklung. Sie lautet so:

„Unstreitig gehört Luther zu den ausgezeichnetsten Männern aller Jahrhunderte, und wenn dieser hochbegabte Mensch den Geist der Liebe und der Demuth gehabt hätte, so wäre er vielleicht ein wahrer Reformator in der Kirche geworden, wie Bernhard, Carl Borromeo, Vincenz von Paulus und andre vor und nach ihm. Insofern kann man sagen, daß er eine Sendung gehabt, aber auch, daß er sie gänzlich verfehlt habe. Er mußte sie verfehlen, sobald er die legitime Autorität der Kirche verwarf, jene Schranke, die gerade ihm, dem hochfahrenden, von den wildesten Leidenschaften bewegten Manne, vor Allem unentbehrlich war. Unverkennbar war in ihm viel Großes und Treffliches: hoher Muth, Standhaftigkeit und Unerschrockenheit, eine staunenerregende Thätigkeit und Arbeitsamkeit, eine seltne Uneigennützigkeit, eine tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens, volksmässsige, hinreißende Beredtsamkeit, und treffender Witz. Aber diese guten Eigenschaften wurden verdunkelt und zum Bösen verkehrt durch Hoffarth, unbiegsamen Starrsinn, zügellose Heftigkeit. Sich selbst und seine Thaten pries er mit schamloser Eitelkeit; gegen Alle, die ihm widersprachen, Päpste, Kaiser, Fürsten, Bischöfe, erlaubte er sich die ärgsten Schmähungen; diejenigen, die in irgendeinem Puncte von ihm abwichen, verfolgte er mit unversöhnlichem Hasse, und wußte selbst den Arm der weltlichen Obrigkeit wider sie zu waffnen. Diese Fehler wurden oft selbst von seinen treuesten Anhängern und Verehrern bitter beklagt. Selbst Melanchthon klagt epist. ed. Manlian. p. 48: Tuli ego antea servitutem pene deformem, cum saepe Lutherus magis suae naturae, quam vel personae suae vel utilitati communi serviret.’’ Am häufigsten hat man jene unsittliche Inconsequenz gerügt, nach welchererdie unbedingte Willkührder Lehre und Bibeldeutung, die er für sich in Anspruch nahm, jedem Andern absprach.“^'* Zu unserem Erstaunen wird Luther von dem jungen Apologeten der Katholischen Kirche 1828 „den ausgezeichnetsten Männern aller Jahrhunderte“’’ zugezählt, dem hoher Mut, Standhaftigkeit, Unerschrockenheit, Arbeitsamkeit, Uneigennützigkeit, Herzenskenntnis, hinreißende Beredtsamkeit und treffender Witz zueigen seien. Doch würden diese verdunkelt durch Hoffart, Starrsinn, Heftigkeit, Eitelkeit, Haß gegen Abweichler und eigene Willkür im Umgang mit Bibel und Lehre, die er anderen nicht zubillige. Fehlende Liebe und fehlende Demut ließen ihn seine Sendung verfehlen. Er habe sie verfehlen müssen, weil er die legitime Autorität der Kirche verwarf - diese Schranke gegen hochfahrende, wilde Leidenschaften.

53 Ich habe ehedem eine ganz und gar schimpfliche Knechtschaft auf mich genommen, da Luther oft mehr seiner eigenen Natur als seiner Person oder dem Allgemeinwohle diente.

54 Döllinger, KG 1828,455 Anm.

55 Ebd.

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Am Rande sei hier schon vermerkt, dass genau 50 Jahre später Döllingers Freundin Anna Herder in ihrem Brief vom 27. März 1878 Döllinger eine ähnliche Diagnose^* stellte; andere nannten ihn den „Luther des 19. Jahrhunderts“’’.

In der Rezension von Menzels „Neuere[r] Geschichte der Deutschen“ durch Döllinger von 1830 wird die Ansicht eines großen Teiles heutiger Schriftsteller, Luther und seine Genossen ganz im Sinne der Apostel und ihrer Nachfolger anzusehen, zurückgewiesen”. Er habe seine erhabene Idee in rein menschlicher Weise ohne tiefere Einsicht in das Wesen der großen Verhältnisse und in den größten Widersprüchen mit sich selbst aufgefasst. Den neuen Glauben und die neue Kirche habe er nicht eigenständig auf dem Fundamente religiösen Lebens begründet, sondern sie der weltlichen Macht anvertraut. Damit werde nicht die Befähigung und der Eifer des Mannes in Abrede gestellt. Doch müsse man Luthers zum Teil vortreffliche Eigenschaften als Privatmann in der individuellen Sphäre wohl unterscheiden von der Richtung, die sein Gemüth und Verstand in seinem Wirken nach außen erhielt. „Daher sehen wir diese wunderbare Mischung von Demuth und Stolz, von Einfachheit und Lfebertreibung, von christlicher Geduld und Hingebung und völligem Fanatismus bis zum Umsturz aller Verhältnisse. Wo er im kleineren, von ihm vollständig beherrschten Kreise mit Einsicht und Mäßigung verfuhr und Alles zweckmäßig ordnete, da brauste er auf dem Meer des großen gesellschaftlichen Lebens in ungezügelter Leidenschaft daher, und was ihm dort vermöge seiner historischen Macht und Größe widerstand, das suchte er durch Schmähungen und wilde Angriffe zu besiegen“”.

Aus den Ranke-Rezensionen 1839 und 1843 seien noch einige Züge von Döllingers Lutherbild beigefügt: Mit Luther betrat 1508 ein Mann den Schauplatz von Wittenberg, der durch die Kraft seines Geistes, die Gewalt seiner Beredtsamkeit und die Unbeugsamkeit seines Charakters zum Wortführer und

56 Den Brief teile ich im Anhang unter 5. ungekürzt als bedeutendes Beispiel dafür mit, wie Döllingers Weg nach 1870 auf die ablehnende Seite der ihm vertrauten Menschen gewirkt hat und ihn selbst den Schmerz eines Dissidentenschicksals erleben und erleiden ließ.

57 So eine alte Dame an Döllinger, vermutlich 1871: „Wehe! - wehe! wehe! - noch immer sind Sie der böse Geist, der über unser armes Vaterland schwebt! — Besinnen Sie sich - kehren Sie um! - verlassen Sie den furchtbaren Weg, den Sie betreten. Sehen Sie denn nicht, wie das theure Baierland zu Grunde geht. - Wer sollte nun so schwere schwarze Schuld auf seinem Gewissen behalten wollen, wenn er noch die Macht in Händen hat, zur Aenderung wesentlich beitragen zu können. Man nennt Sie schon den Luther des 19ten Jahrhunderts, Sie wollen und wünschen gewiß solche Ehre nicht. - Lenken Sie ein! - Ihr hoher Verstand muß besser sehen, als ein schwaches, zitterndes Weib - ach, und Sie sehen gewiß wo alles hinaus will. Ach, es ist entsetzlich! - Das sonst so treue katholische Baierland! - was ist schon jetzt daraus geworden? Sollte das Ihnen nicht zu Herzen gehen? Können Sie das alle[s] so ruhig ansehen, wie die katholische Kirche gedrückt und geknebelt wird? - Beim allmächtigen Gott! gedenken Sie Ihrer hohen Jahre - mit 72 muß man doch jeden Tag bereit sein! und Sie wollten so die Ewigkeit antreten, ohne das Ihrige gethan zu haben, daß dem furchtbaren Unheil Einhalt geschieht. - Ach bitte, ich flehe Sie darum! - Gott möge Ihnen Gnade und Beistand geben!“ BSBM, Döllingeriana II, Anonyma. Transkr., Bd. 7, 224.

58 Eos 14 (1830), 639.

59 Ebd.,642.

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Vorkämpfer geschaffen war^“. Dieser der Kirche durch die Gehorsamsbande von Taufe, Priesterweihe und Ordensgelübde dreifach verbundene Mann, der sich Papst und Kaiser entgegenstellte und in ungeheurem Wagnis diese Bande brach, tat dies - nach Rankes Urteil - aus dem unabweislichen Bedürfnis, die Reinheit der Offenbarung wiederherzustellen®', nach Döllingers Sicht im tragischen Abgleiten von Verneinung zu Verneinung, von Angriff zu Angriff^^. Luther sei einer der Väter des weltgeschichtlichen Ungehorsams der Reformation®^ Sein von Melanchthon unterstützter Beichtrat für Philipp I. von Hessen®'* habe ihn allerdings später als Einwilligung zu einem Skandal gereut; er würde es in der Öffentlichkeit ableugnen; sollte das nichts nützen, wolle er lieber seinen Irrtum bekennen, als dem Ärgernis freien Lauf lassen®®.

60 Historisch-politische Blätter (1839), Bd. 4, 549.

61 Ebd.,551.

62 Ebd.,659.

63 Ebd.,556f.

64 Vgl.Anm. 25.

65 Ebd.,580f.

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Das dreibändige Werk über die innere Entwicklung der lutherischen Reformation ist die Frucht intensivster Arbeit Döllingers an diesem Thema. Unterstützt von Edmund Jörg^^, trägt er ein riesiges Material zusammen, um „auf einem Gebiete, auf welchem fast Alles streitig ist“% „die bedeutendsten Männer der Zeit und ihre Aeußerungen und Zeugnisse über das Werk der Reformation und dessen Folgen vorzuführen“^®. „Dagegen sind die polemischen Schriftsteller der katholischen Kirche aus dieser Zeugenreihe absichtlich ausgeschlossen worden“*’’. Jörg rechnet in seinem Brief mit einer Fortsetzung der „Reformation“. Wie grundlegend diese Arbeiten für Döllingers gesamtes Lutherbild geworden sind, beleuchtet auch seine Bemerkung im Brief an Lord Acton vom 27. September 1882: „Ich habe mich seit 34 Jahren nicht mehr mit Luther beschäftigt und zehre, was ihn betrifft, von den

66 Joseph Edmund Jörg an Ignaz Döllinger, 20.7.1848: „Daß Sie auch in Frankfurt die “Reformation” nicht vergessen haben, hat mich freudig überrascht, zumal ich von derselben seit langer Zeit nichts Anderes hörte, als was ich mir selbst von ihr vorsagte. Dieses hätte ich auch schon niedergeschrieben, u[nd] in eine Zeitschrift drucken lassen, wenn ich nicht mit allen Inhabern solcher Recensions-An-stalten gänzlich unbekannt wäre, u[nd] nicht fürchtete, man wolle zur Zeit überhaupt von nichts mehr hören, was älter ist als laufendes Jahr. - Die beiden Stenger, Mengering u[nd] gleich Ihnen bekannte Theologen sind freilich schon in der vorhandenen Sammlung ziemlich vertreten; dagegen ist bisher auffallend wenig von den protest[antischen] Separatisten u[nd] sogen[annten] Fanatikern, deren doch manche, nach Römeling u[nd] A[ndern] zu urteilen, sehr gesunde Einfälle gehabt zu haben scheinen, zusammengebracht. Die Durchsicht der Schriften solcher Männer wäre um so interessanter, als sie meistens in denselben Berichte über ihre Schicksale u[nd] die Geschichte ihrer Geistesrichtung geben. - Ich habe hier, während Ihre Haushälterin das Nöthige in den Arbeitszimmern herrichten ließ, zu Hause die mir überlassenen Bücher durchgesehen, die in fremde Bibliotheken gehörigen alle selbst ex-cerpirt, u[nd] dann sogleich zurückgeschickt, die Cautionen für die Bücher der Staatsbibliothek liegen alle auf Ihrem Schreibtisch; von den in die Universitätsbibliothek gehörigen Büchern waren mehrere gar nicht bescheinigt. Anstatt der zurückgegebenen Schriften muß ich mir nun von Zeit zu Zeit andere, die mir im Verlaufe der Arbeit nöthig werden, holen, um so mehr als viele, von Ihrer gewöhnlichen Schreibmaschine gefertigte Auszüge nur das Gute haben, daß das Citât am Rande steht. - Nach Abfertigung jener Bücher habe ich aus den Ihnen selbst gehörigen u[nd] durchgesehenen Schriften Notizen gemacht, um endlich ganz aufzuräumen. Sodann bin ich an das schwierige Geschäft gegangen, die große Masse des zur Geschichte der Rechtfertigungslehre gehörigen Stoffes zu ordnen u[nd] ihn nach einem bequemen System in ein Register zu bringen. Nachdem auch das für die Geschichte des Beichtwesens neu hinzugekommene Material eingereiht war, habe ich die Zusammenstellung des für die Geschichte der Einführung der Reformation gesammelten Stoffes begonnen, mit der ich gerade jetzt beschäftigt bin. Wenn das hieher Gehörige je nach den einzelnen zu beachtenden Punkten zusammengefaßt, u[nd] logisch wie chronologisch in Zusammenhang gebracht ist, wird die Masse Ihnen einst leicht zu bewältigen seyn. Sollte ich mit dieser Arbeit fertig werden, bevor Sie wieder hieher kommen, so werde ich mir noch den letzten Stein vom Herzen werfen u[nd] die zur Geschichte der Abendmahlslehre gesammelten Materialien ausscheiden u[nd] ein Special-Register darüber anfertigen. - Diese Register werden Ihnen dann zu einem Leitfaden durch das Labyrinth der Excerpten dienen, wenn Sie vielleicht erst zu einer Zeit an die Fortsetzung Ihres großen Werkes gehen, wo ich nicht mehr in München oder nicht mehr auf der Welt bin.“ Döllingeriana II, Joerg, Joseph Edmund, Nr. 2. Transkr., Bd. 7, 62.

67 Döllinger, Reformation I, VI.

68 Ebd.,VII.

69 Ebd.

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um die Zeit 1846-1849 gemachten Studien“™. Hingeführt in die umfassendere Erforschung der Reformationsgeschichte hätten ihn die Vorarbeiten für sein Lehrbuch der Kirchengeschichte. Leopold von Rankes „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation“’’ wird nicht erwähnt. Der Gang der Ereignisse sei oft genug dargestellt worden. Hier gehe es um den „innere[n] Entwicklungsgang des Protestantismus“’^.

Der Abschnitt im dritten Band von Döllingers „Reformation“, „Die neue Lehre von der Rechtfertigung als Erzeugniß eines eigentümlichen Geisteszustandes; Einfluß derselben auf Luthers Charakter und Sinnesweise“’^, verdient eine genaue Betrachtung.

Seine neue Theologie verdanke Luther dem Satan’“*; heftige Versuchungen seien seine Schule gewesen; durch Beichten, Bereuen und Büßen sei sein Gewissen immer zweifelhafter und schwächer geworden; ihn quälten Wollust, Zorn, Haß und Neid. Er habe geschwankt zwischen Selbstüberhebung und Kleinmut und sei nicht zu wahrer Liebe gelangt. Das Gebet verschaffte ihm weder Trost noch Linderung.

Döllinger skizziert folgenden Erfahrungsablauf: Ausgehend von der Meinung, dass asketische Übungen vor Gott einen selbstständigen Wert hätten - als Verdienst, um mit Gott handeln zu können - , stürzte ihn seine Sündhaftigkeit fast in Verzweiflung. Er sehnte sich nach absoluter Gewissheit seines Gnadenstandes und zürnte Gott, weil er ihm diese Gewissheit nicht gab. Endlich ging ihm ein Licht auf: Der radikal böse Mensch sei der Mitwirkung mit der göttlichen Gnade unfähig; er müsse Gott allein alles in und an sich wirken lassen. Auch dem wiedergeborenen Menschen sei es unmöglich, gänzlich von der Sünde freizukommen; nach göttlichem Ratschluß bleibe die Wurzel des Bösen in seiner Natur. Die fortbestehende Sünde werde nur zugedeckt. Der zu eigener Gerechtigkeit vor Gott unfähige Mensch bedürfe also einer fremden, ihm zugerechneten Gerechtigkeit.

1530 habe Luther jedoch bekannt, es sei schwierig, ja fast unmöglich, an dieser Lehre festzuhalten. Er habe den Widerspruch gespürt: einerseits die Pflicht zu haben, auf sein religiös-sittliches Leben die erforderliche Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu verwenden, andererseits fest glauben, dies alles habe vor Gott keine Bedeutung, es zähle nur die gläubige Zurechnung (Imputation) des Verdienstes ChristP.

Ferner habe er gestanden, es sei unmöglich, diese Lehre in der Heiligen Schrift zu finden, wenn man sie bloß lese oder studiere; man müsse die Sache

70 Briefwechsel Döllinger-Acton III, 315.

71 Vgl.Anm.41.

72 Döllinger, Reformation I,V.

73 Döllinger, Reformation III, 173-274.

74 Ebd., 173f.

75 Ebd., 179.

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an sich selber erlebt haben. Auch sei die altkirchliche Lehre vom Wert der guten Werke noch immer nicht ganz in ihm ausgerottet. Junge, von ihm geschulte Leute hätten es da besser’^.

Es sei ein glücklicher Gedanke Luthers gewesen, seine Lehre von der Rechtfertigung „das Evangelium“” zu nennen. Damit wurde jeder seiner Gegner ein Feind des Evangeliums. Wer wider ihn schrieb oder seiner Lehre widerstand, habe es wider besseres Wissen getan, da er im Grunde seines Herzens von der Wahrheit der Rechtfertigungslehre überzeugt gewesen sei. Diese unwiderstehliche geistige Macht habe ihn zum eigentlichen, wahren Apostel Deutschlands gemacht. Von Bonifazius bis zu ihm sei Deutschland noch garnicht christlich gewesen. Die Imputationslehre habe er durch eine spezielle Offenbarung des heiligen Geistes empfangen. Der Wert der neutestamentlichen Bücher hinge von der mehr oder weniger großen Leichtigkeit ab, mit der sie der Rechtfertigungslehre dienten.

Am heftigsten habe sich sein Widerwille gegen das Opfer der Kirche’’ gerichtet. Er verwarf das eucharistische Opfer, weil es im Widerspruch zur Rechtfertigungslehre stände, und nannte es einen Gräuel.

Mit den Werken habe er auch der Werk des Gebetes” verworfen; es sei eine Torheit, den Frieden der Seele im Gebet zu suchen. Der komme durch den Glauben allein. Nicht in Ergebung beten, sondern in kecker, trotziger Zuversicht. Ja, das Beten sollte sogar als Waffe eingesetzt werden: Beten gegen verhaßte Personen, Totbeten.

Ebenso erhob Luther Einwände gegen die aszetische Reinigung des Herzens,’“ die Loslösung von aller Kreatur und das Fasten’'. Was als Gebotenes geschehe, sei vergeblich. Später allerdings wünscht er die Enthaltung von Fleischspeisen durch die weltliche Gewalt wieder eingeführt.

Konzilien und Canones provozierten seinen Widerwillen.” Gesetze im allgemeinen könne man nicht unbedingt verwerfen, nur dürften sie nicht in die Gewissen der Gläubigen hineinreichen, weil der Christ hier, im Bewusstsein seiner imputierten Gerechtigkeit und seines Gnadenstandes, völlig frei sein müsse. Das Wort „Concilium“ sei ihm fast so verhasst wie der Name „freier Wille“.

Für die Gestaltung der Lehre von der Kirche sei es verkehrt, seinen Glauben auf das Zeugnis und das Ansehen der Kirche zu stellen”. Bei Konzilien, Bischöfen und Papst stehe man nicht auf Gottes Wort, sondern auf Menschenwahn. Das Los

76 Ebd.

77 Ebd., 183.

78 Ebd., 187.

79 Ebd., 188.

80 Ebd., 191.

81 Ebd., 192.

82 Ebd., 194.

83 Ebd., 197.

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der Christen vor ihm (1500 Jahre) etikettierte er entweder mit „Im Papsttum war der Himmel zu“ oder ordnete an, darum habe die jetzige Generation sich nicht zu kümmern. Im Tempel Gottes sitze der Antichrist (= Papst). Doch habe er, Luther, mit seinen Anhängern die Trennung nicht begonnen, man habe sie gewaltsam ausgestoßen^'*.

Doch kamen ihm auch Bedenken. Es sei hart, alle Väter der Kirche des Irrtums zu beschuldigen*’. Und immerhin habe man vom Papsttum Gottes Wort, Apostelamt, heilige Schrift, Taufe, Sakrament und Predigtstuhl übernommen; was wüsste man sonst davon? Die Kirche habe viele heilige Leute: St. Augustinus, Ambrosius, Hieronymus. Allerdings müsse ihm Jesus Christus mehr gelten.

Die Protestanten seien keine Ketzer, nur Schismatiker**’. Werdaran zweifele, was bei allen Kirchen und bei der ganzen Christenheit in aller Welt einträchtig für wahr gehalten würde, der tue eben so viel, als glaubte er keine christliche Kirche, und verdamme damit nicht allein die ganze heilige christliche Kirche als eine verdammte Ketzerin, sondern Christum selbst mit allen Aposteln und Propheten. Aus diesem Schwanken, sagt Döllinger, sei Luther nie herausgekommen.

Immer wieder habe er sich darum bemüht, seinen Beruf als Gründer einer neuen Kirche nachzuweisen,*’ allerdings in 24 Jahren seine Meinung „vierzehnmal“ geändert. Ich berichte hier und da zusammenfassend:

84 Ebd.,201.

85 Ebd.

86 Ebd., 204.

87 Ebd., 205-208.

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Wer etwas Neues auf die Bahn bringen, Gründer einer neuen Religionsgesellschaft sein wolle, der müsse sich wie die Apostel durch Zeichen und Wunder^^ legitimieren. Doch hoffe er, es werde nicht vonnöten sein. Auf jeden Fall werde man am baldigen Sturz des Papsttums die Richtigkeit seines biblischen Verständnisses erkennen können. Das größte Wunder allemal sei die Absolution durch den Mund lutherischer Prediger, durch welche Gott täglich der Hölle ihren Raub entreiße. Ferner bezeichnete er die erdichtete Weissagung des Jan Hus (1372/73-1415) als Zeichen seines göttlichen Berufes.^’ Alle natürlichen Phänomene wie Sternschnuppen, Sturmwetter, Missgeburten von Frau und Kuh galten als Zeichen des neu aufgegangenen Evangeliums oder als Ankündigung des göttlichen Zornes.

Auch die Schnelligkeit’'’, mit der sich seine Lehre verbreitete, habe Luther als Beweis für ihre Wahrheit gegolten. Dies sei ihm allerdings verleidet worden durch den sittlichen Zustand der neuen Gemeinden und die Sektenbildung („Rotten“). Ihre Uneinigkeit sei ein Zeichen der Lehre Satans. Er hoffte, die alte Kirche würde sich bald auflösen und in der neuen aufgehen”.

Sein schriftstellerischer Ruhm’^ sei ihm gleichgültig gewesen. Er wünschte, dass seine Schriften untergingen. Andererseits habe ihm seine Ehre’’, sein Ansehen, seine geistige Herrschaft als eine Sache von höchster Bedeutung gegolten. Unberufene Prediger seien dem Henker (Meister Hansen) zu überliefern’'*. Nach seinem Tode befürchtete er den Ausbruch von Anarchie”.

Gegen die Sekten habe Luther grimmig polemisiert; Höre der Pöbel prächtige

88 Ebd.,208.

90 Ebd., 212.

91 Ebd., 213.

92 Ebd., 216.

93 Ebd.

94 Ebd., 217.

95 Ebd., 218.

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Lästerworte’^, so stimme er zu und glaube sie, frage nicht weiter nach Grund und Ursache. (Döllingers sarkastischer Kommentar: Die Wiedertäufer waren bei ihm in einer prächtigen Schule.) Es sei überhaupt ein schlüpfrig Ding um die Ketzer’L Sie trügen ihr Gutdünken in die Schrift, und diese müsse sich nach ihrem Kopf und Verstand richten, beugen und lenken lassen. Rottenmeister (= Sektenführer) und Verführer ließen sich nicht bekehren. „Also kann ich kurzum auch nichts hören noch leiden, das meiner Lehre entgegen ist; denn ich bin deß gewiß und sicher durch den Geist Christi, daß meine Lehre von der Gerechtigkeit Christi ganz rechtschaffen und gewiß ist“’^.

Allerdings geriet Luther durch die feste Zuversicht aller Lehrer der verschiedenen Sekten in Verlegenheit, da sie auf dem gleichen Fundament gründeten wie er: auf der Erleuchtung vom göttlichen Geiste”.

Nach dem Zerbrechen der kirchlichen Autorität'“ gehöre das Urteil der Herde, den Schafen, nicht den Predigern. Es solle auf eigenes, individuelles Bibelstudium gegründet sein, so dass man auch von jedem Knaben Lehre annehmen könne. Man solle bei den einfältigen Worten bleiben, es sei denn, ein Glaubensartikel erzwinge ein anderes Verständnis. Der Artikel von der imputierten (= zugerechneten) Genugtuung und Gesetzerfüllung Christiquot;quot; liege in der heiligen Schrift offen und jedem erkennbar zu Tage. Es bedürfe weder einer besonderen Auslegungskunst noch eines gelehrten Apparats. Jeder Mensch könne sie sich in Gedanken zueignen, um sofort vor Gott gerecht und Erbe der Seligkeit zu sein. Wer das glaube, habe den unfehlbaren Prüfstein jeder Lehre.

Als jedoch die Zuhörer diese Vorschriften genau befolgten'“, beschwerten sich die Prediger, man wolle ihre Lehren prüfen und richten, mit ihnen disputieren und beharre allzu fest auf eigenen Meinungen und Deutungen. Das wiederum habe Luther zu der Klage veranlasst, die Zuhörer pflegten eine missfällige Lehre als Menschenlehre einzustufen und bei der Beurteilung einer Predigt oder eines Predigers die Kriterien von Bequemlichkeit und Tröstlichkeit anzuwenden.

Der drohenden völligen Auflösung'“ sei Luther damit begegnet, dass er den weltlichen Beamten, den Fürstenhöfen und den städtischen Magistraten in letzter Instanz das Recht übertrug, bei zweierlei Predigt einzugreifen, um Uneinigkeit und Aufruhr zu verhüten. Dem unrecht Lehrenden gebe man Urlaub (d. h. man verweise ihn der Stadt).

96 Ebd.

97 Ebd., 219.

98 Ebd., 220.

99 Ebd.

100 Ebd., 221.

101 Ebd., 224.

102 Ebd.

103 Ebd., 227.

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Die Mehrzahl verstehe die Glaubenspredigt fleischlich’®*. Das Leben der Lutheraner sei schandbar, aber er, Luther, habe sich nicht so sehr um das Leben als um die Lehre zu kümmern. „Je älter, je kärger, je länger, je ärger“. Döllingers Urteil: Nicht ethische Reinigung und Heiligung des Menschen, sondern nur Tröstung und Beruhigung geängstigter Gewissen sei der vornehmste und allein wesentliche Zweck der Religion gewesen.'“ Luthers Missmut und Zorn'“ seien die Reaktionen eines Parteihauptes und Heerführers und nicht der ethische Unwille und die religiöse Indignation eines Priesters und Lehrers gewesen. Sie hätten sein Dasein verdüstert.

Der Kardinalpunkt der lutherschen Doktrin'“ sei die völlige Passivität des Menschen in seiner Bekehrung, die Unfähigkeit zu jeder Mitwirkung bei seinem Heile. Der Unglaube'“ allein sei Sünde und tue Sünde; der Glaube allein sei und tue alle Gerechtigkeit. Ohngeachtet, dass der Mensch Sünde täte, würde er dem Gesetz doch sagen: Nein, ich habe keine Sünde. Auch der Gerechte begehe fortwährend soviel Todsünden, dass er sie nicht alle wissen und daher auch nicht alle beichten könnte. Jeder Angriff auf dieses erquickende Licht in der Finsternis seines Gemütes, alle Bedenken gegen die Haltbarkeit dieser Lehre seien für Luther der Versuch gewesen, ihn in seine frühere Geistesnacht zurückzustoßen.quot;”

2.3.2 Döllingers Vorstellung von der charakterlichen Entwicklung Luthers

Luthers Lehre, dass es der Glaube an Jesus Christus allein sei, der dem Sünder Heil bringe und alle Gerechtigkeit tue, sei aus tiefster Angst und von einem an Gott irre gewordenen Geist in die Welt geschleudert worden und musste nach Döllingers Verständnis der treibende Pulsschlag in Luthers Dasein bleiben.

Als Reformator habe er seine Lebensweise geändert: Früher asketischmager, jetzt ein fröhlicher Collationsgesell, der im Sarge den Maden einen feisten Doktor zu essen geben wollte, habe er der Neigung zum Weine bis zur Untergrabung der Gesundheit nachgegeben - wohl in Folge quälender Zweifel und Gewissensbisse.quot;quot; Sein Lebenswandel, so Döllinger, vor 1518 unbescholten, habe später Ärgernis gegeben, - auch der seiner Kollegen. Von ihm selbst eingestanden, sei dies bei allen der Anstoß zur Verwerfung seiner Lehre gewesen.'quot;

Er habe keine Ruhe gefunden. Dass er sich mit seiner Lehre von der Kirche losgesagt hatte, verfolgte ihn wie ein Schatten. Die Einstufung dieses Vorwurfs

104 Ebd.,231.

105 Ebd.,234.

106 Ebd.,235.

107 Ebd.,236.

108 Ebd.,238f.

109 Ebd.,239f.

110 Ebd.,240f.

111 Ebd.

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als satanische Versuchung stritt mit dem Einwand, Gott habe seine Kirche nicht so viele Jahrhunderte irren lassen können. „Mag auch Cyprian, Ambrosius, Augustin, St. Peter, Paulus, Johannes, ja ein Engel vom Himmel anders lehren, so weiß ich doch gewiß, daß ich nicht Menschliches, sondern Göttliches lehre, d. h. daß ich Gott Alles beilege und dem Menschen nichts“ (Commentar über den Galaterbrief, Francf. 1543. f. 63.).quot;^ Sein Leben war beherrscht von Zweifeln und Anwandlungen des Unglaubens. Aber Paulus habe sich in derselben Lage befunden.quot;’

Bei ihm drohte die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu versagen. Drei Gründe gebe es dafür, an seiner Lehre irre zu werden: a) die durch sie erzeugten schlechten Wirkungen; b) die Trennung von der ganzen Kirche ihretwegen; c) die vielen biblischen Stellen mit der entgegengesetzten Lehre.quot;'* Über Tag wehrte er sich durch anhaltendes Arbeiten und mancherlei Zerstreuung gegen diese Gedanken, nachts war der Satan sein nächtlicher Gesellschafter und Bettgenosse, „der sehr viel mehr bei ihm schlafe, als seine Käthe“.quot;’

Die unaufhörlichen Beängstigungen seines Gewissens entstammten -seinem eigenen Urteil nach-derjugendlichen Prägung durch die entgegengesetzten Lehren von der Notwendigkeit der guten Werke und der Autorität der Kirche. Eine jüngere Generation werde diesen Versuchungen nicht ausgesetzt sein.quot;’ Er konnte nie das Bewusstsein abschütteln, die von ihm verlassene Kirche sei doch die eine, wahre, der göttlichen Verheißungen noch immer teilhafte. „O! mit wieviel großer Müh und Arbeit, auch durch gegründete heilige Schrift, habe ich mein eigen Gewissen kaum können rechtfertigen, daß ich Einer allein wider den Papst habe dürfen auftreten, ihn für den Antichrist halten, die Bischöfe für seine Apostel, die hohen Schulen für seine Hurenhäuser. Wie oft hat mein Herz gezappelt, mich gestraft, und mir vorgeworfen ihr einig stärkest Argument: Du bist allein klug? Sollten die Andern alle irren, und so eine lange Zeit geirrt haben? Wie wenn Du irrest, und soviel Leut in Irrthum verführest, welche alle ewiglich verdammt würden?“ (Walch. Ausg. XIX, 1305).quot;’ Seine Hauptsünde habe ihm der Teufel allerdings nie vorgeworfen: dass er viele Jahre lang Messe gelesen.quot;®

Die psychologisierende Erklärung der bitteren, beißenden Schmähungen in Luthers Polemik, die in ihrer Überfülle unter allen literarischen Erzeugnissen des Altertums und Mittelalters einzig daständen, findet Döllinger in der inneren Angst des mahnenden Gewissens, die durch heftige Scheltworte betäubt werden

112 Ebd.,243.

113 Ebd.,244f.

114 Ebd.,245f.

115 Ebd.

116 Ebd., 247, Anm. 161: „Tanto juvenum hoc tempore melior conditio, qui pravis istis opinionibus non ita sunt corrupti, sicut nos, qui sub Papatu viximus.“ (Um so besser ist die Lage der jungen Leute derzeit, die durch jene verkehrten Auffassungen nicht so verdorben sind wie wir, die unter dem Papsttum gelebt haben).

117 Ebd., 248.

118 Ebd., 249.

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sollte.quot;’ Luthers theologische Kampfesweise sei beispiellos gewesen. Der Grund liege nicht in den damaligen Zuständen und der insgesamt grobianistischen literarischen Richtung Deutschlands im 16. Jahrhundert, sondern in Luthers Individualität. Seine ganze Stimmung habe ihn dazu getrieben, alles in der alten Kirche im schlimmsten Sinne auszulegen. Seine zuchtlose Polemik sollte den inneren Mahner zum Schweigen bringen.'^“

Stellen der heiligen Schrift, die seinem System widersprachen, lösten bei ihm schwere Geisteskämpfe aus, z. B. 1 Tim 5,1 If, die jungen Witwen, die aus ihrem gelobten keuschen Witwenstande heraus wieder heiraten wollten und deswegen verdammt würden - ein starker Widerspruch gegen seine Lehre von der Verwerflichkeit und Unverbindlichkeit der Klostergelübde und seine ganze Theorie von der evangelischen Freiheit.'^'

Im Briefwechsel findet Döllinger die Bestätigung für die eigentümlichen Seelenleiden Luthers. So schrieb er 1527 an Philipp Melanchthon: „Ich hatte fast den ganzen Christus verloren und ward in den Stürmen und Fluthen der Verzweiflung und der Gotteslästerung umhergeworfen“ (De Wette III, 189). Seine Kenntnis der heiligen Schrift reiche gegen den Satan nicht aus.'^^ In der Familie und im kleinen Kreise würden seine Äußerungen zaghaft und zweifelnd. Er habe seiner eigenen Kirche bei der Geburt den Mühlstein um den Hals gehängt, der sie der Willkür der Fürsten, der Habgier und Herrschsucht des Adels, dem Geize und der Zügellosigkeit der Städter, dem Trotze und der Gleichgültigkeit des Landvolkes überlieferte. Als ihm Käthe seinen kleinen Sohn brachte, äußerte er: „Ich wollte, daß ich in des Kindes Alter gestorben wäre, da wollte ich alle Ehre um geben, die ich habe und noch bekäme in der Welt“ (Tischreden, hg. von Förstemann I, 200).'^^ Die Seele des starken Mannes habe tiefe Entmutigung durchzogen, die Zustände hätten seine Lehre in der Praxis widerlegt. Jedermann, klagte Luther, berufe sich auf die christliche Freiheit nur zum fleischlichen Mutwillen; Sünde und Schande seien so allgemein geworden, dass man sie nicht mehr als solche ansähe.'^'*

Wenn je der Charakter eines Mannes durch die öffentliche Stellung, in die er gekommen, verzerrt und verdorben worden sei, so sei dies bei Luther der Fall gewesen. - Döllinger urteilt hier als ein Historiker, der selber zeitlebens in öffentlichen Ämtern und publizistischen Auseinandersetzungen stand und das Schwert der Polemik wohl zu führen wusste. - Ohne Zweifel habe Luther schon von Hause aus eine Anlage zu heftiger Leidenschaftlichkeit, zu starrsinniger und trotziger Verhärtung mitgebracht. Er selbst habe sich daran erinnert, dass

119 Ebd.,251.

120 Ebd.,252f.

121 Ebd.,254.

122 Ebd.,255f.

123 Ebd.,258f.

124 Ebd.,261.

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er als Knabe in der Sehule einmal an einem Vormittage fünfzehnmal mit Ruthen gestriehen worden sei (Tischreden, Eisleben 1566. f. 458. a.).'^^ Sein Urteilsvermögen habe sich verkehrt und verfinstert: Erasmus'^^ sei ein Atheist, Zwingli'2’ ein Heide. Herzog Heinrich von Braunschweig'^® wirft er neben vielen Lastern Meuchelmord und Mordbrennereien vor. Herzog Georg von Sachsen'^’ sei nicht allein geistlich, sondern leiblich vom Teufel besessen und so toll, dass keine Buße mehr von ihm zu erwarten sei; man solle wider ihn an beten. Herzog Moritz von Sachsen'^quot; müsse man totbeten.Heinrich VIII. von England'’^ nannte er einen Verräter und Mörder, einen Stocknarren dessen Gott der Teufel sei.'”

In Wittenberg sei Luther mit fast allen verfeindet gewesen, ausgenommen Jonas'”, Bugenhagen'”, Cordatus'” und Amsdorf”. Melanchthon'” habe sich geduldig in eine Knechtschaft gefügt, die er später als schimpflich bezeichnete.'” Die Gabe, alles zu verdächtigen, sei Luther zur zweiten Natur geworden; jeder Denunziation habe er williges Gehör geliehen. Das Verzerrte, Unnatürliche, Unglaubliche hätte einen besonderen Reiz für ihn gehabt. Das Abgeschmackteste und Verrückteste habe er begierig aufgegriffen und in seinen Briefen überallhin verbreitet: Die Papisten vergifteten seinen Wein und sein Gewürz, sie würden die Milch mit Gips vermischen. Opfer seien in Jena, Magdeburg, Nordhausen und Altenburg zu beklagen.''quot;’

Die schweren Vorwürfe sittlichen Fehl verhaltens, die im Streit um Luthers historische Wertung erhoben werden''*', seine Reaktion auf das Verhalten der

125 Ebd.

126 Desiderius Erasmus von Rotterdam (1466/69-1536), Humanist.

127 Huldrych Zwingli (1484-1531), schweizerischer Reformator.

128 Heinrich der Jüngere, Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel (1489-1568).

129 Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen (1471-1539).

130 Moritz, Kurfürst von Sachsen (1521-1553).

131 Das Grimmsche Wörterbuch erklärt unter dem Stichwort ,beten‘ unter 4 (transitiv): beten, herbeten: man sagt einen tod oder lebendig beten, durch ein gesprochenes Gebet töten oder erwecken: ihro hochwürden können doch die todten nicht wieder lebendig beten. Gotta 3,111. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, 1. Band, Leipzig 1854, 1698. Fotomechanischer Nachdruck der Erstausgabe 1854, DTV München 1999. Ähnlich der sprichwörtliche Wunsch: „Dass er des jähen Todes stürbe!“ Karl Friedrich Wilhelm Wander, Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Leipzig 1867, IV, 1244, Stichwort „Tod“ Nr. 423. Fotomechanischer Nachdruck. Augsburg 1987.

132 Henry VIll of England ( 1491 -1547).

133 Döllinger, Reformation III, 264-267.

134 Justus Jonas (= Jodocus Koch) (1493-1555), Reformator.

135 Johannes Bugenhagen (1485-1558), Reformator.

136 Konrad Cordatus (= Hertz) (1480-1546), lutherischer Theologe.

137 Nikolaus von Amsdorf (1483-1565), lutherischer Theologe.

138 Philipp Melanchthon (= Schwartzerdt) (1497-1560), Reformator.

139 Döllinger, Reformation III, 268; vgl. Anm. 53.

140Ebd..271f.

141 Vgl. unten die Auseinandersetzung zwischen John Acton und Döllinger.

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Aufständischen im Bauernkrieg 1524-25''*^ und sein Antijudaismus, werden von Döllinger an dieser Stelle als Beispiele einer charakterlichen Fehlentwicklung Luthers aufgeführt. Er habe Fürsten und Adel aufgerufen, die aufgestandenen Bauern totzuschlagen, zu stechen, zu hauen und zu würgen, denn jetzt sei des Schwertes und des Zornes Zeit.''*’ Und zuletzt habe er noch einen Vertilgungskrieg gegen die Juden in Deutschland anfachen wollen; „Man stecke ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer an, und was nicht brennen will, überhäufe man mit Erde und beschütte es, daß kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich; man zerbreche und zerstöre ihre Häuser; man nehme ihnen alle Betbüchlein und Talmudisten. Man verbiete ihren Rabbinen bei Leib und Leben, hinfort zu lehren; man hebe den Juden das Geleit und Strafe (Schutz) ganz und gar auf. Man verbiete ihnen den Wucher, und nehme ihnen alle Baarschaft und Kleinod an Silber und Gold, und lege es bei Seite zu verwahren“ - und wenn das nicht helfe, müsse man sie wie tolle Hunde ausjagen (Walch, Ausg. XX, 2475.2478.2500.2509).''*'*

Luthers eigene Ratlosigkeit habe sich in der Korrespondenz der beiden letzten Lebensjahre gezeigt. Seine Briefe an ratlose Geistliche begannen mit den Worten: „Ich weiß wahrlich nicht, was ich Dir schreiben soll; unsere einzige noch übrige Hoffnung ist die Nähe des Weitendes“ u.ä.*'*’ Er sei am 18. Februar 1546 gestorben mit der Bitte an die Anwesenden: „Betet für unsern Herrn Gott und sein Evangelium, daß es ihm wohl gehe, denn das Concilium zu Trident und der leidige Papst zürnet hart mit ihm“ (De Wette V, 785).*'*®

142 „Bauernkrieg“ ist der zusammenfassende Begriff für die Summe von Aufständen in Salzburg, Tirol, im Allgäu, in Schwaben, am Oberrhein, in Franken und Thüringen, deren Forderungen in den „zwölf Artikeln der Bauernschaft in Schwaben Mitte März 1525 veröffentlicht wurden. Der thüringische Theologe Thomas Müntzer (1490-1525) hatte mit seinen endzeitlich-kommunistischen Vorstellungen großen Erfolg und forderte, weit über Luthers Vorstellungen hinausgehend, größere eigene Aktivität zur Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden und die Beseitigung sozialer Not, um frei zu sein für Bibelstudium und Empfang des Heils. Luther, zunächst um Vermittung bemüht, forderte im Mai 1525 die rücksichtslose Niederwerfung der „räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“. Vgl. Der Große Ploetz. Die Daten-Enzyklopädie der Weltgeschichte. Daten, Fakten, Zusammenhänge, Freiburg i.B. 2002, 806f.

143 Döllinger, Reformation 111, 272.

144 Ebd. Diese Zitate stammen aus Luthers Schrift „Von den Jüden und jren Lügen“ aus dem Jahre 1543, gedruckt zu Wittenberg durch Hans Lufft. Auf die Frage, was Luther zu diesem Hassausbruch veranlasste, schreibt Nachum T. Gidal in seinem Werk „Die Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik“, Köln 1997, 82f.: Anfangs habe Luther gehofft, die Juden bekehren zu können; ihren Widerstand dagegen betrachtete er als Folge der grausamen Verfolgungen durch die katholische Kirche. In seiner Schrift von 1523 „Das Jhesus Christus ein gebomer Jude sey“ betrachtet er den Juden als einen Menschenbruder, der zur Gnade Jesu gerufen werden soll. Das waren im Christentum neue Töne. Doch die glaubensstarken Juden ließen sich nicht darauf ein; ihre Verfolgung führte sie zu einer tiefen Verachtung der Täter und deren Religion. Luthers Enttäuschung über das Misslingen seiner Bekehrungsmission schlug in völlige Ablehnung, ja Hass um. Noch in seiner Predigtam 15. Februar 1546 in seiner Geburtsstadt Eisleben, drei Tage vor seinem Tode, forderte er dazu auf, die Juden des Landes zu verweisen.

145 Döllinger, Reformation III, 273.

146 Ebd., 274.

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Döllinger lässt Luther selbst in der Beurteilung seiner Lehre zu Wort kommen, da er sich, häufig mit der ihm eigenen Klarheit, Bestimmtheit und Fülle des Ausdruckes über die höchst wohlthätige ethische Wirkung geäußert habe, die er sich von seiner Lehre versprach, oder die sie bereits hervorgebracht habe: „Unser Evangelium hat. Gottlob! viel großes Gut geschafft. Es hat zuvor Niemand gewußt, was das Evangelium, was Christus, was Taufe, was Beichte, was Sakrament, was der Glaube, was Geist, was Fleisch, was gute Werke, was die zehn Gebote, was Vaterunser, was Beten, was Leiden, was Trost, was Ehestand, was Eltern, was Kinder, was Herr, was Knecht, was Frau, was Magd, was Teufel, was Engel, was Welt, was Leben, was Tod, was Sünde, was Recht, was Vergebung der Sünden, was Gott, was Bischof, was Pfarrherr, was Kirche, was ein Christ, was das Kreuz sei; Summa wir haben garnichts gewußt, was ein Christ wissen soll. Alles ist durch die Papstesel verdunkelt und unterdrückt.“''’’ Soweit Luther über seine eigene Lehre.

Hier lasse ich ein längeres Döllingerzitat folgen, um nebenbei auch eine Kostprobe seiner Sprache als Schriftsteller zu geben: „Eine Wahrnehmung war es vor Allem, welche dem Reformator zu Wittenberg immer wieder bittere und zornige Klagen auspreßte; es war die der bedrängten, herabgedrückten, jeder Verachtung und Mißhandlung bloß gegebenen Stellung, in welcher die Prediger der neuen Lehre sich fanden. Unbegreiflich war ihm, daß man seiner Lehre so bereitwillig entgegenkomme, in ganzen Städten und Ländern ihr mit beispielloser Leichtigkeit und Schnelligkeit zufalle, und doch wieder für die bestellten Verkündiger dieser Lehre nichts thun, ihnen über den einfachen Vortrag des Lehrbegriffs hinaus keine Macht und keinen Einfluß gestatten, überhaupt ihnen jene Stellung und Autorität, welche die Priester der alten Kirche besessen, nicht mehr einräumen wollte. Alle Stände, die höheren wie die niederen, schienen sich ihm zur Unterdrückung der Prediger verschworen zu haben. Immer wieder drängte sich ihm der Vergleich auf zwischen den früheren Zuständen, wie sie unter der alten Kirche bestanden, und zwischen den gegenwärtigen, wie sie theils durch die direkten und berechneten Bemühungen Luther‘s und seiner Gehülfen, theils als die natürlichen, wenn gleich von ihnen nicht beabsichtigten Folgen der von ihnen aufgestellten Principien sich gestaltet hatten. Mit glänzendem Erfolge war es gelungen, die altkirchliche Disciplin, die Beichte, die Bindegewalt, die hierarchische Ordnung und Gliederung des geistlichen Standes, das Priesterthum zugleich mit dem

147 Döllinger, Reformation I, 289.

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eucharistischen Opfer aufzulösen, und schon in der zweiten unter der Herrschaft der protestantischen Lehre herangewachsenen Generation waren diese Institute, wenigstens größtentheils, selbst aus der Erinnerung des Volkes verschwunden. Jetzt war der organische Verband der Kirche zerrüttet, der sakramentale Charakter der Ordination verworfen, die Kette der apostolisch-bischöflichen Sukzession mit dem Episkopat selbst abgerissen; in hundert Schriften, in zahllosen Predigten war es dem Volke eingeprägt worden, daß Alles, die ganze Verfassung der Kirche, vom einfachen Unterschiede des Klerus und der Laien an, durch alle Abstufungen und Einrichtungen hindurch, bis hinauf zum Papste, auf Lug und Trug, auf Usurpation beruhe, daß dieß Alles schriftwidriger Mißbrauch und Gräuel sei.“'“’

Und noch einmal Döllinger selbst: „Mitunter kam ihm (Luther) der Zustand der Dinge, wie er ihn um sich herum sah und hörte, ganz unbegreiflich vor; entweder, schrieb er an Amsdorf, müsse er die Welt früher nie recht gesehen haben, oder es müsse, während er schlafe, täglich eine neue Welt entstehen; denn überall sei jetzt nur Hader und Unfriede, Jeder fühle sich gekränkt und mißhandelt, Jeder aber habe immer vollkommen Recht. Wiederum wußte er keinen anderen Trost, als den, daß bei der allgemeinen Verachtung des Wortes der jüngste Tag nahe sei. Und in der That wünschte er nicht nur sich, sondern auch allen den Seinigen einen baldigen Tod, damit sie nur ,diesem fanatischen Zeitalter‘ entrückt würden; selbst seine liebste Tochter Margarethe, schrieb er am 5. Dezember 1544 an Jakob Probst, könne er ohne Gram noch vor sich sterben sehen.“

„Dringend hatte man ihn aufgefordert, er solle doch noch ein Buch über die Kirchendisciplin schreiben, und damit, wo möglich, etwas Ordnung in das Chaos bringen, welches an die Stelle der altkirchlichen Ordnungen getreten war. Er wies jedoch diese Aufforderungen beharrlich von sich; er sei, schrieb er dem Prediger Lauterbach, zu alt, erschöpft und träge, habe auch vor Briefschreiben keine Zeit. Vielleicht hielt ihn das Bedenken zurück, daß er, um etwas Haltbares über diesen Gegenstand aufzustellen, sich wieder in den größten Widerspruch mit seinen früheren Behauptungen setzen müsse.“'“’

Das Bitterste, das einem Menschen begegnen kann, der sich einem Werke ungeteilt gewidmet hat, ist: zuletzt ein wegwerfendes Urteil darüber fällen zu

148 Ebd.. 324f.

149 Ebd., 358 f.

150 Döllinger, Reformation II, 693-704.

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müssen. Der gewaltigen Aufregung der Leidenschaften folgte kein Aufschwung einer neuen und geläuterten Religiosität und Sittlichkeit. Nur das Gefühl der äußersten Not über die traurige Wirklichkeit konnte Klagen erpressen, die den Verfechtern der alten Kirche so willkommen waren. Das Wort ,Evangelium' bedeutete: einen kürzeren, leichteren, bequemeren und angenehmeren Weg zum Himmel gezeigt zu bekommen, den erst die Reformatoren wieder aufgefunden hätten. Den Menschen seien schwere Lasten abgenommen worden. Doch nach dem Urteil vieler protestantischer Theologen und Prediger habe ein sehr großer Teil des deutschen Volkes schon nach wenigen Dezennien das neue Kirchenwesen mit ungünstigen Augen angesehen.

Man klagte über die allgemeine Missachtung des geistlichen Standes in der neuen Kirche, über die Bevormundung der Prediger durch die weltliche Macht, durch Adel und Beamte, über den Mangel an kirchlicher Disziplin. Die Leute wollten nichts mehr mit guten Werken zu schaffen haben. Das Fluchen, Schwören und Lästern hatte stark zugenommen. Über kirchliche Streitfragen wurde in Wirtshäusern und Familien in plump zugreifender Vertraulichkeit disputiert mit zunehmender Abstumpfung des feineren religiösen Sinnes - unter dem Regiment von Bier- und Weinkrügen.

Bei der Uneinigkeit der Prediger wusste man nicht so recht, was und wem man glauben sollte. Sie wirkten dogmatisch haltlos und unsicher. Das einzige Heilmittel schien, die Theologen, Prediger und ihre Häupter totzuschlagen. Die Kanzel verkam zur geistlichen Marktschreierbude. Mit der Aufhebung der speziellen Beichte entfiel das wirksamste Mittel der Einwirkung auf das Gewissen des Einzelnen.

Dem anfänglichen Aufschwung des Schulwesens folgte bald eine lange Zeit des Verfalls. Allerdings sorgte die Verheiratung der Prediger für Nachwuchs von Kleruskandidaten, da die Söhne meist genötigt waren, den Beruf der Väter zu ergreifen.

2.3.7Zusammenfassung: Döllingers Urteil in seiner Lebensmitte über Luther

Für Döllinger ist Luthers Charakter geprägt durch die existentiellen Erfahrungen des jungen Mönchs und deren religiöse Deutung. Ausgangspunkt ist die innere Not, die ihn im Gefühl der Ungewissheit seines Gnadenstandes bedrängt. Missglückende asketische Bemühungen machen sein Gewissen immer unsicherer. Wollust, Zorn, Hass und Neid quälen ihn - Satan knechtet ihn. Er sieht sich als radikal bösen Menschen, der Mitwirkung mit Gottes Gnade unfähig. Auch im wiedergeborenen Menschen bleibe die Wurzel des Bösen. Vor der Verzweiflung rettet ihn der Glaube an den rechtfertigenden Herrn Jesus Christus, der Glaube allein. Die fortbestehende Sünde wird durch Gottes Gerechtigkeit zugedeckt. Gottes Gerechtigkeit wird dem Sünder zugerechnet.

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Diese Rechtfertigungslehre „das Evangelium“ zu nennen, bezeichnet Döllinger als glücklichen Gedanken - im Sinne Luthers. Das machte jeden Gegner zum Feind des Evangeliums. Mit diesem Evangelium wird Luther zum eigentlichen Apostel Deutschlands. Sein Kampf gegen die alte Kirche in ihren liturgischen, sakramentalen und rechtlichen Formen macht diese zu Menschenwerk und Menschenwahn. Folglich könne man seinen Glauben nicht auf das Zeugnis und Ansehen der Kirche stellen.

Aber Luther schwankt. Es sei doch hart, alle Väter der Kirche des Irrtums zu bezichtigen. Und vom Papsttum habe man Gottes Wort, Apostelamt, heilige Schrift, Taufe, Sakrament und Predigtstuhl genommen; was wüsste man sonst davon? Döllinger stellt fest: Aus diesem Schwanken ist Luther nie herausgekommen. Die häufig wechselnden Argumente zur Rechtfertigung seiner Position als Gründer einer neuen Kirche verraten seine Unsicherheit.

Wer seine Rechtfertigungslehre angreift, wirkt auf Luther wie jemand, der ihn in seine frühere Geistesnacht zurückstoßen will. Sein äußeres Erscheinungsbild folgt seiner veränderten Lebensweise: er ist ein fröhlicher Esser und Trinker - bis zur Untergrabung seiner Gesundheit. Er findet keine Ruhe. Über Tag anhaltendes Arbeiten, nachts der Satan sein Gesellschafter. Sollten alle anderen irren? 1st er allein klug? „Wie oft hat mein Herz gezappelt, mich gestraft“.

Die innere Angst soll durch heftige Scheltworte bekämpft werden. Luthers Schmähsprache ist einzigartig in den literarischen Erzeugnissen des Altertums und des Mittelalters.

Heftige Leidenschaftlichkeit und eine Neigung zu Starrsinn, abgelöst durch tiefe Entmutigung über die Zustände, an denen seine Lehre nichts ändern kann, werfen ihn hin und her. Dazu ein großes ,Geschick‘, sich Feinde zu machen, alles und alle unter Verdacht zu stellen - ein schwieriger Zeitgenosse.

Die Ehe mit Katharina von Bora kann auch nicht gerade Döllingers Sympathie beflügeln, von seinem Hetzen gegen rebellierende Bauern und unbekehrbare Juden ganz zu schweigen.

Döllinger entwirft das Bild eines Mannes, der in seinem religiösen Orden fehl am Platze und in seiner Neuorientierung unsicher - in seinen Wirkungen aber urgewaltig ist und bleibt.

2.3.8 Döllingers Lexikonartikel von 1851

In der ersten Auflage des Kirchenlexikons von Wetzer und Weite'’’ verfasste Döllinger neben anderen Artikeln den über Luther. Die den Schluß

151 In der Bibliotheca Döllingeriana, dem 1893 erschienenen Katalog der Bibliothek des verstorbenen Kgl. Universitäts-Professors JJJ. von Döllinger, erscheint das Lexikon unter der Nummer 9940: „Wetzer u. Welte, Kirchen-Lexikon oder Encyklopädie der kath. Theologie, 12 Bd. Frbg. i. B. 1847-56 u. Generalregister Frbg.i.B. 1860“.

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bildende umfangreiehe Charakterisierung Luthers richtet sich vollständig nach den Ergebnissen seines Werkes über die innere Entwicklung der Reformation im Umfange des lutherischen Bekenntnisses. Doch werden einige Züge besonders kräftig gezeichnet. Diese stelle ich hier zusammen:

Der Sohn des Bauern von Möhra muß den großen, ja größten Männern beigezählt werden, da er, mit gewaltigen Kräften und Gaben ausgerüstet, als kühner Gesetzgeber im Reiche des Geistes Millionen sich und seinem System dienstbar machte. Er war ein teilnehmender Freund, frei von Habsucht und Geldgier, bereit, anderen zu helfen. Als Reformator und Stifter einer neuen Kirche pflegte er eine Sprache, die in seinen Zuhörern zweifelloseste Zuversicht und unfehlbarste Gewissheit vermittelte. Eine seiner Lieblingsideen war: der größte Teil der Menschheit stehe unter der Herrschaft des Teufels. Ihm selbst drohe überall der Tod, vor allem durch Vergiftung.

Unerschütterlich widerstand er seinen Gegnern; war er jedoch allein mit seinem Gewissen, wich die Zuversicht dem Zweifel. Als Polemiker mit großem dialektisch-rhetorischem Talent begabt, argumentierte er mit seltener Gewissenlosigkeit. Den Gegenstand seiner Polemik verunstaltete er bis zur absurdesten Fratze, um ihn dann zu erledigen. Das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet lässt sich kaum anders als durch die Annahme erklären, dass Luther es im Zustande der Erhitzung durch berauschende Getränke geschrieben habe. Gleichzeitig besaß er die wunderbare Gabe hinreißender Popularität und genauer Kenntnis aller Schwächen des deutschen Nationalcharakters. In seinen Gegnern griff er nicht den Irrtum, sondern den Irrenden mit schmähendem Groll und wegwerfendem Hohn an.

Völlig einzigartig sei Luthers Begeisterung für den unerschöpflichen Reichtum und den göttlichen Charakter der heiligen Schrift einerseits und ihre gewaltsamste Misshandlung andererseits gewesen; seine Unruhe darüber deutete er als teuflische Versuchung.

Luthers Behauptungen über das Verhältnis der Geschlechter zueinander, über Ehe und Zölibat übten einen höchst nachteiligen moralischen Einfluss aus. Der Mensch sei ein Sklave seines mit unwiderstehlicher Macht herrschenden Naturtriebes. Das Gebot, sich zu verheiraten, verpflichte jedermann, und zwar noch strenger, als die Verbote von Mord und Ehebruch.

Für Döllinger liegt Luthers Stärke und das Geheimnis seines außerordentlichen Erfolges in seinen deutschen Schriften; Theologen in Frankreich, England, Italien und Spanien, die nur seine lateinischen Schriften läsen, könnten die Vergötterung dieses Mannes in Deutschland nicht verstehen.

Döllingers Lutherbild in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt in seiner Mischung aus positiven und negativen Zügen die Waagschale auf die negative Seite sinken. Wie sich das 1844 auf die Beurteilung des Deutschen

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Protestantismus auswirkt, zeigt in größter Schärfe die Artikelserie Die Kirche und die Kirchen in den Historisch-politischen Blättern: „Dagegen scheint dem protestantischen Deutschlande die Aufgabe gestellt zu seyn, einmal eben jene kirchliche Haltungslosigkeit des Protestantismus von der Kehrseite, nämlich in der völligen Unmündigkeit des Lutherthums und seiner knechtischen Abhängigkeit von der Staatsgewalt zur Evidenz zu bringen, dann aber die nothwendige Verwirrung und Verzweifelung einer, von aller Continuität doctrineller Tradition losgerissenen, jeglichen Fundaments entbehrenden, und durch keine kirchliche Autorität getragenen, theologischen Wissenschaft zum ewigen Andenken zu constatiren.“'^^ Das Luthertum stehe unter der Vormundschaft des Staates, entbehre also der kirchlichen Freiheit. Seine Theologie habe durch den Bruch mit der Lehrtradition ihr Fundament verloren, sei verwirrt und verzweifelt.

In der Rechtfertigungsschrift Kirche und Kirchen, Papstthum und Kirchenstaat versucht Döllinger die Wogen der Entrüstung zu glätten, die seine beiden Vorträge im Odeon am 5. und 9. April 1861 aufgewühlt hatten'^’. Die Frage des drohenden Verlustes der weltlichen Herrschaft des Papstes war für ihn zwar eine schwerwiegende Frage für die katholische Kirche, aber keine Frage auf Leben und Tod für den katholischen Glauben. Zwar könne man dem Papsttum noch weniger als den übrigen Dynastien Europas seine Rechtstitel bestreiten aber die Bedrohung des Kirchenstaates hänge auch mit den Missständen in ihm zusammen. Das verursachte Unruhe in einem Auditorium von 400-500 Personen, der Apostolische Nuntius Fürst Flavio Chigi’’’ verließt demonstrativ den Saal, und die Aufregung pflanzte sich nach der Veröffentlichung der Hauptthesen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung in alle Länder fort. Döllinger war darüber ganz befremdet”®. Die Mitte Oktober 1861 in 5000 Exemplaren gedruckte Erstauflage war bis zum Monatsende vergriffen. In ihr erscheint Luther nun in folgendem Kontext:

„Aber im Beginne des sechzehnten Jahrhunderts hatte ein tiefer Unwille über das damalige Papstthum und eine nicht ungerechte Entrüstung

152 [Döllinger], Die Kirche und die Kirchen, Historisch-politische Blätter (1844), Bd.13, 50.

153 Vgl. Friedrich, Döllinger III, 233-269; Franz Xaver Bischof, Theologie und Geschichte, 53-61.

154 Döllinger war konstitutioneller Monarchist, kein Republikaner und noch viel weniger ein Demokrat; er reagierte mit Abscheu gegen Tyrannei, Revolution und Anarchie.

155 Fürst Flavio Chigi (1810-1885), Titularerzbischof von Mira, Nuntius in München von 1856 bis 1861. Vgl. Bischof, Theologie und Geschichte, 56, Anm. 273.

156 Friedrich, Döllinger III, 239.

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über die Mißbräuche in der Kirche und die sittliche Versunkenheit eines viel zu zahlreichen, viel zu reichen Klerus weit in Deutschland um sich gegriffen. Das Nationalgefühl des Deutschen Volkes war schon seit geraumer Zeit verletzt durch die Behandlung, welche Deutsche Personen, Dinge und Interessen in Rom erfuhren, und durch die Rolle, welche Deutsche Könige und Kaiser seit dem vierzehnten Jahrhundert dem Römischen Stuhle gegenüber spielten. Dieser Gesinnung bot sich der gewaltigste Volksmann, der populärste Charakter, den Deutschland je besessen, der Augustinermönch von Wittenberg als Führer und beredter Sprecher dar. Zugleich hatte er in der von ihm geschaffenen Lehre von der Rechtfertigung einen Hebel von wunderbarer Stärke gefunden, mittels dessen er die noch immer große Anhänglichkeit des Volkes an die katholische Religion zu zerstören und ihm einen freudig und begierig ergriffenen Ersatz für das Verlorene zu reichen vermochte.“'” Schon 1830 hatte Döllinger in der Eos eine Notwendigkeit der Reformation des kirchlichen Lebens zu Anfang des 16. Jahrhunderts bejaht'^®. Doch unterscheidet sich die Betrachtungsweise von 1861 darin, dass Luther als der gewaltigste Volksmann für das verletzte deutsche Nationalgefühl dargestellt wird. Bei der Betrachtung der Schuldwaage sinkt die Schale eindeutig zu Lasten Roms. Vornehmster Zeuge in den Wiedervereinigungsvorträgen von 1872 ist Papst Hadrian VI. (1522-23) „[Er] ließ offen auf dem Reichstage zu Nürnberg, im Jahre 1522, erklären: alles in der Kirche sei in’s Schlechte verkehrt, die Krankheit sei vom Haupte zu den Gliedern, von den Päpsten zu den übrigen Kirchenvorstehern herabgestiegen.“'^’ Diese Akzentverschiebung führt Döllinger zu einer einzigartigen Hommage an Luther:

157 Döllinger, Kirche und Kirchen, lOf.

158 Eos 1830,631: „Bevor dieß indeß näher entwickelt wird, müssen wir hiermit bestimmt aussprechen, daß wir keineswegs der Meynung sind, als sey überhaupt eine Reformation des kirchlichen Lebens zu Anfänge des 16. Jahrhunderts gar nicht nothwendig gewesen. Daß schon eine so gewaltsame Explosion und Erschütterung aller bestehenden kirchlichen Verhältnisse, wie die Reformation sie darstellt, erfolgen konnte, beweiset hinreichend, welche Mißverhältnisse und Gegensätze, die bis an die Wurzel selbst reichten, im mannigfachsten Conflikte des europäischen Lebens schon seit geraumer Zeit sich ausgebildet hatten. Es mag auch sehr natürlich seyn, daß, bey der so großen Gebrechlichkeit und Sündhaftigkeit des irdischen Daseyns, jener occidentalische Völkerverein Europas, auf die religiös politische Basis des Kaiserthumes und der Hierarchie gegründet, und zu einem so gewaltigen, und in seinen Theilen so mannigfaltigen und verschiedenartigen Gebäude erwachsen, wie ihn das ganze Alterthum nicht aufzuweisen vermag, nach einem beynahe tausendjährigen Umlauf der Zeit, große Gebrechen seines innem wie äußern Lebens darstellen mußte. Namentlich hatte die materielle Richtung der Zeit, nachdem die Nationen aus ihrer Einfachheit und ursprünglichen Natur herausgetreten waren, und Handel und Gewerbe überall Reichthum und Luxus erzeugt hatten, das spirituelle Leben im Allgemeinen untergraben, und so zwar nicht den Glauben selbst, weil er eben auf göttlicher Offenbarung beruhete, aber die Persönlichkeiten, die ihn darstellten und verwirklichten, vielfach verkehrt und vergiftet. Bey denjenigen, welche die Dinge nur oberflächlich ansahen, also beynahe dem größten Theile des Volkes, konnte in der entstandenen so großen Bewegung und Gährung sogar leicht die Meynung entstehen, als sey überhaupt alles Bestehende, und namentlich die vorhandenen kirchlichen Institutionen von Grund aus verdorben, und bedürften einer ganz neuen Basis. Eine Reformation war also wirklich nothwendig. Ob nun aber gerade das, was im Laufe der Zeiten unter dem Namen der Reformation jene Erneuerung des religiösen Lebens vorzugsweise in Anspruch nahm, wirklich ein solches Resultat herbeyführte, das ist eben die Frage, und wird sich durch das Folgende leicht selbst deutlicher vor Augen stellen.“

159 Döllinger, Wiedervereinigungsvorträge, 55.

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„Deutschland ist die Geburtstätte der Reformation; in dem Geiste eines Deutschen Mannes, des größten unter den Deutschen seines Zeitalters, ist die protestantische Doctrin entsprungen. Vor der Ueberlegenheit und schöpferischen Energie dieses Geistes bog damals der aufstrebende, thatkräftige Theil der Nation demuthsvoll und gläubig die Knie. In ihm, in dieser Verbindung von Kraft und Geist, erkannten sie ihren Meister, von seinen Gedanken lebten sie; er erschien ihnen als der Heros, in welchem die Nation mit allen ihren Eigenthümlichkeiten sich verkörpert habe. Sie bewunderten ihn, sie gaben sich ihm hin, weil sie in ihm ihr potenzirtes Selbst zu erkennen glaubten, weil es ihre innersten Empfindungen waren, denen sie, nur klarer, beredter, kraftvoller ausgedrückt, als sie es vermocht hätten, in seinen Schriften begegneten. So ist Luther’s Name für Deutschland nicht mehr blos der eines ausgezeichneten Mannes, er ist der Kern einer Periode des nationalen Lebens, das Centrum eines neuen Ideenkreises, der kürzeste Ausdruck jener religiösen und ethischen Anschauungsweise, in welcher der Deutsche Geist sich bewegte, deren mächtigem Einflüsse auch die, welche sie bekämpften, sich nicht ganz zu entziehen vermochten. Luthers Schriften sind schon lange nicht mehr Volksschriften, und werden nur noch von Gelehrten um historischer Zwecke willen gelesen, aber das Bild seiner Persönlichkeit ist noch nicht erbleicht. Sein Name, seine Heroengestalt wirkt noch mit Zaubermacht in höhern und niederen Kreisen, und aus der Magie dieses Namens schöpft die protestantische Lehre fortwährend einen Theil ihrer Lebenskraft. In andern Ländern empfindet man eine Abneigung, sich nach dem Urheber des herrschenden Religionsbekenntnisses zu nennen; in Deutschland und Schweden gibt es noch Tausende, die stolz darauf sind, Lutheraner zu heißen.“'^”

Gleichzeitig wird auf Annäherungsprozesse des Deutschen Protestantismus an die Römisch-katholische Kirche verwiesen, wie ein Zitat des protestantischen Historikers und Mitarbeiters der Kreuzzeitung Heinrich Leo (1799-1878) in der Neuen Preußischen Zeitung vom 27’. September 1861 zeige; „In der römisch-katholischen Kirche hat seit Luther’s Zeiten ein Reinigungsproceß stattgefunden, und wenn zu Luther’s Zeit die Kirche gewesen wäre, was heutzutage die Römisch-katholische Kirche in Deutschland wirklich ist, so wäre es ihm nie eingefallen, seinen Gegensatz so energisch geltend zu machen, daß eine Trennung erfolgt wäre.“'^' Auch der europäische Entwicklungsprozess sei ein mächtiger Bundesgenosse der Freunde kirchlicher Einigung in ihrem Verteidigungskampf gegen die destruktiven Bewegungen der Zeit.'“

Döllinger schiebt sein Lutherbild aus der ersten Hälfte des 19.

160 Döllinger, Kirche und Kirchen, 386f.

161 Ebd., XXVII.

162 Ebd., XXXII: „Inzwischen leben wir auf Hoffnung, trösten uns der Ueberzeugung, daß die Geschichte, oder jener Europäische Entwicklungsproceß, der sich zugleich im socialen, politischen, kirchlichen Gebiete vor unseren Augen vollzieht, der mächtige Bundesgenosse der Freunde kirchlicher Einigung ist, und reichen allen Christusgläubigen auf der andern Seite die Hand zum gemeinschaftlichen Vertheidigungs-Kampfe gegen die destructiven Bewegungen der Zeit.“

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Jahrhunderts nicht einfach zur Seite. Das würde auch nicht leicht fallen, da es in all seinen Zügen quellengestützt ist. Doch der Kontext, die Beleuchtung verändern sich grundlegend. Die veränderte Sichtweise des Papsttums'^’ und das Wiedervereinigungsthema, eingebettet in Döllingers Zwangs-Quieszierungs-'®“* und Exkommunikationserfahrung'“, machen die Veränderung seiner Sichtweise verständlich. Er hat selber erfahren müssen, wie es sich anfühlt, Opfer staatlicher und kirchlicher Willkür zu sein.

2.4.2 Das Lutherbild in den Wiedervereinigungsvorträgen 1872

Die gut dreiviertel Jahr nach seiner Exkommunikation (17. April 1871) gehaltenen Vorträge'“ im Deutschen Museum in München von Ende Januar bis Ende März 1872 verstärkten Döllingers positive Sicht auf Luther: „Nur zum Theil lag diese Macht und Stärke der Reformation in der Persönlichkeit des Mannes, welcher in Deutschland ihr Urheber, ihr Sprecher war. Luther’s überwältigende Geistesgröße und wunderbare Vielseitigkeit machte ihn allerdings zum Manne seiner Zeit und seines Volkes: es hat nie einen Deutschen gegeben, der sein Volk so intuitiv verstanden hätte und wiederum von der Nation so ganz erfaßt, ich möchte sagen, eingesogen worden wäre, wie dieser Augustinermönch zu Wittenberg. Sinn und Geist der Deutschen waren in seiner Hand wie die Leier in der Hand des Künstlers. Hatte er ihnen doch auch mehr gegeben, als jemals in christlicher Zeit ein Mann seinem Volke gegeben hat: Sprache, Volkslehrbuch, Bibel, Kirchenlied. Alles was die Gegner ihm zu erwidern oder an die Seite zu stellen hatten, nahm sich matt, kraft- und farblos aus neben seiner hinreißenden Beredtsamkeit; sie stammelten, er redete. Nur er hat, wie der deutschen Sprache, so dem deutschen Geiste das unvergängliche Siegel seines Geistes aufgedrückt.

163 Janus [= Döllinger], Der Papst und das Concil, Leipzig 1869, Vlllf.; „Jeder, der die Schicksale der Kirche in ihrer inneren Verkettung betrachtet, wird nothwendig zu der Erkenntniß geführt, daß seit dem eilften Jahrhundert in der ganzen Kirchengeschichte sich kein Zeitraum mehr entdecken läßt, bei welchem der Blick des gläubigen Forschers mit reinem Wohlgefallen verweilen könnte; er wird, indem er den unverkennbaren, von da an immer tiefer sich einnistenden und weiter um sich greifenden Verfall des kirchlichen Lebens in seinem ursachlichen Zusammenhang zu ergründen strebt, stets auf die Verzerrung und Verunstaltung des Primat.s als auf die Hauptursache hingeführt werden. Wenn in diesem nach einer Seite hin allerdings eine Stärke der katholischen Kirche liegt, so ist doch auch andrerseits nicht zu läugnen, daß, sobald man sich auf den Standpunkt der alten Kirche, von der Apostelzeit an bis etwa zum Jahre 845 stellt, das Papstthum, wie es geworden, als ein entstellender, krankhafter und athembeklemmender Auswuchs am Organismus der Kirche erscheint, der die besseren 1-ebenskräfte in ihr hemmt und zersetzt, und selbst wieder mancherlei Siechthum nach sich zieht..“

164 Am 27. August 1847 wurde der Theologieprofessor Döllinger in den zeitlichen Ruhestand versetzt als weiteres Opfer der Lola-Montez-Affäre an der Münchener Universität. Seine Rehabilitierung erfolgte zum 1. Januar 1850. Vgl. dazu Friedrich, Döllinger II, 328.

165 Entziehung der kirchlichen Lehrerlaubnis am 3. April 1871; der dazugehörige Hirtenbrief wurde auf Palmsonntag, den 2. April 1871 zurückdatiert. Exkommunikation am 17. April 1871, dem Montag nach Weißen Sonntag; sie wurde am 23. April in der Universitäts- und Stadtpfarrkirche St. Ludwig von der Kanzel verkündet. Vgl. Bischof, Theologie und Geschichte, 277-287.

166 Sieben Vorträge vom 31. Januar bis 20. März 1872, vgl. Anm. 49. Siehe Bischof, Theologie und Geschichte, 394.

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so daß selbst diejenigen unter uns, die ihn von Grund der Seele verabscheuen als den gewaltigen Irrlehrer und Verführer der Nation, nicht anders können: sie müssen reden mit seinen Worten, denken mit seinen Gedanken.

Und doch - mächtiger noch als dieser Titane der Geisterwelt, war im deutschen Volke die Sehnsucht nach einer Erlösung aus den Banden eines verdorbenen Kirchenwesens. Hätte es keinen Luther gegeben, Deutschland wäre doch nicht katholisch geblieben.“'^’

Döllinger zitiert Papst Clemens XIV. (1769-1774) wunderbares Wort über den Umgang mit Irrgläubigen: „Welchen glücklichen Umschwung würde man gesehen haben, wenn man, statt die Irrgläubigen zu verfolgen, sie bloß mit aller möglichen Zärtlichkeit gebeten und beschworen hätte, sich nicht vom Mittelpunkt der Einheit zu entfernen; wenn man ihre Zweifel mit Güte aufgeklärt, ihre Einwürfe mit Geduld angehört, wenn man überhaupt mit ihnen so geredet hätte, wie die Religion selbst redet, ohne Bitterkeit und ohne Hochmuth.“'^® Die darin liegende Kritik an den Päpsten'®’ des Reformationsjahrhunderts von Leo X. bis Klemens VIIL, Hadrian VI. ausgenommen, ist für den Kundigen unüberhörbar.

2.4.3 Das Lutherbild in der Akademierede „Veber Religionsstifter“

In seiner letzten literarischen Äußerung über Luther nennt Döllinger ihn 1883 den einzigen Religionsstifter, den die deutsche Nation hervorgebracht hat. „Luther müssen wir unzweifelhaft zu den Religionsstiftern rechnen, wenn er auch selbst diese Bezeichnung entschieden zurückgewiesen haben würde, - nur Reformator wollte er sein. Aber so ist es ja von jeher ergangen, daß Reformversuche zur Bildung eigner Religionssysteme ausgeschlagen sind oder im Lauf der Zeit sich dazu entwickelt haben. Einfache Repristinationen eines älteren Stadiums, einer früheren Altersstufe, sind auf religiösem Gebiete so wenig möglich als auf dem staatlichen. Die Genossenschaft, welche die Wittenberger Lehre zur ihrigen machte, hat das auch richtig erkannt und unbedenklich von der „Lutherischen Religion“ in Büchern und im Leben gesprochen.

Luther ist der einzige Religionsstifter, den die deutsche Nation hervorgebracht hat, dafür ist er aber auch in seinem ganzen Wesen, seinem Trachten und Thun, in seinen Vorzügen und Fehlern, der echte Volksmann, der wahrste Typus des deutschen Wesens. Neben ihm wäre nur etwa noch der Graf Zinzendorf zu nennen, der Stifter der Brüdergemeine, - dem Erfolge nach ein

167 Döllinger, Wiedervereinigungsvorträge, 53f.

168 Lettere interessant! di Clemente XIV. Venezia 1778, IV,60. Zitiert nach Döllinger, Wiedervereinigungsvorträge, 83.

169 Die Päpste des Reformationsjahrhunderts: Leo X. (1513-21); Hadrian Vl. (1522-23); Klemens VII. (1523-34); Paul III. (1534-49); Julius III. (1550-55); Marcellus II. (1555); Paul IV. (1555-59); Pius IV. (1559-65); Pius V. ( 1566-72); Gregor XIII.( 1572-85); Sixtus V. ( 1585-90); Urban VII. ( 1590); Gregor XIV. ( 1590-91 ); Innozenz IX. (1591); Klemens VIII. (1592-1605).

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Zwerg neben Luther, dem aber gerade jene Gabe verliehen war, welche dem Wittenberger Reformator abging, die Gabe der socialen Organisation. Luther, möchte man sagen, vermochte eine Religion, aber keine Kirche zu gründen.“'™

170 Döllinger, Akademische Vorträge III, 58.

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3. DAS LUTHERBILD IM SPIEGEL DER KORRESPONDENZ DÖLLINGERS

Aus den zahlreichen Belegen für die Rolle, die Luther in Döllingers Korrespondenz spielte, greife ich zwei Briefwechsel heraus, die für unser Thema von Interesse sind:

3.1 Das Lutherbild in den Briefen Hermann Adalbert Daniels

Der 1812 in Köthen geborene Geograph und evangelische Theologe Hermann Adalbert Daniel, Professor an den Franckeschen Stiftungen in Halle'”, korrespondierte von 1857 bis gut vier Monate vor seinem Tode am 13. September 1871 mit Döllinger. Bis heute liegen nur die 25 Briefe Daniels vor. Um Döllingers Antworten hat Johann Friedrich, der erste Döllingerbiograph, sich schon vergebens bemüht. Sie wie all die vielen anderen Gegenbriefe Döllingers zu den umfangreichen Briefblöcken der Döllingeriana 11 zu finden, ist eine Forschungsaufgabe der kommenden Jahrzehnte.

Daniel arbeitete schon lange an einer Lutherbiographie. Die erste deutliche Spur findet sich im Brief vom 9. Dezember 1863 an Döllinger: „Mein Werk rückt vor, aber freilich bei jedem Schritte öffnen sich neue Weiten und Perspectiven. [ . . .] Bei der Charakteristik Luthers gehe ich von dem prächtigen Dictum des alten Göthe aus: Bei der Reformation interessirt mich nur Luthers Persönlichkeit, das Andere ist ein verworrener Handel.“’’^ Unter dem 25. April 1864 teilt er Döllinger die Gliederung der Bücher drei bis fünf mit, darin in Buch 4: Luther’s Schwierigkeit, ihn recht zu erfassen, Luthers Charakter und seine Persönlichkeit, Luthers Beruf und Anfechtungen.“ Und in Buch 5 mit dem Titel: „Die Periode der gegenseitigen Enttäuschung“, Luthers Bruch mit der Revolution, der scripturarischen und mystischen Reformrichtung, mit dem Humanismus und

171 DBE 2, 441. Traugott Bautz, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon [= BBKL], Bd. 1 (1990), 1208f.

172 Döllingeriana 11, Daniel, Nr. 5; Transkr. 3, 114.

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der Wissenschaft, der nationalen Richtung, den rationalistischen Tendenzen und seine Isolirung.“'^’ Schon hier klingt an, dass Daniels Lutherbild von dem Döllingers in seinem Reformationswerk nicht wesentlich abweicht und er ihn gerade deswegen als Gesprächspartner sucht. Um es gleich vorwegzunehmen: Daniels Lutherbuch selbst können wir nicht konsultieren, da es nie erschien und auch sein Manuskript bisher nicht auffindbar ist. Auf den Hauptgrund des Nichterscheinens werde ich unten noch kommen.

Im Brief vom 31. Oktober 1864 berichtet Daniel vom Fortgang seines Werkes; Döllinger habe die ersten zwei Abschnitte eingesehen, beim weiteren brauche er die Lutherzitate kaum zu lesen, „denn für Ihren Blick findet sich nur selten ein unbekanntes“''quot;’, eine sehr wichtige Stelle für die Beantwortung der Frage, wie Döllingers Quellenkenntnis zu beurteilen sei. Der Kritik, er habe in seinem Reformationswerk mit Material argumentiert, das er nur zufälligen Funden verdankte, wird von Daniel, der die 67 Bände der Erlanger Ausgabe bis auf 12 durchgearbeitet hat und ohne vollständige und selbstständige Lutherlektüre nichts abschließen wollte, im Brief vom 23. Dezember 1864”^ der Boden entzogen. Dem fügt er dann noch einen Kommentar des protestantischen Historikers und konservativen Pietisten Heinrich Leo (1799-1878)'^® an: „Ein früher Satz von Leo in Luthers Charakteristik: ,bald sagt der Mann so Inniges und Herzliches, daß man ihm gleich um den Hals fallen - bald so Abscheuliches, daß man mit zugehaltener Nase in die weitesten Distanzen entweichen möchte. Und die Nase braucht nicht überdelicat zu sein‘, macht mich unmöglich. Aber ich bin guten Muthes, es wird sich noch alles fügen.“'” Dieses „macht mich unmöglich“ mag bedeuten, daß er sein bisheriges Lutherbild für nicht realitätsnah genug ansieht.

Der Brief vom 21. Oktober 1865 zeigt, wie Döllinger fortlaufend Daniels Manuskript liest und mit seinen „Winken“ begleitet”®. Am 20. November 1866

173 Ebd. 7; Transkr. 3, 116: „Doch erlaube ich mir wenigstens Ihnen die Capitel mitzutheilen, die von dem Morgen in Tölz ab vollendet, oder wenigstens in der Vollendung begriffen, oder, von 4,3 an in Aussicht genommen sind. Drittes Buch. Die Reform- und Oppositionsströmungen im 16. Jahrh[undert]. 1. Die altkirchliche Reformrichtung. 2. Die scripturarische Reformrichtung. 3. Die Reformation der Wissenschaft. 4. Die Opposition des Vemunftglaubens und Unglaubens. 5. Die nationale Opposition. 6. Revolutionäre Strömungen. Vierte,s Buch. Luther der Mann der Gesamtopposition. 1. Luther’s Schwierigkeit, ihn recht zu erfassen. 2. Luther’s Charakter und Persönlichkeit. 3. Die Entwicklung bis 1517.4. Der Theologenstreit vom Ablaßhandel bis zur Leipziger Disputation. 5. Die Sturm- und Drangzeit bis zur Wartburg. 6. Luther in Berührung mit allen Strömungen der Reform und Opposition. 7. Luther und die Revolution. 8. Das eigentlich religiöse Moment der Bewegung. 9. Rückblick. Luthers Beruf und Anfechtungen. Fünftes Buch. Die Periode der gegenseitigen Enttäuschung. Die Kirche der Fürsten und Theologen. 1. Rottengeister und Bauern. 2. Bruch mit der Revolution. 3. Bruch mit der scripturarischen und mystischen Reformrichtung. 4. Bruch mit dem Humanismus und der Wissenschaft. 5. Bruch mit der nationalen Richtung. 6. Bruch mit den rationalistischen Tendenzen. 7. Luthers Isolirung und fernere Unmöglichkeit einer Reformation. 8. Die Fürsten- und Theologenkirche etc.“

174 Ebd., Nr. 8. Transkr. 3, 118.

175 Ebd., Nr. 9. Transkr. 3, 120.

176 DBE6,326.

177 Daniel, Nr. 9. Transkr. 3, 120.

178 Ebd., Nr. 12. Transkr. 3, 122.

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bittet er um Rückgabe des Manuskripts'™. Am 12. April 1867 kündigt er für das Jahresende die Vorlage der Schlußbücher bei Döllinger an'*quot;.

Im Brief vom 27. März 1868 teilt Daniel mit: „Vor wenigen Tagen habe ich denn auch die lateinischen Werke Luthers absolvirt, vieles noch nicht Benutzte, aber überall dasselbe unlogische, sich alle Augenblicke selbst negirende Wesen wieder gefunden. Ich kann selbst die Commentare zum Galaterbrief nicht ausnehmen. Einmal ist die fides formata ein portentum, ein monstrum, und gleich darauf wird eine fides incarnata und incorporata gelehrt u.s.w. Und welche Verwirrung entsteht durch eine ganz individuelle, seltsame Terminologie. Mit Erstaunen habe ich gelernt, daß caritas bei Luther immer nur sich auf den Nächsten bezieht, niemals auf Gott. Stecken doch auch alle Richtungen einer Seele auf Gott hin in der fides.“'*' Aus diesem Zitat muss man als Daniels Urteil über Luther in seinen lateinischen Schriften ableiten, er sei in seinen Begriffen unklar und schwankend; Döllinger wird dem nicht widersprochen haben.

Daniel verfolgt Döllingers Lage vor, während und nach dem Concil mit gespanntester Aufmerksamkeit und klarer Parteinahme für Döllinger'*^. Über den Zusammenhang zwischen dem Konzil und seinem Lutherbuch schreibt er am 17. Januar 1870: „Das Buch über Luther wäre bald fertig, müßte jedoch die Conciliums-Resultate wegen des Abschnittes über Conciliën abwarten. Aber ich will aufrichtig gegen Sie sein, wie gegen einen Beichtvater. Ich glaube nicht, daß es je erscheinen wird, oder höchstens post mortem. Diesen Sommer hatte mein treuer Diener Auftrag, es nach meinem Hinscheiden Ihnen zu übersenden. Jetzt zweifle ich einestheils, ob es wirklich den Druck verdient, theils möchte ich auch nicht, daß die extreme Partei Ihrer Kirche, wie nicht zu zweifeln, es in ihrem Sinn acceptirte. Die Hauptsache aber ist die Unruhe, Angst und Zaghaftigkeit, die schon immer in meiner Natur lag, durch die Nervenleiden aber in das Extreme gesteigert ist. Sobald das Werk gedruckt, besprochen würde, so würden - darin kenne ich mich - die nervösen Ängste wieder beginnen und in solche Zustände möchte ich nicht wieder gerathen. Auch ist bei dem kleinlichen und engherzigen Wesen der Protestanten mit Bestimmtheit zu erwarten, daß man durch alle möglichen Intriguen meine Einnahmen zu schmälern suchte. Die geographischen Compendien, aus welchen meine Haupteinnahme fließt, würden in protestantischen Schulen abgeschafft werden u.s.w.“'**.

Zwei Gründe verhindern neben dem frühen Tod Daniels die Publikation seines Lutherbuches: Erstens, die zu erwartende Zustimmung der extremen katholischen Partei zu Daniels Buch; das mochte er keineswegs, der Majorität auf dem Konzil noch Wasser auf die Mühle leiten. Daraus folgt, dass sein Lutherbild

179 Ebd.,Nr. IS.Transkr. 3, 124.

180 Ebd.,Nr. Ib.Transkr. 3,125.

181 Ebd.,Nr. IS.Transkr. 3,128.

182 Vgl. die Briefe Daniels vom 5.5. 1869(19), 17.1.1870 (23), 4.5. 1870 (22), 5.5.1871 (24).

183 Ebd., Nr. 23. Transkr. 3,131.

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die landläufige katholische Lutherkritik bekräftigte und dies nicht auf Döllingers Protest stieß. Zweitens, die kleinlichen und engherzigen Protestanten würden ihm die Publikation so übel nehmen, dass die Angst davor sein Nervenleiden ins Extreme steigern würde, er das also nicht durchstehen könne und man ihm zudem mit dem Verbot seines geographischen Kompendiums an protestantischen Schulen die Existenzgrundlage entziehen werde.

Für Döllingers Lutherbild in der Konzilszeit folgt aus diesem Befund, dass sich an den tatsächlichen Zügen seit den vierziger Jahren nichts geändert hat; die Kehrtwende liegt, wie oben schon gesagt, in der veränderten Sicht und Deutung.

Im Zusammenhang mit seiner History of Liberty^^'^, die nie vollendet wurde, kommt Lord John Acton (1834-1902), Döllingers Lieblingsschüler, in einem Brief von Mitte September 1882’®^ auf Luther zu sprechen: „Erlauben Sie [Döllinger], daß ich einen besonders charakteristischen Fall erwähne, um mich zu erklären: Sie beurtheilen Luther, abgesehen von seinen Dogmen, sehr günstig. Ich sehe auch vom Dogma ab, und finde Folgendes: Er gab die Monogamie auf, im Interesse von zwei Fürsten, nachdem er sich mit Carlstadt deswegen gestritten hatte. Er führt die Freiheit im Munde, und stellt die Lehre vom passiven Gehorsam auf, gibt die Kirche in die Gewalt des Magistrats, und macht die Fürsten absolut -Er will anfänglich Gewissensfreiheit, nachher, Gewissenszwang - Er verlangt dass man die Bauern noch schlimmer behandle als Marat die Reichen. Die Bauern aber scheinen mir im Ganzen Recht gehabt zu haben, mehr jedenfalls als der französische Adel, und so kann ich ihren Verfolger, diesen Absolutisten, diesen brutalen Wütherich, der die Prinzipien dem Interesse, und die Moral der Macht opfert, nur in den allerdüstersten Farben malen, die ich überhaupt zur Verfügung habe. [...] Es fragt sich, für wen ich schreibe. Wer mit nationalen oder confessionellen Rücksichten urtheilt, wird an mir kein Vergnügen haben. Und auch Sie, der Sie sich von den andern gerade darin unterscheiden, nehmen bei fast jedem Schritt Anstoss, an Resultat oder Methode.“

Darauf antwortet Döllinger am 21. September 1882: „Ihr Urtheil über Luther kam mir doch sehr unerwartet, obwohl ich vor 40 Jahren und etwas später noch ziemlich ebenso über den Mann geurtheilt hätte. Ist Ihnen dabei klar geworden, daß Sie durch Ihr vernichtendes Verdikt über den Reformator zugleich den Stab brechen über die ganze Nation, deren geistiger Führer er unstreitig war?

184 Brief John Actons vom 11.2.1881 an Döllinger, Briefwechsel Döllinger - Acton III, 251.

185 Ebd.,303f.

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Doch das ist ein Thema, welches durchaus mündlichen Gedanken-Austausch erheischt. Sie meinen doch nicht im Ernste, daß Luther, weil er in einem einzelnen Falle eine Abweichung billigen zu dürfen wähnte, sofort die Polygamie zur förmlichen Doctrin, wie Muhammed, erhoben habe?“'^^

Acton mag nicht auf eine mündliche Aussprache warten, so brennt ihm die Frage unter den Nägeln. Schon tags darauf (22. September 1882) antwortet er auf Englisch, wahrscheinlich, um jedes sprachliche Missverständnis auszuschließen. Ich gebe diese und die weiteren englischen Passagen in deutscher Übersetzung; „Ihr Brief zeigt einen so tiefen prinzipiellen Unterschied und meine Hoffnung, in diesem besonderen Fall einigen Eindruck zu machen, ist so groß, dass ich Sie erneut bitten möchte, einen langen Brief zu lesen, anstatt zu warten, bis wir uns treffen. [ . . .] Sie fragen, ob ich mir dessen bewusst bin, dass so respektlos von Luther zu sprechen respektlos gegenüber der Nation sei, die ihn zu ihrem Anführer gemacht habe. Ich antworte, Ja und Nein. [. ..] Ich kenne die Ursachen für Luthers Popularität in Deutschland gut, und in den so oft zitierten Worten - sein potenzirtes Ich'*’ - sehe ich kein Kompliment für die Nation, sondern eher: ein Deutsches Mea Culpa'*®. Anstatt Voltaire um Frankreichs willen zu schonen, würde ich Frankreich verdammen um der Ehre willen, die man Voltaire erwies. Bei Voltaire gibt es viel Verächtliches und Gemeines, aber, so weit ich weiß, nichts Verbrecherisches. Er hat sich intensiv darum bemüht, Menschenleben zu retten und Leiden zu mildern. Aber Luther laste ich tatsächliche Grausamkeit, Kriminalität und Missachtung menschlichen Lebens an. Die Schande seiner Popularität fällt auf Deutschland, wie die Voltaires auf Frankreich fällt, und zwar in höherem Maße. Aber ich erhebe keine Anklage gegen eine Nation, die weiter geht als meine Entschuldigung eines Mannes wegen seiner Nationalität.“'®’

Ob er wirklich Luther mit Muhammed vergleiche? Ersterer habe zumindest eine laxe Position zur Polygamie bezogen. „Muhammed dämmte die Polygamie bei wilden Heiden ein, Luther führte sie bei Christen ein unter der einzigen Einschränkung, der Bigamist musste ein Fürst sein. Ich kann mich selbst nicht davon überzeugen, dass Sie diese Überlegungen völlig verwerfen werden

186Ebd.,305.

187 Im Original deutsch.

188 Ebenso deutsch.

189 Ebd., 307f.: „Your letter indicates a difference of principle so wide, and my hope of making some impression is in this particular instance so great, that I will again ask you to read a long letter instead of waiting until we meet. [ . . . ] you ask whether I am aware that to speak so disrespectfully of Luther is disrespectful to the nation that made him his leader. I answer Yes, and No. [ . . .] I am well aware of the causes of Luther’s popularity in Germany and in the words so often quoted - sein potenzirtes Ich -1 do not see a compliment to the nation, but rather: ein Deutsches Mea Culpa. Instead of sparing Voltaire for the sake of France, I would condemn France for the honour bestowed on Voltaire. In Voltaire there is much that is contemptible, and vicious, but nothing, as far as 1 know, that is criminal. He tried hard to save men’s lives and to diminish suffering. But to Luther 1 impute actual cruelty, criminality, and disregard for human life. The disgrace of his popularity does, in my estimation, fall upon Germany as that of Voltaire falls upon France, and in a greater proportion. But 1 do not draw up an indictment against a nation, any more than I excuse a man by reason of his nationality.“

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[...], dass er nicht nur einer der gefährlichsten Feinde politischer und religiöser Freiheit war, der je lebte, sondern ohne Skrupel ihre Verteidiger abschlachten ließ; und dass keine guten Eigenschaften oder gute Taten solche Ungeheuerlichkeiten wettmachen oder mildern können.“”“

Auf diese Breitseite schwerwiegender Argumente antwortet Döllinger fünf Tage später (27. September 1882): „Wir müssen zugeben, dass wir uns unterscheiden“”' im Urteil über den Reformator. Aber er wolle doch einige Tropfen Wasser in den feurigen Wein des moralischen Todesurteils über Luther fallen lassen. Er bekenne seine Unkenntnis, dass Luther ein beharrlicher Verfechter der Polygamie gewesen sei. Er bitte um Mitteilung der dahin lautenden Äußerungen. Dann habe er sich seit 34 Jahren nicht mehr mit Luther beschäftigt und er zehre von seinen Studien in den vierziger Jahren. Er wisse nur, dass für Luther die Monogamie nicht göttlichen Rechtes Quris divini) sei, weil sie weder im Neuen Testament noch in der älteren kirchlichen Überlieferung dafür erklärt wurde („was ja auch ganz richtig ist“), und die Polygamie im Alten Testament gewöhnlich gewesen und nie gerügt worden sei. Daß er sie aber für christliche Staaten und Völker förmlich gefordert habe, sei ihm wirklich unbekannt gewesen. Er bitte um entsprechende Stellenangaben. Luthers Brutalität in der den Bauernkrieg betreffenden zweiten Schrift sei wirklich maßlos (Übertreibung lag in seinem Wesen), aber immerhin seien in einigen Gegenden die Bauern in sengendem, mordendem Aufruhr gewesen.

Döllinger gibt Acton recht: ein nationales Urteil habe an sich keine Beweiskraft. Vergleiche man allerdings Luther mit Voltaire (1694-1778) oder Napoleon 1. (1769-1821), bei wem Böses oder Gutes überwiege, dann sehe Acton bei Voltaire und Napoleon das Gute überwiegen, er bei Luther. Die intelligenten Leute aller Länder würden bei Voltaire und Napoleon für eine Präponderanz des Bösen votieren, von den denkenden Deutschen (abzüglich der Ultramontanen) würde das bei Luther Niemand zugeben.

Wie es mit dem moralischen Bewusstsein und Wert der deutschen Nation stehe? Auf den Deutschen lasteten tiefe Schatten (Pessimismus, Pantheismus etc.); verglichen mit ihnen erkennt Döllinger den Engländern in moralischer Beziehung die Palme zu*’^.

Acton lässt sich auf das „We must agree to differ“ nicht ein. In der Antwort von Ende September 1882 sagt er, die Geschichtswissenschaft ertrage solche Differenzen nicht. Luther habe mehr als 100 Bände geschrieben. Wenn man bei einem so reichen Material nicht zu einem übereinstimmenden Urteil

190 Ebd.,309: „Muhamed restricted polygamy among savages. Luther introduced it among Christians, under the sole restriction that the bigamist should be a prince. I cannot persuade myself that you will altogether reject these considerations [...] that he was not only one of the most dangerous enemies of political and religious liberty that ever lived, but had no scruple about having its defenders slaughtered; and that no good qualities or good deeds can redeem or mitigate such iniquities.“

191 Ebd., 312: „We must agree to differ“.

192 Ebd.,312f.

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kommen könne, sei es nutzlos, sie anderswo zu suchen, „Solange die Geschichte nicht zu einer solchen Sicherheit gelangen kann, wie sie das übereinstimmende Urteil ehrenhafter Männer abnötigt, ist es zwecklos, als Schiedsrichter in einer Kontroverse und als Lehrer der Nationen aufzutreten. Wir führen Luftstreiche mit unseren Untersuchungen, wenn wir zu keinem Ergebnis kommen können, bei dem alle ehrenhaften Männer das gleiche Gefühl haben. Der sicherste Weg dazu besteht darin, bei einer der Handlungen oder Äußerungen Position zu beziehen, bei denen jedes christliche Gewissen rebelliert. Wenn wir die Wolke gleichgültiger oder bedeutungsloser Dinge durchdringen können und die Tatsache fassen, dass Jemand in Lügen und Mord verwickelt ist, dann ist die charakterliche Untersuchung beendet und wissen wir, was von ihm zu halten ist. Er hat aufgehört, ein Problem zu sein, und wird zu einer bestimmten Größe. Unser Urteil kann nicht beeinflusst werden mithilfe von geleisteten Diensten, Tugenden oder Begabungen. Gutes und Böses abwägen, wie Sie sagen, und zusehen, was überwiegt, ist genau das, was ich im Falle Luther nicht tun kann. Alle guten Eigenschaften des Thomas a Kempis und Shakespeares zusammengenommen wiegen nichts gegen ein einzelnes Verbrechen.“”’

In der Monogamiefrage verweist er auf Luthers Rat 1528 an Heinrich VIII. (1491-1547), seine erste Gattin zu behalten und eine zweite zu heiraten, was dann Philipp von Hessen, der davon erfuhr, dazu veranlasst habe, die Ausweitung des gleichen Privilegs auf sich zu verlangen. Das dahinter stehende Prinzip: Bigamie könne christlichen Fürsten nicht verweigert werden. Wenn das der Wille der Fürsten sei, könne sie dem christlichen Volk auch nicht verweigert werden. Würde man Bossuet (1627-1704) noch einen großen christlichen Theologen nennen, wenn er Charles 11. (1630-1685, König von England) einen solchen Rat gegeben hätte?

Die Frage des menschlichen Lebens steht auf einer noch ganz anderen Ebene. „Ich weiß wirklich nicht, wie ich auf Ihre Meinung antworten soll, Luther, der einen gerechten Aufstand durch massives und unterschiedsloses Niedermachen unterdrückte, stehe moralisch über Voltaire. Ich erinnere mich an keine einzige Zeile in Voltaires Werk, die auch nur Gleichgültigkeit über Blutvergießen zeigte; noch viel weniger eine Zeile, die den Blutrausch des Reformators atmete. Wenn Sie das Wort ,maaslos‘ benutzen, bin ich halb versucht zu denken. Sie könnten

193 Ebd., 315: „And as long as History cannot attain to such certainty as compells the assent of honest men, it is worthless as an arbiter of controversy and a teacher of nations. We beat the air with our researches if we cannot get something on which all honest men feel alike. The surest way to do that is to take our stand on one of those actions or utterances at which every Christian conscience revolts. If we can penetrate the cloud of indifferent or irrelevant matter, and grasp the fact that a man has been mixed up with lies or murder, the enquire into character is settled, and we know what to think of him. He ceases to be a problem and becomes a fixed quantity. Our judgement cannot be affected by the second of services, virtues or talents. To weigh good and evil, as you say, and see which predominate.s is precisely what in the case of Luther, 1 cannot do. All the qualities of Kempis and Shakespeare united weigh nothing against a single crime.“

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die genaue Sprache Luthers und die genaue Gelegenheit vergessen haben.“'’quot;* Acton entschuldigt sich zum Schluss für seine Hartnäckigkeit und beklagt gleichzeitig seinen Kummer darüber, daß ein geheimnisvoller Abgrund sie beide trenne und er gezwungen sei, einen Weg zu beschreiten, der dem Döllingers zuwider laufe, nachdem er ein Leben lang zu seinen Füßen gesessen habe „Ich weiß, wie dreist es ist, so drängend in einer Angelegenheit zu sein, die Sie so gut kennen; aber ich kann meinen Weg nicht sehen und bitte Sie inständig, mir meine Hartnäckigkeit zu vergeben. Ich schreibe am ersten Jahrestag'’^ der schrecklichsten Nacht meines Lebens, und glauben Sie mir, es ist kaum ein geringerer Kummer, nachdem ich ein Leben lang zu Ihren Füßen gesessen habe, dass ein geheimnisvoller Abgrund uns trennt und ich gezwungen bin, einem Pfad zu folgen, der Ihrem eigenen zuwider läuft.“”®

In einem Brief August/September 1884 befürchtet Acton sogar, Döllinger gründlich missverstanden und in folgenschwerer Illusion gelebt zu haben”’. Werde seine Grundanschauung auch von Döllinger verworfen, dann sei seine Isolierung so groß, dass er die Aussicht auf literarische Wirkung aufgeben müsse'’^ Vor Jahren habe Döllinger allerdings gesagt, sein Standpunkt sei nicht weit von dem Actons entfernt, später habe er zu größerer Milde geneigt'”. Am Schluss versucht er eine Brücke zu bauen: „Ich meine Sie haben ganz recht. Nur glaube ich, man muss vor allen Dingen sich hüten, ungleiches Maass und Gewicht zu gebrauchen. Sagen Sie: Das ist der Hauptfeind; wir wollen ihn vertilgen, und dabei seine Tugenden, seine Excüsen, möglichst warm anerkennen. So ist das ein guter Rath. Sagen wir aber: Das ist der Hauptfeind, gegen den wir unerbittlich seyn müssen - lassen wir indes die andern laufen — da scheint mir die Milde nicht verdienstlich, weil nicht am rechten Ort.“^®° In einem Brief Anfang Mai 1886 heißt es dann wieder, er wisse eigentlich nicht, was Döllinger denke. „Unsere Unterredungen seit 1879 haben mich nur spät und langsam überzeugt, dass ich Sie

194 Ebd., 316: „I really do not know how to answer your opinion, that Luther, who put down a just insurrection by wholesale and indiscriminate slaughter stands morally above Voltaire. I do not remember a line in Voltaire’s work showing even indifference to bloodshed; much less, a line breathing the sanguinary fury of the Reformer. When you use the word maaslos, I am half tempted to think that you may have forgotten the precise language of Luther, and the precise occasion.“

195 Am 1. Oktober 1881 starb in Tegernsee Actons siebenjährige Tochter Elizabeth in den „Nachwehen des Scharlachfiebers“, das sie im September angefallen hatte. Vgl. den Brief Ignaz von Döllingers an Sir Rowland Blennerhassett, Tegernsee, 28. September 1881, in: Victor Conzemius (Bearb.), Ignaz von Döllinger - Charlotte Lady Blennerhassett, Briefwechsel 1865-1886, München 1981, 668. Für die Briefdatierung folgt daraus der 1. Oktober 1882. Im Text bleibe ich bei der Datierung von Conzemius.

196 Briefwechsel Döllinger - Acton III, 316: „I know how presumptuous it is to be so urgent in a matter which you know so well; but I cannot see my way, and I intreat you to forgive my persistency. I am writing in the first anniversary of the most dreadful night in my life, and believe me, it is hardly a less sorrow to feel, after sitting at your feet for a life time, that a mysteriou.s chasm separates us and that I am constrained to follow a path which is opposite to your own.“

197 Ebd., 332.

198 Ebd., 334.

199 Ebd., 335.

200 Ebd., 338.

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nach so vielen Jahren gründlich missverstanden hatte und dass der Kern meiner religiösen Anschauung von Ihnen verworfen wird.“^®‘

Im Brief vom 7. Mai 1886 stellt Döllinger grundsätzlich fest: „Savoir oblige, so gut wie noblesse“^. Ich bin überhaupt der Ansicht, daß ein Dogma seinen Werth von dem ethischen Gehalt hat, der ihm zukommt; tantum valet, quantum ad corrigendum, purgandum, sanctificandum hominem confert^“^ Nur dazu ist die Religion da, daß der Mensch durch sie besser, Gott ähnlicher werde. Wenn von einer Lehre oder Institution fest steht, daß sie sittlich mehr schadet als fördert, so ist sie schon gerichtet.“^“'* Der Brief Actons vom 30. Juni 1888 an Döllinger geht noch einmal ausdrücklich auf beider Position zu Luther ein: „Sie sagten mir, Sie wollten sich erklären über Ihre veränderte Beurtheilung Luthers. [. . .] Wenn ich nun einmal dazu kommen sollte von ihm zu schreiben [...], so würde ich folgende Punkte hervorheben, die für mich entscheidend sind:

Es läßt sich seine Reue dagegen nicht anführen. Erstens kam sie zu einer Zeit, wo seine Rolle gespielt, sein Charakter entschieden, das Urtheil ausgesprochen war. Der thätige, wichtige Luther ist der Luther, der jederzeit die Ehe zu verraten bereit war, zu Gunsten der Fürsten [...]. Zweitens kam die Reue nach der Entdeckung der Sache, und ich glaube, sie bezog sich auf den Hessischen Fall allein, nicht auf den Englischen. [ . . .] Will ich die Gesetze der historischen Moral mit unbeugsamer Aufrichtigkeit erhalten, wodurch allein die Geschichte ethischen und selbst wissenschaftlichen Werth erhält, so muß ich also Luther in jene Mallbolge^®’ versetzen, wo[hin] die falschen Religionslehrer gehören, die Tyrannen und die Inquisitoren.

Und da ich wissenschaftlich weder Häresie noch Privatsünde so streng bestrafen kann, so ist sein Platz der allerletzte, sein Ruf der verworfenste, den es überhaupt geben kann.“^“

Darauf antwortet Döllinger noch einmal in seinem Brief vom 3. Juli 1888,

201 Ebd.,352.

202 „Wissen veqjflichtet, so gut wie Edelmut.“

203 „[Ein Dogma] gilt soviel, wie es dazu beiträgt, den Menschen zurechtzuweisen, zu reinigen und zu heiligen.“

204 Ebd., 354f.

205 Hammergrube; hier: Höllengrube. „Böige“, herstammend vom italienischen ,bolgia infernale' = Höllengrube, wird von Dante in der Göttlichen Komödie angewandt auf die Abgründe des achten Kreises der Hölle; vgl. The Compact Edition of the Oxford English Dictionary, Oxford - New York - Toronto 1987,1, 243. „Maul“ = mall, lateinisch ,malleus', Hammer, ebd., 1774. Vielleicht ist folgende Stelle gemeint: „Ein Ort der Hölle, die Verbrechergruben, ist ganz aus Stein, und von des Eisens Farbe, so wie die Mauer, die ihn rings umgürtet.“ Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, übersetzt von Hermann Gmelin, Stuttgart 1993, Achtzehnter Gesang, 1-3.

206 Briefwechsel Döllinger-Acton III, 371-373.

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also als 89 jähriger: „Gegen Ihre drei indictments^®^ hätte ich doch einiges zu erinnern, z. B. auch dieses, daß er über das Ehewesen zwar more suo^®^ leichtfertig und vermessen geschrieben, aber doch nicht versucht hat, dergleichen Verirrungen practisch geltend zu machen. Sein Benehmen im Bauernkrieg zu entschuldigen, fällt mir nicht ein. Er war nicht selten berauscht durch das Bewußtsein der Macht seiner Worte. Meinerseits habe ich noch eine andre schwere Anklage gegen ihn zu erheben, nämlich die, daß er durch seine falsche Imputationslehre das sittlichreligiöse Bewußtsein der Menschen auf 2 Jahrhunderte hinaus verwirrt und corrumpirt hat. Sein Verhalten in der Doppelehe des Landgrafen muß natürlich als unentschuldbar preisgegeben werden. Das freilich kann ich nicht fassen, daß Sie Luther geradezu an die tiefste, unterste Stelle der Geschichtshölle versetzen wollen, und die ganze denkende, geschichtskundige Welt wird es auch nicht fassen. Ich bitte und beschwöre Sie, besinnen Sie sich dreimal, ehe Sie einen in diesem Sinne verfassten Journal-Artikel schreiben.“^®’

Actons Antwort darauf im Brief vom 8. Juli 1888 sei das Schlußwort zu dieser Kontroverse: „Lieber Herr Professor! Ich danke sehr für Ihre gütige Antwort und werde grossen Profit daraus ziehen.“^'®

3.2.2 Erläuternde Kommentierung der Kontroverse

Actons Geschichte der Freiheit^''' blieb ein Traum, dessen Grundzüge er in wenigen Essays^'^ über die Geschichte der Freiheit in der Antike und im Christentum festhalten wollte.^’’ Die Kontroverse wurde durch eine wohlwollende Beurteilung Döllingers über einen Nachruf auf den französischen Bischof Félix-Antoine-Philibert Dupanloup (1802-1878) ausgelöst. Es folgte ein Meinungsstreit über die Beurteilung historischer Persönlichkeiten zwischen Acton und Döllinger, der sich über sechs Jahre hinzog. Acton lehnte die Unterscheidung zwischen Irrtum und Irrendem ab und betrachtete die Weltgeschichte als Weltgericht. Das „Verstehen“ des Historikers bedeute keineswegs „Entschuldigen“, weil ohne klare Urteile die Moral in der Geschichte Schaden nehmen müsse. Darin von Döllinger nicht verstanden zu werden, führte ihn in eine tiefe Krise.^''* Luther wurde als besonders charakteristischer Fall in die Diskussion eingeführt.

207 „Anschuldigungen“.

208 „auf seine Art“.

209 Ebd., 374f.

210Ebd., 377.

211 L. Kettenacker, Lord Acton: Wegbereiter der deutschen historischen Schule und Kritiker des Historismus, in: A.M. Birke / K. Kluxen, Kirche, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Ein deutsch-englischer Vergleich, München - New York - London - Paris 1984,99-120.

212 J.N. Figgis / R.V. Laurence (Hg.), Historical Essays and Studies by Lord Acton, London 1907 (vgl. Kettenacker 107, Anm. 40).

213 Kettenacker, Lord Acton, 108.

214 Ebd., 115.

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In der Monogamie/Polygamiefrage geht es um Luthers Rat an König Heinrich VIII. von England 1528, seine erste Gattin zu behalten und eine zweite zu heiraten, und um die Anwendung des gleichen Privilegs auf den hessischen Landgrafen Philipp 1. 1540.2'5

Der Vorwurf gegen Luther, er führe die Freiheit im Munde und stelle gleichzeitig die Lehre vom passiven Gehorsam auf, bezieht sich auf Luthers Engagement im Bauernkrieg 1525. In seiner Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft 1525 wendet er sich zunächst an die Herrschenden: „Erstens können wir Niemand auf Erden für solch Unheil und Aufruhr danken, als euch Fürsten und Herren, besonders euch blinden Bischöfen und tollen Pfaffen und Mönchen. [ . . .] Dazu tut ihr im weltlichen Regiment nicht mehr, als daß ihr schindet und Geld eintreibt, euren üppigen und hochmütigen Lebenswandel zu führen, bis es der gemeine Mann nicht länger ertragen kann und mag. Das Schwert ist euch auf dem Halse. [ . . .] Denn das sollt ihr wissen, liebe Herren: Gott schaffts so, daß man eure Wüterei nicht kann noch will dulden auf die Dauer. [ . . .] Denn er wird euch schlagen. Es sind nicht die Bauern, liebe Herren, die sich gegen euch stellen. Gott ists selbst, der sich gegen euch stellt, eure Wüterei heimzuzahlen.“2'^

Die Bauern dagegen warnt er vor den Mordpropheten und weist sie darauf hin, dass überall auf der Welt, auch bei Türken und Juden, Ordnung sein müsse. Bei Christen käme aber noch etwas hinzu: „Nicht sich gegen Unrecht sträuben, nicht zum Schwert greifen, nicht sich wehren, nicht sich rächen, sondern Leib und Gut dahingeben, daß es raube, wer da raubt. Wir haben doch genug an unserem Herrn, der uns nicht verlassen wird, wie er verheißen hat. Leiden, Leiden, Kreuz, Kreuz ist der Christen Recht, das und kein anderes.“^'''

Der Hinweis Actons auf Jean Paul Marat (1744-1793), Arzt und Schriftsteller, der eines der berüchtigsten Häupter der französischen Revolution wurde, dieser habe die Reichen Frankreichs nicht so schlimm behandelt wie Luther

215 Vgl.Anm. 25.

216 B. Beuys, Und wenn die Welt voll Teufel wär. Luthers Glaube und seine Erben, Reinbek 1982, 171-190, hier 180. A. Laube, H.W. Seiffert, Flugschriften der Bauemkriegszeit, Köln - Wien 19782 , Martin Luther, Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft, 203-222. „Erstlich muegen wir niemand auff erden dancken solchs unradts und auffruhrs, denn euch fürsten und herrn, sonderlich euch blinden bis-schoffen und tollen pfaffen und muenchen, die yhr noch heuttigs tages verstockt, nicht auffhöret zu toben und wueten Widder das heilige evangelion, ob yhr gleich wisset das es recht ist, und auch nicht widderlegen kuendet, dazu yhm welltlichen regiment nicht mehr thut, denn das yhr schindet und schätzt, ewem pracht und hohmut zu furen, bis der arme gemeine Mann nicht kann noch mag lenger ertragen. Das schwerd ist euch auff dem halse. [ . . . ] Denn das sollt yhr wissen, lieben herm, Gott schaffts also, das man nicht kann, noch will, noch solle ewr wueterey die lenge dulden. [... ] denn er will euch schlagen und wird euch schlagen. Es sind nicht bawren, lieben herren, die sich widder euch settzen, Gott ists selber, der setzt sich widder euch, heymzusuchen ewer wueterey.“ Ebd., 204f.

217 Beuys, Und wenn die Welt, 181. Luther, Ermahnung, 211: „[... ] nicht sich strewben widder unrecht, nicht zum schwerd greiffen, nicht sich weren, nicht sich rechen, sondern dahyn geben leyb und gut, das es raube, wer da raubet, wyr haben doch gnug an unserm herm der uns nicht lassen wird, wie er verheyssen hat. Leyden leyden, creutz creutz ist der christen recht, des und keyn anders.“

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die Bauern, stellt Luther in ein noch düsteres Licht. - Marat übrigens entging dem Todesurteil des Revolutionsgerichts (die Revolution frisst ihre Kinder!) nur, weil Charlotte Corday d’Armans (1768-1793) ihn am 13. Juli 1793 abends um 7.00 Uhr im Bade erstach. Sie selbst wurde daraufhin am 17. Juli 1793 guillotiniert. - Die Bauern seien jedenfalls mehr im Recht gewesen als die französischen Adeligen. Er wisse, dass Döllinger nicht nach nationalen und konfessionellen Rücksichten urteile, aber dennoch werde er, Acton, von ihm auf Schritt und Tritt kritisiert.

Döllinger zeigt sich über Actons Lutherbild überrascht, gibt Jedoch zu, er habe früher ähnlich geurteilt. Aber damit breche Acton zugleich den Stab über Deutschland. Und Luthers Verhalten bei den höfischen Eheproblemen könne man ja nicht als Einführung der Polygamie in Westeuropa deuten.

Döllingers Anregung einer Aussprache über die Meinungsverschiedenheiten mag Acton nicht abwarten, er reagiert sofort, klagt über den prinzipiellen Unterschied zwischen ihnen und hofft doch, mit seinen Argumenten auf Döllinger Eindruck machen zu können. Deutschlands mögliche Schande vermag ihn nicht zu beeindrucken. Er würde auch Voltaire nicht um Frankreichs willen schonen. Allerdings reiche seine Klage gegen eine Nation nicht weiter als die Entschuldigung eines Mannes wegen seiner Nationalität, d.h. das Deutsch- oder Französischsein berühre nicht die Ebene sittlicher Entscheidungen. Aber nochmals zu Voltaire; bei ihm gebe es nichts Verbrecherisches, während er Luther Kriminalität und Missachtung menschlichen Lebens anlasten müsse.

Was die Polygamie angehe, habe Muhammed sie eingedämmt, Luther aber eingeführt, wenn auch nicht für alle Christen, so doch für Fürsten. Und nochmals, die Ungeheuerlichkeit, dass er Verteidiger der Freiheit abschlachten ließ (wieder auf die im Bauernkrieg unterlegenen Bauern bezogen), lasse sich durch keine guten Eigenschaften oder Taten abmildern.

Döllinger gibt zu, dass sie verschiedener Meinung seien. Aber gegen sein moralisches Todesurteil über Luther müsse er sich doch weiter wehren: er bitte um Belege dafür, dass Luther die Polygamie beharrlich verfochten habe. Seit langer Zeit habe er sich nicht mehr mit ihm beschäftigt und erinnere sich nur, dass für Luther die Monogamie nicht göttlichen Rechtes, also eine menschliche Einrichtung sei, „was ja auch ganz richtig ist“. Das heißt, Döllinger hält auch eine polygame Form der Eheverhältnisse für vereinbar mit Gottes Willen, wie ja das Alte Testament zeige. Dass Luther sie förmlich gefordert habe, sei ihm wirklich unbekannt gewesen, das möge Acton doch nachweisen.

Luthers Brutalität in „Ein Sendbrief vom harten Büchlein wider die Bauern“^'* sei wirklich maßlos gewesen, immerhin aber durch sengenden, mordenden Aufruhr provoziert worden.

218 Laube / Seiffert, Flugschriften, 413-429.

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Bezüglich der Beweiskraft von Nationalität zur guten oder schlechten Seite hin teile er Actons Skepsis. Er billige in moralischer Beziehung zur Zeit des Briefwechsels den Engländern sogar die Siegespalme zu; auf den Deutschen lasteten tiefe Schatten. Döllinger kommt Acton also weit entgegen. Aber dieser lehnt die Existenzberechtigung dieser Differenz zwischen ihnen überhaupt ab und sieht die ganze Geschichtswissenschaft in Frage gestellt, wenn sie beide sich angesichts einer so überwältigend reichen und klaren Quellenlage über die Verwicklung Luthers in Lüge und Mord nicht einigen könnten. Wenn Döllinger für Actons Position das Wort ,maßlos‘ verwende, dann bringe ihn das auf den o Gedanken, Döllinger müsse die genaue Sprache und die genaue Gelegenheit vergessen haben.

Und was die Monogamiefrage angehe, so sei die Gewährung von Bigamie an christliche Fürsten ein prinzipieller Schritt; sie könne dann auch nicht dem christlichen Volk verweigert werden.

Der Rest dieser Korrespondenz bedarf keiner zusätzlichen Erklärung. Der Düsternis des Lutherbildes Sir John Actons entspricht seine Verbannung Luthers in die Dantesche Höllengrube für Religionslehrer, Tyrannen und Inquisitoren.

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4. EPILOG

Georg Schwaiger, einer der Nachfolger Döllingers auf dem Lehrstuhl der Kirchengeschichte an der katholischen theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München schrieb 1983: „Döllingers Urteil über Luther und die Reformation ist gewiß die bedeutendste Stimme im katholischen Deutschland des vorigen Jahrhunderts.“^'’ „Derart eingehend, sachlich, kritisch im besten Verstand, hatte kein katholischer Theologe bis dahin Luther und die Reformation gewürdigt.“^^® In dem zweibändigen Werk von Joseph Lortz (1887-1975), Die Geschichte der Reformation in Deutschland^^', wird Döllinger nur zweimal angesprochen, jedesmal gemeinsam mit Johannes Janssen. Lortz betont, man dürfe das von beiden zusammengetragene Material trotz seiner einseitigen Behandlung nicht übersehen und es bleibe auch nach kritischer Sichtung außerordentlich belastend.^^^ Lortzens Buch erregte das allerhöchste Missfallen Pius

Peter Manns, Schüler und langjähriger Mitarbeiter von Joseph Lortz am Institut für Europäische Geschichte in Mainz, nennt seinen Lehrer den „Altmeister katholischer Lutherforschung“, der nicht nur Geschichte geschrieben, sondern Geschichte gemacht habe.^^'’ Er habe den ,katholischen Luther‘ herausgestellt und sei darin unterstützt worden von Adolf Herte und dessen Arbeit über das

219 G. Schwaiger, Luther im Urteil Ignaz Döllingers, in: Bernd Moeller (Hg.), Luther in der Neuzeit. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte, Gütersloh 1983,70-83, hier 71.

220 Ebd. 80.

221 J. Lortz, Die Reformation in Deutschland, Bd I; Voraussetzungen, Aufbruch, erste Entscheidung. Freiburg i.B. 1939; Bd. 11; Ausbau der Fronten, Unionsversuche, Ergebnis, Freiburg i.B. 1940. Unveränderte Neuausgabe mit einem Nachwort von Peter Manns, Freiburg - Basel - Wien 1982.

222 Lortz, Die Reformation I, 369f.: „Es genügt nicht, die Einseitigkeit Janssens mit Recht abzuweisen, man darf deswegen sein Material nicht übersehen, ebensowenig wie dasjenige der drei Bände Döllingers. Gewiß übertreiben die in den beiden Werken zusammengetragenen zeitgenössischen Klagen oft. [ . . . ] Trotzdem bleibt, nach kritischer Sichtung, da.s Material außerordentlich belastend.“

Lortz, Die Reformation 11,299f.: „Die Evangelischen nehmen gegenüber den eben erwähnten innerprotestantischen Zersetzungen eine ähnliche Haltung ein, wie manche Katholiken gegenüber innerkirchlichen Mißständen der damaligen Zeit. Man ,weiß‘ wohl von jenen verschiedenen Klagen, das eine oder andere Mal werden sie auch ,erwähnt‘, aber man hat sie auf protestantischer Seite nur selten voll ins Bewußtsein und in die geschichtlichen Darstellungen eingehen lassen. Wenn man das als Reaktion gegen die nach der andern Seite übersteigernden Einseitigkeiten von Döllinger und von Janssen rechtfertigen wollte, so darf man wohl auf die Zustimmung aller Einsichtigen rechnen, wenn man sagt, daß für eine taktisch-ausbalancierende Behandlung derartig wichtiger Dinge die Zeit vorbei ist. Die Reformation ist für uns alle in Kirche, Volk und Staat ein Schicksal ohnegleichen geworden. Ein Schicksal, das noch lange nicht bewältigt ist. Derartiges kann und darf nur mit allseitiger, man darf vielleicht sagen heiliger Wahrhaftigkeit und in letztem sachlichem Emst behandelt werden. Da.s Material Döllingers wird nicht dadurch seines Gewichtes beraubt, daß er das Positive der Reformation und der Reformatoren zu kurz kommen ließ. —

Man muß also der Tatsache einer wichtigen Minderung des Religiösen und des Moralischen im Verfolg der Reformation, die aufgestanden war, um die Reinheit des christlichen Lebens wiederherzustellen, ins Auge sehen und sie in die Gesamtbewertung mit einstellen. Nur so wird sich eine gerechte Bilanz erarbeiten lassen.“

223 P. Manns, Lortz, Luther und der Papst. Nachwort zur Neuausgabe von Lortz, Die Reformation II, 353-391, hier 357.

224 Ebd., 353f.

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katholische Lutherbild in der Sicht des Cochläus (1479-1552)?25 Beide gemeinsam hätten die grundlegende Wandlung des katholischen Lutherbildes bewirkt?^^ Diese historische Feststellung macht mich froh und traurig zugleich. Ich freue mich, einen Prozess beobachten zu können, in welchem die handelnden Personen und die Fakten in angemessener Deutung in der Erinnerung späterer Generationen aufscheinen und das fahle Licht des Missverständnisses und der Missdeutung der Wahrheit weichen muss. Ich bin jedoch traurig, dass die Einsichten eines Theologen und Historikers wie Ignaz von Döllinger noch weit über hundert Jahre nach seinem Tode nur Wenigen bekannt sind. Dabei sind es die Einsichten eines Mannes, der den bitteren Weg aus dem Lager herausgehen musste^^’ - wie Luther - und als exkommunizierter Häretiker und Schismatiker für seine katholische Kirche offiziell bedeutungslos geworden war. Bei ihm ist es gelungen, ihn vorläufig aus dem Gedächtnis des Kirchenvolkes zu tilgen, zu einem hohen Preis, denn die Zeiten des konfessionellen Misstrauens und ihrer Opfer währten noch bis in die Zeit gemeinsamen Leidens und Zeugnisses der Bekenner und Blutzeugen beider Konfessionen in den Gefängnissen und Konzentrationslagern des Dritten Reiches. Döllinger, Lortz und den vielen anderen zuzuhören, die uns helfen, dass die Wahrheit uns frei mache von unserer beschränkten Streitsucht und Rechthaberei, lohnt sich. Lortz empfand ungeheuchelte Liebe und Verehrung für Martin Luther. Seine Bedeutung für die Reformation und die Reform der Kirche im umfassenden Sinne fand seine entschiedene Anerkennung.^^^ Was hätte Döllinger für ein solches Echo auf seine Akademierede „Geber Religionsstifter“ vom 25. Juli 1883 gegeben.^^’

Peter Manns hielt seine Antrittsvorlesung als Direktor des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz am 3. Dezember 1981 unter dem Titel: „Martin Luther, Vater im Glauben für die gesamte Christenheit“.^’“ Als Lortzschüler könne er bei der Beurteilung Luthers nicht ohne die Begriffe ,Häresie‘ und ,Häretiker‘ auskommen. Aber diese kontroverstheologischen Vokabeln erhielten einen neuen Sinn, Insofern sie das Bekenntnis zu Luther als ,Vater im Glauben‘ einschlössen. Ein Katholik könne dafür nur den Nachweis erbringen, indem er bereit sei, sich ernstlich auf das Abenteuer einzulassen, „als das sich die geschichtlich bedrohte und doch auch geschichtlich sich erschließende Verkündigung der ein für allemal ergangenen Offenbarung in Raum und Zeit der pilgernden Kirche insgesamt darstellt“.”' Den Lutheranern sollte das nicht unzumutbar erscheinen,

225 A. Herte, Das katholische Lutherbild im Banne der Lutherkommentare des Cochläus, Münster 1943. Johannes Cochläus (Dobeneck), katholischer Theologe.

226 Manns, Lortz, Luther und der Papst, 355.

227 Vgl.Hebr. 13, 12f.

228 Manns, Lortz, Luther und der Papst, 390.

229 Vgl.Anm.50.

230 Manns, Lortz, Luther und der Papst, 391.

231 Ebd.,384.

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insofern die Katholiken bereit sind, sich auf das „simul Justus et peccator“ des reformatorischen Rechtfertigungsglaubens einzulassen?’^ Ignaz von Döllinger, Joseph Lortz, Hermann Adalbert Daniel und Lord John Acton werden zufrieden dazu gelächelt haben.

232 Ebd.

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5. ANHANG

Anna Herder an Ignaz von Döllinger^”

Freiburg 27/3 1878 Lieber verehrter Freund!

Sie werden erstaunt sein beim Anblicke dieser Zeilen, die ihnen eine treu ergebene Freundin ins Gedächtnis zurückrufen, eine Freundin, die Ihnen heute gerne beweisen möchte, daß sie zu Jenen gehört, die es stets so recht von Herzen gut mit Ihnen gemeint, und hiefür kein Opfer scheuen.

Wir kommen von Rom, stets die interessanteste Stadt der Welt, wohin wir augenblicklich nach dem Empfang der Nachricht vom Tode Pius IX angereist, um dessen Funeralien und Beerdigung bei zu wohnen und den Ausgang des Conclave ab zu warten, aus dem Gott sei Dank Leo XIII, ein Pabst hervorging, der nach Allem was ich von competenter Stelle darüber hörte, und über seine Vergangenheit las, jener Mann ist, den die Kirche in dieser schweren Zeit gebraucht. Wir gehörten zu denjenigen, die eine der ersten Audienzen bei ihm hatten, und machte er mir ganz den erwarteten Eindruck, den eines höchst intelligenten, gebildeten feinen Weltmanns, aszetischen tüchtigen Priesters, gütigen zuvorkommenden liebenswürdigen Menschen, der in allen Herzen nur Sympathie erregen kann. Er äußerte sich unendlich freundlich über Deutschland, sagte daß zur Zeit als er Nuntius in Brüssel, Land u[nd] Menschen dort kennen gelernt, sie sehr gerne habe, u[nd] Beweis gleich in den ersten Tagen seiner Regierung, daß dem so sei, indem er Ihren Freund den Fürsten Schwarzenberg (für mich traurigen Angedenkens in Bezug des Sie betreffenden Briefes an C[ardinal] Antonelli, Ihren Ruf auf‘s Concil betreffend) als Camerlengo, Ledochowski und mehrere deutsche Priester zu Referenten über deutsche Verhältnisse ernannte. Mir hat selten ein Mensch so viel Vertrauen eingeflößt, noch solch guten Eindruck gemacht, und aus der Audienz zurück kehrend sagte mir eine Stimme im Innern, die Zeit ist nun da, wo Dein Freund, dessen Handlungsweise du so tief betrauert, sich mit der Kirche versöhnen kann; wie glücklich wird man sein, diesen bedeutenden Mann, ersten Vertreter der Wissenschaft und Kirchenhistoriker, der Jahrzehnte hindurch eine Säule der Kirche war, woran Jeder mit Bewunderung aufschaute, in ihren Schooß zurück kehren zu sehen, und er, der gewiß nie Glück

233 Döllingeriana II, Herder, Anna, Nr. 26. Transkr. 6, 37-39. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatsbibliothek München.

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und Zufriedenheit in diesem Zerwürfnisse finden konnte, wünscht gewiß selbst nichts sehnlicheres. Und daß eben Cardinal Schw[arzenberg] Camerlengo, er, der durch mißverstandenen Diensteifer u[nd] Freundschaft Ihre heutige Lage mit herauf besch[w]or, indem er brieflich den Pabst Pius IX durch Antonelli versichern ließ. Sie nähmen unter keiner Bedingung einen Ruf in‘s Concil an, wie ich aus Antonellis Mund weiß, in Folge dessen dann Alles so kam, wie es heute liegt, ist auch eine sichtliche Fügung Gottes, und er gleich dem Pabste wird gewiß Alles aufbieten. Ihnen diesen Schritt zu erleichtern, und ihn von der Öffentlichkeit fern halten, indem Alles privatim abgemacht wird. Wenn Sie, ein so geistreicher erfahrener Mann, ruhig darüber nachdenken, was Sie durch Ihre Opposition gegen die Kirche erreicht, so müssen Sie sich antworten: Meine Trennung von einer Laufbahn, die mich und die Jugend beglückte, die Früchte meines Geistes als todtgeborenes Kind zur Welt bringt, einen ergebenen Priester der Kirche entzogen, und habe fast Alle meine liebsten besten Freunde verloren, denn die wo Sie in Folge dieser unseligen Handungsweise gewonnen, die buhlten nur um Ihre Freundschaft, um einen Mann wie Döllinger an der Spitze ihres Treibens zu haben, denn das glauben Sie mir! Keiner liebt und verehrt in Ihnen den Menschen!

Das aber sind nur die Folgen, die persönlich auf Sie rückwirkten, wie traurig sind erst die Andern, die vorher in ihrem Glauben fest stunden, die an Ihnen aufschauend ganz wirr wurden und wie die Lämmer ihren Hirten dem unglückseligen Schisma des Altkatholizismus zuschworen, welcher nie lebensfähig war, dem sich meist schlechte katholische Priester, leider auch einige gute angehende anschlossen, weil Sie Protector waren, eine Lehre, die ihrem Ende entgegen geht, und nur bestehen konnte, weil Preussen seine Vertreter so hoch zahlte; daß diese Rücksicht auf materielle Bevorzugung auch einige tüchtige Menschen auf kurze Zeit zuführte, das ist erklärlich in der Welt der vielen Bedürfnisse. Das Todesurtheil war ihr gesprochen, indem man einen Mann wie Reinkens^’'* zum Bischöfe der von der Kirche abgefallenen Parthei machte, denn

234 Frau Herders vernichtendes Urteil über Prof. Joseph Hubert Reinkens (1821-1896), den ersten deutschen alt-katholischen Bischof, wurzelt in den Verläumdungen, die 1872/73 gegen ihn in Zeitungsartikeln ausgestreut und Gegenstand eines Prozesses vor dem Zuchtpolizeigericht in Bonn (12.-19. März 1874) wurden. Die neue Secte habe mit dem energischen und galanten Breslauer Professor einen Häresiarchen gefunden, der eine Rolle wie der beste Luther spiele und die Bewegung kaum einigen würde. Nur die alt-katholische Damenwelt dürfte sich zur Ernennung des der Lebenslust nicht abgeneigten, glatt gestriegelten Breslauer Professors gratulieren, der wie Luther bald seine Katharina von Bora heimfuhren würde. Im Prozess wurde der Redakteur Emons zu einer Gefängnisstrafe von 5 Monaten, der Herausgeber der Deutschen Reichszeitung Hauptmann zu einer Geldstrafe von 500 Talern (oder vier Monate Gefängnisstrafe) verurteilt. Sie seien überführt worden, „den Professor Dr. Reinkens in verleumderischer Weise öffentlich beleidigt zu haben“. Die 2. Instanz änderte das Urteil von verleumderischer zu einfacher Beleidigung, ohne jedoch das Strafmaß zu verändern. Freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Angela Berlis aus ihrem bisher unveröffentlichten Manuskript, Der Prozess um Bischof Reinkens (1874), dem die Erläuterungen entnommen sind.

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wer den Mann und seine frühere Lebenszeit kennt, der mußte sich sagen, daß Gott es in seiner Weisheit so gefügt. Ich die ich Ihren reinen nobeln Sinn kannte, habe es nie begreifen können, daß ein Mann mit einer solchen Vergangenheit an Ihrem Tische saß, und sich wie ihr Freund gérirte. Es ist nicht möglich, daß Sie das Treiben solcher Menschen, wie seines, das eines Friedrich^’^ in Bonn billigen konnten, und ihren so großen Namen von denselben als Fahne gebrauchen ließen, Menschen, denen es nicht um Beseitigung der möglichen Irrthümer in der kath[olischen] Kirche, sondern um Aufhebung des Cölibats, Selbstherrschaft u[nd] Befriedigung ihres Hochmuths zu thun gewesen. Das es so kam, habe ich Alles voraus gesehen nach der mit Ihnen gepflogenen Unterredung im Jahre 1870; ich kannte Sie zu gut in Ihren vortrefflichen Eigenschaften, wie Ihren üblen, weiß wie wenig Sie es verstehen, Menschen richtig zu beurtheilen, und nur zu leicht denen Glauben schenken, und ihnen dienlich sind, die es nicht verdienen, weiß, seien Sie mir nicht böse, daß ich es offen sage, daß wenn Sie sich beleidigt wähnen, Ihr Hochmuth, und das ist einer Ihrer Hauptfehler, vielleicht der Einzige; Ihnen nicht erlaubt, ein mea culpa zu machen, welches Sie bei einiger Demuth wohl gethan. Was ich gelitten, als Sie sich der Kirche so entfremdeten, offen gegen sie auftraten, in Contact mit Reinkens etc. traten, das könnten Sie nur ermessen, wenn Sie wüßten, welch aufrichtig wahre treu ergebene Freundin ich Ihnen stets gewesen. Denken Sie welch ein Segen es sein wird für die Kirche, für alle Katholiken, wenn Sie gleich den andern Priestern u[nd] Kirchenwürdenträger gern Ihre Ansichten, Ihre Meinung auf den Opferaltar der Selb[st]verläugnung niederlegen und gehorsam dem Ausspruch derselben sich fügen. Für die, die Sie kennen, stehen Sie höher als ein hl. Augustinus, und bewundernd werden Alle an dem Manne, dem großen Gelehrten aufschauen, der den höchsten Sieg erkämpfte, den man im Leben erkämpfen kann, den über sich selbst, und die Schlechtgesinnten können nicht umhin sich zu sagen - die Sache muß doch schlecht sein, weil Döllinger, der doch ein reines selbstloses Streben dabei hatte, sie verließ. Wenn einmal alle Kirchenfürsten trotz der Verfolgungen wie ein Mann gleich einer Macedonischen Phalanx für die römisch-katholische Kirche in‘s Feld gehen, alle gemachte Opposition des Concils vergessend, wie es treuen wahren Priestern gebührt, den Befehlen sich fügen, da meine ich müßte einem so geistreichen Manne wie Sie sind, doch der Gedanke kommen, daß Sie nicht allein von Allen das Rechte wählten, sondern entschieden irre gingen, schon weil Sie den Gehorsam aufsagten! Sie kannten es nie, Jemandem zu gehorchen, hatten stets falsche Freunde um sich, die Sie mit Lob überhäuften; Keiner wagte den kleinsten Tadel dem Allen weit überlegenen Manne zu sagen, und so kam es, daß Sie stets gewohnt zu herrschen sich nicht beugen konnten.

235 Sie meint wohl Prof. Johann Friedrich von Schulte, nicht Prof. Johann Friedrich in München.

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Gott allein, der in mein Herz sieht, weiß, daß kein Opfer mir zu groß, könnte ich unsern lieben Stiftspropst von vor 15 Jahren an die Stelle des heutigen setzen, der damals eine Seele der Kirche, das Licht des Jahrhunderts war, bewundert von Jedermann! Sie fühlen, Sie wissen es selbst, heute stehen Sie allein mit ihrer Seele, allein, wenn auch Menschen um Sie sind. Ich thue Alles für Sie, ich gehe nach Rom, leite Alles ein, und Niemand erfährt ein Wort, oder aber schreiben Sie an Schwarzenberg, der noch dort, er wird Ihnen bestimmt mit Freuden zur Aussöhnung die Hand bieten, und der Pabst wird beseeligt über Ihre Rückkehr sein. Beten, recht beten will ich, daß Gott Ihnen die Kraft gibt, sich selbst zu besiegen; und uns Katholiken den Mann wieder gibt, dessen Handlungsweise wir mit Thränen des Herzens beweinten. In aufrichtiger Liebe und Freundschaft

Ihre Anna.

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Tot op heden verschenen delen in de serie:

18* Lie. G. Theys: Van Van ‘t Sestichhuis tot college van de hoge heuvel, 1633-1752

19 C. Tol: Concelebratie, afscheidscollege 28 september 1985

20 Dr M.F.G. Parmentier: Vincentius van Lerinum, de beide Commonitoria

21* Angela Berlis: Gottes Haushalter - Der Bischof im Alt-Katholischen Kirchenrecht Deutschlands

22 Dr M.F.G. Parmentier: Het pastoraat aan katholieken tussen Vecht en Eem (1638-1646)

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29 Jan Hallebeek: Alonso “el Tostado” (c. 1410-1455). His doctrine on jurisdiction and its influence in the Church of Utrecht

30*Christoph Schuler: The Mathew Affair - The failure to establish an Old Catholic Church in England in the context of Anglican-Old Catholic relations between 1902 and 1925

31 Jan Hallebeek: De ‘Wondere Afscheidpreekens’ van pater Daneels - Oudewater 1705

32* Jan Visser e.a.: Staat de kerk haar eigen boodschap in de weg?

33 M.G. Spiertz: Op weg naar een rehabilitatie van Petrus Codde?

34 Koenraad Ouwens en Adrie Paasen (red.): Liturgievernieuwing in de Oud-Katholieke Kerk

35* Martien Parmentier (ed.): The Ecumenical Consistency of the Porvoo Document

De publicatieserie van de Stichting Oud-Katholiek Seminarie wordt uitgegeven onder verantwoordelijkheid van docenten en leden van het curatorium van deze stichting.

Redactie: Prof. Dr J.J. Hallebeek, Prof. Dr A.K.H. Berlis, Mw A. Paasen Administratie: Centraal Oud-Katholiek Boekhuis

Koningin Wilhelminalaan 3

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